Nataly von Eschstruth
Hofluft
Nataly von Eschstruth

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II.

Herr von Flanken dachte in allen Dingen sehr konservativ und war ein erklärter Feind jeglicher Neuerungen, was aber zu viel ist, das ist zu viel. Kinderlärm, drei Klaviere, eine Geige und zwei singende Geheimratstöchter, und, im Anschluß daran, rauchende Öfen und allerhand vielfüßige Einquartierung, nein, das war selbst für die große Gutmütigkeit dieses Premierleutnants zu starker Tabak, und darum sagte Herr von Flanken eines schönen Tages zu Niekchen: »Du, Niekchen, morgen ziehen wir um.«

»Befehll, Herr Leutnant – werrd ik packen Sachen unsrige!«

Und Niekchen packte alles zusammen, ohne daß sein Herr und Gebieter großes Interesse dafür an den Tag gelegt hätte.

Der Unsitte, sich selber eine Garçonwohnung mit allem erdenklichen Luxus zu möblieren, huldigte Flanken durchaus nicht. Er war eben in allen Dingen Original, und während die meisten seiner Kameraden ihre Zimmer mit bequemen Diwans, schwellenden Teppichen, prachtvollen Bronzen und Gemälden vollstopften, um unter rosa Lampenschleiern und Blütenzweigen ein möglichst behagliches und molliges Dasein zu fristen, entfernte der »moderne Merlin« alles, was nur einigermaßen an die verweichlichende Eleganz des neunzehnten Jahrhunderts erinnerte aus seinem Reich. Lohe behauptete: er übertriebe es! Seine Zimmereinrichtung sei nicht einfach, sondern absurd. Da stand ein schwerer Holztisch, ohne Decke, inmitten des Zimmers. Derbe, altdeutsche Eichenstühle um ihn her. Ein massiver Schrank rechts an der Wand, links ein Bord, auf dem Humpen und eine Bierkanne glänzten, darunter die Säbelbank. Vor dem Fenster ein ebenfalls roher Holztisch, voller Tintenklexe, Messerspuren und wunderlich kühner Striche und Schnörkel, die die schwerfällige Feder des jungen Offiziers während der langen Gedankenpausen bei der Winterarbeit entworfen hatte. Hunde, Pferde, Offiziere, Häuser in unfreiwilliger Karikatur, meistens dringend der erklärenden Unterschrift bedürftig. Ein großes Schreibzeug aus weißem Porzellan, hochbepackt mit Federn, Bleistiften, Siegellack und Gummi, paradierte auf des Tisches Mitte, Briefe, Bücher und ein Reißzeug lagen in genialer Unordnung daneben, und eine schwarze, verschabte Ledermappe sperrte, überfüllt mit Papieren aller Art – den Rachen in höchster Atemnot so weit auf, wie ein Karpfen den seinen auf trockenem Lande.

Weder Felle noch Decken bekleideten den Fußboden, und der einzige Schmuck der Wände bestand aus zwei gekreuzten Jagdflinten, zwischen denen sich strahlenartig sehr kostbare kleinere Waffen schoben. An der Ofenwand aber stand – und das war Lohes größte Entrüstung – ein eisernes Feldbett, unendlich bescheiden und einfach, mir einer grüngefärbten Pferdedecke am Fußende beschwert. Und diese Dürftigkeit war nicht etwa Geiz oder Armut, Gott bewahre, sie war Ausdruck vollster Überzeugung, und wenn man die reckenhafte Gestalt des jungen Offiziers in diesen seinen vier Wänden erblickte, hatte man das Gefühl, als könne sie in gar keine andere Umgebung hineinpassen. Wie ein Bild aus längst vergessenen Zeiten, da noch die harte Mannesfaust und die trutzigliche Manneskraft die Welt regierten, ragte Flanken, einsam und angestaunt, inmitten der Kinder der modernen Welt empor, gleich einer einzig stehengebliebenen Riesensäule zwischen Ruinen, über die weichliches Moos und üppige Schäferblumen den Mantel der Vergessenheit gebreitet hatten.

Der Umzug war unter Niekchens umsichtiger Leitung bewerkstelligt

worden, und heute mittag plötzlich kam der Herr Premierleutnant mit sinnend gefalteter Stirn nach Hause, warf die Reitgerte auf den Tisch und setzte sich so kräftig vor dem Schreibtisch nieder, daß der Holzschemel in allen Fugen knackte. Mit Ruhe und Gründlichkeit sah er alle Briefe und auch den Inhalt der Ledermappe durch. Da hatte er die Bescherung! Das kam von seiner Gutmütigkeit!!

Als er nämlich nach beendigtem Manöverurlaub wieder in sein Winterquartier eingerückt war, hatte eines schönen Tages Lohes Equipage vor der Tür gehalten. »Schnell, mein Junge! Streife dir die erste Garnitur an, nimm ein reines Taschentuch und begleite mich!«

»Wohin?«

»Bei General von Dern-Groppen einen Antrittsknicks machen!«

»Hast wohl einen Rappel, ich kenne gerade genug Menschen, ich mache keine Visiten mehr!«

Da hatte Lohe voll sittlicher Entrüstung das Zitat angewandt: »Ein Mann, ein Wort!« und ihn an jenen verhängnisvollen Abend in Alt-Dobern erinnert, an dem er den Damen bereits seinen Besuch in der Residenz angekündigt habe.

»Ich hatte einen Spitz, Markchen – auf Wort – aber, Blitz und Knall, wenn du meinst, daß ich verpflichtet bin, kann ich ja pro forma eine Karte abwerfen!« Und stöhnend hatte er die Tschapka auf sein krauses Haar gedrückt und war mit zu Groppens und zu Gräfin Antigna gefahren, aus Rücksicht für Fräulein Urschel-Purschel.

Beide Herrschaften waren nicht zu Hause gewesen, und Flanken hatte die ganze Spazierfahrt beinahe wieder vergessen, als ihn Lohe heute morgen gefragt hatte: »Na, wir sehen uns doch am nächsten Mittwoch bei Groppens! Hast du schon zugesagt?«

»Mittwoch – Groppens –? I wo! Ich habe gar keine Einladung erhalten!«

»Undenkbar! Es ist ein Riesenfest, und wer nur jemals bei dem Herrn General angeklingelt hat, ist befohlen!«

»Aber ich versichere dich, ich bin nicht gewünscht! Wann hast du die Karte bekommen?«

»Vor sechs Tagen bereits.«

»Donnerwetter – an meinem Umzugstermin!« Flanken kraute sich hinter dem Ohr und stieß einen pfeifenden Ton zwischen den Zähnen hervor.

»Na, da haben wir's! Hast den Brief bei der Räumerei verbummelt oder Niekchen hat ihn in die Mappe geschoben, such' doch einmal nach.«

Und nun saß der Premierleutnant und suchte und suchte, aber er fand nichts.

»Kreuz Birnbaum und Potz Hagelwetter! Niekchen!«

»Befehll, Herr Leutnant!«

»Kerl, wenn du mir einen Brief verloddert hast, soll dich doch gleich ein Neun-Unglück holen! He, Niekchen, ist am Umzugstag eine Einladung gekommen?«

»Sind sik jeden Tag Briefeln gekommen, wos ich hab' abgeliefert an Leutnant. Am Umzugstag waren sik's zwei, Sterbebriefel mit schwarzem Randel und ander großes Briefel mit Guldstempel drauf.«

»Ah – richtig – ich entsinne mich, steckte sie in meine alte Jagdjoppe, weil's schon zu dunkel zum Lesen war. Hol mal die Joppe aus dem Schrank –«

»Is sik grüner Kittel von Herrn Leutnant an Ulan Grohnbach, wos war aus Heimatdorf von Herrn Leutnant, verschenkt worden.«

»Schock Schwerenot!«

Flanken stand sprachlos, beide Hände in den Hosentaschen, und starrte Niekchen an, als wolle er zur Salzsäule werden. Dann schwenkte er kurz um und stiefelte mit Riesenschritten, leise vor sich hinpfeifend, in der Stube auf und nieder. Der

Ulan Grohnbach – richtig! Der Grohnbach war bei ihm gewesen, Adieu zu sagen und einen Brief an den Inspektor mitzunehmen, und da hatte Flanken in den Kleiderschrank gegriffen und dem armen Kerl noch einen warmen Rock mit auf den Weg gegeben. Die grüne Joppe!

Was tun? Flanken sann hin und her, endlich blieb er abermals vor Niekchen stehen, sah auf die Uhr – es war halb fünf – und legte plötzlich die Hand auf die Schulter seines braven Wasserpolacken.

»Niekchen, nicht wahr, du bist ein ganz gerissener Kerl! Du kannst ganz schlau sein, wenn's darauf ankommt, he?«

Niekchens Gesicht strahlte. »Kann ik schon, Leutnant, kann ik schon!«

»Gut, mein Sohn, dann höre mal zu, was du jetzt tun sollst,« und Flanken stellte sich breitbeinig vor seinem Faktotum auf und instruierte ihn so genau und so vorsorglich, daß Niekchen schon hätte ein Kretin sein müssen, wenn er dieser langen Rede kurzen Sinn nicht hätte kapieren wollen. Und Niekchen grinste auch sehr verschmitzt und legte mit eifrigem Kopfnicken die Finger an die Hosennaht. »Werd' ik ganz schlau anfangen, Leutnant, werd' ik alles ausrichten.«

»Na, dann mal Trab! Da haste einen Groschen, fahr' Pferdebahn, verstanden?«

»Befehll, Leutnant!«

Und Frantusch Niekchen machte mit blitzenden Augen kehrt und verschwand hinter der Tür. Flanken aber steckte seine kurze Jagdpfeife an und paffte ärgerlich Dampfwolken in die Luft. »Verfluchte Wirtschaft mit den ewigen Gesellschaften, wenn doch die Leute endlich zu der Vernunft kommen wollten und sich und mir diesen Schwindel schenkten!«

 

In dem großen palaisartigen Neubau, in einer der elegantesten Villenstraßen, zog ein Diener die rotseidenen Vorhänge vor den Fenstern zusammen und entzündete die Gasflammen in dem Speisezimmer.

Der Herr General von Dern-Groppen war soeben nach Hause gekommen und hatte, vom eisigen Wind gezaust und durchfroren, in ersichtlich schlechter Laune die Beschleunigung der Mittagstafel befohlen. Er hatte einen bequemen Uniformsrock angelegt und war alsdann durch die lange Flucht der Salons nach dem Wohnzimmer seiner Töchter geschritten, einen Kuß auf die weißen Stirnen seiner Lieblinge zu drücken.

Dort, im heiteren Kreise der Seinen, schwanden blitzschnell die kleinen Wolken des Unmuts, die der königliche Dienst in edler Gerechtigkeit vor dir Sonne der Leutnants wie der Generalleutnants treibt, denn General von Groppen war eine sehr glücklich veranlagte Natur und viel zu sehr Lebemann und Kavalier, um sich allzulange in Gedanken bei den Disteln und Dornen strategischer Ehrenfelder aufzuhalten, wenn er den Rosen und Lilien auf dem Parkett huldigen konnte! Seit Herr von Groppen in der Residenz weilte, war eine sonderbare Veränderung mit ihm vorgegangen. Es war, als habe ihn das Goldgefunkel seines plötzlichen Reichtums geblendet, als seien all die glückseligen Genien von dem Plafond der Fürstensäle herniedergeschwebt, ihm einen Becher an die Lippen zu halten, dessen Zaubertrank ihn berauschte. Die Vergangenheit mit ihrem jahrelangen Entbehren und Einschränken schien ihm ein wüster, fataler Traum. Die Dämone der Eitelkeit, Leichtlebigkeit und Genußsucht, die so lange Zeit, männlich bekämpft und niedergehalten, in seinem Innern geschlummert hatten, hoben jetzt plötzlich ihre schillernden Flügel und bevölkerten all seine Gedanken, sein Wollen und Wünschen. Ist das Eis, das zwingende, beherrschende, auf dem Fluß erst gebrochen, stürzen die Wasser wild aufjubelnd drüber hinweg und schießen ziel- und fessellos weit über die Grenzen hinaus. So kannten auch die Passionen des Herrn von Dern-Groppen keine Schranken mehr, seit die Sklavenketten der Mittellosigkeit abgestreift, seit jene wundersame,

heiß ersehnte Luft, jenes Gemisch von Sonne, Mond, Sternenglanz und Veilchenduft seine Stirn geküßt.

In dem Salon der beiden jungen Damen brannten ebenfalls die Lampen. Lena saß an dem runden, von einem goldgewirkten Teppich überhangenen Mitteltisch und klöppelte eine cremefarbene Seidenspitze. Fürst Sobolefskoi sah ihr dabei voll regen Interesses auf die schlanken, graziösen Hände und behauptete neckend, diese Arbeit sei von den Damen aus schnöder, berechnendster Eitelkeit erfunden worden.

Jolante stand auf einem Kissenpuff und bemühte sich, den schwebenden Goldengelchen, die die wasserblauen Moireedraperien eines Eckarrangements hielten, bronzierte Palmzweige möglichst genial in die Ärmchen zu legen.

Sie lehnte den Lockenkopf zurück und prüfte den Gesamteindruck. »Onkel Daniel, sieh doch einmal! Ist es hübsch so?«

Der Fürst trat, die Hände auf den Rücken legend, herzu. »Ganz scharmant!« lobte er. »Es ist wunderbar, Jola, welch ein hervorragendes Talent du besitzest, deine Umgebung zu idealisieren! Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß dieses Schmuckkästchen von einem Zimmer noch verschönert werden könnte, du aber hast es dennoch zuwege gebracht!«

»Ja, weißt du, Onkel Daniel,« und Jolante hob sich auf die Fußspitzen und bog die leuchtenden Fächerblätter so, daß sie sich des größeren Effektes wegen in dem Ecktrumeau spiegeln mußten, »ich finde nichts hübscher, als ein möglichst geschmackvolles und reich eingerichtetes Boudoir, und nichts barbarenhafter, als Gleichgültigkeit gegen seine Wohnräume. Wie Menschen ohne Komfort leben können, ist mir rätselhaft, und daß ein Paar in einer ›kleinsten Hütte‹ Raum findet, und bei einem Tisch und einem Stuhl sich glücklich fühlen soll, das deucht mich die krankhafteste Hyperbel, auf die ein Dichter jemals verfallen ist.«

»Wenn du die Liebe erst kennen wirst, kleines Närrchen, wollen wir uns wieder sprechen!« lächelte Lena, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen.

»Lena!« Jolante schlug laut lachend die Hände zusammen, »das klingt ja beinahe so, als ob du einen Sekondeleutnant mit zweihundert Talern Zulage heiraten würdest!«

Die Klöppel klangen wunderlich unter den fleißigen Händen zusammen. »Wenn ich ihn liebte, ganz gewiß!«

»Nimm mir's nicht übel, dann komme ich niemals zu euch, dann verleugne ich dich vor Gott und aller Welt mitsamt deinem Gatten und deiner Viertreppen-Hinterhauswohnung!« Und Jolante warf sich lachend in einen Sessel und verschränkte die Arme hinter dem Köpfchen.

»Onkel Daniel wird alles gutmachen, was du versäumst, Prinzeß Turandot! Nicht wahr, du würdest mich besuchen, Onkelchen, selbst in der allerkleinsten Hütte, wo man so weit, weit von aller Welt entfernt ist, daß man sie mit all ihrem Hasten und Treiben für ein schwüles, beängstigendes Traumgebilde hält?« – Lena lächelte, aber es war, als schweife ihr Blick fern hinaus, feuchtglänzend wie in Sehnsucht. Daniels Lippen zuckten, seine Finger glitten plötzlich wie in nervösem Spiel über die Goldmuster der Tischdecke, ehe er jedoch antworten konnte, hatte Jolante ihren Sessel mit schnellem Stoß neben den seinen gerollt, stützte sich mit beiden Händen auf die Armlehne und schaute dem Fürsten mit einem Gemisch von Neugierde und Heiterkeit in die Augen.

»Lächerlich, Lena, wie soll Onkel Daniel in dieser Angelegenheit überhaupt mitreden! Puh, wie er die Stirn gleich kraus zieht, wenn er nur an solch eine Mesalliance denkt, die unsere Lena möglicherweise einmal eingehen könnte! Da kenne ich ihn und seine Ansichten besser. Übrigens« –- und Jolante faßte plötzlich die Hand Sobolefskois und wandte sie nach der Innenseite – »ich verstehe mich jetzt ein bißchen auf das Wahrsagen und muß doch einmal sehen, ob du wirklich ein so kaltherziger Barbar bist, wie es den Anschein hat. Niemals hast du uns auch nur mit einem Sterbenswörtchen verraten, um welch einer Jugendliebe willen du Junggeselle geblieben bist.«

Des Fürsten Hand erbebte, er wollte sie hastig zurückziehen. »Aber, petite, ich bitte dich, bedenke meine grauen Haare –«

»Mit allem Respekt. Aber jetzt hältst du still, du Duckmäuser, jetzt will ich deine sämtlichen Flammen zusammenzählen uns dein heißes Herz entlarven.«

Lena ließ die Arbeit ruhen, schlang die Hände ineinander und blickte mit ihren großen Augen sinnend in des Fürsten Antlitz. »Wie seltsam!« sagte sie harmlos, »es ist mir noch nie der Gedanke gekommen, Onkel Daniel, daß du jemand anders im Leben hättest liebhaben können als Mama, Jolante und mich! Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß dein Herz jemals für ein anderes weibliches Wesen geschlagen hat, und doch ist es so natürlich und sehr wahrscheinlich.«

»Nein, Lena, beim Himmel nicht! Euch allein hat mein Herz gehört, mit seiner ersten Liebe und seinem ersten und einzigen Glück.«

»Onkel Daniel, du bist ein verstockter Sünder!« lachte Jolante mit drohend erhobenem Finger. »Wenn Du auch ein noch so klägliches Gesicht machst, hier, deine eigene Hand erhebt sich anklagend wider deine Worte. – Sieh her, diese scharfe, klare, ganz besonders stark ausgeprägte Linie verrät mir, daß die Liebe eine große Rolle in deinem Leben spielt, daß sie es ganz und gar erfüllt, daß alles Unglück und alles Elend, das jemals über dich gekommen ist, seinen Ursprung in dieser Schicksalslinie, in der Liebe hat.«

Mit großen, starren Augen schaute Sobolefskoi auf seine leise zitternde Hand nieder. »Und das Ende vom Liede?« fragte er mit heiserer Stimme.

Jolante zog das Näschen kraus: »Ja, so weit reichen meine Kenntnisse nicht aus, liebe Durchlaucht! Ich weiß nur, daß diese kleine Sternbildung – siehst du hier, die feinen strahlenartigen

Striche – die Erfüllung eines großen Wunsches bedeuten, und solch ein Stern schließt die Liebeslinie in deiner Hand ab. Nehmen wir also an, du siehst die Langgeliebte endlich wieder, ihr sinkt euch in die Arme; dein Wunsch, sie einmal im Leben noch an die Brust drücken zu können, hat sich erfüllt, ihr liebt euch, habt euch, Lena und ich überreichen den Brautkranz, riesiges Diner, Rietz-bumm-Regimentsmusik, und das lange Lied der Liebe hat sein Ende erreicht!«

»Onkel Daniel! Diesem Prophetenwort mußt du glauben!« jubelte Lena mit weicher Stimme, und Jolante griff übermütig in die Schale, die mit Blumen gefüllt auf dem Nebentischchen stand, und schmückte das Knopfloch des Fürsten.

Er versuchte, ihre kleinen Hände verlegen abzuwehren, sprach von Trauerweiden und längst entflohener Jugend, und dennoch leuchtete es in seinen Augen wie Glückseligkeit, und er war so heiter und guter Dinge, wie seit langer Zeit nicht mehr.

»Hier scheint ja die Stimmung absolut nicht von dem Thermometerwetter abhängig zu sein!« klang das kräftige Organ des Generals von der Tür herüber, »um so besser, Kinder, ich bin durchfroren bis in das Mark hinein, und wenn ihr jemals den Löwen bei der Fütterung im zoologischen Garten an dem Gitter hochgehen saht, dann habt ihr einen schwachen Begriff von meinem Hunger! Grüß Gott, Daniel – weiß das Donnerwetter, mit Liebeslattich im Knopfloch? Ich sag's ja, Mädels, in acht Tagen repräsentiert er bei unserm Fest den Sohn des Hauses, pflückt sich das jüngste aller Knöspchen und tanzt Kotillon!«

»Aber lieber Groppen!« – und Daniel wurde dunkelrot vor Verlegenheit und Schreck. Der General aber hatte den Arm um ihn gelegt und zog den schwarzstruppigen Kopf an seine Brust, von der anderen Seite schmiegte sich Lena an seine Schulter, und Jolante griff abermals in die Blumenschale und bewarf das »lebende Bild« mit dem dazugehörigen Vergißmeinnicht.

»Komm in die Mitte, Baby, daß ich mein Nest beisammen habe! Seht ihr, Kinder, solch ein Augenblick ist die Oase in dem ›wüsten Leben‹ eines Vaters, der von des ersten Morgens Lichte bis zum Brand der Gaslaternen alle zarten Triebe zwischen Lanzen und Schwertern ersticken muß! Wo ist denn Tante Dore, he? Ich habe ihr wieder Nahrung für die Liste mitgebracht!« Und Herr von Dern-Groppen küßte seine beiden Töchter noch einmal auf die lockigen Scheitel und warf dann einen Stoß Briefe auf den Tisch.

»Ah, neue Zusagen?« Wie elektrisiert schnellte Jolante herum und faßte die Kuverts, ihren Inhalt mit sichtlicher Hast und Erregung durchzusehen.

Lena aber breitete gelassen ein weißes Seidentuch über ihr Klöppelkissen und sagte: »Tante Dore ist bereits nach dem Eßzimmer gegangen, um den Tisch noch einmal zu inspizieren! Sie ist stolz und glücklich darüber, daß du ihre Menüs so oft lobst, und möchte sich nun in ihren Leistungen selber überbieten!«

»Tante Dore ist ein Prachtexemplar, wenn sie mich aber noch lange warten läßt –«

»Herr General, die Suppe ist serviert!«

»Fritze, das war ein Wort zu seiner Zeit! – Avanti, Kinder, sonst falle ich um!« Und lachend legte Herr von Dern-Groppen die Hand seiner ältesten Tochter auf seinen Arm und gewann im Sturmschritt mit ihr die Tür.

»Liebe Jolante, ich habe den Vorzug!«

»Ach, Onkel Daniel, es ist zum Rasendwerden!« und das junge Mädchen warf das letzte der Schreiben zornig zu den anderen Briefen zurück und nahm den dargereichten Arm des Fürsten.

»Sind Absagen gekommen?« fragte Daniel erschrocken.

»Nein, sie sagen alle zu.«

»Und das verdrießt dich?!«

Jolante preßte die Lippen zusammen, und ihre geröteten Wangen wurden langsam wieder bleich. »O nein, bewahre! Wenn man ein Fest geben will, braucht man Menschen dazu; eine jegliche Komödie setzt sich aus Akteurs, Statisten und viel Staffage zusammen. Aber es ärgert mich, wenn die Leute so rücksichtslos sind und die Antwort fast eine Woche lang hinauszögern. Mit Müh und Not hat er Besuch gemacht, läßt nichts sehen und hören von sich, und dabei tat er damals doch, als wollte er das tägliche Brot bei uns werden.«

»Von wem redest du denn, Jolachen?!« fragte Sobolefskoi mit erstaunten Augen, »wer läßt nichts sehen und hören von sich?«

Jolante wurde dunkelrot und legte unwillkürlich die Hand vor den Mund. Dann mußte sie schrecklich husten, so lange, bis sich der General auf der Schwelle des Eßsaales umwandte und mit erhobenem Finger fragte: »Ei, ei, sind wir etwa wieder im offnen Wagen ausgefahren?«

Da gab sein Töchterchen sehr lange und ausführliche Auskunft, und als man sich zu Tisch gesetzt hatte, war sie von seltener, fast nervöser Gesprächigkeit und ließ keinen anderen zu Worte kommen. Tante Dore war höchlichst erstaunt darüber, denn für gewöhnlich war Jolante sehr phlegmatisch und schwärmerisch und redete nur das Allernotwendigste.

Besagte Tante Dore, die verwitwete Baronin Dorette von Loguth und jüngste Schwester des Generals, vertrat an den beiden Nichten Mutterstelle und repräsentierte in dem sehr geselligen und gesuchten Hause des Bruders. Sie war eine etwas starke, würdevolle Frauengestalt mit nicht geistvollem, aber sehr lebenslustigem und liebenswürdigem Antlitz, mit viel Geschmack und Sinn für elegantes Leben und von einer fast kindlichen Naivität, was Praktik und Ökonomie anbelangte.

Mit sehr erwartungsvollem Lächeln reichte sie dem General die kleine Elfenbeinkarte, auf die sie jeden Mittag höchst eigenhändig die Reihenfolge der Speisen für den Bruder niederschrieb. Der braune Seidenärmel schob sich etwas an dem runden Arm empor, und Groppen neigte sich galant und küßte ihn über der breiten Goldspange.

»Rolly-polly-Pudding, Dorchen?!« sagte er gerührt, »damit kannst du mich ja mal wieder aus dem Grabe herauslocken, wenn kein anderes Wiederbelebungsmittel hilft. Famos, auf Wort!«

»Wenn er nur recht heiß auf den Tisch kommt, das ist eine Hauptbedingung für seinen Wohlgeschmack; sowie er steif wird, ist's vorbei. Wir müssen faktisch einen Aufzug aus der Küche hier in den Saal haben! Es ist unerhört, daß das in solchem Hause versäumt werden konnte!«

Der Diener hatte die Teller nach dem ersten Gang gewechselt. Auf dem Korridor klingelte es heftig.

»Nur keine Ordonnanz! Jetzt kommt ja der Pudding!« seufzte die Baronin in jähem Schreck.

Auch Groppen runzelte die Stirn. »Sieh mal, was los ist, Fritze.«

Der Diener verschwand und schien lange mit dem Störenfried zu verhandeln. Endlich erschien er wieder und blieb rapportierend an der Tür stehen.

»Herr General, da draußen ist ein Ulan, der den Herrn General in dringender Angelegenheit zu sprechen wünscht.«

»Ein Ulan?!« schrie Jolante auf.

»Ein Offizier oder sonst wer? Sprich doch deutlich, zum Donnerwetter!«

»Er sagt, er sei der Bursche des Herrn Premierleutnant von Flanken.«

»Na, dann wird er wohl irgendeine Bestellung betreffs des Balles machen wollen, sag' ihm nur, wenn das der Fall wäre, sollte er dir's getrost ausrichten!«

»Soll ich vielleicht mal sehen, Papa – –«

»Unsinn, sitzen geblieben. Werden schon keine Staatsgeheimnisse sein. Flanken? Flanken? Wer ist denn das eigentlich?«

Jolante hatte sich zögernd wieder niedergesetzt.

»Das ist ja der Ulanenoffizier, den wir in Alt-Dobern kennenlernten, Papachen! Der bei Kuffsteins im Quartier lag!« berichtete sie eifrig, die Augen auf die Tür geheftet. »Du weißt doch, der riesenstarke Mensch, der mit seinem Pferd die Polonäse tanzte!«

»Ah so, ich entsinne mich. Will mich vielleicht zum Ringkampf herausfordern lassen, der Teufelskerl!!« und Herr von Groppen griff lachend nach seinem Rotweinglas. »Die Unterhaltung scheint sich in die Länge zu ziehen da draußen! He, Walter! servieren Sie währenddessen, ich kann solche Unterbrechungen bei Tisch in den Tod nicht ausstehen!«

Der Silberdiener verschwand eilfertig, in der Tür dem zurückkehrenden Fritz begegnend. Dieser sah sehr echauffiert aus, just, als habe er sich schrecklich über etwas geärgert.

»Herr General, der Mensch läßt sich absolut nicht bedeuten, er verlangt sehr entschieden den Herrn General selber zu sprechen, weil es ihm so von seinem Herrn Leutnant befohlen sei. Ich glaube, er versteht gar nicht ordentlich deutsch, weil er selber so kauderwelsch redet, wie ein Slowake!!« und Fritz' spitzes Mausegesicht mit den grellen Schwarzäuglein nahm eine sehr verächtliche Miene an.

»Na, zum Donnerwetter, dann 'rein mit dem Kerl! Verzeiht, liebe Kinder, es ist faktisch eine tolle Zumutung, daß ich wegen dieses Rossebändigers meinen Pudding im Stich lassen soll!« Und die Augen des alten Herrn blickten nach der Silberplatte, auf der sein Leibgericht, köstlich dampfend, soeben in das Zimmer getragen wurde.

Fritze verschwand sehr eilig, und eine Minute später dröhnten des Frantusch Niekchen schwere Nägelstiefel auf dem Parkett.

Die Blicke aller Anwesenden hafteten auf dem hübschen Gesellen mit dem gutmütigen, gebräunten Gesicht und den lebhaft blitzenden Augen, wie er respektvoll vor seinem General strammstand und die Finger an die Hosennaht legte. Groppen stützte die Hand auf das Knie und nickte dem gewissenhaften Burschen in seiner jovialen Weise zu. »Wie heißt du, mein Sohn?«

»Heiß' ik Frantusch Niekchen.« »Bursche bei dem Herrn Premierleutnant von Flanken?«

»Befehll, Herr General.«

»Und du sollst mir persönlich eine Meldung machen?«

»Befehll. Hat Leutnant gesogt: ›Niekchen,‹ sogt er, ›wirst du gehen mit Pferdebahn pascholl zu General von Groppen.‹«

»Gut; und was sollst du bestellen?«

Niekchens blaurote Hand fuhr in momentaner Verlegenheit hinter das Ohr, ein verschmitztes Lächeln zuckte um seinen Mund.

»Is sik Bestellung, wo's is nix so leicht, General. Hot Premierleutnant gesogt, daß ik soll forschen und ausfragen ganz pfiffig, damit sik General nix merken tät.«

Die Damen hielten mit abgewendeten Gesichtern schnell die Taschentücher an die Lippen, und Jolante bekam einen blutroten Kopf.

Herr von Dern-Groppen aber lachte laut auf. »Sei ganz beruhigt, mein braver Frantusch Niekchen, und frage mich getrost aus, ich merke absolut nichts davon!«

Der Ulan blieb todernst. »Hot Leutnant ander Stüberl genommen, und hot grünes Jagdjuppen verschenkt, wo sik Briefeln instaken! Weiß Leutnant meiniges darumb nix genau, ob er hot Einladung erhalten für Ball oder nix Einladung!«

Allgemeine, sehr heitere Erregung an der Tafel.

»Papachen, du hast doch keine Konfusion gemacht?« rief Jolante ungestüm. »Wo hast du denn die Liste?«

»Bleib nur sitzen, Baby,« lachte der Offizier höchlichst amüsiert, »die Sache können wir gleich konstatieren. Leutnant von Flanken – hm – werde sofort mal nachsehen!« Und er schob den Stuhl zurück.

»Aber bester Bruder!« – und Baronin Loguth wies kläglich auf die leckere Puddingscheibe, welche sie ihm soeben auf den Teller gelegt hatte.

»Ja, bestes Dorchen, es tut mir selber leid, aber du siehst, es hilft ›nix‹, der Flanken hat's noch eiliger als ich!« und Groppen erhob sich, ließ seine Leibspeise im Stich und schritt nach seinem Zimmer. Nach einer kleinen Weile kam er langsam zurück, zwei mächtige Listen in der Hand. »Himmel und Leutnants!« murmelte er, »jetzt lernt man erst solch eine strategische Macht kennen, die einen Ballsaal stützt. Hornisch – Plessen – Lanken – Röper – Arprecht – Franken – Heerden – Rankow – Austerlitz – da sieh mal währenddessen diese Reihe durch, Lena – könnt auch mal merken, daß ihr Generalstöchter seid! – Halfingen – Lüthen – Malsburg – Ollmann.«

»Nein, ich finde ihn nicht, Papa!«

»Aha hier!« Groppen blickte auf das Papier nieder und biß sich auf die Lippe. Dann lachte er leise auf und wandte sich in französischer Sprache an seine Angehörigen. »Ja, hier steht er, Kinder! Aber ein Kreuzchen dabei mit der Bemerkung: tanzt nicht; nur Dinereinladungen, das hat mir Ursula gesagt, die mir damals die Visitenkarten der Herren aussuchen half!«

»Aber Papa, das ist unerhört von Ursula!« fuhr Jolante höchlichst alteriert empor. »Er kommt riesig gern und ist amüsanter als viele andere, die wie die Wasserfälle tanzen! Der arme Mensch, nun ist er gewiß beleidigt!«

»Ach, Unsinn! – beleidigt! Du siehst ja, was für Kniffe und Pfiffe der Schlingel in Szene setzt, um noch eine Einladung herauszuquetschen! Na in Gottes Namen, wer gern in mein Haus kommt, ist stets gern gesehen! Laden wir ihn also ein.«

Jolantes Augen leuchteten, der General aber wandte sich zu Niekchen und sprach mit lauter und klarer Stimme seine Instruktion.

»Also zugehört, mein Sohn. Bestelle deinem Herrn Leutnant einen schönen Gruß, und er wäre eingeladen. Verstanden?«

»Befehll!« Anstatt aber kehrtzumachen, richtete sich Niekchen noch strammer denn zuvor auf, holte tief Atem und sagte: »Hot Leutnant meinigtes gesogt, Niekchen, hat er gesogt: wenn ich bin eingeladen, dann bestell Kumpliment höffliches und sog', doß Premierleutnant von Flanken nix kommen kunnte, weil er hat Einladung anders.« Einen Moment starres Anstaunen des biederen Ulanenburschen, dann ein schallendes, haltloses Gelächter, in das der General mit einstimmte, daß er sich die Seiten hielt.

»Und darum durfte mein schöner Pudding eiskalt werden, Kinder!! – Fritze, nimm mal den Frantusch Niekchen mit in die Küche und hänge ihm einen Verdienstorden in Gestalt eines großen Stück Bratens um den Hals, verstanden? und eine Flasche Bier dazu.« Und sich zu dem Genannten selber wendend, fügte der alte Herr voll Humor hinzu: »Es ist gut, mein Sohn, warte in der Küche, bis ich fertig gegessen habe, dann sollst du einen Brief an deinen Herrn Leutnant mitnehmen. Rechts kehrt, marsch.«

»Befehll, Herr General.« Und Niekchen schnellte mit leuchtenden Augen auf den Hacken herum und marschierte hallenden Schrittes nach der Tür zurück.

»Papachen – was – was willst du dem Herrn von Flanken denn schreiben?« fragte Jolante sehr leise, ohne von ihrem Teller aufzusehen. Sie war die einzige gewesen, die nicht mitgelacht, sondern aufsprühenden Blicks sich auf die Lippe gebissen hatte.

Herr von Dern-Groppen schob in bester Laune seinen Teller zurück.

»Ich werde den Herrn von Flanken aus Rache einladen, morgen bei uns zu essen. Dann soll er zur Strafe den kalten Pudding, an dem er die Schuld trägt, bis zum letzten Happen runterwürgen. Hebst ihn auf, Dore, ganz so, wie er da ist, verstanden?« – –

Niekchen aber saß in der Küche und schwelgte in Braten und Salat, und als er die zweite große Portion nicht mehr zwingen konnte, holte er sein baumwollenes Schnupftuch heraus, auf dessen rotem Untergrund die vier Medaillonbilder von Kaiser, Kronprinz, Moltke und Bismarck großartigen Effekt erzielten, breitete es auf dem Anrichtetisch aus und packte Fleisch und Kartoffelsalat ohne jegliche Prüderie hinein.

»Aber Herr Ulan, in Ihr Taschentuch packen Sie das Essen?!« rief Jungfer Minna, die feine Zofe, mit ersichtlichem Nasenrümpfen dem Beginnen zuschauend.

Niekchen sah sie treuherzig an, und da er die Sorge des Fräuleins falsch auffaßte, so beruhigte er sie mit dem Brustton vollster Überzeugung: »Is sik nix schlimm, Marinka, is sik kein neues, propperes Tüchel etwo!! Is sik Tüchel, was ik hob schon seit fünf Wochen in Hose meinigtes! Altes Tüchel, Marinka!«

Und Frantusch Niekchen knüpfte die vier Zipfel sorglich zusammen und transportierte seine kulinarischen Schätze wie in einem Pompadour nach Hause.

 


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