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»Sehen Sie dort meinen Freund Suwaroff?« wandte sich Ruth lebhaft zurück und hob die Hand mit der Reitgerte, nach der Richtung zu weisen, »den hat mir Papa zu Weihnachten geschenkt, weil mein Pony zu altersschwach wurde! Reiten Sie auch?«

Norbert neigte bejahend den Kopf. »Recht gern, aber leider recht herzlich schlecht. Auf dem Schiff gehört das Spazierenreiten zu den angenehmen Träumereien, welche uns meistens ebensofern liegen, wie die ersehnte Küste!«

»Ich denke es mir entsetzlich langweilig in solch schwimmendem Stubenarrest!« entgegnete sie mit verächtlichem Achselzucken, »außer Ratten und Zwiebäcken sieht man nichts Interessantes; das einzige eigenwillige Wesen ist der Barometer, und die Hauptverwaltung dreht sich mit der Windrose! Nie und nimmer möchte ich Seemann sein!«

»Sie urteilen schnell, Fräulein von Altingen!« Über die Stirn Sangoulèmes flammte es hell auf, »langweilig kann es unter dem Segel nur solchen Menschen sein, welche sich durchaus nicht geistig, nicht mit sich selbst zu beschäftigen wissen! Wer zu seiner Zerstreuung und Unterhaltung allerdings rauschende Vergnügungen und ewig wechselndes Leben braucht, wer verlangt, daß die Welt stets neue Bilder entrolle, um das Auge zu beschäftigen und den Geist anzuregen, wer eben nur sehen, genießen und ausruhen will, nein! für den ist das Schiff ein Grab und Gefängnis, für den wird es nie ein beglückender Boden sein! Ich habe selten, fast nie Langeweile empfunden. So lange wir auf der See waren, gab es genügend Arbeit, um unsere Gedanken zu beschäftigen, es gab Sturm und brausende Wogen, welche gar ernste Psalmen der Ewigkeit singen, und wohl den Sinn auf Höheres lenken, als wie auf ein Vergnügungsregister heiterer Tage! Es gab stilles, blauglänzendes Meer, weit und unermeßlich ausgebreitet wie das sonnige Himmelsall, mit welchem es fern am Horizonte purpurleuchtend in einander schwimmt, es gab eine majestätische Nacht voll klarer Sternbilder, eine Nacht voll träufelnden Nebels, eine Nacht voll Donner und Blitz! Und schließlich, Fräulein von Altingen, haben Sie denn so ganz das Ziel der langen Reisen vergessen? Was kann schöner, was interessanter, was unterhaltender sein, als endlich das ersehnte Land vor Augen zu haben, als die geträumte Herrlichkeit von tausend und einer Nacht wahr und handgreiflich vor sich zu sehen! Von der einsamen Insel trägt uns das Schiff weiter zum bunten lärmenden Handelshafen! Da schwirrt und summt es durcheinander wie toller Maskenscherz, alle Nationen, alle Sprachen, alle Pracht der weiten Erde hält hier ihren glänzenden Jahrmarkt, ein solches Bild hält kein Maler fest! Ich wünschte, Fräulein von Altingen, Sie könnten eine einzige Reise mit uns machen, Sie würden den Seemann nicht mehr bemitleiden, sondern fest zu seiner Flagge schwören!«

Mit leuchtenden Augen stand der Seekadett vor Ruth, sein edles Profil zeichnete sich scharf gegen das dunkle Tannengrün ab, Begeisterung hauchte lebhafte Röte über die freie Stirn und die hohe Gestalt schien noch stolzer emporzuwachsen unter dem tiefen Atemzug, welcher die Brust hob. Lachend fuhr er fort: »Und Ratten? Gott Lob und Dank, wenn unsere lieben Ratten bei uns bleiben! Lieber von ihnen aufgefressen, als von ihnen verlassen sein!« –

Sie waren an der Eiche angelangt; die Herrin von Altingen stand neben ihrem Fuchs und hatte die behandschuhte Rechte leicht streichelnd auf seinen schlanken Hals gelegt, mit klugen Augen lauschte sie zu dem lebhaften Sprecher empor, still und atemlos wie ein Kind, welchem man Märchen erzählt.

»Sie müssen mir noch von Ihren Fahrten erzählen, viel, sehr viel. Es klingt so schön, wenn Sie sprechen, Sie müssen mich oft in Gedanken zum fernen Süden zaubern! Und wenn der Seemann außer seinem tiefen Gemüt, seinen Ratten und Mäusen auch eine feurige Seele zum Schildern hat«, fügte sie schelmisch hinzu, »dann schwör' ich treu zu seiner Fahne!«

Schnell warf sie die Zügel in ihre andere Hand und sprang auf den Grasrain, um den kleinen Fuß in den Bügel zu stellen. Schon war Norbert an ihre Seite getreten und reichte helfend seine Hand empor, ungeniert ließ sich Ruth stützen, einen Augenblick ruhten ihre Finger auf seiner Schulter.

»Danke! nun geht's, eins – zwei, drei! Sehen Sie? Da saß ich! Wenn Sie sich aber das Großkreuz verdienen wollen, reichen Sie mir meinen Hut dort aus dem Gras – da hinter Ihnen! Ich danke!« Sie nahm den breitkrempigen Federhut aus seiner Hand, drückte ihn achtlos auf das Haar, und nickte kurz zurück; dann fiel die Reitgerte antreibend auf den Hals des edlen Suwaroff, und kerzengerade emporsteigend wandte sich der Goldfuchs, um die Reiterin pfeilgeschwind über die wogende Wiese zu tragen.

Lange stand Norbert und schaute ihr nach, wandte sich hastig ab und schritt den felsigen Waldweg entlang. Vor seinen Ohren schwirrten ihre letzten Worte, er sah ihren klugen Blick fest auf seinem Antlitz ruhen, er fühlte ihre kleine Hand in der seinen.

»Von ihrem Scheitel floß das Licht der Sonne, ihr Nacken schimmerte weiß, wie Myrthenblüte, und ihr Auge spiegelte Himmelsblau«, hörte er plötzlich Großmütterchens Stimme wieder märchenerzählend unter dem Lindenbaum, »der Königssohn aber jubelte voll seligen Entzückens: ja, das bist Du – o Liebe!«

»Ja, das bist Du, o Liebe!« flüsterte Norbert leise, er blieb stehen und wandte sich sinnend zu dem Kleengrund zurück. »Erlkönigin, der Fürstensohn weiß jetzt, wo sein Glück zu suchen ist!«

Durch den Wald aber spielten goldene Sonnenlichter, weich wie Maienhauch schmeichelte die Luft um knospendes Gezweig, und auf der Lichtung schaukelten sich neu die Blumenglöckchen über vorjährigem Herbsteslaub. Da blitzte es durch das Grün wie tausend schimmernde Insektenflügel, da tanzten die lustigen Mückenwolken über den Weg, und ringsum sang und klang und schmetterte es tausendstimmigen Akkord glückseliger Frühlingsluft!

*

»Nun, Großmütterchen, was habt ihr Alle für Augen gemacht, wie plötzlich die Einquartierung von ›Pernambuco‹ eintraf?« rief Baronesse Ruth schon über den Kiesplatz hinüber, lachend faßte sie ihr Kleid zusammen und lavierte sich durch ein Bollwerk von Backtrögen und Waschwannen.

»Grüß Gott, liebe Fräulein Ruth!« und die Gefragte trat ihr, eifrig die Hände über die weiße Schürze gleiten lassend, entgegen, »es ist immer noch Sodom und Gomorrah bei uns, verzeihen Sie, wenn der Weg so gewaltig verrammelt aussieht! Ach und nun erst der Junge in all diesen Wirrwarr hinein, ich traue ja meinen Augen nicht, wie er plötzlich da vor mir steht, aber eine Freude war es, o, du mein Herr Jesus, wie habe ich mich über den lieben Schlingel gefreut!« und noch im Andenken wischte die greise Frau die Augen, mit strahlendem Lächeln drückte sie die Hand des jungen Mädchens.

»Ich habe ihn bereits im Kleengrund abgefaßt!« lachte Fräulein von Altingen in ihrer geraden Weise, »und ihm aufgetragen, er solle zu Ihrer Beruhigung erst gar nicht seinen Koffer hierher bringen, ach, was da!« schnitt sie kurz ab, als die Oberförsterin verlegen Einwände machen wollte, »wozu stehen denn die Besuchszimmer in Altingen Jahr aus Jahr ein Parade, es ist eine wahre Erholung, wenn man einmal Schritte über sich hört! Wo steckt denn aber der gereiste Herr«, unterbrach sie sich mit schnellem Umblick, »Ännchen muß doch auch schon hier sein?«

»Sie sind Beide nach dem Buchenschlag gegangen, um meinen Sohn zu begrüßen«, gab die alte Dame schnell Auskunft und streichelte den Kopf der riesigen Ulmer Dogge, welche mit klugen Augen zu der Sprecherin aufsah. »Der gute Oberförster wird auch sein blaues Wunder schauen, wenn der Norbert ihm entgegentritt!«

»Blau allerdings«, lachte Ruth ausgelassen, »der Herr Seekadett überrascht uns ja in Uniform! Verdenken kann man's ihm eigentlich nicht, denn sie steht ihm ganz außerordentlich gut! Ah, da kommt ja mein Freund Hans! richtig, mit dem unvermeidlichen Butterbrot! na, immer näher, kleiner Mann – gukguk! – hier!«

Mit allerliebstem Schelm versteckte Ruth ihr Köpfchen hinter Großmütterchen, und jauchzend vor Freude stürmte der kleine Hans auf sie ein, um seine Ärmchen in unumwundener Verehrung um ihre Knie zu schlingen.

»Junge! mit Deinen Butterfingern an das schöne Kleid!« wehrte die Oberförsterin erschrocken, aber schon kniete Ruth neben dem wilden Gesellen und drückte einen herzhaften Kuß auf sein Mäulchen, gleicherzeit gab sie der Dogge, welche die Nase schnuppernd nach dem Butterbrot des kleinen Freundes streckte, einen Klapps auf das breite Maul.

»Willst Du wohl, Hassan! – Du hast eben erst diniert in Altingen! – – nein, Hänschen, gieb ihm nichts, der Hund soll sich das Betteln nicht angewöhnen!«

»Ich habe aber Deinen Hassan lieb, Tante Ruth!« versicherte der Kleine, sein Ärmchen zärtlich um den Nacken des Rüden legend, »er ist so groß und wild, und kann einen ganzen Napf voll Kartoffeln auf einmal ausfressen!« – Er brach sein Brot Stück um Stückchen entzwei und ließ den vierfüßigen Nimmersatt mit spitzen Fingerchen schnappen.

»Nun hast Du ja aber nichts mehr zum Kaffee, Du armer Bub!« rief Ruth in die Tasche greifend, »da muß ich wohl Ersatz liefern, – rate, was ich hier habe? – rechte oder linke Hand?« –

»Bonbons! gewiß Bonbons! – bitte alle beide Händel« rief der kleine Diplomat eifrig, und arbeitete sich mit strahlenden Augen das süße Geheimnis aus den Fingern der jungen Dame. »O danke! – danke!« – und abermals präsentiert er seine frischen Lippen.

»Nun schmeckt das Brot doch wenigstens doppelt gut, da Du die Hälfte losgeworden bist«, nickte sie heiter.

»Ach, Fräulein Ruth, nicht einmal Kuchen kann ich zu Norberts Empfang auf den Tisch setzen!« jammerte die Oberförsterin, »hätte er sich nur angemeldet, dann hätte ich eher diese Arbeit hier auf dem Hof über Seite gebracht, aber so habe ich nicht einmal Zeit, ein paar Waffeln zu backen!«

»O!« seufzte Hänschen aus tiefstem Herzen.

»Waffeln!« rief Fräulein von Altingen eifrig, »die kann ich auch backen! Sehen Sie, Großmütterchen, wie sich eine jede gute That belohnt? Sie haben mich diese edle Kunst gelehrt, damit ich heute beweisen kann, daß ich mich auch damit nützlich zu machen verstehe! Erlauben Sie, daß ich einmal Hausfrau spiele? O, bitte, bitte! ich weiß, wo ich alle Zuthaten finde, Feuer ist ja auf dem Herd und marsch, marsch – hurrah – bis zum Kaffee bin ich lange fertig!«

»Hurrah!« jauchzte Hans und leckte schon verstohlen sein Naschmäulchen.

Ehe nur die Oberförsterin all ihre Einwände wegen des guten Kleides und der zarten Händchen anbringen konnte, war die junge Dame schon, die Handschuhe abstreifend, und sie mitsamt dem Hut auf die Bank werfend, eilfertig über die Waschbütten gesprungen, und trat nun, gefolgt von Hans und Hassan, in den kühlen Hausflur der Försterwohnung. Wie mit Zauberei ward es lebendig in der Küche. Das Kleid zierlich geschürzt und mit weißer Latzschürze geschützt, hantierte Baronesse Altingen zwischen den Mehl-, Sahn- und Eierschüsseln herum, und führte Schaumbesen und Löffel mit bewundernswerter Geschicklichkeit. Gleich einem flinken Heinzelmännchen huschte Hans kreuz und quer durch die gepflasterte Küche, kramte und suchte, holte herbei und schleppte fort, und wenn man auch oft nur seine zappelnden Beinchen hinter irgend einer Schranktür oder Ecke hervorschauen sah, so bekundete doch sein eilfertiges Gepolter, wie wichtig es ihm um die Waffeln zu thun war. Hassan saß indessen als würdiges Publikum neben dem Herd, spitzte hie und da aufhorchend die Ohren, oder schnappte nach einer zudringlichen Fliege, welche ihn in seinen interessanten Beobachtungen stören wollte.

»So! Der Teig ist fertig!« rieb sich Ruth voll Genugthuung die Hände, »jetzt kannst Du mir die Schüssel hierher bringen, Hans, das Eisen ist heiß!« Im Gefühl seiner Unentbehrlichkeit ergriff der kleine Mann mit beiden Händen das Gewünschte, stellte es vorsichtig auf den Herd, und stand alsdann, die Hände auf dem Rücken, andächtig daneben.

Mit allerliebstem Geschick waltete die junge Dame ihres Amtes. Schnell und duftend häufte sich das Gebäck auf der blaugeränderten Kuchenschüssel, und Hänschen beobachtete leuchtenden Auges wie's mehr und mehr wurde, dann und wann seine Zunge einen schmunzelnden Bogen über die Lippen beschreiben lassend.

Endlich war es so weit! – Hassan hatte ein paar Mal angefangen zu knurren, aber Ruth schickte ihren Adjutanten Hans, ihm einen Klapps auf die ungeduldige Schnauze zu geben. Nun standen die beiden Küchenmeister prüfend vor ihrem delikaten Meisterwerk. –

»Du ... Tante Ruth!« – hub Hänschen plötzlich an.

»Was denn, mein Junge?«

»Muß nicht gekostet werden?«

»O behüte! – Ich will froh sein, wenn es hiermit langt! – Was glaubst Du denn, Du Lilliput, was so ein Matrose für Portionen gewöhnt ist! – Ich denke mir, Vetter Norbert hält diese Schüssel überhaupt nur für einen Probehappen, denn die Herren Seeleute essen alle wie die Bären!« – Sie stäubte energisch den Zucker über die Waffeln.

»Wie die Bären?«– wiederholte Hans voll Entsetzen; »dann läßt er uns sicher nichts übrig, und wir haben doch gebacken! Bitte, Tante Ruth, – gieb nur Eine, damit ich doch wenigstens weiß, wie sie schmecken!« –

Hassan erhob sich knurrend und schaute zur Thür, Ruth befahl ihm ein kurzes: »Kusch!« –

»Na so schlimm wird es schon nicht werden!« tröstete sie den niedergeschlagenen Genossen: »Du bekommst schon Deinen Teil, ich sorge dafür, Hänschen!« –

Aber Hänschen war mißtrauisch geworden und dachte an den Appetit der Bären in seinem Märchenbuch. –

»Sieh mal, hier sind zwei angebrannte Stücken, Tante Ruth!« versuchte er sehr kläglich sein Heil von neuem.

»Angebrannt? – Dummer Junge, es denkt nicht daran!« verteidigte sich die Herrin von Altingen etwas pikiert, aber schon sah sie nachgiebiger aus, – »man nennt das etwas gebräunt, hast du mich verstanden? – aber Du hast recht, – es sieht nicht besonders hübsch aus ...« und sie besah die beiden Herzen näher, – »Herr Norbert könnte sie vielleicht auch für angebrannt halten, denn die Männer verstehen ja doch nichts von der feineren Küche, – – ja Hänschen –« und sie überlegte abermals, – »ich glaube, wir kosten diese beiden, nur damit die Schüssel besser aussieht!« fügte sie wie entschuldigend hinzu. Mit strahlenden Augen griff Hans zu, und leistete, auf einem Beinchen vor Ruth herum tanzend, ganz Unglaubliches in der Beweglichkeit seiner Kinnbacken.

Auch Fräulein von Altingen vergaß ihre sechzehn würdigen Lebensjahre, und biß mit Herzenslust in das luftige Gebäck, sich vergnüglichst auf dem Hacken herumdrehend, und dann mit schnellem Entschluß einen riskierten Platz auf der Kante des Küchentisches einnehmend. –

In diesem Augenblick aber dröhnte Hassans kräftiges Organ anschlagend durch die Küche, er sprang empor und stellte sich angriffsfertig vor die offene Thür.

»Gesegnete Mahlzeit!« erscholl es von dieser her, und zwischen den Pfosten stand Norberts hohe Gestalt, schnell näher tretend und Hassan mit freundlichem Zuruf abwehrend. Sein Gesicht bemühte sich, ernsthaft drein zu schauen, aber in den Augen und um den Mund zuckte das verhaltene Lachen, welches auch eine verräterische Röte auf seine Stirn trieb. »Halbpart, Kamerad, dann will ich schweigen!« rezitierte er lustig, »darf man mit von der Partie sein, Fräulein von Altingen?«

Zuerst hatte Ruth unwillkürlich das Gefühl gehabt, als müsse sie die Hand mit der Waffel schnell hinter dem Rücken verstecken, jetzt aber preßte sie nur einen Moment wie in jäher Verlegenheit die Lippen zusammen, um dann jedoch sofort mit lustigem Auflachen herzhaft weiter abzubeißen.

»Du kehrst zur rechten Stunde, o Wanderer, bei uns ein!« – gab sie heiter zurück, »allerdings sollten wir zur Strafe für diesen Überfall unser schönes Gebäck alleine aufessen, Monsieur de Sangoulème, da aber geteilte Freude doppelte Freude ist, und ich nebenbei recht egoistisch bin, – so mache ich mir ein Vergnügen daraus, Ihnen jetzt schon eine ganze Schüssel voll Herzen anzubieten!« –

Graziös hob sie die Waffeln und präsentierte sie ihm.

»Herzen?« wiederholte der junge Seemann mit schnellem Blick in ihr Auge, »da muß man allerdings zugreifen, – ich bitte um dieses goldblonde! Wie gut mir Ihre Kunstwerke munden, werde ich hoffentlich noch bei dem Kaffee beweisen können!« –

»Ja, Tante Ruth sagt, Du äßest wie ein Bär!« platzte Hänschen aufgeregt heraus, und fuhr gleichzeitig mit lautem Schreckensschrei herum, – Fräulein von Altingen hatte ihn unterbrechend in den Arm gekniffen. –

»Das ist noch keine Injurie!« lachte Norbert amüsiert, und hob gleichzeitig seine Waffel triumphierend in die Höh, in der Thür erschien nämlich Ännchen, und brachte gottlob eine andere Wendung in das Gespräch.

»Wo kann ich mir nun die Hände waschen!« rief Ruth, sich ratlos umsehend.

Wie der Blitz rutschte Hänschen vom Stuhl, verschwand gleichzeitig unter dem Küchentisch und schob alsdann ein mächtig zinnernes Waschbecken mit schwarzer Seife vor sich her. »Hier!« rief er eifrig, »hier ist unserer Trine ihr Waschnapf!« »Pfui Kuckuck!« entsetzte sich die Herrin von Altingen, unwillkürlich ihr Kleid zusammen nehmend.

»Aber Hans, bist Du denn nicht gescheut!« schalt Ännchen in Norberts Gelächter. »Das kann man doch Fräulein Ruth nicht anbieten!«

»Schilt meinen kleinen Mann nicht!« warf sich Ruth in's Mittel, »er hat es gut gemeint! Komm, Hänschen, wir gehen draußen an den Brunnen!«

Hänschen ergriff die dargereichte Hand, um die junge Dame im Sturmschritt über die Schwelle zu ziehen. »Komm mit, Onkel Norbert, Du kannst pumpen!« rief er zurück, und noch klang leises Grollen durch sein Stimmchen, welches der unhöflichen Lachlust des Herrn Seekadetten galt.

Im Hof stand das ehrbare Brunnenhaus mit seinem grünbemoosten Dächlein, auf welchem gurrend die Tauben einherstolzierten, oder eine freche Spatzenschar lauerte, um im geeigneten Moment raubritternd zwischen die pickende Hühnerschar herabzuhuschen. Ein weitzweigiger Kirschbaum hing tief darüber hin und hüllte den Brunnen augenblicklich in einen Hermelinmantel duftigster Blütenpracht.

Ruth streifte die Ärmel empor und löste die schwere Goldspange von dem Handgelenk, dann hielt sie die Hände harrend unter die rostige Röhre.

Norbert hob und senkte langsam den Schwengel; sein Blick haftete auf den rosigen Fingerchen, welche ringgeschmückt in der klaren Flut plätscherten, und so emsig jede Mehlspur von den gebogenen Nägeln tilgten. Ruth fühlte seinen Blick und spritzte übermütig die hellen Tropfen zu ihm auf.

»Der Herr Matrose ist nicht bei der Sache!« schalt sie, mit der Haltung des stirnrunzelnden Kapitäns, »jetzt haben Sie so viel Kraft aufgewendet, daß Großmütterchens nagelneue Schürze pudelnaß geworden ist!«

Norbert schüttelte mit komisch-ernster Miene die Tropfen aus seinem lockigen Haar. »Darum werde ich auch gleich vom Seekadetten zum Matrosen degradiert?« entgegnete er, »seltsam, Fräulein von Altingen, Sie bezeigten mir in einem Augenblick die größte Huld und die erdenklichste Ungnade, welche von Beiden darf ich als die Überwiegende halten?«

»Huld?« wiederholte Ruth erstaunt, »ich wüßte nicht, worin die bestanden haben sollte!«

»In Malmen halten die Jungfrauen das Wasser heilig!« nickte Sangoulème mit feinem Lächeln, »was sie lieb haben, weihen sie damit. Sie schöpfen aus dem Saluen und begießen ihre wunderkräftigen Blüten, sie stellen ihren Todten die Wasserschale über das Haupt und besprengen mit kühler Flut das Linnen ihres Brautgewandes, die Mädchen von Malmen huldigen einer seltsamen Sitte, sie stäuben Wassertropfen auf das Haupt des erwählten Jünglings und sagen ihm damit: ›Komm und wirb um mich!‹«

Erlkönigin erglühte bis unter die blonden Haarwellen, sie trocknete die Hände an ihrem feinen Spitzentuch und sah nicht auf zu ihm, aber um ihre Lippen zuckte es wie damals in dem Kleengrund, als sie voll eigensinnigen Hochmuts aufbrauste: »Ich bin die Herrin von Altingen!«

»Es ist gut, daß wir nicht an den Ufern des Saluen wohnen«, erwiderte sie nach einer kleinen Weile; »aber schade, daß unsere Jungfrauen nicht mehr so poetische Gemüter haben! Ah, die herrlichen Kirschblüten!« lenkte sie dann schnell ab, »gelt, Hänschen, das soll wieder einen Spaß geben, wenn wir erst Ernte halten!«

»Soll ich Ihnen ein Ästchen abbrechen, Fräulein von Altingen!« und der junge Seemann hob die Hand und bog die schneeigen Blüten herab, wie weiße Flocken wirbelten die Blättchen auf Ruths Scheitel hernieder.

»Gott behüte!« wehrte sie fast erschrocken ab, und fuhr lachend fort: »Wer kann denn wissen, was das vielleicht bei den Eskimos oder Zulus zu bedeuten hat? Sie haben mich jetzt mißtrauisch gemacht, mein gelehrter Herr Seekadett, und wenn ich auch leider eine ›wässerige‹ Unvorsichtigkeit beging, so möchte ich sie wenigstens nicht ›verblümt‹ erwidert haben!«

Sie hing die Schürze über den niedern Bretterzaun und huschte schnell wie der Gedanke durch die offene Küchenthür.

»Bitte, zum Kaffee, Norbert!« rief gleichzeitig Ännchens Stimme vom Fenster her, und der junge Seemann schritt lächelnd zum Haus. »Meine weißen Blüten trägt sie doch!« dachte er im Herzen.

*

Norbert stieg die breite Freitreppe des Schlosses empor. Die Hirsche lagen stumm und majestätisch zu beiden Seiten, das Doppelwappen prangte unverändert über der steingehauenen Thür, und hinter ihm rasselten die Ketten der Zugbrücke unter der Wucht des Suwaroff'schen Hufes.

Ein Fenster im ersten Stock des Turmes war weit geöffnet, die Spitzenvorhänge zitterten im Luftzug, mechanisch hob sich die stickende Hand der Erzieherin Marion und laut und silberhell drang Ännchens Stimme zu dem jungen Mann hernieder.

»Warum soll ich denn wandern
Mit Andern gleichen Schritt?
Ich pass nicht zu den Andern,
Und Liebchen geht nicht mit!«

So sang sie, und Norbert blieb unwillkürlich stehen und lauschte. Hassan sprang ihm entgegen und leckte die Hand des Freundes, liebkosend strich der Seemann über seinen gewaltigen Kopf, dann trat er langsam durch die Thür und stieg die Treppe empor. »Und Liebchen geht nicht mit!« wiederholte er leise, »warum soll ich allein gehen? Ich blieb am liebsten hier!« Er seufzte unwillkürlich auf und sein Blick flog über die stolzen Geweihe, welche das Treppenhaus schmückten.

Norbert öffnete die altertümliche Flügelthür von gebräuntem Eichenholz und trat leise ein. Ännchen wandte sich halb zurück und nickte ihm heiter zu, Mademoiselle Marion erhob sich, reichte ihm begrüßend die Hand und verschwand hinter der Portière, um das Vesper zu besorgen.

Norbert trat in die Nebenthür und schob die schweren Damastfalten zur Seite: »Wieder so fleißig, Fräulein Ruth?«

Die Herrin von Altingen hob das Köpfchen, sie lehnte sich aufatmend im Stuhl zurück und reichte ihm ebenfalls die kleine Hand freundlich entgegen. »Willkommen!« sagte sie mit vollem Blick zu ihm empor.

Norbert war vor die Staffelei getreten und betrachtete interessiert das Gemälde.

»Wissen Sie nicht, wen diese Dame vorstellt?« fragte er nachdenklich, »ein seltsames Gesicht; wenn man es lange ansieht, muß man von den dunklen Augen träumen! Sie scheint ein Fräulein zu sein, die weiße Hand trägt keinen Ring, und – wunderbare Idee von einer Frau, eine zerbrochene Klinge empor zu halten. Gewöhnlich findet man Blumen oder Vögel als Symbole in ihren Händen.«

Ruth legte den Pinsel zur Seite. »Ich fand das Bild unter alten, langvergessenen Akten und Büchern; der Rahmen war an einer Seite verkohlt, als hätte das Gemälde eine Feuersbrunst mit durchgemacht, von einem Namen fand ich keine Spur. Nur ein lateinischer Satz steht auf der Rückseite, ebenso eigentümlich, wie das Bild selber!« – Sie hob es von der Staffelei und wandte es dem jungen Manne zu.

»› Sic eunt fata hominum‹ – ›So gehen die Schicksale der Menschen‹« las Norbert, die Worte gleichzeitig übersetzend, »das muß allerdings in Beziehung zu der zerbrochenen Waffe stehn. Welch eine geheimnisvolle Geschichte von Liebe und blutigen Streits muß sich an dieses bleiche Antlitz knüpfen!«

»Ich habe lange ein würdiges Pendant für meinen lieben Ritter Brechthald gesucht«, erwiderte sie lebhaft, »und nun scheint mir keines passender, als dieses Edelfräulein, welches ebenso absonderlich dreinschaut, wie der Grübler mit dem Totenkopf. Mein Zimmer wird ein wahrhaftes Schmuckkästlein, wenn auch Mama seine Schwelle noch geflissentlicher meiden wird als bisher. Wenn Sie einmal wiederkommen, habe ich vielleicht noch ein paar andere Heiligtümer aufgestöbert; das indianische Muschelhorn und das Panterfell, welches Sie mir geschenkt haben, vervollkommnen ja die Sammlung in appartester Weise!«

»Wenn ich wiederkomme!« nickte Norbert vor sich hin, »vor der Hand denke ich nur an den Abschied. Ich wünschte, ich hätte ihn erst überstanden und schaukelte auf meinem endlosen Meer – wie oft werde ich an Altingen zurückdenken!«

»O Du Entrissene, mir und meinem Herzen,
Sei mir gegrüßt, sei mir geküßt!«

sang Ännchen im Nebenzimmer mit herzzerreißender Innigkeit.

»Müssen Sie denn so bald schon zum Schiff zurück?« fragte Ruth bedauernd, sie packte ihre Malsachen zusammen und trat an das offene Fenster. »Es wird uns nun recht einsam hier in Altingen vorkommen, wenn Sie abgereist sind, ich glaube, Ännchen und ich sputen uns dann auch, daß wir schon im Herbst nach der Residenz kommen!«

»Sie freuen sich darauf?«

»O ja, ich möchte gern einen Ball mitmachen, ich möchte viele blitzende Uniformen sehen, ich möchte die Fürstlichkeiten kennen lernen, vor Allem Prinzessin Josephine, bei welcher Mama Hofdame war. Ich denke es mir herrlich, einmal in diesen Glanz von tausend Gasflammen zu schauen, selber zu strahlen in Atlas und Spitzen und umgeben zu sein von einer Flut Menschen, welche aus der Urne des Schicksals die höchsten Lose gezogen haben!«

Sie sagte das leichthin, aber vor Norberts Seele tauchte das verwöhnte, hochmütige Kind aus dem Kleengrund auf, er sah ihre stolzen Augen befriedigt den Glanz des Hofballes schauen, und die Lippen dem Bilde der Zukunft entgegenlächeln, welches sich voll üppiger Farbenpracht unter dem Nimbus der vielzackigen Krone vor ihrem Geiste entrollte; und wiederum sah er diese begehrenden Händchen das Waffeleisen in Försters Küche drehen, und sich in anspruchslosester Weise unter dem Röhrenbrunnen die Spuren der Arbeit abspülen! Ruth war ein großer Gegensatz: Das natürliche übermütige Kind, und die eigenwillige, dominierende Herrin von Altingen, die harmlose Freundin der Försterstochter und die stolze, abweisende Aristokratin im schimmernden Ballsaal! »Wie wirst Du sie wiedersehen!« dachte der junge Seemann, mit pochender Glut in den Schläfen, und er neigte sich aus dem Fenster und zerpflückte zerstreut die schaukelnden Rosenranken. Er liebte sie ja, die seltsame Erlkönigin und so treu wie er kein Zweiter mehr!

»Zum Trotz der Ferne, die sich feindlich trennend
Hat zwischen Dich und mich gedrängt.
Dem Neid der Schicksalsmächte zum Verdrusse
Sei mir gegrüßt, sei mir geküßt.«

sang Ännchen im Turmzimmer.

»Erlkönigin hat mir ein Leids gethan!«

Sie schritten schweigend durch den mondhellen Schloßgarten. Hassan und Annchen stürmten haschend hinter dem kleinen Hans her: »Warte nur, Du Wildfang!« klang es aus dem blühenden Gebüsch, dann waren sie hinter der Biegung des Weges verschwunden.

Norbert blieb stehen und blickte in Ruths Augen. »Zum letzten Mal heute!« sagte er, und sein jugendschönes Haupt sank tiefer auf die Brust.

»Wie sind Sie zu beneiden!« antwortete die Herrin von Altingen lebhaft, »Sie werden nun wieder Reisen machen, fremde Länder und Leute sehen, Stürme toben hören und die Wunder der Tropen schauen! O könnte ich mit!«

»Ja, könnten Sie mit gehen!« rief er fast ungestüm, »dann möchte ich reisen bis ans Ende der Welt! O Ruth, weißt Du denn nicht, wie ich Dich liebe, ahnst Du nicht, Erlkönigin, wie Du mir Herz und Seele gestohlen hast, wie ich nur noch einen Gedanken habe, nur noch eine Seligkeit kenne, die Deiner Nähe, Deines Besitzes?« Und er lag zu ihren Füßen und preßte ihre Hand an seine zuckenden Lippen. »Erlkönigin habe Mitleid, verstoß mich nicht, mein Herzblut geb ich für ein freundlich Wort von Dir!«

Ruth war zurückgewichen, sie stützte die Hand auf das weiße Postament in der Taxuswand und schaute starren Blickes in das erregte Antlitz, welches mondbeleuchtet, ohne Falsch, lauter und treu wie das Schild der Wahrheit zu ihr emporlauschte. Aber die Herrin von Altingen blickte weiter hinab auf die schmucklose Matrosenjacke, unter welcher das dargebotene Herz des Jünglings schlug, sie dachte an die Großmutter Oberförsterin, an die ›Gouvernante‹, welche sie einst im Kleengrund so verächtlich belächelt hatte.

»Stehen Sie auf, Norbert!« klang es von ihren Lippen, »ich weiß nicht, was ich von diesem Benehmen halten soll! Sie können doch nicht im Ernst verlangen, daß ich mich mit sechzehn Jahren verloben soll, noch dazu mit einem Manne, dessen Zukunft doch sehr zweifelhaft ist!« Sie wandte sich heftig zurück und zog die hellen Cachemirfalten so ostensibel an sich, als scheue sie jede fernere Berührung mit ihm.

Norbert erhob sich, kein Blutstropfen färbte sein versteinertes Gesicht. »Verzeihen Sie, wenn ich Sie beleidigt habe«, sagte er tonlos, ohne ihr mit einem Schritt zu folgen.

In seiner Stimme lag ein Ausdruck, welcher Ruths Herz jäh erbeben ließ; sie wandte sich zurück und bot ihm schnell die Hand entgegen.

»Ich habe Sie verletzt, verletzen müssen!« flüsterte sie erregt, »warum beschworen Sie aber auch eine Scene herauf, welche sich zwischen uns nicht abspielen durfte? Gehen Sie nicht im Groll von mir, bleiben Sie nach wie vor mein Freund und tragen Sie es Altingen nicht nach, wenn es noch am letzten Abend eine unangenehme Erinnerung an sich knüpfte. Ich kann nichts dazu, gewiß nicht!« Die letzten Worte sprach wieder das eigensinnige Kind aus dem Kleengrund.

Norbert sah nicht ihre dargereichte Hand, hoch und stolz stand er vor ihr. »Der Mann ohne Zukunft wird Ihre Wege nicht wieder kreuzen, Baronesse, fürchten Sie nicht, der ›Matrosenjacke‹ dereinst errötend ausweichen zu müssen, Ihre Frau Mutter soll in Altingen vor ihr sicher sein! Im Groll scheide ich nicht, nur in der quälenden Gewißheit, daß ich all Ihre Güte in schlechter Weise gelohnt habe! Behüte Sie Gott, Fräulein Ruth, leben Sie wohl!«

Die Herrin von Altingen stand unbeweglich an dem weißen Postamente, ihre Augen folgten seiner stattlichen Gestalt, wie sie erhobenen Hauptes durch das Mondlicht schritt, um drüben hinter dem duftenden Fliedergebüsch zu verschwinden. Sie legte die kleine Hand auf das Herz und sah ihm nach, es war ihr, als müsse sie ihm nacheilen und ihn mit reuigem Wort zurückhalten, aber nein! Sie schüttelte mit finsterem Blick das Haar aus der Stirn, sie warf trotzig die Lippen auf und stützte die Hand fester auf den kalten Stein. »Ich bin die Herrin von Altingen!« stand mit stolzen Lettern auf dem bleichen Angesicht.

Der junge Seemann aber stürmte durch den nächtlichen Wald und wandte sich mit keinem Blick zurück. Die schwarzen Schatten warfen sich über den Weg, wetterleuchtend flackerte es über den Himmel, und Totenstille war's ringsum.

Da blieb er stehen und preßte die Hände gegen die Brust. Ein Sturm von Gefühlen tobte durch sein Hirn, ungeweinte Thränen drohten ihn mit bitteren Qualen zu ersticken und sein junges Herz blutete zum ersten Mal aus jener tiefen Wunde, welche mitleidslos allein die Liebe schlägt. Dort hinter den Eichen lag Altingen! Dort atmete sie, die seine treue Liebe voll schneidenden Hochmuts zurückgewiesen hatte, die von fernen glänzenden Bildern träumte und wegen der blitzenden Uniform des Höflings die schlichte Jacke des Seemanns mitleidig belächelte, das blaue Tuch ohne Stern und Band, hinter welchem aber ein Herz schlug, wie es in gleich goldener Lauterkeit kein Zweiter ihr entgegenbrachte.

»Der Mann ohne Zukunft wird von sich hören lassen, Erlkönigin!« rief er mit zuckender Lippe und das Echo hob sein schlaftrunken Haupt und trug den Klang weiter durch die ernsten Eichenkronen.

In dürren Blättern säuselt der Wind!

Die Bäume standen fast alle kahl, auf der Promenade der Residenz rauschte das farbige Laub und der Novemberwind kam mit seinem wilden Atem, wirbelte es hoch auf, warf es hin und her in übermütigem Spiel, bis seine bereiften Arme müde wurden und er weiterflog zu dem schauernden Nadelwald, in dessen klüftigem Thalkessel er sein zerzaustes Lager aufgeschlagen hatte. Die dürren Blätter aber lagen zusammengefegt an den Bosquets und Ecksteinen und seufzten leise auf, wenn flüchtige Füßchen über sie hineilten oder mutwillige Kinderschar sie lärmend auseinanderstäubte. Bald aber hatten sie Ruhe. Tiefe Schatten legten sich vermummend über die Erde, einsam und menschenleer ward das vornehme Stadtviertel an dem Schloßpark, und hie und da blitzte eine Laterne auf, welche ihr unsicheres Licht über die aristokratisch bleichen Fronten der Villen warf, kühl und reserviert, von goldenem Spitzengitter umrahmt und selten gestört vom hallenden Fußtritt, oder dem gedämpften Glockenton, welcher nervös und kurzatmig durch das teppichbelegte Vestibül zittert.

Wie ein schlafendes, unsagbar stolzes Königskind lag die Villa Olivia inmitten der umringenden Schwestern, eingeschmiegt in die schlanken Wipfel der Parkanlagen, geschmückt mit köstlichem Stuck, in dessen künstlerische Ranken und Arabesken die Marmorreliefs gleich den Edelsteinen in einer Fürstenkrone eingefügt waren, und gestützt von weißschimmernden Säulen, welche die beiden Endbalkons der Vorderfront verbanden.


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