Gustav Theodor Fechner
Elemente der Psychophysik Teil 1
Gustav Theodor Fechner

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III. Eine Vorfrage.

Wenn schon alle dunklen und streitigen Fragen der inneren Psychophysik – und fast die ganze innere Psychophysik besteht zur Zeit nur aus solchen Fragen – mit ihr selbst zurückzustellen sind, bis der erfahrungsmäßige Gang die Mittel zu ihrer Entscheidung bietet, so wird doch eine derselben, welche die Aussichten der ganzen Psychophysik angeht, vornweg wenigstens kurz zu berühren sein, um sie so weit zu beantworten, als sie sich aus allgemeinem Gesichtspunkte beantworten läßt, und im Übrigen auf die Folge zu verweisen.

Bezeichnen wir Denken, Wollen, die feineren ästhetischen Gefühle als höheres Geistige, sinnliche Empfindungen und Triebe als niederes, so können jedenfalls hienieden – die Frage des Jenseits lassen wir ganz offen – die höheren geistigen Tätigkeiten eben so wenig von Statten gehen als die niederen, ohne körperliche Tätigkeiten mitzuführen, oder an psychophysische Tätigkeiten gebunden zu sein. Kein Mensch kann mit einem gefrorenen Gehirne denken. Eben so wenig ist zu bezweifeln, daß eine bestimmte Gesichts-Empfindung, Gehörs- Empfindung nur zu Stande kommen können, nach Maßgabe als bestimmte Tätigkeiten unseres Nervensystems stattfinden; auch dies wird nicht bezweifelt, ja wohl der Begriff der sinnlichen Seite der Seele darauf gegründet, daß sie in genauem Konnex mit der Körperlichkeit stehe und gehe. Desto mehr aber wird bezweifelt, ob auch jeder bestimmte Gedanke an eine eben so bestimmte Bewegung im Gehirne gebunden sei, und nicht vielmehr ein tätiges Gehirn im Allgemeinen hinreiche für das Denken und die höheren geistigen Tätigkeiten überhaupt, ohne daß solche einer besonderen Art und Richtung der körperlichen Tätigkeiten im Gehirne bedürfen, um in bestimmter Art und Richtung von Statten zu gehen. Ja es wird wohl der wesentliche Unterschied des höheren vom niederen geistigen Gebiete (von Manchen als Geist und Seele im engeren Sinne unterschieden) eben hierin gesucht.

Gesetzt nun, die höheren geistigen Tätigkeiten wären wirklich einer Spezialbeziehung zu körperlichen Tätigkeiten enthoben, so würde aber doch die als tatsächlich anzuerkennende allgemeine Beziehung derselben dazu der Betrachtung und Untersuchung durch die innere Psychophysik unterliegen. Denn diese allgemeine Beziehung wird jedenfalls an allgemeine Gesetze gebunden sein und allgemeine Verhältnisse einschließen, die es zu ermitteln gelten wird; ja diese dürften überhaupt immer das Wichtigste der Aufgabe der inneren Psychophysik bleiben. Und schon eins der nächsten Kapitel (V) wird uns auf solche Verhältnisse führen.

Ich will ein Bild brauchen: mag der Gedanke am Flusse der körperlichen Tätigkeit selbst mitwirken und nur mittelst dieses Wirkens wirklich sein, oder mag er des Flusses nur bedürfen, wie der Ruderer im Nachen, um darüber hinzusteuern, und dabei mit dem Ruder gleichgültige Wellen zu schlagen; beidesfalls wollen die Verhältnisse und Gesetze des Flusses berücksichtigt sein, wenn es sich um den Fluß oder Fortschritt des Gedankens handelt; beidesfalls freilich aus sehr anderem Gesichtspunkte. Auch die freieste Schiffahrt unterliegt Gesetzen, die sich auf die Natur des Elementes und die Mittel, die ihr dienen, beziehen. Also wird auch jedenfalls die Psychophysik mit der Beziehung des höheren Geistigen zur körperlichen Unterlage zu tun finden; aus welchem Gesichtspunkte aber und bis zu welchen Grenzen, das wird sie selber dereinst auf ihrem Gebiete zu entscheiden haben.

Möge nun Jeder die Idee und den Spielraum der inneren Psychophysik so weit und so lange beschränken, als ihn der Zwang und das Band der Tatsachen nicht nötigt, die Beschränkung aufzugeben. Nach meinem Glauben, der doch für jetzt erst als Glauben geltend gemacht wird, gibt es in dieser Hinsicht keine Grenze.

In der Tat, bedenke ich, daß die Empfindung der Harmonie und Melodie, die unstreitig einen höheren Charakter als die der einzelnen Töne trägt, der Verhältnisse derselben Schwingungszahlen als Unterlage bedarf, die einzeln den einzelnen Empfindungen unterliegen, und daß sie sich nur in genauem Zusammenhange mit der Weise, wie diese zusammenklingen und sich folgen, ändern kann; so scheint mir hierin eine Andeutung nur für ein höheres, aber kein fehlendes spezielles Abhängigkeitsverhältnis zwischen höherem Geistigen und physischer Unterlage zu liegen, und Alles wohl mit dieser, leicht weiter auszuführenden und zu erweiternden Andeutung zu stimmen. Aber weder die Ausführung, noch auch nur Behauptung derselben ist hier im Eingange unsere Sache.


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