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VII.

Meine Feststellung der Vorgänge bei Entdeckung der Spuren des Kampfes.

Ich beschloß nun an der Unglücksstelle, die mir genau bezeichnet worden war, selbst nachzuforschen, um den Tatbestand des Vorgangs nach Möglichkeit festzustellen.

Unterdessen war es heller Tag geworden, es mochte vier Uhr gewesen sein, und die hervorbrechende Sonne ließ durch das klare Wetter den Seegrund am Ufer genau erkennen. Da aber ein frischer Wind wehte, so war Eile nötig. Die Bewegung in dem Wasser mußte die Spuren auf dem Grunde bald verwischen.

Der Fischer Ernst ruderte mich an die Stelle, wo eine Bank vom Wasser aus sichtbar war. Hier hatten der König und Gudden am Abend gesessen. Von hier aus mußte sich der König in den See gestürzt haben, denn das Schilf und das niedere Weidengebüsch, das zwischen dem Weg, an dem die Bank steht, und dem Strande wächst, war niedergedrückt. Hier hatte der Hut gelegen. Der Rock des Königs, den er in Guddens Händen ließ, als dieser den Versuch machte, ihn zu halten, lag etwas weiter im Wasser.

Zur Situation muß ich bemerken, daß der Strand des Sees unmittelbar hinter dem niedern Gebüsch und Schilf aus einem Streifen von Kieselsteinen besteht, der etwa fünf Fuß Breite hat. Dann beginnt das Wasser. Aber es zieht sich von dort ab der Seegrund ganz allmählich flach, aus gelbem, lehmigem Sand bestehend, wohl 20 Fuß hin, ehe er plötzlich, fast senkrecht, zu sehr großer Tiefe abfällt. Ein Mensch kann also in dem See etwa 8–10 Schritte machen, ehe das Wasser ihm zur Brust reicht. Alsdann vermag man noch einige Schritte zu gehen, ehe der Grund unter den Füßen verschwindet.

Ich verfolgte vom Boot aus die durch das klare Wasser im hellen Sande noch genau sichtbaren Fußspuren des Königs und Guddens. Ein Irrtum war in dieser Hinsicht nicht möglich, da die Leichen durch Fischer Liedl und die in Booten zur Hilfeleistung gekommenen Schloßdiener aus dem See direkt in die Boote gehoben und sodann bis zu dem Landungssteg am Schloß gefahren worden waren. An der Unglücksstelle war niemand, bevor ich kam, in den See gegangen. Hut und Rock des Königs lagen dicht am Ufer im seichten Wasser. Es ergab sich nach meiner Feststellung folgendes Bild:

Von dem Wege oder der Bank aus zeigte das geknickte Schilf den Weg, den der König nahm, während Gudden ihm folgte. Im Wasser erreichte Gudden den König und faßte ihn am Rock.

Hier waren die Fußeindrücke auf einem Raum von etwa vier Fuß im Durchmesser ganz durcheinander sichtbar. Der König hat sich hier unzweifelhaft gegen Gudden gewehrt und ihm wohl die Wunden an der Stirn beigebracht.

Als der König nun, um sich von Gudden frei zu machen, seinen Rock fallen ließ, machte er einige Schritte tiefer in das Wasser, während Gudden ihm folgte.

Es liefen hier zwei Fußspuren nebeneinander her – nicht weiter als etwa sechs Schritt.

Dann wurden wieder zahllose Fußspuren auf einer Stelle von ungefähr fünf Fuß im Durchmesser sichtbar: in der Mitte davon befanden sich zwei Löcher.

Hier hatte Gudden geendet.

Der König mußte sich seiner entledigen, wenn er fliehen oder sich das Leben nehmen wollte, und in diesem Bewußtsein hatte er den ihm auf den Fersen folgenden Arzt am Halse gefaßt und ihn unter das Wasser mit so dämonischer Gewalt gedrückt, daß der große, starke Mann bis an die Knie im Lehmboden versank.

Die Strangulationsmarken hatte ich an seiner Leiche gesehen. Unter dem Wasser mag die Erstickung schneller erfolgt sein, als es auf festem Boden möglich gewesen wäre.

An dieser Stelle hat das Wasser den Kämpfenden etwa bis an den Gürtel gereicht.

Von hier ab führte die Fußspur des Königs, der sich nun »frei« fühlte, in senkrechter Stellung zum Ufer, in den See. Mit großen Schritten, fast wie diejenigen eines Menschen, der läuft, war der König in das tiefe Wasser gegangen.

Der letzte Eindruck war hart am Rande sichtbar, wo der Grund steil – wohl an hundert Fuß – abfiel. Und schon da, wo dieser Eindruck sichtbar war, hat selbst ein großer Mann keinen Grund mehr.

Es muß sich also der König gewaltsam unter das Wasser gedrückt haben. Er wollte nicht schwimmen – sonst wäre dieser Eindruck nicht gewesen; er wollte auch nicht fliehen – sonst hätte er leicht nach der Ermordung Guddens das Tor von Leoni erreichen und Hilfe bei den dortigen Fischern erlangen können.

Die vielfach noch jetzt übliche Annahme, der König, welcher ein ausgezeichneter Schwimmer war, habe sich durch Schwimmen retten wollen und sei dabei ertrunken, ist falsch. Die Eindrücke seiner Füße führten senkrecht vom Ufer weg an Stellen, wo er keinen Grund hatte. Dieses Faktum schließt jede andere Annahme als den beabsichtigten Tod absolut aus. Eine wahnsinnige Willensstärke gehört dazu, als guter Schwimmer im Ertrinken unter Wasser zu bleiben und nicht die Oberfläche mit ein paar Stößen zu erreichen!

Ich stand so sehr unter dem Banne dieser merkwürdigen, sprechenden Fußspuren, daß ich einige Stunden später noch einmal an die Stelle mit dem Boot zurückkehrte, um nochmals den merkwürdigen Anblick zu haben – aber das Wasser hatte bereits die unheimliche Schrift verwischt, und so hatte denn niemand außer mir in diesem merkwürdigen Buche gelesen. Der Schrecken, das Entsetzen hatte alles gelähmt, was in Berg war. Als ob das Schloß, die Umgebung, der Park, mit dem König gestorben waren. Nichts rührte sich, als ich lange Zeit dort umherwandelte. Es war genau, als sei alles ein langer, unwahrscheinlicher Traum gewesen.

Ich fand auch keine Seele bei der traurigen Stätte am See, weder als ich das erste Mal dort frühmorgens die Besichtigung vornahm, noch auch das zweite Mal.

Von München trafen erst mittags die ersten Beamten ein –- völlig kopflos aus der Residenz kommend, wo der vortreffliche General von Freyschlag, der langjährige Adjutant des Prinzen Luitpold, seinem Herrn die Nachricht von dem gewaltsamen Tode seines königlichen Neffen bringen mußte.

Er schilderte mir diesen Augenblick als den härtesten in seinem Leben, denn der bejahrte Prinz, der schon den Ereignissen bei der Entmündigung des Königs kaum gewachsen war, brach unter der Wucht dieses tragischen Ausganges völlig zusammen.

Ich fand München am Nachmittag dieses denkwürdigen Tages in größter Aufregung. Die unheimlichsten und unglaublichsten Gerüchte durchschwirrten die Stadt. Graf Holnstein sollte sich das Leben genommen haben oder sollte von einer wütenden Volksmenge gelyncht worden sein, die Königin-Mutter hätte der Schlag gerührt–, so ging es weiter in bunter Folge von Stunde zu Stunde.

Es ist nicht zu leugnen, daß nicht nur der Hof, sondern auch die Minister sich in einer geradezu verzweifelten Lage befanden.

»Königsmörder« wurden nicht nur der Prinz-Regent Luitpold, sondern auch seine Ratgeber genannt –, und diese Bezeichnung blieb besonders in den Bergen haften, wo sich der freigebige König eine dauernde Anhänglichkeit gesichert hatte.

Ich sprach den Ministern – Lutz und Crailsheim in erster Linie – Mut zu. Sie konnten sich auf die preußische Regierung verlassen, die bereit war, jeden Schutz zu gewähren, falls eine schwierige oder gar ernste politische Lage eintreten sollte.

Dazu kam es nicht. Als Abschluß des Dramas hatten die Truppen dem neuen König Otto ohne Widerspruch den Eid geleistet – und Bayern hatte einen neuen, hoffnungslos wahnsinnigen König, der auf die Anrede »Majestät« in seinem kleinen Schloß zu Fürstenried in blödes Lachen ausbrach und läppische Fragen stellte, um es wieder zu hören.

Wahrhaftig, ein Shakespeare hätte keinen groteskeren, schauerlicheren Abschluß für ein Königsdrama in seiner Dichterphantasie erfinden können.

VIII.

Unterredung mit dem deutschen Kronprinzen und ein unheimliches Wiedersehen.

Zum Begräbnis war der deutsche Kronprinz in München eingetroffen. Er wohnte in der Residenz und ließ mich am Abend seiner Ankunft noch zu später Stunde holen, um von mir Näheres über die Katastrophe zu hören. Denn es war ihm bekannt, daß ich in alle Ereignisse tief eingeweiht war. Er befand sich mit dem eben gleichfalls angelangten Großherzog von Baden allein in seinem Zimmer. Das Fragen und Erzählen nahm kein Ende. Es war wohl zwei Uhr nachts, als er mich entließ.

Ich aber verfehlte den Weg auf den ganz schwach erleuchteten endlosen und völlig verlassenen Gängen der Residenz.

Vergeblich sah ich mich nach einem Diener um. Ich öffnete eine Tür, vor der ich mich am Ende eines langen, völlig dunklen Ganges befand – und prallte entsetzt zurück. Ich stand am offenen Sarge des Königs in der Georgskapelle, oben auf der Galerie.

So hoch war der Katafalk, auf dem die Leiche des Königs in der Tracht der Georgsritter ruhte, daß sie den Rand dieser Galerie erreichte.

Schauderhaft verzerrt war das rot und weiß geschminkte Totenantlitz, auf dem der Widerschein der gelben Kerzen sich spiegelte!

Doch nun gewahrte ich unten einige alte Leibgardisten, die dort Wache hielten und den Eindruck von Wachsfiguren machten. Ich schritt eine kleine Treppe hinab und gelangte hinaus, noch den Schauder in allen Gliedern spürend.

Bei der Sektion, die an der inneren Hirnschale knochenartige Auswüchse ergab, war der ganze Schädel durchsägt und jetzt künstlich wieder zurechtgelegt worden. Darum war auch die seltsame Aufbahrung erfolgt. Der unglückliche tote König sollte dem Anblick der Menschen möglichst entzogen werden.

Die Wellen der Aufregung legten sich sehr langsam. Der Besuch des Fürsten Bismarck Dieser Besuch ist in »Erinnerungen aus 50 Jahren«, Verlag Paetel, Berlin, geschildert., mit dem ich interessante Stunden in der Preußischen Gesandtschaft verlebte, wo er abgestiegen war, und der Besuch Wie oben., den später auch Kaiser Wilhelm, auf der Durchreise nach Gastein, von der Mainau kommend, auf dem Bahnhof in München dem Prinz-Regenten Luitpold abstattete, trugen nicht wenig dazu bei, die Lage zu festigen und dem deutschen Einheitsgedanken neue, kraftvolle Form zu geben. Das Ministerium Lutz fand auch auf dieser Basis einen Halt wieder, den es unter dem Druck der schweren Ereignisse fast verloren hatte.


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