Nataly von Eschstruth
Hofluft
Nataly von Eschstruth

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XI.

An dem Morgen nach jener inhaltsschweren Nacht, in der Herr von Flanken die Annahme seines Gemäldes in der Kunstausstellung gefeiert hatte, wurde es dem braven Frantusch Niekchen saurer denn je, seinen Gebieter den Armen des Gottes Morpheus zu entreißen. Das war schon für gewöhnlich kein leichtes Stück Arbeit und stellte hohe Anforderungen an das diplomatische Talent des Offiziersburschen, heute aber wollte schier gar nichts verfangen, kein Bitten und kein Schmeicheln, selbst die Meldung: »Kaffee kocht sik schon, Leutnant!« machte keinen Eindruck auf den Schöpfer des Bildes »Fuchs im Bau«. Flanken ruhte zum erstenmal auf seinen Lorbeeren, und da diese sehr, sehr reichlich mit den Freudentränen der Witwe Cliquot begossen waren, so ruhte er süß und fest auf ihnen, so behaglich, daß seinetwegen die ganze Kaffeemaschine neben ihm explodieren konnte, ohne ihn zu irritieren. Der Zeiger aber rückte unerbittlich vor, und der Herr Premierleutnant hatte Klassenreiten; wenn er dazu nicht rechtzeitig geweckt wurde, dann gab's womöglich ein Donnerwetter, erst für ihn und dann für Niekchen. Die fatale Naturerscheinung hatte der gute Junge bereits beobachtet und wußte daher, daß solche militärische Gewitter immer von oben nach unten ziehen und bei der niedrigsten Station zeitweise »einzuschlagen« pflegen.

Der Angstschweiß trat ihm infolgedessen auf die Stirn, und er schritt abermals an das Lager seines Herrn: »Leutnant, es schlaggt schon sieben Uhr!«

Flanken warf sich auf die andere Seite: »Schlag's wieder!«

»Leutnant, Pferrd steht schon halbes Stundel lang vor der Tür!«

»Himmelschockdonnerwetter, bring' ihm einen Stuhl runter! – Raus; will schlafen!«

Aber Niekchen wich und wankte nicht. »Leutnant muß aufstehn, Trumpeter blast schon!«

Der Premierleutnant dehnte die Glieder wie ein Löwe, wenn er erwacht.

»Blast schon?« wiederholte er mit aufkeimendem Interesse.

Niekchen stand am Fenster. »Leutnant, Leutnant! Muß sik aus Bett raus! Kommandeur reit sik vorüber!«

Dieser Angstschrei wirkte. Mit einem Satz war Flanken aus den Federn, völlig ermuntert.

»Wo? Zum Neunmillionenschock –!«

Niekchen hielt die Türklinke bereits in der Hand. Ein engelhaftes Lächeln sträubte sein spitzes Schnurrbärtchen, beruhigend schüttelte er den Kopf. »Is sik nix wohr, Leutnant; hot erst Zeiger auf viertel sieben geruckt!« Sprach's und zog schleunigst die Tür hinter sich zu.

Einen Moment stand der Überlistete sprachlos, dann zog ein Schmunzeln vollster Anerkennung seine Lippen in die Breite: »Ein Satanskerl! Aber kolossal intelligent! – Heda, Niekchen!«

Die Tür wurde ein wenig geöffnet, und der Lockenkopf des Gerufenen lugte mit aller Vorsicht herein. »Befehlt!«

»Reinkommen, du Gauner!« Flanken machte eifrig Toilette.

»Hör mal, lieber Niekchen, wenn ich nachher vom Dienst zurückkomme, leg mir den Paradeanzug zurecht!«

Niekchen schlängelte sich näher wie ein Ohrwürmchen. »Befehll. Is sik erster April heut, Leutnant!« fügte er vorsichtshalber noch wie zur Entschuldigung hinzu.

Der Premierleutnant tauchte das Haupt in kaltes Wasser. »Is sik noch viel mehr heute!« persiflierte er in rosigster Laune, zwinkerte geheimnisvoll mit den Augen und pfiff sich eins. – »Wir winden dir den Jungfernkranz mit veilchenblauer Seide.«

»Niekchen, merkste was?«

»Merke nix, Leutnant!«

»Esel!«

»Befehlt.«

 

Wie die Sonne am Himmel stand und lachte, und wie die grünenden Gebüsche im Stadtpark lachten! Jeder Vogel, der sich zwitschernd in die warme Frühlingsluft emporschwang, lachte mit, und alle Menschen, die dem Herrn von Flanken begegneten und ihn so blitzblank und glückstrahlend in seinem Paradeanzug daherkommen sahen, lachten ebenfalls, und dennoch hatten sie keine Ahnung davon, daß auf der Brust des jungen Offiziers ein Schreiben lag, in dem sich die Künstler-Jury für die Annahme des Gemäldes »Fuchs im Bau« aussprach. Auch sah es niemand den lackglänzenden Füßen, auf denen Herr von Flanken ging, an, daß es Freiersfüße waren.

Ein Schusterjunge blieb grinsend stehen und blickte forschend zu dem blonden Riesen empor. – »Herr Leitnant! Pst!« Flanken wandte sich hastig um, »Hm? Was ist denn los?« »Sie verlieren ja den eenen Sporn da driben!« »Zum Donner...« Der Ulan blieb stehen und schaute betroffen

nach seinem Stiefel. Laut johlend und sich außer »Greifweite« bringend, tat der Junge die verwegensten Luftsprünge. »Ho, ho! April! April!« höhnte er.

»Infamer Bengel!« Lachend blieb Flanken stehen und zog das Portemonnaie. »Na, du Range, komm her! Wer kriegt denn diesen Taler hier?! He?!«

Mit funkelnden Äuglein, in seiner Gier so eilig, daß die Holzpantoffeln schier klapperten auf dem Pflaster, sauste der Pfriemchen-Aspirant heran. »Iche, Herr Leitnant!«

Mit getreuer Kopie jener Grimasse, die der Bengel ihm soeben geschnitten, nickte Flanken jetzt zurück. »April! April!« – Sprach's, versenkte den Taler gelassen wieder in das Portemonnaie und wandte sich zum Weiterschreiten.

In seiner herben Enttäuschung laut aufheulend, bohrte das gefoppte Knäblein beide schmutzigen Fäuste in die Augen, ihnen eine Träne zu erpressen, und trabte also neben dem Herrn Ulan her.

»Siehste, du Lümmel, das ist für die Frechheit!«

»Es war ja doch bloß 'n Witz, Herr General!«

»Na, da soll's mit dem Taler auch bloß 'n Witz gewesen sein. Hier, kauf dir für fünfzehn Groschen Pflaumenmus und für den Rest Weißbier und futter's auf einen Sitz auf, dann kriegste noch was dazu!«

»Was denn?« grinste der Junge in atemloser Spannung, das Geld empfangend,

»Leibweh!« – Sprach's und stieg würdevoll die Treppe zu der Groppenschen Villa empor. – –

Jolante saß an ihrem Schreibtisch und verfaßte gerade einen Brief, als Herr von Flanken, speziell ihr, gemeldet wurde.

Riesengroß, aber durchaus nicht hoffnungslos stand er wenige Augenblicke danach vor ihr. Alles glänzte und strahlte an ihm, und Jolante schüttelte kokett die blonden Locken zurück und sagte kichernd: »Ja nicht auf diesen Bronzestuhl setzen, Herr von Flanken, der ›verträgt‹ eine solche Auszeichnung nicht!«

»So, ahnt er bereits, was für ein gewichtiger Mann aus mir geworden ist?«

»Er kennt Sie noch vom Winter her!«

»Dann hat er eine sehr falsche Meinung von mir.« Der Premierleutnant stützte sich mit beiden Händen auf seinen Säbel und sah die junge Dame martialisch an. »Fräulein Jolante – ich habe ein Bild gemalt!« Sie schlug lachend die Hände zusammen. »Mögen es Ihnen alle holden Musen gnädigst verzeihen!«

»Fräulein Jolante, ich habe meine Wette gewonnen, das Bild ist von der Künstler-Jury für die Kunstausstellung angenommen!«

Da warf sich das Elfchen in die blauen Atlaspolster zurück und lachte, lachte noch viel mehr als Sonne, Blumen, Vögel und alle Menschen, die dem Künstler von Professors Gnaden zuvor begegnet waren, und als sie mit dem Spitzentaschentuch die Tränen in den Augen trocknete und endlich zu Worte kam, schüttelte sie nur das Köpfchen.

»April! April! – Bitte, stehen Sie früher auf, wenn Sie wünschen, daß ich auf solchen Scherz hereinfallen soll!«

Er blieb ganz ernst, griff in die Brusttasche, zog einen Brief hervor und reichte ihn dar mit dem Selbstbewußtsein des Lafontaineschen Teichkönigs, wenn er fragt: » Suis-je?!«

»Hahaha! Ein Brief! Wohl die Rechnung von Ihrem Pinselfabrikanten?«

»Wer Augen hat zu lesen, der lese!« – Und Herr von Flanken ließ sich mit Grandezza in einen Sessel fallen und drehte erwartungsvoll die Daumen umeinander. – Jolante lachte noch immer, sie entfaltete, ohne das Kuvert einer Besichtigung zu würdigen, den großen Bogen und begann voll outrierter Feierlichkeit zu studieren. Das Lachen verstummte, immer größer und überraschter wurden die Augen, immer schneller überflogen sie den Inhalt des Schreibens, und plötzlich sank das Papier knisternd hernieder und Jolante starrte den Schöpfer des »Fuchs im Bau« an, wie eine Vision.

»Herr von Flanken,« stotterte sie heiß erglühend, »ist dies alles ein Aprilscherz?«

»Da ›Fuchs im Bau‹ mein erstes hervorragendes Werk ist, kann ich diese Frage nicht übelnehmen, obwohl sie für einen Künstler meiner Art recht beleidigend ist. Falls Ihnen jedoch dieser Brief noch kein genügender Beweis scheint – hier! Da haben Sie die Pastete mit Druckerschwärze angerührt!« – Und mit wahrhafter Blasiertheit zog der berühmte Mann eine Zeitung hervor, schlug sie auseinander und tippte mit dem behandschuhten Zeigefinger auf eine rotangestrichene Anzeige. – Ja, da stand es schwarz auf weiß. »Das Bild ›Fuchs im Bau‹ – Erstlingswerk eines noch unbekannten, aber hoch talentierten Malers, Herrn von Flanken, Schüler von Professor H. – hat die Feuerprobe glänzend bestanden und wird sicherlich zu den Perlen der Ausstellung zählen, da es in ganz wunderbarer Weise fast sämtliche Vorzüge der bedeutendsten Meister in sich vereinigt!«

Das Tageblatt zitterte in den Händchen der Lesenden, angstvoll sahen die schwärmerischen Augen zu dem Ulanenoffizier auf.

»Aber, ich begreife gar nicht – wie ist es denn nur möglich – Sie sind ganz plötzlich ein berühmter Künstler geworden?«

»Ja, du lieber Gott, gegen sein Genie kann man doch nicht ankämpfen!«

»Aber bei Fräulein Gorgisch konnten Sie kaum einen Strich zeichnen!«

Flanken lächelte sehr überlegen. »Alles Verstellung! Wenn Sie gemerkt hätten, daß ich schon die ganze Sache weg hätte, würden Sie mich doch an die Luft gesetzt haben!«

»Ja, aber, ich, ich –«

»– sitze jetzt nett in der Tinte drin!« vollendete er mit grausamem Nachdruck, »Ihre Wette ist radikal verloren, und nun verlange ich das Reugeld!« Er hatte sich erhoben und war an den Schreibtisch getreten. »Hier ist unser Kontrakt. Sie haben wohl oder übel zu gestatten, daß ich ihn, oder wenigstens einen Teil davon, in allen Zeitungen der Welt veröffentliche!«

Sie zog die Stirn in Falten, »Das ist ja Unsinn! Die Leute würden es gar nicht verstehen!«

»Nun, so erlauben Sie, daß ich eine Erklärung hinzufüge. Nur acht Buchstaben, die Sie aber vor allen Menschen anerkennen müssen! Ja?«

»Acht Buchstaben?!«

»Ja oder nein! Ich verlange sie als Austrag der Wette!«

Sie atmete angstvoll schnell. »Schreiben Sie sie, bitte, einmal hin!«

Da tauchte er die Feder tief in die rote Tinte und schrieb just unter die beiden Namen »Jolante von Groppen und Carl von Flanken« die acht Buchstaben – »Verlobte«. Und dann schnitt er die obere Hälfte des Blattes ab und sprach schmunzelnd: »So, diese drei Zeilen genügen, darf ich sie in die Redaktion schicken?«

Das Elfchen stand sprachlos, und da der absonderliche Freier ihre beiden Hände hielt und sich mit seinem vergnügtesten Baßlachen zu ihr nieder neigte, konnte sie nicht einmal entfliehen. Das war eigentlich für alle beide eine schauderhafte Verlegenheit, denn Herr von Flanken hat späterhin ehrlich bekannt: »Nie im Leben habe er eine solche Himmelangst ausgestanden, wie in diesen paar Sekunden, da er, der Riese, nicht gewußt habe, ob er die kleinsten aller Liliputhändchen werde in den seinen festhalten können!«

Aber Gott sei Lob und Dank! Jolante erinnerte sich noch rechtzeitig, was man einem großen Künstler und Verfertiger des Bildes: »Fuchs im Bau« schuldig war, und weil sie ihr glühendes Gesichtchen gar nirgend anders verstecken konnte, barg sie es an seiner Brust. Da lachten Sonne, Blüten und Vöglein noch weit lustiger denn zuvor, aber Herr von Flanken lachte zuletzt, und wer zuletzt lacht, lacht am besten!

 

Ein halbes Jahr war vergangen, seit Graf Lohe an einem trüben, schneedurchwirbelten Wintertag in Dassewinkel eingefahren war. Ein Schauder rieselte ihm durch alle Glieder, als seine Equipage wie auf stürmischer Flut über die ungepflasterte Straße schwankte und die kleinen, oft nur mannshohen Häuslein rechts und links wie eine höhnisch grinsende Bettelkinderparade vorüberzogen.

Grauenvolle Existenz! – Graf Lohe ließ resigniert das Monokel niederfallen, lehnte sich mit zusammengebissenen Zähnen in die Atlaspolster zurück und tat ein Gelübde im Herzen, lieber in seiner Klause hier mit der Chaiselongue zu verwachsen, als sich unter die Sociéte de Dassewinkel zu begeben! Aber die Langeweile ist für jemand, der sie zuvor nicht gekannt, ein Gespenst, das selbst dem Beherztesten Beine macht, sie zu fliehen. Arbeit gab es fast gar nicht; um das Zimmer der alten Klosterrentei heulte ein permanenter Nordsturm, die Öfen heizten nur mittelmäßig, und hinter den alten Tapeten feierten die Mäuse Karneval. Wenn der junge Graf sich, in warme Pelzdecken gehüllt, die Augen an den Romanbüchern müde gelesen, erhob er sich stöhnend von seinem Ruhelager und trat an das Fenster. Keine Seele weit und breit, eine trostlose verschneite Einsamkeit, nnd dann brachte der Diener die Lampe, und Mark-Wolffrath griff wieder zum Buch, oder schrieb wütende Briefe, oder aß mit schlechtester Laune sein meist recht schlechtes Abendbrot; ebenso allein wie das Mittagessen. Solch ein Leben war auf die Dauer nicht zu ertragen! Aus lauter Verzweiflung empfing er schließlich den »torftrampelnden« Bürgermeister in »dienstlicher Angelegenheit«.

Der Mann war gar nicht so rauhbeinig, wie er ihn sich gedacht hatte. Arg verbauert allerdings, ohne jegliche Lebensart, aber er redete doch wenigstens, sogar ohne jeglichen Rückhalt, über seine politischen Ansichten. Das war etwas Neues für Lohe und ganz amüsant zu hören, wie diese Leute sich die Weltgeschichte in den engen Grenzen ihres Schädels zurechtlegten. Wirklich ganz vernünftig, ganz nett. Graf Lohe fand es plötzlich »interessant«, einmal des »Volkes Herz« zu studieren. Im Gasthaus »Zur grünen Wiese« saßen allabendlich die Honoratioren von Dassewinkel; scherzeshalber würde der Herr Hofjunker einmal in diesem Kreise erscheinen. Er ging hin und amüsierte sich in der Tat brillant in dieser originellen Umgebung; seine Lackstiefel hatten allerdings die Promenade durch die grundlose Straße nicht vertragen, darum ließ Mark-Wolffrath sich »scherzeshalber« ein Paar ungeheure Nägelstiefel vom Dorfschuster besorgen. Auch die dicken Düffeljacken, wie sie Apotheker und Rentmeister tragen, schienen ihm sehr praktisch bei hiesiger Witterung. Er konnte ja die kleine Maskerade einmal mitmachen. Die Herren erzählten mit dem ernsthaftesten Gesicht ganz unglaubliche Sachen von Weib und Kind und gedachten mit ehrfurchtsvoller Anerkennung der »Tanzkränzchen«, die die Frau Oberförster, die fürnehmste unter dem Ewigweiblichen, jeden Sonntagabend hierselbst veranstaltete. Graf Lohe hörte es mit einem Anfall von Schüttelfrost, da er aber in Erfahrung brachte, daß alle Güter der Umgegend im Winter verwaist seien, und er sich immer unerträglicher langweilte, beschloß er » pour passer le temps« ein paar Besuche im Städtchen zu machen. Daß er den Damen bereits hoch interessant und als eine Art »Märchenprinz« erschien, tat seinem zerschlagenen Herzen wohl. Er ließ also anspannen, kleidete den Diener in Galalivrée und fuhr bei der Frau Bürgermeister vor. Kolossale Aufregung. Türschlagen, Stimmen riefen durcheinander, eine Klingel läutete

Sturm, und der Diener, der seinen Gebieter melden sollte, blieb eine Ewigkeit aus. Endlich erschien er – mit dunkelrotem Kopf, schluchzend vor innerlichem Lachen. »Die Damen lassen bitten, Herr Graf!« – Mark-Wolffrath redete nie mit seinen Untergebenen, diesmal fragte er dennoch nach der Ursache solches endlosen Wartens. »Die Damen hatten mich für den Herrn Grafen gehalten und ließen mich gar nicht wieder aus dem Sofa, auf das mich die gnädige Frau niedergedrückt hatte, heraus!« – »Brrr!« Der Erbe von Illfingen stieg resigniert die Treppe empor. Auf dem Hausflur empfingen ihn bereits die Frau Bürgermeister in mächtiger Staatshaube mit saftgrünem Band und Kornblumenbukett über der Stirn, und neben ihr, »mit züchtigen, verschämten Wangen« die drei Töchter, die knixend als: »Diese ist mein Lieschen und diese die Melanie, die's Klavier spielt, und diese hier unser Lottchen, die französisch kann!« – präsentiert wurden. – Fabelhafte Töchter! Sie sahen blaurot aus und platzten beinahe vor Gesundheit. Der Abschied fiel schwer, aber er gelang. Bei der Frau Oberförster war's bei weitem besser. Zwar stürzte auch hier erst eine Magd an dem Grafen vorüber in die gute Stube und zog den steifbeinigen Lehnstühlen die Kattunhöschen aus, und eine Hundekälte war's, und ein undefinierbarer Geruch! – Spicke, Kamillen- und Beifußbüschel hingen zum Trocknen an den großen Hirschgeweihen, vielleicht rührte er davon her. Aber die Frau Oberförster war eine stattliche, sehr liebenswürdige Dame, die entschieden eine vortreffliche Erziehung, fern von Dassewinkel, genossen hatte. Und weiter geht's von Tür zu Tür. Eine rothaarige »Stütze der Hausfrau« flatterte im Schneesturm dem Wagen des hohen Herrn voraus, gleich wie Erde, die wilde Begleiterin des Mars. Und sie meldete mit aufgeregtem Armfuchteln in den betreffenden Häusern: »He kümmt! – He kümmt!« Und die Schlüssel kreischen in den Schlössern der Sonntagnachmittagsstuben, und die Schönen von Dassewinkel machen in fliegender Hast große Toilette.

Der Sonntag kam und der einstimmig, stürmisch eingeladene Graf Lohe rüstete sich zum Tanzfest. Seine Robinsoniade begann ihn bereits königlich zu amüsieren und, »auf alles gefaßt«, betrat er den Saal im Gasthof »Zur grünen Wiese«. Da waren Böcke und Lämmlein strengstens getrennt.

Die Herren saßen im Kegelzimmer, rauchten wie die Fabrikschlote und tranken fünf Stunden lang an einem Töpfchen Bier; die Damen in schönem Kranz, gewissenhaft nach Rang und Stellung geordnet, behaupteten den Saal. Eine jede hatte am Arm ihren Ridikül hängen, aus dem sie zuerst feierlich einen Obolus im Wert von fünfzig Reichspfennigen entnahm und vor sich auf den Tisch legte; das war die »ausgemachte« Summe, die in einer Tasse Kaffee mit Rapskuchen verpraßt werden durfte. Besagter Scheidemünze folgte das Strickzeug, nur die Frau Pächterin emanzipierte sich und häkelte für ihr Jüngstes ein Wickelband. Drei Musikanten saßen seitlich auf einer Pritsche und taten ihr möglichstes, und nachdem ein paar aufheulende Hunde aus dem Kegelzimmer entfernt, legten die jungen Herren die Zigarre für fünf Minuten aufs Fensterbrett, zogen einen Zwirnhandschuh an und schwenkten zuerst die Mütter, dann je eine Tochter durch den Saal. Ernst, schweigsam, opfermütig; ein rechtwinkliger Kratzfuß, und die Zigarre im Kegelzimmer feierte mit ihrem Besitzer ein herzliches Wiedersehen.

Graf Lohe begrüßte die älteren Damen und machte alsdann den kühnen Versuch, sich als Schmetterling dem Kranz der jungen Mädchen einzureihen. Ein verlegenes Kichern, beschleunigtes Klappern der Nadeln und zeitweises gegenseitiges Anrennen mit den Ellenbogen war das einzige Resultat seiner Bemühungen, eine Unterhaltung zu eröffnen. Auch die Mütter wurden unruhig und setzten die Brillen auf. Da merkte Wolffrath, daß ein derartiger Verkehr in Dassewinkel nicht Usus war. Der Hornist intonierte in beschleunigtem Tempo die »Lorelei«, nach der man hierselbst Galopp tanzte, und der Arrangeur der exquisitesten Residenzfeste neigte das sorgsam frisierte Haupt vor der Frau Oberförster und führte sie zum Tanz. Die erste Runde im Saal ließ sich

recht gut zurücklegen. Die gedunkelten Dielen erwiesen sich als außergewöhnlich glatt; bei dem zweiten Tanz jedoch fühlte der Graf wunderliche Knoten und Beulen unter seinen zarten Sohlen, und plötzlich stieg es ihm prickelnd in die Nase, und weil alle anderen auch niesten und sich schneuzten, so fragte er seine Partnerin nach der Ursache dieser außergewöhnlichen Erscheinung.

»Ja, sehen Sie,« war die Antwort, »das geniert uns nicht mehr, wir sind jetzt daran gewöhnt! Weil nämlich der Fußboden hier sehr schlecht ist, läßt ihn der Wirt vor jedem Tanz mit Seife schmieren, das macht hübsch glatt!« Daher plötzlich dieser niederträchtige Geschmack auf der Zunge! Dem verwöhntesten aller Kavaliere ward es ganz übel vor Schreck, er stammelte seiner Tänzerin eine Exküse, machte Reih um sein Kompliment und floh die Hinterlist der pfiffigen Dassewinkler, die den Tempel der Terpsichore nicht auf den Farben des Regenbogens, sondern auf – Schmierseife erbauten!

Und gleich der klassischen Seherin flüchtete er sich während der nächsten Tage in des Waldes tiefste Gründe, um seinen Kummer zu vergessen. Ein glücklicher Schuß, der einen gewaltigen Wildeber zur Strecke brachte, ließ alles vergessen und vergeben sein, was Dassewinkel je gesündigt. Voll leutseliger Höflichkeit nahm der junge Graf, obwohl er Schweinefleisch sehr ungern aß, sogar die Einladung zu Oberförsters an, »seine Jagdbeute« verspeisen zu helfen. – Ein sehr scharmanter, behaglicher Mittag! Der Kopf mit der Zitrone im Rüssel schmeckte vorzüglich, und die Wirte waren so angenehm, wie es Mark-Wolffrath außerhalb des Parketts gar nicht für möglich gehalten. Am nächsten Tag lud der Gutspächter zum Essen ein. Wer A sagt, muß in diesen kleinen Verhältnissen auch B sagen. Lohe bekam den Rücken des erlegten Keilers vorgesetzt und half ihn verspeisen. Der folgende Morgen brachte eine Einladung

zu Bürgermeisters. Ein ahnungsvoller Schreck durchzuckte den Empfänger. – »Hab' Erbarmen, Gott der Liebe!«

 

Ein Vorderschinken des unseligen Wutzchens erschien auf dem Tisch. Der Graf würgte ein Stück hinunter, und als man ihn zum Essen nötigte, daß ihm die Sinne schwanden, teilte er mit Lottchen noch eine Bratenscheibe.

Als er sein Wohnzimmer wieder betrat, lächelte ihm ein Brief von dem Tisch entgegen: »Der Herr Apotheker erbittet sich allergehorsamst – usw. usw.« – »Absagen, Friedrich! – Absagen!« stöhnte der stellvertretende Landrat. Es half nichts; außer sich und tief gekränkt kam die Gastgeberin persönlich angestürmt und setzte dem, gegen Damen stets höflichen Opfer die Pistole auf die Brust. Er mußte kommen, weil er zu den anderen auch gegangen war – und er bekam den zweiten Schinken vorgesetzt! – Und so lange noch ein Stücklein Wildschwein vorhanden war, mußte Mark - Wolffrath es bei irgendeiner Familie essen helfen. Tauwetter war eingetreten, und er roch das Menü bereits auf dem Hausflur! – Das war eine fürchterliche Zeit! Und als der Oberförster wieder Jagd machte und dem Grafen ein Wildschwein zum Schuß kam, ließ er schaudernd die Büchse sinken und dachte: »Lieber auf den Schuß verzichten, als noch einmal acht Tage lang Schweinebraten essen!«

Es war eine harte, schwere Schule, die » Le chevalier sans faute et sans reproche« in Dassewinkel durchmachen mußte. Aber Not lehrt beten, und was im Nebel und aus der Ferne wie eine Vogelscheuche aussieht, erweist sich bei näherer Betrachtung oftmals als ein Bäumchen, das gesunde und schmackhafte Früchte tragt.

Die Luft, die über die verschiedenen Höfe von Dassewinkel strich, war rauh, kräftig und ganz Natur, aber sie war heilsam und blies ihren frischen Odem durch Leib und Seele. Graf Lohe gewöhnte sich sehr schwer und widerwillig daran, und wenn er es schließlich tat, geschah es, ohne daß er es selber merkte. Als er sich dem Schicksal fügte und sich seine neue Welt ruhig und vernünftig ansah, fand er oft Gelegenheit, zu beobachten, daß eigentlich das Natürliche und Ungekünstelte stets am schönsten sei, und daß gar manches, was er bis jetzt als höchste Form und Etikette hochgehalten, eine krankhafte Übertreibung war. Nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Gegen die Damen von Dassewinkel war Ursula schick, elegant, frisch und amüsant, gegen die der Residenz: übermütig, verzogen und derb! Die Kleine hielt aber, namentlich so, wie er sie zuletzt gesehen, die richtige, goldene Mitte, und wenn er sich ihrer letzten Gespräche erinnerte, so begriff er es selber nicht, wie er sie so streng noch hatte richten können!

Die Trennung gleicht einem Sturmwind, der die Flamme der Liebe erfaßt; ist sie klein, so löscht er sie, wuchs sie aber schon zu einer gewissen Größe empor, so facht er sie an zu heller Glut. Mark-Wolffraths Gedanken weilten mehr und immer mehr bei Ursula, und als er erfuhr, daß Herr von Kuffstein nach Groß - Wolkwitz zurückgekehrt sei, ließ er sofort anspannen, seinen Besuch abzustatten. Er traf den Baron allein im Schlosse an. Dick, behaglich, wenn auch etwas wehmütiger dreinschauend als früher. »Sie haben mir meine Urschel-Purschel ganz rammdösig in diesem verfluchten Häuserpasticcio gemacht!« seufzte er ganz kläglich, »wie auf der Bank abgehobelt, ohne Saft und Kraft! Na, ich soll sie nur erst wieder hier haben! Ich will ihr diese bleichsüchtigen Knickse schon bald wieder abgewöhnen! Nicht wahr, Herr Doktor, das wollen wir? Wäre doch schade, um unsern kleinen Bengel!«

Herr »Doktorjo« saß dem Sprecher gegenüber auf dem Ledersessel und glotzte mit seinen allerschläfrigsten Augen über den Frühstückstisch, der ihm mit seinem ewigen Schinken und den Gänseleberwürsten bereits odiös wurde. Es war zum mindesten rücksichtslos von seinem Freund Julius, ihn wegen eines solch langweiligen Imbisses aus dem Schlaf zu wecken; und Urschel- Purschel? Doktorjo hatte überhaupt keine Interessen mehr auf dieser Welt, seine undurchdringliche Speckschwarte panzerte ihn gegen jegliche Gefühlsduselei, und allgemeine Übersättigung ließ ihm das Leben in jeglicher Couleur fad und abgeschmackt erscheinen. Und so würdigte der alte Herr weder sein Gegenüber Kuffstein noch den Graf Lohe, noch die Delikatessen eines wohlwollenden Blickes, sondern schnobberte mißvergnügt nach dem Parkett herunter.

»Haste noch keinen Appetit, Doktor?« erkundigte sich der Hausherr teilnahmsvoll, »na, dann warte noch ein halbes Stündchen, ich lege dir einen Wurschtzippel neben dein Bette!« Und er hob den Mops vom Sessel, und beide wackelten nach der Ofenecke, woselbst der verdrossene Moppel sein Plüschkissen bestieg.

»Es ist ein ganz merkwürdiger Hund!« wandte sich der Baron zu seinem jungen Gast zurück, »Nun geben Sie mal acht, nachher macht er sich an sein Frühstückchen heran, aber was tut er? Die Speckgrieben buddelt er sich raus, und die Schale läßt er liegen; ein merkwürdiger Hund!!«

Das interessierte den jungen Grafen weniger, aber die Nachricht, daß Frau von Kuffstein und Ursula am 20. April zurückkehren würden, erfüllte ihn mit nie gekannter Freude. – –

Über Nacht war der Lenz angekommen, überraschend früh, ungestüm und verschwenderischer als je. Wetterleuchtend hatte es am Horizont geflammt, feuchtwarmer Wind jagte Wolken heraus, und aus ihren dunklen, verschleierten Augen stürzten die Tränenströme segnend über das knospende Gezweig. Das erschauerte bis in das Mark hinein. Aus langem, bangem Traum wachte es plößlich aus, und es erschloß die tausend jungen Augen und schaute den Geistern des Frühlings, die die Silberschwingen unter Blitz und Donner entfalten, voll süßer Scheu entgegen.

Als aber die Morgensonne ihr strahlendes Haupt erhob, hatten unsichtbare Hände die Welt geschmückt, hatten rosige Blütenschleier über Busch und Baum gehängt und das welke Laub hinweggefegt, dem Himmelsschlüsselchen und der blauen Cylla das winterliche Haus zu zerbrechen. Und sie stehen und lachen im Morgentau und rühren die duftigen Glöcklein, die Astern einzuläuten. Wachtel und Lerche haben es mit lautem Jubellied verkündet, daß der Ostersonntag gefeiert worden, daß heute die ganze Welt ein Rest der Auferstehung begeht, die neu keimende Natur und die Menschenherzen, welche im Winterschlaf gelegen.

Die dürren Reiser prangen urplötzlich im Hoffnungsgrün, was alt geworden, verjüngt sich in neuem Saft und neuer Kraft, und was herniederbrach unter allzu schwerer Last, hebt sein Haupt getrost und freudigen Mutes der Sonne zu! – Ostern ist gekommen, und aus den Gräbern sprießen die Blüten eines neuen Lenzes! – Über die Gartenmauer von Groß-Wolkwitz hängen die Zweige mit den silbernen und braunen Kätzchen. Zwei schlanke Mädchenhände biegen die Äste hernieder und pflücken einen Strauß, und dann neigt Ursula das Köpfchen vor und späht die Fahrstraße hinab.

Die Sonne streut Goldfunken auf den braunen Lockenkopf und flimmert auf der Metallstickerei des dunkeln Tuchkleides, das hoch unter dem rosigen Kinn schließt. Nichts erinnert mehr an das Backfischchen des vergangenen Herbstes. Noch ist es allerdings das kecke, frischwangige Kindergesicht, in dem die schelmischen Grübchen lachen, aber es ist ein ganz, ganz anderes Lachen wie früher. Was ehemals Trotzgebärde und Mutwillen war, ist jetzt heitere Anmut, was früher nur Körper war, ist jetzt Seele geworden. Puck ist eingeschlafen und die Psyche dafür hold lächelnd aufgewacht. Aus den braunen Augen strahlt ein Himmel von Glückseligkeit, aber nicht mehr das Glück kindlicher Ausgelassenheit; jetzt grüßte Frau Minne aus dem Blick, und das Feuer, das sie darinnen nährt, flackert nicht, sondern leuchtet. Horch ... Hufschlag. – Ursula mochte laut aufjubeln; sie lacht, lustig und frisch wie immer, aber sie drückt dabei die Händchen gegen das Herz.

Da kommt er! Ob er wohl wieder Toilette macht? Just an dieser Stelle hatte er damals den Spiegel aus der Tasche gezogen.

Nein; diesmal scheint er an nichts derartiges zu denken, er reitet scharf, voll Ungeduld hinab. Wie seltsam sieht er denn aus? Derbe, hochbestaubte Stiefel, eine elegante, aber dabei sehr solide Joppe, anstatt Zylinder sitzt ein weicher Filzhut tief in der Stirn und kein Monokel im Auge! Wie schön ist er so! Ganz ungekünstelt, ganz und gar ein Mann!

Schon von weitem blickt er nach der Mauer, stutzt und spornt jählings das Pferd. Seine Hand hebt den Hut und schwenkt ihn.

Ist das Ursula? denkt er, dann ist aus dem Knöspchen die wonnigste aller Rosen geworden. Schick, elegant, ganz Dame! Sie hält einen Strauß in der Hand. Wird sie ihn mit kecker kleiner Grimasse wieder nach ihm werfen, wie damals den Kranz mit der Wurst? Wird sie ihm ein derbes Willkommen zurufen? – Graf Lohe würde es nicht mehr so unerträglich schauderhaft finden wie einst, aber täte sie's nicht, würde es ihn hoch beglücken.

»Grüß Gott, mein gnädiges Fräulein!«

»Herzlich willkommen, Graf Lohe, welch eine treffliche Osterfreude, Sie hier zu sehen!« Sie sagt es fröhlich und ungeniert, aber sie wirft ihm den Strauß nicht in das Gesicht, sondern neigt sich, ihm auf ganz allerliebste Weise die kleine Hand darzureichen. Mark-Wolffrath küßt sie, und das junge Mädchen errötet heiß, ohne jedoch in verlegener oder kindischer Weise die Rechte zurückzuziehen. Er beobachtet es mit Entzücken.

»Wollen Sie bitte durch den Park reiten! Ich benachrichtige die Eltern sofort!«

»Darf ich Sie nicht zu Fuß begleiten? Ich gebe jenem jungen Menschen dort das Pferd zur Weiterbeförderung!«

»Gewiß! Aber es ist keine Tür hier in der Mauer. Sie müssen erst bis an jene Ecke reiten!«

»Darf ich nicht als guter Turner überklettern?«

Ursula traut ihren Ohren nicht, und da sie ganz betroffen in sein lachendes Gesicht sieht, fährt er heiter fort:

»Ich habe in Dassewinkel schauerliche Manieren angenommen und habe die Überzeugung gewonnen, daß der Mensch sich nicht zum Sklaven machen darf, weder zu seinem eigenen noch zu dem fremder Marotten!«

»Bitte versuchen Sie nur ... aber Ihre Handschuhe?«

»Handschuhe?« Er lachte. »Gehen Sie mal! Ganz zweite Garnitur! Oh, ich bin verwildert in Dassewinkel! Aber die besseren stecken noch in der Tasche, es ging sehr eilig zu heute morgen!« entschuldigte er sich mit einem Anflug seiner früheren Umständlichkeit.

»Um so besser!«

Der Graf pfiff dem Knecht und übergab ihm seinen Goldfuchs, dann ermittelte er ein paar ausgebrochene Steine in der Mauer, stellte den Fuß ein und schwang sich geschickt über.

Heute schritt er ganz anders an ihrer Seite, als im vergangenen Herbst; die Sonne brannte ihm in das Gesicht, aber diesmal wehrte der Graf sie nicht durch chinesische Fächer ab, und er sprach ganz anders als früher, lachte und scherzte und fand Dassewinkel ein recht nettes kleines Nestchen, das viel besser sei als sein Ruf! Ursula aber war's zu Sinn, als müsse sie jubelnd die Arme ausbreiten, die frische, würzige Luft, welche ihnen entgegenstrich, zu umfangen: »Hab' Dank, du Meisterin »Hofluft«, daß du aus einem Helden der Salons einen Mann gemacht hast!«

Und Mark-Wolffraths Blick staunte das süße Wunder an, das sich äußerlich und innerlich an der Tyrannin von Wolkwitz begeben; war es vielleicht nur die andere Gewohnheit? Hatte nicht sie, sondern er sich geändert? Wie konnte er fragen! Maienhold, frisch und lose stand das junge Bäumchen vor ihm, all die wilden Sprossen waren durch zarten Hauch gebrochen, und die Knospen zur Blüte wachgeküßt! – Hofluft! Liebe freundliche Zauberin!

Ostern zog dahin, als aber die Pfingstmaien die Schloßtüren von Wolkwitz schmückten, da schritt ein junges Brautpaar über die Schwelle, und Herr von Kuffstein ging mit Doktorjo weit in den Park hinein spazieren. Fern auf einer Bank hat er gesessen und mit dem großen, rotseidenen Taschentuch die Augen gewischt: »Jetzt wird's bei uns Abend, Doktor, jetzt mach ich's wie du, leg mich in dem stillen, leeren Haus aufs Ohr und träume von meiner Urschel-Purschel! Ja, ja, nun wird sie uns ein fremder Kerl wegstibitzen – und wir beiden alten Dicken sitzen da und gucken in den Mond!«

Der Herr Doktor gähnte und machte ein Gesicht, als wollte er sagen: »Dies alles ist mir furchtbar wurst!« Streckte die kurzen Stummelbeinchen von sich und schnarchte. –

Da seufzte der Brautvater tief auf, lehnte den Kopf an den Akazienstamm zurück und schnarchte mit.

Im Gebüsch aber schlug leise, leise eine Nachtigall, und die kleinen Geister der Liebe, die das Schloß umschwärmten, kamen herzu und streuten ihr duftige Blüten in das Nest. –

 

 


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