Hermann Essig
12 Novellen
Hermann Essig

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Der schöne Beck.

Der schöne Beck war verlobt!

Wie ein Orkan brauste es durch alle Kneipen und Ballsäle. Wie hieß die Glückliche, welche das entzückende Bärtchen Henri quatre kratzen fühlen durfte? Eine Dame der Halbwelt natürlich. Man konnte sich denken, daß Beck, ein schöner Mann, Lumpengeschmack hatte.

Eine krause Wut zeichnete nach dem Bekanntwerden so manches Mädchenantlitz der Oberwelt. Ein Beweis, wie beneidenswert eigentlich die Unterwelt war. Und man zweifelte nicht, daß dieser schöne Beck es fertig bringen würde, die berüchtigte Elena in der Oberwelt heimisch zu machen.

Elena saß dann mit ihrem bukettierten Rufe wie ein Schatten mitten unter den Frauen des unantastbaren Leumunds. Es war nicht auszudenken. Und doch war Beck so schön, daß keine einzige gegen ihn Stellung zu nehmen wagte, er konnte sich einfach alles erlauben. Man murrte in der Stille, und bewunderte seine Schönheit nach wie vor laut.

Ganz anders stand die Sache mit Beck selbst. Wohl hatte er sich verlobt, aber nur, um scheinbar zu heiraten. Er wollte es prüfen, wie der Wirbelwind in die Krinolinen fuhr. Deshalb hatte er sich Elena ausgesucht.

Er hoffte, diese Person ebenso leicht, wie er sie genommen hatte, wieder abschieben zu können. Dann wäre die Frauenwelt noch rasender um ihn geworden, wenn er wieder frei war. Beck war ein dämonischer Kavalier und hatte sich dieses Programm ohne Mephistos Hilfe zurechtgelegt.

Elena hatte in ihrem Leben schon wahrhaft viel hinter sich und hatte energische Nüstern. Freilich, der schöne Beck war kühn genug, ein Scherzspiel mit ihr zu wagen.

Elena, war sie so unerfahren geblieben, daß sie dies nicht von der ersten Stunde an merkte, wie er mit wohlgesetzten Liebesschwüren nahte, heißes Begehren in den Augen?

Offenbar ließ sie sich von Beck anbeten nach Herzensnöten und war der Spielball seiner Liebesleidenschaft. Man glaubte, ein Kindchen zu sehen, so verändert war Elena. Sie gab sich ganz ihrem Heiland, dem schönen Beck, hin und sie zeigte sich hingegeben, unwiderstrebend allem, was er von ihr begehrte.

So kam es, daß der schöne Beck viel von ihr hatte und genug hatte, ganz wie er es ahnte. Er wußte, diese Hingabe an mich ist so groß, daß ich die Hingabe auch nicht einbüße, wenn ich Elena zu Boden trete.

Er erschien eines Tages bei ihr und erklärte ihr, daß ein Ende sein müsse, müsse. Er hatte erwartet, Elena würde in Ohnmacht fallen, und er würde sie ein letztesmal, in Krämpfen liegend, besitzen, aber es war anders gekommen, der schöne Beck erhielt eine glatte Ohrfeige.

Also so einfach kam er nicht los von ihr. Der schöne Beck mußte krank werden, er, der Held, mußte in eine sieche Krankenstube flüchten, um Elena zu entgehen. Er mußte tun, als wollte er seine Schönheit aufgeben, nur um ihr zu entrinnen.

Über Elena regneten die Flüche der ganzen weiblichen Einwohnerschaft. Wahrscheinlich hatte sie ihn krank gemacht. Sie war verrucht! Aber Elena blieb ruhig und trocken, mit energischen Nüstern.

Beck wurde immer kränker, da die Braut ihn täglich besuchte. Er verfiel in Fieber, und er deutete dem Arzte an, daß die Besuche der Braut für ihn aufregend und schädlich sein würden. Natürlich wurden die Besuche sofort verboten. Elena lächelte, sie wußte schon. Es genügte ihr, wenn sie sich künftig beim Pförtner des Krankenhauses nach dem Geliebten erkundigte.

Beck frug, ob die Braut es aufgegeben habe, sich für ihn zu interessieren. Doch er erfuhr, daß sie sich täglich zwei- bis dreimal sogar, unabwendbar, nach dem Befinden des todkranken Bräutigams erkundigte. Beck schwitzte furchtbar, und seine Taktik mußte durchdringen. Er verfiel in Delirium.

Elena, eine Dame der Unterwelt, mußte es zu dumm werden, sich mit einem kranken Kerl herumzuschlagen. Leider, Beck verrechnete sich gründlich.

Er bat darum den Arzt, der Braut ja seinen Zustand ungeschminkt mit der vollen erschütternden Wahrheit seines nahen Todes zu berichten.

Der Arzt berichtete einfach pflichtgemäß, daß es immer und immer, selbst den vereinten Anstrengungen von Professor, Medizinalrat und Assistenzarzt nicht gelingen könne, die Diagnose über die Krankheit des Herrn Beck richtig und präzis zu stellen.

Die Krankheit war ein absonderlicher Fall. Immerhin. Ein gewisses Fieber war da. Vielleicht Entlobungswahnsinn.

Wenn die Ärzte zum schönen Beck hineintraten, so lag er meist im Delirium, schließlich. Er delirierte von Ameisen, von Oxalsäure, von Büffeljagd, Tanzbeinen, Glasbläsern, Nordlandsreisen, Hauswirten, angenommenen Hühnern, überschwemmten Kellern, Orchideenzucht und Kletteraffen.

Ach, es war interessant, ihm zuzuhören. Der Medizinalrat ahnte bald, daß dieses Delirium nicht echt sein konnte. Das erstemal blieb die Visite zwei Minuten bei Beck und hörte nur kurz zu, was er faselte.

Man verschrieb ihm eine Morphiumspritze mit leichtester Dosis. Beck war entzückt, und er versäumte nicht, es Elena wissen zu lassen, damit sie Furcht kriegen würde, später einen Morphinisten zu besitzen, wenn sie ihn nicht endlich aufgab.

Das zweitemal verweilte der Rat eine Minute länger, und er flüsterte laut »Morphium«, sagte aber leiser »Wasser« in die Ohren der Assistenz.

Mit Beck wurde jetzt einfach Schindluder getrieben. Jedesmal, wenn die Ärzte mit grimmigem Gesicht bei dem Patienten verweilt hatten, mußten sie sich nachher krampfhaft zusammennehmen, beim Verlassen des Zimmers nicht laut hinauszulachen. Und der Medizinalrat war so perfid, täglich eine gezählte Minute länger bei ihm zu bleiben. Beck mußte auf diese Weise täglich länger delirieren.

Der Medizinalrat sagte scherzend zu seinem Begleiter: »Merken Sie genau auf, unser Lieber wird bald nichts mehr zu reden wissen, ich glaube nicht, daß er ein so vorzüglicher Dichter sein wird, bei jedem Tage seine Phantasie eine Minute länger zu dehnen.«

Beck schwitzte allmählich Pein bei seinem Delirium, nun sollte er schon während der Dauer von ganzen langen fünfzehn Minuten immer neue Einfälle haben. Er merkte, daß er versagen würde und änderte seine Taktik.

Er war ja unter Anwendung von Wasserspritzen bereits ein verzweifelter Morphinist geworden. Er beschloß, von jetzt ab in Apathie still zu liegen.

Der Medizinalrat hatte gewonnen. Als sie eintraten und Beck still lag, schlaff, scherzte er laut: »Sehen Sie, meine Herren, Herr Beck weiß nichts mehr.« In diesem Augenblick wäre er beinahe aufgeschnellt und aus dem Bett gesprungen, um das Krankenhaus, das keinen Erfolg verbürgte, zu verlassen. Aber er beherrschte sich noch einmal und blieb regungslos liegen. Doch eine gewisse leise Zuckung seines Mundes und ein bißchen Farbe der Wangen war dem geübten Auge des Arztes nicht entgangen.

Da man allmählich längst erkannt hatte, worauf das Krankenspiel hinauslief, verschwor man sich nunmehr mit der Braut. Man wollte sehen, ob die Krankheit eine Besserung zum Guten nahm, wenn sie sich nicht mehr nach dem Herren Bräutigam erkundigte.

Zwar am Tage nach der Entlarvung delirierte Beck wieder etwas, doch nur, indem er ein, zwei Worte lallte. Der Medizinale äußerte leise: »Meine Herren, der Fall scheint doch nicht ohne Bedenken.« Die Assistenz meinte, es wäre wichtig, endlich ein abschließendes Urteil zu bekommen, denn die Braut des Kranken habe nachdrücklich schon in der Frühe vorgesprochen, »sie müsse nun endlich wissen, ob er je wieder gesund würde, sie könne – er setzte es ganz leise hinzu – nicht ewig auf einen hoffnungslosen Menschen warten.«

Beck, als er es hörte, hämmerten die Pulse, endlich sollte wirklich die Befreiung kommen? Dann war es der Segen seiner Hartnäckigkeit im Simulieren.

Der Medizinalrat trat, durch den Bericht seines Assistenzarztes offenbar bestimmt, näher an das Bett und fühlte den Puls: »Sehr frequent und Deliriumerscheinungen äußerst bedenklich.« Damit verließ er den Kranken.

Für Beck schien eine neue Sonne aufzugehen. Als sie draußen waren, richtete er sich auf und lachte in seinen Taschenspiegel neue verliebte Faungesichter für Weiber, Weiber, andere als Elena.

Und wirklich schon am Nachmittag hatte sich Elena nicht mehr nach ihm erkundigt.

Nun fragte es sich, sollte er sehr rasch gesund werden oder noch eine Weile Delirium mimen. Um die Meinung vor den Ärzten nicht zu verlieren, entschied er sich für das letztere. Er war in der Not seiner knappen Phantasie allmählich auf die Idee verfallen, nicht mehr von Elefantenabenteuern zu delirieren, sondern lieber die nächste Umgebung des Zimmers nacheinander in absonderliche Betrachtung zu ziehen, etwa die Wände anzusehen mit dem Blicke des Futuristen.

Er erfand damit reizende Dinge, und er freute sich der Wirkung auf die Ärzte. Namentlich ein großer Globus, der im Zimmer stand und seine liebe teure Mutter Erde darstellte, gab ihm eine Menge Gelegenheit zu astrologischen Viechereien.

Der Medizinalrat zeigte ein ganz besonderes Interesse für diese neue Epoche. Er ließ deshalb den Globus herausnehmen. Über das Fehlen des Globus delirierte dann Beck in der genialen Abstraktion: »Ich sehe den Mond nicht.«

Der Medizinalrat schmunzelte und dachte: »Warte, ein zweites Mal werde ich dich entlarven, aber so, daß du mir nicht entrinnen kannst.«

Er ließ vom Assistenzarzt die Erdkugel umdrehen, so daß der Südpol oben war und der Nordpol unten, sodann den Globus dem Kranken wieder ins Zimmer in seiner Verkehrtheit zurückstellen.

Zur Visite ging er diesmal mit ganz besonderer Stimmung, ließ sich natürlich äußerlich nichts anmerken.

Und es war prachtvoll, dieses Delirium! Eine vollständige abgerundete Sinfonie. Herr Beck sprach: »Butterstullen, Erde dreht sich verkehrt um die Sonne, pr Mauseschwänzchen.«

Dann war er still.

Der Medizinalrat wiederholte laut: »Butterstullen,« noch lauter, »die Erde dreht sich verkehrt um die Sonne,« »Herr Doktor, geben Sie einmal den Globus her! heda, Herr Beck, wollen Sie den Schwindel nicht eingestehen? der Globus ist allerdings verkehrt aufgesteckt.«

Ein Riesengelächter. Die ganze Pflegerinnen- und Schwesternschar stürmte an das umlachte Bett des Herrn Beck.

Der schöne Beck saß aufrecht und verlegen im Hemde vor all den Damen.

Ihn tätschelnd, meinte der Medizinalrat weiter: »Herr Beck, wir danken Ihnen im Namen der Krankenhauskasse sehr für Ihren langen Besuch, doch, da sie Ihre Braut schon mehrere Tage los sind, so würde ich Sie bitten, anzuerkennen, daß die Erde noch gleich wie bisher umläuft, damit Ihr Bett für ernstere Patienten frei wird. Adieu, Herr Beck. Sie sind gesund und können gleich aufstehen und uns, ich hoffe, als geheilt verlassen.« Damit reichte er ihm die Hand und befahl das Personal hinaus

Beck sah in seinen Taschenspiegel, klingelte und ließ sich vom Portier die Kleider beschaffen.

Während der Portier die Kleider herkommandierte und Elena die Entlassung des Herren Bräutigams telephonisch mitteilte, machte Beck herrliche gymnastische Übungen, um seinen bettlägerigen Körper wieder apollisch zu fühlen. Er erkannte zu seiner ungewöhnlichen Freude, daß, wenn er einige Filetbeefsteaks gegessen haben würde, er wieder der alte magnifique schöne Beck war.

Und wie würden die Weiber, Weiber, neue Weiber bezaubert, wenn es herumlief, daß er wieder herumkavalierte!

Der Portier brachte die Kleider und erhielt ein klotziges Trinkgeld, worauf er die Mütze zog bis zu den Waden und stramm abtrat.

Der schöne Beck stopfte sich seit fünf Wochen das erstemal wieder die Hosen. Er sah dabei hinaus über die Platanen vor dem Portal des Krankenhauses. Er bemerkte jetzt erst, wie er sich selber freiwillig zu einem Gefangenen gemacht hatte. Aber der Preis war es wert. Für fünf Wochen Simulieren Freiheit von einem lästigen Weibe.

Den Leichtsinn einer Verlobung wollte er ja nie wieder begehen! Verlobt war schneller als entlobt.

Er klingelte noch einmal, das letztemal. Die bedienende Schwester kam mit lächelndem Antlitz. Sie empfing den Obolus: »Ich werde es in die Opferkasse legen.« In angenehmer Laune sollte ihn das ganze Krankenhaus gehen sehen. Man sollte Respekt vor ihm haben. Er machte eine Schenkung. Der Medizinalrat kam noch einmal und lobte ihn und Beck befahl, um die Protzerei rund abzuschließen, eine Autodroschke.

Seltsam, der schöne Beck wußte doch überall alles um ihn herum auf die Beine zu bringen. Sein Abgang aus dem Spitale gestaltete sich zu einer Art Triumphzug. Die Fenster waren von Kranken belagert, um den Mann mit dem verkehrten Globus und der versagenden Deliriumsphantasie zu sehen, Beck, den schönen, den großen Heuchler.

Er schritt dem Tor zu. »Portier, wo ist die Droschke?«

*           *
*

Der Portier, es sauste gerade ein Auto vor, rannte an das Portal, öffnete weit, aber das Auto stoppte vorher ab und hielt. Der Chauffeur winkte gegen den Wagenschlag, der Portier lüpfte die Mütze und öffnete dienstbeflissen.

Eine Dame entstieg mit prachtvollem Bukett.

Unter Beck wankte der Boden. Elena beglückwünschte ihn zur Genesung.

Was sollte er anfangen? Angesichts des lachenden Hauses mußte er sich von Elena, von der alten Geliebten, der er nicht mehr entrinnen konnte, in das Auto hineinküssen lassen.

Tut, tut und schwumms, schwang es sich im Galopp um die Ecke über eine der vielen Tiergartenbrücken. Dort entschwanden Beck und Elena der Welt.

Das vom Portier bestellte Auto lotterte unbeschäftigt trübselig davon.


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