Nataly von Eschstruth
Hofluft
Nataly von Eschstruth

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IX.

Gräfin Antigna saß in sehr eleganter Morgentoilette vor ihrem Schreibtisch und schloß einen Brief. Er war an Baronin Kuffstein adressiert und dazu bestimmt, sehr überraschend und sehr umwälzend in die Verhältnisse von Groß-Wolkwitz einzugreifen. Ein Lächeln hoher Befriedigung spielte um die schmalgeschnittenen Lippen der Gräfin; ja, die Welt hatte recht, an ihr war ein Diplomat verloren. Mit einer Klappe hatte sie soeben zwei Fliegen geschlagen.

Klar und bündig hatte sie ihrer Freundin die Lage der Dinge geschildert. Ursula, bereits auf dem besten Wege, alle Hoffnungen zu erfüllen, die man auf ihren hiesigen Aufenthalt gesetzt, will diese in kindischem Ungestüm und Trotz über den Haufen stoßen, um dem Grafen Lohe, an den sie ernstlich ihr Herzchen verloren, in »die Verbannung« zu folgen. Dadurch wird alles verdorben, sowohl ihre, wie seine Kur, die man ihnen verordnet hat. Frau von Kuffstein muß als Mutter ein Opfer bringen und durch ihre schnelle Abreise von Wolkwitz Ursulas Heimkehr vereiteln. Wenige Wochen noch, und Hofluft, Sehnsucht und Herzeleid haben aus dem verwilderten Backfischchen eine liebliche und veredelte Mädchenblüte geschaffen. So wird es der Mutter zur Pflicht gemacht, im Interesse ihrer Tochter endlich etwas für sich selber zu tun und dem jahrelangen Wunsch ihres Gatten und ihrer Freunde zu folgen, sich aus ihrer Apathie aufzureißen und einen Spezialisten zu konsultieren. Dadurch wird drei Menschen geholfen, und Gräfin Antigna, die kluge, umsichtige Frau, hat die Fädlein dieser Intrige schnell und geschickt zusammengesponnen.

Ja, sie war eine geborene Diplomatin, und es gab kein interessanteres Tun für sie, als die Schicksale von Menschen mit ihren weißen, durchsichtig zarten Händchen energisch und eisern in die Bahnen zu lenken, die sie als die richtigen erachtete.

Sie rührte die Glocke und befahl dem eintretenden Diener, den Brief zu besorgen und dem Kammerdiener des Grafen Henry zu melden, daß Gräfliche Gnaden den Herrn Sohn zu sprechen wünschten,

»Um Vergebung, Frau Gräfin, die Zimmer des linken Flügels sind noch fest geschlossen, Der junge Herr Graf kamen erst gegen Morgen nach Hause und ruhen noch.«

»Gut. Du kannst gehen.« Und die Palastdame der Königin- Mutter lächelte sehr zufrieden,

»Gott sei Lob und Dank, ich denke, der Professorhut ist jetzt für alle Zeiten an den Nagel gehängt!« – – –

Herr von Flanken war soeben von einem Liebesmahl aus dem Kasino gekommen und schrieb eine Postanweisung aus. Sie trug die Summe des Honorars, das er dem braven Tanzmeister, dessen Bemühungen er doch noch für die Quadrille hatte in Anspruch nehmen müssen, gern und reichlich übersandte. Dann klopfte er Frantusch Niekchen freundlich auf die Schulter, wies nach dem Tisch, von dessen Platte es goldig herüberblitzte, und sprach mit seiner behaglichen Baßstimme. »Das ist für dich, Niekchen, zum Lohn für den Walzer und die Polka, die du mir beigebracht hast! Meine Kameraden sagen allerdings, ein altdeutscher Kachelofen würde noch etwas graziöser tanzen als ich, aber das ist nicht unsere Schuld, denn ein Kerl, aus dem der liebe Herrgott gut und gern zweie hätte machen können, der wird sein Lebtag kein Taglioni. Da nimm, Niekchen, hast's redlich verdient, und wenn du dich vielleicht auch verheiraten willst –«

Der wackere Frantusch zog eine Grimasse und schüttelte stürmisch den Kopf. »Nix verheiraten, Leutnant!«

»Nanu? Seit wann bildest du dich denn zum Einsiedlerkrebse aus? Ich weiß doch, daß die Hanne aus Groß-Wolkwitz deine Braut ist!«

Niekchen kicherte und zog die Schultern hoch, »Is sik Hanne nur Manöverbeziehung gewesen! Hob ik gehabt danach schon wieder Königgeburtstags-Brautel, un' Woschmadel, wos muß franko woschen, un' Köchin überall in Famillen, wo ik muß machen Kumpliments von Leutnant! Werrd ik heiraten nix ein einzelnes Marinka, weil Frantusch Niekchen wirrd sik sunst kommen auf halbes Ration!«

Flanken wiegte nachdenklich den Kopf und blickte schier neidisch in das lachende Gesicht des Polacken.

Dieser glückliche Mensch, der so gar keine Ahnung davon hatte, wie es verliebten Leuten zumute ist! Ja, so hatte auch er früher alles Heiraten verschworen, aber, dabei die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Früher rührte er weder Hand noch Fuß, um einer Dame zu gefallen, und jetzt war er schier verrückt geworden, lernte Walzer tanzen und Ölbilder malen, oha! Da fiel ihm ja seine Wette wieder ein.

»Du bist ein Esel, Niekchen, und verdienst überhaupt gar keine Frau, verstanden? Und nun pascholl, Zivil 'ran, ich will ausgehen!«

In großer Hast machte der Premier Toilette, wickelte einen großen, breitkrempigen Künstlerhut von grauem Seidenfilz aus einem Papier und drückte ihn so genial wie möglich auf den kurzgeschorenen Kopf. Ein himmelblauer Schlips flatterte lose geknotet über dem Samtjackett, aus dessen Brusttasche der Katalog der vorjährigen Kunstausstellung herauslugte.

So! Der äußere Mensch war geschaffen, nun: »vorwärts mit frischem Mut, die Lieb' ist mein Panier!«

»Adieu, Niekchen!« und seelenvergnügt pfeifend, und mit dem Pelzmantel alle Künstlerpracht verdeckend, tappte der neueste Courmacher der Musen die Treppe hinab.

»Befehll, Herr Leutnant, Adieu!« erwiderte der getreue Knappe, stramm mit den Händen an der Hosennaht, klappte die Entreetüre zu und klirrte in die Stube zurück, sich nun rückhaltlos dem freudigen Anblick seines Honorars hinzugeben.

Und er meditierte:

»Is sik zwar altes Reff un' keifiges, Marinka, Köchin selbiges von General Groppen, hot aber beste Verköstigung: werrd hintrollen und Köchin spendabeles einladen für Zirkus, wirrd gut sein!«

Währenddessen schritt Herr von Flanken wie mit Siebenmeilenstiefeln durch die Straßen. Die Leute schauten mit stummer Bewunderung zu der imposanten Erscheinung empor, überzeugt, daß dieser Athlet, der länger war, als der Tag vor Johanni, sich auf dem Wege zu irgendeinem Zirkus befand, um dort als wilder Mann die Leute zu schwingen! – Aber irren ist menschlich, und kein Gedanke lag dem Premierleutnant auf dieser Promenade ferner, als der, einen reckenhaften Strauß zu bestehen. Sein fleischiges Antlitz mit den gutmütigsten aller blauen Augen lächelte Frieden, und wenn seine Hand auch einen Spazierstock führte, hoch wie ein Tambourstab und so knotig ausgewachsen, daß die Passanten unwillkürlich bei seinem Anblick einen Sprung zur Seite taten, so predigte sie in diesem Augenblick dennoch nichts anderes, als holdeste Eintracht!

Der Krieger hing daheim im Kleiderschrank, und nur der Künstler und Diplomat hatte sich auf den Weg begeben, gleich wie »Hans im Glück« zu wagen und zu gewinnen!

Fern aus den kahlen Wipfeln eines Parks hebt sich das flache Dach der Osteria. Hier hatte die Muse der Malkunst ihr lustiges Hoflager aufgeschlagen, hatte sich den Thronsessel bekränzt mit Fischernetzen und Reusen, mit Festons aus Laub- und Fichtenzweigen, zwischen denen Maisdolden, Kürbisse und Zwiebeln vergnüglicher hervorlächelten als Rosen und Gelbveigelein!

Strohumflochtene Fiaschetten, Tamburins und Hoboen, Kelche, Humpen, Tonvasen und Künstlergerätschaften erzählten ohne Wort und Ton ein Lied von heißerer Sonne, und daneben schimmerten weiße Stierschädel, und ringsum an den Mauern und Wandpilastern hatten Humor und Poesie der Gebieterin die farbenprächtigsten Opfer mit Pinsel und Palette dargebracht.

Ja, hier versammelte die Muse ihre Jünger um sich, ihren gottbegnadeten, lebenslustigen und heißblütigen Hofstaat, der als Helmzier das Lorbeerreis gewählt, zum Wappenbild die Traube und zum Orden, flammend auf der Brust, die dornenlose Rose!

Und auch durch diesen Thronsaal wehte eine göttliche Hofluft, und sie trug auch Sonne, Mond und Himmelsglanz auf ihren Fittichen, aber nicht diese allein mit ihrem schwärmerischen Veilchenduft – hier prickelte es herber und würziger, toller und übermütiger, Rebenblüte jauchzt ihr »Evoe!« Pegasus stampfte mit güldenem Huf den Boden, und wie ein Echo aus kapresischer, laubumschatteter Veranda zogen die Klänge der Tarantella durch Herz und Sinn!

Hierher lenkte Herr von Flanken voll froher Zuversicht den Schritt, und obwohl er noch keinen einzigen der Maler kannte, so war er doch überzeugt, daß sein himmelblauer Schlips und das kostbare Samtjackett eine Brücke über die gähnende Untiefe zwischen Kunst und säbelrasselnder Prosa schlagen würden!

Und er hatte sich nicht getäuscht. Die herkulische Gestalt erregte Aufsehen, und da die wahre Kunst stets ein offen Herz und offene Arme hat, so hielt es nicht schwer, auf ein biederes »Grüß Gott« ein fröhliches »Schön Dank« zu hören. Herr von Flanken wurde schnell heimisch in dem Kreise der Maler, und seine originelle Persönlichkeit und sein unverwüstlicher trockener Humor, der mit wackerer Ausdauer mit Rebenblut angefeuchtet wurde, gewannen ihm schnell die Herzen und Sympathien des fröhlichen Künstlervölkleins.

Ganz besondere Heiterkeit erregte es, daß der Ulanenoffizier urplötzlich eine so große Passion für Leinewand und Ölfarbe bekommen hatte, eine Passion, die weder durch künstlerisches Verständnis noch durch irgendwelche Kenntnisse unterstützt wurde.

Der moderne »Roland der Riese« hatte weder von Technik noch von Perspektive die mindeste Ahnung, und trat ein Kollege mit berühmtestem Namen neu an den Tisch heran, so sagte Herr von Flanken jedesmal mit seiner engelsunschuldigsten Harmlosigkeit: »Pardon, einen Augenblick!« und kehrte dem Tisch für etliche Minuten den Rücken, zog den Katalog hervor und las den Namen nach.

»Ah, natürlich! Sie malen ja die famosen Selbstporträts! Sagen Sie mal, wo finden Sie da nur alle Motive?!« Oder »Potzdonnerwetter, ja – das Stilleben war ja von Ihnen, ein schneidiges Stilleben, auf Wort, riesig viel Aktion drin!« – Und dann schüttelte er dem Betreffenden beinahe den Arm aus dem Gelenk und versicherte ihn seiner wärmsten Bewunderung,

Ein jeder freute sich solcher Anerkennung, und Herr von Flanken wurde Stammgast in der Osteria, kneipte und erzählte die amüsantesten Geschichten und lachte, daß die Wände wackelten, wenn der Künstlerhumor seine üppigsten Blüten trieb.

Und eines schönen Abends war der Wein ganz besonders feurig aus den Fiaschetten gekluckert, und er hatte die Zunge gelöst, und der Premierleutnant schlug mit der Hand auf den Holztisch, daß es klirrte, und sprach energisch:

»Warum ich Maler werden will, ihr Herren? Bon, ich will's euch sagen. Weil ich nämlich bis über die Ohren verliebt bin in das reizendste kleine Teufelchen, das jemals einen vernünftigen Kerl an das Gängelband genommen hat, ihn so unvernünftig zu machen, wie weiland den Monsieur Herkules, der die Keule in die Ecke stellte und das Spinnen lernte! Na, so ein Held bin auch ich geworden! Hat die Kleine mir nämlich erklärt, sie werde nur einen Maler heiraten, und zwar nur einen, von dem auf der nächsten Kunstausstellung ein Bild angenommen würde. Ich will mir nun solch ein Gemälde leisten! Das kann doch nicht schwer sein, wie? Farben habe ich schon gekauft, pinsele los, und wenn ich in der Ausstellung hänge, mache ich Hochzeit!«

Ein schallendes Gelächter erhob sich, alle Gläser blinkten ihm entgegen: »Darauf wollen wir anstoßen! Flanken stellt ein Bild aus!« jubelte es im Kreise. Ernsthaft tat der Premierleutnant Bescheid.

»Danke Ihnen, meine Herren! Aber jetzt kommt erst des Pudels Kern! Wer von euch will mein Lehrer sein und mir helfen?!«

Abermals ein schallendes Hallo. »Wir alle stehen in der Liebe Sold! Wir alle helfen!«

Tiefgerührt umarmte der zukünftige Zeuxis rechts und links die hilfsbereiten Kollegen, und es wurde vereinbart, daß er allein ein Motiv wähle und das Bild wenigstens entwerfe, auf daß man mit gutem Gewissen Herrn von Flanken als dessen Urheber nennen könne.

Gesagt, getan. Am folgenden Tage, als der junge Offizier seinen Dienst getan, kaufte er sich einen alten illustrierten Jagdkalender und durchblätterte ihn mit Kennerblick.

Es dauerte lange, bis er etwas Passendes gefunden hatte. Auf dem einen Bilde waren zu viele Tiere, auf dem anderen zu viel Landschaft, auf dem dritten gar Jäger, endlich schmunzelte er ein pfiffiges »Aha!«, fuhr mit den Fingern behaglich durch sein Kraushaar und rückte noch etwas näher zum Fenster. Das war ganz sein Fall! Schnee, lauter Schnee, den man mittels weißer Farbe entschieden sehr mühelos herstellt, in der Mitte ein alter kahler Baum – wird braun angestrichen! – mit einer riesigen Höhle, aus der listig und verschlagen ein Füchslein hervorlugt und es auf ein paar Feldmäuse, die seitwärts an einer Rübe nagen, abgesehen zu haben schien! Der Fuchs war vortrefflich als Hauptfigur des ganzen Bildes gezeichnet und mußte jedes Jägerherz entzücken, dennoch musterte ihn Herr von Flanken mit sehr bedenklicher Miene. Dieser Fuchs verdarb ihm wieder die ganze Freude an dem hübschen Bilde, denn Tiere konnte er absolut nicht »rauskriegen«, vor allen Dingen nicht solche, die eine so vielsagende Physiognomie wie dieser Langschwanz hatten.

Ohne Freund Reineke wäre das Bild ganz nach seinem Herzen gewesen; que faire?! Der Jünger der Kunst überlegte her und hin, plötzlich zuckte es hell wie Sonnenschein über sein frisches Gesicht und in entzücktem Selbstgespräch versicherte er sich selber: »Das haste gut gemacht, alter Junge, die Idee kannste dir patentieren lassen! Warum muß denn dieses rote Fuchsgesichte gerade in dem Moment, wo ich dies Bild male, nach den Mäusen herausschnüffeln? Unsinn, mein Fuchs, den ich male, ist drin im Bau, und die Mäuse sind auch im Bau, nicht 'n Haar ist von dem Viehzeug zu sehen, und ich bin schöne raus!«

Und ganz begeistert von der Idee, sein Gemälde »Fuchs im Bau!« zu nennen, nahm der Premierleutnant sofort einen Blendrahmen mit der schön gespannten Leinewand zur Hand, band Niekchens graue Putzschürze in Art eines Kinderlätzchens vor und ging an die Arbeit.

Eine Staffelei hatte er nicht, war auch gar nicht nötig. Er legte das Bild auf den Tisch, holte Farben und Pinsel hervor und nahm zuerst einen mächtigen Stift, mit dem er genial die Grenze zwischen Himmel und Erde zog. Das Buschwerk des Hintergrundes hatte gar keinen moralischen Wert, Flanken nahm an, daß der Besitzer der Landschaft es bereits hatte abholzen lassen, ehe er sein Bild begann. Also der ferne Wald blieb einfach weg; es wirkte viel natürlicher bei den heurigen schlechten Zeiten, wenn die Gegend möglichst abrasiert war – so! Und nun der Baumstamm. Drei Wurzeln weist er auf: eine rechts rum, die andere links rum, die dritte ab durch die Mitte. Sie winden sich allerdings unter dem Stift des Kopisten so abenteuerlich, wie das Fabelungeheuer der Seeschlange im Monat Juni und Juli durch die Zeitungsspalten, aber Herr von Flanken findet das gerade recht apart, und darum ändert er gar nichts daran, sondern geht sofort zu dem Stamme selbst über. »Drei Zinken ragen in blaue Luft!« Der junge Künstler formt sie recht hübsch gleichmäßig, wie den Dreizack Neptuns, denn anders leidet es sein militärisch geschultes Auge nicht, und auch die feinen Weidengerten, die noch dem Stumpfe entsprossen, ordnet er unter dem Kommando: »Richt euch!« ganz ordentlich in Reih und Glied. Nun kommt das Loch, Zickzack geht sein Rand, Fuchs vacat, Mäuse vacant, so; die Aufzeichnung, das schwerste Stück Arbeit, ist glücklich überstanden. Das Anmalen ist ja Kinderspiel. Erst mal das Köpfchen mit der blauen Farbe ran!

Flanken kannte einen so hübsch stimmungsvollen Vers aus der Osteria, den sang er während des Schaffens in tiefstem Basse fröhlich vor sich hin:

»Und ist der Himmel noch so grau,
Ich mal' ihn schön mit Pinkertsblau!«

Ja, wenn der liebe Gott dem Herrn Premierleutnant das Kommando übers Wetter anvertraut hätte, würde die Welt ihre Freude erleben! – Tief eingetaucht den Pinsel – den größten, der im Malkasten aufzufinden war! – und nun ritsch – ritsch – immer von oben nach unten das schönste, wolkenloseste Blau aufgetragen!

Geht riesig fix, – Jetzt kommt der Schnee an die Reihe! – Eigentlich eine famose Einrichtung mit solchem Schnee! – Man drückt den Inhalt der weißen Tube mitten auf die Leinewand und streicht einfach den Klex nach allen Seiten auseinander. Nur Vorsicht muß man beobachten, daß die Wurzeln nicht verwischt werden, was leider etwas aufhält.

Flanken wischt sich den Schweiß von der Stirn und rührt »Braun« an für den Baum, und dann malt er ihn – was auch etwas weniger schnell geht, da der Pinsel sehr stark ist und die einzelnen Weidenruten zu dick ausfallen. Aber Geduld überwindet alles, und die Belohnung jeder Mühe ist der Moment, wo Flanken, der Unsterbliche, voll kolossaler Genugtuung eine Riesenquantitat tiefstes Nachtschwarz über das Loch pinselt! – »So, Bürschchen, weg wärst du – – da hätten wir ja den Fuchs im Bau drinne!! –«

Das war eine gewaltige Leistung. Der Ulanenoffizier dehnte die Arme und atmete in wahren Stoßseufzern, und dann stellte er das Bild gegen die Stuhllehne, trat zurück und hielt die Hand über die Augen, um besser zu sehen.

»Hut ab, mein lieber Flanken, das hast du Schwerenöter ganz großartig gemacht! Ja, ja, was man aus Liebe tut!«

»Niekchen!«

»Befehll, Herr Leutnant!«

Sein Herr schob die Hand in die Brusttasche und stellte den einen Fuß gravitätisch vor.

»Niekchen, erkennst du, was dieses Bild vorstellen soll!«

Niekchen nahm eine gebückte Stellung ein und stemmte beide Hände auf die gespreizten Knie.

»Sull sik Mord jebildet werden, Leutnant, fehllt aber noch erschlagenes Itzig, oder Madel mit Kehlle abgeschnittenes!«

»Du hast kein Kunstverständnis, Niekchen, dein Urteil ist nicht kompetent.« Der selbstbewußte Verfasser schüttelte beinahe mitleidig den Kopf. »Geh lieber und hole eine Droschke, wir wollen mit dem Bild zum Atelier des Professor H. fahren!«

»Sull sik sein Droschke von erster oder zweiter Kwalität?«

»Niekchen!« voll milden Vorwurfs traf ihn Flankens Blick, »ein solches Bild fährt man nur erster Klasse!«

Und kurze Zeit darauf fuhren Herr, Diener und Gemälde in einer Droschke erster Klasse davon.

Flanken nahm im Fond, der wackere Frantusch mit dem »Fuchs im Bau« ihm gegenüber Platz. So fährt eine junge Mutter mit Baby und Bäuerin zum erstenmal zur Großmama! Strahlend vor Stolz nnd Glück, viel dicker und breiter noch als sonst, saß der Künstler von Gottes Gnaden seinem Meisterwerk gegenüber, keinen Blick von dem Bilde abwendend, das so herzerfrischend blau, weiß und braun zwischen Niekchens Fäusten lächelte.

Der Professor H. sah das Konkurrenzwerk für die Kunstausstellung voll lebhaften Interesses an, aber weil er stark erkältet

war, hatte ihn ein fataler Krampfhusten längere Zeit an dem Ausspruch der Kritik gehindert. Endlich fand er Worte.

»Recht brav gemacht, mein lieber Herr Leutnant!« nickte er und klopfte den Rücken des neuen Kollegen, »Nur bei dem Himmel muß noch etwas nachgeholfen werden! Sie wissen, daß

gerade der Himmel meine Spezialität ist. Wenn Sie mein Schüler sind, darf und muß ich Sie korrigieren!! Lassen Sie mir das Bild ein paar Tage hier.«

Das tat der stolze Vater von »Fuchs im Bau« sehr vertrauensvoll, aber er kam jeden Morgen, sich nach dem Schicksal seines Kindes zu erkundigen. Ja, da sah er allerdings Wunder, Aus dem pinkertsblauen Himmel wurde ein zartes, graudunstiges Schneegewölk, durch das der Mond mit rötlichem Licht brach, geheimnisvoll, magisch leuchtend, so wie nur dieses Meisters Hand malen konnte. – Ein halbes Pfund blaue Farbe, die zuvor abgekratzt worden, sah der Premierleutnant ohne Schmerz scheiden.

Das Atelier des Professors wurde nicht leer von den bekannten Freunden aus der Osteria, die sämtlich Flankens Lehrer werden wollten. Ein Wettstreit heitersten Übermuts begann unter den Meistern.

Nachdem der Himmel ein Kunstwerk geworden war, trat ein anderer Lehrer auf. »Jetzt ist alles sehr hübsch, bis auf den Hintergrund, mein bester Flanken, Sie gestatten, daß ich dem ein wenig unter die Arme greife.« Und der Pinsel tupfte und glitt über die Leinewand und ein mondlichter, weißbeschneiter Laubwald breitete sein Gezweig wie glitzernde Spitzengewebe vor den Augen des staunenden Schülers aus. Tagelang hatte der Künstler in übergroßer Liebenswürdigkeit geabeitet, um nach Eingebung einer heiteren Laune sein Bestes zu geben. Und dann kam ein dritter und nahm sich des Vordergrundes an, der malte den Schnee, jener ein Brombeergestrüpp mit seinem letzten frostüberhauchten Laub – wieder ein anderer wandelte die rechte Ecke des Schneefeldes in einen halb zugefrorenen Teich um, an dessen Ufer das Schilf zu knistern und zu rascheln schien. Der Pinsel wanderte abermals in eine andere Hand, die aus dem Weidenstumpf ein Stücklein schauriger Poesie zaubert; der Wind saust daher und faßt die schwanken Zweige, sie wiegen sich und flattern und ächzen, und der verkrüppelte Stamm nimmt eine ganz absonderliche Gestalt an, gespenstisch und unklar, just so, wie die alten Weiden das Auge im Dämmerlicht täuschen. – Und wieder ein neuer Lehrer streut Schneeflocken in den Wind, und das einzige, was in seinem Kernpunkt unverändert bleibt, und was die Herren einstimmig loben, ist das Loch und der höchst originelle Titel des Bildes.

Wie einst der liebe Herrgott all seine Farbennäpfchen austupfte, dem armen Stieglitz zu seinem schönen Wämslein zu verhelfen, so steuerten unter Lachen und Scherzen die ersten Meister der Kunst mit ihren farbenreichen Pinseln dazu bei, das Gemälde des Leutnants von Flanken zu einem tatsächlichen Meisterwerk umzuschaffen.

»Diskretion Ehrensache!« schwebte als treu kameradschaftliche Devise über diesem geheimnisvollen Schaffen, und als der »Fuchs im Bau« fertiggestellt war, schrieb Herr von Flanken tief gerührt seinen Namen mit siegellackroter Farbe in die Ecke und harrte des Moments, wo ihm, dem Schüler des Professors H., eine Antwort aus der Kunstausstellung zu D. werden würde, Und die Antwort kam, daß das Gemälde »Fuchs im Bau« von der Jury angenommen sei.

An jenem Abend hat es die Osteria erfahren, daß die jungen Deutschen noch genau so trinken und lachen können wie die alten – und die Hofluft im Thronsaal der Muse der Malerei hat singend und klingend die heiße Stirn Flankens geküßt, ihn im Katalog der Künstler zu ihrem Ritter zu schlagen.


 << zurück weiter >>