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Durch die Spitzengardinen huschte Lichtschein, dann bewegte sich der dunkle Schatten einer Bedientenfigur vor den hohen Scheiben und langsam rollten die Rouleaux hernieder, ein Fenster nach dem andern verhüllte sich, es war totenstill in Villa Olivia.

Plötzlich zittert ein weicher Ton durch die Luft, anschwellende Akkorde und die lieblichste Mädchenstimme verschmelzen zu künstlerischer Harmonie, wie Perlen, glockenrein und klar klingen die einzelnen Coloraturen zu der stillen Straße herab.

Droben in dem behaglich durchwärmten, mit allem Luxus ausgestatteten Salon liegt eine junge Dame in dem leichtbewegten Schaukelstuhl, den blonden Kopf tief in die Hand gestützt, atemlos lauschend, und von Zeit zu Zeit die Blicke zu der Sängerin erhebend, Ruth von Altingen. Am Klavier sitzt ein junger Mann, er giebt der rosigen Försterstochter Singunterricht. Sein Kopf ist zurückgelehnt, er spielt die Begleitung auswendig, nur ganz verstohlen huscht sein Blick nach Ännchens kleiner Hand, welche sich dicht neben ihm auf das Instrument stützt. Er ist ein genialer, allgemein beliebter Mann, der Kapellmeister Heßbach, seine Lieder singen die jungen Mädchen der Stadt heimlich und öffentlich, seine Nocturnos hört man allerwegen, und seine kurzen, seltsamen Gedichte, glühend und liebejauchzend und rätselhaft wie ihr Verfasser selbst, die ziehen wie ein Traum durch manch liebliches Köpfchen, und wenn es niemand sieht, neigen sich wohl auch ein paar schüchterne Lippen darauf und küssen sehnsuchtsvoll das weiße Titelblatt, just die Stelle, wo der Name Heßbach gedruckt steht.

Seine Züge sind frei und edel, das Haar leicht gelockt und in die Stirn fallend, auf deren stolze Wölbung das Genie seinen leuchtenden Stempel gedrückt hat, ein Auge voll Feuer und Begeisterung sprüht darunter, schwarz und groß wie das eines Südländers. Er ist durch und durch Künstler, er ist selber ein brausendes, leidenschaftliches Impromptu, dessen Originalität die Menschen anstaunen, und dessen Seele sie nicht verstehen.

Ruth gegenüber am Tische sitzt Mademoiselle Marion; sie näht eifrig an rosa Bandschleifen und hält probeweise die kleinen Sträußchen Apfelblüte darauf, es ist lauter Eigensinn von ihr, sie läßt es sich nicht nehmen, die letzte Hand an die Toilette ihrer jungen Schutzbefohlenen zu legen, noch dazu heute, wo Fräulein von Altingen die große Auszeichnung genießt, zum Familiensouper der Herrschaften befohlen zu sein.

»Allez vite, chérie!« winkt sie zärtlich, »ich möchte einmal sehen, ob es sich so gut in Ihrem Haar ausnimmt!« und sie beugte sich eifrig über die bücherbelegte Platte und hebt Band und Blumen empor; ihr schwarzes Seidenkleid knistert und die weißen Spitzen zittern um die mageren Handgelenke.

Ruth wehrt energisch ab. »Lassen Sie mich in Ruhe, Mademoiselle! nachher mögen Sie mich aufputzen wie Sie wollen, meinetwegen stecken Sie mir einen ganzen Schellenbaum auf den Kopf, aber bitte, jetzt verschonen Sie mich mit diesem ewigen Anproben, man wird ja selber noch zur reinen Modepuppe!«

Fräulein Marion versank beleidigt in ihrem Fauteuil. »Ich begreife nicht, wie ein junges Mädchen so gleichgültig für sein Äußeres sein kann!« schmollte sie, »seit einiger Zeit ist Ihnen jede Stecknadel zu viel, welche Sie anwenden müssen, ich glaube, wenn ich Sie gewähren ließe, Sie gingen im Morgenrock oder Reitkleid an den Hof! Mon Dieu, es ist unfaßlich, wie wenig Interesse Sie für die Wintervergnügungen haben. Ist Ihre Passion für die Residenz schon beim zweiten Jahre so gewaltig herabgeschraubt?«

Ruth hob langsam die Augen, es flammte darin, aber ihre Stimme klang leise und ruhig, und um ihren Mund zuckte ein schwer zu deutendes Lächeln. »Jene zwei Jahre haben mir alles gezeigt, was ich sehen wollte, vielleicht noch mehr als mir lieb war. Ich kenne die Residenz und sehne mich heim!« Sie lehnte das Köpfchen zurück und verschlang die Hände um das Knie, Erlkönigin seufzte tief auf.

Mademoiselle Marion richtete sich resolut in die Höhe, legte die Arbeit mit energischer Kürze auf den Tisch und wollte eben eine ihrer endlosen Vernunftpredigten über ganz verrückte Ideen und Kinderlaunen beginnen, als sich die Portièren leise öffneten und ein Diener mit tiefer Verneigung eine Visitenkarte auf silbernem Tablet überreichte.

Ruth blickte flüchtig auf, ihre Stirn umwölkte sich, mit kurzer Geste wandte sie sich zurück. »In das Balkonzimmer, ich komme.«

Auf der Karte standen unter prunkvollem Wappenschild die inhaltschweren Worte: »Alice de Nievendloh van Hollingen, Hofdame Ihrer Hoheit der Prinzessin Josephine zu X.«

»Wer ist es denn?« flüsterte Mademoiselle Marion emporschnellend, »die Gräfin schon? mein Gott, es ist erst sechs Uhr!« Und schon hatte sie die Karte annektiert und studierte durch die Lorgnette den Namen. »Ah, Alice!« nickte sie mit jäh verändertem Ausdruck in den hageren Zügen, »das süße Kind! es ist wirklich rührend, wie sie sich an Sie attachiert hat, Ruth, auf zwei Besuche schulden Sie dem guten Mädchen bereits Gegenvisite, und dennoch kommt sie voll unveränderter Freundschaft zum dritten Mal zu uns!«

»Und wird ganz gewiß auch noch öfter kommen!« moquierte sich Erlkönigin mit schnellem Blick über die verzückte Miene der Französin. »Sie finden es rührend, ich finde es zudringlich! Deutlicher als ich konnte es ihr kein Mensch zeigen, daß ihre Anwesenheit mir unsympathisch ist, es scheint jedoch auf das subtile Hoffräulein keinen Eindruck zu machen.« Ruth zuckte die Achseln und wandte sich kurz um.

Ehe Fräulein Marion nur Zeit zu einer Erwiderung fand, schlugen die Sammetfalten der Portiere hinter Ruth zusammen, und mit graziös auf die Brust gelegten Händen wandte sich die Französin zu dem Kapellmeister und bat tausendmal um Vergebung wegen der Störung, welche der Wortwechsel im Unterricht verursacht hatte. Dann verließ sie das Zimmer und rauschte quer über den Korridor in ihr Boudoir, um für diesen Abend wegen plötzlicher Migräne unsichtbar zu bleiben.

Indessen trat Ruth in den Empfangssalon. Von der Decke fiel das gedämpfte Licht zweier Glaskuppeln, einen unsicheren Schein über die tief violette Färbung der Möbel werfend, welche in düsterer Eleganz, nur hie und da gehoben durch das Goldgitter der Stuhllehnen und die schneeigen, auf künstlerischem Sockel thronenden Marmorstatuen, in geschmackvollen Gruppen auf spiegelglattem, teppichlosen Sternparquet zusammengestellt waren. Von den hohen Fenstern und Balkonthüren floß ein zartweißer Spitzenduft, überhangen von den knisternden Atlasfalten, deren Quasten in den Klauen eines schwebenden Bronze-Adlers ruhten. An den Wänden hingen die Reliefbilder der einzelnen Glieder des X'schen Herzoghauses, ein frischer Lorbeerkranz zierte den Rahmen des regierenden Fürsten, ein Kreppflor schlang sich um den der jüngstverstorbenen Herzogin-Mutter.

Ruth trat hastig ein, mit wenigen Schritten stand sie vor Fräulein von Nievendloh.

»Endlich, liebste Ruth!« klang es ihr vorwurfsvoll entgegen. »Wie können Sie so grausam sein und mich so lange hier in diesem unheimlichen Zimmer allein lassen! puh, ich habe mich gefürchtet wie ein Kind unter dem starren Marmorblick der alten Herzogin da oben, gerade so sah sie aus, wie sie auf dem Paradesarge lag, und die Gräfin Sternow und ich die Ehrenwache hatten!«

Das schöne Hoffräulein zog schaudernd die Schultern in die Höhe und schüttelte sich in der Erinnerung, dann warf sie sich wieder in die Sesselpolster zurück, aus welchen sie sich lebhaft bei Ruths Eintritt erhoben hatte. Fräulein Alice mochte am Anfang der dreißiger Jahre sein; ihre Züge waren noch immer hübsch zu nennen, wenn auch mehr piquant als lieblich, allerdings zog sich um die schmalen Lippen schon der scharfe Zug des Verblühens, und die Augenbrauen zeugten von geschicktem Pinsel, auch schienen Poudre und Pariser Rouge keine Fremdlinge auf dem Toilettentisch der jungen Dame zu sein. Unter dem weißen Gazeschleier war der Eindruck jedoch ein überaus reizender, und Ruth mußte momentan an ihre erste Bekanntschaft mit der kleinen Hofdame denken, wo sie diese dunklen Augen und die kecke kleine Nase wahrhaft entzückt hatten.

»Verzeihen Sie, Alice, wenn ich vergaß, daß das Unbehagen aus Sekunden oft Minuten macht!« begrüßte sie Ruth voll kühler Höflichkeit, »ich werde mir Ihre Aversion gegen das Balkonzimmer merken und Sie das nächste Mal lieber in meine Räume führen lassen!«

»Das nächste Mal! Erst müssen Sie nun zu mir kommen, Sie kleiner Bösewicht!« drohte Alice mit schelmisch erhobenem Finger, dann aber mit schneller Zärtlichkeit die Herrin von Altingen neben sich niederziehend, legte sie den Arm zutraulich um ihre Schulter. »Sie sind ein Schelm, liebe Ruth, Sie denken, wir Mädchen müßten Ihnen auch so den Hof machen wie unsere unglücklichen Kavaliere, welche der Reihe nach zu Ihren Füßen schmachten? eh bien, ich gönne sie Ihnen Alle, nur um heute Abend beneide ich Sie!«

Ruth blickte sie groß an. »Um heute Abend?« wiederholte sie fragend.

Alice warf sich in die Causeuse zurück und bewegte lebhaft ihren langhaarigen kleinen Muff.

»Sie Glückliche sind ja die Einzige, welche aus der Hofgesellschaft zu dem ersten Familiensouper mit Prinz Leopold befohlen sind!« rief sie schnell atmend, »es wird auch so leicht keiner Anderen zu teil, von der Oberhofmarschallin protegiert zu werden. Danken Sie es Ihrem freundlichen Geschick, daß Ihr Herr Vater ein Jugendfreund der alten Lersneck ist, Sie würden mit hundert Widerwärtigkeiten zu kämpfen haben, hätten Sie nicht diese hohe Konnexion!«

»Und das wäre zum Beispiel?« Ruth lachte leise vor sich hin.

»Nun – mon Dieu, was weiß ich!« zuckte Fräulein van Nievendloh die Achseln, »mit der Oberjägermeisterin haben Sie es zum Beispiel sehr verdorben, beste Ruth, Sie waren so unklug –«

»Ihre Traktätchen und Einladungen zu Bibelstunden und beschaulichen und erbaulichen Vorträgen ein für allemal dankend abzulehnen?« fuhr Ruth unterbrechend fort, ein Lächeln, halb sarkastisch, halb amüsiert streifte ihre Nachbarin. »Nein, Alice, ich habe durchaus kein Talent, mich zu den schmutzigen kleinen Proletariern zu setzen, und ihnen geduldig die Maschen aufzunehmen, lieber will ich in die Hölle kommen, wenn nach der Ansicht der Frau Oberlandjägermeisterin nur Strickstunden und fromme Vereine der Weg zur Seligkeit sind.«

Das Hoffräulein rümpfte etwas die Nase. »Davon wollen wir ja schließlich ganz abstehen!« entgegnete sie merklich kühler, »aber wenn ich Ihnen raten darf, opponieren Sie wenigstens nicht allzu beleidigend gegen eine religiöse Richtung, welche schließlich der gute Ton erfordert! Die ganze Creme der Gesellschaft hat sich dem neuen Stiftsprediger angeschlossen, welcher durch seine strengen Ansichten die vollsten Sympathieen der vornehmen Welt erworben hat; es ist schließlich eine Form geworden, seine Kirche zu besuchen, welcher sich jedermann unterzieht, um sich quasi in unsern Kreisen ›zu halten‹ oder sich hineinzuschmuggeln, je nach dem! Aber Sie, liebste Ruth, scheinen förmlich etwas darin zu suchen, gegen diese Etiquette zu demonstrieren, es sieht beinahe aus wie Trotz, daß Sie stets zu dem freigeistigen ungeschliffenen Konsistorialrath gehen, welcher sich durch sein wenig devotes Wesen geradezu verhaßt bei der Landjägermeisterin gemacht hat!«

»Sein Wesen kann ich nicht beurteilen, ich kenne es nicht; seine Predigten finde ich jedoch so geistreich und apart, so offen, gerad und ehrlich, daß sie meinem Geschmack nach nur wohlthuend gegen den geschniegelten, ängstlich nach hochwohlgeborenen Ideen zugeschnittenen Sermon des Herrn Stiftspfarrers sind. Aber genug davon, es wird eben jeder nach seiner Facon selig. Giebt es nichts Neues in der Residenz?« Ruth verschlang die Hände und schaute gelassen auf.

Noch zuckte es wie heftigster Widerspruch in den Zügen der Nievendloh, dann schien ihr diese schnelle Wendung selber willkommen.

»Neuigkeiten? en masse!« rief sie lebhaft, »denken Sie doch, Ruth, der schöne, angebetete Lieutenant von Otthardt wird schuldenhalber seinen Abschied nehmen müssen! Er wollte sich durch eine reiche Heirat retten und nach dem leuchtenden Vorbild seines Herrn Chefs einer Knopffabrikantentochter die siebenpunktige Krone aufsetzen, aber er hatte sich geirrt, der Herr Lieutenant, die ›Exportscheinchen‹ hatten keine Lust, seinen schwindsüchtigen Geldbeutel zu kurieren – hahaha!« und Alice warf sich zurück und brach in ein konvulsivisches Gelächter aus. »Ich gönne es ihm von Herzen, dem leichtsinnigen Patron!« fuhr sie mit haßfunkelnden Augen fort, »o, ich habe gejauchzt bei der Nachricht!«

»Unmöglich?« wunderte sich Ruth mit leichter Ironie, »noch im letzten Winter waren Sie doch sehr befreundet mit dem armen Otthardt, ja, wenn ich nicht irre, war es sogar Ihr eifriger Courmacher –«

»Bah! eine Laune, eine Spielerei!« zuckte Alice die Achseln, aufgeregt ihren Muff auf die Tischplatte werfend, »ich habe mir nie etwas aus ihm gemacht, nie! Mon Dieu, wozu auch, ich habe ja kein Geld!« setzte sie mit hohnvoller Betonung hinzu, »und wo bleibt eine Lieutenantsliebe, wenn sie nicht die Dukatensäckel in Flammen halten? Wissen Sie, Ruth, was ich glaube?« Alice richtete sich jäh empor und faßte Ruths Hand mit eisernem Griff, wie zwei Dolchspitzen scharf und spitz bohrten sich die schwarzen Augen in ihre Züge, »ich glaube, er wird jetzt sein letztes Heil bei Ihnen suchen. Sie sind ja mit allen Glücksgütern gesegnet, Sie sind eine reiche Erbin, unsere jungen Herren reißen sich um die Besitzerin von Altingen! Mit Ihnen wird Keiner so leicht tändeln. Sie werden nicht als langweiliges Spielzeug schließlich in die Ecke geworfen, Sie haben ja Geld, Ruth, Sie sind ja eine gute Partie! Aber nein! lassen Sie sich nicht mißbrauchen, opfern Sie sich nicht einem schändlichen Leichtsinn, welcher Strafe verdient hat, von Gottes und Rechts wegen! Ruth, ich beschwöre Sie bei Allem was Ihnen heilig ist, helfen Sie Otthardt nicht, geloben Sie es mir, ich flehe Sie an!« und in fast wilder Leidenschaft preßte sie die Hand des jungen Mädchens und neigte die Lippen dicht zu ihrem Ohr, die Augen funkelten durch das bleiche Schleiergewebe und schneidend klang das Lachen, welches zu ihr aufgellte. »Er verdient kein Mitleid, er soll elend werden, wie all die tausend Anderen, welche die Nemesis erreicht. Hinüber nach Amerika, mein Herr von Otthardt, das habe ich Ihnen vom Himmel erwünscht!« – und sie gab Ruths Hand mit einem tiefen Atemzuge frei.

Ruth wich zurück, voll Abscheu fast traf ihr stolzer Blick das boshafte Gesicht der Sprecherin.

»Wenn Herrn von Otthardt nur durch eine Heirat zu helfen ist, so thut es mir aufrichtig leid, sein Schicksal nicht zum Bessern wenden zu können, ich kann ihm nicht einmal borgen, denn ich bin noch nicht mündig.«

Alice hatte sich wieder völlig beherrscht. »Es würde auch nur ein Tropfen auf einen heißen Stein sein!« lächelte sie gleichmütig, »er ist vollkommen ruiniert, der letzte Bazar, auf welchem er rein wie toll der schönen Baronin Zirska Kupferstiche abkaufte, hat ihm endgiltig den Hals gebrochen. Wie man's treibt, so geht's.«

Alice warf den Kopf zurück und trällerte eine Melodie von Strauß. »Apropos, ich habe noch eine Neuigkeit in petto, raten Sie einmal, was Ihrer heute Abend noch harrt?«

»Hoffentlich keine Einladung zu der Landjägermeisterin, sonst ist mir Alles recht!«

»Nein, davor sind wir diesen Monat sicher, aber eine neue Bekanntschaft werden Sie Glückskind machen, o, Ruth, wie beneide ich Sie um diesen Abend!«

»Prinz Leopold?« fragte die Erlkönigin ruhig aufschauend, »er erzählt hoffentlich recht interessant von seinen Seereisen, zwei Jahre war er unterwegs?«

»Zwei Jahre!« nickte Alice. »Er hatte sich doch allein angemeldet, kein Mensch denkt daran, daß er Gäste mitbringen könnte, und heute Morgen, zwei Stunden vor seiner Ankunft telegraphiert er: ›Ein Freund werde ihn begleiten!‹ Ich sah sie von meinem Fenster aus ankommen, chérie, ich sage Ihnen, ein Bild von einem Mann! Der Prinz sieht wie ein sechzehnjähriges Bürschchen gegen ihn aus! Hoch, stolz, eine wahrhaft fürstliche Figur, sehr ernst, fast melancholisch, aber darum doppelt interessant! Ich jagte sofort mein Kammermädchen hinunter, um seinen Namen bei dem Lakai auszuforschen, sehen Sie doch nur dies schlaue Ding an, sie hat sich sogar eine Karte von ihm zu verschaffen gewußt!« Alice griff eilig suchend in die Tasche. »Der Prinz hat sich auf der Reise so sehr mit ihm befreundet – hier – lesen Sie, ist es nicht ein entzückender Name?« Vollkommen gleichgiltig nahm Ruth die Karte und warf einen Blick darauf. Ein jäher, bebender Schreck durchzuckte sie, wie ein Schwindel faßte es ihre Gestalt und jagte das Blut stürmisch in ihre Schläfen.

›De Sangoulème, Lieutenant zur See‹, las sie, dann hob sie das Haupt, ruhig wie Stein waren ihre Züge, fest und sicher die Hand, welche das Blatt zurückreichte. »Allerdings ein schöner Name. Danke, Alice!«

Fräulein von Nievendloh preßte die Karte schwärmerisch gegen das Herz. »Der herrlichste Name und der würdigste Träger!« rief sie exaltiert, mit schnellem Auflachen hinzufügend: »Ich glaube wirklich, Ruth, ich bin schon par distance in den interessanten Seemann verliebt, geben Sie einmal Acht, es dauert keine drei Tage, dann ist mein armes Herz rettungslos ›gekapert‹! Der junge Mann kann sich übrigens gratulieren! Prinz Leopold zum Freunde zu haben, heißt ebensoviel wie das Admiralspatent in der Tasche. Die Karriere, welcher er entgegensieht, wird wohl an Schnelligkeit und Auszeichnungen nichts zu wünschen übrig lassen, noch ein paar Jahre, und hier auf der Karte prangt der Kapitän de Sangoulème. Ich brenne darauf, dieses Glückskind kennen zu lernen und könnte mich selber ohrfeigen vor Ärger, daß ich mir den heutigen Abend selber verscherzt habe!«

»Schon vorhin wollte ich fragen, warum Sie nicht zugegen sein werden, Alice?« fragte Ruth zerstreut, sie lehnte den Kopf zurück und blickte starr in das matte Kuppellicht. »Die Prinzessin Josephine wird doch auf keinen Fall bei dem ersten Zusammensein mit ihrem Lieblingsneffen fehlen!«

Die Hofdame zuckte ärgerlich die Achseln. »Nein, das allerdings nicht, denn seltsamer Weise ist ihr Herzkrampf diesmal unerwartet schnell vorbeigegangen, sonst liegt sie oft Tage lang in den unerträglichsten Zuständen, die ganze Umgebung hat darunter zu leiden!«

»Die Unglückliche!« bedauerte Fräulein von Altingen in aufrichtigem Beileid, »o ich habe Hoheit so herzlich lieb und verehre die alte Dame so grenzenlos – es hätte mir unendlich leid gethan, wenn ihr auch diese Freude des Wiedersehens versagt worden wäre. Wie sind Sie doch so glücklich, Alice, diesem edlen, hochherzigen Wesen Ihre Dienste widmen zu können!«

»Je nun!« lächelte Fräulein von Nievendloh etwas ironisch, »ich würde Ihnen zeitweise herzlich gern meine Stellung abtreten. Die Prinzessin ist eben eine alte Dame«, fuhr sie schneidend fort, »welche Tag aus, Tag ein in ihrer Epheulaube zwischen vergilbten Herrlichkeiten sitzt, ich finde es oft eine etwas starke Zumutung für ein junges Mädchen meines Temperaments, dieses Nonnenleben mitmachen zu müssen. Gott sei Dank hat Ihre Hoheit manchmal Mitleid mit mir eingesperrtem Vogel und öffnet mir den Käfig. Himmel, wenn ich bedenke, was die Sternows bei der jungen Herzogin für eine glänzende Suite ewiger Amüsements haben, ich bebe oft vor Entrüstung, wenn unten die Equipagen rollen und der linke Schloßflügel in einem Lichtmeer himmlischsten Vergnügens schwimmt, ich aber wie eine Märthyrerin neben der altmodischen Chaiselongue der Prinzessin sitze, und ihr die langweiligsten Tugendromane vorlesen muß!«

Fräulein Alice stampfte leidenschaftlich mit dem kleinen Fuß auf das Parquet, und der Ausdruck, welcher momentan ihre Züge beherrschte, machte sie häßlich und alt.

Ruth empörte dieser unbemäntelte Gefühlserguß, und das fieberische Verlangen nach Vergnügen und Zerstreuung schien ihr geradezu verächtlich; mit welch scheuem, ehrfurchtsvollen Entzücken hatten sie nicht selber zu den Füßen der hohen Frau gesessen, in dieses milde, gütige Antlitz geschaut, dessen blaue Augen so sanft und geduldig zu ihr herniederlächelten, und dennoch trüb geworden waren unter den zahllosen Thränen, welche Schmerz und Leid darüber hingetaut hatten. Die Prinzessin war für Ruth ein Bild geprüftester, rührendster Geduld und Ergebung, und die liebsten Stunden am Hof waren ihr die Besuche in Josephinens freundlichem Erkerzimmer, wenn die Kranke sich nach einem Hauch frischer Natürlichkeit sehnte und die Herrin von Altingen zu sich befehlen ließ.

»Hoheit ist also nicht krank, und trotzdem werden Sie heute Abend nicht zugegen sein?« fragte Ruth nach kurzer Pause.

»Nein, nein! Das ist es ja, was mich so ärgert!« rief Alice mißmutig, »die Sache liegt ganz einfach, ich bin eben diesmal hereingefallen! Gestern Nachmittag bekam die Prinzessin nämlich wieder Schwindel und leichten Kopfschmerz, die gewöhnlichen Vorboten ihrer Herzkrämpfe. Wissen Sie, Ruth, hie und da lasse ich mir ja ganz gern ein wenig Krankenpflege gefallen, aber in letzter Zeit bricht es gar nicht mehr ab bei Hoheit! Mon Dieu, ich bin doch keine Diakonissin, die ewig den Puls fühlen muß, und bei diesem kalten Wetter übernehme ein anderer die Nachtwache, ich danke dafür! Und wenn ja auch großmütigerweise nicht verlangt wird, daß ich direkt bei ihr im Zimmer aushalte, ich muß doch nebenan sein, im Fall etwas passiert, eine schöne Ruhe, jeden Laut hört man durch die Thür, an schlafen gar kein Gedanke bei diesem Gestöhne und dazu womöglich noch bei jungen Herzogs Tanzmusik! Glauben Sie etwa, Ruth, die Alterationen und vergeudeten Nächte machten jung und rosig?«

Fräulein von Nievendloh lachte gezwungen auf. » Allez vous-en! ich wüßte nicht, was mich verpflichtet, der Prinzessin meine paar Jugendjahre zu opfern!« und sie warf den Kopf brüsk zurück, nachlässig die Achseln zuckend. »Wie ich jene Unglückstage kommen sah, zog ich mich nach Tisch auf mein Zimmer zurück und ließ mich selber durch mein Kammermädchen krank melden, ich habe auch wirklich Katarrh, seit der letzten Oper, wo ich zu Fuß nach Hause ging. Aber sehen Sie, Kindchen, so geht es, wer Unglück haben soll, der hat es auch, coûte qui coûte! Ich melde mich krank, die Prinzessin ist am andern Tage wieder wohl und munter, Prinz Leopold und der entzückendste aller Weltumsegler kommen überraschend an, heute Abend dem zu Ehren Familiensouper, und ich bin durch ein Fräulein von Sanden vertreten und muß zu Hause bleiben. Es ist zum Tollwerden!«

Ruth lachte. »Das war allerdings eine eigene Wendung der Geschicke, aber unbesorgt, es wird schon mehr Gelegenheit geben, Herrn de Sangoulème kennen zu lernen!« fügte sie mit jäh veränderter Stimme hinzu.

Fräulein von Nievendloh erhob sich. »Da drüben singt wohl wieder das ›sentimentale‹ Försterkind?« fragte sie ironisch, mit dem Muff nach der Nebenthür deutend. »Eine ganz passable Stimme, will sie zur Bühne?«

»Nein, das hat meine Freundin Gott sei Dank nicht nötig, sie benutzt nur ihren Aufenthalt bei mir, um sich im Gesang auszubilden!«

Hoch und stolz aufgerichtet stand Erlkönigin vor dem kleinen Hoffräulein.

»Sehen Sie, liebste Ruth, das ist auch einmal wieder eine Ihrer Capricen, mit welcher Sie Anstoß erregen!« warf Alice mit hochmütigem Nasenrümpfen hin. »Die Tochter Ihres Oberförsters, durchaus nicht von Familie, wie ich von der Mademoiselle Marion hörte, auch mit herzlich wenig Manieren, ich bitte Sie um Gottes Willen, bestes Kind, was denken Sie sich eigentlich von diesem Umgang?«

»Durch denselben vielleicht mit Ihnen noch inniger befreundet zu werden, falls Herr de Sangoulème Ihr sprödes Herz erringen wird«, klang es voll grausamsten Hohnes von den Lippen der jungen Dame. »Das ›sentimentale‹ Förstertöchterlein ist die leibliche Cousine des prinzlichen Protéges!«

»Ruth!« schrie Alice auf, wie elektrisiert den Arm der Sprecherin umklammernd. »Sind Sie bei Sinnen, Sangoulèmes Cousine?«

»Ännchens Vater und die Mutter des jungen Seemanns sind Geschwister!« erwiderte Fräulein von Altingen, ziemlich ostensibel die Hand der Nievendloh von ihrem Arm lösend.

»Unmöglich! wie könnte das sein?« Auf Alices jäh erbleichtem Antlitz flammte es glühend auf. »Er trägt einen altaristokratischen französischen Namen?« rief sie mit fliegendem Atem.

»Weil seine Mutter deutsche Gouvernante in Frankreich war, und sich gegen den Willen der Sangolème'schen Familie mit dem Majoratsherrn und ältesten Bruder ihrer Zöglinge vermählte!« Ruths Blick streifte in kühler Gelassenheit das Gesicht ihres Gegenübers, mit scharfer, fast sarkastischer Betonung klangen die Worte zu ihr nieder. Einen Augenblick biß sich Alice in peinlichster Erregung auf die Lippen, dann der ganzen Sache eine scherzhafte Wendung gebend, lachte sie hell auf. »Es muß auch solche Verhältnisse geben, wo sollte sonst der Stoff zu den Romanen herkommen, liebe Ruth! Der schöne Vetter macht Alles gut, und läßt die kleine ›Waldnymphe‹ um Kirchturmshöhe in meinen Augen steigen. Jetzt habe ich keine Zeit mehr, aber das nächste Mal werde ich Sie sogar bitten, mir Ihr Ännchen vorzustellen. Aber eine Heuchlerin sind Sie, Ruth, eine Heuchlerin par excellence! Schwärme ich Ihnen eine halbe Stunde von dem neuen Adonis vor, und beim Schluß erst, ganz aus Zufall, kommen Sie mit den interessantesten Details über seine Verhältnisse zu Tage. Warten Sie nur, ich schelte Sie noch bei Gelegenheit gründlich aus, jetzt leben Sie wohl, Herzchen, mein Herr Lakai wird sonst ungeduldig! Und vergessen Sie also nicht – mit Otthardt – vous comprenez? Apropos!« und Alice kam schnell zwei Schritte zurück und legte die Hand vertraulich auf Ruths Schulter, »da fällt mir eben ein, daß der gute Mensch vielleicht die Frechheit besitzt und sein Heil bei der Prinzessin Josephine versucht, wenn alle Stricke reißen, zieht er die Flagge der Souvenirs auf und berechnet gar wohl, daß er bei der sentimentalen Hoheit fruchtbaren Boden findet! Aber ich wills ihm versalzen; was in meinen Kräften steht, soll geschehen, daß er keine Audienz bei ihr erhält, es würde mich in den Tod ärgern, wenn sie so schwach wäre, ihm ein Kapital vorzustrecken!«

»Die Prinzessin?« fragte Ruth zweifelnd, »warum sollte er sich gerade an diese alte Dame wenden, welche doch bekanntlich die größte Hälfte ihrer Revenuen zu wohlthätigen Zwecken bereits fest bestimmt hat, und von sämtlichen Familienmitgliedern des Fürstenhauses am wenigsten bemittelt ist! Ich dächte, der Gedanke läge näher, daß er sich in dringendster Not an den Fürsten selber wendet, wenn dieser nicht schon von selbst seinem ehemaligen Adjutanten zu Hilfe kommt, man sagt, der Herzog habe ein großes tendre für den schönen, flotten Offizier!«

Alice lachte leise auf, ein abscheuliches Lachen, »er hatte es, kleine Ruth, allerdings! aber seit ich mir erlaubt habe, Hochdemselben ein wenig die Augen zu öffnen, ist seine Vorliebe bedenklich reduziert, das enfant gâté der Damenwelt hat von dieser Seite nichts mehr zu hoffen! Nein, der letzte Stern am Otthardt'schen Himmel ist die Prinzessin, aber auch vor diesen wird sich eine kleine Wolke schieben, in Gestalt jenes Hoffräuleins, welches als ›so unbedeutendes Spielzeug‹ bei Seite geschoben wird, und womöglich der Laune eines leichtsinnigen Premiers zu Liebe, die Erlaubnis hat, am gebrochenen Herzen zu sterben! Wissen Sie, Ruth, daß Rache süß ist?« Fräulein von Nievendloh sah ihr scharf in die Augen, dann schüttelte sie sarkastisch den hübschen Kopf und fuhr ruhiger fort: » Bêtise! Sie gutes Kind wissen ja nichts Anderes, als die fromm gepredigte Menschenliebe Ihrer kleinen Dorfkirche, wie sollten sich auch nach dem stillen Waldschloß Intriguen und Haß verlaufen! Nicht wahr, in Altingen haben sich alle Menschen lieb, und der Hofhund frißt mit der Hauskatze in unverbrüchlichem Frieden aus einem Napfe? haha!« und sie lachte abermals leise auf, dann nahm sie ein paar Visitenkarten aus der Marmorschale und musterte sie flüchtig durch. »Warum sich Otthardt an die Prinzessin wenden wird, fragen Sie? Kennen Sie denn die Hofchronik so wenig, kleine Weisheit, daß Sie womöglich nach Dingen fragen, welche bereits seit fünfundzwanzig Jahren die Spatzen auf dem Dache pfeifen? Hat man Ihnen denn nie die romantische Jugendgeschichte Ihrer Hoheit erzählt?«

»Nein!« rief Ruth hastig, »was ist's damit? o bitte, Alice, sprechen Sie!«

»Zwei Jahre in der Residenz und noch keine Ahnung von dem pikantesten Kapitel der fürstlichen Annalen! Entweder sind Sie nicht eine Spur neugierig, oder die bösen Zungen haben ihr Zischen verlernt! Was den Namen Otthardt mit demjenigen der Prinzessin in Verbindung bringt, ist eine einfache, kleine Liaison, ein Stückchen Poesie, welches manche Leute rührend, manche auch abgeschmackt finden, ich halte es mit den Letzteren und fühle keine Passion, mit an dem Glorienmäntelchen zu weben, welches menschenfreundliche Seelen um die ›alte Jungfer!‹ hängen wollen! Um kurz zu sein, Otthardts Vater war Kammerherr bei dem hochseligen Herzog Ernst, ebenso schön, ebenso leichtsinnig, ebenso verschuldet wie jetzt der Herr Sohn! Prinzessin Josephine war nie besonders hübsch, auch nicht übermäßig amüsant oder piquant, aber sie soll eine liebliche zarte Erscheinung, etwas schwärmerisch und leicht erregt gewesen sein. Bald war es Stadtgespräch, daß der junge Höfling die größten Auszeichnungen seitens der Prinzessin genösse, ja, das zarte Verhältnis der beiden war dokumentiert, als die Hofmarschallin bei Anlaß einer Hoffestlichkeit Augenzeugin ward, wie Ihre Hoheit, sich im Wintergarten unbeobachtet wähnend, die Rose von ihrer Brust löste, sie hastig an die Lippen führte und sie alsdann mit beredtem Blick dem schönen Kammerherrn reichte, es tief erglühend leidend, daß Otthardt ihre Hand mit leidenschaftlichen Küssen bedeckte. Die Hofmarschallin hatte irgend einen heimlichen Groll auf die Familie von Otthardt, sie hoffte durch die Beobachtung ein Mittel in der Hand zu haben, den allgemein beneideten, vom Herzog aber sehr protegierten Mann zu stürzen. Noch an demselben Abend erfuhr der Herzog die Neigung seiner fürstlichen Tochter und die Vermessenheit des Freiherrn. Serenissimus war ein überaus strenger, despotischer Mann, leicht gereizt und fast erbarmungslos in seiner Härte, die Mitteilung der Hofmarschallin wirkte um so heftiger, als seit kurzem die Bewerbung eines regierenden Fürsten um die Hand Josephinens bei Hofe eingeleitet war. Seltsamer Weise erstreckte sich jedoch der Groll des Herzogs nur auf die Prinzessin, während Otthardt zum Ärger der Anklägerin nach wie vor die volle Gunst des Fürsten genoß. Es kam zu den erregtesten Scenen zwischen Vater und Tochter, und aus der stillen, sanften Josephine entpuppte sich ein energisches, leidenschaftlich liebendes Weib, welches sich sogar zu dem Schwur hinreißen ließ, entweder ihre Verbindung mit Otthardt durchzusetzen, oder nie einem andern Manne ihre Hand zu reichen. Das gab bei dem Herzog den Ausschlag. Die Intrigue, welche eingeleitet wurde, zeigte durch ihren günstigen Erfolg, wie richtig man den schönen Freiherrn beurteilt hatte. Die Gräfin Leubnitz übernahm die allerliebste Mission, Herrn von Otthardt zu wissen zu thun, daß der Herzog ihm seine beträchtlichen Schulden bezahlen würde, wenn sich der Kammerherr bereit erkläre, zwischen heut und acht Tagen seine Verlobung mit einer jungen Dame der Gesellschaft zu publizieren, anderenfalls erwarte ihn seine sofortige Entlassung. Otthardt war ebenso klug als berechnend, die Neigung der Prinzessin war ja eine höchst amüsante, schmeichelhafte Würze seines bunten Hoflebens, mit der Zeit jedoch mußte sie lästig werden, denn sie konnte bei den Ansichten des Herzogs nur Verdruß, Ungnade und Verluste zur Folge haben. Schulden hatte er so wie so, welche jährlich drohender über ihn emporwuchsen und deren Ende er selber nicht abzusehen wußte, welches Glück, wenn die großmütige Hand des Fürsten diesen Stein von seinem Halse band! Otthardt überlegte nicht lang, die Gräfin schied mit wohlgefälligem Lächeln auf dem fetten Gesicht, und überbrachte ihrem gnädigsten Herrn, bis zur Erde geneigt, die wirklich rührend ergebene und demütige Entschließung des jungen Kavaliers. Vier Tage später flogen gedruckte Anzeigen in der Residenz umher, Freiherr von Otthardt zeigte seine Verlobung mit Fräulein Marianne von H. an, der sehr schwerhörigen Erbin der renommirtesten Gewehrfabrik des Herzogtums. ›Bravo!‹ klatschte die boshafte Menge, und die Intriganten am Hof rieben sich die Hände und nickten einander zu: ›Der wäre also glücklich aus dem Wege geräumt, nun wollen wir Hochzeit im Schlosse halten!‹ Aber sie hatten sich verrechnet. Im rechten Flügel des Palastes unterlag Prinzessin Josephine beinahe dem ersten Anfall ihrer Herzkrämpfe. Langsam erholte sie sich, der Name Otthardt durfte nie in ihrer Gegenwart ausgesprochen werden, in den Wintergarten that sie nie einen Schritt mehr. Der fürstliche Freier kam an und hatte auch eine Unterredung mit Hoheit, aber es mußte wohl etwas dazwischen gekommen sein, nach zwei Tagen reiste er wieder ab, und die Hofmarschallin zog ihre Hochzeitstoilette vorsichtshalber zum nächsten Karneval an, der schöne Stoff hätte am Ende Stockflecken bekommen! Die Prinzessin zog sich auf ihren einsamen Schloßflügel zurück, nur die Gräfin Saaleck-Hardenburg, Ihre verstorbene Frau Mutter, Ruth, und Prinz Georg, der Vater des jetzigen Regenten, hatten zu jeder Zeit Zutritt bei ihr. Einen Ballsaal hat sie nie mehr gesehen, und in ihrer Aversion gegen jedes Vergnügen möchte sie auch aus mir am liebsten eine Nonne machen. Aber merci mille fois, ich schwöre zu der Devise: ›Morgen wieder lustig!‹ So! Da haben Sie nun die ganze Geschichte, liebste Ruth, und über all mein Erzählen hat es sieben Uhr geschlagen, eilen Sie sich, petite, daß Sie Toilette machen, kommen Sie, ich gehe schnell einmal mit und sehe mir Ihren Staat an!« Damit nahm Alice Ruths Arm und zog die Herrin von Altingen eilig durch die sammtenen Portièren auf den Korridor.

Währenddessen hatte Kapellmeister Heßbach die Noten zusammengelegt und sich erhoben. Zögernd stand er vor Ännchen und reichte ihr die Hand.

»Leben Sie wohl, Fräulein Anna, und üben Sie die neue Arie fleißig ein, in vier Wochen spätestens hoffe ich zurück zu sein, und dann wird mein erster Weg der Villa Olivia gelten!«

Sie blickte mit ihren hellen Kinderaugen unbefangen zu ihm auf: »Ich werde Ihnen den Daumen halten, daß Ihre neue Oper vielen, vielen Beifall findet!« sagte sie heiter, die kleine Hand in dieser Attitüde zu ihm erhebend, »ich freue mich schon auf die Rezension, und werde ihr zu Liebe sogar die Zeitung lesen, ist das nicht Heroismus?«

Er lächelte. »Ich weiß dieses Opfer wenigstens genügend zu würdigen, denn ich kenne Ihre Aversion gegen Druckerschwärze. Apropos, Romane lesen Sie doch gern?«

Ännchen machte ein verlegenes Gesicht. »O ja, wenn sie recht hübsch enden und man nicht am Schlüsse weinen muß. Sehen Sie, Herr Heßbach, ich bin ein recht dummes Ding, ich sehe immer zuerst die letzte Seite an, und wenn da von Hochzeit die Rede ist, oder Verlobung, dann fange ich die Geschichte an! Im großen Ganzen lese ich aber sehr wenig, hie und da Journale – ach und schrecklich gern Gedichte!« Sie hatte die Augen voll zu ihm aufgeschlagen und das Lampenlicht glänzte auf dem goldblonden Scheitel.


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