Paul Ernst
Der Tod des Cosimo
Paul Ernst

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Das hölzerne Becherlein

Von einem alten König in Asien wird erzählt, daß er ein sehr barmherziger und mildtätiger Herr gewesen ist.

Die Geschichtsschreiber berichten, daß er einst auf der Jagd ein unmündiges Kind weiblichen Geschlechtes fand. Dieses hatte gar schöne Augen und war auch sonst so wohlgestalt, daß man es gewiß lieben mußte, denn es lachte die Herren, welche es umstanden, auch recht freundlich an; aber es trug die Merkzeichen einer bösen und ansteckenden Krankheit, welche man die Miselsucht nannte, und deshalb mochte keiner der Herren sich des Kindes erbarmen, denn ein jeder fürchtete sich, daß er die schlimme Krankheit von dem Kind bekommen könne, wenn er es berührte. Da sprach der König: »Das soll uns niemand nachsagen, daß wir haben ein unmündiges Kind umsonst seine Ärmchen nach uns ausstrecken lassen,« nahm es vor sich auf sein Pferd und ritt mit ihm heimwärts. Und wie wir häufig sehen, daß einem Menschen, welcher Gutes tut mit Tapferkeit und Freude, nichts Böses geschieht, so blieb er unversehrt von der Ansteckung und schlechten Krankheit.

Indem er nun seine Guttat zu Ende bringen wollte, fragte er seine Ärzte nach einem Mittel, um des Mägdleins Krankheit zu heilen. Da sagten die, es müsse ein anderes Kind, welches gesund ist und gutgeartet, ein Schüsselchen voll seines eigenen Blutes hergeben, damit man das kranke wasche, und hiervon werden seine Geschwüre trocken und sein Leib wird wieder so blank wie eine Silberstange. Wie das die vornehmen Herren am Hofe hörten, hatten sie Angst, daß der König einen von ihnen bitten möchte, er solle von seiner Kinder Blut hergeben, gingen zum König und sprachen: »Was willst du, daß diesem armseligen Findling so kostbares Opfer gebracht werde, denn vielleicht ist es von niedrigen und üblen Eltern und hat schlechte Sitten, wenn es erwachsen ist, unsere Kinder aber sind edler Abstammung und werden deshalb einst gut und edel werden, und deshalb bringe sie nicht in eine Gefahr um so geringen Nutzen.« Und die armen Leute im Lande, wie sie hörten, daß die vornehmen Herren so geredet hatten für ihre Kinder, kamen auch zum König, baten und sprachen: »Unsere Kinder sind uns ebenso lieb, wie den vornehmen Herren ihre Söhnchen und Töchterchen, und manchem vielleicht noch lieber, denn viele von uns haben keine andere Freude im Leben, als daß sie sich an den roten Bäcklein ihrer Kleinen ergötzen und sich Hoffnungen machen, daß sie in Zukunft brave und gute Menschen werden. Deshalb bitten wir dich, du wollest dich auch unser erbarmen und sie nicht in Gefahr versetzen um den schlechten Findling.«

Es hatte aber der König selber ein einziges Kind, einen gar schönen, klugen und guten Knaben. Dieser sprach: »Vater, ich bitte dich, daß du von mir das Blut nehmest, mit welchem das fremde Mädchen geheilt werden soll. Denn da ich als dein Erbe und der spätere König dieses Landes an solcher Stelle bin, daß alle mich betrachten und meine Handlungen kennen, so sehe ich wohl, daß ich Schwereres tun muß wie alle andern. Und vielleicht überstehe ich die Entziehung des Blutes; wenn aber nicht, so will ich mich trösten, indem ich bedenke, daß doch alle Menschen sterben müssen, und daß es keinen bessern Tod geben kann, als einen solchen, für welchen ich von allen guten Leuten muß gelobt werden.«

Als der König diese Worte gehört hatte, wurde er zwar traurig in seinem Herzen, denn er fürchtete sehr für den Knaben; aber sagte ihm nichts, sondern lobte ihn um seinen frohen Mut und befahl den Ärzten, daß sie nach ihrer Kunst verfahren sollten, dem Knaben Blut nehmen und das Mädchen damit heilen.

Die Meister der Arzneikunde taten nun nach ihrer Kunst, und des Königs Kind lächelte unerschrocken, wie sie ihm eine Ader öffneten und sein hellrotes Blut in eine Schale laufen ließen. Aber da sie ängstlich waren, denn sie hatten nicht gedacht, daß ein so kostbares Wesen sich ihnen darbieten werde, so wurden sie ungeschickt bei ihrer Hantierung und verletzten das mutige Knäblein so, daß es sterben mußte. Dieses fühlte wohl, wie sich ihm der Tod nahte, nahm noch einen herzlichen Abschied von seinem Vater und verblich dann.

Der Vater jammerte über dem blassen Gesichtchen des toten Kindes, und alle Herren und Damen am Hofe klagten, und auch alle armen Leute waren traurig; und alle schämten sich, und war ihnen, als sei durch ihre Schuld das hoffnungsreiche Kind getötet, und versprachen bei sich alle, daß sie besser werden wollten von nun an und nicht mehr geizig sein mit ihrem eigenen Glück, denn wie sie das lächelnde und friedvolle Antlitz des Gestorbenen sahen, wurde ihnen klar, daß alles Glück beschlossen ist in einem gütigen und edlen Herzen, aber nicht bestehen kann bei Habsucht und Gier; und ist es nicht genug, nur gute Taten zu tun, denn das können auch schlechte Menschen, und werden dadurch doch nicht glücklich und froh, sondern es ist nötig, einen guten Sinn zu haben; denn dann wachsen schöne Taten aus dem Herzen, wie Korn, Blumen und obsttragende Bäume aus der lieben Erde in die helle Luft, in welcher der Sonnenschein spielt.

Der Findling aber wurde gewaschen mit dem Blute des tapfern Königskindes, und alsbald vertrockneten seine Geschwüre, und nach einer Zeit fielen sie ab, und das Mädchen wurde gesund und wacker an seinem ganzen Körper.

Weil der gute König aber keine weiteren Kinder hatte, auch keine mehr erwarten konnte, denn er war schon hochbetagt, so wendete er seine ganze Liebe auf dieses Mägdlein, als wäre es sein eigen Kind geworden. Bestellte ihm daher gute Pfleger, Vormünder und Lehrer, und ließ es erziehen mit aller Sorgfalt und Treue. Und so wuchs der Findling heran und kam zu seinen Jahren, als eine wunderschöne und kluge Jungfrau. Oftmals weinte der König im stillen, wenn er ihr wunderliebliches Gesicht ansah, denn er dachte an sein eigen Fleisch und Blut, daß sein Söhnchen jetzt ein frischer und stolzer Jüngling wäre, wenn er ihn nicht hingegeben hätte; aber dann hatte er seinen Trost, wenn er bedachte, daß wir Menschen nicht wissen, wohin unsere Wege gehen, und daß uns deshalb nichts bleibt, als das Rechte zu tun unbekümmert und in Fröhlichkeit.

Durch solche Gedanken gewann er das gefundene Mädchen immer mehr lieb; deshalb suchte er unter den vornehmsten Edelleuten seines Reiches den schönsten und tapfersten und gab ihr den zum Mann; und wie sie ihre Hochzeit feierte, welches mit großer Pracht und Herrlichkeit geschah, sagte er ihr und ihrem Manne, wenn er einst sterbe, so wolle er ihnen sein Reich verlassen als seinen Erben, denn er sehe sie an wie seine leibliche Tochter.

Nun hatte aber die junge Frau ganz die Geschichte ihrer ersten Kindheit vergessen und nicht anders gemeint zu allen Zeiten, als daß sie die leibliche Tochter des alten Königs sei. Denn sie war noch zu klein gewesen in der Zeit, wie sie gefunden wurde im Wald und nachher, wie sie mit dem Blut des Königsknaben gewaschen wurde; und später hatte ihr niemand etwas von diesen Geschichten gesagt, denn der König hatte verboten, daß an seinem Hofe davon gesprochen wurde, aus großem Kummer über seinen Sohn, denn er dachte, es lobte ihn vielleicht einmal einer vor seinen Ohren, der den Knaben nicht wahrhaft lieb gehabt hätte. Deshalb wurde die junge Frau erstaunt über die Rede des Königs und fragte heimlich ihren Mann, was das bedeute, und der erzählte ihr alles, nach der Reihe, und welche Guttaten ihr der König erwiesen, auch wie er seinen einzigen Sohn für sie gegeben. Hierüber schwieg sie und verriet nicht ihres Herzens Meinung.

Nun geschah es, daß zu ihrer Zeit die Frau eines schönen und gesunden Knäbleins genas, über welches sich alles freute, besonders aber der alte König; und wie das Kind aus den Windeln gewachsen war und laufen konnte und etwas sprechen, war es immer viel bei dem Großvater. Da sah es einmal einen schlechten hölzernen Trinkbecher und begehrte ihn, wie Kinder oft einen plötzlichen Wunsch haben; der alte König aber nahm den Becher und verschloß ihn. Hierüber weinte der Knabe, lief zu seiner Mutter, und erzählte ihr die Geschichte. Die ging zum König und fragte ihn, da erzählte der, daß dieses hölzerne Becherchen seines toten Kindes Eigentum gewesen sei, aus dem es immer getrunken habe.

Die Frau erwiderte nichts, sondern schalt ihren Sohn; in ihrem Herzen aber hatte sie einen Groll gegen den König. Deshalb begann sie ihren Mann aufzureizen mit allerlei Reden, indem sie ihm vorhielt, daß der alte Mann kindisch werde und ihr Erbteil schmälere, indem seine Diener sich neue Rechte anmaßten, und die Feinde an den Grenzen des Landes bereiteten einen Krieg vor, den er nicht mehr werde bestehen können; und wie sie viele derartige Reden häufte, bewegte sie endlich ihren Mann zu dem Glauben, es sei wahr, was sie ihm erzählte, und er müsse sich nach Freunden umtun, ihm zu helfen, daß der alte König ermordet werde, damit er und seine Frau früher die Herrschaft ergreifen könnten. So tat er auch und stiftete eine große Verschwörung an; seine Sache kam aber heraus, und er selbst nebst seiner Frau und seinen Freunden wurden gefangen gesetzt.

Nun wurden die Verräter von den gewöhnlichen Gerichten zum Tode verurteilt. Wie der König aber dachte, daß auch seine Pflegetochter hingerichtet werden sollte, dachte er an alles, was er für sie getan, und an das Blut seinem Sohnes, und hatte ein großes Erbarmen. Deshalb entzog er sie den ordentlichen Gerichten und rief die Weisesten seines Landes zusammen, ihm zu raten, was er mit ihr beginnen sollte; denn wenn es möglich wäre, dachte er, daß sie Reue empfinden sollte, dann wollte er sie vom Tode erretten.

Die Weisen sahen wohl den Wunsch des Königs, und weil sie ihn liebten, so wollten sie den gern erfüllen; aber sie fürchteten sich, daß sie ein so großes Verbrechen und so unmenschlichen Undank sollten unbestraft lassen. Da kamen sie nach langem Besinnen auf einen ganz neuen und nie gehörten Beschluß. Sie trugen der Frau auf als Strafe für ihr Vergehen, daß sie solle vor den König gebracht werden und dem in die Augen sehen; und wenn sie ihm in die Augen gesehen hätte, so solle sie von aller weiteren Strafe der Buße frei sein.

So wurde sie nun vor den König geführt, und stand vor ihm, und hatte die Augen auf den Boden gerichtet. Der König aber saß auf seinem Thron, tröstete und ermahnte sie. Er sagte, daß ihr Vergehen aus ihrem Blut komme, denn sie sei niederer Abkunft und deshalb mißtrauisch, und es sei ein großes Unglück, wenn jemand einen Sinn im Blut habe, der nicht zu seinem Stande passe, wie ja auch umgekehrt ein Mensch im niederen Stande leide, der ein hochherziges Gemüt hat. Aber uns sei gegeben, solche Neigungen zu überwinden durch unsern Willen, und deshalb müssen wir nur unser Vergehen einsehen und uns vornehmen, unser Herz zu ändern. Und das werde sie gewißlich tun, denn er bitte sie herzlich darum, weil er sie erkauft habe mit dem Blut seines geliebten Kindes.

Als der König diese Rede beendet hatte, erhob die Frau ihr Haupt und sah ihm in die Augen; und da schrie sie plötzlich laut auf, und dann fiel sie zur Erde, denn eine heftige Scham hatte sie plötzlich getötet.


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