Felix Fechenbach
Im Haus der Freudlosen
Felix Fechenbach

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Illustration

Bilder vom Spazierhof

Ein enger Hof. Der düstre Zellenbau mit kleinen Gitterfenstern und drei tote, graue Mauern schließen ihn ein.

Ein Weg schlingt sich oval um eine Rasenfläche. Auf schmalem Streifen sind Blumen angepflanzt.

An der Südwand steht ein Aufseher. An der Nordseite ein zweiter.

Zuchthausgefangene in Sträflingskleidung gehen mit schweren Schritten im Kreis. Einer hinter dem andern gehen sie. Drei Schritte Abstand. Sprechen ist verboten.

Wenn es warm ist, gehen sie langsam. Das Tempo wird rascher, wie das Thermometer fällt.

Über die Mauer weg können sie ein paar Bäume sehen, die auf naher Höhe wachsen. Das ist alles.

Wieviel Jammer und Elend tragen sie mit sich herum?

Warum die wohl alle da sind, im Haus der Freudlosen?

In den Akten steht's. Kalte, harte Worte stehen dort, wie in den Gesetzbüchern: Diebstahl, Einbruch, Raub, Totschlag, Mord, Raubmord ...

Aber was alles war, bis es dahin kam, das steht nicht in den Akten.

Nichts steht darin von der »Ordnung«, die das Elend züchtet, aus dem die schlimme Tat wächst.

Nichts von den Selbstgerechten, deren Bauch gedeiht, wenn andere hungern.

Nichts von den Besuchern der »Armenbälle«, die jeden Tag das hohläugige Elend an sich vorbeischleichen sehen ohne zu helfen.

Nichts von denen, die Strauchelnde fallen ließen, die Sinkende niedertraten, statt die Hand zu reichen zur Hilfe.

Nichts! Nichts! Nichts von alledem!

Nur Paragraphen und Buchstaben; kalte, harte, tote Buchstaben...

Eine Stunde täglich sind die Gefangenen im Hof. Dann gehen sie zurück in vergitterte Zellen an ihre Arbeit.

Und morgen machen sie wieder die Runde im engen Hof zwischen grauen Mauern...

*

Ein warmer Sommertag. Der Spazierhof liegt zur Hälfte in goldigem Sonnenschein. Die eine Mauer wirft kühlen Schatten.

Sträflinge machen ihren Rundgang im Gänsemarsch. Aus pergamentenen Gesichtern brennen hohle Augen. Schweigsam, in sich gekehrt trotten sie im Kreis.

Alle haben den Hof schon ausgemessen. Wie oft! Sie wissen, daß sie hundert Schritte zu jeder Runde brauchen.

Wenn sie auf die Sonnenseite kommen, recken sie sich, dehnen die Brust weit und atmen tief.

Würziger Heuduft kommt von draußen über die Mauer.

Mitten im Hof, auf einer Grasfläche, stehen zwei Büsche Mohn. Roter Gartenmohn.

Die Gefangenen wissen vom Vorjahr, wie schön er blüht. Sie warten seit Tagen, daß die schwellenden Knospenknollen platzen und die rote Pracht herausquillt.

Heute ist das Wunder geschehen. Über Nacht.

Große, flammend rote Blumen glühen in der Sonne.

Wenn ein linder Lufthauch drüber streicht, ist's wie züngelndes Feuer.

Und die Gefangenen gehen im Kreis und haben im Haus der Freudlosen gefunden, woran sie sich freuen ...

Hell aufleuchtet der Mohn im Strahl der Sonne.

Scharf ist der Kontrast zum Grau der Mauer.

Deutlich wird's jetzt: Das Graue ist das Tote. Die rote Glut ist die Farbe des Lebens, ein jubelndes Fanal des Lebens!

Hoch aufstreben die schlanken Stengel des Mohns, als wollten sie das Leben hinausheben über das tote Grau, das ringsum lastet.

Eintönig klingen die Schritte im Kreis.

Wie leere Augen glotzen vergitterte Fenster ins Weite.

Vier tote Mauern engen den Raum und roter Mohn glüht in der Sonne.

Ein jubelndes Fanal des Lebens!

*

Wolkenloser Himmel blaut über dem Spazierhof. In die laue Stille schallen rundgehende Schritte der Gefangenen.

Hohle Augen schauen mit leerem Blick zu Boden oder dem Vordermann auf den Rücken.

Einer hebt die Augen ins Blaue.

Hoch oben sieht er ein paar Bussarde schweben. Die kreisen majestätisch umeinander.

Unten im Hof werden die andern durch das Schauen des einen aufmerksam, bis sie alle die schwebenden Vögel sehen.

Im Rundgehen verfolgen sie das Spiel der Bussarde, den Kopf weit zurückgeneigt.

Die Augen bekommen Glanz, der leere Blick belebt sich.

Gedanken werden wach und huschen unsichtbar von einem zum andern. Gedanken voll Sehnsucht, frei zu werden von der drückenden Enge.

So frei wie die schwebenden Vögel da oben ...

Die Bussarde sind nicht mehr zu sehen. Sie haben sich irgendwo niedergelassen.

Und im grau ummauerten Hof schauen hohle Augen wieder mit leerem Blick zu Boden oder dem Vordermann auf den Rücken.

Aber die Sehnsucht bleibt. Die brennende Sehnsucht, frei zu werden von der drückenden Enge.

So frei, wie die schwebenden Vögel...


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