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Von den Eilftausend Jungfrauen und den Vier Heiligen Dreikönigen

Wir fuhren rüber nach Köln – warum sollten wir denn auch nicht mal rüberfahren? Nämlich: wenn man in Düsseldorf was mit einem weiblichen Wesen hat und nicht gern dabei gesehn werden will, dann fährt man rüber nach Köln. Und der Kölner fährt, im gleichen Falle, mal nach Düsseldorf rüber. Nur vierzig Minuten lang dauert's und dann ist man ganz wo anders. Man könnte ja auch, in derselben Zeit, nach Krefeld oder Essen, nach Duisburg oder Elberfeld fahren, oder ein Dutzend anderer Städte, die da so rumliegen – aber das tut man durchaus nicht. Mögen die aus der Umgegend zu uns rüberfahren, denkt man.

Als ich heuer nach Köln rüberfuhr, da war's mit ganz was feinem. Dies Feine hieß Finchen, und daß es etwas ganz was Feines war, kann man aus drei Dingen ersehn. Erstens wollte das Finchen nicht allein mit rüberfahren; ich mußte ihre rundliche Freundin auch noch mitnehmen: die hieß Bertha. Zweitens bestand sie darauf, daß wir zweiter Klasse nahmen. Drittens aber erklärte das feine Finchen, daß sie nur streng zu Bildungszwecken mit rüberfahre und daß man also erst in den Dom müsse, dann ins Wallraf-Richartz-Museum, dann zu St. Gereonen, dann –

Na, wenn wir alles besehn hätten, hätt' es bis nächste Woche um vier Uhr gedauert. Aber das Finchen wollte bei Dunkelheit wieder zurück sein – da könnte man ja doch nichts mehr ansehn. Als ob man darum mal rüber führe nach Köln.

Am sechsten Januar also fuhren wir rüber, waren um acht Uhr früh schon im Dom. Dahin hatte ich mir einen Freund bestellt; der sollte sich der molligen Bertha annehmen. Schmitz hieß er – wie soll man sonst in Köln heißen? – Peter Schmitz. Und es traf sich gut, daß er für Dickes schwärmte. Dann strahlte er, wenn er sowas weiches und wabbliches knutschen und knautschen konnte.

Nun ist am sechsten Januar – es ist eine Schande, daß man es besonders sagen muß, aber in diesem unchristlichen Zeitalter wissen's die Leute, die nicht am Rhein leben, kaum noch – am sechsten Januar ist also Dreikönigstag. Das kluge Finchen merkte gleich, daß was los war, weil so viele Leute im Dom rumspazierten und weil über dem Hauptaltar in elektrischen Birnen riesige Lichtbuchstaben leuchteten:

C. M. B.

»Was bedeuten diese Buchstaben?« fragte Finchen. Sie stammt übrigens garnicht vom Rhein, sondern aus dem finstersten Kalifornien, wo die Menschen zwar auch äußerst fromm sind, aber doch mehr von Apfelsinen und vom Film verstehn, als von alten Bildern und Knochen und Heiligen.

Ich sagte also, daß das eine Lichtreklame sei – wahrscheinlich für Zigaretten. Das ›B‹ bedeute ›Batschari‹ und das ›M‹ stände für ›Muratti‹ – vielleicht aber auch für ›Manoli‹. Oder auch wohl für beide Firmen, die sich zu gemeinschaftlicher Reklame geeinigt hätten. Das ›C‹ sei wahrscheinlich ein Druckfehler; man habe den kleinen Querstrich vergessen, es müsse ›G‹ heißen und das bedeute ›Garbaty‹. Mein Freund Schmitz grunzte und nickte und sagte: »Jewiß dat!« Der biedern Bertha schien meine Erklärung auch einzuleuchten. Aber das feine Finchen glaubte kein Wort davon, behauptete vielmehr, daß man in einer Kirche keine Reklame für Zigarettenfirmen machen dürfe und lief zu einem der rotgeröckten Domdiener. Der bestätigte ihr, daß sie ganz rechthabe und daß der Herr Erzbischof sowas nie machen würde. Es sei vielmehr eine heilige Reklame, und zwar für die Heiligen Drei Könige: das ›B‹ bedeute garnicht ›Batschari‹, sondern Balthasar, das ›M‹ weder ›Manoli‹ noch ›Muratti‹, sondern Melchior, und ›C‹ keineswegs ›Garbaty‹, sondern Kaspar!

»Na,« entschuldigte ich mich, »dann habe ich doch wenigstens den Druckfehler beim ›C‹ richtig gewittert. Wenn da für den heiligen König Kaspar ein ehrliches ›K‹ gestanden hätte, hätte ich gleich alles gemerkt!«

Aber Finchen sagte, das sei nur eine dumme Ausrede von mir. Und ich sei ein ungebildeter Mensch und solle lieber den Mund halten.

Sie nahm also den rotröckigen Kerl mit. Der führte uns herum und redete wie ein Wasserfall. Finchen meinte, daß es sehr belehrend sei; besonders für die heiligen Knochen zeigte sie ein außerordentliches Verständnis. Aber mittendrin erklärte sie, daß sie nun genug habe und daß man das andre das nächste Mal ansehn könne. Der Peter Schmitz war mit der Bertha zurückgeblieben; ich denke, daß er vor einem stillen Seitenaltärchen zarte Knutschversuche machte. Wir trafen sie beide am Portal wieder; mein Freund meinte, daß die Bertha ein sehr griffiges Mädchen wäre. Auch gut katholisch – und ihm darum viel lieber als bildungsbedürftige Ausländerinnen.

Also wir gingen nach St. Gereonen; da war gottseidank kein Küster und kein Diener aufzutreiben. Wir kletterten runter in die Krypta; Schmitz behauptete, daß da unten irgendwo die heiligen Gebeine der Eilftausend Jungfrauen sein müßten. Aber wir fanden nicht das kleinste Schlüsselbeinchen von ihnen; worauf Finchen mich wieder beschimpfte, daß ich einen so unbrauchbaren Freund bestellt hätte, der aber auch rein garnichts wisse! Dann entdeckte sie hinten auf einer Bank ein einsames Mütterchen; sie wartete, bis das eine kleine Gebetspause machte und fragte es, wo man die heiligen Jungfrauengerippe finden könne. Das fromme Mütterchen war ganz böse und sagte, daß die garnicht hier seien, sondern in St. Ursula. Und außerdem sei doch heute Dreikönigstag und die Elftausend Jungfern seien nur am Ursulatage zu besichtigen. Da hätten sie Ausgang und würden zur Nachtzeit um die Ursulakirche rumgeführt. Diese Kirche aber gehöre dem Heiligen Gereon, das sei der General der thebäischen Legion gewesen – auch alle von martyrischem Geschlecht. Es seien noch viel mehr als elftausend, dazu bei Fürbitten wahrscheinlich viel erfolgreicher, als die Ursula mit ihren Jungfrauen. Sie könne sie nur empfehlen, sie habe die besten Erfahrungen mit St. Gereon und seiner Legion gemacht. Finchen bedankte sich für den guten Rat.

Weiter zum Wallraf-Richartz-Museum. Da verabschiedete sich der Schmitz, sagte, daß er eine wichtige geschäftliche Verabredung habe, uns aber um zwei Uhr im »Ewigen Lämpchen« treffen wolle. Der alte Schwindler – Geschäfte in Köln am Dreikönigstage! Ich habe ihn in Verdacht, daß er als echter Kölner noch nie einen Fuß ins Museum gesetzt hatte und sich nur drückte, um sich nicht noch weiter zu blamieren.

Finchen entließ ihn sehr ungnädig. Wenn er sich bei ihr wieder in Gunst setzen wolle, sagte sie, so möge er sich inzwischen ein paar Bücher vornehmen. Solle ein bißchen über die Heiligen Jungfrauen und Könige studieren und ihr das dann beim Mittagessen erzählen. Natürlich versprach das der Schmitz.

Bei den alten rheinischen Meistern ließ ich mein Licht recht strahlen – man kann das leicht tun, wenn der zu bildende Mitmensch aus Kalifornien stammt. Ich kramte all meine Weisheit aus; alles mögliche längst vergessene fiel mir wieder ein; nur weiß ich nicht, ob's auch alles so richtig war. Jedenfalls gelang es mir, auf Finchen einen trefflichen Eindruck zu machen, als ich von dem Meister der Heiligen Sippe erzählte und von dem des Bartholomäusaltars, als ich mit Falkenauge auf Stephan Lochner hinwies und inhaltsschwere Worte über die Liesdorfer Schule sprach. Schöner hätte es ein Museumsdiener auch nicht machen können – höchstens richtiger. Als ich gar wußte, daß der Kerl mit dem großen Loch im Bein der Heilige Rochus und die Dame mit der Zange die Heilige Apollonia war, die bei Zahnschmerzen sich so trefflich bewährt, da stieg die Hochachtung Finchens vor meiner Kunstkenntnis ganz außerordentlich.

Ich drängte von Saal zu Saal und die rundliche Bertha, der das »Ewige Lämpchen« auch lieber war, als der Meister des Heiligen Rosenkranzes, drängte tapfer mit. Aber es nutzte nichts: das lernbegierige Fräulein aus Kalifornien war nicht weiter zu treiben. Ich denke mir, daß es wohl eine atavistische Regung in ihr war; sie stammte aus Los Angeles und das heißt eigentlich »La Ciudad de la Nuestra Señora de los Angeles«: kein Wunder, daß sie da eine heimliche Liebe zu allen Madönnchen hatte. Vor der Muttergottes mit der Wickenblüte stand sie eine halbe Stunde lang und von der Maria im Rosenhag war sie überhaupt nicht mehr fortzubringen.

Da hatte aber der Liebegott ein Einsehn und schickte ein herrliches Schneewetter; es wurde so duster, daß man kein Bild mehr erkennen konnte. Es half also nichts – Finchen mußte sich trennen von all den lieben Heiligen; um drei Uhr fielen wir endlich ins »Ewige Lämpchen« ein.

Da saß Peter Schmitz; er hatte sich die Zeit damit vertrieben, eine mächtige Triersche Teebowle zu brauen. Finchen fragte, ob auch kein Alkohol drin sei, aber mein Freund behauptete, daß es ein höchst unschuldiges Getränk sei, nur Tee und Zitronen und solch sanfte Sachen – das bißchen Wein und Arrak sei dadurch völlig unschädlich gemacht. Sie trank also und kam sehr bald auf den Geschmack; es ist nicht zu leugnen, daß ihre Stimmung sich schnell hob und der Schmitz im Handumdrehn wieder bei ihr zugnaden kam. Sie fragte ihn, ob er inzwischen seine Studien gemacht habe; er bejahte das, meinte aber, daß man erst essen solle, dann würde er schon seine Weisheit auspacken. Er setzte sich neben das Fräulein Bertha aufs Sopha und betreute es brav. Im »Ewigen Lämpchen« speist man sehr gut und mein Freund Schmitz versteht sich drauf, was besonders Leckeres zusammenzustellen. Und dann diese heiße Teufelsbowle nach sechsstündigem, frommen Kunstgenuß – kurz, es war ein großer Erfolg für ihn.

Dennoch vergaß das bildungshungrige Geschöpf aus der Engelsstadt durchaus nicht seine Wißbegier. Beim Käse also mußte der Schmitz Trinken und Essen und Knutschen unterbrechen und seinen Vortrag halten:

»Ich weiß jetzt janz jründlich Bescheid«, begann er. »Wir Kölschen sind berühmt wegen unserer Heiligen. Wir haben sehr viele; die berühmtesten aber sind die Eilftausend Jungfrauen und die Vier Heiligen Dreikönige –«

»Vier?« rief Finchen. »Es sind doch nur drei!«

»Vier sind es!« beharrte Schmitz. »Unser Dreikönigslied fängt an:

»Die vier heiligen Dreikönige mit ihrem Stern, Der Kaspar, der Melcher, der Baltes, der Bern' –« Die freundliche Bertha kam ihm zuhilfe; sie war sehr froh, daß sie auch mal ihre Bildung zeigen konnte. »Ja, so ist's wirklich«, rief sie, »in des ›Knaben Wunderhorn‹ steht's drin. Und die vier heiligen Dreikönige sind dabei eine ziemlich faule Gesellschaft:

Sie essen und trinken – und bezahlen nicht gern!«

»Drei! Drei!« begehrte Finchen auf. »Es heißt doch Dreikönigstag und Dreikönige!«

Aber mein Freund blieb unerbittlich. »Das verstehn Sie eben nicht«, versetzte er, »weil Sie leidergottes der englischen Hochkirche angehören und darum nicht richtig christkatholisch empfinden können. Aber vielleicht dürfte es selbst Ihrer lutherischen Sektenseele einleuchten, daß die Heilige Trinität auch nur ein Wesen ist! Wenn drei da eins sein kann – warum soll drei dann nicht auch mal vier sein?«

»Aber über dem Hochaltar strahlten doch nur drei Buchstaben«, ächzte Finchen, »ein ›C‹, ein ›M‹ und ein ›B‹!«

»Das macht garnichtsl« erklärte Schmitz, dem die glühende Bowle einen mächtigen Mut machte. »So gut, wie das ›M‹ bei einer Zigarettenreklame sowohl ›Manoli‹ wie ›Muratti‹ bedeuten kann, genau so gut kann auch das ›B‹ bei unserer Dreikönigsreklame sowohl den Balthasar wie den Bernhard bedeuten! Sie müssen eben versuchen, liebes Fräulein, an solche Dinge nicht mit äußerlicher Vernunft heranzugehn, sondern sie vielmehr tiefinnerlichst zu erfühlen! Solange Sie Madonnenbilder und Heiligenknochen nur ästhetisch genießen können, solange ist's nicht weit her mit Ihrem religiösen Empfinden und solange hängt Ihre Seele noch so hoffnungslos schlapp da – wie die Schmick vom Dudewagen!«

»Was ist das,« verlangte das Finchen, »was ist das: Schmick vom Dudewagen?«

Aber mein Freund Peter hatte längst Oberwasser. »Damit kann ich mich jetzt nicht aufhalten«, rief er, »da müssen Sie mal gelegentlich einen andern Herrn aus Köln befragen! Viel wichtiger ist es, die heilige Mystik der Zahlen zu begreifen. Merken Sie sich diese Formulierung der Zentraltheorie, wie sie Friedrich Schlegel in seinem ›Herkules Musagetes‹ gibt:

Kennst die bewegliche Drei du noch nicht und der Viere Gebilde?
Wahrlich – so wollt es der Gott – findest du nimmer die Eins!«

Das Finchen sah ihn ganz entgeistert an, aber Peter Schmitz nahm einen mächtigen Schluck und fuhr fort: »Jetzt muß ich Ihnen erst von unsern Heiligen Eilftausend Jungfrauen erzählen. Also diese lieben Mädchen sind alles Engländerinnen – es ist die erste englische Besatzung, die wir in Köln je gehabt haben. Sie hat damals nicht lange gedauert, alle die Eilftausend wurden totgeschlagen, so wie sie nur ankamen – und darum sind ihre Knochen auch so heilig. Freilich haben wir ehrlichen Kölner den Mädchen kein Härchen gekrümmt; das Totschlagen besorgten vielmehr die Hunnen für uns, die damals auch grade zu Besuch da waren – wenn die jetzt wieder kämen und das alte Spiel mit den englischen Jünglingen hier wiederholen würden, würden wir deren heilige Knochen auch mächtig verehren. Es wäre doch sehr nett und äußerst glaubensstärkend, wenn wir zu unsern eilftausend Jungfrauen noch eilftausend Jünglinge hinzubekämen. Doch sind das leider nur fromme Wünsche!

Die Führerin der Eilftausend Jungfrauen war eine englische Königstochter, Ursula, hieß sie. Die war ebenso fromm wie keusch; sie beschloß mit ihren Freundinnen Kordula und Pinnosa und noch zehntausendneunhundertundsiebenundneunzig andern Mädchen nach Rom zu ziehn. Sie setzten sich alle miteinander auf Schiffe, fuhren übers Meer und den Rhein hinauf. In Basel stiegen sie aus, spazierten über die Alpen nach Italien hinein und machten zu Rom dem Heiligen Vater ihre Aufwartung. Dann ging's denselben Weg wieder zurück – zu Köln stiegen die eilftausend Jungfräulein aus: da geschah das Unglück. Die heilige Kordula wollte sich drücken und versteckte sich Unterdeck, aber am nächsten Tage tat's ihr leid, weil nun auch ihre martyrische Begeisterung erwachte; sie kletterte also raus und wurde von den bösen Hunnen noch nachträglich massakriert.«

»So, meine lieben Damen,« fuhr der Schmitz fort, die Gläser füllend, »so geht die Geschichte. Sie können mir jetzt nicht mehr vorwerfen, daß ich über die Acta Sanctorum meiner Vaterstadt nicht Bescheid wisse. Doch ich muß noch etwas hinzufügen: ich glaube an die ganze Sache nicht recht, oder vielmehr – ich glaube sie nur halb. Daß die eilftausend englischen Damen hierherkamen, das wird schon stimmen; wir sehen ja täglich, welch große Vorliebe die Engländer für unser liebes Köln haben. Was die Keuschheit und Jungfräulichkeit der Albionstöchter angeht, so will ich auch das glauben; man weiß ja, daß die Tugend genau so ansteckend wirken kann, wie das Laster. Was aber jeder echte Kölner an der Geschichte für rein sagenhaft erklären muß, das ist die hunnische Abschlachterei der Eilftausend. Die Damen aus England wurden in Wirklichkeit durchaus nicht totgeschlagen, wie es auf dem linken Flügel des Dombildes vom Meister Heinrich dargestellt wird, sie leben vielmehr heute noch! Und zwar sind sie alle miteinander in der wichtigsten Industrie unserer Stadt tätig.«

»Sie leben noch?« japste Finchen und leerte ihr Glas. »Was tun sie denn?«

»Hören Sie nur!«, rief der Schmitz. »Wir haben ein altes Kölner Liedchen, das ihre, allerdings anonyme und wenig bekannte, aber doch sehr verdienstvolle Tätigkeit besingt.« Er brüllte drauf los:

»Zu Köln am Rhein, da warn von je
Die heiligen Dreikönige.

Wer Jungfern will, der geh dorthin:
Elftausend Jungfern sind darin.

Sie schiffen in ein großes Faß:
Eau de Cologne nennt man das!«

»Schämen Sie sich«, rief das feine Finchen, »wie können Sie wagen –« Aber der Schmitz unterbrach sie: »Warten Sie nur, Fräulein, Sie werden gleich sehn, daß es wirklich und wahrhaftig so ist. Das Geheimnis der Herstellung des ›Kölnischen Wassers‹ wird streng gehütet – aber wie stellen Sie sich vor, daß es durch so viele hundert Jahre nicht doch einmal durchsickerte? Längst würde man Eau de Cologne in der ganzen Welt nachmachen – wenn man es eben könnte! Nur kann man es nicht: woher soll man auch elftausend heilige Jungfrauen dazu bekommen?? Und sehn Sie: die einzelnen Firmen haben sich brüderlich in das einmal vorhandene Jungfrauenmaterial geteilt. Man füttert sie gut und sie brauchen nicht viel zu arbeiten. Nur trinken müssen sie: Kölsch Altbier, Moselwein und besonders Triersche Teebowle – aber das tun sie gern als Engländerinnen. Außerdem: je mehr sie trinken, um so mehr können sie ja – machen! Und je mehr sie machen, um so mehr verdienen sie. Es ist eben Akkordarbeit.«

»Das ist ja unerhört!« rief Finchen entrüstet. »Es ist eine himmelschreiende Grausamkeit, die –«

»Nein, nein«, versuchte Peter Schmitz sie zu beruhigen, »ganz und garnicht. Die Damen tun es gerne. Und, liebes Fräulein Finchen, bei dem Durst, den Sie haben und bei den prächtigen Schlucken, die Sie machen können, haben Sie vielleicht Aussicht, als elftausendundeinste heilige Jungfrau noch unterzukommen. Das Kölnisch-Wasser-Geschäft geht ja glänzend, die Firmen können kaum so viel liefern, wie verlangt wird. Die Firma Mühlens in der Glockengasse hat beispielsweise mehrere tausend der heiligen Jungfern angestellt, genau gezählt

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weshalb sie ja auch diese heilige Ziffer als Warenzeichen führt und auf all ihren Eau-de-Cologne-Flaschen prangen läßt. Das Haus Heymann, gegenüber dem Gülichsplatz – mit einem harten ›G‹ bitte – hat zwar nur sechshundert kölnischwassermachende Jungfrauen, aber es sind ganz ausgewählte Damen, die einen besonders hervorragenden Stoff von herrlichstem Dufte liefern; man sagt, daß sie zu solchem Zwecke vor dem Zubettgehen Terpentin trinken müssen. Über zweitausend heilige Wassermacherinnen beschäftigt Johann Maria Farina, gegen über dem Jülichsplatz – mit einem weichen ›J‹, bitte, und einem deutschen › ü‹ im gegen über – während die Firma Maria Clementine Martin, gegenüber dem Dom, die schon in ihrem Hausnamen ›Klosterfrau‹ auf die bei ihr angestellte Jungfrau Kordula bezugnimmt, unter deren persönlicher Leitung für ihr ›Eau de Cologne Double‹ einige siebenhundert –«

»Es ist eine Schande, eine Affenschande!« rief das Finchen in höchster Aufregung. Sie war puterrot im glühheißen Gesicht, ebensosehr von gerechtem Zorn wie von der Trierschen Bowle. »Eine Schweinerei ist es, eine menschenunwürdige Aussaugung alleinstehender Mädchen aus der Fremde! Ich werde es hinüberkabeln: die amerikanische Presse wird euch Kölnern schon euren saubern Handel legen! Wir werden eure Eau de Cologne boykottieren; keine anständige Amerikanerin wird mehr das Zeug – trinken, wenn sie weiß, wie es gemacht wird!«

»Um Gotteswillen«, jammerte der Schmitz, »tun Sie bloß das nicht!«

»Ich werde noch viel mehr tun!« wetterte Finchen. »Ich werde mich mit den englischen Damen in Verbindung setzen: ich ruhe nicht eher, als bis sie alle elftausend in den Streik treten!«

Sie schrie den Kellner an, ihr Pelz und Hut zu bringen, sie nahm ihre Handschuhe und ihr Täschchen und segelte hinaus.

Nie wieder fahr ich mal rüber nach Köln mit bildungsbedürftigen Amerikanerinnen. Der Schmitz hat schon recht: es fehlt ihnen jedes feinere religiöse Empfinden.


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