Otto Ernst
Ein frohes Farbenspiel
Otto Ernst

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Ernsthafte Predigt vom Commersieren.

Motto:
Solche Brüder müssen wir haben,
Die versaufen, was sie haben.

Liebe Brüder.

Es sind einige unter euch in Briefen wider mich aufgestanden mit beweglichen Klagen, daß ich in meiner tiefgründigen Abhandlung »Vom Essen und Trinken« das Essen bevorzugt und das Trinken vernachlässigt hätte. Das Essen nehme einen viel zu breiten Raum ein im Vergleich zum Trinken &c. &c. Noch täglich laufen neue Briefe ein; wohl selten hat eine Frage unser Volk so in seinen Tiefen aufgewühlt wie diese.

Leider haben es sich dabei einige der Briefschreiber nicht versagen zu müssen geglaubt, über das Essen im allgemeinen verächtlich zu urteilen und dem Trinken unvergleichlich edlere Eigenschaften zuzusprechen. Ich habe beim Lesen solcher Briefe im stillen auf ein Stadium geschlossen, in dem der Appetit auf feste Substanzen bereits für immer geschwunden zu sein pflegt; aber ich behalte das für mich. Die Sache ist zu ernst, um nicht alles persönlich Verletzende von ihr fernzuhalten.

Aber beklagenswert bleibt es, daß man dergleichen unduldsame Meinungen nicht zurückgehalten hat. Schlaraffenland ist ein paritätischer Staat und soll es, so denke ich, bleiben. Man soll es sich dreimal überlegen, ehe man an seiner Verfassung rüttelt. In einem gesunden Staatskörper wird die feste Nahrung immer die geeignetste Grundlage bilden für alle trunkhaften Bestrebungen.

Es ist richtig, daß Pharao den Mundschenk begnadigte und den Bäcker hängen ließ. Aber es ist voreilig, daraus nun Schlüsse für das Trinken und gegen das Essen zu ziehen. Hier handelte es sich eben um einen Bäcker, also um Brot und Kuchen, und daß diese viel zu viel Mehl enthalten, hat noch kein anständiger Mensch bestritten. Aber die Aufknüpfung des Bäckers beweist nicht das Geringste gegen Roastbeef, Rehrücken, Ente, Hummer, Kaviar &c. &c. &c. – &c.

Liebe Brüder, man soll das Eine thun und das Andere nicht lassen. Zwischen Rehrücken und Rotspohn sitzen: das nenn' ich goldene Mitte. Ich hoffe euch davon zu überzeugen, daß mir die Reize der besseren Feuchtigkeit nicht fremd sind.

Was den gegen mich erhobenen Vorwurf betrifft, so muß ich doch zunächst bemerken, daß ich die Freuden des stillen Suffs sehr objektiv gewürdigt und mich der dampfenden Bowle en petit comité wie immer wärmstens angenommen habe. Aber ich gebe zu, daß ich den eigentlichen, geregelten Kultus der Getränke mit seinem tiefsinnigen und ehrwürdigen Ritual, daß ich das planvolle, bis zur Bewußtlosigkeit zielbewußte Massentrinken, den Kommers, leider übergangen habe. Wer beides, Essen und Trinken, in einer Abhandlung bewältigen will, wird immer eines von beiden vernachlässigen müssen. Dazu ist der Stoff zu weitschichtig, seine Anordnung zu schwierig, die Konzeption zu kühn.

Wenn ich übrigens den Kommers soeben als ein Massentrinken bezeichnet habe, so ist das ganz subjektiv gemeint, d. h. ich betrachte die Masse als Subjekt des Comments. Versteht man unter der Masse das Objekt, so wird im Verlaufe des Kommerses das Objekt zum Subjekt und das Subjekt zum Objekt, wie dann überhaupt so viele Dinge, z. B. die Viehbub und der Saumagd und der Viehmagd und die Saubub, miteinander vertauscht zu werden pflegen. Ich weiß nicht, ob das klar ist. Wem es nicht klar ist, der betrachte es als den philosophischen Teil meiner Ausführungen.

In die gemeine Bierdeutlichkeit übersetzt, soll das aber heißen, daß der Mensch sich nicht um jeden Preis besaufen soll. Ich bitte wohl zu bemerken: ich sage nicht, daß er sich nicht besaufen soll; ich möchte hier um alles nicht mißverstanden werden; er soll es nur nicht um jeden Preis thun. (Ich denke bei »Preis« nicht an Geld; denn erstens ist das Qualitative immer selbstverständlich, und zweitens würde ich dann » für jeden Preis« sagen.) Aus den Burschen, die mit der Vertilgung von 20 Seideln protzen und in jedem, der es nur auf 19 gebracht hat, einen fluchwürdigen Jämmerling sehen, werden nachher nur allzu oft jene Bürschchen, die aus dem Überschwang der Jugend nichts gerettet haben als Tugend und einen Magenkatarrh. Der Mensch soll trinken, weil es ihm schmeckt, darum führt er den Ehrennamen »der schmeckende Mensch«, homo sapiens. Wem es aber so gut schmeckt, daß er mit der unschuldsvollen, ahnungslosen Seligkeit des Säuglings die Grenze der Mäßigkeit überschreitet, für den werde ich immer ein sehr mildes Urteil bereit haben. Überhaupt diese Grenze der Mäßigkeit – ich weiß nicht – es ist etwas so Merkwürdiges um diese Grenze. Wenn man noch weit von ihr entfernt ist, sieht man sie sehr scharf; hat man sie aber erreicht, so sieht man sie nicht mehr. Es ist eine heimtückische, infame, eine ganz famose Grenze.

Ein Institut wie der Kommers mußte im Laufe der Zeiten seine Feinde finden, das ist klar. Dazu ist die Sache zu gut. Soweit sich diese Feindschaft gegen rohe Trinksitten richtet, ist sie mir recht. Es alteriert mich, wenn ein Kneipant keinen Bierjungen trinken kann, ohne daß es ihm zu beiden Seiten wieder zum Maul herauslauft; denn erstens ist »Bluten« nach dem Comment strafbar, also unsittlich, zweitens ist es für ein Herz, das die Gaben der Natur mit dankbarer Liebe verehrt, eine betrübende Stoffvergeudung, und drittens sieht es scheußlich aus. Wer einen mäßigen Bierjungen noch nicht mit lässiger Eleganz bewältigen kann, der soll zu Hause, wo ihn niemand sieht, täglich einige Stunden daran wenden und es üben. Die kleine Mühe lohnt sich immer.

Anders steht es mit einer anderen Art von Feindschaft. Um von ihr sprechen zu können, muß ich meinen Lesern leider eine gewisse Sorte von Menschen ins Gedächtnis zurückrufen. Ich habe einen Freund – d. h. er versteift sich merkwürdigerweise darauf, daß ich ihn so nenne – wenn ich zu dem sage: »Kerl! Mordbube, du hast ja die ›Maine‹ in die Lust gesprengt!« so verneint er mit tiefem Erstaunen und beginnt, mir ausführlich sein Alibi nachzuweisen. Wenn es draußen gleichzeitig stürmt, hagelt, regnet und schneit, so daß sämtliche Regenschirme sich mit emporgeworfenen Armen gegen ihre Bestimmung sträuben und die Luft von aufgewehten Damenhüten erfüllt ist, und ich dann zu ihm sage: »Prachtvolles Wetter, was?« so erklärt er mit erfrischender Energie, daß er das Wetter durchaus nicht schön finde, im Gegenteil: schlecht. Der Mann ist nicht etwa in gewöhnlichem Sinne dumm; er hat vieles gelernt und ist in seinem Berufe tüchtig; seine Dummheit ist eben eine ganz außergewöhnliche. Soweit ich ihn bis jetzt vorgeführt habe, ist er ja auch, in ganz kleinen Dosen genommen, ganz amusant. Aber wenn man im »Sommernachtstraum« neben ihm sitzt und die Handwerker mit dem kindlich-souveränen, großäugigen Shakespearehumor ihr Schauspiel aufführen, so stößt er mit dumpfem Ingrimm das Wort »Blech!« von sich. Wenn man ihm ein Grimmsches Märchen vorliest und er hört von der Madame Pabst, die eine goldene Krone aufhatte, »die war drei Ellen hoch«, so stöhnt er aus gekränktem Herzen das Wort »Unsinn«, und wenn ich mich mit einem anderen Freunde, einem ganz anderen, an einem köstlichen Büchlein ergötze, das lauter Verse à la Friederike Kempner enthält und die Erhabenheit des Blödsinns mit tausend Zungen predigt, wenn wir thränenden Blickes schwelgen im deliziösesten Nonsens, so vermag er »einfach nicht zu begreifen«, wie man am Lesen solcher schlechten Gedichte Gefallen finden könne. Die schöne Zeit solle man lieber darauf verwenden, Goethe und andere, wirkliche Dichter zu lesen &c. &c.

Ich denke, daß meine Leser sich jetzt den Typus vorstellen können, den mein »Freund« repräsentiert. Stellen wir ihn wieder weg.

Wenn Deutschland eine vollständige Autokratie und ich der Autokrat wäre: diese Leute würde ich auf Staatskosten vergiften lassen. Denn die Monomanie der Vernünftigkeit, diese traurigste Untergattung der Halbidiotie, ist mehr, als ein normaler Mensch vertragen kann und sich gefallen zu lassen braucht. Man schimpft so oft auf die Raubmörder und ich gebe zu: mit einem gewissen Recht. Aber ein Raubmörder thut doch wenigstens mal etwas Unvernünftiges und trägt auf diese Weise sein redliches Teil zur Bewegung bei, die die höchste Vernunft ist und ohne die die Welt nicht bestehen könnte. Die »düsteren Bestien« der unentwegten Vernünftigkeit würden die Erdachse senkrecht zur Ekliptik stellen, um den rechten Winkel herauszukriegen und der ewigen Zappelei mit den Jahreszeiten ein Ende zu machen. Gottfried August Bürger, den ich so sehr liebe, ich weihe dir ein großes, stilles Glas, weil du aus warmblutendem Herzen aufschrieest gegen die »kalten Vernünftler«.

Diese ungesalzenen Heringsseelen, diese frostigen Zeloten der blöden Ernsthaftigkeit, diese wirklichen Nüchterlinge der korrekten Richtigkeit und richtigen Korrektlinge der nüchternen Wirklichkeit sehen im Kommersieren und im Kneipstaat ein schädliches und albernes Institut; die kindliche Freude des Kneipanten ist ihnen kindisch und läppisch, und sie finden abgeschmackt die weisheitsvollen Gesetze des Kneipcomments, die, »was in schwankender Erscheinung lebt, befestigen mit dauernden Gedanken«. O meine Brüder! Nicht um diese seriösen Linealschlucker zu überzeugen, was nimmer ein Sterblicher je vermöchte, nein, um uns selbst zu stärken im Glauben an den alleinseligmachenden Comment und in allen guten Werken der Saufbrüderlichkeit, wollen wir betrachtend immer tiefer uns versenken »in den Reichtum, in die Pracht« der edlen Trinkerweisheit!

Welche Fülle realpolitischen Verstandes liegt schon in der Konstitution dieses Bierstaates!

»Wer am besten saufen kann, ist König,
Bischof, wer die meisten Mädchen küßt.
Wer da kneipt recht brav,
Heißt bei uns »Herr Graf«,
Wer da randaliert, wird Polizist.«

Es ist gleichsam etwas Serbisch-Bulgarisches in dieser Verfassung und Gesellschaftsordnung. Und wie klug ist die Strenge jener Gesetze über Biergericht und Bierskandal, Vor- und Nachtrinken und ex pleno-Bieten &c. &c.; mit welcher Sicherheit und Schwere trifft sie den gefährlichsten Feind des Bierstaates, den unheimlichen »Knacker« und »Glasbeißer«, der sich der allgemeinen Trinkpflicht tückisch entziehen möchte! Den modernen Rechtsstaat erkennt man bekanntlich daran, daß in seinen Bezirken möglichst viel und kräftig verdonnert wird. So auch den Bierstaat. Ein eifriger Bursch oder gar Präside oder Bierrichter wird immer Gelegenheit finden, einen Kneipanten mit strengster Gerechtigkeit und Unparteilichkeit zu verknurren, und wenn der Verknurrte das kostspielige Rechtsmittel der Berufung ergreift, so ist das im Interesse der Hebung des Konsums natürlich nur mit wilder Freude zu begrüßen. Wer den Strapazen dieses Rechtsstaates nicht gewachsen ist, der muß sich eben rechtzeitig weinend aus diesem Bund stehlen. Nur er, den das allgemeine Vertrauen zum Lenker des Staatsschiffs berufen hat und den das Gefühl von der Erhabenheit seines Herrscherberufs und von der Infallibilität seiner Entscheidungen erheben darf, er, der Präside, muß als der widerstandsfähigste Schiffer auf seinem Posten ausharren können, muß trotz Nacht und Nebel, trotz Auf- und Abstoßen und trotz allem Schwanken des Fahrzeugs und aller Seekrankheit sein Schiff zu den sonnigen Gestaden der Fidulitas lenken, muß auch das sinkende Schiff als Letzter verlassen, und bliebe ihm schließlich nichts zum Umklammern als eine frischgeteerte Planke. Daß ein solcher Mann mit weitgehender Macht und Autorität ausgestattet sein muß, ist klar. Mit einer über alle subversiven, zentrifugalen und anulkenden Tendenzen erhabenen Schneidigkeit muß er die Zügel straff halten können und in ernsten Augenblicken den Mut zum skrupellosen Blödsinn besitzen. Er muß Tempo und Rhythmus des Festes angeben, wie er Tempo und Rhythmus der Gesänge (eine eminent wichtige Sache!) bei aller Nachsicht gegen Melodie und Tonart mit wachsamer Strenge bestimmt.

Der Gesang! Er ist die Blüte des Kommerses und offenbart also seine höchsten Schönheiten. Ich müßte ja ein Werk schreiben von der Dicke des »großen Meyer«, wollte ich das Thema »Die Studentenseele im Lied« auch nur achtelwegs erschöpfen. Welch ein sanguinischer Optimismus in dem herrlichen Refrain

»O Rothschild, Rothschild,
Rothschild, schick Geld, schick Geld!«

Es fällt Rothschild ja gar nicht ein, Geld zu schicken; aber das macht diese gläubige Bitte ja noch rührender. Welch hinreißende Beweisführung in den Versen

»Bums vallera, die Welt, die Welt ist wunderschön,
Bums vallera, die Welt ist wunderschön!«

In sechs Worten ist hier eigentlich alles gesagt; das »Bums vallera« ersetzt den ganzen Leibniz. Gegen Bumsvallera gibt es keine Instanz. Nur aus einer solchen Weltanschauung kann jene großgeistige Überlegenheit erwachsen, die nirgends erhabener zum Ausdruck gekommen ist als in den Worten:

»Was man draußen von uns meint,
Kann uns Schlacke sein,
Ist uns auch ganz schnurz!«

Aber weit gefehlt wär' es, zu glauben, daß dem Studentenherzen die pietätvollen Gefühle fremd wären! Man beachte in dem allbekannten »Fuchsenliede«, mit welch' zärtlichem Interesse sich der ganze Chor nach des Fuchsen Papa und Mama, nach der Mamsell Soeur und sogar nach dem Herrn Rektor erkundigt, man beachte, mit welch' teilnehmender Sorge sich die ganze Corona mitten im Taumel der Jugendlust erkundigt, ob denn der alte Hauschildt noch lebe, und mit welcher innigen Genugtuung sie die frohe Nachricht, daß der alte Hauschildt immer noch lebe, ins Ungemessene wiederholt. Überhaupt nimmt sich der Student mit der schönen Weitherzigkeit der Jugend der alten Leute an, besonders da, wo man diesen das Recht zum Trinken verkürzen will.

»Olle Winkelmann, olle Winkelmann,
Was süppst du denn so sehre?«

Und nun die Entgegnung des alten würdigen Mannes:

»Wat geiht di denn min Supen an,
Wenn ick et man betahlen kann!«

Das erinnert an die wuchtigen Schlagverse einer antiken Tragödie. Und hat er denn nicht recht, der alte Mann? Und wie recht hätte er erst, wenn er's nicht bezahlen könnte! Die Frage, ob mit diesem berühmten Dialog eine Ehrung des alten Kunsthistorikers Winckelmann beabsichtigt sei, ist für den dichterischen Wert ganz belanglos. Die Verse gelten eben für jeden Winckelmann, wenn er auch ganz anders heißt.

»Ein altes Weib auf der Turmspitze saß
Und sauren Kohl mit Käse aß« –

ja – wer, frage ich, würde sich mal um die alte Frau kümmern, wenn es nicht der kommersierende Student thäte?! Und wie ungerecht ist die Beschuldigung, daß er über dem Kneipen die Studien vernachlässigte! In den allbekannten Versen

»Der Herr Professor
Liest heut' kein Kollegium,
Drum ist es besser,
Wir trinken eins rum«

ist es doch für jeden Wohlmeinenden offen ausgesprochen, daß nur deshalb getrunken wird, weil der Herr Professor nicht liest, und wenn hämische Gesellen behaupten, der Herr Professor lese eben deshalb nicht, weil alle Studenten trinken gegangen wären, so ist das für den Effekt ja ganz gleichgültig. Jedenfalls zeigt das gediegene Lied

»Gennn–eral Laudon, Laudon rückt an, an, an,
Gennn–eral Laudon, Laudon rückt an.
Laudon rückt an, an, an,
Laudon rückt an, an, an,
Gennn–eral Laudon, Laudon rückt an.«

auf das deutlichste, daß die Studenten sogar bei der Kneipe unermüdlich Geschichte repetieren, und wer aus eigener Bemühung weiß, welch unausgesetztes Studium es erfordert, den »Abt von Philippsbronn« mit »Pst« und Pfiff und Schnalz- und Schnarchgetön (im richtigen Tempo bitte!) zu singen, und wer beobachtet hat, bis zu welcher idealen Vollkommenheit es darin selbst schwächer begabte Talente bringen, der kann den Studiertrieb der kommersierenden Jugend nicht anders achten als hoch. Ist doch auch die höchste Blüte des Erkennens, die rechte Selbsterkenntnis, durch Worte von ewiger Geltung zum Ausdruck gekommen, z. B. in den Worten des biederen Mannes der als Grobschmied und Vater inspizierender Weise nach Halle kommt und seinem flotten Sohn auf dessen Fragen: »Was macht die liebe Frau Mama, was machen die zarten Schwesterlein?« so schlicht als wahr erwidert:

»Se sünd noch all recht fett und rund;
Se seggen, du bist en Swinehund.«

Wer nur sehen will, der sieht also klar genug, daß der Studio sich nicht schont, vielmehr die härtesten Selbstanklagen mit Mut und Ausdauer verträgt. Wer auch erhebt machtvoller die Stimme der Menschlichkeit, als er es thut in den tief gemütvollen Worten:

»Reißt dem Kater den Schwanz aus,
Reißt ihn aber nicht ganz aus! (Bravo!)
Laßt 'n kleinen Stummel dran,
Daß er wieder wachsen kann!«

und wer macht sich zum dröhnenden Sprachrohr des verfolgten lepus parvulus und trägt seine rührende Klage an das Ohr der Mitwelt?

Longas aures habeo,
Brevem caudam teneo.
Quid feci hominibus,
Quod me sequuntur canibus?

Caro mea dulcis est,
Pellis mea mollis est.
Quid feci hominibus,
Quod me sequuntur canibus?

Quando reges comedunt me,
Vinum bibunt super me.
Quid feci hominibus,
Quod me sequuntur canibus?

Mein Freund, der Vernünftige, hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß die Menschen den Hasen ja eben deswegen verfolgten, weil sein Fleisch so süß und sein Fell so weich sei. O meine Brüder, soll ich ihm 'mal eine 'runterhauen? Aber nein! Seien wir duldsam gegen die Armen, denen nicht geworden ist, das Farbenspiel des Lebens zu kosten, und steigen wir als glückselige Wissende empor zu immer höheren Höhen des Tiefsinns. Sursum Corda!

Da gelangen wir denn zu den orphischen Worten vom Bock, der nicht milchen will.

»Mich wundert nichts, als daß, als daß
Der Bock nicht milchen will,
Und frißt doch allzeit Gras,
Und frißt doch allzeit Gras.«

Millionen von Menschen, ganze Geschlechter von Erdbewohnern sind achtlos an diesem Phänomen vorübergegangen, oder wenn sie es auch beobachtet haben, so fanden sie doch nicht den Mut, nach der Ursache zu fragen. Erst der trinkende Student fand diesen Mut. Gewiß: beantworten konnte auch er diese Frage nicht, das mußte er den Professoren überlassen, die die merkwürdige Erscheinung längst auf die Männlichkeit des Bockes zurückgeführt haben; aber schon der Mut, eine solche Frage zu stellen, ist bewunderungswürdig.

Die Behauptung:

»Häßlichkeit entstellet immer,
Selbst das schönste Frauenzimmer.«

erfordert schon weit weniger Mut. (Denn wenn ein schönes Frauenzimmer durch Häßlichkeit entstellt wird, was nützt ihm dann seine ganze Schönheit?! Ja: kann man in einem solchen Falle überhaupt noch von einem »schönen Frauenzimmer« sprechen? Mein ernsthafter Freund verneint es rundweg.)

Von kühnstem, bis in die Polarregionen vordringendem Forschergeiste zeugen die sehr belehrsamen und bildungsvollen Verse vom Eskimo.

»Der Eskimo – lebt manchmal wo;
Doch manchmal, da lebt er wo anders.
Er trinkt den Thran – wie Bier der Mann
Und reibet damit Salamanders.«

Aber das alles, so tief es ist, ist noch seicht und trivial im Vergleich zu dem Liede vom Frack!

»O wie bimmel, bammel, bummelt
O wie bimmel, bammel, bummelt
O wie bummelt mir mein Frack!
Ich hab noch nie einen Frack gehabt,
Der mir so sehr gebimmelbammelt hat.
O wie bimmel, bammel, bummelt
O wie bummelt mir mein Frack!«

Dies, ich wage das schämige Geständnis, ist mir das Höchste in der Dichtkunst. Hier ist nur Empfindung, Beobachtung und Bericht von Thatsachen; alle Reflexion ist vermieden. Der Dichter verzichtet auf jegliches intellektuelle Moment, er ist ein Volldichter. Dieses Werk konnte geschaffen und dann genossen werden bei gänzlich exstirpiertem Gehirn, ausschließlich mit Hilfe des Plexus solaris, jenes famosen Gangliengeflechts in der Magengegend. Über den Vortrag sei folgendes bemerkt: die Hände ruhen bis zu den Ellbogen in den Hosentaschen, die Cigarre hängt genau senkrecht im linken Mundwinkel, der Blick tastet mit elegischer Zärtlichkeit am Frack hinunter und sucht vergeblich den vorderen Teil der Schöße. Tempo: das hartnäckigste Largo, nach Mälzel Viertelnote = 1. Aber –:

Jetzt kommt ein wichtiges Aber. Auch in diesem höchsten Moment soll der Kneipant noch so viel Herrschaft über sich besitzen, daß er mit ernster Hingabe singt und sich im stillen über seinen Ernst unbändig amüsiert. Der größte Blödsinn wird ernst genommen: eben das macht den Kommers zu einem Bild des menschlichen Lebens. Und wen solch ein Ernst von Herzen heiter stimmt, der ist ein Herr des Lebens. Und das soll der Kneipant sein. Wir wollen mit dem Stumpfsinn spielen wie Brutus, und nachher wollen wir allerlei Tyrannen zum Teufel jagen. Sollte einer unter euch, liebe Brüder, gewähnt haben, daß ich die Entwickelung unseres Vaterlandes zur Bierarchie befördern helfen wolle, so hat er geirrt. Und wenn das edelste Münchener Bräu oder das süffigste Gold vom Rhein in Strömen fließt: oben auf schwimme der Mensch. Ihr sollt, liebe Brüder, euer geehrtes Innere begießen, auf daß der Mensch in euch zur Blüte komme.

Nein, das meine ich natürlich nicht, daß einer ein steifes Genick haben soll, daß einer sich nie vergessen soll, nie sich heiser singen soll, daß er für alles Getriebe um ihn her einen kühlen Polizeiblick bewahren soll, daß er ein dicker Klotz oder Pfahl sein soll, der von keinem Freudenstrudel sich fortreißen läßt. Solche Scheusale gehören in die Wolfsschlucht. Gottlob giebt es aber noch starke Kerle, die mitten durch Tabak- und Freudenqualm einen freundlich-festen Blick balancieren können, denen in seligsten Sekunden eherne Entschlüsse reifen und die, wenn's notthut, auf beide Füße springen und Männer sein können.

Denn bei einem rechten Kommers singt man ja auch solche Lieder wie »Freiheit, die ich meine« mit den seligschönen Versen:

»Auch bei grünen Bäumen in dem lust'gen Wald,
Unter Blütenträumen ist dein Aufenthalt.
Das ist rechtes Leben, wenn es weht und klingt,
Wenn dein stilles Weben wonnig uns durchdringt.
Wo sich Männer finden, die für Ehr' und Recht
Mutig sich verbinden, weilt ein frei Geschlecht.
Das ist rechtes Glühen, frisch und rosenrot:
Heldenwangen blühen schöner auf im Tod.«

und solche Lieder, wie »An der Saale hellem Strande« mit den Versen:

»Drüben winken schöne Sterne,
freundlich lacht manch' roter Mund«

und mit fern versinkendem Blick sieht dann der Sänger alle Schönheit deutschen Landes: er hört den heiligen Gesang seiner Wälder und blickt mit sinnenden Gedanken hinaus in ihre grünen Dämmerungen und hinab in den bilderreichen Spiegel heimatlicher Ströme. Und wie vom Söller her ihm schöne Augensterne winken, steht in seinem Herzen der junge, süße Wirbelsturm der Liebe auf. Und schön ist in jungbrausender Seele der ernste Gedanke an den Tod für ein heiliges Gut.

Jugend sei das vornehmste Getränk an eurem Tisch. Daß ihr aber auch im grauen Haar noch jubilieren möget, bewahrt in eurem Keller von diesem edelsten Getränke ein ungeheures Faß, das bis ans Lebensende vorhält. Eines der herrlichsten Gebete, die je gesprochen worden, ein Gebet Heinrich Heines, sprecht es täglich nach; es heißt: »Ihr Götter, ich bitte euch nicht, mir die Jugend zu lassen; aber laßt mir die Tugenden der Jugend, den uneigennützigen Groll, die uneigennützige Thräne!«

Und nicht so soll es sein, wie in jenem spöttischen »Rückerinnerungslied«, wo es heißt:

»Heute Kriegsgeschrei und Fehde allem, was die Lust vergällt,
Morgen salbungsvolle Rede über diese Sündenwelt.
Heute Feindschaft dem Philister, der gehorsamst denkt und schweigt,
Morgen vor dem Herrn Minister demutsvoll das Haupt geneigt.«

So soll es nicht sein, liebe Brüder, so nicht! Auch sollen die Jungen unter euch nicht meinen, daß sie nachher mit der schneidigen Wurschtigkeit der Bierlogik und Bierjustiz auf den Köpfen ihrer Mitmenschen herumpräsidieren können. Wer vom großherzigen und großäugigen Jugendtrutz nichts hinüberrettet in sein Manneswerk, den soll, was er gekneipt hat, wiederkneipen, dem soll jeder Tropfen zu Gicht werden, und die soll ihm in den Hinterfüßen nur so lange rumoren, bis er ernstlich anderen Sinnes wird.

Und wenn er dann einmal wieder mit alten und ältesten Herren zusammenkommt zu fröhlicher Runde und er vom Angesicht der andern den Wandel der Dinge liest, wenn er in eines Augenblicks Erleuchtung überschaut, was alles anders gekommen, wie er es einst gehofft, und von den Wänden ein ernstes Wort hallt: Vergänglichkeit – wenn dann das herrlichste und wehmutvollste aller fröhlichen Lieder steigt, das Lied von der dahingeschwundenen Burschenherrlichkeit, und wenn zuletzt der feierliche Augenblick kommt, da alles sich erhebt und einstmals oft verflochtene Hände sich wiederfinden: Dann mag er's mit ehrlich bejahendem Herzen mitsingen, das schöne Bekenntnis:

»Klingt an und hebt die Gläser hoch,
Die alten Burschen leben noch,
Es lebt die alte Treue!
Es lebt die alte Treue!«

Und nun, liebe Brüder, wollen wir trinken auf alle, die vom breiten Stein nicht wanken und nicht weichen. Aber auf die, die verlernt haben, daß es Tage giebt »von besonderem Schlag«, Tage, so schön, daß man zu ihnen gar nichts anders sagen kann als » Ergo bibamus!« – auf die – auf die wollen wir auch trinken. Schon um unsertwillen. Das wäre ja auch noch schöner, wenn wir um deretwillen dürsten sollten! Wir wollen auf sie trinken in der Hoffnung, daß sie sich bessern. Auf jeden einzeln! Das schmeichelt ihnen; das greift ihnen an die Ehre. Dann gehen sie in sich.

Nachher trinken wir dann noch auf die Temperenzler; das sind sie uns schuldig. Prost!


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