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Der Burg Sachsenhausen Ende.

a. D. 1150.

Auf dem Schäftlarner Hohlweg lag tiefe Einsamkeit,[*] in herbstlich kühlem Luftzug sank dann und wann ein rothes oder gelbes Blatt mit leisem Rascheln zu Boden; ein Eichkätzlein sprang von Ast zu Ast oder eines Hähers Schrei klang eintönig zwischen den dichten Waldbäumen, dann war wieder lautlose Stille allum, als hätte menschlicher Fuß die schweigende Landschaft nie betreten. Und doch saß von breitem Buchenstamme gedeckt ein Mann, nahe dem Pfad, wo der Berg sich in jähem Absturz zur Tiefe senkt. Lange schon mochte er so geharrt haben, ein, zwei Stunden und länger – wartete er auf Edelwild? Die Armbrust lag neben ihm im Gras, auch das Jagdmesser hatte er abgeschnallt. Wie der letzte Sonnenstrahl röthlich schimmernd durch die Baumkronen fluthete, erschien des Mannes Antlitz unheimlich, wildbegehrlich. Daß er ein Edler, war am reichen Ritterkleide zu erspähen; im unruhig flirrenden Auge war's nicht zu lesen.

Mißmuthig sprang er endlich auf und griff nach seinem Jagdgeräth; einen Fluch murmelte er zwischen seinen Lippen, dann stieg er den Hohlweg bergan. Droben, wo der Berg sich theilte, blieb er eine Weile stehen, rechts ragten aus nicht allzu großer Entfernung Thurm und Mauern aus dem Walde hervor, links lag weit über flachem Feld, auf niedrigem Höhenzug ein kleiner Ort mit unansehnlichen Hütten und hochragender Kirche: Hohenschäftlarn. Um die Linde an der Flurgemarkung sprang die Jugend des Dorfes in fröhlichem Herbstreigen; lautes Jauchzen des Vortänzers klang bis zu den Ohren des mißgünstig Lauschenden.

»Sie wird mit den Burschen und Mägdlein dort um die Wette springen«, murmelte er vor sich hin; »darum hab ich sie drunten vergebens erharrt.« Dann schlug er die Richtung nach dem Tanzplatz ein.

Es war ein seltsames Bild des Gegensatzes: hier der vornehme Mann mit dem leidenschaftlichen Angesicht, d'rüber mancher Sturm hingefahren sein mochte, der ihm vom Blüthenkelch der Jugend Blatt um Blatt entführt hatte – dort die jubelnden Paare, frohgemuth, dem alten lustigen Brauch opfernd, unschuldig, fröhlich mit Sprung und Sang vom scheidenden Sommer Abschied nehmend. Es war ein seltsam Bild des Gegensatzes, und wer ihm weiter nachsinnen wollte, der mochte auch unschwer ein Gleichniß dafür finden. So beschleicht der Wolf die Schafhürde, wenn er sich ein Lamm d'raus zu rauben trachtet.

Noch mochte der Vortänzer den Ritter nicht erschaut haben, denn wieder begann er eine neue Weise. In zierlichen Schritten zog er wunderlich sich verschlingende Kreise um den Baum und die andern folgten ihm theils paarweise, theils Hand in Hand zu lieblicher Kette verflochten:

»Hopp den Sprung!
Nun genung –
Schwingt im Tanz
Euch im Kranz!
Birkenreis und Hopfenblatt
Schlingt sich um die seid'ne Wâtt. Wâtt, zuweilen auch Wât – Kleidung. Siehe H. Holland, Geschichte der bayerischen Literatur, Bd. I, S. 74.

Arger Herbst,
Warum färbst
Laub und Baum,
Wiesensaum?
Rings die Wipfel werden kahl,
Sturm und Regen jagt durch's Thal.

Sommerzucht
Nimmt die Flucht;
Nimmt die Lust
Aus der Brust;
Würfelspiel und gold'ner Wein
Muß uns Winterlabsal sein!

sang er und that zum Schluß einen Satz in die Luft, daß er sich hoch über der andern Köpfe emporschwang und niederspringend welke Laubstreu auseinandstörte, als ob der Wind drein gefahren wäre. Lachend schüttelte er sich die gelben Blätter aus dem faltigen Wamse, aber schier erschrocken hielt er inne, wie er des Mannes im Ritterkleide gewahr wurde. Scheu stießen sich die Mägdlein mit dem Ellenbogen: »Der Herr von Sachsenhausen!« murmelten sie, die Burschen aber machten eine unterwürfige Reverenz, wie der Ritter näher trat. Der achtete nicht auf solche Ehrenbezeugung; seine Blicke hingen an Bertha, der Tanzkönigin.

Lieblich war ihr Gesicht, wie Milch und Blut, ihre Augen so frisch und dunkel wie reife Kirschen, schwer und glänzend ihre braunen Flechten, spröde Herbheit nur lag um ihre Lippen. Im bunten Sonntagsstaat nahm sie sich unter ihren Gespielinnen aus, wie die Fürstin in der Schaar ihrer Mägde.

Als sie des Ritters ansichtig wurde, flog ein Schatten über ihre Stirn. Schon etliche Male hatte er sich ihr zu nähern versucht, im Hause ihrer Eltern, bei der Feldarbeit, selbst beim Kirchgang, aber niemals noch hatte er sie allein getroffen. Und Bertha war dessen herzlich froh gewesen, denn eine innere Stimme warnte sie vor den unheimlichen Blicken des jungen Edlen, die so glühend funkelten, wie die Lichter eines Raubthieres. Dennoch blieb sie ohne Scheu auf ihrem Platze stehen, wie Jener sich näherte.

»Tanzet weiter!« gebot der Ritter den Reihenspringenden, und als die Fiedler eine neue Melodie intonirten, begann er den Klängen Worte beizufügen, die erst leise, dann immer lauter und lockender an Bertha's Ohr klangen:

»Mägdlein hold, Mägdlein fein,
Willst nicht mit mir geh'n?
Sollst mein' Herzensliebste sein,
Sollst die Hofzucht seh'n.
Will den Preis aus Deiner Hand
Nehmen beim Turnier,
Schenk' Dir güldenes Gewand –
Komm', o komm' mit mir!«

Aber Bertha schüttelte lächelnd das Haupt und entgegnete in gleichem Rhythmus:

»Ritter schlau, Ritter fein,
Laßt mich friedlich geh'n.
Will nicht Eure Liebste sein,
Will nicht Hofbrauch seh'n.
Einer, dem ich Treue schwor
Einst im jungen Tann,
Den ich mir zum Lieb erkor:
Ist ein freier Mann!«

Des freuten sich die Bauersleute, und Guntram, jener Bursche, an den Bertha ihr Herz verschenkt hatte, sang muthwillig einen Kehrreim dazu:

»Lobt und preist die stolze Magd,
Die den Freien liebt,
Die in Minne unverzagt
Treu' um Treue gibt.«

Da funkelte des Sachsenhäusers Auge in hellem Zorn, dennoch gab er seine Sache nicht verloren, und abermals begann er seinen Lockruf:

»Mägdlein fein, Mägdlein hold,
Wenn Du gehst mit mir,
Schenk' ich Dir viel eitel Gold,
Sammt und seid'ne Zier.
Reich an Silber, edlem Stein
Ist mein Schatz zu schau'n,
Und Du sollst die Schönste sein
Von den Ritterfrau'n!«

Aber auch Bertha war wieder schnell zu abweisender Antwort bereit:

»Ritter fein, Ritter schlau,
Dank' Euch für die Zier;
Will nicht werden Ritterfrau,
Will nicht geh'n von hier.
Eher bricht mein Herz entzwei,
Eh' ein Marmelstein –
Eh' ich breche meine Treu
Meinem Liebsten fein!«

Und diesmal sangen Alle die Schlußstrophe:

»Lobt und preist die stolze Magd,
Die den Freien liebt,
Die in Minne unverzagt
Treu um Treue gibt«

und lachend stampften sie dazu die Dörpertanzweise, Tanzweisen – Reihen oder Reigen wurden vorzugsweise die Springtänze ( espringales), Tänze hingegen die umgehenden Tänze genannt. Bei beiden Arten aber war die Musik unerläßlich und zwar sowohl Instrumentalmusik als Gesang. Der Vortänzer trug gewöhnlich ein Lied vor, in dessen Refrain die Menge einstimmte. Inhaltlich waren die Tanzlieder sehr verschieden: theils Liebeslieder, theils bezugnehmend auf die Jahreszeit, oftmals auch erzählenden Inhalts und da man bei solcher Gelegenheit auch noch den Ball warf, so nannte man diese Belustigung später Ball. Auch das Wort Ballade mag sich daraus gebildet haben. Weinhold S. 372-378, Freytag, B. d. d. V., Bd. 2, Helbig, das Frauenleben im Mittelalter, S. 7. Guntram aber ergriff Bertha's Hand und zog sie in den wogenden Reihen. Da sah sich der Herr von Sachsenhausen genöthigt, den Rückzug anzutreten. Wie er dem lustigen Schwarm verächtlich den Rücken wandte, flog ein häßliches Lachen um seine schmalen Lippen: Das kündete Schlimmes.

Erst spät gingen die Dorfleute an jenem lauen Herbstabend ihren Hütten zu. Des Mondes gelbes Licht leuchtete ihnen zur Heimkehr.

Am nächsten Morgen, als der Hähne lauter Weckruf den anbrechenden Tag verkündete, wallte eisiger Nebel über Flur und Wald, und als endlich die Sonne ihn siegreich durchbrach, glänzte Alles weithin im Gewand des ersten Schnee's. In der Nacht hatte die Temperatur umgeschlagen mit jener seltsamen Uebergangslosigkeit, wie es nur auf den Höhenzügen jener Gegend vorkommt. Es war in einer Nacht Winter worden. So streift herber Schicksalsschlag Blüthenduft und Jugendfrohmuth aus dem Menschenleben und unter starrender Eisdecke erstickt die beste Regung des Gemüthes.

Am Nachmittag brachte Bertha ihrem Vater den Vespertrunk in den Wald; schon längere Zeit schaffte er dort mit den Knechten, den winterlichen Holzbedarf zu fällen und heimzuschaffen. Schön gerodet lagen die kräftigen Stämme auf dem steil gegen die Isar zu abfallenden Boden, und die Männer freuten sich ihrer Arbeit. Nur Bertha fühlte ein Mitleiden mit den gesunden Bäumen, die trotz frischprangender Kraft und neukeimenden Safttriebes ihr starkes Leben lassen mußten um der Menschen Bequemlichkeit willen; darüber ward ihr schier traurig zu Sinn. Als sie unterhalb der Burg Sachsenhausen den nächsten Weg heimwärts einschlug, mußte sie immerfort der Worte des Psalms gedenken: »Der Menschen Tage schwinden wie Rauch, und wie dürres Reis versieget ihre Kraft.« Einst hatte ein fremder Prediger in der Hohenschäftlarner Kirche den Psalmvers zum Gegenstand seiner Rede gemacht und Bertha war andächtig seinen Worten gefolgt, nun hatte das Loos der Tannen die Erinnerung d'ran auf's Neue in ihr geweckt.

Auf jenem Pfad steht ein alter Brunnen, tief und wasserreich, in seinem Grund sprudelt eine Quelle, die in wasserarmen Jahrgängen auch das nächstliegende Dorf Hohenschäftlarn tränkt. Als Bertha dort vorübergehen wollte, sprang ein Mann von der niedrigen Mauerbrüstung empor und vertrat ihr den Weg. Es war der Herr von Sachsenhausen. Wie ein lodernder Blitz fuhr sein Blick in der Jungfrau Sinnen. Erschreckt wollte sie, den üblichen Gruß vergessend, an ihm vorbeieilen. Der aber mochte sich die längst erharrte Gelegenheit nicht entgehen lassen.

»Wohin, Dirnlein?« rief er, ihren Arm ergreifend.

Fruchtlos strebte sie sich loszumachen. »Laßt mich, Herr!« flehte sie bebend. Dem Edelmann schuf es Vergnügen, das schöne Mägdlein, das ihm unebenbürtig an edlem Blute war, erst zu ängstigen, bevor er ihr seine Uebergewalt zeigte; so spielt die Katze mit der Maus, ehe sie ihr den Todesbiß beibringt. Er lachte: »So leichten Kaufes geb' ich das scheue Wild nicht hin, das sich endlich in der Schlinge gefangen hat, denn der Grund, darauf Du stehst, ist mein, wie die Quelle da unten«, er deutete in den Brunnenschacht, »die meinem Hof das Wasser spendet.« Dabei legte er seinen Arm um ihre Hüfte und wollte sie näher ziehen, aber Bertha stieß ihn mit der geballten Faust vor die Brust: »Ein Schändlicher seid Ihr, nicht würdig der Ritterwaffen, wenn Ihr eines wehrlosen Weibes Ehre nicht zu achten vermöget!«

Noch ergötzte sich der Sachsenhäuser an ihrem Grimm. Wie aber Bertha's Zorn und Verzweiflung ob der ihr drohenden Schmach auf's höchste stieg, kam ihm etwas, nicht wie Mitleid, dazu war er allzu sehr verhärtet im innersten Gemüth, doch wie Furcht vor dem haßerfüllten Gesichtsausdruck seiner Gefangenen. »Ich will Dir Goldspangen und Baugen Baugen – statt Armspangen, ein vielfach im Mittelalter gebrauchtes Wort., Ketten und Ringe schenken, wenn Du mir die rothen Lippen zum Kusse bieten magst!« sagte er schnell, wie um sich selber zu beschwichtigen. Da kam eine gewaltige Kraft über das schwache Mägdlein; mit einem Ruck hatte sie sich aus den Armen des Peinigers befreit und floh mit der Schnelligkeit der verfolgten Gemse den schmalen Pfad abwärts, dem nordwärts gelegenen Holzplatze ihres Vaters zu. Aber auch der Ritter war ihr in wilden Sprüngen gefolgt, schon trennten die Beiden nur mehr wenige Schritte von einander, da sah Bertha dicht vor ihren Füßen die Bergwand steil hinabgehen; sie war von der rechten Richtung abgekommen, dicht hinter sich wußte sie den Verfolger – sie fühlte, daß es für sie nur eine Rettung geben könne aus Noth und Leid und drohender Schmach – mit starkem Schwung sprang sie hinab in die Tiefe. Ein dumpfer Fall tönte von unten auf, dann war's todtenstill. Dem Ritter von Sachsenhausen sträubte sich das Haar. Mit düsterem Blick und zuckender Lippe kehrte er zu seinem Schlosse zurück.

* * *

Nach etlichen Monaten saß ein bleich und abgezehrt Weib unter der Hohenschäftlarner Dorflinde. An den Zweigen des Baumes sprangen die ersten Blattknospen auf und warme sonnige Lenzluft lag über Thal und Höhenzug, aber dem hohläugigen Weib schien der Lenz keine Wohlthat mehr. Die Hand ballte sie in ohnmächtiger Wuth wider die Burg Sachsenhausen, deren Zinnen über dem Walde aufragten, und fluchend schleppte sie sich hinkend dem Dorfe zu. Es war Bertha.

Am Abend jenes unseligen Herbsttages hatte ihr Vater das Mägdlein mit gebrochenen Gliedern am Fuß der Waldhöhe gefunden und jammernd nach Haus geschafft. Niemand ahnte die schlimme Ursache des Unheils. Wochenlang schwebte sie in Todesgefahr, endlich entschied sich's zum Bessern; nur ein krummer Fuß, der sie am schnellen Gehen hinderte, war ihr geblieben. Wie sie nachher das erstemal mit Guntram, ihrem Verlobten, wieder gesprochen, hatte sie ihm Alles erzählt. Da stieg in des Jünglings ehrlicher Brust der Durst nach Vergeltung auf. »Rächen will ich Dich«, hatte er ihr gelobt, »eh' die Sonne niedergeht, oder aufhören, ihr Licht zu schauen.« Aber am anderen Tag brachten Holzknechte den Guntram mit durchstoßener Brust aus dem Walde heim. Neben dem Brunnen unterhalb der Sachsenhäuser Burg hatten sie ihn gefunden; in seinem Herzen stack ein Dolch, den Mancher schon am Wehrgehänk des Sachsenhäusers erblickt hatte.

Seitdem saß Bertha alle Tage unter der Linde und murmelte Fluchworte über den Edlen von Sachsenhausen und rief zum Himmel um Rache und Vergeltung.

* * *

Fünfzig Jahre waren seit jenen Begebenheiten vergangen. Der alte Herr von Sachsenhausen war längst Todes verblichen, auch seinen Erben, den jüngeren Bruder, hatten sie neben ihn in die Ahnengruft gesenkt. Nun saß dessen Sohn, Konrad, ein zwanzigjähriger Jüngling, auf der Burg. Was die allwaltende Natur bei dem Ohm einst an frevlem Uebermuthe und schrankenloser Gewaltthätigkeit gesündigt, das schien sie am Neffen durch Verleihung edlen Sinn's wieder gut machen zu wollen. Sein von goldblonden Haaren umwalltes Antlitz war ein treuer Spiegel ehrlicher Milde und Klarheit; stark war sein junger Arm und er war sich der Stärke bewußt, doch hatte er sich gelobt, seine Kraft nur zu gebrauchen für Recht und Ehre, – das schuf ihm den Frohmuth, der aus seinen dunkelblauen Augen blitzte. Seit er das große Erbe der Väter übernommen, waren erst wenige Monde verflossen; dennoch ward ihm an stillen Abenden die Einsamkeit drückend fühlbar. Zwar war ihm die Bank nicht leer von ritterlichen Dienstmannen und befreundeten Edlen, die ihm mit feurigem Trunk oder lustigem Brettspiel die Zeit vertreiben halfen, doch erwuchs ihm aus solchem Verkehr keine wahre Befriedigung. Darum beschloß er, sich die Braut zu suchen an den Höfen seiner ebenbürtigen Genossen.

Den ganzen Sommer ritt er von Burg zu Burg, von Turnier zu Turnier, ohne zu finden, was er suchte. Wohl hatte manch rothwangig Fräulein seinen Blicken auf eine kurze Zeit wohlgefallen, dennoch fand er bei näherer Erwägung an Jeder so viele Mängel, daß ihm keine zur Lebensgenossin tauglich schien. Zuletzt noch kehrte er bei seinem nächsten Nachbar, dem alten Herrn auf Bayerbrunn, zu. Dort sollte ihm werden, was er in der Fremde vergebens erstrebt hatte.

Wie er im Schloß einritt und sich im Hof vom Roß schwang, sah er im darangrenzenden Zwingergärtlein in grünender Laube ein Mägdlein sitzen holdselig und jugendfrisch, und so lieblich war das Bild, daß er die Augen nimmer davon wenden mochte. Aber auch sie hatte ihn wahrgenommen, und der schmucke, junge Rittersmann mochte ihr gefallen, denn sie brach eine späte Rosenblüthe vom schwanken Stengel und warf sie dem Jüngling zu.

Seitdem trug Konrad von Sachsenhausen Amelei von Bayerbrunn in seinem Herzen eingeschrieben. Wenn sie ihm den Trunk kredenzte, däuchte ihm der Wein feuriger; wenn aus ihrer Hand ein Turnierpreis zu gewinnen war, schien ihm Speerbrechen und Ringelrennen ein Kinderspiel. Schönere und stolzere Frauen hatte er gesehen, – keine war ihm also anmuthig erschienen. Viel Sterne stehen am Himmel, Kometen lassen sich zuweilen blicken, und Meteore blitzen auf in der Dunkelheit der Nacht, aber ein Mond nur leuchtet, Alles mit seinem Schein mild erhellend und verklärend.

Am liebsten hätte er Amelei schon gleich als Gattin in seine Heimath geführt; der Geschmack seiner Zeit aber gewährte ihm nicht allsogleich, um die Geliebte zu freien; vielmehr begann er sich in mühseligem Minnedienst zu üben, um auf solche Weise die Gegenliebe der Umworbenen zu erringen; und hatte es auch keiner allzu großen Arbeit bedurft, um ihm Amelei's Herz völlig zuzuwenden, so freute es sie doch, daß er sich so bereitwillig ihrem Dienste hingab.

Einst, der Winter hatte bereits Wald und Feld mit weißer Schneedecke überzogen und Weihnachten war nicht mehr weit, schritt Ritter Konrad in den Wald, für seine Herrin Schneerosen zu suchen.

Nahe beim Schäftlarner Kloster wußte er ein versteckt Oertlein, wo sie alljährlich um solche Zeit ihre schneeigen Kelche unter der Eisdecke hebend, dem Lichte entgegen strebten. Fröhlich summte er ein Lied vor sich hin, denn ihm war wohlig zu Muth. Jugend und starke Minne ließen ihm Alles sonnig erscheinen, auch das, was der Schimmer des Taggestirns just nicht erhellte. So schritt er dahin, emsig nach den seltenen Blüthen ausspähend. Endlich hatte er etliche erschaut, und weil ihre zarten Stengel tief im überfrornen Boden stacken, nahm er seinen Dolch, die dichte Eismasse aufzuschlagen, um die Blumen minder zu schädigen.

Schier war er mit dem Geschäft zu Ende, da klang eine fallende Scholle neben ihm, und wie er das Haupt wandte, stand ein kleines, altes Weiblein hinter ihm; die sah ihm mit bitterbösem Ausdruck in's Gesicht und murmelte unverständliche Worte vor sich hin, die eher einer Zauberformel glichen, denn menschlicher Rede. Eine dunkle Erinnerung ging durch Konrad's Sinn; öfter schon hatte er die Frau gesehen, aber einen minder hexenhaften Eindruck hatte sie ihm bislang gemacht.

»Was wollt Ihr?« frug er gutherzig. Die Alte grinste höhnisch: »Kennt Ihr die alte Berchtel nicht? Die alte Berchtel, die dereinst jung und schön und lustig gewesen und einen Liebsten gehabt, dem Euer Dolch in's Herz gefahren?« Verwundert sah Konrad auf. War ihr der Sinn verwirrt?

»Mein Dolch?« sprach er, seinen Blick von der Sprecherin auf die alte Waffe in seiner Hand gleiten lassend.

Die Alte hüstelte kichernd: »Ja, ja, Herr, schaut mich nur an. Ihr seid ein Anderer geworden, ich aber bin dieselbe geblieben und Euer Messer auch. In den Thürpfosten hab' ich's Euch einst gestoßen, wie ich's dem Guntram aus den Rippen zog; ha, ha! und einen Fluch hab' ich d'ran geknüpft, groß und gewichtig; in Eurem eigenen Herzen wird es einst seine Ruhestatt finden.«

Dem Jüngling begann es zu grauen vor der unheimlichen Gesellin. »Was hab' ich Dir gethan?« frug er milde, sie aber schüttelte die weißen Haare, daß sie ihr wirr um den Kopf flogen. »Was Ihr mir gethan?« wiederholte sie, abermals lachend, »einer Schneerose habt Ihr den Stengel gebrochen, seitdem kann ich nimmer gerad gehen. Aber es schadet nicht, schadet gar nicht; werd' noch lang auf einem Fuße springen, wenn Euch längst kein Finger mehr weh thut.« Immer vor sich hinmurmelnd, hinkte sie eilig von dannen.

Konrad blieb sinnend zurück. Ein schwermüthig Empfinden ging durch seine Gedanken; war auch der Geist der Alten getrübt, wie er sicher annahm, so mußte doch ihre Jugend durch ein gewaltig Leid zerstört worden sein. Warmes Mitleid mit der Unglücklichen erfüllte ihn. »Ich will ihr eine neue Kappe Ein mantelartiges Ueberkleid mit oder ohne Kapuze, dem Pluviale der Geistlichkeit zu vergleichen, wurde hauptsächlich von Frauen getragen. schicken,« beschloß er zuletzt, »vielleicht macht ihr's Freude.« Dann schritt auch er heimwärts.

Aber in den leeren Hallen seines Schlosses ward ihm heut' seltsam zu Muth; so einsam und verlassen hatte er sich noch niemals gefühlt; so warf er sich ohne langes Besinnen auf's Roß und jagte trotz einbrechender Dunkelheit hinüber nach Bayerbrunn. Sorgsam trug er den Schneerosenstrauß unterm Mantel geborgen.

Beim flackernden Kienspahnlicht saß Amelei beim alten Vater und horchte den Mären, die er ihr erzählte. Es waren große Thaten vergangener Geschlechter, die er in schlichten Worten vor ihr entrollte; sie aber lauschte ihnen glänzenden Auges. Bei jedem Mann, dessen Edelmuth ihr der Vater pries, dachte sie an Konrad, an seine jugendstarke Gestalt und seinen ritterlichen Muth, und sie lächelte stillglückselig vor sich hin.

Mitten in ihr minniges Sinnen klang der stählerne Klopfer am Thor. »Ein später Gast begehrt Einlaß!« rief der Vater, dann schritt er dem Kommenden würdevoll entgegen. Amelei aber erschrack fast, wie der, an den sie eben gedacht, in den Saal trat. Helle Röthe lag auf Konrad's Wangen, als er ihr zum Gruße die Hand bot; war's vom scharfen Ritt in abendlicher Winterluft? war's ein Abglanz von der Freude des Wiedersehens? Jungfräulein Amelei mochte sie für Letzteres halten, denn sie ließ ihre Hand länger in der seinen ruhen und herzlicher klang der Willkomm als sonst. Da griff Konrad in die Brusttasche seines Wamses und holte die schimmernden Schneerosen daraus hervor. »Einen Gruß bring ich Euch aus dem Sachsenhäuser Forst, die kleinen Blüthen flehen um freundliche Aufnahme.« Ein Ausruf lauten Jubels brach von ihren Lippen: »Wie kann ich Euch danken für das liebste Geschenk, das Ihr mir bieten konntet?« frug sie anmuthig. Er aber neigte sich herzlich zu ihr: »Einen Dank wüßte ich, und ich möcht' ihn kühnlich heischen, wenn Ihr allein ihn zu gewähren vermöchtet; so aber will ich mich zuvörderst an Euern Vater wenden,« und indem er Amelei noch immer bei der Hand haltend vor dem alten Ritter von Bayerbrunn sittig das Knie beugte, fuhr er fort: »So begehr' ich Euer lieblich Töchterlein zum Ehgemahl, denn mein einziger Gedanke ist sie im Wachen und Träumen; in treuer Minne will ich sie halten und mit schützendem Arme umfangen allezeit.«

Der alte Herr schaute freundlich auf den Jüngling, lang hatte er die Stunde nahen sehen und nicht unerwünscht kam ihm die Werbung, darum legte er die Hand segnend auf Konrad's Schulter und sprach feierlich: »Meinen besten Schatz will ich Dir geben, sei ihr ein milder Herr und bewahre ihr die Treue, so Du ihr nun zu schwören bereit bist, auf daß Dich der Himmel segne, wie ich es thue!« Seine Stimme erstickte in Rührung. »Alles will ich geloben!« rief Konrad feurig und sprang empor, die zitternde Amelei in seine Arme schließend. Der hatten sich die Augen verschleiert; sie fand keine Worte, ihr Glück auszudrücken, darum lehnte sie ihr Haupt an die Brust des geliebten Mannes und weinte in wortloser Seligkeit. So sprießen unter dem warmen Märzregen Lenzblumen und erste Blattknospen am dürren Strauch, beim nächsten Morgenstrahl stehen sie in voller Blüthe.

* * *

Wie der Winter geschwunden war, hielt Konrad der Sachsenhäuser seinen Brautlauf mit Amelei von Bayerbrunn und war ein groß Fest damit verbunden, das dauerte eine ganze Woche lang; Turnier und Gelag wechselten lustig miteinand und die vielen inlagernden Gäste schufen ein lebhaft Treiben in dem sonst so stillen Bayerbrunn. Wie aber Alles zuletzt ein Ende erreicht, so fand auch diese Feier am achten Tage mit gewaltigem Becherlupf ihren Abschluß. Die fremden Gäste zerstreuten sich und auch das jungvermählte Paar nahm Abschied vom Brautvater und rüstete sich zum Abzug.

In stattlichem Zuge trabten die Sachsenhäuser ihrer Heimath zu. Konrad hielt den Zügel von Amelei's Roß und seine Blicke hingen unverwandt an dem lieben Gesicht seines jungen Weibes. Am Grenzstein, da wo die Gemarkung von Bayerbrunn an die von Sachsenhausen stieß, kauerte eine alte, in sich zusammengebückte Gestalt; die erhob sich, wie der berittene Zug nahte und hob drohend den Arm. Da trieb Konrad, der die alte Berchtel nicht vergessen, die Thiere zu schnellerem Trabe, denn er wollte vermeiden, daß Amelei der Verwirrten schlimme Reden höre; und er erreichte seine Absicht; achtlos trabte die glückliche Rittersfrau an der elenden Bäuerin vorüber, doch, wenn auch ungehört, es klang ein Fluch aus dem zahnlosen Mund der Alten ihr nach: »Aug' um Aug', Blut um Blut!«

* * *

Das war eine sonnige Zeit, die damals auf Sachsenhausen anhub. Auf der Ritterbank saßen die Dienstmannen und Knappen des Hofes, lachend, trinkend, spielend, in neuen Gewändern, und am Brunnen scherzten die Knechte mit den Mägden. Im Frauengemach aber lehnte auf sammtenem Polster Amelei, zu ihren Füßen saß ihr Gatte, sein lockiges Haupt an ihr Knie geschmiegt, minnige Worte stammelnd oder feurige Küsse tauschend – zwei Menschen verbunden in ehrlich starker Liebe. Zuweilen griff er nach der Laute und sang ihr ein Lied:

»Seit Du mir lieb geworden bist,
Vergaß ich Gram und Bangen.
In Deinen dunklen Augen ist
Mein Himmel aufgegangen.

Seit Du mir lieb geworden bist,
Hat Alles sich gewendet;
Die Sonne lacht zu aller Frist,
Die Sturmnacht ist geendet.

Seit Du mir lieb geworden, – bist
Zu Gast bei mir gesessen,
Hab' ich die Welt und was d'rin ist,
Mich selber gar, vergessen.«

Dann ward ihr unschwer eine Antwort d'rauf zu finden:

»Du bist der Berg, – ich bin der See,
Der leis zu seinen Füßen fließt;
Du bist des Mondes milder Strahl,
Der meinen Blumenkelch erschließt.

Du bist die Tanne stark und fest,
Die mich mit ihrem Schatten deckt;
Du bist der Morgensonne Schein,
Der mich aus dunklen Träumen weckt.

Du bist mein Hort, mein Schutz, mein Stern,
Der meines Lebens Nacht erhellt;
Du bist der starke Arm, der mich
Vertheidigt gegen eine Welt!«

Und wieder dann saßen sie mit verschlungenen Armen, sahen den ziehenden Wolken nach oder lauschten dem Sang der Schwalben, die sich unterm Dach des Herrenhauses ein Nest gebaut hatten.

So verging der Frühling. Wie aber der erste Gewittersturm die letzten Blüthen von den Bäumen wehte, schwand auch den Sachsenhäusern die wonnige Lenzfreude. Eine unheilschwangere Wolke war an ihrem Sonnenhimmel aufgezogen, ohne daß Sie es gemerkt hatten; jetzt reckte sie drohend ihren Schatten über die Ahnungslosen.

Schon die früheren Herren von Sachsenhausen waren mit den Edlen von Wolfratshausen Die Grafen von Wolfratshausen waren Turnier-mäßige Ritter und Vögte des Klosters Tegernsee. Der letzte ihres Geschlechtes, Heinrich, fiel a. D. 1158 in der Schlacht vor Mailand. Wenning Topographie I. B. 233. verfeindet, aber zu offener Fehde war es bislang nie gekommen. Unter dem neuen Gebieter Konrad war der Streit eingeschlafen; jetzt brannte er wieder von Neuem auf, denn auf einen Vorschlag des Edlen Heinrich von Wolfratshausen, Grenzregulirung betreffend, hatte Konrad, ganz in seinem Glück aufgehend, die Antwort zu geben vergessen. Und eines schönen Morgens verkündete des Wächters Alarmruf vom Sachsenhäuser Wartthurm das Herannahen bewaffneter Wolfratshauser. Die zogen einen Ring um die feste Burg und begannen sie regelrecht zu belagern. Da fuhr Herr Konrad aus seinem Liebestraume auf. Zwar brauchte er nicht allzuviel Sorge um seine Habe zu tragen! denn fest waren die Mauern seines Schlosses; Speise lag in Fülle in den gewölbten Kellern und der Schloßbrunnen gab hinreichend Wasser für die Besatzung; dennoch erschien ihm mit einem Schlage Alles in anderem Lichte, denn zuvor. Verblichen waren seine Wangen und der Glanz seines Auges geschlossen; zuweilen auch beschlich ihn bange Ahnung, wenn er des Fluches der alten Berchtel gedachte.

Wochen waren vergangen. Die Belagerer hatten trotz gewaltiger Anstrengung die Burg nicht einzunehmen vermocht: schon beriethen sie den baldigen Abzug, da erschien einst vor Herrn Heinrich's Zelt ein altes, hinkendes Weib und forderte den Grafen zu sprechen. Wie der ihr Gehör gewährte, blitzte tückische Freude aus ihren kleinen Augen: »Das Mittel weiß ich, das Herrenschloß drüben zu Fall zu bringen;« sprach sie mit schriller Stimme und als Herr Heinrich verwundert den Worten lauschte, fuhr sie eindringlich fort: »Drunten im Wald, auf dem Fußweg von Schäftlarn nach Bayerbrunn liegt ein alter Brunnen, in dessen Tiefe der Quell entspringt, der drüben den Burgbrunnen speist; wenn Ihr das Wasser abzuleiten vermögt, muß Sachsenhausen fallen!« dann schwand ihre klare Rede, wirre Worte schreiend, hinkte sie aus dem Zelt.

Am nächsten Morgen trat Herrn Konrad's Marschall trübselig vor seinen Gebieter. »Herr,« rief er mit bestürzter Miene, »sie haben uns das Wasser abgegraben, aus unserm Brunnentrog ist der Lebensquell geschwunden.«

Da wich die letzte Spur von Farbe aus des jungen Ritters Wangen, wortlos starrte er seinem Vertrauten in's bange Angesicht. Schreck und Zorn ob der erlittenen Schmach, Trauer um Alle, die sich ihm zugeschworen und nun mit ihm zu Schanden geworden waren, Sorge und Leid um seine geliebte Hausfrau und Mitleid mit sich und seinem kurzen verlorenen Glück – wirr ging ihm Alles durch den grambeschwerten Sinn. Aber der Muth verließ ihn nicht. »Wir müssen einen Ausfall wagen!«

Noch war ein kleiner Rest alten Weines im Keller, den vertheilte er unter den Seinen. Einen Becher voll davon brachte er Amelei. »Vielleicht ist's der letzte Trunk!« sprach er mit zitternder Lippe.

Frau Amelei weinte, wie sie die schlimme Botschaft von ihrem Eheherrn empfing. »Ein sonniger Mai ist unsere Minne gewesen, aber kurz wie alle Lust der Erde,« klagte sie. »Wie wirst Du das Leid tragen?«

Konrad zog ihr Haupt an seine Brust: »Ich will in ehrlichem Schwertkampf fallen, denn nicht unrühmlich ist für den Edlen das Ende, wenn er mit bewährter Faust und dem letzten Tropfen Blut sich ein Grab erkämpft auf dem Erbe seiner Väter. Um Dich aber zittert mein Herz!« Er schlug die Hand vor die Augen und stöhnte: »Welches Geschick wird Dich erwarten?«

Da lächelte Frau Amelei durch ihre Thränen: »Däucht Dich der Tod leidlos, auch mir ist das Sterben leicht, denn werthlos ist mir das Leben ohne Dich und groß genug war die Seligkeit unserer Minne, um so bald schon ein Ende zu finden. In Männerkleidern will ich neben Dir fechten und fallen, und der Himmel wird sich sicher mein erbarmen!«

Bewundernd schaute Konrad auf die geliebte Frau. Durch das offene Fenster der Kemenate fiel der volle Sonnstrahl über ihre schlanke Gestalt, sie in seinen Goldschein hüllend, wie ein lichtes Heiligenbild: »Könnt' ich Dich retten!« preßte er mit dumpfer Stimme hervor.

Sie wollte ihm erwiedern. Im selben Augenblick aber flog ein wohlgezielter Bolz zur Fensteröffnung herein, der traf Amelei in die Brust. Blutüberströmt sank sie zu Tod getroffen nieder, schmerzlos war das Leben aus der lieblichen Hülle gewichen.

Wie ein Unsinniger starrte Konrad auf die Todte, dann stürzte er neben ihr zusammen; die Thränen küßte er ihr vom Auge und das Blut von der Wunde; wie aber ihre schlanke Hand zu erkalten begann, wirrten sich ihm schier die Gedanken, reglos lag er über sie gebeugt, ein gebrochener Mann.

Da öffnete sich die Thüre und der Kellermeister, der lange schon für die Uebergabe gewesen, trat ein. Der war ein treulos falscher Gesell, der bei Herrn Konrad nur darum ausgehalten, weil ihm hier wie nirgend sonst so köstlicher Wein in die Kehle rann. Jetzt, wo diese Quelle versiegt war, war sein Groll gegen seinen Gebieter aufs Höchste gestiegen.

»Wollt Ihr uns verdursten lassen?« fuhr er den halb Besinnungslosen an.

»Was wollet Ihr?« frug Herr Konrad müde.

»Trinken!« entgegnete der Kellermeister unverschämt.

»So erkämpfet Euch draußen die Freiheit, ich will keinen bei mir zurückhalten.«

Drob lachte der Kellermeister höhnisch: »Sollen wir streiten, dieweil Ihr hier warm sitzet? Von Euch haben wir den Trunk zu fordern, Ihr müsset ihn uns verschaffen, ohn' mühselige Schwertarbeit.«

»Ich hab' nichts mehr als mein Blut!« murmelte Konrad verzweifelt.

»Das läßt sich nicht trinken!« lachte der Andere roh; wie aber Konrad nur immer auf die liebe Todte niedersah, ohne sich weiter um seinen Kellermeister zu kümmern, schwoll jenem der Haß noch mehr. »Sein Blut,« murmelte er, »vielleicht wär's das Beste, wenn ihm das Blut aus den Adern rinnen würde.«

»Herr!« schrie er nochmals, aber Konrad hatte kein Acht auf ihn und gab keine Antwort. Da sprang er dicht zu seinem Gebieter, riß den Dolch aus dessen Waffengehäng und rannte ihn dem Wehrlosen in's Herz.« »Wenn Ihr's nicht anders wollet –« stieß er wie entschuldigend hervor.

Herr Konrad zuckte zusammen unter der Wucht des Stoßes, dann richtete er sich halb auf: »Nehmet mein Wappenbanner vom Thurm und hisset eine weiße Fahne auf, dann möget Ihr mit dem Belagerer unterhandeln. Euch wird er freien Abzug gewähren, von mir aber möget Ihr schweigen.«

Den Kellerer ergriff ein Schauder. Schleunig sprang er aus dem Gemach.

Herr Konrad aber sank schier fröhlich zu Amelei nieder; mit dem warm verrieselnden Blut seines Herzens überkam ihn ein Gefühl süßer Ruhe. Den Arm legte er um die geliebte Leiche und schloß die Augen.

Beim Dämmern des Abends thaten sich die Thore Sachsenhausens auf, und der Marschall brachte die Schlüssel dem triumphirenden Belagerer. Graf Heinrich von Wolfratshausen hatte, wie Herr Konrad richtig vermuthet, den Dienstleuten der Burg freien Abzug bewilligt. Barhaupt zogen sie an ihm vorbei.

»Nun lasset uns den Herren suchen, denn meiner Klinge will ich ihn gegenüberstellen!« rief der Sieger in übermüthigem Trotze. Da strömte die ganze Horde der Wolfratshausener in die geöffnete Burg.

Durch die Hallen und Kammern stürmten sie; Alles verwüstend, raubend, plündernd. Im Keller zerschlugen sie die leeren Weinfässer, auf den Fruchtböden streuten sie das Korn in den Wind. Herr Heinrich aber, den ererbter Haß auf den schlimmen Pfad geleitet, stieg allein die Treppe empor, den ersehnten Gegner zu suchen. Aber Grauen faßte ihn, wie er in der Frauenkemenate die fest aneinander geschmiegten Leichen fand. Schaudernd trat er zurück: »Den Kampf mit Dir hab' ich gesucht, beim Himmel, nicht solches Ende! und unrecht mag es gewesen sein, die Fehde der Geschlechter auf den Einzelnen zu übertragen; doch, nun das Furchtbare geschehen ist, vermag ich nur, Dir ein Todtenmal aufzurichten, das eines adeligen Mannes würdig ist.« In achtungsvollem Schweigen entschritt er dem Gemach.

Drunten im Burghof ließ er zum Sammeln und Rückzug blasen. »Möge Keiner wagen, noch fürder des Schlosses Habe oder fahrend Gut anzutasten,« befahl er streng. »In die Keller aber leget Feuer, und Pechkränze werfet in das Sparrenwerk des Daches. Aus den Rauchwolken des Todtenbrandes mag des letzten Sachsenhäusers Seele aus dem gefällten Leib sich aufschwingen zur Himmelshalle.«

Wie die Nacht eingebrochen, hatten die von Wolfratshausen den Platz verlassen. Aus den Mauern der Burg stieg rothe Lohe feurig gen Himmel empor und widriger Brandgeruch füllte die Luft. Drinnen aber war nicht Alles erstorben. Durch die rauchgefüllten Säle hinkte die alte Berchtel mit rachedurstigen Blicken. »Aug' um Aug', Blut um Blut! Ich will sein Blut fließen sehen!« stieß sie mit grauenvollem Hohngelächter hervor. Oft schien der Rauch sie ersticken zu wollen, oft drohte eine stürzende Mauer sie zu erschlagen; sie aber drang unaufhaltsam vorwärts, über glühende Steine und halb verkohlte Dielen, bis zur Sterbekammer.

Dort lagen noch die Todten in stiller Umarmung, ein friedlich' Bild inmitten all' der Zerstörung. Noch hatte die Flamme sie nicht ergriffen, wohl aber leckte und züngelte sie an ihren Gewändern empor. Erstaunt machte die Alte bei solchem Anblick Halt. Anderes hatte sie sich erhofft; jetzt kam ihr die Reue ob der vollbrachten That. Die Hände reckte sie empor gen Himmel und einen heulenden Schrei stieß sie aus, daß die Wände davon wiedergellten. »Gefallen ist einer durch meine Hand, an dem ich kein Theil hatte, denn schuldlos war er an meinem Elend!« Mit wilder Geberde warf sie sich neben den Leichen nieder und raufte ihr weißes Haar. Da ging ein Krachen und Bersten durch's ganze Gebäude, die Dachbalken hatten sich gelöst und stürzten brennend zusammen, auch Jener den Gnadenstoß gebend, die in rasender Verzweiflung einen Fluch schrie wider ihr eigenes Haupt.

* * *

Jetzt ist Alles still auf dem Platz, wo einst Sachsenhausen gestanden ist. Seit Jahrhunderten ist der Raum von Wald überwachsen; kaum etliche Verschanzungen weisen noch die Stelle der ehemaligen Burg. Im Volksmund aber geht die Sage, daß in finsteren Sturmnächten ein altes Mütterlein am halb verschütteten Waldbrunnen kauere und einsame Wanderer mit seiner gespenstigen Erscheinung schrecke. Sulzbacher Kalender 1856. 16. Jahrgang. Und die Bewohner der umliegenden Dörfer sehen darin den ruhelosen Geist der unglücklichen Berchtel und erzählen sich bekreuzigend ihre traurige Geschichte.


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