Nataly von Eschstruth
Hofluft
Nataly von Eschstruth

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IV.

Als der Premierleutnant von Flanken den Brief des Generals von Groppen gelesen und Niekchens sehr vergnügten, ausführlichen Bericht der Expedition angehört hatte, setzte er sich langsam auf den nächststehenden Holzschemel nieder und ließ die Hände schlaff herniederhängen.

»Wann mich jetzt nit der Schlag rührt – nachher tut er's nimmer!« stöhnte er, in seinem heimatlichen Dialekt sprechend, was er stets tat, wenn ihn seine Gefühle übermannten, und dann wandte er den Kopf zu dem seitwärts stehenden Frantusch und sagte lakonisch: »Niekchen, einen Schnaps!«

Und der biedere Wasserpolacke öffnete behend den kleinen Eckschrank, in dem sein Gebieter stets einen »Ohnmachtshappen« in Form eines gigantischen Schwartenmagens oder Edamer Käses bereitstehen hatte, ergriff die dickbauchige Flasche, darinnen ein derber Gilka gluckerte, und kam den schwer geprüften Nerven seines Leutnants zu Hilfe.

»So; und nun die erste Garnitur!«

Mit schwerem Stoßseufzer kleidete sich Flanken um, nachdenklich vor sich hinstarrend, und dann und wann einen Gedankensplitter

im Selbstgespräch publizierend: »Eine nette Bescherung! – eine angenehme kleine Visite – Bomben-Hagel-Element – jetzt kann mir der heilige Münchhausen beistehen, daß ich mich aus der Soße wieder herauslüge!«

Niekchen stand in unbehaglichem Nichtbegreifen seines Herrn mit der Kleiderbürste bereit und kratzte in der Angst seines Herzens drauf los, als wolle er den Rücken des Herrn Leutnants so spiegelblank wichsen wie seine Stiefel.

Endlich legte er ihm den Paletot über die breiten Schultern, und Flanken klirrte mit umwölkter Stirn nach der Tür. Er war schon halb hinausgetreten, als er sich noch einmal umwandte: »Niekchen!«

»Befehl, Herr Leutnant!«

»Wann gehste wieder zur Beichte?«

»Geh ick übermorgen, Herr Leutnant.«

»Na, dann vergiß nicht, dem Herrn Pfarrer mit zerknirschtem Herzen einzugestehen, daß du das größte Rindvieh bist, das jemals auf dem lieben Herrgott seiner Weide gegrast hat! – Kapiert?«

Niekchen machte ein unendlich klägliches Gesicht und senkte schuldbewußt das Kinn auf die Drelljacke, Flanken aber legte ihm wehmutsvoll die Hand auf die Schulter und fuhr mit schwerer Betonung im süddeutschen Stimmklange fort: »A Sünd ist's ja grad nit, Niekchen, aber ... schön ist's a nit!« Sprach's und schritt mit rasselndem Säbel die Treppe hinab.

Niekchen aber schämte sich so sehr, daß ihm ganz schwach wurde, und davon wußte der Gilka ein Lied zu singen, frei nach Wilhelm Busch: »Das eben ist ja das Malheur, wer Sorgen hat, der trinkt Likör!«

Leutnant von Flanken aber warf sich in die nächste Droschke und fuhr zum General von Groppen.

Er traf die ganze Familie in heiterster Laune bei dem Kaffee an, der nach dem Diner im Zimmer des Generals getrunken wurde, und fand, daß die Situation nicht so peinlich war, wie er sie sich vorgestellt hatte. Herr von Dern-Groppen nahm ihn allerdings mit schlagendstem Witz in Empfang und glaubte an alles andere eher, als an eine von Niekchen verursachte Konfusion, und als Flanken mit stets wiederholten sporenklirrenden Verbeugungen versicherte, daß er so gern das Tanzfest der Herrschaften besuchen würde, da nahm ihm der General lachend die Tschapka aus der Hand und sagte: »Na, dann stellen Sie Ihr Schlachtschwert mal in die Ecke und versuchen Sie es, ob Sie meine schwer entrüsteten Damen wieder versöhnen können! – Haben Sie über die nächste Stunde verfügt? – Nein? ... Na famos, dann rauchen Sie eine Friedenspfeife mit uns und lesen Sie zum Dessert die Konduite, welche Ihnen Jolante heut ins Tagebuch geschrieben hat!«

Ja, Jolante! Flankens Blick kehrte immer wieder zu ihr zurück, denn sie war die einzige, die das Näschen ein wenig pikiert zurückwarf und ihn mit den großen, träumerischen Augen sehr vorwurfsvoll ansah. Wie sollte er sie nur wieder gutmachen? Flanken wurde es vor Angst siedend heiß. Und wie unglaublich reizend sie wieder aussah! Wenn sie die Mokkatäßchen neu füllte, sahen ihre schneeweißen Händchen wie graziöse, kleine Schmetterlinge aus, die das Silbergeschirr umflatterten. Mit so viel Liebenswürdigkeit war noch niemals ein junger Offizier im Groppenschen Haus aufgenommen worden, wie Flanken, der nach einer Viertelstunde schon so seelenvergnügt im Kreise seiner neuen Freunde saß, als habe er schon manchen Scheffel Salz mit ihnen gegessen. Auch Jolante hatte sich versöhnen lassen, und wenn sie lachte, verwunderte sich Flanken jedesmal von neuem und dachte: »Gerade solche Zähnchen hatte die Wachspuppe meiner Schwester, die ich, als höchste Auszeichnung, spazieren tragen durfte, damals, als wir Kinder noch im heimatlichen Park spielten und ich mit Passion die Rolle des Kindermädchens übernahm!« – Ja, damals hatte es sich Flanken als höchstes Glück gedacht, auch einmal solch eine Wachspuppe zu Weihnachten zu bekommen.

Dann erinnerte er sich plötzlich des versprochenen Malunterrichts, und weil gerade eine Pause im Gespräch eintrat, mahnte er Jolante sehr ernsthaft an ihre Verpflichtungen. Sie nahm's wider Erwarten freundlich auf, und unter allgemeinem Gelächter wurde dem Premierleutnant die Erlaubnis erteilt, an den Malstunden der jungen Damen hier im Hause teilzunehmen. Er bestand darauf, daß der Kursus sofort beginne, und richtig, am andern Tag schon, zur festgesetzten Stunde, klingelte es sehr energisch an der Groppenschen Haustür, und Herr von Flanken betrat mit feierlichem Gesicht das Vestibül, hinter ihm Niekchen, der eine riesige Leinewandmappe und einen großen Kasten voll der schönsten Farben und Pinsel trug.

Die junge Malerin, die den Unterricht erteilte, hatte gar nichts dagegen, daß der Ulanenoffizier sich an den Stunden beteiligte, und Fürst Sobolefskoi sah sich den Fall mit an und lachte Tränen bei der ausgelassenen Stimmung, die die sonst so langweiligen Stunden plötzlich beherrschte.

»Sagen Sie mal, gnädiges Fräulein, kann ich nicht auch solch eine Schürze vorgebunden bekommen, wie die Damen solche tragen?« fragte Flanken in seinem tiefen Baß, und die Lehrerin nickte zu Jolantes lautem Lachen ganz ernsthaft und sagte: »Wenn Sie Öl malen wollen, würde es der Uniform wegen sehr dienlich sein! Haben Sie irgendeinen Wunsch, welches Bild oder welche Vorlage Sie kopieren möchten?«

Der Ulan wiegte das Haupt mit dem blonden Kraushaar überlegend hin und her. »So was recht Appetitliches! Vielleicht ein Stilleben mit 'nem Fasan und Austern drauf – können auch ein paar Hummern dabei sein!«

Jolante, Lena und Fürst Sobolefskoi lachten noch mehr, Fräulein Sorgisch aber blickte den Sprecher ganz erstaunt an und sagte: »Solch ein Künstler sind Sie bereits, daß Sie sich an derart schwierige Aufgaben wagen wollen? Allen Respekt! Bei wem haben Sie bis jetzt gemalt, Herr Leutnant?«

Flanken lächelte sie harmlos wie ein Engel an. »Bei niemand; ich bin Autodidakt!«

»Haben Sie nicht ein paar Bilder mitgebracht?«

»I, wie kann ich denn!«

»Auch keine Zeichnungen?«

»Gott bewahre!«

»Aber ich bitte Sie, warum denn nicht?«

Flanken sah ganz alteriert aus. »Ich kann doch meine Tischplatte nicht hierher schleppen! Und die paar Hunde und Kaninchen, die ich darauf entworfen habe, sind eben meine einzigen Zeichnungen!«

Schallendes Gelächter.

»So wollen Sie jetzt also überhaupt erst anfangen zu zeichnen?«

»Schnacken! Ich male sofort los!«

»Aber Herr von Flanken, das geht ja gar nicht!«

»Na, dann kann ich ja in Gottes Namen erst mit den Faberschen Bleistiften losarbeiten!« fügte sich der riesige Schüler resigniert. »Schenken Sie mir ein Stück Papier Durchlaucht, oder kann ich meine Leinwand nehmen?«

»Gott behüte, hier haben Sie ein Zeichenbuch!« Und Jolante breitete ein aufgeschlagenes Heft vor ihm aus, »jetzt wird mit Strichen angefangen: schöne gerade Striche – sehen Sie, so.«

»Auf die Striche sollen Sie sehen. Fräulein, bitte, zeichnen Sie ihm vor.«

Es war ein unendlich komisches Bild, wie der hünenhafte Mann mit der ungefügen Faust, voll feierlichen Ernstes begann, einen senkrechten und einen wagerechten Strich nach dem andern zu Papier zu bringen.

»Hören Sie mal, Fräulein Sorgisch, das ist ja eine ganz elend schwierige Geschichte,« stöhnte er auf, »ich werde einfach das Lineal nehmen.«

»Gott bewahre; alles aus freier Hand!«

»Durchlaucht, Sie leiden das und wollen Mitglied des Tierschutzvereins sein?!«

»Bitte, Herr von Flanken, nicht immer dem Fräulein Jolante beim Malen zuzusehen – selber tätig sein!«

»Na ja, ich zeichne Ihnen ja schon wieder die schönsten Spargel, die Sie sich vorstellen können; ich muß mich immer mal verschnaufen, sonst bekomme ich den Zitterkrampf in die Hand! Apropos, ich will Ihnen mal eine prachtvolle Geschichte erzählen, gnädiges Fräulein, aber Sie müssen aufsehen und zuhören.«

»Pst, gezeichnet wird und nicht geschwatzt!«

»Aber erlauben Sie mal, Fräulein Sorgisch, soll das etwa der Zweck einer Malstunde sein, daß wir weiter nichts tun, als drauflos pinseln?!«

Fürst Sobolefskoi amüsierte sich königlich, und es war ganz seltsam, wie Flanken, dieser wildfremde Mensch, gleich wie der beste und langjährige Freund plötzlich in dem Groppenschen Haus verkehrte, als verstünde sich das ganz von selbst.

»Flanken ist ein Original, den man mit ganz anderem Maßstab messen muß, wie die übrigen Herren!« hatte Lena gesagt. »Bei diesem gutmütigen, liebenswürdigen und beinahe naiven Menschen kommt einem gar nicht der Gedanke, daß man ihm mit gewohnter Förmlichkeit begegnen müsse!«

Und so erschien Flanken zwei Tage darauf abermals zu der Malstunde, und auch am Tage vor dem Groppenschen Ball klingelte Frantusch Niekchen an der wohlbekannten Haustür, nickte dem Diener Fritze vertraulich zu und überreichte das Zeichenbuch seines Herrn und Gebieters.

»Ein Empfell soll ik machen von Premierleutnant, und Büchel abgeben. Hot Leutnant gesogt, daß er hot Dienst und kann sik nich kommen vor Viertelstundel. Soll ik warten auf Leutnant, wos hot Befell für mich weiteres.« Und Niekchen war überzeugt, daß es sich in der Küche auf alle Fälle angenehmer warte, als im Korridor, darum steuerte er direkten Wegs nach dem Souterrain, an das sich für ihn mehr leckere, als lyrische Erinnerungen knüpften.

Fritze sah ihm mit naserümpfender Geringschätzung nach. Der Polacke war ein hübscher, gelenkiger Kerl, aber ein Kaffer durch und durch. Er hatte weder Pomade noch Parfüm im Gebrauch, und wenn das ja in erster Linie ein böses Zeichen für den Toilettentisch des Herrn von Flanken war, so mußte der Bursche dennoch für die Sparsamkeit des Leutnants büßen. In den Augen einer feinen Kammerjungfer fängt der Mensch erst mit Eau de mille fleures und einer goldenen Taschenuhr an, ebenso wie bei ihrer Dame die Existenz der Verehrer mit den Epaulettes oder Doktorhut beginnt. – Niekchen hatte keinerlei Chancen bei den Schönen des Souterrains, und Fritze war nicht im mindesten eifersüchtig, dennoch folgte er nach kurzer Zeit dem Ulanen, um ihm einen tüchtigen Anschnauzer zu erteilen. Selbstverständlich vor den Damen. »Für Leute seines Genres sei die Hintertreppe da!« erklärte er ihm ein für allemal, »und wenn er in seiner Dummdreistigkeit noch einmal den ›Aufgang für die Herrschaften‹ heraufgetrampelt käme, dann schlüge er ihm die Tür vor der Nase zu; er sei nicht engagiert, um Leutnantsburschen zu bedienen! Hier in der Küche sei auch kein Aufenthalt für ihn. Er könne gefälligst auf dem Korridor warten!«

Niekchen grunzte etwas Unverständliches in die große Kaffeetasse, die er just zum Munde führte, hinein und reichte sie alsdann, Fritze völlig ignorierend, der dicken alten Köchin zurück. »Schmeckt sich so süß und heiß, wie sich muß schmecken Kußchen von dir, Marinka!« nickte er galant und wohlberechnend.

Und die Beherrscherin der Kochtöpfe fand Niekchen einen scharmanten Menschen und stemmte die runden Arme in die Seiten. »Der Herr Niekchen wird ein für allemal hier in der Küche warten, verstanden? Hier habe ich's Wort.« Sprach's und füllte die Tasse abermals mit viel Kaffee und noch viel mehr Zucker.

Es klingelte wieder, und diesmal kam Fräulein von Kuffstein und wünschte ihre Cousinen zu sprechen. Da flatterte Fritze graziös die Treppe empor, um anzumelden, Niekchen aber erfreute sich unter dem wohlwollenden Schutz der neuen Freundin eines ungetrübten, wundervoll ergiebigen Kaffeestündchens.

In dem Salon der jungen Damen brannten die hellen Gasflammen über dem Tisch, an dem Fräulein Sorgisch die Nachmittagszeichenstunde erteilte.

Ursula hatte abgelegt und erklärt: »Kinder, den Flanken muß ich pinseln sehen! Das denke ich mir ebenso vergnüglich anzuschauen, wie ein Nilpferd, wenn's Ballett tanzt!«

Jolante warf etwas indigniert das Köpfchen zurück. »Wenn du dich etwa über unsern netten Flanken mokieren willst, dann laß dir im voraus sagen, daß wir das in unserem Haus nicht dulden werden!«

»Bist verrückt! Ich und mich über den einzigen Menschen mokieren, der hier mein Leidensgenosse ist. – Es gewährt stets einen süßen Trost, wenn ein Tolpatsch einem andern begegnet!« Und Ursula wollte gewohnheitsmäßig die Arme dehnen, besann sich aber und ließ sich statt dessen in einem nahestehenden Schaukelstuhl nieder, um sich lebhaft darin zu schwingen.

Fürst Sobolefskoi blickte scharf zu Jolante hinüber, als erwarte er ein Dementi für den »Tolpatsch«, sie schattierte jedoch gelassen an dem Baumschlag ihrer Zeichnung und schien nicht sonderlich zum Debattieren aufgelegt.

Gleichzeitig fast trat Herr von Flanken ein und bestätigte das alte Sprichwort, daß der Wolf meistens hinter dem Busch steht, wenn man von ihm spricht. Ursula war sehr animiert und eröffnete sofort eine eifrige Unterhaltung, der reckenhafte Künstler in der Ulanka jedoch, welcher sich ebenso energisch wie ungeniert seinen Stuhl zwischen Jolante und Fräulein Sorgisch geklemmt hatte, hauchte, um sie zu erwärmen, so energisch in seine Hände, daß alle losen Seidenpapiere auf dem Tisch hoch aufflatterten, schlug feierlich sein Zeichenbuch auf und schaute, eine »Finznase« ziehend, mit zwinkerndem Blick zu Fräulein Kuffstein hinüber. »Hm, das möchten Sie wohl! Das könnte Ihnen gefallen, sich tatenlos hier in das Atelier zu setzen und recht hübsch unterhalten zu werden! Nee, nee, meine Gnädigste, so ist das nicht Mode bei uns, hier wird stramm gearbeitet! Was glauben Sie denn, wenn man gerade Striche ziehen muß, zweitausend Stück auf eine Seite, dann bedarf man der Sammlung!« Und er setzte den Bleistift an und füllte voll feierlichen Ernstes die Doppellinien mit »Lanzenschäften« aus.

»Zum Schockdonnerwetter!« wollte Ursula auffahren, aber sie besann sich noch rechtzeitig darauf, daß Prinzeß Kordelia neulich bei Tisch an einer Dame getadelt hatte, »sie fluche wie ein Unteroffizier, und das sei widerwärtig!« und darum sagte sie nur, die Hände zusammenschlagend: »O du ewige Kümmernis, dann sterbe ich ja vor Langeweile!«

»Hier – spitzen Sie Stifte! Weiß der Kuckuck, was für ein Kapital an Blei diese Striche verschlingen. Sie könnten eigentlich auch helfen, Durchlaucht, als Gegenleistung dafür, daß Sie hier unentgeltlich die Heizung und Beleuchtung des Ateliers mitgenießen! Fünf brennende Lampen! Sie wollen mich hoffentlich nicht glauben machen, daß Sie sich für Ihre Person allein fünf Lampen leisten würden!«

Allgemeine Freude; Ursula und Fürst Sobolefskoi unterstützten den fleißigen Premierleutnant durch prompte Instandhaltung des Handwerkszeuges, das der Kraft solcher Finger nicht gewachsen war.

»Nun sag' doch einmal, Lena, wie viele Menschen kommen eigentlich morgen abend zum Ball?« begann Cousinchen Kuffstein von neuem die Unterhaltung, schob die Lippen vor und schabte eifrig an dem »Faber Nr. 3«. – »Onkel ist ja ganz geschwollen vor Wonne und Stolz, daß Prinzeß Kordelia für eine Stunde ihr Erscheinen zugesagt hat! Eben als ich kam, guckte ich in den Tanzsaal hinein und sah ihn mit den Dekorateuren höchlichst interessiert herumwirtschaften; na, ich wünsche gesegnete Mahlzeit, das wird wieder einen guten Batzen kosten!«

»Ich habe mir die Räumlichkeiten ebenfalls angesehen,« nickte Fräulein Sorgisch, den Pinsel in die Siena tauchend, »und glaubte mich wirklich in einen Feenpalast versetzt. Wenn sich in dem kleinen Boudoir, das mit blühenden Orangen und rosa Kuppeln dekoriert ist, nicht sämtliche junge Herrschaften verloben, dann begreife ich's nicht.«

»Erlauben Sie mal, Fräulein Sorgisch!« Flanken hob mit vorwurfsvollem Blick den Kopf und deutete auf sein Zeichenbuch, »nennen Sie das etwa Zeichenstunde? Sie müssen auf die Individualität Ihrer Schüler eingehen und aufregende Gespräche im Beisein eines Leutnants vermeiden. Wenn Sie von Verloben reden, bekomme ich Herzklopfen, und das ist der Ruin für eine ruhige Hand. Hier, sehen Sie sich die Folgen Ihrer Tat an, ist das eine gerade Linie?«

»Nein, das ist der reine Forellenbach!«

»Ruhig, ich werde Herrn von Flanken die Geschichte vom Bratwürstchen oder vom Däumelinchen erzählen, die regt ihn sicherlich nicht auf.«

»Was wissen Sie denn von meinem Gemütsleben, Fräulein Urschel-Purschel! Es gibt gar keine größere Alteration für einen hungrigen Menschen, dem es erst in zwei Stunden zum Futterschütten bläst, als an Bratwurst erinnert zu werden, und was das Däumelinchen anbelangt – ja, so ein Däumelinchen zerstreut mich auch. Da interessiert es mich, was solch winziges Ding wohl mit Sack und Pack wiegen mag, oder was es für eine Handschuhnummer trägt.«

»Aber Herr von Flanken!« Jolante zog voll Entrüstung, unter lautem Gelächter der Umsitzenden, ihre Hand zurück, denn der Sprecher hatte mit einem Pinsel in den »Karmin« getupft und in der Zerstreutheit »Nr. 3½« auf die zierliche Rechte seiner Nachbarin geschrieben.

»Gräßlich! was einem gedankenwirren Menschen doch alles passieren kann! Einen Augenblick, mein gnädiges Fräulein! Das sollte fehlen, daß Sie die teuren Stunden schwänzen, um sich die Hände zu waschen.« Und Flanken zog hastig die Fingerchen Jolantes an die Lippen und drückte auf die Nr. 3½ einen Kuß. »So! Die Hauptsache ist verblaßt, mit dem Rest können Sie nach der Stunde abrechnen.«

Ein lautes, übermütiges Durcheinander, Jolante schmollte mit dem zierlichsten Mündchen und Lena drohte lachend, daß kommentwidrige Kunstschüler an den Katzentisch kämen.

Allmählich legten sich die hohen Wogen. Flankens Striche wurden immer abenteuerlicher, und er versicherte, daß er ganz entschieden mehr Talent für Bogenlinien habe. Daraufhin durfte er Kreise in Quadrate zeichnen, was unter qualvollem Stöhnen effektuiert wurde. Zu einem hübschen, runden Ringlein konnte er es nimmer bringen, aber er gab sich, laut seiner Versicherung, die erdenklichste Mühe. Vorläufig glichen seine kühnen Entwürfe allerdings mehr der Grenzlinie Bayerns, als einem zirkelrunden Kreise.

Daniel amüsierte sich köstlich. Der schwere Kavallerist mit seiner gemütlichen Baßstimme und dem biederen Humor hatte sein ganzes Herz erobert.

Wolkenlos lachte der Himmel über seinem Haupt, und der einsame, liebearme Mann lachte zum erstenmal im Leben so recht aus frohem, leichtem Herzen und überflog mit zärtlichem Blick die kleine Runde: Ach, daß es doch immer so bliebe!

Wiederum spielte das Gespräch auf den bevorstehenden Ball hinüber, und Jolante versicherte mit leuchtenden Augen, daß sie unendlich gern tanze, und daß ein guter Walzertänzer ihr noch weit lieber sei, als ein perfekter Schlittschuhläufer. Flanken fuhr, seiner Gewohnheit gemäß, mit den gespreizten Fingern durch sein Kraushaar.

»Diesmal tanzen wir aber die Polonäse zusammen!« schmunzelte er. »Königin Gudrun kann ich doch nicht wieder mitbringen!«

»Polonäse?« Jolante lehnte das Köpfchen zurück und wickelte eine ihrer lichtblonden Locken in lässigem Spiel um den Bleistift. »Es wird leider keine Polonäse morgen abend getanzt!«

Der Ulan klappte mit wuchtigem Nachdruck sein Zeichenbuch zu. »Keine Polonäse getanzt? Und das soll ein Ball sein?! Nahmen Sie mir's nicht übel, aber da kann mir Ihr ganzes Fest mitsamt all seinen Prinzessinnen und Exzellenzen sechsundzwanzigmal aus dem Tornister fallen! Ein Ball und keine Polonäse! Keine Polonäse, wenn ich komme! Das ist ein Crimen capitale! Das brauche ich mir nicht gefallen zu lassen! Adjeh Sie, ich gehe nach Hause!«

Fräulein Sorgisch lachte, daß sie beide Hände gegen die Schläfen drücken mußte. »Aber Herr von Flanken, warum legen Sie denn just so viel Wert auf die Polonäse?«

»Weil das überhaupt der einzig menschenwürdige Tanz ist!« zürnte der junge Offizier in scherzhaft outrierter Erregung, »all die anderen Ballettsprünge spielen keine Rolle bei mir.«

»Das nenne ich umgekehrte Welt! Bis jetzt hörte ich stets, daß der Kotillon der verhängnisvolle ›Brennpunkt‹ der Tanzkarte sei! Wenn eine junge Dame von ein und demselben Herrn öfters zum Kotillon engagiert wird, so sind seine Namenszüge, die so harmlos auf dem goldgeränderten Kärtlein aussehen, doch meistens Wölkchen, die Hymens leuchtender Fackel vorauswehen, und wenn ein junges Mädchen den Kotillon für einen bestimmten Tänzer reserviert, so ist Heines Phönix völlig berechtigt, auch von ihr zu singen: Sie liebt ihn, sie liebt ihn!«

»Famos, Durchlaucht! Diese ›Kundgebung an mein Volk‹ werde ich mir sofort einmal notieren! Kotillon, weiß der Teufel, was das für einen Menschen, der die Tanzsäle quasi nur vom Hörensagen kennt, für einen unheimlichen Klang hat!« Flanken legte die Arme behaglich breit auf den Tisch und musterte die jungen Damen der Reihe nach. Ein verschmitztes Lächeln spielte um seine Lippen. »Also der Kotillon! Na, Fräulein von Kuffstein – da wir so ganz unter uns sind – für wen heben Sie denn diesen inhaltsschwersten aller Ringelreihen auf?«

Ursula schnitt ihm eine Grimasse. »Für Sie ganz entschieden nicht.«

»Sehr brav! Sterne – und sind es selbst nur die auf den Achselstücken eines Premiers – begehrt man nicht, und Bescheidenheit ist die Zierde der Jugend. Für Sie gilt höchstens ein Sekondeleutnant.«

»Aber einen Grafen!« fuhr die Kleine ganz entrüstet auf. – Schallendes Gelächter.

»Die Flammen-Lohe an Hymens Fackel schlägt bereits zum Himmel!« lachte Flanken, mit der Hand in seiner tolpatschigen Manier auf den Tisch schlagend. »Also hier sind wir orientiert. Weiter. Für wen reservieren Sie, Fräulein Jolante?«

Die junge Dame richtete ihre träumerischen Augen auf das frisch gerötete Antlitz des Fragers, legte den Bleistift an die Lippen und besann sich einen Moment. Fürst Sobolefskoi räusperte sich sehr prononciert.

»Für den jungen Maler Malte van Doornkat; er ist der genialste Künstler, den ich jemals kennenlernte, und erhält auf der nächsten Ausstellung sicherlich einen Preis.« Jolante sprach langsam und entzückt.

»So!« Flanken klappte sein Zeichenbuch wieder auf und lachte, aber seine Heiterkeit hatte diesmal einen feinen Beigeschmack von Ingrimm. »Also ein zweites Herz, das keine Mördergrube aus sich macht. Da haben wir's ja, ein schwindsüchtiger

Rafael mit einem Schwanenhals uno Schlangenlocken, pfui Deiwel, so ein Kerl sieht ja aus wie eine Auster, die in Ziegenmolke schwimmt!«

»Aber Herr von Flanken!«

Der junge Offizier hatte voll Zorn ein sehr kühnes, langnasiges Profil in sein Zeichenbuch entworfen, jetzt legte er den Stift resigniert hin. »Na, wenn es Ihnen ein Trost ist, auch wie der Apoll von Belvedere, kommt ja alles auf eins raus. Mich soll's freuen, wenn er eine Medaille bekommt, meinetwegen selbst die von der Mastviehausstellung, wo man selbst meine besten Hammel keiner Dekoration gewürdigt hat.«

»Oh, pour condoler

»Danke, gnädiges Fräulein« – Flanken reichte Lena die Hand entgegen – »ich sehe, Sie sind unter Larven die einzig fühlende Brust.«

Ursula griff drohend nach dem Wasserglas. »Soll ich?!«

Aber der Ulan fuhr, ungeachtet der allgemeinen Entrüstung, wehmütig fort: »Und darum darf Ihre schöne Seele nun als dritte im Bunde auch ihr Bekenntnis ablegen. Mit wem tanzen Sie den Kotillon? In Anbetracht dessen, daß Sie noch nicht vorbestraft sind, mit Rücksicht auf die obwaltenden Verhältnisse und Ihr reumütiges und unumwundenes Geständnis, wird unser hoher Gerichtshof auf Milderung der Strafe erkennen und Diskretion üben!«

Daniel rückte interessiert näher, er stimmte in das allseitige Gelächter mit ein, allein sein Blick schweifte forschend unter den dunklen Wimpern hervor und haftete auf dem zarten Profil, das Lenas Köpfchen ihm zuwandte.

»Ich bin morgen leider Gottes als Wirtin dazu verurteilt, Kotillon zu tanzen!« lächelte sie, »aber ich lasse den Zufall walten und ergebe mich in jede seiner Launen.«

Flanken kniff das rechte Auge zusammen. »Ach, was da! – Ausflüchte – schöne Redensarten! Sie fürchten nur, Sie müssen anstandshalber mich nennen, weil ich Ihnen eben auch etwas Honig serviert habe! Aber unbesorgt, ich bin bereits seit langer Zeit in festen Händen – tanze den Kotillon mit Durchlaucht hier! Also nun frisch von der Leber weg, welcher von all den Tänzern läßt Ihr Herzchen schneller klopfen, und bei welchem halten Sie nicht den Daumen auf den Kotillon, wenn er um einen Tanz bittet?«

Lena lachte herzlich auf. Dann legte sie feierlich die Hand auf das Herz. »Bei keinem, Herr von Flanken, ich versichere es Ihnen.«

»Bei meiner Schwester hat die Natur einen großen Fehler begangen,« nickte Jolante zustimmend, »sie hat sich vergriffen und ihr statt eines Herzens noch eine zweite Seele der Freundschaft geschenkt.«

»Wieviel bekomme ich, wenn ich das glaube?«

»Wir bestechen nicht, namentlich nicht, wenn wir für diesen Glauben Proselyten machen wollen!«

»Ich gehe jede Wette darauf ein, daß der Natur just in entgegengesetzter Weise eine Verwechslung passierte. Anstatt der beiden Seelen der Freundschaft gab sie Ihrer Fräulein Schwester ein Herz, das jedoch so groß ausfiel, daß es nicht leicht hält, eine Liebe zu finden, die es gänzlich ausfüllt. Daß diese Liebe aber jetzt gefunden ist, davon bin ich fest überzeugt!«

»Ah, hört, hört! Der weise Flanken spricht, und Flanken ist ein ehrenwerter Mann!«

»Na, da beobachten Sie doch einmal, wie die Gnädigste dieses vierblättrige Kleeblatt malt. Diese Innigkeit, dieser Schmelz – so etwas von Hingabe ist mir bei einem Kleeblatt überhaupt noch gar nicht vorgekommen! Und nun erst das Vergißmeinnicht daneben. Der Pinsel zittert ja förmlich, wenn er daran herumturnen muß! Soll das etwa mit rechten Dingen zugehen? Ich versichere Sie, meine Herrschaften, die Sache hat einen Haken! Und ich will Little Jumbo Plumpudding heißen, wenn nicht morgen abend ein Kavalier in den Tanzsaal tritt, dem das Herz des gnädigen Fräuleins genau so entgegenzittert, wie der Pinsel hier seinem Vergißmeinnicht!«

»Bravo, wir fordern Beweise!«

Sobolefskois Auge glühte auf. »Ja, ja, ein Königreich für einen Beweis!« lachte er nervös.

Lena zuckte leicht die Achseln. »Wie schade, daß ein solcher nicht zu finden ist; ich würde mich sehr über die neue Visitenkarte des Herrn von Flanken freuen.«

»Nicht zu bringen ist?« Flanken lachte und erhob sich, um nach dem Nebensalon zu schreiten. »Vorläufig halte ich die Wette!«

»Na, na, man immer sachte mit die jungen Pferde!« höhnte ihm Ursula in ihrer drastischen Weise nach, aber sie stand ebenfalls auf und schaute ihm mit lustblitzenden Augen nach.

Auch Fürst Sobolefskoi erhob sich. »Was sucht er denn da drinnen?« fragte er gedehnt. Aller Augen richteten sich auf den Garde-Ulanen, als er im nächsten Augenblick wieder über die Schwelle trat. In seinen Händen trug er die mächtige Alabasterschale, die als Seerosenkelch inmitten köstlicher, schwer silberner Blätter ruhte und die Visitenkarten der jeweiligen Saison barg.

»So! – Glauben Sie, Durchlaucht, daß diese Lotosblume, ›die sich ängstigt und schweigend die Nacht erwartet‹, die Karten all jener Herren enthält, die morgen abend kommen werden?«

»Ich glaube dem wohl mit Bestimmtheit zustimmen zu können!« Daniels Brust hob sich erleichtert ausatmend.

» Bon, dann kann der Guß beginnen,« Flanken nahm feierlich Platz und stellte die Schale vor sich hin, »Jetzt wollen wir mal ein ganz einfaches Mittel versuchen, unsere Delinquentin zu überführen. Jede Opposition ist ausgeschlossen. Ich hatte nämlich mal eine Cousine, die glich Fräulein Lena von Groppen in ganz frappierender Weise, die wollte auch den Leuten ein X für ein U machen und sich dem Kloster verschwören, und eines schönen Tages gehe ich mir ihr spazieren und nenne plötzlich ganz aus dem Stegreif den Namen eines Kameraden: da bekommt sie einen Kopf wie Zinnober, bleibt stehen, schnappt nach Luft und drückt beide Hände gegen das Herz. Nach vierzehn Tagen war sie mit ihm verlobt.«

»Brillant!«

»Und nun wollen Sie auch mir den verräterischen Namen so meuchlings beibringen?« Lena lachte leise und melodisch auf. »Lesen Sie den Inhalt dieser Schale getrost vor, wenn ich in einen Zustand, ähnlich demjenigen Ihrer Fräulein Cousine, verfalle, verspreche ich Ihnen meine Verlobungsanzeige ebenfalls in elegantester Goldumrandung, so schnell wie sie der Drucker nur liefern kann, zu senden!«

Flanken kreuzte dankend die Arme über der Brust und griff dann ein Päckchen Karten aus ihrem Behälter, um – die junge Dame scharf fixierend – langsam einen Namen nach dem andern abzulesen. Lena stützte das liebliche Haupt mit dem zarten, etwas bleichen Teint in die Hand und schaute ihm ruhig, ohne mit einer Wimper zu zucken, in die Augen. »Wir wollen der Jugend die Freude nicht verderben, Onkel Daniel!« hatte sie gescherzt. »Wollte ich die Probe verweigern, möchte Herr von Flanken falsche Schlüsse daraus ziehen.«

Und Flanken nannte Namen um Namen, und alle Anwesenden saßen und schauten voll brennenden Eifers in Lenas unverändertes Antlitz. Daniel hatte sich erhoben und stützte sich aus den Sessel. Seine Finger liefen in nervösem Spiel an den Atlaspuffen auf und nieder. Fräulein Sorgisch aber hatte resigniert die Hände im Schoß gefaltet, all ihr Protestieren und zum Fleiße Mahnen war erfolglos geblieben.

Da geschah etwas Unerhörtes.

Flanken nahm eine neue Karte. »Eitel Freiherr von Altenburg – kommandiert zur Kriegsakademie«, las er, viel flüchtiger denn alle Namen zuvor. Ein leiser, halberstickter Aufschrei »Lena!«, der sich über Daniels Lippen rang, und dann flog der Sessel zurück und Fürst Sobolefskoi stand neben der schlanken Gestalt des jungen Mädchens, in fiebernder Erregung ihren Arm zu fassen.

Jählings ausgerichtet, mit weit offenen Augen, zusammenschreckend, wie ein pfeilgetroffen Wild, starrte Lena auf die Lippen des Lesenden.

»Altenburg?!« wiederholte sie mit zitternden Lippen, und dann ergossen sich heiße, glühende Blutwellen über ihr erbleichtes Antlitz, und die Hände preßten sich gegen die Schläfen, als wollten sie durch ihren kühlen Druck die stürmenden Gedanken festhalten.

Ein jubelnder Lärm erhob sich, ein Rufen, Lachen, Triumphieren sondergleichen, und Lena gewann schnell wieder die Herrschaft über sich und schüttelte in süßer Verwirrung das Köpfchen. »Das war abscheulich! Onkel Daniel war mit im Komplott. Überraschung und Schreck müssen schwache Nerven alterieren!« Jolante hatte die Karte an sich gerissen. »Das ist ja der interessante

Manöverleutnant! Wie, um alles in der Welt, kommt der hierher zu uns?!«

»Das wißt ihr nicht?« schlug Ursula die Hände zusammen. »Als ich neulich mit dem Onkel Einladungen notierte, erzählte er nur, daß er Altenburg, der im Manöver irgendwie mit ihm in Berührung gekommen ist, hier begegnet sei und ihn aufgefordert habe, ihn zu besuchen. Er ist gewiß bei euch gewesen, als ihr zu den Jagden nach Olbernhau gefahren waret.«

»Und der Fritz hat die Karten einfach hier in die Schale geworfen. Kein Mensch weiß davon – Onkel Daniel – mein Himmel, was ist dir?«

Fürst Sobolefskoi war einen Schritt zurückgetreten, er nahm nicht die Karte, die Jolante ihm lachend dargereicht hatte, seine geballten Hände hingen schlaff hernieder. Ein Glühen und Blitzen ging durch seine Augen, sein Lachen klang fremd und rauh.

»Ehrlich währt am längsten, Herr von Flanken!« rief er heftig, den Kopf schüttelnd. »Um des Scherzes willen verhalf ich Ihnen zum Siege, indem ich die arme Lena wie ein böser Bub erschreckte. Daß ich mir den möglichst harmlosesten Menschen aussuchte, den Herrn von Altenburg, dessen Besuch nicht mal in unserem Hause bekannt war, der nie im Leben weder eine Polka noch einen Kotillon mit meiner Nichte tanzte, mag Ihnen als Bestätigung meines kecken Streiches gelten!«

»Nee, Durchlaucht – das ist hart, mir meinen Lorbeer so schnöde wieder vom Kopf zu reißen!« Und der junge Offizier wandte sich mit heiterstem Eifer zu Jolante und Ursula, sich deren Beistand zu sichern. Lena aber legte die Hand auf Sobolefskois Schulter, und da er sie ansah, schlug er die Augen nieder. »Du hast von Altenburgs Besuch und Kommando gewußt, Onkel Daniel?«

Der Fürst biß die Zähne zusammen und schüttelte finster das Haupt. Da faßte sie hastig seine Hand und drückte sie. »Ich danke dir!« sagte sie leise, weich und herzlich. – – –

Wüste, fieberhafte Träume quälten Daniel in der folgenden Nacht. Er war wieder Kind und stand in dem Garten von Miskow. Vor ihm blühte eine Lilie, die trug Lenas liebliches Angesicht, und um sie her flatterte jener unheimliche Vogel, der so oft seine schmerzensreichen Nächte noch um eine Qual vermehrt hatte, und trachtete danach, die Blume mit sich fort in die Lüfte zu führen. Und wieder fiel der Schuß, wie damals aus Alexandrowitschs Büchse, und der schwarze Vogel stürzte ihm vor die Füße, und da er sich neigte, ihn aufzuheben, schaute ihm das Antlitz des Freiherrn von Altenburg entgegen. Blut rieselt über Brust und Stirn. Aber Daniels Sinn ist nicht weich und erbarmend wie ehemals. Ein wilder Triumph glüht durch sein Herz, die Fieberschauer von Haß und Rache schütteln ihn. Und als er den Räuber seiner Lilie mit Fäusten packt, ihn gegen den Fels zu schmettern und mitleidslos die Hände hebt – erwacht er.

 


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