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Tagebuchnotizen.

22. September 1896.

Nachdem sich am gestrigen Tage Eberhard Dohna in Wien eingefunden und ich nach Erledigung einer Flut von Arbeit mit ihm den Abend im Burgtheater angenehm verlebt hatte, traten wir heute früh um 9 Uhr die Reise nach Pest in der Bahn an.

Wir stiegen im Hotel »Hungaria« ab, und ich begab mich sofort zum Ministerpräsidenten, Baron Bánffy, mit dem ich allerhand politische Fragen zu besprechen hatte. Er ist ein mehr »gerissener« als kluger Mann. Ein Ungar des blonden Typus, ohne das aristokratische »Air« der vornehmen Magyaren, das sehr besticht. Da er in Gala sich einen himmelblauen Seidendamast zu dem rotsamtenen Mantel gewählt hat, nehme ich an, daß er unter dem Pantoffel seiner Gattin steht, die für ihren geliebten dicklichen Gemahl mit dem schlau-lächelnden, runden, blassen Gesicht und dem spärlichen, blonden, straffen Haupthaar dieses bezaubernde Gewand gewählt haben dürfte, denn ein Mann käme nicht darauf. Ich habe jedenfalls noch niemals einen Ministerpräsidenten in Himmelblaudamast gesehen – könnte mir auch z. B. den alten kleinen Reichskanzler Hohenlohe nicht recht darin vorstellen.

Nachdem ich noch bei verschiedenen Granden des Reiches Ungarn, die sich fast ohne Ausnahme auf ihren Landsitzen befanden, Karten abgegeben hatte, aß ich mit Eberhard und Kistler im Hotel, und es fand sich der liebenswürdige junge Graf Laslo Szápáry dazu, der sich zufällig im Hotel aufhielt.

Um ½10 Uhr abends wanderten wir zu dem Dampfboot, wo uns bereits Emanuel erwartete, der unsere Kabinen behaglich hergerichtet hatte. Der Kapitän hatte uns seine besten Kabinen reserviert und begrüßte uns »untertänigst«, als wir seinen Dampfer betraten.

Dann begann die Fahrt. Von Mondlicht umflutet, stand die hohe Burg gegen den Sternenhimmel, und an beiden Ufern der Donau spiegelten sich tausende Lichter in dem unruhig glitzernden Wasser, das von den stolzen Bogen der mächtigen Brücke, die Pest mit Ofen verbindet, überwölbt ist. Solange wir uns in der Nähe der Stadt bewegten, konnten wir uns nicht von dem zauberhaften Anblick trennen. Dann aber sanken die Ufer in Nacht; man hörte nur noch den mir von den vielen Seefahrten so bekannten Schiffslärm, und wir zogen uns recht müde in unsere Schlafkammern zurück.

23. September 1896.

Ich hatte nicht gerade gut geschlafen, aber es ging doch an, vor allem erwartete mich ein herrlich ruhiger Tag; keinerlei Störung, Depeschen oder sonstige politische Überraschungen vermochten mich hier zu erreichen, ein Gefühl, das allein schon wie Balsam auf die Nerven träufelt.

Wir frühstückten sehr gemütlich um 8 Uhr in dem »Salon« auf Deck und schwatzten vergnügt. Die übrigen Passagiere waren zumeist Ungarn, die in die Provinz fuhren. (Pustaartige Leute mit gewichstem Schnurrbart und Frauen, die nicht einmal den Versuch gemacht hatten, für »vornehm« gehalten zu werden.)

Das Wetter war schön und die Luft prachtvoll, die Fahrt auf der breiten Donau interessant und abwechselnd. Städte mit niederen weißen Häusern, überragt von sehr hohen weißen Kirchen im Jesuitenstil, weite, grüne Wiesenflächen mit Viehherden, Fahrzeuge aller Art, viel Bauholztransporte, hin und wieder ein Schloß mit Park, auch Wälder, und in der weiten Ferne lichtblaue sanfte Bergketten.

An den Landungsplätzen sieht man viel interessantes Volk in malerischen Trachten, und Eberhard machte herrliche Bemerkungen dazu, die Charakteristik in seiner eindringlichen Art hervorhebend. So gab es viel zu lachen, und der Tag verfloß in angenehmster Weise.

Das Diner war nicht gerade hervorragend, aber Eberhard aß alles auf. Dann machten wir einen sehr geruhsamen Nachmittagsschlaf, nachdem wir noch an der Station Vucovar unsere Briefe abgegeben hatten.

Das ist die ungarische Herrschaft, die dem Vater des jungen Grafen Eltz gehört, der als Attaché zu meiner Botschaft in Wien kommandiert ist.

Erzählend, schwatzend, betrachtend und hin und wieder Kaffee trinkend, floß der Tag so ruhig hin wie die Donau, die uns sanft und freundlich trug.

Doch hätten wir gegen Abend fast einen » accident« gehabt. Es war bereits dämmerig geworden. Die Donau war an dieser Stelle nicht übermäßig breit. Ein Dampfer kam uns entgegen, und unser Kapitän stand auf seiner kleinen Kommandobrücke, von der er seine ungarischen Steuerbefehle hinabrief.

Der Kapitän hatte nicht bemerkt, daß der Dampfer, der uns entgegenkam, etwa vier mit Holz beladene große Kähne hinter sich herschleppte, die genau in Linie hinter ihm schwammen und durch den Körper des Dampfers verdeckt waren. Plötzlich, schon in der Nähe unseres Schiffes, machte jener Dampfer eine Seitenbewegung, um auszuweichen, und natürlich blieben die an langen Seilen hinter ihm hergeschleppten Lastkähne noch in gerader Fahrt, so daß wir, da wir schnell fuhren, auf diese aufgelaufen wären, wäre nicht im kritischen Augenblick das deutsche Kommando »Donnerwetter, rechts!« erklungen.

Wir konnten uns bald zur Ruhe begeben. Ich erinnere mich nur, daß ich einmal erwachte, weil der Dampfer hielt und am Ufer eine lebhafte Unterhaltung stattfand, aus der ich das Wort »Papusch« öfters heraushören konnte. Morgens sagte mir der Kapitän auf meine Frage, daß es in Belgrad gewesen sei, wo eine große Ladung serbischer Schuhe ausgeladen wurde. Also weiß ich nun, woher das Wort »Papuschen« stammt, mit dem mein seliger Vater stets die Morgenschuhe oder Pantoffeln bezeichnete.

24. September 1896.

Ich lag noch gänzlich verschlafen in meinem schmalen Bett, als ich laute Stimmen vor meiner Tür hörte und dann das norddeutsche Organ unseres deutschen Gesandten am Hofe zu Belgrad, Herrn von Wäcker-Gotter, erkannte, der mich zu sprechen wünschte. Mein Himmel! – dachte ich bei mir – also auch hier Depeschen und Politik! Aber als auf das Anpochen der, leider stets pikierte, aber kluge Mann, den ich recht gern hatte, eintrat, verklärte sich mein Blick, denn er brachte mir einen Riesenkorb voller herrlicher Trauben.

»Ich werde Sie doch nicht durch Semendria fahren lassen, das zu meinem serbischen Gebiet gehört, ohne Ihnen Semendria-Trauben zu bringen, die berühmtesten der ganzen Erde!« sagte er.

»Das ist ja rührend liebenswürdig! – aber wann sind Sie denn aufgestanden?« fragte ich.

»Früh!« sagte er lachend, »was tut das? Ich wollte doch zeigen, daß ich Ihrer gedacht habe.«

Ich zog mich eilend an, rief Eberhard durch die Holzwand zu, schnell aufzustehen, man habe uns eine Delikatesse gebracht, die man nur hier essen kann – und in zehn Minuten saßen wir mit dem braven Wäcker draußen auf Deck, sprachen eiligst von den wichtigsten Dingen und aßen Trauben von einer Güte, wie ich sie tatsächlich niemals in meinem Leben vorher oder nachher aß.

Doch bald tönte die Schiffsglocke, und der gütig- pikierte Wäcker-Gotter verließ uns, seinen Hut noch am Ufer schwenkend.

Boshaft war er jedenfalls nicht – wie das »liebenswürdige« Auswärtige Amt behauptet.

Einige Stunden später legten wir in Basiasch an, wo ich im Oktober 1871 auf dem Wege nach Konstantinopel, mit der Bahn von Pest kommend, auf das Dampfboot zwei Tage wartete, das mich nach Rustschuk bringen sollte: ein trauriges ödes Nest.

Dann aber passierten wir die herrlichen hochragenden Felsen des Passes von Kasan, durch die sich die wahrhaft blaue Donau eine Straße »durchgewaschen« hat, die zu den schönsten Wasserwegen gehört, die ich kenne und die sich nur mit den herrlichsten engen Fjorden Norwegens vergleichen läßt.

Ach, wie schwindet dagegen der arme Rhein bei der Lorelei, die als »wildromantische« Gegend von der deutschen Jugend gerühmt wird!

Nachmittags langten wir vor Orsowa an, nachdem wir die kleine – noch vor wenigen Jahren türkische – Insel Adah-Kaleh passiert hatten, wo 1871 noch türkische Soldaten Wache standen. Jetzt sah es friedlicher, aber nicht weniger bunt dort aus, und ich beschloß, von dem berühmten Herkulesfürdö (Herkulesbad), wohin wir uns zur Nacht begeben wollten, einen Ausflug nach der Insel zu machen.

Orsowa, das schon im Flaggenschmuck wegen der bevorstehenden Festlichkeiten prangte, liegt hart an der Donau, die hier zwei Felsberge durchschneidet. Der Bahnhof liegt etwa zwanzig Minuten von dem Landungsplatz entfernt, und nach halbstündiger Bahnfahrt, die sich in einem anscheinend fruchtbaren Hügelland zu dem Gebirge von mittlerer Höhe auf dem linken Donauufer hinzieht, gelangt man zu der Station Herkulesbad. Von hier hat man noch eine Wagenfahrt von etwa einer halben Stunde zu machen bis zu dem engen Tal, in dem das Bad liegt.

Wir wurden an der Station von dem obersten Badekommissar, einem Herrn von Vest, empfangen, der mich in seinem Wagen als »offizielle Notabilität« zu der für mich bestimmten Wohnung geleitete. Die von Wien aus von mir bestellten Zimmer in dem großen Hotel hatte er nicht für mich passend erachtet und führte uns in ein höchst gemütliches Privathaus in der Nähe der großen Kurpromenade, wo wir das Parterre bezogen.

Unser erster Gang führte uns zu der Kurpromenade, den Badehotels und dem Kurhaus, die alle, fest eingezwängt, in dem engen Felstal liegen, durch das ein schmales Flüßchen fließt. Die Höhen der Felsen sind bewaldet, und es führen dort, nachdem man auf Treppen und steilen Wegen die Höhe erklommen hat, anmutige Promenadenstege durch die Wälder.

Das Bad ist unzweifelhaft eines der schönsten, das ich kennenlernte.

Herr von Vest, ein Schweizer, der in Ungarn die Staatsangehörigkeit erwarb, ist ein gebildeter, sehr angenehmer Mann, der sich in der liebenswürdigsten Weise unserer annahm und uns durch manche interessante Badeerlebnisse unterhielt.

Ein Erlebnis, das ihn sehr entrüstete, unterhielt mich so sehr, daß ich es zur Erinnerung an Herrn von Vest hier wiedergeben will. Es betraf den bekannten großen Pariser Schwindel-Unternehmer Arton, der im Zusammenhang mit Mme. Humbert stand, die halb Paris betrogen und sich ungezählte Millionen erworben hatte, bis sie entlarvt wurde.

Mr. Arton hatte sich beizeiten von Paris entfernt und war unter einem falschen Namen und mit einer Pseudo-Gattin in Herkulesbad gelandet. Er wollte durch Stauung des Flusses einen großen Teich am Kurhaus schaffen und die Konzession für den Bau einer Spielbank durch Bestechung erlangen. Bei der Lage des Bades an den Grenzen dreier gern und viel spielender Reiche mußte diese Bank eine Quelle von Verdienst werden.

Eines Nachmittags ging Mr. Arton allein spazieren – und kehrte nicht wieder. Die »Gattin«, am Abend sehr beunruhigt, meldete dieses den Behörden, doch jedes Forschen blieb vergebens. Da meldete sich ein Revierjäger, der behauptete, einen Dachshund zu besitzen, welcher den Verschwundenen sicherlich aufspüren werde, – doch müsse der Dachshund irgendein Kleidungsstück vorgelegt bekommen, das der Verschwundene auf dem bloßen Leibe getragen habe. Mme. Arton suchte, fand jedoch nur ein Paar unbeschreiblich schmutzige Unterhosen des dicken Mr. Arton.

»Die sein schön!« rief der Jäger begeistert aus, und der Hund Schnupperl wurde angefeuert, sich mit den Unterhosen zu beschäftigen – was er zunächst mit einigem Widerwillen ablehnte. (Der brave Schnupperl!) Dann aber wurde Schnupperl gewaltsam in die Unterhosen hineingesteckt, was ihm nach einiger Zeit zu behagen schien, denn er kratzte viel herum und legte sich dann darin zur Ruhe. (Pfui Schnupperl!) »Dös is recht!« sagte sein Herr. »Nun is er halt in seiner Nosen so ang'füllt mit denne Schweiß von dem Herrn, daß er ihn überall spüren tut – und wär' er im Himmel beim lieben Herrgott!«

Herr von Vest, der diesen Operationen beiwohnte, war noch ganz erschüttert, nicht minder von Schnupperls Tätigkeit, als von der Wäsche des Mr. Arton – »der sonst auffallend elegant gekleidet gewesen sei«.

Nun aber geschah es, das Schnupperl, der sich zunächst knurrend widersetzte, als man ihn aus der Hose herausziehen wollte, sehr unruhig draußen auf den Wegen hin- und herlief, die Nase stets am Boden hielt und, nachdem eine der Brücken überschritten war, plötzlich eilend davonstürzte. Da es dunkel geworden war und nur der Jäger eine Laterne trug, war es unmöglich, dem Hunde zu folgen.

»Er wird scho laut werden«, sagte der Jäger und blieb hin und wieder stehen, um zu lauschen.

Plötzlich vernahm man die Stimme des bellenden Hundes – in weiter Ferne.

»Dös is mei Schnupperl!« rief der Jäger und eilte mit seiner Laterne voran, einen der Treppenwege hinauf zum Wald, während die anderen langsam folgten. Doch blieb Schnupperl unentwegt bei seinem Bellen, und man vermochte dem Laut nachzugehen, da er anscheinend an derselben Stelle verblieb.

Endlich hatte man Schnupperl erreicht, aus dessen Gebell ein klägliches Geheul geworden war. Er stand oben abseits von dem Weg, der durch den Wald über die Schlucht führte. Der Jäger hatte ihn entdeckt, hart am Abgrund – und Schnupperl war von der Stelle nicht abzubringen.

»Der Herr is abstürzt«, sagte der Jäger, »er wird wohl drunten im Wasser liegen.«

Aber Mr. Arton war nicht abgestürzt – man fand die Leiche nicht.

So verging die Nacht. Man wollte am nächsten Morgen weitersuchen – aber der kleine Dachshund war nicht von der Stelle zu bringen, denn er stand so hart an dem Rand des Felsens, daß man nicht wagen konnte, an den Hund heranzutreten.

Am nächsten Morgen wurde das Geheimnis offenbar: Mr. Arton hatte sich wohl oben im Walde verirrt und war allerdings in die Schlucht gestürzt. Doch war er auf halber Höhe in den Zweigen einer starken Tanne hängengeblieben, die, sehr buschig gewachsen, aus einer Felsenspalte herausragte. Dort hing er – anscheinend tot. Leute hatten am Abend in der Ferne Geschrei gehört.

Nach unsäglichen Mühen wurde der dicke Mr. Arton aus seiner schrecklichen Lage befreit. Der Revierjäger, ein ungewöhnlich starker Mann, ließ sich selbst an ein Seil anschnüren und holte ihn hinauf, auch rief der anwesende Arzt ihn bald wieder ins Leben. Mr. Arton hatte eine bedeutende Kopfwunde, war sonst aber heil.

Ganz Herkulesbad sprach natürlich von dem Herrn, der in der Tanne hing, und das war selbstverständlich dem »Ehepaar« höchst unangenehm. Einige Tage darauf war es sehr heimlich abgereist.

Doch hatte Mr. Arton dem tapferen Jäger ein Andenken hinterlassen. Die Wirtsleute sollten ihm das versiegelte Päckchen und ein zusammengeschnürtes Paket geben.

Der Jäger fand in dem versiegelten Päckchen eine Uhr – von Nickelmetall! etwa im Wert von drei bis vier Gulden! – und in dem Paket die bewußten – Unterhosen!! mit einem Zettel: »In dankbarer Erinnerung an den treuen Hund.«

Herr von Vest wurde bei diesem Schluß der Erzählung rot vor Wut. »Dieser hundsgemeine Jude!« rief er aus. »Daß man diesen elenden Schuft nicht auf der Tanne hängen ließ, ist wahrhaftig eine Sünde! – und der Hohn mit der Unterhose, dafür allein schon sollte er gehenkt werden.«

Ich teilte allerdings die Wut des vortrefflichen Vest, doch mehr bezüglich der Gemeinheit, drei Gulden in Form einer Uhr zum Lohn für eine schwierige und mit Gefahren verbundene Lebensrettung zu stiften, als bezüglich der Hose.

»Wieso?« fragte der empörte Herr von Vest.

»Weil der geizige Jude eine verhältnismäßig neue Hose für ein Wertobjekt ansieht, das einem Jäger aus dem Ungar-Volke imponieren könnte, da dieser keine Unterhosen trägt.«

»Und der Schmutz?«

»An den hat vielleicht Mr. Arton gar nicht gedacht. ›Schmutz – wie haißt! – Schmutz?‹ würde er wohl geantwortet haben, wenn man ihn deswegen interpelliert hätte. Die Ansichten über Schmutz sind sehr geteilte.«

»Das ist mir allerdings nicht in den Sinn gekommen«, schloß Herr von Vest, »aber – wenn ich es mir überlege: Sie mögen recht haben!«

Nachmittags mußte uns Herr von Vest, den wir zum Essen eingeladen hatten, die Unglücksstelle zeigen. Zunächst von unten, sodann oben – ein schauderhafter Gedanke, an der Tanne über dem Abgrund zu hängen! –, und dafür drei Gulden und eine alte Unterhose als Belohnung für die Rettung, wenn man Millionen (gestohlen) hat und eine internationale Spielbank erbauen will Noch ein zweites Mal bin ich – in einer weit von hier befindlichen Gegend – an das »Ehepaar« Arton erinnert worden: Baron Brenner, mit dem ich in verwandtschaftlichen Beziehungen stehe, besitzt die Herrschaft Merkenstein mit dem Gut Gainfarn, das mit Böslau bei Wien in Verbindung steht. Eines Tages fuhr ich mit Brenners von Böslau nach Merkenstein, dessen altes Schloß seit den Türkenkriegen in Trümmer liegt. Doch haben sich die Vorbesitzer Brenners ein kleines Schlößchen in reizender Lage am Wald gebaut. Dieses recht einsam gelegene Gebäude stand leer, und Joachim Brenner, den ich fragte, ob er das Schlößchen nicht auch gelegentlich bewohne, sagte mir, daß er es gelegentlich vermiete; doch habe er jetzt Unglück damit gehabt. Ein belgischer Baron mit seiner Gattin hatten es gemietet, lebten dort ganz still, und seien dann plötzlich verschwunden – ohne irgendeine Nachricht zu hinterlassen. Kurz darauf sei die Wiener Polizei erschienen und habe den berüchtigten Mr. Arton gesucht, der von der Pariser Polizei gesucht werde, denn er sei einer der Hauptagenten der berühmten Mme. Humbert, die die Pariser Gesellschaft aus allen Ständen um Millionen betrogen habe.

Man hatte ihm (Brenner) jetzt erzählt, daß Arton in Belgien verhaftet worden sei. Ob es wahr sei, könne er nicht kontrollieren. Arton, der sich auch Baron de Arton nenne, hieße eigentlich Aron Hirsch (er könne auch Löwe oder Bär heißen, es sei jedenfalls ein deutscher jüdischer Tiername) und soll aus Galizien stammen. P.E.
!

Nach der Rückkehr besichtigten wir das Bad. Das große Bassin ist in seinen Hauptbestandteilen noch altrömisch. Es finden sich an den Steinen sogar noch einige Skulpturen aus jener Zeit, wie z. B. die Figur eines Herkules.

Daß mein Freund, der Kaiser Trajan, hier in diesem Bassin gebadet hat, erfreute mich besonders. Er regierte von 98 bis 117 und unterwarf die Dacier, die hier lebten; in die Felsen an der Donau hat er bei Orsowa eine Straße meißeln lassen und eine Gedenktafel in den Stein gesetzt, die seine Taten verkündet.

Daß ich den Kaiser Trajan, diesen bedeutenden und vortrefflichen Mann, meinen Freund nenne, hat seine eigene Bewandtnis, und so will ich mir aus diesen Tagebuchblättern den Sprung hinaus in Form einer Paranthese gönnen, um diese Freundschaft zu erklären.

Mein lieber alter Freund Fritz von Farenheid, der 1885 starb, Herr des herrlichen Beynuhnen in Ostpreußen, in dem er seine berühmte Sammlung von Gemälden und Skulpturen aus der Blütezeit italienischer Malerei und der klassischen Zeit der Plastik aufbewahrte, hatte mich besonders warm in sein Freundesherz geschlossen. Als ich einst mit ihm die herrlichen Räume durchwanderte, entdeckte ich eine Marmorbüste, den Kopf eines alten Mannes unter einem Tisch, gewissermaßen versteckt.

»Weshalb«, fragte ich Farenheid, »hast du diese Büste so sehr versteckt, daß man kaum erkennen kann, wer es ist?«

»Ach«, sagte er seufzend, »das ist eine Originalbüste des Kaisers Trajan, die ungezählte Jahrhunderte in einem Wasser gelegen hat, das eisenhaltig war: der Kopf ist mit braunen Flecken bedeckt, die sich leider nicht entfernen lassen – ich habe mein Möglichstes versucht, es ist alles vergebens.«

»Willst du mir erlauben, auch meinerseits einen Versuch zu machen?« fragte ich, »ich weiß in München einen Mann, einen Chemiker, der alle Flecken der Welt – mit Ausnahme der Flecken, die dem Menschen auf seiner Seele haften – entfernt.«

»Nun«, antwortete lachend mein alter Freund, »wenn du diese Flecke fortbringst, kannst du die Büste zur Belohnung behalten!«

»Das will ich nicht.« erklärte ich kategorisch, »denn es wäre mein Stolz, etwas für Beynuhnen geleistet zu haben.«

Einige Tage später reiste ich nach München zurück, den Kaiser Trajan in einem Kistchen als Gepäck.

In München hatten vor einiger Zeit boshafte Schüler des Polytechnikums nachts das weiße Marmorstandbild des berühmten Justus Liebig mit einer ätzenden Säuren begossen, und ganz München seufzte unter dem Druck dieser Bosheit. Das Denkmal erhielt nun eine Holzhülle, und darunter operierten monatelang chemische Gelehrte, um Herr über diese, anscheinend tief eingedrungene Säure zu werden. Eines Tages aber wurde die Hülle abgenommen – und der alte Liebig erglänzte wie eine weißgewaschene Jungfrau fröhlich und stolz wiederum im Sonnenlicht auf den Promenadenanlagen der guten Stadt München.

Wer aber war der Fleckaufsauger, der Säurevertilger, der Reiniger Justus Liebigs und der beschmutzten Stadt München? – Pettenkofer, »unser« Pettenkofer.

Ich ging also zu dem berühmten Pettenkofer, den Kaiser Trajan im Arm. Er schüttelte ernst das liebenswürdige Haupt, doch schwebte schließlich ein verheißungsvolles Lächeln über sein Antlitz, als er mit einem Vergrößerungsglase die roten und braunen Flecke wie ein Arzt examiniert hatte.

Es vergingen wiederum einige Monate – und Pettenkofer bat mich zu sich. Auf dem Tisch stand das alte Gesicht des Kaisers Trajan, ohne jeglichen bösen Hautausschlug – ernst und würdig.

Bald darauf erhielt ich den Besuch meines lieben Farenheid in München, und triumphierend zeigte ich ihm mein gelungenes Werk. Er war begeistert. – Aber unter keinen Umständen wollte er den alten Kaiser Trajan nach Beynuhnen zurücknehmen.

»Du hast ihn ›neugeboren‹ – ich habe mein Versprechen gegeben, daß er dein Eigentum sein solle, wenn du ihn von der Schmach befreien würdest, die auf seinen Zügen lag – ich nehme ihn nicht zurück und bin glücklich, wenn du eine Freude an ihm hast.«

So kam es, daß der alte Trajan mein Freund wurde. Er erinnert mich an meinen guten alten Farenheid – an glückliche Zeiten in München, und er gab mir Ursache, mich mit seiner Geschichte näher zu beschäftigen, die mich um so mehr mit Hochachtung erfüllte, je tiefer es mir vergönnt war, Vergleiche zwischen ihm und den vielen anderen Herrschern ziehen zu können, deren geistige Berührung in mir schließlich doch leider nicht jenen Hauch der Andacht zu erwecken vermochte, der sich um »Majestäten« wie ein Dunst von Hoheit breiten soll. (Dazu ist es nämlich nötig, daß man sie aus einer gewissen Entfernung schaut!)

Doch ich kehre nun zu dem Herkulesbade zurück, wo ich vor meinen geistigen Augen den alten Kaiser Trajan in dem großen Bassin allein baden sah, während ihm von seiner langen großen Nase das Wasser abtropfte, in das er untergetaucht war – obgleich ihm sein Badearzt entschieden abgeraten hatte, es zu tun. Aber der alte Trajan hatte einen sehr festen Willen und wollte untertauchen.

»Sie wissen doch«, sagte ich zu Herrn von Vest, »daß der Kaiser Trajan hier gebadet hat?«

»Nein«, erwiderte Herr von Vest erstaunt, »das wußte ich nicht, aber es interessiert mich sehr.«

Es war ein herrlicher Abend; eine Feststimmung in Erwartung der Feierlichkeiten der nächsten Tage lag ausgebreitet über dem schönen Ort, seinen Wäldern und Wassern, seinen mit tausenden von Blumengirlanden geschmückten Gebäuden.

Daß ich mir in meinem hastigen, unruhigen Leben diese Ruhetage in Gesellschaft meines treuen Jugendfreundes Eberhard gegönnt hatte, empfand ich wie ein Geschenk. Und da man sich Geschenke nicht selbst zu machen pflegt, dürfte diese Gabe wohl gütige Gedanken geweckt haben, über deren Ursprung zu grübeln müßig ist.

Wir soupierten diesen Abend allein. Eberhard, Kistler und ich. Es wurde geschrieben, geschwatzt und zeitig zur Ruhe gegangen, denn wir wollten morgen früh nach Orsowa und Ada-Kaleh fahren.

25. September 1896.

Die kleine Felseninsel Ada-Kaleh liegt schräg gegenüber dem Städtchen Orsowa mitten in der Donau. Flach wie ein großes schmales Floß scheint sie zu sein, doch trägt sie an den beiden Spitzen Erhöhungen: kleine, spitze, halbzertrümmerte Bastionen, wie Lünetten des Vaubanschen Systems, die aus der türkischen Zeit stammen. Diese Lünetten sind stromaufwärts sowohl als Schutz bei Hochwasser, wie auch als Emplacement von Kanonen gedacht, stromabwärts nur als Verteidigung. Die Insel wird in etwa acht Minuten auf der Längsseite zu durchschreiten sein, in kaum vier Minuten auf der Querseite.

In der Mitte liegt ein kleiner, aus wenigen Häusern bestehender Ort, an dem sich schmale grüne Gärtchen lehnen. Auch gibt es in dem kleinen Ort sogar eine Straße – und einen Basar. Über den Türen sind Veranden, über und über mit Weinranken bezogen; doch das Seltsamste sind einige himmelhohe Balsampappeln, die auf der Insel stehen, als wollten sie über das kleine Zeug unter ihnen spotten. Seltsamer aber noch erschien es mir, daß sich Weinranken bis hinauf in die himmelhoch das winzige Dörfchen überwölbenden Kronen der Pappeln zogen und herrliche große Trauben – Semendria- Trauben – an dem Stamm und in den Blätterkronen hingen; unerreichbar den Bewohnern Ada-Kalehs, die mit ihrem roten Fez und ihren Pumphosen mit übergeschlagenen Beinen vor den Häusern ihre Tschibucks rauchten und uns bei dem kleinen Basar eine Tasse Kaffee anboten, auch kleine bunte Sachen, Perlstickereien und häßliche Täßchen.

Dafür saß aber oben in den Kronen ein Schwarm unruhiger Dohlen, die sich an den Beeren der herrlichen, unerreichbaren Trauben delektierten und sich darum mit schrillem Geschrei zankten.

Es war außer uns niemand von Orsowa zu der Insel auf dem Boot übergesetzt. So empfand ich auf diesem, von der blauen Donau umrauschten, lieblichen, stillen Eiland ein ganz merkwürdiges Gefühl von Zufriedenheit – einen Wunsch, hier bleiben, wohnen zu dürfen, schreibend und komponierend, im stillen, behaglichen Kreise meiner Lieben alle!

Törichte Wünsche – ausgelöst unter der Last meiner erdrückenden Arbeit, meines mühe- und verantwortungsvollen Berufs und einer durch das Übermaß dieses Lebens schwankend gewordenen Gesundheit.

Eberhard verstand mich in meinem Entzücken und mit meinen Wünschen, aber er behauptete, daß keine Köchin hier zu halten wäre, wenn sie für jedes Kotelett auf einem Boot durch die gefährlichen Strudel der Donau nach Orsowa übersetzen müßte. Auch sei es bei Hochwasser nicht gerade angenehm, auf die Pappeln flüchten zu müssen – trotz der schönen Weintrauben.

Wir kehrten zu Mittag nach Mehadia zurück.

Nachmittags machten wir schöne Spaziergänge, schrieben viel und wollten uns angesichts der zu erwartenden Festlichkeiten einen stillen, behaglichen Abend gönnen. Doch wurden wir durch Musik einer marschierenden Truppe gestört und traten neugierig hinaus. Im Dämmerlicht sahen wir eine Kompanie ungarischer Fußtruppen mit ihren engen blauen Hosen und hohen Mützen im Geschwindschritt vorüberziehen. Noch während wir in der Tür standen, trat Herr von Vest zu uns.

»Es ist wirklich, um aus der Haut zu fahren!« rief er aus. »Man muß doch hierzulande bisweilen an jeglicher Vernunft zweifeln!«

»Was läßt Sie denn aus der Haut fahren?« fragte ich. Der Gute war tatsächlich sehr erregt.

»Wenn es den Herren recht ist, so gehen wir hinein«, sagte er. »Nicht für jedermanns Ohren eignet sich die Veranlassung meines Ärgers.«

Wir nahmen in unserem behaglichen Wohnzimmer Platz.

»Ich will Ihnen im strengsten Vertrauen mitteilen«, begann Herr von Vest, »daß Meldungen von der Geheimpolizei eingetroffen sind, die von einem geplanten Attentat auf die drei Monarchen sprechen. In welcher Form, ist nicht bekannt. Man soll auf die Möglichkeit von Sprengungen achtgeben, daher auf den Kursaal ein Auge richten und diesen beizeiten bewachen. Ich suchte den Hauptmann auf, der die während der Feierlichkeiten nach Herkulesbad kommandierte Kompanie befehligt, und machte ihn im Vertrauen auf die eingegangenen Meldungen aufmerksam – erwähnte dabei, da er sich nicht recht vorzustellen fähig war, wie der Kursaal, der an einem Anberg erhöht und frei gelegen ist, bedroht sein könnte, daß es immerhin auch möglich sei, auf unterirdischem Wege hinzugelangen und Sprengmaterial zu befördern. ›Unterirdisch?‹ sagte der Herr Hauptmann in höchstem Erstaunen, ›ein Tunnel??‹ – ›Ja‹, erwiderte ich, ›es könnte immerhin möglich sein, einen Schacht – oder nennen Sie es auch einen Tunnel – anzulegen.‹

Vormittags hatte der Hauptmann einige 20 Mann in der Nähe des Kurhauses aufgestellt – sehr auffallend. Das mag noch gelten. Jetzt aber, da es Abend wird, marschiert die ganze Kompanie mit klingendem Spiel in die Quartiere.

Ich höre die Musik, eile herbei – halte den Hauptmann auf und frage, weshalb jetzt, gerade wo eine Wache wichtig erscheint, die Soldaten die Gegend des Kurhauses verlassen? – Wissen Sie, was der Mensch mir antwortete?: ›Bei Tag kann man wohl einen Tunnel graben – aber bei der Nacht?? – Servus! Hob' die Ehr'!‹ – und er marschiert weiter; dreht sich nur noch einmal im Gehen nach mir um und pocht sich dabei mit dem Finger an seine Stirn! – so ein ...«

Ja, ich begriff allerdings den Ärger des armen Herrn von Vest, der als oberster Leiter des Bades verantwortlich für den ungestörten Verlauf der Monarchenversammlung ist und durch die keineswegs angenehme Mitteilung der Geheimpolizei unruhig geworden war.

Wir begleiteten ihn bei herrlichem Mondschein durch den dunklen, geheimnisvoll schattenhaften Kurpark bis zu seinem Büro. Er wollte, wenn man auch hier »bei der Nacht« anscheinend keinerlei gefahrdrohende Unternehmungen zu befürchten hatte, doch die ihm verfügbaren Leute als Wachen patrouillieren lassen, während der Hauptmann mit seiner Kompanie in den Kantonnements den Schlaf der »Gerechten und Weisen« schlief.

26. September 1896.

Es war ein schöner Gebirgs-September-Morgen, den wir nach unserem Frühstück während eines Ganges an dem Ufer des kleinen Flusses genossen. Die Sonne stieg leuchtend über die Waldberge, und überall glitzerte Tau im Grase. Die Landleute trugen ihre Sonntagskleider, und die Kurgäste sahen neugierig aus.

Im Kurhause wurde an den Wänden des Festsaales rotseidener Damast befestigt, um ihn zum Prunkgemach für drei Könige umzugestalten, die morgen dort Reden halten werden. Es gingen mehrere Soldaten mit geschultertem Gewehr vor dem Kurhause auf und nieder, da vielleicht ein »Tunnel« gegraben wird, denn es ist jetzt heller Tag.

Nach dem Frühstück zog ich meine große goldgestickte Botschafteruniform an, und mein Leibjäger in Gala mit Federhut und sonstiger Pracht geleitete mich feierlich zu dem Wagen, der mich zum Bahnhof bringen sollte. Meine offizielle Tätigkeit begann, und ich empfand mich in dieser Verkleidung draußen in Gottes herrlicher Natur als ein wandelnder Mißklang. Die Natur verträgt einen nackten Menschen – nicht aber einen einzelnen glanzvoll ausstaffierten. Eberhard und Kistler begleiteten mich, und wir trafen in Orsowa ein, kurz bevor Kaiser Franz Joseph anlangte.

Wir hielten uns in der Nähe des Bahnhofs in unserem Wagen auf und sahen den feierlichen Empfang des »Königs von Ungarn«. Mit dem Oberzeremonienmeister Grafen Hunyadi (für den einst die Kaiserin Elisabeth sehr »schwärmte«), dem Oberküchenmeister Grafen Wolkenstein und den beiden alten Flügeladjutanten, Graf Paar und Baron Bolfras, stieg der Kaiser als ungarischer General in prächtiger roter, goldgestickter Uniform aus dem Salonwagen.

Solche Empfänge sind immer dieselben und zeigen immer dasselbe neugierige Publikum. Sie sind – um nicht gerade zu sagen »eine Affenkomödie«, doch wohl aber damit geistesverwandt, und ich gestehe, daß ich jedesmal »sittlich leide«, wenn ich, in einem goldenen Rock, dazugehöre.

Nur eine Ausnahme gibt es, das sind große Empfänge und Festlichkeiten im Auslande, und daher boten auch hier die Volkstrachten im Feierkleide der Südungarn, Serben und Rumänen ein interessantes, buntes Bild, umrahmt von den Felsen und der Waldlandschaft am Ufer der Donau.

Eberhard und Kistler, die sich in Zivil bewegen konnten, waren begeistert. Ich weniger, da ich, in meinem Wagen sitzend, von dem Leibjäger Emanuel mit dem Federhut bewacht, den Charakter einer »Sache« trug, die auch besehen wurde.

Der Kaiser war bei seiner Ankunft empfangen worden von dem gesamten ungarischen Ministerium, von Deputationen des ungarischen und österreichischen Reichsrates, von den Bischöfen und der Geistlichkeit, von den Militärbehörden, den Zivilbehörden von Orsowa, den Vertretern der Bauleitung der Regulierung des Eisernen Tores, von den Deputationen des Komitates Krasso-Szöreny, zu dem Orsowa gehört – auch der Stuhlrichter des Komitates fehlte nicht –, usw. usw.! – und alle diese Menschen mit wichtiger Miene und bunt gekleidet sprach der gütige alte Kaiser an, wenn er auch nur sagte: »Freut mich, Sie zu sehen«, »Schöner Tag heute«, »Hoffentlich regnets nit morgen« und ähnliches, so hatte er doch einen jeden beglückt und niemand vergessen.

Eine große Monarchentugend ist es, wenig, aber allen etwas zu sagen. Auch wenn dieses Lexikon von Gemeinplätzen hundert Bände umfaßte. Denn drei geistvolle Sachen zu sagen und zehn Leuten nichts, ist durchaus nicht geistvoll, sondern dumm – notabene: seitens eines Monarchen. Einem anderen Sterblichen würde ich hingegen dringend dazu raten.

Ich brauchte mich nicht an diesem Empfang zu beteiligen, weil der Kaiser mich nach Einkehr in seinem Quartier, dem großen, sehr hübsch in einem Garten gelegenen Forsthause, »separat« empfangen wollte – und nachher die etwa anwesenden Diplomaten der anderen Staaten gemeinsam.

Es verging einige Zeit, ehe sich die kaiserliche Equipage (unter so lautem, großen »Eljén!« der Völkerschaften, daß sämtliche Pferde wild wurden) in Bewegung setzte. Ich folgte langsam, um dem armen alten Herrn Zeit zu lassen, sich etwas am Waschtisch zu erholen.

Unsere Unterhaltung bewegte sich, abgesehen davon, daß der Kaiser meine besondere Delegierung als Vertreter Deutschlands liebenswürdig begrüßte, durchaus in unpolitischen Formen, und da der Kaiser nicht politisch wurde, war ich froh, ihm die Geschichte von Herrn Arton und Schnupperl erzählen zu können, was ihn sichtlich erfrischte.

Als ich heraustrat und durch die versammelten Großwürdenträger im Vorzimmer schritt, machte ich allerdings ein Gesicht, als ob Österreich beabsichtigte, Konstantinopel zu besetzen.

Dann aber bestieg ich meinen Wagen, traf an der Bahn Eberhard und Kistler und fuhr in behaglicher Stimmung mit ihnen nach Herkulesbad zurück. Unterwegs war es sehr heiß in dem Kupee. Ich zog mir die Uniform aus, setzte mir den Dreimaster mit Federn quer auf den Kopf und lehnte mich, als der Zug langsam eine Station verließ, mit gekreuzten Armen in Hemdsärmeln und einem sehr bösen Gesicht zum Fenster hinaus.

Eberhard (für den ich diesen Scherz inszeniert hatte) rief ganz entsetzt aus. »Du bist doch immer noch so kindisch wie früher. Was müssen nun die Leute von dir denken?«

Aber er verstummte, als er sah, daß der Stationschef salutierte, alle Leute sehr ernst grüßten und ein Posten das Gewehr anfaßte. Es wurden ja soviel Könige erwartet.

»Siehst du wohl, Eberhard«, konnte ich ihm erwidern, »nur so imponiert man. Du hast nun kennenlernen, was ›Mache‹ ist. Auf der nächsten Station werde ich, in Uniform und den Federhut ordnungsmäßig auf dem Kopf, freundlich und sehr sichtbar am Fenster sitzen. niemand wird mich grüßen.«

Ich gewann die Wette glänzend, und Eberhard sagte nur: »Du hättest aber ebensogut das vorige Mal Prügel bekommen können.«

»Darin liegt eben das Geheimnis der Mache«, erwiderte ich auf seine durchaus treffende Bemerkung, »daß man eben nicht Prügel bekommt. Die Menschen dürfen nicht merken, daß es Mache ist – sie müssen dem Bluff unterliegen, darauf kommt es an. Und ich will dir verraten, daß das Geheimnis guter Politik im Bluffen liegt, bzw. daß man fein unterscheidet, was Bluff und was Ernst ist. Der Stationschef, der salutierte, darf z. B. niemals in die Diplomatie aufgenommen werden. Ebensowenig wie der gestrige Hauptmann, der die Ansicht vertritt, daß ›bei der Nacht kein Tunnel gebohrt werden kann‹. Ich werde morgen, wenn ich Goluchowski spreche, als treuer Bundesgenosse Österreichs, ihn vor diesen beiden Herren warnen.«

Eberhard konnte so herrlich lachen wie kein anderer. Aber schließlich sagte er doch in seiner drollig-ernsten Art: »Ich gebe dir mein Wort, daß, wenn du noch ein einziges Mal den Federhut quer aufsetzt, ich keine Reise jemals mehr mit dir unternehme.«

Ich versprach ihm Besserung, und wir verlebten einen sehr gemütlichen Abend in Herkulesbad mit Herrn von Vest, der allerdings angesichts der morgigen Verantwortung im Kurhause hin und wieder in ein plötzliches Nachdenken verfiel. Besonders auch, weil es seit unserer Rückkehr nach Mehadia in Strömen regnete.


27. September 1896.

Das Wetter hatte sich gottlob wieder aufgeklärt, und heute ist also der große Tag, der den Verkehr auf der Donau mit großen Dampfern bis zum Schwarzen Meer der Schiffahrt ermöglicht. Das Hemmnis des Eisernen Tores – die Felsensperre – ist beseitigt, und das oft mit großen Schwierigkeiten verbundene Umladen der Waren in kleinere Schiffe, dem das erneute Verladen wiederum in größere Schiffe folgen mußte, ist beseitigt. In der Tat ein großer Tag für die Donau-Monarchien.

Die Könige von Rumänien und Serbien sind morgens in Orsowa eingetroffen und von Kaiser Franz Joseph empfangen worden.

Ich lasse hier das offizielle, mir übergebene Programm für die Festlichkeiten folgen.

Programm für die feierliche Eröffnung des Schiffahrts-Kanales am Eisernen Tore

1896

Sonntag, den 27. September.

10 Uhr vormittags:

Abfahrt des Schiffes Sr. k. u. k. apostolischen Majestät. – Bis zur Mündung des neuen Schiffahrtskanals am Eisernen Tor fährt als Lotsenschiff der Dienstdampfer der technischen Bauleitung voraus. Demselben folgt als erstes das Ihre Majestäten an Bord führende Schiff; an dieses reihen sich in Intervallen von je zehn Minuten die Dampfer mit den übrigen Festteilnehmern und Gästen. (Fahrtdauer bis zum Kanal fünfzehn Minuten.)

Vor der Mündung des Kanals bleibt das Lotsenschiff zurück, und das Ihre Majestäten an Bord führende Schiff fährt, nachdem es die über den Kanal gespannte, mit Blumengirlanden gezierte Sperrlinie durchrissen hat, als erstes in den Kanal.

Von diesem Augenblick an bis zur Beendigung der Talfahrt durch den Kanal hat die Salut-Batterie Kanonenschüsse abzugeben.

Während dieser Zeit nimmt der Bischof von Csánad unier Assistenz der übrigen Bischöfe mittels kurzen Segensspruchs die Weihe des Kanals vor. Se. k. u. k. apostolische Majestät geruhen sodann, den Kanal für eröffnet zu erklären und auf das Gedeihen des Werkes einen kurzen Toast zu sprechen.

Sr. k. u. k. apostolischen Majestät sowie Ihren Majestäten, dem Könige von Rumänien und dem Könige von Serbien werden hierzu vom k. ungarischen Handelsminister für diesen Anlaß angefertigte, mit Champagnerwein gefüllte Goldpokale überreicht.

(Dauer der Durchfahrt des Kanals in der Talfahrt vier Minuten.)

Nach erfolgter Durchfahrt des Kanals wenden die Schiffe und treten wieder durch den Kanal in gleicher Ordnung wie beim Eintritt in denselben die Bergfahrt an, während welcher Zeit die von Ihren Majestäten gewünschten Aufklärungen über das Regulierungswerk erteilt werden.

(Dauer der Wendung des Schiffes und der Bergfahrt im Kanal zirka 20 + 30 = 50 Minuten.)

Über den Kanal hinaus setzen die Schiffe die Bergfahrt bis zum oberen Ende der Kasan-Enge fort, woselbst sie wieder wenden.

(Dauer der Fahrt 2 + 1 = 3 Stunden.)

Um 11 Uhr:

Während der Fahrt Dejeuner am Schiffe Sr. k. u. k. apostolischen Majestät.

Um 2 Uhr nachmittags:

Landung in Orsowa an der Abfahrtstelle. Von hier Fahrt mittels Wagen zum Orsowaer Bahnhofe.

 

Gegen 9 Uhr früh hatte ich mich (wieder in der beliebten Gala) nach Orsowa und an Bord des Dampfers »Ferencz Jószef« begeben, wo ich die drei Monarchen an Deck promenierend und sitzend fand, eifrig mit den ungarischen und österreichischen Staatsmännern konversierend. Diese hattten sich fast vollzählig eingefunden. Mein Freund Goluchowski, als auswärtiger Minister im Vordergrund aller, in eifriger Unterhaltung mit König Carol von Rumänien, bei dem er vor seiner Ernennung zum Minister mehrere Jahre als Gesandter akkreditiert war. Ihn begleiteten der Sektionschef Graf Scéçsén, der ein kluger und langweiliger Mann ist, und Karriere machen wird, sowie der Sektionschef Herr von Doczi, Ungar (Jude gewesen), liberal und »gerissen«, wohl der einzige wirklich sehr begabte Beamte des Ministeriums (ob zuverlässig, lasse ich dahingestellt, dafür äußerst witzig und unterhaltend). Auch war der kluge, ruhige und überlegte gemeinsam österreichisch- ungarische Finanzminister Benjamin von Kálley anwesend, ein Ungar, geborener Staatsmann von Bedeutung, den ich besonders auch im persönlichen Verkehr schätzte, ferner der Minister des Innern, Graf Badeni, der kluge, glatte Pole, der auf dem politischen Parkett trotz aller Gewandtheit ausrutschen dürfte, auch der Kriegsminister Graf Welsersheim, ein vortrefflicher, liebenswürdiger Mann, Minister Herr von Gautsch, sehr elegant, liberal und klug (doch wohl kaum über die Grenzen Österreichs hinaus). Die ungarischen Minister waren vollzählig anwesend: der kluge, blonde Ministerpräsident Baron Bánffy in seinem blauen Staatskleid, die Minister Perzel, Josika, Erdely, Lukas, Wlassics, Daniel und Fejervary bilden jedenfalls eine Gruppe von Staatsmännern, die ernst zu nehmen sind – Köpfe, die schnell verstehen und niemals eine Antwort schuldig bleiben, wenn auch einige stark nach der Pußta riechen. Baron Josika ist ein ungewöhnlich liebenswürdiger und gebildeter Mann, der Kriegsminister Baron Fejervary sieht wie ein Held aus mit seinen kühngeschnittenen Zügen und bezaubert jeden, mit dem er spricht, denn er ist nicht nur ein Held, sondern auch liebenswürdig und klug zugleich.

Mit König Carol hatte sich auch der österreichische Gesandte Baron Ährenthal eingefunden, einer der klügsten und gebildetsten Diplomaten, die Österreich besitzt. Er war lange Zeit Botschaftsrat bei der Botschaft in Berlin und Petersburg, und ich kenne ihn genau. Auch weil er meine Freundin, Gräfin Mimi Wolkenstein, verwitwete Gräfin Schleinitz in Berlin (Gattin des bekannten Hausministers) anbetet. Er ist politisch sehr russisch und in seinen Deduktionen doch eher gelehrt als nüchtern praktisch. Jedenfalls ein Mann der Zukunft. Seine Art erinnerte mich zu sehr an österreichische Hofräte, und mir ist der österreichische »Kavalier« doch lieber.

Dem serbischen König Alexander hatte sich der österreichische Generalkonsul in Belgrad, Baron Schießl, angeschlossen. Ein höchst liebenswürdiger, verständiger und kluger Mensch, der überall seine Stelle gut ausfüllen wird, ohne gerade als Adler sich schließlich auf dem Sessel eines Ministerpräsidenten niederlassen zu können.

Von dem diplomatischen Korps waren die Chefs eingeladen, soweit diese sich zu dieser Zeit in Wien befanden. Mein Freund Graf Nigra von Italien – alle weit überragend an Verstand und Bildung, eine historische Figur –, von England Sir E. Monson, langweilig, doch eigentlich sympathisch und freundlich, wenig aktiv, friedlich, alt. Von Rußland, den Grafen Kapnist vertretend, Graf Benkendorf, Bruder der Fürstin Natalie Hatzfeld-Trachenberg, Deutschenfresser – so wie Juden, die Christen wurden, Judenhasser werden –, ein Mann, vor dem man sich in Deutschland hüten soll, wenn es zu Konflikten kommt. Falsch und hochmütig, eine böse Mischung. Frankreich war nicht vertreten.

Nigra zog sich, wie alle Großwürdenträger, aus der geheiligten Nähe der drei Monarchen bald zurück. Er sagte mir in seiner feinen sarkastischen Weise als er ging: »L'Allemagne est la mère du Danube – tachez de railler vos enfants sous les ailes maternelles! J'ai proposé à nos collègues, de nous retirer dans notre cabines, pour épargner l'aspect de figures impénétrables aux jeunes mariés hongrois-balcaniques.«

So blieb denn ich als bevollmächtigte »deutsche Mutter der Donau« bei den »anliegenden« drei Königen mit Goluchowski und dem rumänischen Ministerpräsidenten Demeter Sturdza. Der serbische Finanzminister, der den äußeren Dienst vertrat, Popovics, ein verlegener Mann, hatte sich aus irgendeinem Grunde gedrückt.

Goluchowski, der sonst bei festlichen Gelegenheiten in dem goldbestickten Ministerrock, den so gut gepflegten, blondgrauen Backenbart sorgsam zur Seite gebürstet, mit den großen veilchenblauen Augen die ganze Umgebung lächelnd zu beglücken pflegte, sah merkwürdig ernst aus, als ich mich auf dem »Ferencz Jószef« einfand. Ich trat nach den erledigten Formalitäten der Vorstellung und Begrüßung mit der Frage auf ihn zu, ob er sich unwohl fühle?

»Ihre Frage erleichtert mir die Bitte, die ich Ihnen eben aussprechen wollte, lieber Freund«, sagte er. »Kommen Sie mit mir in meine Kabine, ich muß Sie sprechen.«

Also es ging etwas Ernstes vor. Das war mir klar, und ich fragte nicht weiter. Als wir die Kabine betreten hatten, schloß er die Tür ab und setzte sich neben mich auf das Sofa.

»Ich bin nicht imstande, länger allein zu tragen, was ich eben erfuhr.« begann er. »In dem Augenblick, als ich das Dampfboot betrat, meldete mir der Chef der Geheimpolizei, daß er soeben erfahren habe, es seien zweihundert Kilo Dynamit verschwunden, die von Vorräten zurückgeblieben waren, welche man zu den Felssprengungen in der Donau brauchte. An welchem Tage diese Masse Dynamit gestohlen wurde, ist nicht festzustellen.

Es können vierzehn Tage seitdem vergangen sein. Wohin dieses Dynamit gebracht, wie es verwendet worden ist, ist gleichfalls unbekannt. Sie begreifen ...«

»Ja, ich begreife vollkommen!« unterbrach ich ihn. »Wir können in einer kleinen halben Stunde in die Luft fliegen – oder auch schon eher. Daß Sie so gütig sind, mich auf mein Ende vorzubereiten, ist eine Freundestat – aber schauderhaft ist die Sache allerdings, und ich verstehe, daß Sie nicht gern ohne Ansprache bleiben wollen.«

»Was, um Gottes willen, soll ich tun? – Ich trage eine entsetzliche Verantwortung: entweder melde ich dem Kaiser die Sache in der Hoffnung, daß er das Schiff verläßt – was er aber nicht tut – oder wir fliegen in die Luft, und ich trage die Schuld, weil ich nichts meldete und Hunderte von Menschenleben opferte.«

»Wer sagt Ihnen denn«, wendete ich ein, »daß der Kaiser, wenn er an Land geht, nicht auf dem Wege zum Bahnhof oder nach Herkuslesbad oder sonstwo in die Luft gesprengt wird? Ich meine, wir behalten die Sache für uns – und warten ab. Es ist immer noch die Möglichkeit vorhanden, daß das Dynamit zu anderen Zwecken gestohlen ist, als zu einem Attentat.«

»Lieber Freund, das finde ich naiv.« sagte Goluchowski ärgerlich. »Ich möchte wirklich wissen, wie man auf den Gedanken kommen könnte, zweihundert Kilo Dynamit zu stehlen, ohne die Absicht zu haben, ein Attentat zu verüben.«

»Ich gebe zu«. erwiderte ich, »daß, wenn ich Anarchist wäre, mich drei Monarchen auf einem Schiff in eine fieberhafte Aufregung versetzen würden! – Aber ich frage nun auch. Was sollen wir tun? Es ist eine infame Situation. Denken Sie auch an die internationale Blamage, wenn die Monarchen nicht die Eröffnung vornehmen, alles verängstigt an das Ufer strömt und nachher – sich gar nichts ereignet! Oder wollen Sie diese Verantwortung auf sich nehmen?«

»Das ist es ja!« rief Goluchowski aus. »Sie verstehen nun, weshalb ich mit Ihnen reden wollte: es ist eben nichts zu machen – aber unter dem Druck dieser infamen Explosionsmöglichkeit zu schweigen – das war nicht möglich. Einem meiner Landsleute mich anzuvertrauen, wagte ich nicht, ich wäre seiner Verschwiegenheit nicht sicher gewesen, denn wo würde dieser Landsmann seine ›Pflicht‹ gesucht haben?«

Jetzt entstand eine gewisse Unruhe draußen an Deck. Es schien, daß die Abfahrt des Dampfers vorbereitet wurde, und wir erhoben uns.

»Können Sie schwimmen?« fragte ich Goluchowski.

»Ja«, antwortete er. »Weshalb?«

»Ich bin ein absolut sicherer Schwimmer. Das Wasser trägt mich besser als irgendeinen anderen. Wir wollen uns jetzt möglichst nahe bei dem Kaiser aufhalten. Bei einer Explosion ist immer noch die Möglichkeit gegeben, nicht direkt in den Himmel zu fliegen. Aber das Schiff kann schnell sinken. Wenn wir beide darauf vorbereitet sind, werden wir vielleicht noch in der Lage sein, den Kaiser aus der Donau zu retten.«

»Gut«, sagte Goluchowski. »Es ist wenig, aber doch etwas! Man hat das Gefühl, doch irgend etwas tun zu können. Also gehen wir!«

» Ut aliquid fecisse videatur, sagt der Lateiner«, fügte ich hinzu, mich zu einem Lächeln zwingend, als wir hinaustraten.

Und wir begaben uns schleunigst an den Bug des Dampfers, wo wir uns ganz in der Nähe des Kaisers aufstellten.

Ich machte eine recht zerstreute Unterhaltung mit König Carol, in die sich auch der Kaiser mischte. So stand er mir denn sehr nahe – und ich überlegte, wie wichtig es sei, ihm im Wasser den schweren Umhang seiner ungarischen Husarenuniform abzureißen. – Ich entdeckte zugleich bei diesem Gedankengange, daß ich doch wohl nervös geworden sei. Wer aber wäre es in meiner und Goluchowskis Lage nicht geworden? Die Gedanken springen unwillkürlich von den äußeren Dingen auf die innerliche Bewegung.

König Carol hatte mich schon vorher, sobald er mich sah, sehr freundschaftlich begrüßt, und ich freute mich, ihn demnächst in aller Ruhe, während der Fahrt durch den herrlichen Kasan-Paß, genießen zu können. Das wird nun aber eine sonderbare Ruhe werden.

Dem Serben-König hatte mich Goluchowski vorgestellt. Der arme Junge schwatzte jetzt nun auch plötzlich allerhand gleichgültiges Zeug in mich hinein, und ich sah mich hilfesuchend nach seinem Popovicz um, der jedoch verschwunden blieb.

Nun setzte sich der »Ferencz József« langsam in Gang – ich sah Goluchowski an, der ziemlich nervös töricht lächelte.

Wir standen ganz vorn am Bug, dazu hatten sich noch der ungarische Handelsminister und die Repräsentanten der Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaften: der Österreicher Baron Banhans, der Ungar Graf Emerich Széchényi und zwei andere Herren gesellt, um die nötigen Erklärungen zu geben. Doch handelte es sich in erster Linie nur um den feierlichen Akt der Eröffnung des Kanales.

Hierzu erschienen wie Götter aus der Märchenwelt plötzlich die, wohl in dem unteren Schiffsraume versteckt gehaltenen Bischöfe. Und zwar der römisch-katholische Bischof von Czásnad (zu dessen Diözöse Orsowa gehört), der griechisch-orthodoxe Bischof von Temesvar, der griechisch-rumänische Bischof von Karansebes und der griechisch-katholische Bischofsverweser von Lugos. Alle in ihrem kostbaren Ornat, die Mitra auf den ehrwürdigen, weißbärtigen Köpfen, strahlende Edelsteinkreuze an der Brust und rotgekleidete Chorknaben mit Weihrauchgefäßen voran – ein wunderbar malerischer Anblick.

Die drei Monarchen taten sehr fromm, als sich die alten Bischöfe vor ihnen verneigten und der römisch-katholische Bischof von Czásnad an die äußerste Spitze des Dampfers trat.

Jetzt verlangsamte das Schiff noch mehr die Fahrt, denn dicht vor uns zeigte sich die Einfahrt in den von hohen Steinmassen begrenzten Kanal, an dessen Eingang sich zwei weiße, nach oben spitz zulaufende Türme erhoben, auf denen die ungarische Standarte wehte. Die Türme aber waren mit einer breiten Rosengirlande – selbstverständlich künstlicher Riesenrosen – verbunden, die das Schiff mit seinem Bug zerriß, während Kanonendonner am Ufer ertönte, der an den Felswänden widerhallte.

Da sowohl mein Freund Goluchowski als auch ich den Ort für eine Explosion am geeignetsten an dieser engen Stelle gehalten hatten, wirkte der plötzliche Knall der Kanonen nicht gerade beruhigend; doch wurde die Aufmerksamkeit zu sehr auf die Zeremonie der Weihe gerichtet, um durch das momentane Erschrecken bedenkliche Folgen an unserem Leibe gespürt zu haben.

Der würdige römisch-katholische Bischof von Czásnad (der einzige ohne weißen Vollbart, aber mit merkwürdig durchgeistigten Gesichtszügen) erhob die Hände mit den lilaseidenen Handschuhen und dem blitzenden Bischofsring zum Segen und sprach mit lauter Stimme ein paar Worte ungarisch dazu, die klangen, als fluchte er Gott und uns allen.

Die Rosengirlande zerriß – und aus den weißen Türmen erscholl ein ohrenzerreißendes »Eljen« von lauter menschlichen Köpfen, die plötzlich durch die Wände der Türme durchbrachen.

Das war nun allerdings nicht in dem Programm vorgesehen.

Die Türme aber waren innerlich ein Holzgerüst und dieses mit weißangestrichener Pappe bekleidet. So war es begreiflich, daß die Arbeiter im Innern emporgeklettert waren und sich mit ihren Messern die für ihre Köpfe erforderlichen Löcher hineingeschnitten hatten, um an der Eröffnungsfeierlichkeit teilzunehmen.

Zur Türkenzeit sah wohl hin und wieder ein Tor bei dem Einzug eines siegreichen Paschas in eine eroberte Stadt so aus – doch schrien damals die armen Köpfe nicht.

Sehr erschüttert waren die anwesenden Veranstalter dieses Aufbaues über diese Enthüllung, die ein grausames Bild von Humbug gab, doch war ich recht zufrieden mit der lustigen Wendung der Dinge in einem Augenblick, der allzu traurig hätte enden können.

Wohl war die Fahrt durch den schmalen Kanal erst begonnen. Es verflossen noch bange Minuten während der Durchfahrt und der kurzen Eröffnungsrede des Kaisers, die dadurch eine besondere Weihe erhielt, daß der ungarische Handelsminister, als »Oberster über alle Veranstaltungen bei der Feier der Eröffnung des größten Handelsweges der Donaumonarchie«, dem Kaiser einen prunkvollen goldenen Deckelpokal, mit Ungarwein gefüllt, überreichte, aus dem er bei diesem großen Akte einen Schluck trinken sollte. Das geschah – sodann trank König Carol daraus, dann König Alexander, der ihn mir reichte, als der »deutschen Donau- Mutter«, wie Nigra sagte.

Aber das ging nicht ohne Konvulsionen ab, und zwar folgendermaßen:

Der arme König Alexander (der etwa wie ein junger Ladengehilfe aus Berlin-Osten namens Isaak Jacobsohn aussieht) war als serbischer Husarengeneral sehr prunkvoll bekleidet. Gelbe Stiefel, rote Hosen, blaue Uniform mit Dolman über der linken Schulter, hohe Tartarenmütze von weißem Lammfell mit glänzender Agraffe und Reiherfeder, krummer goldener Türkensäbel mit goldenem Wehrgehäng (der gelegentlich – und auch jetzt – zwischen die dem Säbel nahe verwandten Beine geriet), ein Kneifer an Gummiband auf der Knorpelnase, der bei dem Schluck Ungarwein in den Pokal fiel, eine erschreckte dicke Hand in engem Glacéhandschuh, die den ihm zur Betrachtung gereichten Deckel des Pokals an den Boden schleuderte, während der Säbel ihm, da er sich eifrig und höflich bückte, um ihn aufzuheben, wiederum zwischen die Beine geriet – das waren ungefähr die Konvulsionen, unter denen ich nun meinerseits auf das Wohl des deutschen »Kindes«: die Donau, trinken sollte.

Unter Assistenz von vier Bischöfen in Ornat, acht Chorknaben, einem Kaiser und einem König gestaltete sich die »Darbietung« des jungen Alexander außerordentlich wirksam.

Besonders im Hinblick auf den Umstand, daß wir alle in einem solchen Augenblick hätten in den Himmel fliegen können. Der liebe Gott würde sich schön gewundert haben.

Aber noch während dieses »Intermezzos« hatte der »Ferencz József« den Kanal glücklich passiert. Er machte nun eine langsame Wendung, kehrte denselben Weg zurück und begann die »Bergfahrt«, um die Herrlichkeiten der Donau, wo sie sich den Paß bei Kasan geschaffen hat, zu bewundern.

Je weiter wir uns von Orsowa entfernten, um so mehr schwanden die Explosionsgefahren. Es war doch wohl unwahrscheinlich, in dieser Gegend Minen oder sonstige »Überraschungen« in der Donau anzubringen, wo der Strom verhältnismäßig schmal und die Schifffahrt belebt ist.

Goluchowski und ich setzten uns daher vorderhand einmal aufatmend an den kaiserlichen Frühstückstisch in Gesellschaft von etwa vierzehn Personen. Es wurde von Lakaien aus der Wiener Burg serviert.

Nach den überstandenen Aufregungen war bei mir eine Reaktion eingetreten, die sich in Heißhunger äußerte, und ich bemerkte, daß Freund Goluchowski sich in der gleichen Lage befand. Er saß dem Kaiser gegenüber, der von den beiden Königen flankiert wurde, neben denen wiederum die beiden größten ungarischen Würdenträger saßen. Ich befand mich zwischen Goluchowski und dem Ministerpräsidenten Graf Badeni sehr gut plaziert. Zwischen zwei Polen wird man sich niemals langweilen (und noch weniger zwischen zwei Polinnen). Polen aus dem hohen Adel, die in Paris zu Hause sind, wie z. B. Goluchowski, der sogar mit einer Prinzessin Murat verheiratet ist, besitzen immer eine glänzende Gabe der Konversation. Zu Hause bei sich ist der Unterschied zwischen dem Glanz ihrer Schlösser und ihres Lebens gegenüber der entsetzlichen Armut der Bevölkerung, für die nichts getan wird, so entsetzlich, daß ich z. B. von dem berühmten Schloß Lançut, das dem Grafen Potocci und seiner berühmten Gattin Betka, Prinzessin Radziwill, gehört, geradezu empört und degoutiert heimkehrte. Und doch war ich glänzend und liebenswürdig dort aufgenommen worden.

Die Fahrt von annähernd drei Stunden durch den Paß von Kasan und zurück war leidlich ermüdend, denn meine langen Unterhaltungen mit dem Kaiser und König Carol führten rettungslos in die große Politik. Doch interessierte mich auch vieles.

In dieser Hinsicht besonders eine sehr eingehende Aussprache mit dem rumänischen Ministerpräsidenten Demeter Sturdza, der in Heidelberg studierte und seinen Sohn in Berlin erziehen läßt.

Es geht klar daraus hervor, wie fest Sturdza, der seit der Übernahme des Thrones von Rumänien durch den damaligen Prinzen Karl von Hohenzollern bis jetzt, die treueste Stütze des Königs ist. Deutsch bis in die Knochen, und ein bedeutender Staatsmann, mit dem sich reden läßt, ohne daß man über vorgefaßte Meinungen stolpert oder befürchten muß, mißverstanden zu werden.

Mit König Alexander kam ich nicht vom Fleck. Erst als ich auf Ronacher Das berühmte und in der Tat ausgezeichnete Café chantant in Wien. überging, taute er auf. Dort hatte er sich stets ausgezeichnet unterhalten. »Ja, wenn es in Belgrad einen Ronacher gäbe! – Aber es ist nicht leicht, so oft nach Wien zu fahren, als man möchte. Hin und wieder glückt es ja«, setzte er, vertraulicher werdend, hinzu, » mais vous savez – Mr. Simitsc Simitsch, der serbische Gesandte in Wien. il est un homme serieux. Il a sa police à soi et ce n'est pas facile de le tromper.«

Der junge, sehr elegante Adjutant, den er bei sich hatte, Capitain Maschin Dieser, der später Militär-Attaché in Wien wurde und auch in der deutschen Botschaft verkehrte, ist der Mörder Alexanders., dürfte allerdings eher sein Vertrauter bei seinen Eskapaden nach Wien gewesen sein, als der brave Simitsch, der nicht nur un homme serieux, sondern auch ein recht gescheiter, angenehmer und gebildeter Mann ist. Mir war er nur deshalb etwas lästig geworden, weil ich ihm durchaus eine deutsche Prinzessin als Gattin für den jungen Alexander besorgen sollte – und ich sehr wohl wußte, daß sich nicht so leicht eine Dame aus guter Familie dazu hergeben würde.

Wie oft wanderten meine Gedanken in dem Paß von Kasan bei den herrlichen steilen Felswänden, an denen die blaue Donau mild vorüberrauscht, zurück zum Herbst 1871, als ich mit Begeisterung diese gewaltige Natur schaute. Damals, 24 Jahre alt, lag das Leben schleierhaft vor mir. Mein Hoffen und mein Sehnen war die Kunst. Was würde ich damals gesagt haben, wenn mir jemand prophezeit hätte: »Das nächstemal wirst du mit einem Kaiser und zwei Königen als Botschafter des deutschen Reiches hier fahren, und du sorgst dich um den Verbleib von zweihundert Kilo Dynamit.« Ich würde doch nur gesagt haben. »Mein Herr, reden Sie nicht solchen Unsinn.«

Das Dynamit kam mir leider heute immer noch nicht aus dem Sinn.

»Hier sind wir nun ziemlich sicher«, sagte ich zu Goluchowski. »Aber ich kann nicht leugnen, daß mir Herkulesbad heute abend nicht ganz geheuer ist.«

»Inwiefern ist Ihnen Herkulesbad unheimlich?« fragte Goluchowski, schnell aufblickend.

»Der Direktor des Bades, Herr von Vest, muß irgendwie von dem Diebstahl etwas läuten gehört haben. Er war sehr beflissen, für die Sicherheit des Festsaales zu sorgen, und die Anlage eines unterirdischen Zuganges zu der Basis des Saales schien ihm immerhin möglich.«

»Und das erzählen Sie mir jetzt erst?« sagte Goluchowski ziemlich unruhig.

»Hatten Sie denn nicht genug mit der Sorge einer Sprengung im Kanals Was konnte Ihnen Herkulesbad damals sein, da wir doch dachten, im Kanal in die Luft zu fliegen?«

»Nun, jedenfalls bitte ich Sie«, sagte Freund Goluchowski sehr eifrig, »mir sofort bei Ankunft in Herkulesbad Herrn von Vest zu zeigen.«

Mit diesem neuen Alpdruck trafen wir auf der Station Herkulesfürdö ein, nachdem die Landung in Orsowa ohne jeglichen Zwischenfall glücklich und sehr geräuschvoll vor sich gegangen war.

Es war ½4 Uhr, als wir dem Sonderzug entstiegen, um den Weg von der Station zum Bade im Wagen zurückzulegen, was eine kleine halbe Stunde in Anspruch nimmt. Der Weg führt durch ein mit Mais und anderen Feldfrüchten bestelltes Gelände zu der Bergschlucht von Mehadia. Die Chaussee ist mit schönen hohen Ebereschen besetzt, aus derem dunklen Laub feuerrot die Früchte leuchteten. Es war eine endlose Wagenreihe; ich saß mit Goluchowski in einer offenen Halbchaise.

Schon unmittelbar hinter der Station beginnend, stand hinter jedem zweiten Baum auf der rechten Seite des Weges ein Infanterist mit den ungarischen engen blauen Hosen, die hohe blaue Mütze auf dem schwarzen Haar und das Gewehr bei Fuß. Die Bäume deckten natürlich nicht den Mann, aber sobald ein Wagen sich näherte, schlichen die Soldaten vorsichtig auf die andere Seite des Baumes und lugten mit dem braunen Gesicht hervor, während natürlich ein Bein, ein Arm, ihre Rückseite und das Gewehr auf der Kehrseite der schmalen Eberesche sichtbar wurde. Ich erkannte in dieser Maßnahme sofort die geistvolle Anordnung meines Hauptmannes aus Herkulesbad mit dem »Tunnel bei der Nacht«. Er hat für die Sicherheit der Straße zu sorgen gehabt, »ohne daß Se. Majestät es gewahr werde«, und daher den Befehl erlassen, »jeder Mann hat sich hinter den Baum derart zu postieren, daß ihn Se. apostolische Majestät und das Gefolge nicht ›derschauen‹ kann – bei fünftägigem Arrest«. Ich aber habe auf dem ganzen Wege nicht einen einzigen Baum »derschauen« können, der nur annähernd den Umfang gehabt hätte, auch nur einen zehnjährigen Knaben zu verbergen. Und doch war ich dem Herrn Hauptmann dankbar für seine geistvolle Anordnung, denn die um den Baum herumlugenden braunen, halb neugierigen, halb scheuen Zigeunergesichter waren ein ebenso kostbarer Anblick, als auf der anderen Seite des Stammes die kunstvollen Bemühungen der blauen Beine, sich zu verbergen.

Wir langten, dank der gelungenen »Sicherungen«, sehr heiter im Bade an, und ich fuhr mit Goluchowski zu dem Festsaal, wo wir Herrn von Vest trafen, der uns glaubte die Versicherung geben zu können, daß ein Dynamit-Attentat wohl kaum zu erwarten sei. Er machte jedoch die Andeutung, daß ihm von einem gewissen »Diebstahl« durch die Geheimpolizei Nachricht zugegangen sei, was ihn sehr beunruhigt habe – und noch beunruhige. Er werde erst zufrieden sein, wenn er die Nachricht erhalten habe, daß der Kaiser glücklich in Wien wieder eingetroffen sei.

Nach dieser Aussprache begab ich mich in mein Quartier, wo ich von Eberhard und Kistler freudig begrüßt wurde. Sie hatten, dank der Bemühungen des liebenswürdigen Herrn von Vest, mit dem sie nach Orsowa gefahren waren, vom Ufer aus die Durchfahrt des Kaiserschiffes zwischen den weißen, mit menschlichen Köpfen geschmückten Türmen gesehen und durch ihre guten Gläser sogar die Monarchen und Bischöfe beobachten können.

Die freie Zeit bis zu dem Festmahl um 6 Uhr benutzte ich, nach Ablegung meiner goldgestickten Löwenhaut, um mich bequem auf dem Sofa auszustrecken – in dem behaglichen Gefühl, daß ich wohl kaum mit diesem in die Luft fliegen würde.

Wenn es nun auch von meiner Wohnung bis zu dem Festsaal nicht weit war, benutzte ich doch gegen 6 Uhr einen Wagen. Denn, wie ich bereits bemerkt habe, war es nicht mein Fall, in voller goldener Pracht und den federgeschmückten Dreimaster auf dem Haupte, durch eine neugierige Menschenmenge zu schreiten.

Schon aus diesem Grunde wäre ich völlig ungeeignet, ein Herrscher zu sein; denn daß die meisten Herrscher behaupten, es ebenfalls nicht zu lieben, sich öffentlich als solche zu zeigen, ist doch nur bis zu einem gewissen Grade der Wahrheit entsprechend. Fast allen solchen Herren ist es sehr fatal, »nicht beachtet« zu werden. Für das berühmte »incognito« sind sie wirklich im Grunde nur dann eingenommen, wenn sie irgend etwas unternehmen, was ein elender Staatsbürger auch gern incognito unternimmt.

In dem prunkvollen Kursaal mit seinen roten Seidendamastwänden und der mit herrlichen Blumen in kostbaren, kaiserlichen, silbernen Prunkgefäßen geschmückten Tafel fand ich alles in Gala versammelt, bis auf die drei Herrscher, die kurz nach mir erschienen.

Der Kaiser nahm wieder den Platz in der Mitte des Tisches zwischen den beiden Königen ein. Ich saß neben König Carol, zu meiner besonderen Zufriedenheit, einen so klugen und liebenswürdigen Nachbar während der langen Sitzung zu haben, die uns rettungslos Reden bescheren würde, die ich wegen der großartigen Selbstverständlichkeit ihres Inhaltes hasse. Links neben dem Kaiser saß nicht, sonderen krümmte sich im Hinblick auf seine Rede der unglückliche Alexander mit seiner vor Angst erblaßten Knorpelnase.

Gegenüber dem Kaiser saß Goluchowski – auch etwas blaß seit den Mitteilungen des Herrn von Vest über einen möglichen Tunnel. Rechts von ihm Sturdza, links der arme Popowicz, der mit nervösen Blicken seinen erschütterten Monarchen musterte, der sich aus Aufregung die Bissen immer neben den Mund stieß.

Nach dem » Zéphyr de poulardes à la Rossini« erhob sich der Kaiser und alle mit ihm. Einer der beiden hinter ihm stehenden Hoflakaien (die für diesen Dienst speziell abgerichtet sind) legte ihm die mit sehr großen Buchstaben aufgeschriebene Rede auf den Teller, auf die der Kaiser durch seinen, hierzu aufgesetzten Kneifer hinabblickte. Sobald das (wegen der großen Buchstaben nur wenig enthaltende) Blatt abgelesen ist, zieht der links stehende Lakai dasselbe mit affenartiger Geschwindigkeit fort und der Lakai rechts schiebt mit der gleichen Schnelligkeit das zweite an dieselbe Stelle.

Der Kaiser ließ die Nachbarn von der Donau leben.

Sofort danach erhob sich König Carol, ein Meister der Rede, der vorher nicht im mindesten »gemaikäfert« hatte, sondern in völliger Ruhe, ohne jede Präokkupation, seine Konversation mit dem Kaiser und mir machte. Er sprach glänzend in meisterhaftem Französisch und Sturzda, dem ich leise zunickte, erwiderte verständnisvoll lächelnd den Gruß. Dem König aber sagte ich mit Wärme Schmeicheleien – die eben keine Schmeicheleien waren, sondern zu wahr, um dem gütigen König nicht Freude gemacht zu haben.

Dann aber nahte die Schreckensstunde für Alexander – die Folterkammer, das Alpdrücken, das Hals- und Beineabschneiden. O, armer junger Alexander, wenn ich dich hätte retten können – aber du warst hier König an der Donau und nicht bei Ronacher in Wien, du mußtest reden.

Er stand auf. (Popowicz erbleichte wie der Tod.)

» Votre Majesté Imperiale« begann Alexander Milanowitsch, » Votre Majesté – daigna, – Votre« – (aus. Pause).

» Ce – solonel, – ce solonel« – (aus. Pause).

Votre Majesté! – (aus. Pause). Popowicz flüstert ziemlich laut über den Tisch: » à la santé de Sa Majesté –«).

Popowicz wiederholt eiwas lauter: » à la santé de Sa Majesté.«

Alexander schweigt.

Popowicz (noch lauter). » à la santé de –«.

Alles blickt stumm auf die Teller. Ich fühle, daß mir übel wird.

Alexander (mit flehenden Blicken zu Popowicz). » à – la – santé de Sa Majesté l'Empereur et Roi!«

Alles ruft in einem Erlösungston: »Hurra! Hurra! Hurra!« Aber alles sinkt auch erschöpft auf die Stühle zurück, und Popowicz, ganz über seinen Teller gelehnt, schlingt sofort mit solchem Eifer ein (glücklicherweise!) ihm noch von dem »Zephir« der Poularde auf dem Teller verbliebenes Stück mit Hilfe von Messer und Gabel hinunter, daß man glauben könnte, es ginge ihm die ganze Rede und der ganze Alexander gar nichts an, als sei er nur unbeschreiblich hungrig. Und ich hielt das auch durchaus für möglich, denn vor der Rede hatte er vor serbischer National-Todesangst kaum »einen Happen« gegessen.

Nach dieser fürchterlichen Anspannung der gesamten Festversammlung lag einen Augenblick Todesstille über der hohen, hier vereinigten Gesellschaft – dann aber brauste eine derartige, krampfhafte Unterhaltung los, daß der alte Kaiser erstaunt um sich sah. Er war das an seiner Tafel nicht gewohnt, wo eine Langeweile und Stille zu herrschen pflegte, die an Begräbnisse erinnert.

Ich begrüßte es wie eine Erlösung, als der alte gütige Kaiser mit einer »allgemeinen« Verbeugung das große Fest beschloß. Er reichte mir gütig die Hand, als er bei mir vorüberschritt, König Carol drückte sie mir innigst, und der arme Alexander vergaß es.

Ein Lied, daß ich in jungen Jahren dichtete und sang, endigt: »Ich habe schier vergessen, wo Erd' und Himmel sind.«

Das wird wohl ungefähr der Zustand des armen Alexanders vor, bei und nach seiner Rede gewesen sein.


Um 8 Uhr verließen die drei Monarchen im Wagen Herkulesbad, und um ½9 Uhr eilten sie in ihren Sonderzügen mit ihrem großen Gefolge den drei Residenzen zu.

Als ich in meine Wohnung zu Eberhard und Kistler gekommen war, legte in stürmischer Eile mein guter Emanuel die Wahrzeichen meiner Würde in den Koffer, während Herr von Vest mir mit feierlicher Miene im Namen der Kurverwaltung ein prächtiges Album mit kostbarem Einband, enthaltend eine Sammlung großer Photographien von Herkulesbad, überreichte, das eine Bereicherung der Liebenberger Bibliothek bilden wird.

Meine Reiseroute stellte sich nach Kistlers Entwurf folgendermaßen dar: Sonntag, 27. September 1896, abends 9 Uhr, Abreise von Herkulesbad. Nach ununterbrochener Reise Ankunft Mittwoch, 30. September 1896, nachmittags 2 Uhr, in Rominten.

Doch sollte diese Fahrt nicht in dieser Weise verlaufen. Ich erkrankte unterwegs an einer bösen Ruhr und mußte mehrere Tage in Wien liegen. Am 1. Oktober traf ich in Liebenberg ein mit den Berichten, die ich am 4. Oktober dem Kaiser in Hubertusstock abstattete, und damit hatte meine Mission nach dem »Eisernen Tor« ihren Abschluß erreicht.

(gez.) Philipp Eulenburg.

Nachschrift 1903.

Das Verschwinden der zweihundert Kilo Dynamit blieb immer ein Rätsel. Wahrscheinlich ist ein Teil nach Konstantinopel gewandert, wo in der Folge die entsetzlichen Massakers gegen die Armenier durch Sultan Abdul Hamid veranlaßt wurden. Damals fanden Sprengungen in armenischen Banken und Häusern durch Dynamit statt. Eine andere Version besagt, daß tatsächlich eine Mine in dem Kanal am 27. September 1896 gelegen habe, aber durch die starke Strömung fortgeschwemmt worden sei. (Oder sollte die Gefahr durch den Segensspruch des Bischofs von Czánad beseitigt worden sein, dessen Flammenaugen an einen Propheten erinnerten, der Wunder verrichtet?)

Der arme König Alexander von Serbien, geb. 1876, wurde am 29. Mai 1903 ermordet.

An der Spitze der Mörder, die den unglücklichen König auf wahrhaft bestialische Weise mit seiner Gattin umgebracht hatten, stand Oberst Maschin, Vetter der Königin Draga Maschin. Es war der gleiche, der den jungen König als Adjutant 1896 zum »Eisernen Tor« begleitet hatte und als Militärattaché in Wien in meinem Hause verkehrte. Sogar bei Tisch saß er einmal neben meiner Gattin!

In jener Mordnacht hatte sich das Königspaar, nach Entdeckung des geplanten Anschlages, in einem Wandschrank versteckt – Maschin fand die Unglücklichen dort und brachte sie eigenhändig durch Revolverschüsse allmählich um.

Die Mordgesellen warfen sodann die Leichen zum Fenster hinaus in den Garten, wo sie morgens früh noch Lebenszeichen gaben, ohne doch nochmals zur Besinnung gekommen zu sein.


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