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Wie ich im Paradiese war

Die Ratten haben mir ein Loch in den Bauch gefressen. Nun lieg ich da und pfeife Trübsal – auf diesem Loch. Wirklich, es ist eine sehr zuwidere Angelegenheit. So ein Blinddarm ist nur dazu da, daß die Ärzte Geld verdienen und die andern Menschen sich drüber ärgern müssen.

Das fing schon an im Sommer, als ich da unten irgendwo war. Wenn's nur bis Paris hält, dachte ich. Ich bekümmerte mich nicht weiter drum und strafte meinen weiland Blinddarm mit vollkommener Verachtung.

In Paris aber hatte ich erst recht keine Zeit für das Scheusal; ich dachte: wenn's nur noch bis München langt. Da aber ging's genau so und ich vertröstete mich auf Berlin.

»Na, warte du nur«, sagte der Wurmfortsatz; ich tat aber so, als hörte ich's nicht.

Es ging wirklich bis Berlin, ziemlich übel freilich, aber es ging. Dann aber lag ich auf der Nase.

Der Bauch tat mir weh. Ganz gründlich und ganz hundsgemein tat mir der Bauch weh.

»Lieber Wurmfortsatz,« sagte ich, »ich rate dir gut, benimm dich anständig. Sonst wirst du rausgeschnitten.«

Nichts half mein Zureden. Scheußlich benahm er sich, mein Blinddarm selig.

Natürlich bekam ich Fieber. 37, 38, 39 – es stieg rapid! 40, 41 42 – schon beschlugen die Fensterscheiben vor Hitze. 43, 44, 45 – die Leute im Hause beschwerten sich: sie wären nicht gewohnt, in einem Dampfbad zu wohnen. 46, 47. 48 – da segneten mich die Schulkinder, weil sie hitzefrei bekamen.

Dann kam ein Herr Professor – Geheimrat ist er auch noch, der berühmte Mann – und machte ein furchtbar kluges Gesicht.

»Na?« fragte ich.

»Höchste Zeit!« sagte er.

Unter Vorspiegelung von allen möglichen schönen Sachen lockte er mich in seine Klinik. Ich wollte natürlich nicht, aber er schildert mir dies Haus als eine Art Paradies. Austern gäbe es da und Kaviar. Und die Schwestern wären wahre Engel. Es wäre ein Jungbrunnen für Leib und Geist.

Und die Operation – Gott, das wäre eine Kleinigkeit. Ein Kinderspiel, gradezu ein Vergnügen! Ich würde meine helle Freude haben.

So verlockte er mich. Ließ ein Auto kommen, packte mich hinein. Ich dachte: der Bauch platzt mir bei dem Gerüttel – aber das tat er nicht. Wir kamen an; dann überredete mich der Herr Professor, mich auszuziehn. Er war so schrecklich lieb und süß – wie Zucker und Honig.

Auf einmal waren alle möglichen Leute da. Der Geheimrat, drei Ärzte und eine Ärztin – die lachte besonders niederträchtig. Zwei Schwestern und ein Heilgehilfe; Hermann hieß er und war Mitglied des Boxvereins »Kinnhaken«. Acht Gesunde gegen einen Kranken – es war sehr feig. Natürlich waren sie stärker als ich; sie packten mich und legten mich auf einen langen Tisch. Dann gaben sie mir ein kleines Watteschäfchen in die Hand.

»Was soll ich denn mit dem Watteschäfchen?« fragte ich.

»Spielen!« grinste der Herr Professor. »Es ist wie im Paradies.«

Sie hielten mir eine Chloroformmaske übers Gesicht – wie Eisenbahnräuber. Es schmeckte sehr schlecht. Ich dachte, ob das denn die ganze Herrlichkeit des Paradieses wäre: Watteschäfchen und Chloroformmasken?

Ich wachte auf nach ein paar Stunden – joi, war mir übel. Speiübel sozusagen, die ganze Nacht durch; bloß war nichts da zum Speien. Die beiden Schwestern hatten hellste Freude an meinem Elend; erzählten mir, wie wundervoll die Operation verlaufen wäre. Dreiviertel Stunden hätten die Herrschaften in meinen Bauch rumgewühlt, ein Genuß sei es gewesen.

Im Bett lag ich und durfte mich nicht regen. Zwei Tage lang habe ich nur geschimpft. Ich hatte schrecklichen Durst – aber sie gaben mir nichts zu trinken. Ich hatte abscheulichen Hunger, aber sie wollten mir nichts zu essen geben, oder doch nur Sachen, die ich durchaus nicht ausstehn kann. Haferschleimsüppchen und solch elendes Zeug!

Nette Zustande im Paradies, dachte ich. Ich schimpfte den ganzen Tag und schmiß jeden hinaus, der hereinkam.

* * *

Einmal kam der verräterische Professor ans Bett. Seine Stimme hatte nichts von ihrer Süße verloren.

»Nun, wie gehts denn, mein Lieber?« flötete er.

Ich drehte mich herum.

»Wir wollen den Verband wechseln,« meinte er. Ich war nämlich eingeschnürt wie eine Wöchnerin, kaum rühren konnte ich mich. Hermann, der kinnhakenboxende Heilgehilfe, und die Schwestern, von deren Pratzen ich mir auch keine Ohrfeige wünschte, packten mich wie ein Wickelkind, brachten mich wieder in den Operationssaal, legten mich auf den Martertisch und lösten den Verband.

»Prachtvoll! Pracht–voll! Geradezu herrlich!« jauchzte der Geheimrat. »Schauen Sie nur, wie schön!«

Hermann richtete mich auf und ich guckte mir meinen Bauch an. Es war ein scheußliches Loch; der alte Eisbär im Zoo hätte ganz bequem seine Tatze hineinlegen können.

Mir wurde ganz schlecht, aber die Augen Hermanns und der Schwester leuchteten vor Entzücken. ›Sadistische Räuberbande‹, dachte ich; aber ich schwieg ganz still, um sie nicht noch mehr zu reizen.

»Ach, Herr Professor,« sagte ich ganz bescheiden, »ein bißchen kleiner hätten Sie das Loch wohl nicht machen können?«

»Noch kleiner?« krähte er. »Das ist ja fast gar nichts! Wir haben Ihnen gut drei Liter Eiter rausgeholt.«

»Sonst nichts?« fragte ich.

»O gewiß!« säuselte er. »Sehn Sie denn nicht, wie schön ich den Schnitt hinaufgezogen habe? Sie hatten Gallensteine, mein Lieber, sehr gesunde, große Gallensteine – die hätten Ihnen noch manche Freude bereitet! Da hab ich die Galle gleich mit rausgeschnitten.«

Mir wurde flau und ich lehnte mich rasch zurück, während die Bande mir ganze Haufen von Tampons und Verbandwatte in das Loch stopfte. Es ist gar nicht zu glauben, wieviel da hineinging: eine ziemlich starke Familie hätte sich auf Jahre hinaus davon Wäsche nähen können.

»Ist wohl sonst überhaupt nichts mehr drin, in meinem Bauch?« fragte ich. »Er kommt mir so leer vor.«

Der Professor tröstete mich: »O ja, wir haben Ihnen noch was drin gelassen! So das allernötigste. Übrigens: erinnern Sie sich an das schöne Bild aus der Sammlung Brera? Von einem unbekannten Meister. Eine prachtvolle Operation; die eine Seite ist ganz aufgeschnitten. Genau so –«

Ich erinnerte mich an das Bild der Brera recht gut. Früher gefiel es mir sehr gut, aber jetzt fand ich es ganz ekelhaft. Ich habe gar nichts gegen aufgeschnittene Bäuche an sich – nur bei meinem eigenen war mir's unsympathisch. Und – bums! – ohne Chloroform schwand mir das Bewußtsein und die sadistische Bande konnte wieder ungestört in meinem Bauch rumwühlen.

* * *

Jetzt lieg ich immer noch im Bett. Ich habe rausbekommen, daß Schimpfen ziemlich wenig nützt. Sanftmut nützt freilich auch nichts: nichts nützt! Man muß stoisch abwarten, bis man aus dem Paradies hinauskann. Blumen habe ich recht viele bekommen – aber ich kann garnicht dafür dankbar sein. Wächst einem von Blumen vielleicht der Bauch zu? Kaviar und Austern bekam ich auch geschickt – ich durfte aber nichts davon essen. Alles fraß der Räuberhauptmann selber auf.

»Glauben Sie mir, mein Lieber,« zischelte er, »es geschieht in Ihrem eigenen Interesse.«

In meinem Interesse geschah überhaupt alles mögliche – aber alles Sachen, die ich nicht ausstehn konnte. Jedenfalls schwur ich alle heiligsten Eide, daß dies das erste und letzte Mal in meinem Leben sein sollte, daß ich krank wäre! Denn krank sein – das darf man mir wirklich glauben – ist ein geradezu unerträglicher Zustand.

* * *

Besuch mochte ich nicht – ich war zu schlecht gelaunt; alles, was kam, ließ ich gleich wegschicken. Bloß die Menschen, denen dies Paradies gehört, konnte ich nicht gut rausschmeißen – wenn sie mich doch nur rausschmeißen wollten! Aber daran dachten sie nicht – sie freuten sich baß, daß ich meine Zeit hier abbrummen mußte.

Neulich war die Ärztin bei mir – sie brachte mir das Watteschäfchen: das möge ich behalten als Erinnerung. Ich hab dem Wattebiest, das einmal weiß war, nun aber hübsch rot getupft ist mit Dichterbauchblut, Kopf und Schwanz und Beine ausgerissen und ihr die ins Gesicht geknipst. Dann hab ich mich erkundigt, ob man mir meinen Bauch denn nicht endlich zunähen könne? Aber sie meinte, es sei keine Zunähwunde; das Loch müsse einstweilen noch hübsch offenbleiben. Der Herr Geheimrat habe das ausdrücklich angeordnet.

Immer der Herr Geheimrat! Wie ich den Kerl haßte! Wütend schrie ich: »Der Herr Geheimrat kann mich –«

Da legte sie mir sanft die Hand auf den Mund.

»Pfui!« machte sie. »So was sagt man nicht! Und übrigens würde es der Herr Geheimrat doch nicht tun.«

Wenn ihre Hand wenigstens noch gut gerochen hätte! Aber sie stank nach Lysol und solchen Klinikgerüchen.

»Tun Sie mir den Gefallen und gehn Sie!« bat ich. »Die beiden Schwestern sind schon scheußlich genug, Sie aber, Fräulein Doktor, sind – ob Sie's mir übelnehmen oder nicht – ein Abgrund von Häßlichkeit. Es wird mir ganz schlecht, wenn ich Sie nur ansehe!«

Aber das machte gar keinen Eindruck; sie lachte nur. Dann wollte sie geistreich tun. Sagte: »Warten Sie nur, bis Sie wieder gesund sind. Dann werde ich Ihnen schon besser gefallen.« Und sie deklamierte:

»– mit solchem Loch im Leibe
Da siehst Xanthippe du in jedem Weibe!«

* * *

An Hermann, dem Heilgehilfen, habe ich mich gerächt – an den anderen Paradieskutschern werd' ich's auch noch tun! Der Hermann hob mich aus dem Bett, um mich zum Operationszimmer zu tragen – da sollte ich wieder mal frisch verbunden werden. (Wofür ich so außerordentlich schwärme!) Wie er sich über mich beugte, der Hermann, stieß ich unversehens mit aller Kraft mit dem Kopf nach oben – prachtvoll traf ich ihn. Es war ein Kinnhaken erster Güte – der Bursche spie Blut im Augenblick – zwei Vorderzähne wackelten ihm. Das hätte er in seinem Boxklub auch nicht besser haben können! Aber ich sagte ihm, daß es mir sehr leid täte, und er möchte doch freundlichst entschuldigen.

* * *

Der Obergauner, der Herr Professor und Geheimrat, hat Leute für mich eingeladen. Ich sei ein schöner Fall, behauptete er, und müsse der Wissenschaft dienen. Anderthalb Dutzend Menschen waren da, als ich wieder auf dem Operationstisch lag: Ärzte und Studenten, weibliche und männliche. Das alles durfte in meinen Bauch reingucken – und beglückwünschte dann den Herrn Professor. Ich habe von ihm Eintrittsgeld verlangt, denn schließlich: mein Bauch ist doch mein Bauch. Aber der Lump meinte, so was wäre nicht üblich in wissenschaftlichen Kreisen. Nette Sitten! Entweder hat er Geld erhoben und in seine eigene Tasche gesteckt – dann ist's eine Gemeinheit oder er hat die Vorführung wirklich umsonst gemacht, dann ist's noch viel gemeiner. Denn wo hat man je gehört, daß man umsonst in Dichterbäuche sehen darf?! Alles Folgen der Revolution – nichts ist diesen Kerlen mehr heilig!

* * *

Immer schöner wird es! Ich wollte meinen Blinddarm haben – ich habe stets gehört, daß man den in Spiritus in ein kleines Fläschchen tut und das dem Patienten gibt, so daß er sich daran freuen kann. Nichts hat man mir gegeben. Die Schwestern behaupten: nicht ein Fetzchen sei mehr dagewesen von meinem Wurmfortsatze – längst sei er weggefressen und weggeeitert gewesen.

Gut also, dann wollte ich wenigstens meine Gallensteine haben. Da stellte sich heraus, daß die die Assistenzärzte geklaut hatten – sie behaupteten, daß sie dann sie verloren hätten! Schön verloren! Die Brüder werden die Dinger hübsch in Platin haben fassen lassen, um sie ihren Geliebten zu Weihnachten zu schenken. Und die edlen Steine, im tiefsten Innern eines deutschen Dichters gewachsen, baumeln nun an Goldkettchen als Anhänger zwischen den schwabblichen Brüsten leichtfertiger Frauenspersonen!

Eine Affenschande ist es – all meine Moral sträubt sich dagegen.

* * *

Tauben haben keine Gallen, sagt der Herr Professor, darum sind sie auch so sanft, die Tauben. Ich hab auch keine Galle mehr – aber sanft bin ich garnicht; werde vielmehr galliger und wütender mit jedem Tage hier. Platzen vor Wut möchte ich – aber das kann ich auch nicht, da ich ja längst gründlich geplatzt bin mit Hilfe von Messern und Scheren.

Ich habe den Räuberhauptmann gefragt, was für ein Lösegeld er verlange, wenn er mich rauslasse aus dieser Höhle, die er ein Paradies nennt. Großartig hat er erklärt, er nähme von mir keine Bezahlung, es wäre ihm eine Ehre gewesen – na und solchen Quatsch! (Das ist ja klar: an den Gallenedelsteinen meines Bauches hat sich die ganze Bande längst schadlos gehalten!) Aber wenn ich, meinte der Geheimrat, gelegentlich ihn und seine Klinik mal erwähnen wollte, in einer Geschichte oder so –

Das kann er haben, dachte ich. Und darum habe ich hier aufgeschrieben, wie mir's in seinem Paradiese erging!


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