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Von elf Chinesen und ihrer aufgefressenen Braut

Dies ist eine sodomitische Geschichte. Manche Leute mögen solche Sachen nicht – das sind die, die sie nicht kennen. Oder aber: geborene Tartuffes. Denn es ist gar keine Frage, daß sodomitische Geschichten immer sehr lustig sind. Wenn mal ein Fall vor Gericht kommt, so freuen sich alle Richter und Staatsanwälte und Schreiber und Rechtsanwälte und besonders die Herrn Referendare – nur das Publikum kann sich nicht freuen, weil die Öffentlichkeit leider jedesmal ausgeschlossen wird, um die Sittlichkeit nicht zu gefährden: so genießt die schwarztalarte Familie still für sich. Das ist natürlich ein heller Blödsinn, denn kein harmloser Erdenbürger würde dadurch zur Sodomiterei verführt werden, daß er sieht, wie ein armer Teufel für ein bißchen vergnüglichen Greuels auf ein paar Jahre ins Zuchthaus gesteckt wird.

Und das ist noch, sagt das Gesetz, mild und human. Früher machte man's nicht so billig. Der liebe Gott ließ gleich Pech und Schwefel über die verseuchten Städte regnen und zerstörte Sodom und Gomorrha von Grund aus. Nur der brave Lot und seine Töchter wurden gerettet – aber Frau Lot wurde zur Salzsäule verwandelt, bloß weil sie sich noch einmal umwandte nach den Stätten des Greuels. Nun war die Familie Lot durchaus nicht übersittenstreng, denn die beiden Töchterlein schafften ihrem Papa gleich einen tüchtigen Schwips an, um sich dann von ihm – wie sagt man's nur hübsch druckanständig? – gesegneten Leibes machen zu lassen. Gleich alle beide! Wenn sich so die gottesfürchtige Lot-Familie benahm, die einzige, die der liebe Gott ihrer Sittenreinheit wegen vor dem Untergang rettete – wie mögen dann erst ihre Landsleute in Sodom sich aufgeführt haben!

Immerhin: lustig genug ist diese ganze Geschichte Sodoms trotz allem Pech und Schwefel – und lustig sind alle sodomitischen Greueltaten bis auf unsere Zeit. Daran haben die schauderhaftesten Strafen: kreuzigen, vierteilen, versäufen, rädern, verbrennen nie etwas ändern können, wie sie auch nie imstande waren, die Sodomiterei aus der Welt zu schaffen. Stets von neuem und überall in der Welt blüht das sodomitische Unkraut, das kein sittenreiner Gärtner je aus der Menschheit Garten wird ausrotten können – alle möglichen Tierlein erfreuen sich immer wieder allzu feuriger Menschenliebe. Zeitepochen, bestimmte Menschenklassen, einzelne Landstriche und Städte haben bald hier, bald dort den Götzen Sodoms Opfer gebracht. So gilt die zweite Hälfte des elften Jahrhunderts als eine Blütezeit der Sodomie, galt der Orden der Tempelritter als eine sehr sodomitisch verruchte Gesellschaft. Einige Landstriche Siziliens und der Abruzzen, ein Teil Dekans in Indien, das südliche China, ein hübsches Stück von Tunis und manche Strecken im Kaukasus sind heute bekannt als Greuelstätten der Sodomiterei, die zudem natürlich in allen Weltstädten ihre geheimen Tempel für Liebhaber hat. Auch gibt es in allen Ländern die eine oder andere Stadt, wo Sodoms Kultus mehr als sonst blüht – bald ist es Federvieh, bald ein vierfüßiges Viehlein, das besonders beliebt ist. Im Rheinland ist die alte Stadt Mettmann den Gerichten bekannt dafür, daß sie – und fast sie nur allein – solch amüsierliche Strafprozesse liefert – ach, werden die braven Mettmänner schimpfen, daß ich das ausplaudere! Mein Freund, der Referendar Jahn, wollte seine Doktorarbeit darüber schreiben: »Ursachen und Zusammenhänge der kulturellen Entwicklung des Kreises Mettmann zu dem zweiten Absatz des § 175 R.-Str.-G.-B. vom zwölften Jahrhundert bis heute.« Aber die Heidelberger Juristische Fakultät hatte wenig Verständnis für dieses Thema – da mußte er sich entschließen, über die »Bewegung der Grundverschuldung der Gemeinde Hubbelrath« zu schreiben. Was ja gewiß sehr viel wichtiger war – aber sicher nicht halb so lustig.

Denn kein Mensch kann leugnen, daß jeder einzelne Fall von Sodomiterei eine überaus komische Seite hat. Vom Goldenen Esel des Apulejus angefangen bis zu unseren Tagen haben wir eine lange Kette drolliger Schnurren und Anekdoten. Dieses harmloseste aller »Verbrechen« – es ist eine Affenschande, daß auch heute noch etwas, das den Arzt angeht, nie aber den Richter – in allen Strafgesetzbüchern der Welt mit schwersten Strafen genannt wird – ist von jeher sowohl dem gemeinen Volke als auch den über dem sogenannten Bildungspöbel stehenden Massen lediglich als etwas Lächerliches vorgekommen. Boccaccio, Aretino, Rabelais, Voltaire, Goethe, Balzac haben ihren Witz daran geschliffen. Heines bissigstes Gedicht beginnt:

»Zu Berlin im alten Schlosse
Sehen wir in Stein gemetzt,
Wie ein Weib mit einem Rosse
Sodomitisch sich ergötzt.«

Die fürstliche Familie, zu deren erlauchten Ahnfrau der Spötter dieses roßlüsterne Weib macht, hat ihm diesen Witz nie vergessen – na, man kann's ihr weiter nicht übelnehmen. Höchstens der große Friedrich hätte gelacht über den frechen Scherz, obgleich der Voltairesche Anwurf, daß er's mit seinen Windhündinnen halte, keineswegs nach seinem Geschmack war. Doch befand er sich da in bester Gesellschaft: in seiner »Pucelle« läßt Voltaire die Jungfrau Johanna, nach der Einnahme von Orléans, ihren Reitesel zu sich in die Schlafkammer kommen. Freilich meinte der liebe Voltaire das nur allegorisch: der Reitesel bedeutet hier – die römische Kirche. Bekannt ist ein aus dem achtzehnten Jahrhundert stammender, übrigens nicht verbürgter und bald diesem oder jenem obersten Gerichtsherrn zugeschriebener Spruch, der ein niederes Urteil abänderte, wonach ein armer Kerl, der auf frischer Tat mit einer Ziege ertappt war, nach altem Rechte auf den Scheiterhaufen sollte. Ein Delinquent mußte brennen, so bestimmte nun mal das Gesetz; da entschied der kluge Gerichtsherr: »Die Ziege wird verbrannt!« Witziger und tierfreundlicher war schon Friedrich der Große, der unter Abänderung eines Urteils, das einen Husaren wegen allzu großer Liebe zu seiner Stute zum Hängen verurteilte, an den Rand schrieb: »Der Kerl wird zur Infanterie versetzt.« Heute macht man unter Kameraden kaum mehr eine Anzeige. Die Sodomiterei, die im Weltkrieg überall im Verborgenen blühte, wurde fast stets mit einem Witze abgetan. »Frau Feldwebelleutnant« hieß eine Kuh im Osten – und solch vierbeinige Soldatenfrauen gab's in allen Heeren.

* * *

Weil das nun einmal so ist und weil kein Pfarrer und kein Richter es je wird ändern können, und weil wir wissen, daß aus tiermenschlicher Vermischung weder Kentauren noch Faune, noch andere Mischwesen jemals hervorgehen können, und daß bei diesem »gräßlichen Greuel« wirklich niemandem die kleinste Unbill geschieht, so soll man auch den elf Chinesen, deren übrigens völlig wahres Abenteuer ich jetzt erzählen will, ihre sonderbare Liebesgeschichte nicht allzu übelnehmen.

Also da waren elf Chinesen in Chicago –

Aber nein, ich muß es anders anfangen. Da war mein Freund Fritz Lange in Chicago, der war Wäschermeister. Eigentlich war er Assessor, dann aber war er – Spielergeschichten – vor die Hunde gegangen. Rüber nach Amerika: Kellner, Geschirrwäscher, Plakatkleber, Rausschmeißer, Möbelkutscher, was man so werden kann da drüben. Schließlich hatte er doch Glück gehabt, hatte die Tochter eines Wäschereibesitzers geheiratet. Hatte sich eingearbeitet, dann das Geschäft, als der Alte starb, übernommen und sehr ausgebaut. Nun hatte er eine mächtige Wäscherei und ein paar Dutzend Annahmestellen in der Stadt verstreut.

Der kam zu mir, der Fritz Lange, ganz aufgeregt. Ich müsse ihm helfen: elf seiner Arbeiter seien verhaftet; Chinesen natürlich, das sind die besten und zugleich billigsten Wäscher in den Staaten. Und ich könne ihm helfen, da ich den Polizeirichter, der den Fall habe, gut kenne: Richter Mc Ginty sei es, mit dem ich ein paarmal in der Woche Stud-Poker spiele. Der aber, Mc Ginty, sei ein umgänglicher Mensch, mit dem sich reden lasse. Er müsse die elf Kerls haben; es sei nicht so leicht, im Handumdrehn elf andere chinesische Wäscher aufzutreiben.

Die elf Chinesen waren eingesperrt worden, weil sie den rothaarigen Jackie Murphy, einen vierzehnjährigen irischen Bengel, gottsjämmerlich verprügelt hatten.

»Warum haben sie ihn verprügelt?« fragte ich.

»Er hat die Braut verführt,« sagte Fritz Lange.

»Na, dann wird's nicht so gefährlich sein,« meinte ich. »Judge Mc Ginty ist zwar auch ein Sohn Erins und wird sicher für den Lausejungen sich einsetzen gegen die gelben Brüder, aber beim Whisky wird man's schon bereden können.«

»Es ist doch gefährlich!« rief mein Freund Lange. »Die ›Braut‹ – so nennen sie meine Chinesen! Die Braut ist nämlich nicht nur die Braut eines, sondern gleich aller elf! Zudem ist sie auch nicht ein weibliches Wesen weißer oder gelber Farbe! Kurz, die Braut der Elfe ist keine menschliche – sondern eine ganz richtige, vierbeinige, schweinische Saul«

»Und die hat der Jackie verführt?« fragte ich.

»Ganz richtig,« nickte der Weilandassessor. »Die Chinesen hier leben ja von nichts, sparen nur und sparen durch Jahr und Tag, um schließlich mit einem vollen Beutel nach Hause zu fahren. Nur auf eines können sie nicht verzichten – das ist die Fleischeslust in irgendeiner Form. Geil wie die Affen sind sie, da können sie halt nichts dafür. Also etwas müssen sie haben. So haben sich meine elf Kerls zusammengetan und ein Schwein gekauft – vom ökonomischen Standpunkt betrachtet gewiß ein gescheiter Gedanke, da sie etwas Billigeres kaum hätten finden können. Sie hausen alle zusammen in einer Kellerwohnung, und die Sau haust da mit ihnen. Der Jackie, der Sohn des Hausverwalters, ist ihnen nun auf ihre Schliche gekommen – dem Lausejungen hat die Sauerei augenscheinlich äußerst gefallen. So ist er denn, wenn meine Chinesen zur Arbeit waren, in den Keller gedrungen und hat in dem edlen Kreise der Liebhaber das Dutzend vollgemacht. Na, und das haben nun wieder die Chinesen gemerkt; die Eifersucht erwachte mächtig in ihren liebestollen Seelen: so haben sie den rothaarigen Bengel halb totgeschlagen.«

»Donnerwetter!« rief ich. »Das sieht ja bös aus. Und weiß Judge Mc Ginty das alles?«

»Natürlich weiß er!« antwortete Fritz Lange. »Jackies Vater ließ die Chinesen einsperren, und sie entschuldigten ihre Mißhandlungen mit des Buben Greueltaten. Der wurde nun auch eingesteckt – und erzählte heulend, daß er nur der zwölfte im Bunde war und alles erst von den Chinesen gelernt habe. Was dabei rauskommt? Zwanzig Jahre Zuchthaus wenigstens nach dem Gesetz des Staates Illinois – man ist hier nicht so milde wie bei uns drüben! Und ich bin meine besten Wäscher los! Nur: die ganze Sache ist erst bei der Polizei, noch nicht bei den ordentlichen Gerichten. Den Polizisten werde ich selber einen freundlichen Händedruck geben – wenn du nur den Mc Ginty, den Polizeirichter, auf dich nimmst!«

Er griff in die Tasche und holte ein Stück Nephrit heraus, wie ein Truthennenei so groß. Kaiserliches Jade, wundervoll geschnitten und von herrlichster grüner Farbe – ein paar hundert Dollar und mehr wert.

»Da!« rief er. »Das haben mir die Kerls gegeben. Sie haben immer etwas sehr wertvolles, das sie aus einer möglichen Patsche herausreißen kann. Zeig das Judge Mc Ginty – ich denke, er wird mit sich reden lassen.«

Also gut, ich nahm den Stein und ging zu Mc Ginty. Er war nicht zu Hause; seine Frau empfing mich, hübsch und sehr stattlich trotz ihrer fünfundvierzig Jahre. Und sie verstand es, sich anzuziehn.

Ich zeigte ihr gleich meinen Jadeklumpen – ihre Augen wurden groß und noch größer.

»Ich hab's mal geschenkt bekommen,« sagte ich leichthin, »und ich wollt's Ihrem Manne anbieten, da ich notwendig ein paar Dollars gebrauche.«

In diesem Augenblick kam Mc Ginty. »Kauf es!« rief ihm seine Frau entgegen. »Seit Jahren habe ich mir solch ein Stück gewünscht. Er läßt dir's sehr billig, nur –«

Der Richter betrachtete den herrlichen Stein, steckte ihn dann in die Tasche. »Kommen Sie,« sagte er zu mir. »Ich will Sie nicht übers Ohr hauen, wir wollen ihn abschätzen lassen.«

Er zog mich mit hinaus, trotz der Bitten seiner Frau, doch den Handel gleich abzuschließen. »Gott, um fünfzig Dollars!« rief sie uns nach.

»Was ist's damit?« fragte er mich auf der Straße.

Ich sagte: »Na, Judge, Sie wissen ja von den Chinesen, die gestern eingeliefert wurden. Mein Freund Lange braucht die Arbeiter, will sie raushaben. Die Kerls haben ihm den Stein gegeben, um ihn zu Geld zu machen für ihre Verteidigung.«

Mc Ginty sah mich scharf an. »Ich weiß nicht recht –« begann er. »Was haben sie eigentlich angestellt?«

»Nichts besonderes,« log ich. »Sie haben einen vierzehnjährigen Jungen verprügelt.«

»Sonst nichts?« sagte der ehrliche Richter. Er zwinkerte mich an und gab mir einen Rippenstoß.

»Nicht, daß ich wüßte!« lachte ich.

Judge Mc Ginty räusperte sich, dann sagte er:

»Also gut, ich will den Stein kaufen, weil er meiner Frau so gefällt. Aber mehr als zehn Dollars kann ich nicht dafür geben. Da – hier sind sie! Das genügt zur Verteidigung. Gehn Sie gleich zu Jim Mc Namus, dem Anwalt, wissen Sie. Geben Sie ihm die zehn Dollars – warten Sie, ich lege noch einen hinzu, da bekommt er einen Dollar für jeden. Den Lausbub Murphy muß er umsonst verteidigen, weil er auch irisch ist. Sagen Sie Mc Namus, er möge um sechs Uhr heute abend zum Polizeigericht kommen, da machen wir die Geschichte rasch ab. Und nun, bitte, entschuldigen Sie mich – ich muß zu meiner Frau – ihr die Kleinigkeit bringen, in die sie so vernarrt ist.«

Er spielte mit dem Stein in der Tasche – ah, Judge Mc Ginty wußte sehr genau, was er wert war.

Am Abend war ich im Polizeigericht. Ein Polizist sagte aus, daß die elf Kulis den Jungen Murphy verprügelt hätten. Der Bengel sagte nichts. Die Chinesen sagten erst recht nichts. Der Verteidiger bat um eine milde Strafe. Judge Mc Ginty verurteilte jeden zu einem Dollar Strafe an die Staatskasse und zu einem weiteren Dollar Schmerzensgeld an den Vater des Jungen. Fritz Lange bezahlte sofort die zweiundzwanzig Dollars und noch fünfundzwanzig weitere als Kosten des Verfahrens. Sehr befriedigt gingen alle nach Hause – noch nicht fünf Minuten hatte alles gedauert.

* * *

Eine Woche später holte mich abends Fritz Lange ab. Ich möge mitkommen zu seinen Chinesen, sagte er, die wollten sich bedanken bei mir. Also, ich ging mit ihm; wir stiegen in den Keller hinunter. Alle elf waren da und mit ihnen der rothaarige Murphybub. Sie waren sehr höflich zu mir, boten mir Saki an und ein wenig Reis.

Dann aber begann erst das Festmahl.

Es gab Schweinebraten.

Sie waren einmal hereingefallen – und hatten es teuer bezahlt. »Führe uns nicht in Versuchung« dachten sie.

So hatten sie ihre Braut geschlachtet.

Und verzehrten sie nun – mit beneidenswertem Appetit.

Ich darf wohl sagen: ich bin ziemlich vorurteilslos. Bin auch kein Kostverächter.

Aber damals habe ich doch gedankt.


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