Kurt Faber
Rund um die Erde
Kurt Faber

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Drittes Kapitel

Nach Texas

Wie man Poker spielt. – Seine amerikanische Tante. – Gespräch mit Donna Elvira. – Ankunft in Galveston. – Wo der Ernst des Lebens beginnt. – Im Spital. – Müßige Prophezeiungen. – »Kannscht nimmer deutsch schwätza?«. – Die »Farbenlinie«. – Ich versuche mich als Zuckerbäcker.

»So, da wären wir!« sagte der Mann vom Emigrantenhaus, als wir vor dem großen Dampfer der Mallorylinie angelangt waren, »nun machen Sie Ihre Sachen gut dort unten. Immer mit dem Kopf durch die Wand! Das ist die beste Methode. Und halten Sie die Augen offen und den Geldbeutel zu, denn Texas – nun, Sie werden ja schon selbst sehen!«

Und ohne ein weiteres Wort war er in dem Menschengewühl an der Pier verschwunden.

Am Abend ging es mit der Flut hinaus ins offene Meer. Langsam, ganz langsam glitten wir durch den Long-Island-Sund zwischen den Häusermeeren von Brooklyn und Manhattan, die mit ihrem Gewühl von Menschen und Fahrzeugen vorüberhuschten wie ein Film. Dann ging es vorbei an Governors Island mit der Freiheitsstatue und an dem großen Menschenkäfig der Ellis-Insel. In der Ferne qualmten die Fabriken. Grüne Hügel umsäumten wie Teppiche die glitzernde Wasserfläche. Dahinter zogen sich andere Hügel hin, die in allen Farben von Blau und Lila schillerten, und darüber lag das Abendrot wie flüssiges Gold. Als wir in der offenen See ankamen, war es schon dunkel.

Lange stand ich in jener Nacht oben auf der Back und schaute über die Reeling hinweg dem vorüberrauschenden Wasser nach und fing an zu träumen von Büffeln, Prärien und Cowboys. Dann kam ich unversehens auf ganz andere Gedanken, und ich dachte mir: Ach, Texas! Wär' ich zu Hause!

»Success« hieß der Dampfer, der uns nach Texas brachte. Auf den Prospekten der Mallorylinie war er ein Salondampfer. Ein Wunder von Schnelligkeit und Seetüchtigkeit. Das letzte Wort von Eleganz und Bequemlichkeit. Die Matrosen aber behaupteten, er sei ein alter Kasten und reif zum »Absaufen«, damit die Gesellschaft endlich ihre Versicherungsprämie daran verdiene. Nur auf dem Promenadendeck der ersten Klasse, wo die freien Amerikaner mit dem großen Geldbeutel wohnten, war so etwas wie Luxus zu bemerken. Da flanierten die Damen und Herren in blütenweißen Tennisanzügen mit seidenen Sportmützen und breiten Krawatten von unwiderstehlicher Schönheit. Und die alten Dollarjäger lagen derweilen behaglich in ihren Deckstühlen und schauten blasiert über die endlose Wasserfläche. Sie rauchten ihre kurzen Maiskolbenpfeifen und spuckten zuweilen im großen Bogen hinunter auf das Großdeck, wo sich die Amerikaner zweiter Klasse ergingen.

Und die Amerikaner zweiter Klasse, lauter rauhe, wildwestlich aussehende Männer mit eckigen, glattrasierten Gesichtern, saßen vom frühen Morgen bis weit in die Nacht hinein auf dem Verdeck und auf den Kanten der Luken und spielten Poker. Poker – das war ihre einzige große Passion! Kein Wind und kein Wetter, nicht die sengende Mittagshitze und nicht die Seekrankheit konnten sie davon abhalten.

Schweigend saßen sie über den Karten und beobachteten einander mit mißtrauischen Mienen. Zuweilen wuchs die Zahl der Dollarscheine in dem Einsatz zu phantastischer Höhe, und das ganze Schiff kam herbeigelaufen, um das große Ereignis mitzuerleben. Alle betrachteten dann ihre Karten mit funkelnden Augen, aber ohne eine Miene zu verziehen. »Full house!« sagte einer und steckte den ganzen Reichtum ein. Alles pokerte. Wer Geld hatte, mischte die Karten, und die übrigen saßen dabei und sahen zu, wie die anderen verloren.

Da war aber auch eine Gesellschaft von schwäbischen Bauern an Bord, die noch nicht lange genug in Amerika waren, um das Pokerspiel zu erlernen. Wenn man sie so abseits von den anderen auf der Back sitzen sah, da nahmen sie sich aus wie eine Abbildung zu dem Gedicht von Freiligrath. Die Männer spazierten gemessen auf und ab und schauten mit ernster Miene über die weite Wasserfläche voraus nach Süden, wo bald die neue Heimat auftauchen würde, von der sie sich so viel versprachen. Und die Frauen strickten Strümpfe und kämmten wohl zehnmal am Tage die blonden Zöpfe der kleinen Kinder, die täglich aufs neue mit großen blanken Augen in die fremde Welt hineinblickten. Einer aber war unter der Gesellschaft – der vierschrötige Sohn eines Böblinger Bierbrauers –, der schon eine beträchtliche amerikanische Erfahrung hinter sich hatte. Er konnte ein Liedlein singen von dem Leben in Amerika, denn es hatte ihn schon tüchtig bei den Ohren genommen. Die alte Geschichte! Vor Zeiten war er übers große Wasser gekommen, um die sagenhaft reiche Tante zu besuchen, die irgendwo in Colorado eine unermeßlich große Farm ihr eigen nannte. Die Enttäuschung war groß, als er an Ort und Stelle anlangte und statt des erwarteten Landgutes nur Dornbusch, Schakale und Präriewölfe fand.

Die Erbtante, die eine kleine, weit abseits der Bahn gelegene Hühnerfarm besaß, empfing den Neffen nicht gerade ungnädig. Sie verwahrte für ihn sein väterliches Erbteil, das er von Deutschland mitgebracht hatte, und sorgte im übrigen dafür, daß er nie ohne nützliche Beschäftigung war. Irgendwelchen Lohn erhielt er nicht, und an das anvertraute Geld wollte sie sich nicht mehr erinnern. »Kannscht froh sein, daß bei mir z'essa hascht, denn in Amerika hat's böse Leut'.«

So vergingen ein paar Wochen und schließlich ein paar Monate, bis die schwäbische Geduld des Bierbrauers ein Ende hatte. Er verschaffte sich einen Revolver, mit dem er, zu allem entschlossen, vor die listenreiche Tante trat. »Glei gibscht mer mei Batza, sonst dreht sich's Rädle!«

Das wirkte.

Doch fast hätte ich über alledem die Hauptperson an Bord vergessen. Die stolze Donna Elvira. Sie war in der Tat eine Erscheinung, und ich muß gestehen, daß sie in ihrer exotischen Aufmachung bestrickend wirkte auf meine jugendliche Phantasie. »Sieh' sie dir gut an!« hatte einer der Pokerspieler gesagt, »so sehen die Weiber in Texas aus.« Da betrachtete ich sie mit verdoppeltem Interesse. Sie hatte einen kastanienbraunen Teint, blauschwarze Haare, dichte, gefärbte Augenbrauen und Augen so schwarz wie chinesische Tusche. Dazu zwei Ohrringe von funkelndem Silber, eine seidene Mantilla und einen bunten Fächer, der mit chinesischen Vögeln bemalt war.

Morgens saß sie am Büfett und trank »ice cream soda« und Kaffee mit sehr viel, sehr starkem Wermut und giftgrünem Absinth und rauchte dazu eine Zigarette um die andere. Ihre Fingerspitzen waren schon ganz gelb vom Zigarettendrehen. Abends aber saß sie mitten unter den Pokerspielern und rauchte Zigaretten und verlor mit Grazie. Geld? Ha, Geld spielte keine Rolle bei Dona Elvira!

Allmählich waren wir schon weit nach Süden gekommen. Die Sonne stieg höher und höher an dem dunkelblauen Himmel, fremdartige Seevögel wiegten sich über den Wellen, und die Bonitos und Schweinsfische sprangen übermütig aus dem Wasser vor dem Bug des vorwärtseilenden Schiffes. In einer lauen Nacht voll südlichen Zaubers fuhren wir durch die Floridastraße. Ich war gerade an Deck und schaute dem Glimmen und Glühen im vorübergleitenden Kielwasser zu, als eben Donna Elvira samt Fächer und seidener Mantilla herangerauscht kam. »Was für eine Nacht!« rief sie aus, indem sie sich mit einem tiefen Seufzer in einen Deckstuhl warf, »que noche bellessima! Eine Texasnacht! Eine mexikanische Nacht! – Ah, gringito! Du weißt nicht, wie schön die Nächte in Mexiko sind! Wenn auf der Plaza die Musik spielt und die Kaballeros in den Anlagen flanieren! Richtige Kaballeros, die noch etwas anderes können, als nur Tabak kauen und Dollars machen!«

Dann war sie auf einmal gar nicht mehr die große Dame. Ganz vertraulich setzte sie sich neben mich auf die Luke und erzählte allerlei aus ihrem bewegten Leben.

»Ja, die schönen Zeiten sind vorbei!« sagte sie mit einem schmachtenden Blick hinüber nach dem Leuchtfeuer von Key West, das eben über dem Horizont aufzublitzen begann. »Dort drüben habe ich meine schönsten Tage verlebt. Geld wie Heu. Austern, Kaviar, Sekt und was sonst noch. Und einen Diamantring an jedem Finger. Das war damals, als Kuba noch spanisch war. Damals war Key West das große Eldorado für alle Glücksritter. Hübsche Jungens waren darunter, mit Taschen voll Dollars und einer Miene ›Was kost' die Welt!‹. Und immer von Zeit zu Zeit ging bei Nacht und Nebel mit abgeblendeten Lichtern ein Schiff in See, zum Sinken voll mit Kanonenkugeln und mit gentlemen of fortune. Ja, Geld! Die Bars an der Wasserfront waren Goldgruben, die Straßenhändler verkauften Glaskugeln für Diamanten, und ich selbst – du kannst mir's glauben oder nicht – da war kein Tag, an dem ich nicht meine fünfzig Dollar machte!«

»Mit was denn?« fragte ich.

Da schaute sie mich groß an.

»Mit was? – madre dios – Was für ein Grünhorn. Aber wir werden alle nicht klüger und besser mit den Jahren!«

Zwei Tage später kam an einem grauen Morgen die flache Küste von Texas in Sicht, und bald darauf liefen wir in der grellen Mittagshitze im Hafen von Galveston ein. Ein dunkelhäutiger, etwas phantastisch aufgeputzter Lotse kam an Bord und führte mit sicherer Hand den Dampfer durch das Gewirr von Klippen und Sandbänken. Langsam und schwerfällig ging es mitten durch das bunte Hafenleben. Die braunen Segel der Fischerboote schlichen träge vorüber. Eilige Motorboote durchpflügten blitzschnell das glitzernde Wasser. Auf den Piers rasselten und schnaubten die Dampfwinden. Mächtige Baumwollballen tanzten in der Luft und verschwanden in dem unersättlichen Rachen der schmutzigen Trampdampfer. Überall auf den Straßen und Plätzen entlang der Landungsbrücken war es schwarz von Negern. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie so viele Neger beisammen gesehen. Vor dem Schuppen der Mallorylinie machte der Dampfer fest, und dann ging es über das Gangplank hinunter in das Land Texas.

*

Vielleicht ist es gut, daß uns sterblichen Menschen hienieden nicht die Gabe der Propheten verliehen ist, denn wenn ich die hungrigen Tage der kommenden Wochen und Monate vorausgesehen hätte, so wäre meine Freude über die Ankunft in Texas gewiß um ein Beträchtliches herabgestimmt worden. Ich weiß nicht mehr, wie viel Geld ich bei meiner Landung in Galveston in der Tasche hatte. Sicher waren es nicht mehr als fünf Dollar. Aber das bereitete mir weiter kein Kopfzerbrechen. Ich hatte noch eine Fahrkarte nach der Hauptstadt Austin, und dort würde sich das Weitere schon finden. Mit dieser Gewißheit schlenderte ich durch die breite Hauptstraße, wo sich die Dollarjäger drängten und die funkelnde Pracht der Spiegelscheiben in den Bars in allen Farben des Regenbogens leuchtete. Aber es war alles nur Bluff! Potemkinsche Dörfer aus Holz und Gips über steinernen Ruinen. Sobald man in eine der Seitenstraßen einbog, war kaum etwas anderes zu sehen, als Schutt und Trümmer. Ja selbst in der Hauptstraße standen da und dort, wie Gebilde aus einer anderen Welt, die grauen Ruinen zwischen der schimmernden Eleganz von Wirtshäusern und Kaufläden. Auf Schritt und Tritt stolperte man noch über die Spuren der furchtbaren Katastrophe, die vor noch nicht allzu langer Zeit die Stadt heimgesucht hatte. Noch jetzt erzählten die Leute einander mit schauderndem Erinnern von der gewaltigen Flutwelle, die unversehens über die auf einer flachen Insel gelegene Stadt hinweggebraust war und über fünfzehntausend Menschen mit sich in die Tiefe gerissen hatte, ehe man Zeit hatte, darüber ein Vaterunser zu sagen.

Im übrigen ist Galveston, auch abgesehen von den Flutwellen, ein gefährliches Pflaster, wie ich bald zu meinem Schaden herausfinden sollte. Gleich an dem Pier wurde ich von einem Neger angesprochen. Er war nicht einmal übermäßig schwarz, sondern von einem kastanienbraunen Teint, ähnlich dem der Donna Elvira. Zudem trug er niedrige Lackschuhe, seidene Strümpfe und eine himmelblaue Krawatte. Ich tat mir etwas darauf zugute, daß ein so vornehmer exotischer Herr mich seiner Aufmerksamkeit würdigte.

Wir schlenderten zusammen durch die Straßen, und der Neger wurde nicht müde, mir allerlei zu erzählen, als plötzlich ein vierschrötiger Schutzmann auf uns zu kam. »Move on, you nigger!« fuhr er den anderen an in einem Tonfall von unnachahmlicher Geringschätzung. »Das ist ja eine feine Art, sich mit den Niggers abzugeben!« wandte er sich an mich, der ich mich vergeblich nach meinem neugefundenen Freunde umsah. Im Augenblick hatte sich ein entrüstetes Publikum versammelt, und es hagelte Schimpfworte wie bei einer Wählerversammlung von Tammany Hall.

Das Grünhorn hatte die Farbenlinie überschritten.

In diesen Dingen hörte zu jener Zeit bei den Bewohnern der amerikanischen Südstaaten die Gemütlichkeit auf. Den Nigger mochte er nicht leiden. Zwar ist er ein ebenso großer Menschenfreund wie alle seine anderen Landsleute – aber den Nigger zählte er nicht unter die Menschen. Er würde eher mit seinen Kühen und Pferden zu Mittag essen, als daß er sich mit einem Nigger an denselben Tisch setzte. Ich aber konnte von Glück sagen, daß ich heil aus der Affäre herauskam.

Am Abend machte ich mich auf die weite Reise nach Austin. In einem jener eleganten, mit Polstersesseln ausgestatteten Pullmanwagen »for white passengers only« fuhren wir in die dämmernde Nacht hinein. Es war ein schwüler Abend. Die Farmer nahmen ihre breitkrempigen Cowboyhüte ab und wischten sich mit großen bunten Taschentüchern die dicken Schweißtropfen von der Stirn. Dann erzählten sie einander, daß man heuer wohl eine schlechte Ernte haben werde, daß die Hitze die Maisfelder verbrenne, daß der Käfer in der Baumwolle wäre, daß die Melonen nicht halb so groß würden wie im vorigen Jahr, daß das Schweinefleisch auf dem Markt in Chikago um drei Cent das Pfund gefallen sei und daß überhaupt das Leben in diesem irdischen Jammertal sich von Tag zu Tag verschlimmere. Draußen huschten die Maisfelder und die Baumwollplantagen vorüber. Dürre Steppe und Stacheldrahtzäune. Hitze und Sonne und sandige Einöde. Staubige Straßen zogen schnurgerade hinaus ins Land, das die Ferne mit tausend Farben malte. Langsam verschwand die Sonne hinter dunkelvioletten Hügeln. Am nächsten Morgen in aller Frühe waren wir angelangt.

Das war also Austin. Die Hauptstadt von Texas! Ich hatte sie mir ein bißchen anders vorgestellt. Ein bißchen freundlicher und lebendiger und – nun ja – ein bißchen großstädtischer. Hier war alles grau und eintönig. Sand und Sonne und dürrer Buschwald. Hitze und Sonne. Sie sprühte von den weißen Steinen des mächtigen Kapitolgebäudes und von den grellen Firmenschildern an den niedrigen, flachen Häusern. In den unendlich breiten Straßen, in denen die hohen Telegraphenstangen wie Galgen in die blaue Luft hineinragten, brütete die Langeweile wie ein grinsendes, gähnendes Gespenst. Kaum ein Mensch war auf der Straße zu sehen.

Gleich an einem der allerersten Häuser stand an einer schmutzigen Hauswand in großen Buchstaben zu lesen: »Employment agency« (Stellenvermittlung). Vor der Tür stand ein wohlgenährter Herr mit einem Gesicht wie ein Preiskämpfer.

»Kostet drei Dollar«, antwortete er auf meine Frage.

»Drei Dollar? Soviel habe ich nicht.«

»Ist nicht meine Schuld. Ohne Geld können Sie hier nichts bekommen. Oder meinen Sie, daß ich mein Geschäft für meine Gesundheit führe?«

Weiter wanderte ich durch tiefen Sand und grelle Sonne, bis zu einem kleinen Haus, das draußen in der Vorstadt ganz geduckt hinter staubigen Büschen stand. Dort wohnte der evangelische Pfarrer der deutschen Gemeinde, an den man mir vom Emigrantenhaus ein Empfehlungsschreiben mitgegeben hatte. Der Herr Pastor schien jedoch nicht sonderlich erbaut von meinem Besuch. »Das ist nun schon der dritte seit heute morgen«, sagte er mit einem tiefen Seufzer, »was nur in die jungen Leute gefahren ist, daß sie alle auf einmal nach Austin kommen! Hier ist nichts los, mein Lieber. Absolut gar nichts. Da können Sie acht Tage herumlaufen, ehe Sie irgendwelche Arbeit bekommen. – Vielleicht besuchen Sie mich nächste Woche noch einmal. Es ist möglich, daß sich bis dahin etwas findet.«

Nächste Woche! Wenn man ohne einen Pfennig in der Tasche durch die Straßen irrt und sich nach Arbeit umschaut, so bekommt man das Wort gar häufig zu hören, und – bei allen Heiligen – es hat dann immer einen besonderen Klang!

Traurig schlich ich davon und wanderte sinnlos durch die Straßen, ohne selbst zu wissen wohin. Es war ja auch so gleichgültig. Mehrmals zählte ich die paar Nickelstücke in der Tasche, ohne daß ihre Anzahl sich dadurch vermehren wollte. – Schon war die Sonne feurig rot hinter den Hausdächern verschwunden und die Nacht begann ihre Schatten vorauszuwerfen, die Nacht, die so wenig Verlockendes hat für den, der bei Mutter Grün logieren muß. Schnell, wie immer in den südlichen Zonen, war es dunkel geworden. Nachtfalter flatterten um die Büsche. In den Straßen begann es lebendig zu werden von Menschen. Sie saßen auf den hohen Schemeln in den Konditoreien und schlürften Eiskaffee und Eiscreamsoda. Sie gingen hochnäsig vorüber und klimperten mit den Dollars in den Taschen. Alle hatten Geld, alle waren zufrieden. Nur ich – ja, so sah er am Ende aus: Der Ernst des Lebens! Aber wir leben in einer launischen Welt voll wunderlicher Zufälle, die unser Schicksal bestimmen. Als ich an jenem Abend mit einem Kopf voll weltschmerzlicher Gedanken an einer Straßenecke der Texasstadt stand, kam auf einmal ein dicker Mann mit sonnverbranntem Gesicht unter einem großen grauen Cowboyhut auf mich zu. »Looking for work?« redete er mich an.

Verständnislos betrachtete ich ihn von oben bis unten. War der ein Engel, den eine gütige Vorsehung in meiner Not zu mir geschickt hatte, oder wollte er mich auch nur zum Narren halten, wie so viele andere in Texas?

»Well?« drängte der andere mit ungeduldiger Miene. »Ich hab' meine Zeit nicht gestohlen! Wollen Sie mitkommen?«

Ob ich mitkommen wollte? Ja, bis ans Ende der Welt, wenn's sein müßte! Am liebsten wäre ich ihm – rauh und häßlich wie er war – gleich um den Hals gefallen. Ohne ein weiteres Wort schritt er mit seinen langen Beinen, mit denen ich kaum Schritt halten konnte, durch endlose Straßen, über kahle Hügel und durch ein ausgetrocknetes Flußbett hindurch nach dem Stadtspital, wo ich gegen ein fürstliches Honorar von 15 Dollars eine Stelle als »Yardman« erhielt.

*

Ach, die Zeiten vergehen, aber sie gleichen sich nicht! Was je in vergangenen Zeiten unsere Seele bewegt, was je in bösen Stunden voll zitternder Unruhe unser Herz mit Sorge und Not und wilder Leidenschaft erfüllte, am Ende steht immer das graue Vergessen. Wie ich hier sitze und aus den hintersten Winkeln meines Gedächtnisses die Erinnerungen an jene Wochen im Texasspital hervorsuche, da taucht aus dieser Atmosphäre von Hitze und Sonne, von Staub und Jodtinktur und Chloroformgerüchen eigentlich nur die Gestalt der Gräfin Esterhazy auf.

Sie stammte aus dem Ungarlande, wo die Grafen und Gräfinnen so billig waren wie anderwärts die Brombeeren. Einstmals war sie an heißen Sommertagen vierspännig über die Pußta gefahren und hatte den Winter an der Riviera verbracht, und nun waltete sie als oberste der Küchenfeen im Texasspital. Das ist der Lauf der Welt. Zur Mittagszeit, wenn die Hitze wie ein Ungeheuer über dem grauen, kasernenartigen Gebäude lag, wenn die Moskitos vor dem Mückennetz schwirrten und der bleierne Schlaf wie ein Gespenst durch die kahlen Räume schlich, da war sie gewöhnlich am lebendigsten. Sie setzte sich auf einen Küchenstuhl neben den hitzesprühenden Herd, trank eine Tasse Eiskaffee nach der anderen und erzählte jedem, der es wissen wollte, in einem äußerst zungenfertigen, mit französischen Brocken geschmückten Englisch von Pariser Akzent ihre ganze Lebensgeschichte. Daß sie einmal schön gewesen sei wie ein Kinostar, daß sie bei den Magnaten in Temesvar das »Geriß« gehabt, daß sie den Kavalieren auf dem Prater ihr »Weaner Herz« und der goldenen Jugend in der Rue de Rivoli ihren Seelenfrieden geraubt hätte. Entführung, Duell, gebrochene Herzen, Selbstmord und was sonst noch. Und dann ist am Ende alles, alles – Geld und Gut, Schönheit und Reiz mitsamt den Toiletten – in Monte Carlo geblieben.

Dann hatte sie rasch entschlossen ein neues Blatt in ihrem schon so reichhaltigen Lebensbuch aufgeschlagen und in Galveston einen biederen Klempnermeister geheiratet – »Ah le pauvre garcon! – er hat kein Glück gehabt. Er ist in der Flut von Galveston zugrunde gegangen – le pauvre petit bonhomme! – Und denken Sie sich dieses Unglück! – Er war in einer Lebensversicherung für 7000 Dollars, und man hat bis jetzt noch nicht seine Leiche finden können!«

Nach einigen Tagen wurde ich aus »Madames« Reich weggenommen und als Wärter über die Kranken gesetzt. Das war eine Rangerhöhung, die mir 25 Dollars im Monat einbrachte. Aber auch viel Mühe und Arbeit und Verdruß und allerlei sonderbare Erfahrungen.

Die Weißen, die im Spital waren, litten fast alle an der Texaskrankheit. Dem Säuferwahn. Sie sahen Schlangen und Skorpione am hellen Tage und waren überhaupt sehr ungenießbare Patienten. Einer aber war darunter, der sich durch Geduld und Fügsamkeit sehr vorteilhaft von den anderen unterschied. Immer lag er still und ergeben in seinem Bett und lächelte zufrieden vor sich hin, obwohl er jeden Tag weniger wurde und seine Lebensgeister langsam verlöschten wie ein Kerzenlicht. Für alles, was man ihm tat, hatte er einen dankbaren Blick aus seinen großen, schwarzen, fieberglänzenden Augen. Mehrmals in der Woche kam seine Frau, um ihn zu besuchen. Sie kam herein wie die Sonne. Mit strahlendem Gesicht und lachenden Augen. »How are you, dearie?« pflegte sie den Kranken anzureden. »Oh, du siehst aber schon viel besser aus! Warte nur, du Schelm, du wirst mir noch zu stark und zu gesund, wenn du noch lange hier liegen bleibst!« Dann setzte sie sich neben ihn ans Bett und erzählte ihm unter Lachen und Scherzen allerlei Geschichten, wie sie ihr gerade einfielen. Daß Maggy eine gute Note in der Schule gehabt hätte, daß Charley seinem Teddybär den Kopf abgerissen habe, und daß die Blumen im Garten noch nie so schön geblüht hätten wie in diesem Jahr. Und nachdem die Glocke geläutet hatte, die die Besucher fortrief, da wartete sie draußen im Vorsaal mit bleichem Gesicht und flackernden Augen voll brennender Spannung.

»Was sagen Sie, Herr Doktor? Wird er davonkommen? Wird er leben?« Und der Doktor schaute hart und kalt durch seine goldene Brille. Man könne noch nichts sagen. Man müsse die Krisis abwarten. Das Fieber sei hoch, die Entkräftung groß. Aber immerhin – immerhin. So sagte er dies und das, lauter schöne und tröstliche Dinge, aber das eine, was sie gern hörte, das Wort, das sie ihm vom Munde reißen wollte, das sagte er nicht. Eines Tages aber wandte sie sich in ihrer Verzweiflung an mich.

»Wird er sterben?«

»Ei, warum nicht gar? Wenn man so lange krank war, hat's mit dem Sterben auch keine Eile!«

Am nächsten Morgen war er tot.

Es scheint, daß ich den Beruf des Krankenwärters ebenso verfehlt habe, wie den eines Propheten. Ich bildete mir zwar ein, daß ich meine Sache ganz leidlich machte, aber der Boß war jedenfalls anderer Ansicht. Als mein Monat um war, erklärte er mit dürren Worten, daß er fernerhin von meinen Diensten keinen Gebrauch mehr zu machen wünsche.

Das war mir eben recht. Noch am selben Tage packte ich meine sieben Sachen und fuhr nach San Antonio, der größten Stadt im Staate Texas.

Der erste Mensch, der mich dort vor dem Bahnhof anredete, war ein rabenschwarzer Neger.

»Hallo, Landsmann«, sagte er mit freundlichem Grinsen.

»What you want?« antwortete ich nicht eben höflich.

Er: »Kannscht nimmer deitsch schwäza?«

Wir gingen zusammen in eine benachbarte Schenke »for coloured people«, d. h. ein Negerlokal. Ich gab ein Glas Bier aus, und dann führte er mich durch alle Straßen und zeigte mir die Sehenswürdigkeiten der Stadt.

San Antonio ist eine merkwürdige Stadt. Ihr Äußeres ist noch stark mexikanisch, das Geschäftsleben amerikanisch, aber das Herz ist deutsch. Sie leistet sich den Luxus von zwei deutschen Zeitungen. Die »Texas-Staatszeitung« und die »Texas Freie Presse«. In jedem Wirtshaus hängen an den Wänden die vergilbten Bilder des alten Kaisers Wilhelm und des Kaisers Franz Josef. Es gibt aber da auch noch andere, weniger loyale Bilder, die über schwarz-rot-goldenen Fahnen die Wände schmücken: Struve, Herwegh, Freiligrath und der alte Hecker mit der Reiherfeder und den Kanonenstiefeln, ganz so wie es im Liede steht:

»Seht, da steht der große Hecker,
Eine Feder auf dem Hut,
Seht, da kommt der Volkserwecker,
Lechzend nach Tyrannenblut.«

Die größte Sehenswürdigkeit San Antonios war jedoch die Alamo, ein alter Gebäudekomplex, halb Burg, halb Kloster, um den die ganze wunderbar verträumte Stimmung des spanischen Amerika lag. Vor vielen Jahren, als Texas noch mexikanisch war und der wilde Sam Houston mit seinen Flibustiern von Kansas herüberkam, um das Land zu »befreien«, gelang es ihm vorübergehend, San Antonio zu besetzen. Als er sich aber vor dem anrückenden Heer des Präsidenten Santa Ana zurückziehen mußte, geschah es, daß ein paar hundert dieser Gurgelabschneider, die in der Alamo zurückbleiben mußten, von den ergrimmten Mexikanern bis zum letzten Mann niedergemacht wurden. Das Schicksal jener Amerikaner auf der Alamo wird noch heute gefeiert, und auf die Steintafel vor der Burg schrieben sie mit echt amerikanischem Überschwang:

»Die Thermopylen hatten ihren Boten
Die Alamo hatten keinen.«

Doch ich wollte ja von ganz anderen Dingen erzählen.

In der staubigen, sonnigen, endlos langen Buenavistastraße mietete ich ein Zimmer, das als einziges Mobiliar ein Bett und einen Stuhl enthielt und machte mich dann auf die Suche nach Arbeit. Einen blanken Dollar wagte ich an einen Arbeitsagenten, der damit offenbar unsere gegenseitigen Geschäftsbeziehungen für erledigt hielt. Ein anderer Dollar wanderte in den großen Moloch der vergeblichen Straßenbahnfahrten, die anscheinend in der ganzen Welt das Kreuz der stellenlosen Menschen sind. Dann versuchte ich es mit den vielen Stellenangeboten in den Zeitungen, hinter denen immer so verheißungsvoll zu lesen stand: »German prefered!«, Deutscher bevorzugt.

Ah, wenn ich zurückdenke an jene vergeblichen Wanderungen durch die langen, staubigen, sonnendurchglühten Straßen von San Antonio! An jene kalten, herzlosen Menschen, die mich so mißtrauisch und geringschätzig anschauten wie einen Spitzbuben, oder bestenfalls wie einen Bettler! Es gibt Leute, die da sagen, das Arbeitsuchen sei keine Schande. Vielleicht haben sie nicht unrecht. Am Ende ist es kein Vergehen, wenn einer mit seiner Arbeitskraft hausieren geht, wie andere mit Butter und Käse. Und doch – und doch –

Wer sich in Amerika nach Arbeit umsieht, der tut gut daran, sich mit einem Gastwirt gut zu stellen. Denn er ist eine gar gewichtige Persönlichkeit. Von morgens bis abends steht er zwischen den schreienden Bildern und den blitzenden Spiegelscheiben in seinem »Saloon« und bedient mit hemdsärmeliger Geschäftigkeit die Gäste vor der Bar.

Er »mixt« die Cocktails, er plätschert in dem Spülwasser, er gießt das Bier aus den halbgeleerten Gläsern weg. Abends, nachdem es dunkel geworden ist und die Leute von der Arbeit kommen, da drängen sich die »Boys« vor der Bar und »treaten« einander mit teurem Whisky in winzig kleinen Gläsern und werfen mit dem Geld um sich, als ob sie samt und sonders kleine Vanderbilts wären. Derweilen kommt mit fliegenden Fahnen und großem Tam-Tam die Heilsarmee angezogen. Draußen vor der Tür rasselt das Tamburin, und mitten in den Lärm vor der Bar dringt der Chor der dünnen, gebrochenen Fistelstimmen der Hallelujamädchen.

»Down, down. Down, down
Down in a vicy saloon – –.«
»Tief, tief. Tief, tief
Gesunken in ein lasterhaftes Wirtshaus.«

Ja, er ist eine gewichtige Persönlichkeit, der Herr »Bartender«! Gehaßt, gefürchtet und verachtet. Wer wird denn in einen Saloon gehen? – Shocking! Vorn an die Bar, unter den tausend grellen Lichtern, zwischen den verräterischen Spiegelscheiben – nicht um ein Vermögen! Aber durch die »family entrance« im Vorübergehen schnell ein Gläschen Whisky oder auch mehrere. Und dann gleich ein paar Tabletten Pfefferminz, damit zu Hause die Lady nichts merkt!

So kommt es, daß so ein vielgeschmähter Barbesitzer sich mit der Zeit eine große Weltweisheit erwirbt und einem hilflosen Grünhorn noch am ehesten verraten kann, wo Arbeit und Verdienst zu finden ist.

Da war ein Barbesitzer an der Plaza, der es gut mit mir meinte und sich redliche Mühe gab, etwas für mich ausfindig zu machen.

»Well«, sagte er eines Tages, als ich müde und hungrig von einer vergeblichen Reise nach dem Saloon zurückkehrte, »ich hab' ein Job für dich.«

»Was?«

»Ja, bei einem Zuckerbäcker. – Da nimm den Zettel und geh damit zu Nummer so und soviel in der Houstonstraße. Dort fragst du nach der Madam. Sie ist allright.«

Das war gute Nachricht. Müde wie ich war, machte ich mich doch schleunigst auf den Weg. Im Nu stand ich vor der glänzenden Fassade eines hohen Hauses und schaute hinein in ein so vornehmes Lokal, daß ich dreimal an meinem zerknitterten Anzug hinunter schauen mußte, ehe ich mir ein Herz zum Eintritt fassen konnte. Hier war alles blitzblank sauber. Die Gläser, die Teller, die Spiegel an den Wänden. An der Decke summten die Ventilatoren. Zwischen Blumen und Palmen standen weiße Marmortische. Vornehme Herren mit weißen Panamahüten und Damen von letzter Eleganz saßen auf hohen Schemeln über langstieligen Gläsern und saugten ihren Eiskaffee aus dünnen Strohhalmen. Im Hintergrund schalt eine alte Dame mit einem Kellner.

Ob die Madam zu sprechen wäre, fragte ich sie.

»Das bin ich selber.«

Ich gab ihr den Zettel, den sie nur flüchtig ansah, um mich dann um so aufmerksamer zu mustern.

»Gel, Sie sin e Pälzer?«

»A, jo.«

»Guck emol do! Ei, ich bin von Rockehause!«

Kurzum: Sie war zufrieden mit ihrer neuen Erwerbung. Und ich auch. Der Bartender hatte recht gehabt: Die Madam war allright.

Aber der Manager, der in dem schmutzigen Hinterhof die Eiscremefabrikation beaufsichtigte, der war nichts weniger wie »allright«. Er gehörte zu der Sorte von Deutsch-Amerikanern, die die Worte »mixen« wie der Barwirt einen Cocktail, die das Deutsche vergessen, noch ehe sie ordentlich Englisch gelernt haben, und sich überhaupt amerikanischer gebärden als die Amerikaner. Schon gleich am ersten Tage hielt er mir eine Strafpredigt, die sich gewaschen hatte.

»Du mußt viel mehr eine Muhv an dich geben«, fuhr er mich an, »das gleich ich nit, daß man hier so herumsteht. Das ist nicht der Juhs hier in Amerika! Immer quick smart, hurry up! Verstanden?«

Ich hatten verstanden, und in den nächsten Tagen bemühte ich mich nach Möglichkeit, »eine Muhv an mich zu geben«, ohne jedoch dabei die nötige Gewandtheit zu entwickeln. Die Arbeit war schwer und anhaltend und erforderte kein geringes Maß von Aufmerksamkeit. Von der Kraft des Dampfkessels getrieben, drehten sich fünf mächtige Kupferkessel um ihre Achse. Sie waren alle bis zum Rand gefüllt mit feinster Eiscreme und Soda. Für jeden Kessel verwandte man die gleiche Mischung. Alle waren gefüllt mit dem gleichen Rohmaterial. Kunst und Wissenschaft der Eiscremefabrikation kamen erst im weiteren Verlauf des Herganges zur Geltung. Nachdem der Stoff in den Kesseln schon fast gefroren war, warf der Boß eine Handvoll schwarzen Pulvers hinein, die dem Ganzen eine wunderschön braune Färbung verlieh. Das nannte man dann peach cream – Pfirsicheis. In einen anderen Kessel warf er eine weitere Messerspitze voll roter Tinktur und machte daraus Erdbeereis. Die gelbe Farbe zauberte Vanilleeis, die rötlich-weiße verwandelte sich in Ananas usw. Nebenher wurden auch noch Candies, Zuckerstangen, Delikateßtörtchen und wunderschöne Pralinés gemacht. Für die Herstellung der Pralinés – doch ich will nicht aus der Schule plaudern!

Die Madam ließ es sich nicht nehmen, überall selbst die Oberaufsicht auszuüben. Mehrmals im Lauf des Tages rauschte sie in ihrer ganzen Korpulenz durch die Werkstätten, die Lagerräume, den Garten und den Hühnerhof, und es hagelte dabei Verordnungen und Verfügungen wie bei einer Kriegsgesellschaft.

»Laßt mer so das Werkzeug auf dem Bode rum fliege? – Fritz, baß uff, daß die Turkeys nit de Jam wieder fresse.« Die Madam war Millionärin. Ihr Geschäft war das größte in San Antonio. Sie lebte schon 50 Jahre lang in Texas. Aber Englisch sprechen konnte sie nicht, und sie duldete auch kein amerikanisches Wort in ihrer Nähe.

»Wie ich vor fufzig Jahr übers Wasser komme bin«, pflegte sie zu sagen, »da sein die Buffalos noch uff der Gaß rum gelaufe, un die Rattelsnakes haben unter de Better gelege, aber mir sein auf Deutsch damit fertig geworde – da werd' ich jetzt auf meine alte Dag auch nimmer Englisch lerne.«

Was soll ich nun noch weiter erzählen von dem Boß, dem Eiscreme und der Madam?

Ach, die Sitten verwildern schnell, und auch das harmloseste Grünhorn amerikanisiert sich mit der Zeit. In Austin hatten sie mich ohne Federlesen zum Spital hinausgeworfen, nun wollte ich es einmal gerade so machen. Als mein Monat abgelaufen war, stellte ich nach Feierabend ein Ultimatum.

Fünf Dollars mehr im Monat.

»Was? Du bist wohl verrückt!«

Da rollte ich meine blaue Jacke zusammen und fühlte mich dabei schon ganz amerikanisch.

»Madam, ich reise morgen nach Kalifornien!«


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