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III.
Kronprinzessin Luise von Preußen


»Die ist es oder Keine sonst auf Erden!«

Während so Luise die Entwicklung zur Jungfrau in dem traulichen Kreise des Darmstädtischen und Hildburghauser Hofes und unter den wohlthätigen Einflüssen einer gut geleiteten Erziehung durchmachte, zog sich am politischen Himmel das Unwetter zum drohenden Ausbruch zusammen und nahte mit seinem Donner und seinen Blitzen mehr und mehr auch den deutschen Fluren. Die Völker des östlichen Europa, namentlich aber die deutschen Staaten hatten sich wenig um die ersten revolutionären Bewegungen in Frankreich gekümmert. Es schien auch im Anfang, als würden sich diese lediglich auf französisches Gebiet beschränken und nicht zur Offensive gegen die dem Umsturz feindlich gesinnten Mächte übergehen. Daß aber »der Beste nicht in Frieden leben kann, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt,« sollten die deutschen Weststaaten bald genug zu ihrer Bestürzung erfahren. Indem die deutschen Fürsten eifrig bemüht waren, mit der ängstlichsten, oft ins Kleinliche ausartenden Ueberwachung jedes Uebergreifen der verderblichen geistigen Bewegung auf deutsches Gebiet zu verhindern und das Gift aufrührerischer Gesinnung im Keime zu ersticken, konnten sie sich doch nicht dazu entschließen, zur rechten Zeit thatkräftig dem bedrohten Königthum in Frankreich beizustehen. Noch erkannten sie nicht im ganzen Umfang, wie mit jenen revolutionären Stürmen der Anstoß zu einer antiroyalistischen Bewegung fast in der ganzen europäischen Staatengruppe gegeben war und daß es hier galt, bei Zeiten den eigenen Heerd vor dem Nahen des Feuers zu schützen.

Andrerseits aber kann man es gerade den deutschen Fürsten nicht so sehr verargen, daß sie sich den französischen Wirren möglichst fern zu halten suchten, denn was bei einer Einmischung in linksrheinische Verhältnisse herauskomme, hatten sie genugsam zu ihrem Leidwesen erfahren. Es gab auch so Manche, die in den zerstörenden Szenen im Trianon zu Versailles und in Paris das gerechte Strafgericht Gottes für die Schandthaten der Mordbrandschergen der Vorfahren Ludwigs XVI. erblickten und den Franzosen solche Züchtigung gönnten.

Kaiser Leopold gab sich anfangs Mühe, den drohenden Sturm durch diplomatische Verhandlungen zu beschwören, – als ob die Glacéhandschuhe der Diplomatie am rechten Ort gewesen wären gegenüber einer Masse von Jacobinern und Pariser Klubrednern, die aller und jeder völkerrechtlichen Sitte spotteten.

Auch Preußen unter Friedrich Wilhelm II. hielt sich ganz wie später beim Ausbruch des napoleonischen Krieges in der Defensive, wenngleich sein gutmüthiger Monarch von tiefstem Schmerze und banger Besorgniß um das Schicksal des französischen Königspaares erfüllt war. Daß der Krieg zwischen den beiden benachbarten Mächten ein nothwendiger war, lag für die tiefer Blickenden klar zu Tage; er wäre selbst dann nicht zu vermeiden gewesen, wenn die Gewaltthaten sich nicht so früh und herausfordernd gegen Ludwig XVI. und Marie Antoinette gerichtet hätten. Offenbarte doch im Dezember 1790 einer der einflußreichsten Führer der Girondisten, Brisfot, bei einer im Jacobinerklub gehaltenen Gastrede das ganze Geheimniß der französischen Revolutionspolitik, zu deren Träger sich nachmals Napoleon machte, gegenüber den europäischen Höfen –: »Aus Gründen und Thatsachen habe ich mich überzeugt, daß ein Volk, welches nach zehn Jahrhunderten der Knechtschaft sich die Freiheit erobert hat, einen Krieg haben muß. Wir müssen den Krieg haben, um die Freiheit zu befestigen, um alle die verschwinden zu machen, welche sie verderben wollen. Unsere Ehre, unser Credit, die Nothwendigkeit, unsere Revolution moralisch zu machen (!) und zu befestigen, legt uns diese Pflicht auf.« Das waren die Reden der Männer von der Brüderlichkeit, in deren Ton auch später Kaiser Napoleon verfiel, weil er wußte, mit solchen Phrasen könne er seine Franzosen den Raubkriegen gegen Europa geneigt machen, zumal wenn er von seinem Zwecke sprach, »Deutschland die Unabhängigkeit zu verschaffen«, – Deutschlands Unabhängigkeit von Napoleons Gnaden!

Inzwischen hatten sich in den. Städten am Rhein, namentlich in Koblenz, wie in einem Hauptquartier, die französischen Emigranten in hellen Haufen gesammelt, um von hier aus eine Gegenbewegung gegen die Jacobiner ins Werk zu setzen und sich dazu wo möglich der Hülfe des Königs Friedrich Wilhelm II. zu versichern. Endlich kam es sogar zu einem Schutz- und Trutzbündniß Preußens und Oestreichs am 7. Februar 1792, auf welches die französische Nationalversammlung, die sich schon für souverän erklärt hatte, mit der Kriegsnote an die Aliirten im April antwortete.

Hätten die verbündeten Heere sich mit voller Stärke gleich damals auf die französische Armee geworfen, so wäre ihr Sieg ein zweifelloser gewesen. Sie zauderten aber, bis es zu spät war und die von Mord und Raub berauschten Volksmassen in Frankreich sich um die Fahnen der Revolutionsheere sammelten, um so einen zwar undisciplinirten, des Krieges ungewohnten, aber durch die entflammten Leidenschaften furchtbaren Gegner zu bilden, der sich bald nicht mehr damit begnügte, die heimische Erde zu vertheidigen, sondern eroberungslustig auf deutsches Gebiet hinüberzuschweifen begann.

Ein gänzlich verfehltes und die Rachegefühle der Franzosen unnütz aufstachelndes Manifest des Herzogs von Braunschweig eröffnete unglücklich genug den denkwürdigen Feldzug. Wie dieser alte General die Kriegführung verstand, der freilich unter Friedrich dem Großen ein brauchbarer Feldherr gewesen sein mochte, sich aber in der Leistungsfähigkeit der wie aus dem Boden wachsenden französischen Armeen stark täuschte, dafür dient zum Beweise, daß die Preußische Armee zum Marsche von Koblenz bis an die französische Grenze 20 kostbare Tage brauchte und sogar erst nach 50tägigem Hin- und Herziehen den Feind bei Valmy statt bei Paris traf.

Anfangs schien es, als wollte sich das Kriegsglück auf die Seite der verbündeten Deutschen Armeen neigen, die Festungen Longwy und Verdun ergaben sich nach kurzer Gegenwehr, die Kanonade bei Valmy am 20. September, in welcher der Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen die größte Unerschrockenheit bewies, fiel, wenn auch nicht in entschiedener Weise, doch vorwiegend zu Gunsten Preußens aus.

Aber jetzt trat die Wendung ein, die schon durch die frühere Saumseligkeit vorbereitet war. Die Preußen benutzten den Vortheil nicht, den sie bei Valmy über den Feind errungen, die Revolutionsarmeen konnten sich zusammenziehen und unaufhaltsam sich auf das Feindesland ergießen, da sie einmal durch die fürchterliche, für sie aber ziemlich unblutig ausgefallene Kanonade gelernt hatten, »daß im Kriege nicht alles so gefährlich ist, wie es aussieht.«

Als ein kleines Vorspiel zu der großen Tragödie, wie sie nachmals durch Napoleon gegenüber der zaudernden Kriegführung der preußischen Truppen aufgeführt wurde, hätte der Zustand der verbündeten Armeen im Jahre 1792 lehrreich genug werden können, aber Preußens Generäle hatten seit den Tagen Friedrichs des Großen nichts zugelernt und vielleicht auch viel vergessen. Bei der in historischen Darstellungen früher viel beliebten planmäßigen Uebertreibung von der heldenmüthigen, unwiderstehlichen Kampfesweise der Revolutionsheere unter Dumouriez und Bonaparte verdient das Zeugniß eines neueren Historikers die größte Beachtung, wenn er sagt: »Das entscheidende Loos konnte über Frankreich längst geworfen sein, ehe die Hunderttausende im Felde standen, die das Geheiß des Convents ins Feldlager trieb, ehe die Waffen geschmiedet, die Geschütze gegossen und die Munition beschafft war. Das Verdienst gebührt nicht jacobinischer Energie, sondern lediglich der Coalition selbst, die während eines halben Jahres überall vermocht hatte zu siegen, aber nirgends den Sieg entscheidend zu benutzen. Die Idee eines Kampfes für das Königthum war überall zurückgedrängt durch die Macht der Sonderinteressen.«

Bald mußten die verbündeten Armeen den Rückzug über den Rhein antreten, wobei man noch fortwährend mit Dumouriez zu unterhandeln suchte. Hierbei machte sich zuerst deutlich der gegenseitige Neid zwischen Oestreich und Preußen geltend, der in der ganzen Campagne so verderblich gewirkt hatte; und als vollends die polnische Frage aufs Neue am politischen Horizont ausstieg, war es mit jeder concentrirten Thätigkeit vorbei.

Während so der Schwerpunkt der deutschen Politik nach Wien in das Kabinet der über die Theilung Polens berathenden Diplomaten gelegt war, drang die französische Armee immer weiter auf das Herz Deutschlands vor, besetzte das sehr jacobinisch gesinnte Mainz mit leichter Mühe und zog am 23. October 1792 in die Krönungsstadt Frankfurt siegreich ein, wo wenige Monate vorher der letzte deutsche Kaiser aus habsburgischem Geschlecht sich die Krone aufs Haupt gesetzt hatte. Dem tapfern General von Rüchel gelang es freilich, das französische Corps wieder aus der Stadt herauszuschlagen, so daß diese zum Hauptquartier für die verbündeten Armeen und zur Ueberwinterung bestimmt wurde.

Hier befanden sich im Winter des Jahres 1792/93 König Friedrich Wilhelm II. von Preußen und seine beiden Söhne, Kronprinz Friedrich Wilhelm und Prinz Ludwig. Die Preußischen Prinzen hatten sich in dem letzten Feldzuge unter den Augen ihres Vaters aufs rühmlichste vor dem Feinde ausgezeichnet, freilich ohne den Ausgang des Krieges dadurch günstiger zu gestalten.

So hatte das erste kriegerische Wehen, welches später zu einem verheerenden Orkan für Preußen anwachsen sollte, die beiden jungen Herzen einander nahe gebracht, die dann unter seinen vernichtenden Folgen noch enger und fester, mit nur durch den Tod löslichen Banden gefesselt, an einander schlugen. Ein rauher Hochzeitwerber fürwahr, dieser erste Feldzug gegen die entzügelten, schlechten Eigenschaften des französischen Volkes; ein verhängnißvolles Omen, jene bald daraus im Kriegslager angesichts der Feinde stattfindende Begegnung zwischen der Prinzessin Luise und dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm!

Luise befand sich im März 1793 noch in Hildburghausen bei ihrer Schwester Charlotte, mußte aber bald nach ihrem 17. Geburtstag auf der Heimreise nach Darmstadt das friedliche vom Thüringer Walde umkränzte Städtchen vertauschen mit der Nähe des deutschen Hauptquartiers, in welchem sie jetzt wie eine überirdische Erscheinung unter das wüste Kriegsgetümmel trat.

Der Landgraf von Hessen nämlich hatte mit seinen nicht unbedeutenden Truppen sich der verbündeten Armee angeschlossen und befand sich damals in Frankfurt in der unmittelbaren Umgebung des preußischen Königs. In einer gewissen romantischen Anwandlung ließ er an die alte Landgräfin Marie, Luisens Großmutter, ein Einladungsschreiben ergehen, sie möchte doch mit den beiden Prinzessinnen dem Feldlager die Ehre ihres Besuchs schenken, wobei er gleich die jungen Damen dem Könige, mit dem sie ja ohnehin weitläufig verschwägert seien, vorstellen könnte. Man sieht, wie damals doch noch mehr oder weniger dem sich ernst genug gestaltenden Kriege auch eine liebenswürdige Seite abgewonnen wurde und man sich gern die vielgelesenen italienischen Heldengedichte eines Tasso und Ariosto zum Muster nahm, in denen gepanzerte Krieger und zarte Jungfrauen in buntem Durcheinander unter dem Klirren der Waffen die alten Beziehungen zwischen Mars und Venus erneuern.

Die Landgräfin folgte mit ihren beiden Enkelinnen Luise und Friederike der Einladung des Landgrafen Ludwig, wurde in Frankfurt sehr liebenswürdig von dem Könige Friedrich Wilhelm II. empfangen und entschloß sich gegen ihre ursprüngliche Absicht die Reise nach Darmstadt noch denselben Abend weiter fortzusetzen, – das Theater zu besuchen und dann beim Könige zu soupiren. Dieser Abend wurde für vier junge Herzen entscheidend.

Der Kronprinz Friedrich Wilhelm, der bisher nur selten mit jungen Damen von solcher Schönheit, Anmuth und Bildung zusammengekommen sein mochte, ergab sich dem allerersten Eindruck, den Luise auf ihn machte, für sein ganzes Leben. Aehnlich erging es dem Prinzen Ludwig beim Anblick der Prinzessin Friederike. Das ernste, verständige und biedere Wesen des preußischen Kronprinzen, der eine tüchtige Erziehung genossen und sich mitten unter dem üppigen Hofleben seines Vaters einen einfachen, unverdorbenen Sinn bewahrt hatte, gefiel der Prinzessin Luise jedenfalls besser, als das fade, tändelnde Wesen der andern fürstlichen jungen Herren, mit denen sie bisher in Berührung gekommen, und auch ihr Herz gab sich dem seinem an jenem Märzabende ganz zu eigen.

Noch als König hat Friedrich Wilhelm niemals den tiefen Eindruck vergessen, den die himmlische Erscheinung Luisens auf ihn damals ausgeübt; er habe sein ganzes Leben wie von einem neuen Lichte verklärt gesehen und mit Blitzesschnelle und Blitzesstärke habe ihn der Gedanke durchzuckt: » Die ist es oder Keine sonst auf Erden!« Besser als unsere Worte mögen die eigenen Erinnerungen des Königs dies schildern, die er im Winter des Schmerzensjahres 1810, nachdem »die Augen, die ihm als Sterne auf seinem Lebenswege gestrahlt,« die Augen seiner treuen Luise im Tode gebrochen, in schmerzlichster, nur mühsam verhaltener Bewegung dem Bischof Eylert, seinem aufrichtigen Seelenfreunde, in seiner kurz angebundenen, tief ergreifenden Ausdrucksweise mittheilte: »Habe mal über diese wunderbare wechselseitige Sympathie, in welcher verwandte Herzen sich gleich beim ersten Anblick begegnen und finden, etwas sehr Schönes in Schillers Schriften gelesen, wo treffend und wahr bezeichnet ist, wie mir und meiner seligen Luise zu Muthe war, als wir uns zum ersten Male sahen, und wie wir uns nachher so oft bekannt haben. Es war keine verliebte Sentimentalität, was gleichzeitig im Lichtblick ihre und meine Augen mit einer Freudenthräne netzte. Gott, was alles liegt nun zwischen jenem ersten Anblick, wo ich sie fand und diesem Tage, wo ich ihren Verlust beweine! Weiß wohl, solche sympathischen Gefühle sind die schönen Blüthen der ersten jugendlichen Liebe, sind nur einmal da und kommen nachher in dieser Reinheit nicht wieder. Aber gern denke ich daran und möchte wohl mal jene Stelle im Schiller wieder lesen, habe sie aber nicht finden können.«

Die Stelle bei Schiller, in der das Gefühl des ersten plötzlichen Erwachens der Leidenschaft mit so beredten Worten geschildert wird, steht in der »Braut von Messina« und lautet im Munde Don Cesars und Don Manuels:

»Wie es geschah, frag' ich mich selbst vergebens.
– Als ich die Augen wandte, stand sie mir zur Seite,
Und dunkel mächtig, wunderbar ergriff
Im tiefsten Innersten mich ihre Nähe.
Nicht ihres Wesens schöner Außenschein,
Nicht ihres Lächelns holder Zauber war's,
Die Reize nicht, die auf der Wange schweben,
Selbst nicht der Glanz der göttlichen Gestalt –
Es war ihr tiefstes und geheimstes Leben,
Was mich ergriff mit heiliger Gewalt,
Wie Zaubers Kräfte unbegreiflich weben –
Die Seelen schienen ohne Worteslaut
Sich ohne Mittel geistig zu berühren,
Als sich mein Athem mischte mit dem ihren;
Fremd war sie mir und innig doch vertraut,
Und klar auf einmal fühlt' ich's in mir werden:
Die ist es oder Keine sonst auf Erden! – –
– – Das ist der Liebe heil'ger Götterstrahl,
Der in die Seele schlägt und trifft und zündet,
Wenn sich Verwandtes zum Verwandten findet,
Da ist kein Widerstand und keine Wahl,
Es löst der Mensch nicht, was der Himmel bindet! – –

Dem Könige aber, der sich ganz in die schmerzlichen Tiefen der Erinnerung an ein unwiederbringlich verlorenes Gut versenkt hatte, schienen selbst diese Dichterworte noch nicht genugzuthun, die man ihm zeigte; sie reichten nicht an das Gefühl heran, welches er damals ureigen im tiefsten Herzen empfunden. Er meinte: »Ja, das ist die Stelle, von der ich sprach. Sehr schön! Macht aber jetzt einen ganz anderen Eindruck! Die Rosen sind abgefallen, Dornen übrig geblieben. In der Ehe selbst doch noch mehr gefunden als Poesie!«

Der Kronprinz und sein Bruder Ludwig waren von Jugend auf ein unzertrennliches Brüderpaar gewesen, im Felde deckte sie dasselbe Zelt, in der Heimat belehrte sie dasselbe Studium, erfreute sie dasselbe Spiel. So hatte sich in Beider Herzen eine gegenseitige Uebereinstimmung des Fühlens und Denkens herausgebildet, die im schönsten Einklang stand mit dem schwesterlich innigen Verhältniß, welches zwischen den beiden holden Prinzessinnen von Mecklenburg seit dem Tage herrschte, wo Beide gleichverwaist an dem cypressenbekränzten Sarge der Mutter gestanden, »gleiche Hoffnungen und Schmerzen, gleichgesinnte junge Herzen.«

Ganz unbekannt konnte der Prinzessin Luise der Name des freilich erst 23jährigen Friedrich Wilhelm nicht geblieben sein, denn schon bevor er wußte, daß das Auge der Geliebten jedem seiner Schritte folgte und ihr Herz bei seinen Heldenthaten lauter schlug, hatte er sich des Ruhmes der Vorfahren durchaus würdig gezeigt. Wenn man heute vom König Friedrich Wilhelm III. spricht, so pflegt man ihm zwar Gerechtigkeit und Anerkennung für seine Bürgertugenden und sein Verwaltungstalent im Großen wie im Kleinen angedeihen zu lassen, aber man will nicht viel von seinem kriegerischen Muth oder seiner militärischen Begabung wissen. Gerade jene Kriege gegen die französische Revolution haben das Gegentheil gezeigt: wiewohl der Kronprinz alle Entschuldigung verdiente, wenn er seine dem Vaterlande theure Person nicht leicht aufs Spiel setzte, so hat er doch an der Spitze seiner Heeresabtheilung sich die Achtung und Bewunderung des Generalstabes, ja selbst des feindlichen Oberbefehlshabers zu erringen gewußt. Von jenem Abend, an welchem seinem Herzen die schönste Offenbarung seines Lebens aufging, ließ wohl für einige Zeit das lebhafte Interesse an dem Fortgange des Krieges ein wenig nach; auch lag das die holde Braut beherbergende Darmstadt so verlockend nahe, daß er mit Genehmigung seines königlichen Kriegsherrn manchmal zum flüchtigen Besuch herüberritt. Die Geschichte des Frühlingsfeldzuges von 1793 wird ihm aber die Tage von Mainz und Kostheim nicht vergessen. In ihm klangen noch die Worte nach, die Friedrich der Große vor 8 Jahren zu dem verständig zu ihm aufschauenden Knaben im stillen Garten zu Sanssouci gesprochen: »Fritz, wenn einst die Zeit gekommen, dann denke an mich, wache über die Ehre unseres Hauses!«

Für uns hat es eigentlich nichts Wunderbares, daß zwei so vortrefflich angelegte Naturen, die bisher in der größten Einfachheit und Reinheit des Herzens aufgewachsen waren, beim ersten Begegnen und noch dazu unter so romantischen Umständen von einer herzlichen Zuneigung zu einander ergriffen wurden, – das einzig Wunderbare dabei ist nur die hohe Stellung der Liebenden und die Gestaltung ihrer Geschicke durch die Hand des Königs. Ehen aus Liebe waren an den Fürstenhöfen damals überaus selten, das Machtgebot der engherzigsten Politik, die in Koalitionen und Landerwerbungen ihre höchsten Triumfe feierte, herrschte mit unbeugsamer Härte über das Leben der vom Volke so oft mit Unrecht beneideten Söhne und Töchter der Fürsten. Und nun gar eine Heirat zwischen einer Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz (nicht einmal der Tochter des regierenden Herzogs), mit wenig äußerem »Eclat« und einer so sehr von der damaligen Schablone abweichenden Bildung, – und dem aussichtsreichen Königssohn, dem Erben eines der mächtigsten Throne Europa's, der unter den Töchtern von Kaisern und Königen die freie Wahl gehabt hätte! Hatte doch selbst der über manche zeitgenössischen Vorurtheile erhabene Friedrich der Große dem Bruder sein entschiedenes Verbot gegen eine Ehe mit der von diesem heißgeliebten Gräfin Pannewitz (der späteren Oberhofmeisterin der Königin Luise) ausgesprochen. Ein Nein des Königs Friedrich Wilhelm II. hätte also genügt, um die jungen Liebesblüthen, kaum erschlossen, wieder zu ertödten. Aber Friedrich Wilhelm, der Vielgeliebte, hatte neben manchen Fehlern seines Zeitalters doch einen so ausgesprochenen Familiensinn, der sich namentlich in der innigen Liebe zu seinen Kindern äußerte, daß er schwerlich seinem Erstgeborenen einen Lieblingswunsch abgeschlagen hätte.

Uebrigens hätte es dem Könige von Preußen auch schwer fallen dürfen, eine bessere Ehe für seine Söhne zu finden; denn die begehrenswerthen Prinzessinnen waren damals rar, Oestreichs Töchter hatten entschiedenes Unglück, wie das ja nachmals noch Marie Louise erfuhr, und auch sonst war die Auswahl keine zu große; zudem war bis dahin in der Hohenzollernfamilie meist die Sitte aufrecht erhalten worden, die zukünftige Landesmutter in deutschen Landen zu suchen. Ob auch die erfahrene Frau Landgräfin von Hessen ihr beim Könige viel geltendes Wort in die Wagschale geworfen? – genug, am 2. April durfte der Kronprinz seiner Mutter und seiner Großtante, der greisen Witwe Friedrichs des Großen, seine bevorstehende Verlobung melden und um ihren Segen bitten. Der Brief datirt aus dem Kriegslager von Mainz, wo der beglückte Bräutigam die Reserve der Division Kalckreuth kommandirte.

Der 24. April 1793 sah eine glückliche Familie im landgräflichen Schlosse zu Darmstadt, wo König Friedrich Wilhelm die Hände seiner Söhne Fritz und Ludwig in die der Prinzessinnen Luise und Friederike legte und mit väterlicher Grandezza selbst die Verlobungsringe ihnen an die Finger steckte.

Die Belagerung von Mainz nahm trotz Liebe und Verlobung ihren Fortgang, für die Prinzen nur unterbrochen durch gelegentliche Ausflüge nach Darmstadt; auch kamen wohl einmal die Bräute in die Zeltstadt der Belagerungsarmee, um dort am Arme ihrer Verlobten und in Begleitung des Königs sich zwischen den Zelten zu ergehen. Die Schönheit der Prinzessinnen muß eine auffallende gewesen sein, denn der damals doch nicht mehr so leicht erregbare Goethe, der bekanntlich im Gefolge seines Herzogs von Weimar den Feldzug mitmachte, schrieb in sein Kriegstagebuch ( »Campagne in Frankreich«): »29. Mai 1793. Bodenheim. Gegen Abend ward uns, mir aber besonders, ein liebenswürdiges Schauspiel bereitet. Die Prinzessinnen von Mecklenburg hatten im Hauptquartier zu Bodenheim bei Seiner Majestät dem König gespeist und besuchten nach der Tafel das Lager. Ich heftelte mich in mein Zelt ein und durfte so die hohen Herrschaften, welche unmittelbar davor ganz vertraulich auf und abgingen, auf das Genaueste betrachten. Und wirklich konnte man in diesem Kriegsgetümmel die beiden jungen Damen für himmlische Erscheinungen halten, deren Eindruck auch mir niemals erlöschen wird

Diese bezaubernde Anmuth der Erscheinung hat sich Luise als Königin wenn möglich noch in einem durch ihre erhabene Stellung erhöhten Reize zu erhalten gewußt. Das geradezu Ueberirdische ihres Wesens hat ihre Zeitgenossen zu Aeußerungen begeistert, die uns überschwänglich klingen würden, wenn wir nicht aus ihrer Gesammtheit schlössen, wie berechtigt dieselben gewesen. Auf sie trafen Göthes Worte zu von den seltenen Wesen, die schon auf Erden von einer Strahlenkrone himmlischen Glanzes umwunden den Augen der Menge sich darstellen, »hinter ihr in wesenlosem Scheine lag, was uns alle bändigt, das Gemeine!« Ihre vertrauteste Freundin, die Frau von Berg, hat in der Aufwallung des Schmerzes um den unersetzlichen Verlust von ihr geschrieben: »Es war etwas in ihr, was wir eine Verklärung des Lebens nennen möchten, was dem Gewöhnlichen im Leben so ungleich war und in dessen Nähe man sich gleichsam so veredelt und beglückt fühlte, daß der Königin der Name » Engel« bei Denen, die ihr Wesen ganz durchschauten, vorzugsweise geworden war. »Der Engel« wurde sie genannt von Allen, deren Herzen sie am nächsten war.«

Selbst der über Illusionen erhabene Hufeland, der Leibarzt der Königlichen Familie, konnte sich dieser Macht eines höheren Gemüths nicht entziehen und sprach fast in denselben Ausdrücken von »jenem unbeschreiblich seligen Gefühl, was man immer in ihrer Nähe hat, gleichsam das Gefühl der Nähe eines himmlischen Engels.« Und als gar der graubärtige Haudegen Blücher die Nachricht von dem Tode seiner Königin empfing, brach er in einer eigenthümlichen Weichheit in die Worte aus: »Die Heilige ist im Himmel!« – um dann aber seiner sentimentalen Stimmung sich zu entledigen: »In meiner jetzigen Stimmung wäre mir nichts lieber, als wenn ich erführe, die Welt brennte an allen vier Ecken! Dixi et salvi anima meus."

So gewinnt denn auch ein gemüthvolles Wort des von Bewunderung für seine holdselige Schwiegertochter erfüllten Königs Friedrich Wilhelm II. eine ganz eigenthümliche Bedeutung, wenn er sie die » Fürstin aller Fürstinnen« nannte. Wie sehr er auch selber einer verderbten Zeit den ihr für schuldig gehaltenen Tribut brachte, so konnte ihm doch die wahre weibliche Würde, welche die Kronprinzessin Luise umfloß, nicht entgehen und er mochte ihr gegenüber innerlich aufgeathmet haben nach dem Umgang mit leichter Weiberwaare wie einer Lichtenau oder Rietz.

Die väterliche Herzensfreude an den prächtigen Schwiegertöchtern, die seine Söhne ihm ins Haus führen wollten, war eine ungekünstelte; er hätte sogar trotz Krieg und kein Ende mit der Hochzeit kurzen Prozeß gemacht, wenn ihm andrerseits nicht der hohe Beruf seiner Söhne vorgeschwebt hätte, die nicht eher vom Kriegsschauplatz abtreten durften, als bis sie sich als ächte Hohenzollern vor dem Feinde bewährt und etwas Tüchtiges geleistet hätten.

Es war das ein ritterlicher Zug in dem König, daß er Alles aufbot, um, freilich zu spät, den französischen Königsmord an seinen Urhebern zu rächen, der ihm, wie Augenzeugen berichten, so nahe ging, daß er Tagelang wie ein Trübsinniger sich benahm und Trank und Speise ihm aufgenöthigt werden mußte. Mit stolzer Genugthuung mußte ihn daher die Unerschrockenheit des Kronprinzen bei der Belagerung von Landau erfüllen, der im glücklichen Gefühl erwiderter Liebe nach jeder Gelegenheit begierig war, sich des Besitzes der Geliebten würdig zu zeigen. In den Gefechten vor Landau entspann sich ein schöner Wetteifer zwischen Vater und Sohn um den Preis der Unerschrockenheit. Friedrich Wilhelm II. bewies hier die angeerbten Eigenschaften seines Stammes: Unverzagtheit, wenn's Noth thut, wie andrerseits Friedensliebe und Widerwillen gegen unnützes Blutvergießen seiner Landeskinder.

Als endlich die Uneinigkeit unter den Verbündeten dem Könige den Krieg verleidete, und er sich nach dem für die Preußischen Waffen rühmlichen Siege bei Pirmasens mit Anstand vom Kriegsschauplatz zurückziehen konnte, that er dies um so lieber, als er sich doch am wohlsten in seinem Schlosse zu Berlin fühlte und auch seinen Söhnen den baldigen Abschluß der von ihnen sehnlichst herbeigewünschten Vermählung von Herzen gönnte. Am 29. September verließ er die Rheinarmee und zwei Monate darauf folgten ihm seine Söhne, die ihren fürstlichen Bräuten in die künftige Heimat vorauseilten.

Am 21. Dezember traf Luise mit der Schwester in Potsdam ein und wurde von der loyalen Bevölkerung dieser Lieblingsstadt der Preußischen Könige mit ungeheuchelter Freude empfangen. Der Morgen des 22. Dezember sah die schaulustigen Berliner, getreu ihrer diesmal verzeihlichen neugierigen Gewohnheit bei so nahe sie angehenden Festlichkeiten, wie ein Spalier auf allen Straßen aufgestellt, durch welche der »Triumfzug« seinen Weg nehmen sollte.

Wir unterlassen es, die Farbe der Uniformen der Gilden, Gewerke und wie all die guten Zünfte sich nennen mochten, zu schildern, auch wie sich die eigensinnigen freien Bürger nicht das Prä vor den doch nur dienstthuenden Kammerjunkern bei der Einholung nehmen ließen, – genug der immer stärker anwachsende Zug, voran die Galawagen im dickaufgetragenen Roccoco, wie sie sich bei ähnlichen Gelegenheiten ja noch jetzt zum größten Ergötzen der Berliner zuweilen zeigen, bewegte sich langsam die »Linden« entlang nach dem Platze, auf dem heute Friedrichs des Großen Reiterstatue vor dem Palais des Kaisers Wache hält über seine getreue Haupt- und Residenzstadt.

Was Berlin an Ehrenpforten und allegorischen Anspielungen zartester und ergebenster Gesinnung leisten kann, hat es seinem Königshause in guten wie in schlechten Zeiten reichlich bewiesen und mit einem unverkennbaren Takt hat es bei allen seinen Huldigungen diesem historisch gewordenen Platze stets den Vorzug gegeben. Auch am 22. Dezember 1793 bildete er den Mittelpunkt der Empfangsfeierlichkeiten. Alles ging dabei mit der größten, durch keine Polizei genirten Ordnung zu, – und wenn Jemand aus der für solche Gelegenheiten vorgeschriebenen Rolle fiel, so war das die angeborene Einfachheit und Unbefangenheit, die Luisens Herz inmitten des Gepränges bewahrte. Einem der kleinen Mädchen, die ihr knixend ein Begrüßungsgedichtchen hersagte, küßte die Prinzessin im überwallenden Gefühl der Freude Augen und Mund, wenn ihr auch die höchst korrekte Oberhofmeisterin voll Abneigung gegen alles außerhalb der Grenzen ihres Hofceremonienkodex Stehende die devotesten, aber schmerzlichsten Vorwürfe darob machte.

Wir erwähnen diesen von den Zuschauern mit unbeschreiblichem Entzücken aufgenommenen Vorfall nur, um den ganzen Gegensatz zu zeigen, in dem die Natur der für den Preußischen Thron auserkorenen Braut sich befand zu den erstarrten Formen, wie sie namentlich an den norddeutschen Höfen gang und gäbe waren. Ein kurzes, aber unendlich schönes Wort, welches vorbezeichnend ist für ihr Thun als Königin, sprach Luise bei dieser Gelegenheit als Erwiderung auf die Vorstellungen der Oberhofmeisterin von Voß: »Wie, darf ich denn das nicht mehr thun?« – Liegt hierin nicht das reizende, noch ganz kindliche Bewußtsein, etwas sehr Böses, aber in ihren Augen doch ganz Selbstverständliches gethan zu haben? Mit solchem Wort begann Luise die Eisscholle aufzuthauen, die sich durch ein übertriebenes Hofceremoniell zwischen Königshaus und Volk zu drängen drohte.

Die Schlußworte des oben erwähnten Begrüßungsgedichtes, welches sonst seinem Inhalte nach, wie dergleichen bestellte Poesie ja meist immer, höchst dürftig war, lauteten übrigens in ganz prophetischem Tone:

»Vergiß, was Du verlorst, – es soll ein schön'res Leben
Dir dieser Festtag prophezein.
Heil Dir, der künft'gen Welt wirst Du Monarchen geben,
Beglückter Enkel Mutter sein!«

Am heiligen Weihnachtsabend des Jahres 1793 reichte Luise dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm im weißen Saale des königlichen Schlosses zu Berlin die Hand zum Bunde fürs Leben, und die Thränen, die in dieser feierlichen Stunde ihre Augen benetzten, sprachen von dem Ernste ihres inneren Gelübdes, dem Gatten ihrer Wahl eine getreue Lebensgefährtin zu werden. Sie hat es in den bangen Schreckenstagen der Flucht auf der kalten Schneedecke von Königsberg nach Memel und gegenüber dem verzehrenden Flammenauge Napoleons königlich gehalten!

Der nächste Morgen des ersten Weihnachtstages zeigte den Berlinern ihre neue Kronprinzessin auf dem frommen Gange zum Dom, – das beste Geschenk des Christkindes am Ausgange des für Europa zum Schreckensjahr gewordenen Jahres V der Revolution. Zwei Tage später feierte Prinz Ludwig seine Vermählung mit der Prinzessin Friederike, und dem neuen Jahre sahen vier glückliche Menschen mehr mit seligem Herzen entgegen.


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