Paul Ernst
Der Tod des Cosimo
Paul Ernst

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Der Tod des Dichters

Fünf Frank habe ich. Schnaps ist Unsinn. Burgunder will ich trinken, guten alten Chablis, in einer verschimmelten Flasche, die in einem Körbchen auf den Tisch gestellt wird. Hier liegen ja auf allen Tischen Servietten. Vier Frank fünfzig, fünfzig Trinkgeld, das reicht gerade. Was? Das ist ein feines Restaurant? Man will mir nichts geben? Herr Kellner, ich bin ein Dichter, eine Berühmtheit. Das ist lächerlich, zu sagen Herr Kellner, man sagt nur Kellner; aber ich kann nicht anders, es ist gegen die Menschenwürde. Was? Hier verkehren nur feine Leute? Vorige Woche war ich fünfzig Jahre alt, da haben die Zeitungen Artikel über mich gebracht, nur die besseren natürlich; die Artikelschreiber gehen in Zylinder und Handschuhen, die dürfen hier wohl sitzen, aber ich nicht? Sie haben geschrieben, daß es eine Schande ist, wie man mich verkommen läßt, noch nicht einmal die erste Auflage ist verkauft von meinem Buch; aber Fagerolles, ja Fagerolles hat ein eigenes Auto. Ich nenne ihn Fagerolles, Herr Kellner. –

Ach, ich gehe schon. Sie sind ja nicht bösartig, Herr Kellner, Sie dürfen bloß nicht.

Es ist kalt auf der Straße, aber wenn man fünf Frank hat in der Tasche, das wärmt einen. Soll ich essen? Ich habe wohl die ganzen drei Tage nichts gegessen, wo ich an dem Buch übersetzte. Unrecht ist es eigentlich doch, man verkauft seine Seele an den Schweinehund, und er gibt einem nur fünf Frank, fünf Frank für drei Tage Arbeit, meine Herren. Soll ich essen? Ich habe keinen Hunger. Wie ich damals mein Buch schrieb, ach, das war schön, das war der Höhepunkt. Da wohnte ich bei Fagerolles, er hatte mir eine schöne Dachkammer abgetreten, da war ich den ganzen Tag allein, nur am Abend, da mußte ich unten essen, und dann las ich vor. Seine Frau weinte vor Neid, er lief auf und ab im Zimmer, auf den Teppichen hörte man den Tritt nicht; ich aber lachte heimlich und dachte: Ihr seid ja reich, aber auf mich werden einmal die Menschen hören, die jungen Menschen, die noch nichts wissen, die lesen mein Buch, und da erfahren sie die Schönheit. –

Ach, die Schönheit, ich muß weinen, denn ich denke an den Waldrand und den Kuckucksruf, Vorfrühling auf brauner Wiese, Rieseln des Quellwassers, und dieser Vogelruf – wie hieß nur der Vogel? Ich vergesse jetzt so viel. Vielleicht dieser große schwarze Vogel mit gelben Füßen. Da brennt eine rote Laterne, man wird so naß im Regen draußen, ich will hineingehen, aber Burgunder will ich, wie ich ihn damals zuerst bei Fagerolles getrunken habe. Ei, du Gauner, du Fagerolles, du hast mich untergekriegt. Jetzt sagen die Leute auch noch, du hast ein gutes Herz. So ein Halunke! Mich friert so, es ist auch nichts, wenn einem das Wasser durch die zerrissenen Sohlen an die Füße kommt. Die Füße sind empfindlich. Auch sollte man doch mehr essen. Die Miete kann man ja schuldig bleiben, aber das Essen ist doch eine Hauptsache. Aber heute Abend will ich Burgunder trinken, in einer verschimmelten Flasche, in einem Körbchen. Und wie sie es dem Fagerolles gegeben haben, die Artikelschreiber! Ja, das ist wahr; ohne mich, was wäre er? Ein Kuhfladen. Eigentlich ist er doch mein Bourgeois. Und wie gesund er ist, wie fleischig und rot! Ich habe ihn gestern gesehen, oder war es vorgestern? Er hat mich gut verdaut, es ist ihm angeschlagen. Bekomme es ihm weiter! Böse will ich ihm nicht sein. Nur, er hätte sich doch können einmal anpumpen lassen, einmal wenigstens, es brauchte ja gar nicht so viel zu sein, fünfzig Frank vielleicht. Ob ich ihm noch einmal schreibe? Wenn ich fünfzig Frank hätte, dann fütterte ich mich erst wieder einmal ordentlich auf, dann wäre auch ein anständiger Anzug nötig und ordentliche Stiefel, feste Stiefel, Stiefel, die nicht zerrissen sind, dann müßte ich eine Bude haben mit einem Ofen. Ein Ofen ist unbedingt nötig. Es ist ja alles fertig, ich brauche es bloß niederzuschreiben, aber sorglos muß man sein; wenn ich fünfzig Frank hätte, so ginge es. Was die sich von der Cäsur denken! Die Cäsur, da steckt die Seele des Verses. Das habe ich früher nicht so gewußt, da war es mehr Instinkt. Ach, Fagerolles, wenn das deine Verse wären, die ich morgen schreibe! Und jetzt wird ja auch besser bezahlt. Wir sind ja durchgedrungen, Fagerolles verdient ja Hunderttausende. Hunderttausende, das ist viel. Aber er braucht auch viel: Auto, Dienstmädchen, Kutscher, zwei Hunde, auch Steuern. Aber tausend Frank Honorar bekomme ich doch gewiß, vielleicht tausendundfünfzig, wenn der Verleger anständig ist. Tausendundfünfzig. Wieviel ist das doch? Man müßte auch Kontrakte machen, daß es einem nicht wieder in alle Sprachen übersetzt wird, und man kriegt keinen Heller dafür. Damit müßte man doch auch viel verdienen. Woher verdient denn Fagerolles so viel?

Wie wunderschön ist die Welt, wie bin ich glücklich. Das ist eine schmutzige Kneipendiele, Zigarrenstummel liegen da, da sind nasse Flecke von der Feuchtigkeit, welche die Männer von außen hereingebracht haben, sie haben auch gespuckt. Die Bretter, aus denen diese Diele gemacht ist, sind einmal im Wald gewachsen und waren Bäume welche im Winde leise schwankten, und Sand ist gestreut, der ist tief aus der Erde geholt hier unter uns, denn dieses alles war einst Meer, und der Wind wehte über die leichten Wellen hin, und Möven flogen, mit der Spitze des einen Flügels in die Wellen tauchend. Wie schön ist die Weite des Meeres, die grenzenlose, ich möchte meine Arme ausbreiten und tief atmen.

Nun sind es dreißig Jahre her, da war ich ein Jüngling, und da war die erste Liebe. Wie wunderbar das ist, daß einen ein Mensch lieben kann! Sie sind wie die Kinder, die Mädchen, aber sie denken doch nachher auch daran, daß ein Mann genug verdienen muß, denn da muß Miete sein und Wirtschaftsgeld und Wäsche und allerlei. Es wäre unrecht von mir, wenn ich ihr böse wäre, daß sie einen Mann geheiratet hat, der eine Anstellung hatte; und jetzt ist das auch so lange her, vielleicht ist sie schon tot; ja, ich glaube, man hat mir einmal eine Todesanzeige geschickt, aber ich konnte nicht zum Begräbnis gehen, denn ich hatte keinen guten Anzug, und gerade diese kleinen Beamten halten am meisten auf solche Äußerlichkeiten.

Und dann war da Apfelblüte, die habe ich wahrscheinlich viel mehr geliebt, denn da war ich älter und klüger. Fagerolles machte mir Vorwürfe, er sagte: Sie ist eine Dirne, was sollen meine bürgerlichen Bekannten sagen, wenn sie mich mit euch beiden sehen? Ich sagte ihm: Ja, sie ist eine Dirne, aber es ist so wunderbar, daß sie mich liebt! Ihr Vater war Tischler, da hat sie sich als Kind Hobelspäne vor die Schläfen gehängt wie Locken, damals kannte ich sie schon, denn ich wohnte bei ihren Eltern, und nannte sie Apfelblüte, so ein Gesicht hatte sie. Sie sang viel, wenn es heute wäre, so wären es meine Gedichte, die sie sänge, denn ich bin ja heute durchgedrungen, und vielleicht hätte sie dann etwas von der Schönheit verspürt. Sie lief ihren Eltern fort mit einem Liebhaber; und wie der sie nicht mehr wollte, da hatte sie Angst und kam zuerst zu mir, daß ich mit ihren Eltern sprechen sollte. Da sagte ich ihr: »Weshalb hast du das getan?« Sie antwortete: »Ich bin jung. Aber du warst es, der mich hätte nehmen sollen, ich habe dich geliebt, aber du hast es nicht gemerkt.« Ich sprach: »Wie hätte ich das tun können, ich bin arm, und ich hätte dich nur zur Dirne gemacht.« Da weinte sie und sprach: »Ich bin zur Dirne bestimmt, nun hat mich ein anderer dazu gemacht, den ich nicht lieb hatte, und auf den ich nicht stolz sein konnte, wenn ich mit ihm auf der Straße ging, trotzdem er feiner gekleidet war wie du.« Ich nahm sie auf den Schoß, küßte sie und sprach: »Nun wollen wir das vergessen.« Sie lachte. Ach, wie süß war ihr Lachen! Ja, auch damals war ich sehr glücklich, und am glücklichsten, wenn ich meine Gedichte an sie schrieb. Sie war gut und rein, und so heiter, alle Arbeiten machte sie singend, und selbst ihr Vater konnte sie nicht schlagen.

Ja, der Wein macht uns frei, mir ist wie dem Vogel in der Luft. Wir sind schwermütig, wenn wir nicht trinken, und Schwermut ist etwas Gemeines.

Er trat auf die Straße, in den Pfützen spiegelte sich das Laternenlicht. Er lachte und sang leise vor sich hin, ein Liebeslied, das er damals gedichtet hatte. Ein Freund hatte die Musik dazu geschrieben, der war nun schon lange tot, er war irrsinnig geworden, weil er sich überarbeitet hatte. Denn er konnte nur des Nachts arbeiten, weil er den Tag über Klavierstunden geben mußte, an Bäckerstöchter für fünfzig Centimes die Stunde. Aber heute, ja, da war er auch durchgedrungen. Sie hatten ihm sogar schon ein Denkmal gesetzt.

Da begegnete ihm die, welche früher Apfelblüte gewesen war. Ihr Gesicht war verbunden, sie humpelte an einem Stock, in durchnäßten Filzschuhen, und ihre Lumpen hingen schlaff an ihr nieder. Er rief sie an. Sie sprach: »Schämst du dich denn nicht, daß du mich kennst?« Und dann rollten ihr Tränen aus den entzündeten Augen über den Verband ihres Gesichtes. Er antwortete: »Ich bin ja auch älter geworden, ganz kahl ist mein Schädel, alle Haare sind mir ausgegangen.« Er lehnte sich an eine Hauswand. Sie streckte die Hand aus und sprach: »Du könntest mir ein paar Sous geben, damit ich nicht im Freien schlafen muß.« Er antwortete: »Ich schlechter Mensch habe alles vertrunken, aber du kommst auf mein Zimmer, nur habe ich keinen Ofen.« Sie schüttelte den Kopf »das ist eine häßliche Krankheit, die ich habe, du kannst mich nicht mitnehmen.« »Du warst gut,« sprach er, »und hast allen Menschen nur Freude machen wollen, weshalb sind die Menschen so schlecht gegen dich gewesen? Aber sie wissen ja nicht, was sie tun, sonst wären sie anders.« Dann faßte er sie unter den Arm, und er sagte: »Ich habe einen Stoß alte Zeitungen und etwas schmutzige Wäsche, daraus machen wir noch ein Lager.« Sie weinte und sprach: »Seitdem ich von dir ging, vor zwanzig Jahren, hat nie wieder ein Mensch ein gutes Wort zu mir gesprochen. Aber ich ging nur fort, weil ich damals so jung war und gern tanzte.« Langsam gingen sie, denn sie hatten beide wenig Kräfte.

Wie sie auf seinem Zimmer waren, setzte er sich und sprach: »Mir ist so sonderbar, ich habe den guten Wein zu schnell getrunken.« Sie dachte, er sei betrunken, und holte das Nachtgeschirr; es hatte keinen Henkel. Aber ihm war der Kopf auf die Brust gefallen, und die Zunge war zwischen die Zähne geklemmt. Da fühlte sie, daß er tot war, drückte ihm die Augen zu und legte ihn auf die Stubendiele, denn sie konnte ihn nicht in das Bett heben.

Wie das nun am andern Tag in den Zeitungen stand, daß der große Dichter gestorben war, und wie groß sein Elend gewesen war, da kam der, den er Fagerolles nannte, ging in seinem feinen Pelz die schmutzige Treppe hinauf und fand die Prostituierte mit dem verbundenen Gesicht neben dem toten Dichter kauern. Er bezahlte Leute, die für das Begräbnis sorgten, und er folgte seiner Leiche zusammen mit der Prostituierten. Ihr Verband hatte sich verschoben durch das Weinen und Tränentrocknen, man sah, daß die Krankheit ihr die Nase fortgefressen hatte. Er war ein sehr berühmter Dichter, sah gesund und reich aus.

Wie der berühmte Dichter am andern Tage in den Zeitungen die Artikel las, da las er auch, daß seine Werke nur von zeitlicher Dauer seien, aber das Buch des Toten werde ewig dauern. Da geriet er in Angst, daß die Menschen das schrieben, denn er dachte, daß er sehr viele Schulden hatte bei seinem kostspieligen Hausstand, und daß schon begannen die Einnahmen sich zu vermindern. Seine Frau kam zu ihm und zeigte ihm ein neues Kleid, und seine beiden in Reichtum erzogenen Kinder kamen; sie sahen vornehm und unschuldig aus; und er dachte, wie das sein werde, wenn man ihm seinen ganzen Hausrat verkaufte und er in einer armen Dachstube leben müßte mit der Frau und den Kindern, wie der Tote gelebt hatte, und er ängstigte sich vor seiner Lüge.


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