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Im Freihof Hesselohe.

A. D. 762.

Es mag eine merkwürdige Zeit gewesen sein, da Deutschland, noch allum von heidnischen Völkerschaften bewohnt, den christlichen Glaubensboten zuerst seine Thore öffnete; da einzelne Männer, nur ausgerüstet mit den Waffen des Glaubens und eines unerschütterlichen Willens, jene starken, gewaltigen Menschen bezwangen, ihre Götter zerschlugen, ihre wilden Gewohnheiten hemmten und jenen Samen des Friedens in ihre Gemüther säeten, den der neue Heiland seinen Jüngern hinterlassen hatte.

Als am Rhein und an der Donau sich schon Alles der neuen Lehre zugewandt, saßen in den bayerischen Bergen und an ihren Ausläufern längs der Isar noch manch trutzige Eigenherrn, die nicht lassen wollten von den alten Gewohnheiten ihrer Jugend und die es vorzogen, dereinst in Walhall alltäglich zur Eberhetze auszuziehen, denn in der Himmelshalle des Christengottes ewiger Liebe und Seligkeit theilhaftig zu werden.

Links vom Strombett der weiß schäumenden Isar, eine kleine Strecke nördlicher als das jenseitige Grünwald, von hohem Buchenwald umgeben und in unzähligen Haselstauden Von den vielen Haselstauden soll der Name herrühren, Haselloch, Hesselloch – Hessellohe. Oberbayerisches Archiv. Hormayr und Andere sind darüber verschiedener Ansicht. schier versteckt, lag die Niederlassung eines solchen Mannes, der schon um manchen Schilling von den Rugmännern gebüßt worden war, ob unerlaubten, unausrottbaren Heidenglaubens.

Groß war Hatto's Hof und geräumig seine Ställe und Scheunen, ausgedehnt sein Waldstand und lieblich der Blick von der äußeren Umfriedungsmauer seines Gehöftes, hinab auf die Isar und jenseits auf waldig ansteigendes Ufer.

Des Besitzers Gemüth war minder lieblich, als sein Besitzthum; rauh war sein Denken und eigensinnig hielt er an den von den Vätern ererbten Bräuchen. Darum schien ihm die neue Lehre verächtlich und er hatte ihren Dienern Fluch geschworen. In des Vaters herbe Art aber leuchtete das sanfte Wesen seines Töchterlein's Hroswitha, wie der schimmernde Regenbogen in dunkles Sturmgewölk.

Hatte Hatto in wildem Muth Schaden gethan, so war Hroswitha beflissen, ihn gut zu machen, hatte er ungerechter Weise einen hörigen Knecht geschlagen, so hielt sie allezeit ein neues Gewand oder einen leckeren Bissen bereit, den Mißhandelten zu beschwichtigen, und der Geschädigte ließ sich gern Herrn Hatto's Gewaltthat gefallen, um der erquicklichen Milde Hroswitha's willen. So wandelte sie wie ein Cherub unter den Menschen, holdselig und immerdar zur Hilfe bereit, der Frühlingsgöttin Ostara vergleichbar, die ihre Blüthen und Blumen mit sonnigem Lächeln über die winterliche Flur streut.

An einem kühlen Herbsttage, da die frühe Dämmerung schon anzubrechen begann, pochten zwei Männer an das wohlverschlossene Thor des Hasellocher Hofes. Drinnen bellten die Hunde und eine rauhe Stimme drang zu den Harrenden hinaus: »Wer ist's, der Einlaß begehrt?« und zugleich ward in der Thüre ein kleiner Ausguck geöffnet und das braune Gesicht eines Knechtes kam theilweis zum Vorschein.

Der Aeltere von den beiden Wanderern schob den Schlapphut zurück und antwortete vernehmlich: »Waltrich bin ich genannt; im Walde hat mich und meinen Genossen die Nacht überfallen; weit noch ist unser Weg und müde mein des Wanderns ungewohnter Gesell, darum suche ich Herberge und Rast unter Eurem Dach.«

Der Knecht schloß das Thor auf: »Tretet ein!« sprach er einladend und freundlich fuhr er, während er die Beiden über den Hof führte, fort: »Groß ist der Gastbau und weich die Lagerstellen Herrn Hatto's, voll sind seine Mehltruhen und selten leert sich sein Methhorn; aber auch gastfreundlich ist er und gern theilt er Brod und Bier mit dem einkehrenden Fremdling.«

Sie waren am Wohnhaus angekommen. Der Knecht trat ein; harrend blieben die Fremdlinge außen. Stolz aufgerichtet stand der Ältere. Erschöpft lehnte der Jüngere das Haupt an den Thürpfosten.

Bald nachher erschien der Knecht wieder. »Willkommen heißt Euch mein Herr! unter sein Dach lädt er Euch und den Platz will er Euch gönnen an seinem Herdfeuer.« Er führte sie in die Halle, d'rin an langer Tafel die Eigenmannen des Hofes beim Schmause saßen und wo auf erhöhter Bühne Herrn Hatto und seiner Tochter der Herrensitz bereitet war.

Herr Hatto war grüßend aufgestanden, die Gäste zu bewillkommen, derb schüttelte er ihnen die Hände und lud sie zum Mahl. Hroswitha forschte von ihrem Sitz aus in den Zügen der Ankömmlinge. Sie sah, daß Waltrich, ein kräftiger Mann von ebenmäßigem Gesicht und stattlichem Wuchse, in den besten Jahren stand; daß ein seltsam Feuer in seinen Augen lohte und all' sein Wesen große Willenskraft verrieth. Minder stark und gewaltig erschien ihr sein jüngerer Gefährte. Aschblond die Haare, bleich das Gesicht, halbgeschlossen die Wimpern. Aber ein unsäglich jugendlicher Zug lag um seinen Mund ausgeprägt, darum blieb Hroswitha's Auge lange sinnend auf ihm haften.

»Nehmet fürlieb!« sprach Herr Hatto und wies den Gästen Stühle und Becher. Hroswitha aber nahm ein hölzern Teller mit duftenden Wildpretschnitten und bot sie den Fremden. »Hungrig werdet Ihr sein«, sprach sie mitleidig »und der Speise bedürftig, denn weit ist der Weg von der nächsten Ansiedelung bei Föhring Bei Föhring führte die alte Brücke über die Isar. bis zu uns.«

Dankbar nahm Waltrich die gutwillig gebotene Speise: »Oftmals bin ich wohl längere Wege gegangen, ohne daß mich der Hunger übermannt, oder die Müdigkeit zum Rasten gezwungen hätte; aber Audomar, mein Genosse, ist jung und ungewohnt solcher Mühseligkeit, – um seinetwillen sag' ich Euch Dank für das Gebotene.«

Verwundert sah Hatto auf den Sprecher, der Mann war seiner Tracht und Sprache nach aus bayerischem Land, dennoch war er anders, als all' Jene, die je mit Hatto die Füße unter einen Tisch gestreckt hatten.

Hroswitha goß dem Jüngling Wein in den Becher: »Trinket!« sprach sie gutherzig, »das macht matte Glieder stark und verschmachtende Lippen frisch, und verleiht Trübseligen fröhliche Rede, auf daß sie sich des Lebens freuen.«

Audomar sah fragend auf Waltrich: »Darf ich trinken Vater?« und wie dieser bejahend nickte, schlug jener ein Kreuz drüber und schlürfte dann mit durstigen Zügen die duftende Flüssigkeit.

Hatto übersah die Handbewegung, Audomar's Unselbstständigkeit machte ihn unmuthig: »Weiß der Bursche noch nicht, ob der Wein auch für seinen Schnabel gewachsen oder nicht? Einem Küchlein gleich, das sich unter der Henne Flügel duckt, hängt er sich an Euch, und doch ist er nicht einmal Euer Sohn, dafür seid ihr einander zu unähnlich.«

»Mein Sohn ist er nicht«, entgegnete Waltrich, »dennoch hab' ich Theil an ihm. Wenn die Henne Enteneier ausbrütet, so sorgt sie getreulich für ihre Pfleglinge, wenn gleich sie auch einem andern Vogelgeschlecht entsprossen sind, als sie. So bin auch ich Audomar's Lehrer geworden und ich will ihn leiten, bis er meiner nimmer bedarf.«

Hatto schüttelte noch immer den Kopf: »Was bedarf es des Lehrers? Ich bin auch aufgewachsen ohne die überflüssige Zuthat, und merk' es doch, ob der Wind weht, oder nicht, und ob der Meth gerathen oder süß!«

»Das mag so gut sein für Euch«, entgegnete Waltrich lächelnd, »die Ihr auf eigenem Grund und Boden sitzet; wir aber, die wir ausziehen, die Welt zu lehren, wir müssen Manches lernen, davon ihr wohl keine Ahnung haben möget.«

Hatto lachte rauh: »Die Welt lehren? Habt Ihr etwa ein Kräutlein wider den Tod gefunden? Narren seid Ihr, oder – Schlimmeres! Doch«, setzte er sich schnell bezwingend hinzu, »ich wollt' Euch nicht kränken unter meinem First!« und sich erhebend und einen Kienspahn ergreifend, fuhr er fort: »überdies ist es Zeit das Lager zu suchen, darum will ich euch in's Gastgemach geleiten.«

»Wollet in Frieden ruhen, Jungfräulein!« sprach Waltrich sich vor Hroswitha neigend. »Und möge der hl. Dionys Euch einen süßen Traum bescheeren!« flüsterte Audomar schlaftrunken.

Da fuhr Hatto auf: »Hat mein Ohr mich getrogen, oder hab' ich Geschorene auf meinem Herdsitz bewirthet?«

»Nicht gedenk' ich Euch zu bergen, was der Stolz meines Lebens ist«; entgegnete Waltrich freimüthig, »dem christlichen Himmelsherrn hab' ich mich ergeben mit Leib und Seele, und auf dem Wege bin ich, am Pipinbach, wo mein elterlich Erbgut gelegen ist, mit Bewilligung Herzog Thassilo's, von dessen Hofhalt ich eben komme, dem hl. Dionys Kirche und Klösterlein zu erbauen.«

Hatto's Augen rollten wild: »So reut mich der Trunk, der aus meinem Becher in Eure Kehle geflossen ist!« Er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß er dröhnte: »Mag Euer Heiliger Euch zu Nacht Obdach schaffen, ich hab' keine Lagerstätte für seine Knechte.«

Ruhig griff Waltrich nach Hut und Stab: »Der Himmelsherr wird uns seinen Schutz nicht versagen, wenn auch Ihr Euern Hof uns verschließt, im Wald wird Er seinen Mantel über uns breiten und wildes Gethier von unserer Raststelle fernhalten!«

»Auch in meinem Walde sollet Ihr nicht nachtlagern, denn auch ihm könnet Ihr schädlich sein mit Euerm Buchzauber,« rief Hatto so gellend, daß Audomar von Müdigkeit und der trostlosen Aussicht, noch einmal auf die Wanderschaft gehen zu müssen, überwältigt, erschreckt taumelte.

Da drängte sich Hroswitha dicht an den Vater: »Willst Du den Gast friedlos von der Schwelle weisen, so thust Du Dir selber zu nah. Verächtlich ist solches Thun den Menschen, unhold den Göttern.«

Hatto sah nachsinnend vor sich hin, dann erwiederte er entschlossen: »Und dennoch vermag ich nicht anders zu handeln; denn feindselig sind die Christen unserer Heimath und abhold unsern Bräuchen. Mit Hunden hätt' ich sie hetzen mögen von meinem Grund und es wär' ein verdienstlich Werk gewesen, hätte ich ihnen den Frieden meines Hauses nicht zugesagt; – so mögen sie ungeschädigt weiter ziehen und ich will thun, als hätt' ich sie nicht gesehen.«

»Gleichgültig ist mir Euer Zorn, leid ist es mir nur für den Gefährten!« sprach Waltrich und schritt mit Audomar zum Ausgang.

Noch einmal neigte sich Hroswitha zum Vater: »Dennoch solltest Du Jene nicht ziehen lassen. Einen starken Segen wissen sie für Land und Viehstand und dankbar möchten sie sich leicht bezeigen für Obdach und Herberge, denn finster ist die Nacht und ein wunder Fuß strauchelt auch über die kleinen Baumwurzeln.« Herr Hatto aber schüttelte das Haupt: »Ich kann nicht!« stieß er rauh hervor.

Da schritt Waltrich aus der Thür; auf der Schwelle wandte er sich noch einmal um: »Der mich ausgesendet sein Heiligthum aufzurichten, der wird mir eine Leuchte sein durch die Finsternisse der Nacht. Euch aber wird die Stunde schlagen, da Ihr erkennt Eure Thorheit und da Euch Reue foltert ob Eures Thun's.« Dann schloß sich die Thüre hinter den Beiden.

Herr Hatto fuhr auf. Jetzt, wo die Fremdlinge seine gastliche Halle verlassen, lohte der ganze Zorn seiner wilden Natur empor: »Muß ich mich schelten lassen auf eigenem Grund?« schrie er funkelnden Aug's. Dann rannte er ihnen nach.

Schon war Waltrich dem Hofthor entschritten: »Armer Audomar«, sagte er mitleidig, »noch oft werden Dir die Füße den Dienst versagen, und Du wirst keine Stätte finden, wohin Du Dein Haupt legen kannst.«

Audomar schwankte, aber sein Mund lächelte: »Habet Geduld mit mir, Vater; ich will stark werden wie Ihr, und mich beherrschen, wenn die Müdigkeit mich überwältigen will.«

Indeß ward das Hofthor in ihrem Rücken wieder aufgerissen. Herr Hatto sprang über die Schwelle, mit ihm drang der große zottige Hofhund heraus. Im Hintergrund drängten sich die Knechte.

Ruhig wandte Waltrich sich um. »Habet Ihr mir noch etwas zu sagen?« frug er gelassen.

»Zu sagen nicht, aber zu geben; den Denkzettel hab' ich Euch mitzugeben vergessen, der Euch und Euer einem als Gastgeschenk gebührt,« und Hatto hob die Hand, zu wuchtigem Schlage ausholend.

Reglos stand Waltrich hoch erhobenen Hauptes; aber Audomar fiel Hatto in den Arm: »Ihr werdet's nicht wagen!«

Leicht hätte der starke Mann des schwachen Angreifers sich erwehren mögen, aber der Hund mochte den Herrn in Gefahr wähnen – mit schnellem Sprung hatte er den Jüngling erfaßt und ihn zu Boden gerissen. Der bange Schrei einer schmerzbebenden Menschenstimme klang verzitternd durch die Nacht.

Wohl rief Hatto den Hund zu sich, aber das Unheil war bereits geschehen: mit zerrissener Brust lag Audomar am moosigen Wiesgrund, sein brechender Blick suchte den geliebten Lehrer, dieweil sein Blut heiß in's feuchte Gras niederrieselte.

Waltrich kniete bei dem Todtwunden nieder. »Was habet Ihr gethan, Hatto?« frug er, vorwurfsvoll die Hände ringend.

»Ich hab's nicht so gewollt, bei Thor's Hammerschlag,« entgegnete der bestürzt.

»Dennoch ist es besser,« klang des Sterbenden Stimme leise, doch vernehmlich zu Waltrich auf, »daß ich in jungen Jahren um des Heilands willen in die Himmelshalle fahre, als wenn Ihr mit schimpflichem Schlag belastet, hättet weiter leben müssen, der Ihr makellos sein müsset, ein reiner Priester des Herrn.« Dann schloß er die Augenlider, noch ein Seufzer, das Haupt sank ihm zurück: er hatte ausgerungen.

Da hob Waltrich mit starkem Arm den todten Gefährten vom Boden auf und schritt damit wortlos dem Walde zu.

Eine Weile noch stand auch Hatto, dumpf dem in's Dunkel der Nacht Entschreitenden nachblickend. Dann wandte auch er sich mit umwölkter Stirn und kehrte in seine Halle zurück. Verstört saß er dort nieder, düster und schweigend sah er vor sich hin, den Becher zur Seite stoßend, daß der rothe Wein über's Tischtuch rann – auch Hroswitha senkte das Haupt, sie wagte ihn nicht aufzustören aus dem bittern Gedanken; denn sie wußte, daß trotz seinem Christenhaß ihm leid war, also schmählich das Gastrecht verletzt zu haben.

Stundenlange saßen sie so. Wie der Kienspahn niedergebrannt war, erhob sich Hatto. Härter war seine Stimme und gefurchter seine Stirne als sonst, da er dem Bankgenossen ruhsame Nacht bot; aber entsetzt prallte er zurück, wie er über den Hof zum Schlafhaus schreiten wollte; glühender Feuerschein malte sich rings in den Wolken.

»Der Christenhund!« schrie er außer sich und stürzte aus dem Gehöft dem rothen Lichtglanz entgegen. Unschlüssig standen die Knechte. »Er hat uns ein gebrannt Leid gethan!« flüsterten sie scheu, dann folgten sie ihrem Herrn.

Aber der seltsame Schimmer war nicht der Abglanz eines grimmen Brandes – garbenförmig in purpurner Pracht lohte jene seltene Naturerscheinung über südbayerisches Land, die sonst nur die langen Winterabende der Nordländer kürzt und erhellt. Es war ein Nordlicht.

Eine Weile war Hatto halb sinnlos in den Wald gerannt, bald schien ihm der Gluthschein zwischen den dichten Bäumen von Süden, bald von Norden zu kommen. Mehr und mehr wirrten sich ihm die Gedanken. Wenn Alles nur Zauberei war und Waltrich ihn höhnte? wenn er ihn unsichtbar vielleicht umschwebte, sich an seiner Verzweiflung zu weiden? Er stöhnte; dennoch verlangte er Gewißheit. Vor der Grünwalder Brücke Die alte Römerbrücke bestand noch bis in's elfte Jahrhundert. Anno 1040 schenkte Bischof Nitger von Freising diese Brücke etc. ( pontem ac portum apud Pouloch) bei Pullach dem Kloster Schefftlarn. Oberbayer. Archiv. war eine Lichtung gehauen, von dort ließ sich das Thal auf- und abwärts ein gut Stück übersehen, da wollte Hatto Umschau halten. Aber sein Fuß zuckte zurück. Im Wurzelwerk einer mächtigen Tanne saß Waltrich die Hände zum Gebet gefaltet, die Augen nach den Wolken erhoben. Im Moos neben ihm lag Audomar's Leiche.

Wie Waltrich des Verstörten ansichtig ward, erhob er sich. »Kommt Ihr, die Lichtfackel meines Gottes zu schauen? Herrlich ist sie und groß, wie er selber, der auch den geringsten seiner Knechte nicht vergißt und mir die Leuchte gab, auf daß mein Fuß nicht strauchle in Dunkelheit und nächtlichem Grauen und ich bei seinem Lichtschein die Todtenwache halten könne bei dem lieben Gefährten.«

Hatto's Denken war erschüttert. Eine Furcht überkam ihn vor dem neuen Heiland, der so viel Macht hatte in Luft und Feuer; aber es war nicht jene beseligende Gottesfurcht, die uns in demüthiger Liebe vor dem höchsten Wesen beugt; es war die Angst des ohnmächtigen Menschen vor der ungeheuren Naturgewalt.

Scheu sah er sich um: »Wie kann ich mir Jenen dienstbar machen, der auf den Wolken reitet?«

Waltrich lächelte; er war lange genug Pfarrherr in Deining Deining ist ein kleines Dorf rechts der Isar nicht weit von Schefftlarn entfernt; daß Waltrich dort Pfarrherr gewesen, erzählt die Chronik von Schefftlarn. Zimmermann's geistlicher Kalender. Gistl, histor. Skizze von Schefftlarn. Sulzb. Kalender 1856. gewesen, wo er vielfach das alte Heidenthum zu bekämpfen gehabt, um Hatto zu verstehen. »Ihr müßt an den Heiland glauben, und Euch ihm willig unterordnen,« sprach er.

Hatto nickte. »Und was muß ich ihm geben, auf daß er mir Hof und Feld schützt vor Feuer und Hagelschaden?«

Wieder lächelte Waltrich: »Ihr müßt ihm anhängen mit Leib und Seele und Euern Göttern entsagen.«

Solche Forderung erschien Hatto bedenklich. »Dann werden jene mich vernichten«, meinte er kopfschüttelnd, »denn auch sie sind gewaltig, und was gibt mir Euer Heiland dafür, wenn sie mir die Ernte verderben?«

»Machtlos sind sie wider den Himmelsherrn!« entgegnete Waltrich eindringlich.

Aber Hatto war noch nicht überzeugt. »Auch Botho zu Deiningen hatte das Kreuz auf sein Scheuerdach gesteckt und doch schlug ihm der Wetterstrahl drein und versengte ihm First und Frucht.«

»Es war eine Zulassung,« sprach Waltrich fest, »wenn der Herr, der den Segen gibt, ihn wieder nimmt, so müssen wir uns geduldig drein fügen.«

»Wie mögt Ihr Euch fügen, wenn Euch Schaden erwächst?« frug Hatto funkelnden Aug's.

Aber Waltrich entgegnete milde: »Ich hab' in jungen Jahren einmal vom Teichrain einen Schilfhalm heimgebracht, eine große seidige Puppe hing d'ran und ich erhoffte mir aus ihr einen buntfarbig schimmernden Falter. Sorgsam hatte ich tagelang des feinen Gespinnstes acht – aber kein lieblicher Sommervogel, sondern eine häßliche Spinne kroch d'raus hervor, seitdem weiß ich, daß manch' liebe Hoffnung in Nichts verflattert und mancher Herzenswunsch vom Himmel versagt wird.«

Das aber mochte Hatto nicht einleuchten: »Ich will eine Sicherheit!«

»Die steht im hl. Evangelium, daran sollt Ihr glauben!«

»Fremd ist mir die Sprache,« entgegnete Hatto, »wie kann ich mich von der Richtigkeit dessen überzeugen, was Ihr mir sagt?«

»Das sollt Ihr entnehmen aus den Werken des Himmelsherrn, der die Sonne leuchten läßt und den Regenthau sendet zur rechten Zeit.«

»Aber auch der Sturm fährt zuweilen über's Land und auf seinen Flügeln reitet Wodan das feuchtmähnige Wolkenroß. Hört Ihr!« und Hatto wies nach den Baumwipfeln, die sich im Herbstwind bewegten, »hört Ihr sein Grollen? Nein, Vater der Götter, nimmer will ich Dir untreu werden, der Du meine Kindheit und Jugend und Mannesjahre gesegnet hast; und wenn Du mein Besitzthum schützen willst, werd' ich Dir ein jährig Roß opfern, milchweiß und makellos und von edler Zucht und ich will Deinen Namen ehren, wie sonst und meine Kinder und Kindskinder dazu anhalten.« Mit erhobenen Armen sprang er heimwärts.

Waltrich sah ihm sinnend nach: »Und doch wird eine Zeit kommen, wo das Kreuz auch über diesen Wald siegreich ragen wird, wo die Landsassen kein Verständniß mehr haben für Wodan's Sturmhauch und Donnar's Flammenkeil und milder Glockenklang allein ihnen als Ruf ihres Gottes erscheint.«

* * *

Etliche Jahre später, am Pipinbach, wo Pipin einst seine Villa gebaut hatte, stand längst Gotteshaus und Klösterlein und Waltrich waltete dort als Abt des Convents, nach der Regula St. Benedicti, kam an Sceftilari's So wird das nachmalige Kloster Schefftlarn in seinem Stiftungsbrief a. D. 762 genannt. Monumenta boica 8. Bd. S. 363. Pforte, wie die junge Ansiedelung sich nannte, ein alter Mann mit ergrautem Haar, doch trutzig wildem Gesichtsausdruck. »Ruf mir den Waltrich!« schrie er den Pförtner an, und wie der ihn einlud in die Vorhalle zu treten, schüttelte er zornig den Kopf: »Nimmer werd' ich Eure Schwelle überschreiten, es möcht' mir leicht ein Unheil zustoßen.« Da ging der Pförtner überlegenen Blicks, den Abt zu holen.

Wie Waltrich nachher, auf dem Klosteranger, vor der Pforte, dem fremden Manne entgegen trat und ihn prüfend beschaute, kam ihm die Erinnerung; minder gealtert, minder verwildert hatte er das Gesicht, einst bei abendlichem Imbiß und nachmals im Gluthschimmer des Nordlichts geschaut: es war Hatto.

»Was will mein Gastfreund?« frug Waltrich milde.

»Stark ist Euer Gott,« entgegnete Hatto bitter, »und seinen Willen vermag er zu erreichen. Mir hat er sich ungnädig erwiesen all' die Zeit, seid Ihr ihm hier sein Haus aufgerichtet. Seine Flur zu verschonen, hat er mir die Hagelwolken auf den Grund gejagt; aber auch Wodan war mir schlimm gesinnt, weil ich das Brod mit Euch in eine Schüssel getaucht und nachher das Gastrecht gebrochen hatte; sein Windwurf hat mir die Stämme des Waldes geknickt, als wären sie schwaches Schilfrohr. Darum mag ich nimmer auf der Scholle haften, darauf ich vor der Zeit ergraut bin, ob ungerecht erlittener Schädigung; fortziehen will ich mit den Meinen, hinaus in die weite Welt, – leichtlich mag ich einen bessern Winkel finden, meine Tage sorg- und kummerlos zu beschließen, denn mein altes Erbe. Das Haselloch aber, das mir Euer Heiland so schwer geschädigt, mag er als sein Eigenthum an sich nehmen, als Buße für den Getödteten – ich hab' darauf verzichtet! – und wenn's Euch der Herzog verbrieft und bestätigt, Diese Uebergabe des früheren Eigenthums des Hatto zu Hesinloch durch Thassilo II. an die Kirche des hl. Dionys zu Schefftlarn erfolgte im Jahr 776. Oberbayerisches Archiv. ich will keinen Einspruch dawider erheben; neubegierig nur bin ich, ob Euch die Schenkung zu Nutzen oder Schaden gereicht.«

Trutzig und ohne Gruß schritt Hatto von dannen. Waltrich aber faltete die Hände. »Groß bist Du, o Herr!« sprach er leise, »und die Herzen der Menschen weißt Du zu lenken nach Deinem Gefallen, auch wider ihren Willen. Dank sei Dir, daß Du auch unser Gotteshaus nicht vergessen hast und die Zelle Deiner demüthigen Knechte.«

Fröhlich schritt er in's Kloster zurück, dieweil hoch vom Holzgerüst Bei dem ursprünglichen Mangel an Thürmen hingen die ersten Christen ihre Glocken an eigens zu diesem Zweck erbauten Holzgerüsten auf, welcher Gebrauch sich sogar noch in späteren Jahrhunderten erhielt. Freytag, Bilder der deutschen Vergangenheit. Bd. 2. die eherne Glocke ihre klingenden Töne mit dem Rauschen der unfernen Isar mischte zu mächtigen Schallwellen, die sich an den Hügeln brachen und weithin über Wald und Anger zogen.

Droben an der Biegung des Hohlweges, der von der Hochebene in's Isarthal zum Kloster niederführt, stand Hroswitha, den Vater zu erwarten, und lauschte dem melodischen Geläut. »Lieblich sind die Klänge und lockend,« sprach sie leise, »und wieder dann groß und gewaltig. Wär nicht der Vater, am liebsten möcht' ich mich in den sichern Schutz der Heiligen geben.« Sie lehnte ihr Haupt an eine Tanne und sah sehnsüchtig in's Thal hinab. Und die Glocke läutete weiter, den hohen Psalm des Friedens und der Ruhe und ewig sich erneuernder Kraft und Schönheit. Da ging durch Hroswitha's Sinnen ein Ahnen der Zukunft; sie empfand, daß die neue Lehre wie ein Stern höherer Cultur und feinerer Herzensbildung über dem deutschen Wald aufgegangen und leidlos nahm sie von der Heimath Abschied; im mildverklärenden Strahl solcher Erkenntniß ging alle Bitterkeit unter.

* * *

Hesselohe blieb Jahrhunderte lang eine Schwaige, die anfänglich dem Kloster Schefftlarn zu Eigen gehörte, später in verschiedene Hände überging, bis sie zuletzt ein Belustigungsplatz der Münchener geworden, die Tanngrün und frische Waldluft allen andern Genüssen vorziehen. Das Geschlecht derer aber, die dem Platz den Namen gegeben hatten, pflanzte sich noch in Enkeln und Urenkeln fort. Wohin sie damals gezogen, darüber schwebt ungelichtetes Dunkel. Noch heute bewahrt ein altes Archiv das im Volkston gehaltene Minnelied Das Lied findet sich abgedruckt in Hormayer's Taschenbuch 1831, S. 243: »Es taget auf dem Holenstein etc.« und ist soviel glaubhaft erwiesen, daß obbesagter Hans Hesenloher eines Herrn von Holnstein (Höllnstein bei Brannenburg) Tochter als Gattin heimführte. Dachauer, Oberb. Archiv, in seinen Abhandlungen über die Burgen des bayerischen Innthales. Auch führt Buchner in seiner Bayerischen Geschichte unter den Landständen zur Zeit Albrecht IV., des Weisen, in der Herrschaft Paal nächst Weilheim einen Hans und einen Andrä Hesenloher als Ritter und freie Landeigenthümer auf. des Franz Hesenloher, aus dem 15. Jahrhundert.


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