Hermann Essig
12 Novellen
Hermann Essig

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Heiraten oder Xilinde Holly!

Xilinde Holly beschäftigte sich mit Heiraten.

Sie war jetzt fünfundvierzig Jahre alt. Vor ihr lag auf einem wackelnden dreifüßigen Tischchen ein Buch aufgeschlagen. Sie selbst erfüllte eine Sofaecke und zog ab und zu den Inhalt der Nase wieder hinein. Weil sie sehr scharf dachte, so hatte sie keine Zeit, aufzustehen, um ein Taschentuch aus der Kommode zu holen. In der andern Sofaecke saß der Mops und tat wie seine Herrin.

Ein asthmatisches Stöhnen ging im Zweitakt durch den Raum.

Die Kaffeetasse auf dem achteckigen Salontisch rauchte dazu wie eine Fabrik in ferner Landschaft.

Weit weg lag alles für Xilinde. Ihre blauen Augen träumten zwischen zwei Butterkissen, lediglich durch eine kleine Stülpnase getrennt, von dem platzenden Auftrieb des Busens, bis allemal der Stöhner kam, längst nicht mehr behelligt.

Ja, Xilinde stöhnte, sie war in sechs Tagen fünfundvierzig Jahre alt, und heute war Montag.

In dem vor ihr aufgeschlagenen Buche stand der Satz: ›Die Gebärfähigkeit hört bei Frauen – bei Männern nämlich nicht – mit dem fünfundvierzigsten Lebensjahre auf!‹

Es war zum Heiraten! Dieser Satz verlangte ungeheure Beschleunigung aller Unternehmungen Xilindes. Sie stand vom Sofa auf, ihre Fußsöhlchen fanden den Boden, und der Mops schüttelte sich.

Wo ging die Reise hin?

Zunächst einen Schluck heißen Kaffee, dann nachsehen, ob die Heiratszeitung schon durch den Schlitz gesteckt war.

Sie stak!

Xilinde orgelte es im Busen.

Der Mops nieste, und war zuerst wieder in der Sofaecke. Ein blitzend schlaues Lächeln ringelte sich von den keuschen Rebenhügeln-Wangen herab und verhuschte in Xilindes Augen. Das Sofa federte gummiartig gegen die daraufgeworfene Doppelhemisphäre Xilindes, welche ohne jede künstliche Nachhilfe bei tadelloser Unberührtheit wundervoll nächtlich vor dem Spiegel leuchtete.

Augenblicklich war es noch Tag.

Xilinde hatte mit langtrainierter Geschwindigkeit die Heiratszeitung durchflogen. Es schien wieder nichts Brauchbares darinzustehen. Lauter Offerten, welche sie samt und sonders schon hinter sich hatte.

Nur wieder das eine Inserat war auffällig: Begegnung im Bade erwünscht.

Wie sollte sie es anstellen, daß der Interessent sie in der Badewanne sehen konnte!? Es war ihr das zu arrangieren immer unmöglich vorgekommen. Aber da das Inserat öfters so lautete, so mußte diese Art doch da und dort im Gebrauch und von Erfolg gewesen sein!

Begegnung im Bade erwünscht. Xilinde brütete vor sich hin. Wie das arrangieren!

Bis zum fünfundvierzigsten Lebensjahr, nur noch sechs Tage hatte sie Gelegenheit – oder wenigstens Möglichkeit – erfolgbegleitet zu heiraten. Es war Montag, und am Sonntag waren die sechs Tage um, da war's aus für alle Ewigkeit.

Sie hatte Geld und konnte sich den Luxus auch außerehelichen Sprößlings leisten, wenn sie nur erst den Mann dazu hatte.

Es war nicht zu glauben, in welcher Unangefochtenheit Xilinde bis hierher gealtert war. Was manchem Weibeswesen eine Unbegreiflichkeit war, hatte sie ohne Zutun mit genialer Leichtigkeit im Zeitraum von siebzehn Möpsen fertig gekriegt.

Nur von dem Gesichtspunkt aus war das Glück überhaupt noch erreichbar – das aufgeschlagene Buch klappte sie energisch zu –, nur von dem Gesichtspunkt aus, daß sie sofort eventuell ohne Einhaltung konventioneller Zeremonien heiratete.

Aha, jetzt! – Darauf ging ja auch die Spekulation des Inserats! Denn, anzunehmen war, daß ein Mann, welcher im Badezimmer seine Antrittsvisite machte, solcher Mann . . . Xilinde stöhnte so furchtbar, daß sie diesmal einen wahrhaftigen Stich spürte, und ihr eine Röte hinaufschoß.

Sie begab sich an das polierte Schreibtischchen.

Sie entnahm hastig einen Bogen Briefpapier und schrieb. Ach, dachte sie, wie oft hatte sie, aber natürlich, vergebens, geschrieben! Diesmal war ja der Erfolg schon im voraus verbürgt, das heißt, – eine dunkle Wolke stieg in ihr auf: Wenn der betreffende Herr kein absonderlicher Mensch war. –

Aber sie schrieb mit tapferer Entschlossenheit: ›Sehr geehrter Herr! In Bezugnahme auf Ihr Inserat bin ich bereit, Sie morgen um 11 Uhr im Bade zu empfangen. Mit vorläufigem Gruß Xilinde Holly, Geranienstraße 1, gleich Ecke.‹

Mit einem teuflischen Triumph war der Brief versiegelt und zur Post gegeben.

Nie kam einer? – diesmal kommt 'r!

Sie verbrachte den Abend und beinahe die ganze Nacht vor dem Spiegel in fleischlichen Equilibrationen.

Ob von vorne oder hinten! sie sich zuerst zeigen sollte, wenn er hereinkam, oder ob sie gerade die Dusche nahm?

Sie nahm ein Versuchsbad vorher und ließ ein Trumeau ins Badezimmer schaffen. Sie fand sich entzückend.

*

Durch die furchtbare Erregung, in welcher sich Xilinde befand, wurde sie tatsächlich über Nacht hübsch und wie der Philosoph sagt: ›Größen haben nur Geltung durch Verhältnis‹. Xilinde war wohl dick, aber bei der famosen Harmonie aller Teile doch niemals fett oder unförmig.

Der Mops bekam diesen Tag Ohrfeigen und Küsse, wahllos. In robbenhafter Behendigkeit spielte Xilinde mit dem plumpen Tier.

Um Zehn wollte sie in das Bad steigen, damit sie gewiß darin war, wenn er je schon ein paar Minuten früher käme.

Es war ein prachtvoll schöner Morgen.

Und die Stunde kam. Xilinde gähnte und betrat die Badestube.

Zunächst setzte sie sich in ruhiger Erwartung auf den Grund der Wanne. Dann aber rückte die Uhr bedenklich auf die Elf.

Xilinde, wenn es jetzt läutet! wo wirst du hinfliehen? oder wirst du sitzen bleiben? wirst du's wagen oder wirst du die Badestube vorher noch abriegeln?

Begegnung im Bade erwünscht. Was mußte das für ein Mann sein! Einer, der noch keine gesehen hat, oder der schon zu viele gesehen hat! Einer, der Angst hat, oder einer der – sicher gehen will, daß sie schön ist? – dann war es ein Wüstling! Oder einer, der foppt.

Wenn es zum Beispiel einer wäre, welcher unter der Badetür stünde, dort ein Monocle aufsetzte und damit genug hätte! Xilinde schraubte dann einfach die Brause auf und würde sich seinen Augen, unter dem gießenden Wasserschleier, sehr verbergen.

Bisher war sie ganz still gesessen, aber jetzt plantschte sie ab und zu Wellen vor sich auf.

Auf einmal klopfte es an die Türe. Xilinde blieb still.

Es klopfte wieder.

Xilinde rief. »Wer ist draußen?«

Es antwortete: »Ein Herr, der das gnädige Fräulein sprechen will.«

Schematisch rief Xilinde zurück: »Führen Sie den Herrn in den Salon!« – Die Schritte des Mädchens entfernten sich von der Türe. Xilinde stockte alles Blut. Sie stieg aus der Wanne und warf ein Badetuch über. – Sie fühlte, der Empfang im Bade war unmöglich. Auf diese einfache Art ging die Sache nun doch nicht.

Schon wollte sie sich rasch ankleiden, als plötzlich das Mädchen gestürzt kam. »Gnädiges Fräulein, der Herr will auf das Klosett!«

Schnurstracks flüchtete Xilinde, unangezogen, in das nebenliegende Schlafzimmer und wußte in der Verzweiflung nichts zu tun, als das Bett aufzuwerfen und sich unter die Bettdecke in Sicherheit zu bringen.

Einstweilen trat der Herr in die Badestube und fand dort zu seiner Freude und zu seinem Erstaunen ein benutztes Bad. Es roch nach köstlicher Seife. Wo aber war die Schöne, welche ihn empfangen wollte? Er hustete.

Xilinde schwitzte unter der Decke. Wie hatte der Entwurf gegen die Wirklichkeit ausgesehen! Alles war plötzlich wie in einem Melkkübel. Der Stil der Gedanken was weg. Plötzlich waren Menschen da, die sprachen, die etwas von ihr wollten. Im Fieber liegend, hätte der Anruf ihres Mädchens an der Türe nicht schrecklicher getönt, als jetzt.

Xilinde hörte den Mann reden.

Der Herr redete: »Wollen Sie ihrem gnädigen Fräulein doch sagen, ich sei der Herr, welcher durch einen Brief schon vorbereitet sei, ich würde durchaus die Bekanntschaft wünschen.«

Das Mädchen lief, wohin lief sie – Xilinde biß die Decke – das Mädchen lief zu ihr herein! ins Schlafzimmer.

Auf alles, was das Mädchen redete, antwortete Xilinde kein Wort.

Es vergingen zehn volle Minuten. Nur der Mann trottete und nieste zwischen Schlafzimmer, Korridor und Badestube herum.

Endlich besann sich der Herr nicht länger, er schritt der Korridortür zu und schimpfte: »Elende Gemeinheit! Man hat seine Zeit doch nicht gestohlen! Ich wollte ja auch erst in Norderney! – –« Die Korridortür flog zu.

»Nein, nein!« kam ein schriller Schrei aus dem Schlafzimmer. Xilinde vergaß sich gänzlich, sprang, wie sie war, aus dem Bette und lehnte sich schwer ringend auf das Fußende des Bettes, während das Mädchen ratlos unter der offenen Türe stand und nur sah, was es nicht begreifen konnte.

Was wollte es tun! Es schritt in der guten Absicht, Trost zu spenden, auf Xilinde von hinten her zu.

Aber Xilinde kam plötzlich die entblößte Stellung zu gräßlichem Bewußtsein. Sie schrie das Mädchen an: »Gehen Sie weg! Sie Schwein!!«

»Aber ich habe es ganz gewiß nicht so aufgefaßt,« schlich sich das Mädchen langsam verschüchtert hinaus.

Es war Xilinde, als wäre sie ihrer ganzen Würde beraubt. Als sie längst wieder angekleidet war, konnte sie nicht einmal mehr den Mops ansehen.

Und noch war nicht das Geringste, Schamverletzende geschehen!

Sie schlug das Buch auf und las den Satz nach, ob nicht sechsundvierzig statt fünfundvierzig da geschrieben stand. Sie schlug hinten die Berichtigungen auf, aber es war ein Schauder. Mit fünfundvierzig war alles vorbei.

*

»Ich wollte ja auch erst in Norderney – –« Was bedeutete das?

Xilinde sann, sich anstrengend.

Norderney war ein Bad, wollte der Herr etwa in Norderney –? war so die Begegnung im Bade zu verstehen?

Xilinde war ein unglückliches Geschöpf.

Sie trat wiederholt vor den Spiegel und kam sich wie ein ganz nettes rundes Busselchen vor. Trotzdem, das Gefühl, daß sie neben andern, zwischen andern im offenen Becken der Nordsee badend, nicht als Schönheit zur Schätzung kam, dieses Gefühl konnte sie nicht verscheuchen.

Sie beschäftigte sich darum gar nicht lange damit, das Inserat nach dieser Seite hin zu prüfen. Sie blieb dabei: »Begegnung im Bade« war »Begegnung in der Badewanne«, ebensogut.

Als die Woche dem Ende zuging, war die bittere Erfahrung vom Dienstag wieder vergessen, und bei Xilinde war das Heiraten wieder im Zenith der Sinne.

Sie entschloß sich. Dem Herrn schrieb sie noch einmal. Sein Inserat war am Donnerstag wieder erschienen. Seltsam, der Herr hatte nichts gefunden, es war schon, als wenn er für sie da wäre.

Sie schrieb: »Sehr geehrter Herr! Ich weiß, Sie haben mein Benehmen sehr sonderbar gefunden, aber ich hatte nicht den Mut, mich zu zeigen. Aber wenn Sie noch einmal die Güte haben wollten, so würde ich Sie bitten, doch zu kommen. Ich werde das Mädchen instruieren, daß sie Sie einfach hereinläßt. Dann weiß ich nicht, wann Sie kommen. Sie sind dann in der Wohnung und können tun, was Sie wollen. Mit der Bitte um Entschuldigung Ihre Xilinde Holly, Geranienstraße 1.«

So kam's.

Xilinde setzte sich wie ein Opferlamm ins Bad.

Sie wollte nichts tun und alles in Ergebung erwarten. Daß Geduld die schönste Eigenschaft der Frau war, wußte sie ja, denn sie war vierundvierzig Jahre geduldig gewesen. Und auch jetzt würde sie nicht so pressiert haben, wenn nicht die berühmte Autorität in jenem Buch jenen Satz geschrieben hätte: »Die Gebärfähigkeit hört bei der Frau mit dem fünfundvierzigsten Lebensjahr auf.«

Es ging alles zu, wie das letztemal. Nur trat der Herr kurz entschlossen in die Badestube ein.

Xilinde drückte sich mit den Händen schamhaft die Augen zu.

Der Herr stand leise im Baderaum, dann hantierte er an sich herum. Xilinde, welche die Augen nicht aufzudecken wagte, war des festen Glaubens, daß sich der Herr entkleidete bis auf einen etwaigen Rest.

Aber auf einmal klangen die ganz nüchternen Worte: »Nun 's ist gut, ich habe Augenschein genommen.« Der Herr hustete und wollte gehen.

Xilinde deckte die Augen rasch auf. Die Hände wurden ihr gleichsam vom Gesicht geschlagen. Sie rief entschlossen: »Und nun ist's gut, nun wollen Sie gehen?«

»Gewiß meine Gnädige,« tönte es spöttisch zurück.

Jetzt vergaß sich Xilinde wieder ganz. Sie sprang aus der Wanne. Wie gewandt das dicke Maßchen klettern konnte! Durch die Schlafzimmertüre sprang sie quer hinüber zur Korridortüre und hatte einen Vorsprung vor dem in den unbekannten Räumen unbehilflich Fliehenden gewonnen.

Sie konnte die Türe gerade noch recht verschließen und sich entgegenwerfen.

Xilinde erhielt einen Stoß vor die Brust.

Jetzt sah sie den Mann mit furchtsamen Augen an und begann sich wieder zu verstecken. Aber dabei erschien sie doch in der Tat viel schöner, als sie sich im Bade ausgenommen hatte.

Es wurde dem Manne, nachdem er die Faust gebraucht hatte, wie Reue. Er trat Xilinde näher und bat sie um Verzeihung.

»Lassen Sie, ich werde mich ankleiden.« Spielend gelangen ihr in ihrem Verletztsein alle die Dinge, wie sie andern Frauen gelingen, um den Geliebten festzuhalten.

Zeigen und verbergen.

Xilinde wurde ein unerwartet reizvolles Wesen. Der Herr begann zu bekennen, daß er schon seit zwanzig Jahren die Begegnung im Bade suche, er aber bei der großen Wahl nie zu wählen imstande gewesen sei. Aber er würde Xilinde nicht einmal sehr korpulent finden, es liege im Gegenteil eine gewisse weiche Geschmeidigkeit trotz allem in allem.

Am Sonntag stand der Mops mit einer rosa Schleife im Halsband da und einer blauen am Schwanzende.

Xilinde schlug verschämt das Buch auf und führte Knollenbergs Finger auf die Stelle, so daß er verlegen laut auflachte, weil er den Abschnitt wohl kannte und wußte, daß zehn Zeilen weiter ein bedenkliches Alter auch für den Mann angestrichen war.

So war Eile doppelt am Platze.


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