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Rückblick und Zusammenfassung

Nunmehr sei ein Blick auf den durchwanderten Weg zurückgeworfen und in Kürze zusammengefaßt, was sich uns für die Frage nach dem Gehalt und Wert des Lebens ergeben hat.

Eigentümlich war zunächst die Art unserer Orientierung. Wir begannen nicht, wie es meist geschieht, mit Begriffen von der Welt um uns und suchten nicht von da aus das Leben zu deuten, sondern wir hielten uns an das Leben selbst, wir suchten, was in ihm vorgeht, zu ordnen und in ein Ganzes zu fassen, wir wollten die Eigentümlichkeit dieses Ganzen ermitteln und daraus einen Anhaltspunkt für seine Stellung und Bedeutung im All gewinnen. Nur bei solchem Streben, dem Begriff des Lebens einen bestimmteren Inhalt zu geben als gewöhnlich geschieht, im Leben selbst eine eigentümliche Wirklichkeit aufzudecken, ließ sich eine Aufklärung über seinen Sinn und Wert erhoffen. Daß so an die Stelle eines Grübelns über die Welt um uns eine Selbstbesinnung des Lebens trat, das bringt einen Vorteil, aber auch eine Forderung. Der Vorteil besteht darin, daß so das Problem jedem Einzelnen nahe gerückt wird: jeder strebende Mensch, nicht bloß der gelehrte Forscher, kann, ja muß es auf sich nehmen, die Menschheit aber kann sich von hier aus in einem Grundstock gemeinsamer Überzeugung zusammenfinden. Mit der seelischen Nähe aber, die ein solches Zurückgehen auf das Grundgefüge des Lebens, solche Bewegung zur Selbstbesinnung und Selbstvertiefung dem Ganzen verleiht, wird eine Vereinfachung, eine Wendung zu schlichter Menschlichkeit eng verbunden sein; einer solchen bedürfen wir heute um so mehr, je mehr die Kulturarbeit sich in ihrem Fortgang verwickelt.

Dem Vorteil entspricht aber eine Forderung. Nur für den vermag sich in dieser Weise das Leben aufzuhellen, der selbst in die Bewegung eintritt; die Erfahrungen, Aufhellungen, Vertiefungen kann nur teilen, wer die Mühen und Kämpfe auf sich nimmt. Damit erklärt sich das weite Auseinandergehen der Menschen bei allen Lebensfragen prinzipieller Art, erklärt sich die Tatsache, daß, was den einen als selbstverständlich gilt und die treibende Kraft ihres Lebens bildet, anderen als ein bloßes Phantom erscheint. Die weite Ausbreitung von Zweifel und Unsicherheit ist die notwendige Folge dessen, daß bei diesen Fragen die Wahrheit sich nicht vorfindet, sondern errungen werden muß; das Maß der Lebensvertiefung bildet hier das Maß des Erkennens, flachen Seelen wird alles flach. Daß aber die Durchblicke der Wirklichkeit aus solchem Grunde verschieden sind, das macht aus dem Ganzen keineswegs eine Sache subjektiven Beliebens, das zerstört nicht das ausschließliche Recht der einen überlegenen Wahrheit. Zutreffend sagt ein indisches Wort: »Wenn die Fledermaus bei Tage nicht sieht, so ist das nicht Schuld der Sonne.«

In der Sache kommt für den Gesamtanblick des Lebens zunächst die Tatsache in Betracht, daß im Menschen zwei Stufen der Wirklichkeit zusammentreffen. Er gehört zunächst zur Natur, und er bleibt auch im Weiterstreben fest an sie gebunden, sie bildet die Grundlage seines Lebens, die er auch im Weiterstreben festhalten und mit der er sich immer von neuem verbinden muß. Aber zugleich erscheinen bei ihm wesentlich neue Züge, die sich nicht als eine bloße Steigerung der Natur verstehen lassen, es erscheinen die Züge, welche geistige heißen. Ihr Eintreten verwandelt das Leben in ein großes Problem. Das Geistige gibt sich als überlegen, es verlangt das Leben zu führen. Aber es liegt zunächst nur in einzelnen Erscheinungen vor, und diese entbehren bei ihrer Zerstreuung sowohl einer deutlichen Gestalt als der Kraft sich durchzusetzen. Das Leben wäre einem unerträglichen Widerspruch verfallen, könnte sich nicht jenes Geistige in ein Ganzes zusammenfassen, als Ganzes wirken und zugleich einen bestimmten Gehalt erschließen. Daß dies geschehen kann, und daß es wirklich geschieht, das bedeutet eine große Wendung, das verlangt einen neuen Standort des Lebens, ja das besagt eine völlige Umkehrung des Anfangsstandes; diese Umkehrung aber gibt erst dem menschlichen Leben eine auszeichnende Eigentümlichkeit, einen klaren Sinn und zugleich einen hohen Wert. Denn mit ihr leuchtet ein, daß im Geistesleben sich uns die schaffende Tiefe der Wirklichkeit erschließt, und daß damit die ganze Unendlichkeit unser eigen werden kann. Alle Besonderheit unserer Art wird damit einem uns gegenwärtigen Weltleben untergeordnet und eingefügt. Jene Wendung aber ist keine Gabe des Schicksals, sie verlangt unsere eigne Entscheidung und Tat, unser Leben hört damit auf, ein bloßer Naturprozeß zu sein, es erhält den Charakter der Freiheit und muß von Freiheit fortwährend getragen werden. Gilt es bei ihm doch nicht auf einer vorhandenen Grundlage dieses oder jenes zu leisten, sondern in Erhebung über die vorgefundene Lage einen neuen Standort zu erringen und das Ganze eines neuen Lebens aufzubauen; wir erhalten so eine einzige Gesamtaufgabe, die alle Mannigfaltigkeit des Strebens durchdringt und zusammenhält. Insofern läßt sich ganz wohl von einem ethischen Charakter des Lebens sprechen, nur handelt es sich dabei dann nicht um eine von außen aufgelegte Forderung, sondern um einen Aufstieg des Menschen zu innerer Selbständigkeit, zu einem echten und wesenhaften Leben, um ein Erringen der Tiefe des eignen Wesens.

Das Leben, das solcher Wendung entspringt, ist in Form und Gehalt völlig anders als das Leben des nächsten Befundes. Dieses Leben ist ganz und gar dem Strome der Zeit ausgeliefert, die Verkettung von Ursache und Wirkung treibt es rastlos weiter von Punkt zu Punkt, ohne ihm einen Stillstand und ein Beisichselbstsein zu gewähren, so findet sich hier auch keine Gegenwart, und von diesem Fluß des Geschehens die Bildung eines Inhalts zu verlangen, das wäre eine törichte Sache. Die geistige Stufe dagegen führt das Leben aus dem Strome der Zeit heraus, bringt es zum Stehen und gibt ihm die Möglichkeit, sich mit sich selbst zu befassen, ein Beisichselbstsein auszubilden und mit ihm eine Gegenwart; gegenüber der Flucht des Geschehens eröffnet sich hier ein Reich des Seins, eine zeitüberlegene Ordnung. Erst auf diesem Boden läßt sich dem Leben ein Inhalt geben, während das Dahingleiten von Punkt zu Punkt es bei völliger Leere beläßt.

Auch in der näheren Beschaffenheit zeigt das neue Leben eine völlig neue Art gegenüber der bloßen Natur. Hier ist der Mensch nicht mehr ein bloßer Punkt neben anderen Punkten und lediglich darauf bedacht, sich gegen sie zu behaupten und gegen sie vorzudringen, sondern hier entstand ein Leben aus dem Ganzen und aus einer inneren Einigung mit der Wirklichkeit, ein Leben, das wesentlich neue Güter erzeugt, wie das Gute, Wahre und Schöne, Güter, die neue Reiche eröffnen und Grundpfeiler einer neuen Gesamtordnung werden; ihre Aneignung brachte ein allem subjektiven Wohlbefinden unvergleichlich überlegenes Glück. Das Leben zerfiel hier nicht in den Gegensatz der Leistung nach außen und der Pflege des eignen Befindens, sondern Arbeit an sich selbst und Arbeit an der Welt konnten sich hier zur Einheit verbinden und ein der Spaltung überlegenes Leben erzeugen.

Nach dem allen haben wir keinen Zweifel an einem Gehalt und Wert unseres Lebens. Es fließt nicht sinnlos dahin, es trägt in sich ein hohes Ziel und setzt dafür den ganzen Umfang unserer Kraft in Bewegung; in solcher Bewegung dienen wir nicht bloß uns selbst, sondern unser Streben und Tun hat Bedeutung über unseren eignen Zustand hinaus. Das Leben des Alls wird der einzelnen Stelle zum eignen Erlebnis und erzeugt hier einen Quellpunkt eignen Schaffens. An dieser Stelle verlangt die Bewegung des Ganzen unsere Tat und kann ohne sie hier nicht vorwärts kommen. Indem damit das Leben unter den Gedanken der Verpflichtung tritt, erhält es einen schweren Ernst, aber zugleich eine unvergleichliche Größe, alle Leere und Nichtigkeit liegt nunmehr hinter uns. Ein solches Leben hebt uns nicht nur über den Naturprozeß, sondern auch über das Durchschnittsgetriebe mit seiner Kleinheit und seiner Scheinhaftigkeit sicher und weit hinaus. Teilhaber der Unendlichkeit, stehen wir doch auf uns selbst, inmitten weitverzweigter Arbeit und angestrengten Suchens gewährt jene höhere Ordnung uns eine innere Festigkeit und ruhige Freudigkeit. Zugleich verwandeln sich die Maße des Lebens: seine Größe hängt nun nicht mehr an der Leistung nach außen hin, sondern an der Belebung ursprünglicher Tiefe; was immer das Lebensgeschick an Verschiedenheit bereitet, das tritt zurück vor diesem uns allen gemeinsamen Werk, äußere Geringfügigkeit wird mit innerer Größe vereinbar; so sollte niemand von sich und seinem Leben niedrig denken. Denn als Bürger der Geisteswelt, als Quellen ursprünglichen Lebens können wir alle das Reich des Geistes mehren, sind wir alle königlichen Geblüts.

Dabei zeigte das Ganze des menschlichen Lebens eine fortschreitende Bewegung, ein Emporklimmen durch verschiedene Stufen. Über die natürliche Selbsterhaltung und über das Gemenge des gewöhnlichen Daseins treibt es hinaus zur Entfaltung einer Geisteswelt, aber zu dieser Hauptwendung kommt innerhalb der neuen Welt eine Scheidung zwischen Kulturarbeit und Religion. So entstehen drei Schichten des Lebens, die verschiedene Güter enthalten, verschiedene Forderungen stellen, verschiedene Weltdurchblicke erzeugen. Über der äußeren Notwendigkeit und der Nützlichkeit der natürlichen und gesellschaftlichen Selbsterhaltung erhebt sich weltbauendes geistiges Schaffen und entwickelt Wahrheit, Schönheit und Recht, über ihm aber wölbt sich als letzter Abschluß ein Reich weltüberlegener Innerlichkeit und weltüberwindender Liebe; zum Gelingen des ganzen Lebens müssen diese verschiedenen Stufen in steter Beziehung bleiben und wechselwirkend einander ergänzen, müssen die niederen zu den höheren weiterstreben und diese sich auf sie zurückbeziehen, muß jede einzelne sowohl ihr Recht behaupten als ihre Schranke erkennen. Bei solchem Zusammenwirken gewinnt das Leben eine fortlaufende innere Bewegung und einen überquellenden Reichtum.

So ist die erste und wichtigste Tatsache, daß im Bereich des Menschen ein der Natur überlegenes Leben erscheint, eine Geistigkeit, die als die Voraussetzung aller weiteren Bewegung eine grundlegende heißen mag. Aber wir können den Begriff des Geisteslebens nicht in dieser Art gegen die gewöhnliche Fassung steigern ohne auch die Hemmungen schwerer zu nehmen, denen seine Entwicklung im menschlichen Kreise begegnet; als eine zweite Haupttatsache ist anzuerkennen, daß das Geistesleben bei uns auf härtesten Widerstand stößt und in unablässige Kämpfe verwickelt wird. Das aber, wie wir sahen, nach drei Hauptrichtungen hin. Die Anerkennung des Geisteslebens als des Kerns aller Wirklichkeit ließ ein volles Aufgehen der Natur in die Bewegung zum Geist erwarten; wir sahen, daß das nicht der Fall ist, daß vielmehr das, was nunmehr sich als ein Niederes darstellt, sich bei sich selber festlegt und einem Aufstieg hartnäckig widersteht. Wir möchten ferner erwarten, daß wir uns dem Geistesleben nur zuzuwenden brauchen, um es in durchgebildeter Gestalt anzutreffen; in Wahrheit zeigt sich dies Leben bei uns unfertig, der Mensch muß größte Mühe daran setzen, über die matten Züge des Anfangs hinauszukommen; solches Streben führte die Wege weit auseinander und ließ die Menschen in harten Zwist geraten, in diesem Zwist schien leicht das Ganze des Geisteslebens auf menschliche Meinung gestellt und allem Zweifel unterworfen. Die schwerste Verwicklung aber erwuchs aus dem Widerstände, den das Geistesleben nicht nur draußen, sondern vornehmlich in der eignen Seele des Menschen findet. Was hier an geistiger Kraft sich regte, das ward oft in den Dienst niederer Zwecke gezogen, ja der Widerstand dehnte sich von Ganzem zu Ganzem aus, es erschien eine innere Spaltung des Menschenwesens, die Hemmung erreichte ihre größte Stärke, indem der Mensch nicht unterlassen konnte, eine Verantwortung auf sich zu nehmen und durch das Bewußtsein der Schuld alle Bitterkeit des Leides zu steigern. In dem allen eine Stufe kämpfender Geistigkeit.

Aber so schwer wir den Widerstand nahmen, wir fanden ihn, wenn auch nur in besonderen Richtungen, nicht nur bekämpft, sondern auch überwunden. Es zeigte sich im menschlichen Bereich weithin ein Gehobenwerden der Natur zur Geistigkeit; es zeigte sich weiter eine erfolgreiche Arbeit sowohl in den einzelnen Lebensgebieten als im Ganzen der weltgeschichtlichen Bewegung zur Ausgestaltung des Geisteslebens; wir fanden endlich in der Religion eine Erhebung über das Gebiet der Konflikte und die Eröffnung eines in Gott gegründeten Lebens. So trat zur kämpfenden eine überwindende Geistigkeit. Aber so gewiß diese Überwindung zeigt, daß der Lebenskampf nicht vergeblich ist, sie bedeutet keinen reinen Sieg, sie löst nicht glatt das Problem. Dazu läßt die Bewegung viel zu viel unergriffen, dazu behält das Feindliche viel zu viel Wirklichkeit. Das kann uns freilich nicht dem Zweifel überliefern, denn unangefochten von allem Bedenken bleibt die Grundtatsache des Erscheinens eines neuen Lebens; selbst die Widerstände können, näher betrachtet, diese Grundtatsache nur bestätigen. Ein Sieg des Zweifels bekundet daher nur, daß wir im Grunderlebnis nicht sicher stehen, die Verwicklungen unserer Lage übermannen nur den, der ihnen kein ursprüngliches Leben entgegenzusetzen hat. So wird die Stärke des Zweifels ein Zeugnis innerer Schwäche. Wohl aber zwingt uns diese Lage zu einem Urteil über das Ganze der Welt, welche den Menschen umfängt. Mit seiner Unfertigkeit und seinen Gegensätzen, mit seinem Angewiesensein auf weitere Tiefen kann es nicht das Ganze der Wirklichkeit bedeuten und nicht in sich selbst seinen Abschluß tragen, es ist eine besondere Art des Seins, die tieferer Gründe und weiterer Zusammenhänge bedarf, um überhaupt zu bestehen und einen Sinn zu erlangen. So hat auch unser Handeln nicht in dieser widerspruchsvollen Welt seine letzten Ziele zu suchen, es muß inmitten alles Kampfes unbeirrt auf eine Welt selbständiger und überlegener Geistigkeit gerichtet bleiben und ihrer Förderung dienen, in festem Vertrauen darauf, daß letzthin nichts von dem vergeblich und verloren sein kann, was zum Aufbau des Reichs des Geistes geschieht. Alle Unfertigkeit unserer Welt kann uns nicht erschrecken, wenn wir diese als ein Glied weiterer Zusammenhänge verstehen und in ihr mehr einen Beginn als einen Abschluß erblicken. Unser Leben behält auch dann einen Sinn und Wert, wenn es mehr ein inneres Vordringen als ein äußeres Überwinden, mehr ein Erwecken und Sammeln der Kräfte als ein volles Erreichen der Ziele ist, wenn es in Zusammenhängen steht, die es nicht klar durchschauen kann. Das war auch die Überzeugung Luthers, wenn er meinte: »Es ist noch nicht getan und geschehen, es ist aber im Gange und Schwange, es ist nicht das Ende, aber der Weg. Es glühet und glänzet nicht alles, es feget sich aber alles.«

Solcher Stand der Dinge führt notwendig auf das Problem der Unsterblichkeit; nicht nur niedrige Lebensgier, unersättliches Mehrhabenwollen, sondern ein unabweisbares Verlangen des Geisteslebens legt es uns zwingend auf. Augenscheinlich macht die Neuzeit eine Bejahung dieser Frage sehr schwer. Schon die unermeßliche Ausdehnung der Welt in Raum und Zeit stellt diese in ein anderes Licht als da, wo die Erde der Mittelpunkt des Weltalls dünkte und der ganze Weltlauf sich in kurzer Zeitspanne zu vollenden schien; dazu tritt die Abhängigkeit aller geistigen Betätigung von körperlichen Bedingungen uns immer klarer vor Augen. Wenn ferner erst das Geistesleben den Menschen zum Menschen macht, so muß die Geringfügigkeit der geistigen Regung an den meisten Punkten erschrecken; selbst wo geistiges Leben durch Erziehung und Beruf zu leidlicher Kraft erweckt ward, schläft es oft im Verlauf des Lebens fast vollständig wieder ein, und alle geistige Regung verschwindet in ein ödes Philister- und Banausentum. Die Seele scheint schon erloschen, während der Körper noch lebt. Was soll solchen toten Seelen ein Fortleben über dies Dasein hinaus? Endlich lassen uns auch erweiterte Begriffe vom Geistesleben die Enge und die Bedingtheit unserer Daseinsform immer stärker empfinden, wir können es nicht mehr mit der älteren Denkart als ein unbedingtes Glück erachten, diese besondere Daseinsform mit all ihrer Enge und Zufälligkeit durch alle Zeiten weiterzuschleppen, mancher von uns dürfte ein völliges Erlösen solcher starren Festlegung vorziehen.

Aber soviel in der Neuzeit einer Bejahung widersteht, auch eine glatte Verneinung ist dem unmöglich, der jenes Bild des Lebens, das wir entwickelten, anerkennt. Denn erscheint das Leben seinem geistigen Gehalte nach nicht nur beim Einzelnen, sondern auch beim Ganzen der Menschheit als durch und durch unfertig, als der bloße Beginn eines Weges, und besteht nicht die mindeste Hoffnung, daß der nächste Daseinskreis sich je in ein Reich der Vernunft verwandle, steigert vielmehr aller Fortschritt auch die Verwickelung, so müßte der Abschluß bei diesem Stand die ganze Bewegung zur Geistigkeit sinnlos machen; alle Mühe wird vergeblich, wenn die Entwicklung geistigen Lebens nicht irgendwie über diese Bindung hinausreicht und auch das Einzelwesen irgendwie darüber hinaushebt. Wenn damit ein Verlangen nach bleibender Dauer entsteht, so könnte solche Dauer sich nur auf den geistigen Kern erstrecken, der in uns angelegt ist, und es liegt die Frage nahe, ob, wenn der Verlauf des Lebens die Anlage nicht zur Selbsttätigkeit erweckt, dieser Punkt sich dauernd behaupten und sein Vermögen nicht anderweit verwandt werden wird.

Wichtiger als alles Grübeln in die Zukunft ist die Tatsache, daß schon jetzt bei uns sich zeitüberlegenes Leben bildet, daß der Mensch an einer ewigen und unendlichen Ordnung teilzugewinnen vermag, und zwar – darauf kommt es an – nicht nur mit einzelnen Betätigungen, zum Beispiel dem Denkvermögen, sondern als geistige Energie, als weltumfassendes und weltgestaltendes Wesen, mit einem Ganzen des Seins; was sich dabei an Überzeitlichem erweist und entfaltet, das kann nicht ganz in den Strom der Zeit vergehen. Wir harren nicht erst auf eine Ewigkeit, wir stehen in einer Ewigkeit. So meint es auch Goethe, wenn er sagt:

»So löst sich jene große Frage
Nach unserm zweiten Vaterland,
Denn das Beständige der ird'schen Tage
Verbürgt uns ewigen Bestand.«

Immerhin bleibt die Sache viel zu dunkel, um den Vordergrund unseres Lebens bilden zu dürfen; so sei nur eine dogmatische Verneinung abgelehnt. Daß jenes Dunkel den Vorteil hat, unser Streben bei diesem Leben festzuhalten, das uns wahrlich genug zu tun gibt, und zugleich dem Handeln kleinliche Lohngedanken fernzuhalten, das hat kein geringerer als Kant in seiner Kritik der praktischen Vernunft als sein Bekenntnis ausgesprochen. Er schließt eine tief eindringende Erörterung dieser Frage mit den Worten: »Also möchte es auch hier wohl damit seine Richtigkeit haben, – daß die unerforschliche Weisheit, durch die wir existieren, nicht minder verehrungswürdig ist in dem, was sie uns versagte, als in dem, was sie uns zuteil werden ließ.«


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