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II.
Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz


»Ihr ruhen noch im dunkeln Schooße
Die schwarzen und die heitern Loose.«

Die Wiege der Königin Luise von Preußen stand nicht an einem der durch Luxus und äußere Macht glänzenden Fürstenhöfe Europas. Nach menschlicher Berechnung wäre kaum anzunehmen gewesen, daß einer der kleinsten Staaten des nördlichen Deutschlands eines seiner Fürstenkinder auf den Thron Friedrichs des Großen heben würde, zumal da in jenen Zeiten noch mehr als heute Königsehen sich nach dem jeweiligen politischen Für und Wider zu richten pflegten.

Luisens Vater war ein einfacher Prinz von Mecklenburg-Strelitz, ohne große Aussicht, jemals zur Regierung zu gelangen. Die Aufmerksamkeit der Europäischen Höfe lenkte sich schon mehr auf das kleine Duodezländchen, welches sich damals nur einer einzigen Stadt erfreute, sowie auf den darin residirenden Hof, als durch eine Vermählung mit dem Regenten des reichsten und größten Landes der Welt aus einer Mecklenburgischen Prinzessin eine Königin von Großbritannien und Irland wurde. Die Tante Luisens, Prinzessin Charlotte, wußte durch eine liebenswürdige, wenn auch nicht von Erfolg gekrönte That die Augen des Königs Georg von England und Kurfürsten von Hannover auf sich zu ziehen: unter den Leiden des harten Kriegs- und Winterjahres 1760/61 schrieb nämlich die kleine muthige Prinzessin einen rührenden Brief an König Friedrich von Preußen, worin sie ihn beschwor, doch der Mecklenburger gnädigst schonen zu wollen und sie nicht mit überflüssigen Kriegsleiden zu drücken. Friedrich der Große mochte andere Dinge zu thun haben, als mit einer Mecklenburgischen Prinzessin, damals noch einem Kinde, sich in eine Korrespondenz über hochwichtige Staatsangelegenheiten einzulassen; er scheint aber doch dem Briefe Veröffentlichung gegeben zu haben, denn König Georg zeigte sich nachmals mit dessen Inhalt vollkommen vertraut.

Um die Zeit war nach dem Tode des Vaters Prinz Friedrich Adolph regierender Herzog von Mecklenburg geworden, der sich natürlich durch eine Heiratswerbung des stolzen England um die Hand seiner Schwester nicht wenig geschmeichelt fühlte. Er gab seine Einwilligung, und von zwei edeln Lords und Würdenträgern der britischen Krone geleitet hielt Prinzessin Charlotte ihren Einzug in London als Gemahlin Königs Georg III.

Königin Charlotte hatte noch einen jüngeren Bruder, den Vater Luisens, Prinz Karl Ludwig Friedrich, den sie ganz besonders liebte und mit häufigen Einladungen an den Englischen Hof bedachte. Auch Georg III. wollte seinem liebenswürdigen Schwager wohl und übertrug ihm die militärische Oberleitung der Hannöverschen Haustruppen. In dieser Stellung vermählte er sich mit einer Hessen-Darmstädtischen Prinzessin, Friederike Karoline Luise, durch welche Ehe Prinz Karl in verwandtschaftliche Beziehung, wenn auch etwas weitläufiger Natur, mit dem Königshause der Hohenzollern trat: eine Cousine seiner Gemahlin war nämlich mit dem damaligen Kronprinzen von Preußen, nachmaligem Könige Friedrich Wilhelm II., vermählt.

Prinz Karl residirte mit seiner kleinen Familie in Hannover und bewohnte hier den größten Theil des Jahres über ein unscheinbares Häuschen, wie es heute in dem stattlich verschönerten Hannover jeder Privatmann besser sein eigen nennt. Es stand in der Nähe des heutigen »Reitwall,« wurde im Laufe der Zeit abgebrochen, aus Achtung aber vor der Geburtsstätte der Königin Luise, die auch in seinen Räumen ihre ersten seligen Kinderjahre verlebt hat, in dem benachbarten Herrenhausen sorgfältig wieder aufgebaut. Wer den kleinen, übrigens sehr lohnenden schattigen Weg durch die Lindenallee, die von der Stadt in einer Stunde nach Schloß Herrenhausen führt, nicht scheut, kann noch heute von einem alten Veteranen der Befreiungskriege das Zimmer sich zeigen lassen, in dem Luise das Licht der Welt erblickte.

Preußens große Königin wurde ihren Eltern als sechstes Kind am 10. März des Jahres 1776 geboren. Sie wurde in der heute auch schon längst abgebrochenen Kirche »Zum heiligen Geist« in Hannover getauft und erhielt die Namen Luise Auguste Wilhelmine Amalie. Drei Kinder waren dem Prinzen Karl jung gestorben und so hatte er außer der jüngsten Prinzessin Luise nur noch zwei Töchter, Charlotte und Therese.

Wenige Monate nachdem der Himmel ihn mit seinem Töchterchen Luise gesegnet, veränderte sich auch seine Stellung zu seinen Gunsten, – er wurde zum General-Gouverneur von Hannover befördert und konnte von nun an das Regierungsschloß in der Leinestraße beziehen, wo er so unumschränkt herrschte, wie es die damaligen patriarchalischen Verhältnisse und sein ganz englisirter, um sein Stammland sich wenig kümmernder Souverän Georg nur irgend gestatteten.

Luise bekam noch eine Schwester, die Prinzessin Friedrike Spätere Königin von Hannover., und einen Bruder, Georg. Namentlich der Letztere hat mit unerschütterlicher Treue und Zärtlichkeit an seiner Schwester sein Lebelang gehangen, und im traulichsten Beisammensein mit dem jüngeren Bruder fühlte sich Luise als unglückliche, vom Schicksal gebeugte Königin am glücklichsten zu der Zeit, wo schon der Todesengel über ihrem Haupte schwebte und das holde Band der innigsten Geschwisterliebe zu zerreißen drohte.

Die Prinzessin Friederike Karoline, Luisens Mutter, starb schon im Jahre 1782 und ließ ihre Kinder im jugendlichsten und hilflosesten Alter zurück. Luise zählte bei dem Tode ihrer Mutter erst 6 Jahre, und wenn auch Kinderthränen, die am Sarge der Mutter fließen, schnell von dem tröstenden Hauche jugendlicher Sorglosigkeit getrocknet werden, so hat doch dies Ereigniß auf das gefühlvolle Kind sicher eine nachhaltige Wirkung ausgeübt. Sie hat in frühster Jugend das unbegreifliche Walten des Geschickes an sich erfahren, das, wie ein Dichter unter demselben Schmerzgefühl klagt, »die Mutter kann von ihrem Kinde reißen«; sie hat dann selbst das bange Pochen der Angst des Mutterherzens gefühlt, da sie auf ihrem letzten Lager dem sichern Tode ins Angesicht schaute und ihr quälender unverscheuchbarer Gedanke bis zu ihrem Sterbeseufzer war: »O, wenn ich meinen Kindern stürbe!« Der Verlust der eigenen Mutter in so jungen Jahren hat ihrem ganzen Leben den Charakter aufgeprägt, den sie in noch härterer Leidensschule später so herrlich offenbarte.

Wie treu und pietätsvoll die Frühverwaiste noch nach langen langen Jahren der Mutter gedachte, als sie selbst schon Mutter von blühenden Söhnen und Töchtern geworden, verbürgt die Unterredung, die sie einst mit ihrem königlichen Gemahl auf einem Spazierritt gehabt. Die Augen schließend, überließ sich Luise auf dem Rücken ihres guten Rosses ganz ihren Träumereien, und als der König besorgt fragte, ob sie etwa aus Furcht die Augen schlösse, antwortete sie: »Das nicht, aber, wenn ich beim Galopp die Augen zudrücke, dann ist es mir gerade, als schaukele ich mich in einer Wiege und ich träume mich in meine Kindheit zurück.« Und auf die Frage: »An wen denkt denn das Kind?« sprach sie weiter: »An wen anders als an meine unvergeßliche Mutter, der es leider nicht beschieden war, das Glück ihrer Luise an Deiner Seite zu erleben.« – Noch schöner ist das Wort, welches sie auf der Flucht nach Königsberg zu ihrer getreuen Berg geäußert: »Wie gut, daß dies meine liebe Mutter nicht erlebt hat!« Am besten aber bewies sie ihre Anhänglichkeit an das Andenken der Mutter durch die eigene Aufopferung für ihre Kinder, die im Leiden ihr Stolz und ihre Hoffnung auf eine bessere, wenn auch ihren Augen verborgene Zukunft waren. Sie hatte früh empfunden, was es heißt, mutterlos zu sein, und suchte darum ihren Kindern an Mutterliebe alles das zu Theil werden zu lassen, was sie selbst so schmerzlich früh hatte entbehren müssen. Wohl mochte auch ein Gefühl der Todesahnung durch ihre Seele zittern und sie sich deshalb mit gesteigerter Innigkeit an ihre Kinder, das beste Band des Lebens, klammern.

Prinz Karl, der tiefgebeugte Vater, der an seinen Kindern mit der hingebendsten Liebe hing, sah die Nothwendigkeit ein, den zarten verwaisten Wesen eine neue Mutter zu geben, und so führte er die Schwester seiner verstorbenen Gemahlin, eine Prinzessin Charlotte von Hessen-Darmstadt als seine Gattin heim, – aber auch sie starb nach kurzer glücklicher Ehe im Jahre 1784, nachdem sie einem Sohn das Leben geschenkt.

Da mochte es doch wohl dem zweimal vom Unglück so schwer heimgesuchten Prinzen Karl zu trübe auf der Seele lasten, länger an der Stätte zu weilen, wo ihm einst das schönste Familienglück gelächelt und wo er jetzt in dem fremden Lande sich fremder fühlte als je vordem. Er siedelte mit seinen 6 Kindern nach dem freundlichen Darmstadt über, um den einer weiblichen Erziehung und mütterlichen Leitung so dringend bedürfenden Prinzessinnen in der Großmutter die getreue Pflegerin zu geben.

Hier entwickelte sich die schon damals im holdseligsten Reiz kindlicher Schönheit und Unschuld strahlende Prinzessin Luise aufs glücklichste. An das Schloß, welches die Großmutter als frühere Landgräfin von Hessen-Darmstadt bewohnte, stieß ein herrlicher Garten, der durch die geheimnißvolle Grabstätte der berühmten Landgräfin Caroline, der Freundin Friedrichs des Großen, eine besondere Bedeutung hatte. Im französischen Geschmack Le Nôtre's angelegt, bot der Garten mit seinen langen Alleen, Grotten und Lauben den Kindern die reichste Gelegenheit zur freien Bewegung, und da in jenen Zeiten selbst die Fürstenkinder nicht übermäßig mit Vorbereitungen auf eine glänzende Zukunft geplagt wurden, so gedieh Luise zur Freude ihres Vaters in ungestörter Gesundheit.

Derselbe Garten hatte einst bei Lebzeiten der Landgräfin Caroline einen Wolfgang Göthe gesehen, in ihm ward ein großer Theil des »Tasso« geschrieben; hier wandelte auch Schiller bei einem vorübergehenden Besuch, nachdenkend über den damals entstehenden »Don Carlos.« Er hat wohl das kleine Mädchen, die im Garten munter mit den Schwestern herumsprang, kaum beachtet, und doch sollte sie es werden, die als Königin von Preußen beim Anbruch eines neuen Jahrhunderts den Dichter nach ihrer Hauptstadt Berlin lud, und die noch nach seinem Tode in den Zeiten schwerster Trübsal an seinen erhebenden Worten sich aufrichtete.

Aus den frohen Tagen im Darmstädter Schloß, wo nichts die hinausstrebende Kinderseele einengte, schreibt sich wohl für die Königin Luise der starke Zug zur Bewunderung der schönen freien Natur her. Nie hat sie sich in späteren Jahren nach ihrem eigenen Geständniß wahrhaft wohler gefühlt, als wenn sie die lästigen Fesseln des Hoflebens in den Palästen abstreifen und durch Wald und Flur wandern konnte. So suchte sie ihrem tiefen Hange nach dem Höheren und Ewigen einen faßbaren Ausdruck zu geben in dem innigen Anschmiegen an die Natur, die ihr diese Liebe auch stets reichlich vergalt. Ganz aus ihrer Seele gesprochen waren die Worte, die Hippel über die Liebe zur Natur schrieb: »Freude an der Natur ist das Probatum est eines guten Gewissens.« Wie in ihren Kindertagen, flüchtete Luise auch als Königin aus der Schwüle der Verhältnisse, so oft sie nur konnte, hinaus in Gottes freie Welt. »Ich muß«, heißt es in einer ihrer Aufzeichnungen hierüber, »den Saiten meines Gemüthes jeden Tag einige Stunden Ruhe gönnen, muß sie dadurch gleichsam von Neuem aufziehen, damit sie den rechten Ton und Klang behalten. Am besten gelingt mir das in der Einsamkeit, aber nicht im Zimmer, sondern in dem stillen Schatten der freien schönen Natur. Unterlasse ich das, dann fühle ich mich verstimmt, und das wird noch ärger im Geräusch der Welt.«

Luisens Großmutter hielt streng darauf, daß die Prinzessinnen, deren Vater ja nur ein mit geringen Glücksgütern gesegneter, apanagirter Fürst war, in der einfachsten Weise erzogen wurden. Rührend ist die wohlbeglaubigte Reminiscenz der Königin Luise, daß sie in ihren Mädchenjahren sich mehr als einmal die seidenen Schuhe, die Abends auf dem Parket des Gesellschaftssaales paradirten, selber angefertigt habe. Solche gediegene, schlichte Erziehung brachte es auch bei ihr zu Wege, daß sie unter dem hereinbrechenden Elend der Jahre 1806–1810 niemals den Verlust des äußeren Glanzes und Schimmers vermißte, der vielen Anderen ihres Ranges unentbehrlich gedünkt hätte, sondern ohne ein Wort der Klage darüber ihr Loos hinnahm und es sich nach Möglichkeit besser zu gestalten bemüht war.

In dem Herzen Luisens haben die ersten mächtigen Eindrücke der Jugend einen entscheidenden Einfluß auf ihr ganzes Leben ausgeübt, und alle, die ihr in den Jahren bis zu ihrer Erhebung auf den Thron Preußens nahe gestanden, werden sich nicht überrascht gefunden haben durch die Seelenstärke, mit der sie das Unglück ertrug, welches sie wohl beugen aber nicht erniedrigen konnte. Als Königin Luise im Februar des Jahres 1809 von den rauschendsten Festlichkeiten, die ihr zu Ehren der Russische Hof mit seinem galanten Kaiser an der Spitze veranstaltet hatte, aus Petersburg in die stille, einfache Wohnung nach Königsberg wieder zurückgekehrt war, schrieb sie mit dem an einer Frau doppelt bewundernswerthen Heldenmuth der Resignation: »Ich bin gekommen, wie ich gegangen. Nichts blendet mich mehr und ich sage: mein Reich ist nicht von dieser Welt!« Durch ihre Jugenderziehung war sie würdig gemacht, an der Seite des Königs zustehen, der sein Leben hindurch es sich zum Grundsatz gemacht hatte, »selbst die Groschen zu sparen, damit die Unterthanen des Thalers nicht entbehrten«, und der seinen nothleidenden Provinzen durch das leuchtende Beispiel weiser Sparsamkeit des Hofes ein Leitstern zur Besserung wurde.

Von den Erzieherinnen der Prinzessin Luise verdient eine hier nicht ungenannt zu bleiben, weil sie durch Wort und That nicht wenig dazu beitrug, die guten Keime in dem leicht zu lenkenden Kindergemüth zur Blüthe zu entfalten. Die Demoiselle Gélieux, eine fromme, dem lutherischen Bekenntniß angehörende Schweizerin, wurde an den Hof zu Darmstadt berufen, um den Unterricht der Prinzessinnen in ihre Hand zu nehmen, und sie hat sich des Vertrauens in vollstem Maße würdig gezeigt. Sie gefiel den Kindern sogleich durch ihr freundliches, auf die kleinen Leiden und Freuden der Jugendwelt theilnehmend eingehendes Wesen, und so wurde es ihr nicht schwer, ihren Liebling, die kleine Luise, schon früh in allen Tugenden zu üben, die einst in das Diadem der Königin die hellsten Steine setzen sollten. Sie war es namentlich, die in das empfängliche Herz des Kindes die Saat gläubigen Vertrauens auf eine göttliche Fürsorge ausstreute; von ihr hat Luise gelernt, in allen ihren Thaten den Höchsten rathen zu lassen und in bangen Stunden zuerst nach dem starken Anker des Wortes Gottes zu greifen. Aus so angelegtem frommem Gemüthe quollen die Verse des »Halleluja in Thränen,« wie sie den 126. Psalm gern nannte, den sie, die aus der Hauptstadt ihres Landes vertriebene Fürstin, mit einigen Aenderungen auf ihre Lage anwandte: »Wenn der Herr die Gefangenen und Schwerbeladenen erlösen wird, so wird uns sein wie Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lobes und unsere Zunge voll Rühmens sein. Dann wird die Welt sagen, der Herr hat Großes an ihnen gethan. Ja, Großes hat der Herr an uns gethan, dessen sind wir fröhlich. Herr, wende unseren Jammer und mach ein Ende unserer Noth, Du der dem tobenden Weltmeer Ufer setzest und Grenzen giebst. Die mit Thränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen edeln Samen; sie kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.«

Unter Leitung milder Hände und frommer Herzen wuchs Luise auf, – eine schöne Seele in einem schönen Körper. Früh hat sie es gelernt, wohlzuthun und mitzutheilen; sie wußte aus ihrer Jugendzeit her, wie man mit den Armen spricht, wie man oft mit Wenigem als ein rettender, von Kranken und Nothleidenden gepriesener Engel erscheinen kann. An der Hand der frommen Gélieux trat sie selbst, das holdeste Fürstenkind, wie eine freundlich lächelnde Fee in die Hütten und an das Lager des Elends, – und solchem Beruf ist sie auch als hohe königliche Frau mit Hintansetzung der vielgerühmten, ihr aber in solchen Fällen lächerlich, ja unsittlich erscheinenden Hofetikette getreu geblieben. Wie einst der große Stifter des Habsburgischen Hauses »was er als Ritter gepflegt und gethan, nicht wollte als Kaiser entbehren,« so hat auch Königin Luise die höchste Befriedigung in der Ausübung derselben beseligenden Tugenden gesucht und gefunden, die sie als unbeachtete Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz wie eine Kunst des Lebens erlernt hatte.

Eine Reise der Großmutter an den Hof ihrer mit dem Pfalzgrafen von Zweibrücken vermählten Tochter Wilhelmine gab der zwölfjährigen Luise Gelegenheit, in ein für damalige Reiseverhältnisse recht schönes Stück Welt hineinzuschauen. In der alten Reichsstadt Straßburg, seit einem Jahrhundert unter französischer Gewalt stehend, nahm die alte Fürstin einen etwas längeren Aufenthalt, und so durfte unter der Führung der treuen Gélieux mancher verwegene Ausflug in Stadt und Umgegend unternommen werden. Es hat wohl Niemand vor dem majestätisch und doch so graziös in die Lüfte ragenden Münsterthurm gestanden, ohne das Begehren zu fühlen, einmal da oben zu weilen und über Strom, Berg und Thal einen langen Blick zu werfen in das reiche zu den Füßen sich ausbreitende Land zwischen Vogesen und Schwarzwald. Schon der Weg zur Platform ist kein ganz müheloser, aber da oben angekommen, hoch über all den spitzen Dächern der guten Stadt Straßburg mit ihren anheimelnden Storchnestern, fühlte das junge Fürstenkind das Verlangen, noch höher in den schlanken Thurm hinaufzuklettern. Die zaghafte und doch so gutherzige Demoiselle mochte ihrem lieben Pflegling den unschuldigen Wunsch nicht unerfüllt lasten; aber allein durfte sie die Prinzessin auch nicht weiter steigen lasten, sich selbst wollte sie zu so schwindelnder Höhe nicht wagen, – ein einfaches, aber gleich der beredtesten Bitte wirkendes Wort genügte, um Luise von ihrem Vorhaben abstehen zu lassen.

Wie hätte dies junge Herz sich damals träumen lassen, daß durch einen ihrer Söhne dieser großartige Zeuge alter deutscher Macht und Herrlichkeit mit all dem verwälschten Lande zu seinen Füßen, soweit das trunkene Auge reichte, wieder zu einem der glänzendsten Juwelen in der Krone eines Deutschen Kaisers werden würde; daß der Strom, der dort im Osten unfern von der Münsterstadt floß und damals nicht einmal Deutschlands Grenze hieß, nach weniger denn einem Jahrhundert wieder wie ehemals nicht mehr Deutschlands Grenze sein sollte!

Ein kurzer Ausflug an die Niederländische Meeresküste beschloß diese erste größere Reise der Prinzessin Luise und voll der mächtigsten Eindrücke kehrte sie mit der Großmutter und ihrer Erzieherin wieder in das friedliche Schloß zu Darmstadt zurück.

Aus dem lieblichen Mädchen wird eine lieblichere Jungfrau, die im Bunde mit ihren Schwestern einen großen deutschen Dichter Jean Paul, Vorrede zum »Titan.« zur schwungvollsten Begeisterung hinreißt. Der schöne Kreis am Hofe der Landgräfin begann aber schon sich gemach zu lichten: die ältere Schwester Luisens, Therese, nahm als Gemahlin des Fürsten von Thurn und Taxis, reichspostmeisterlichen Andenkens, ihren Wohnsitz in Frankfurt am Main, in dem noch heute beim Eschenheimer Thor stehenden alten Fürstenschloß. Die Vermählung erfolgte in demselben Jahre, ja in demselben verhängnißvollen Monat Mai des Jahres 1789, wo in Frankreich die Empörung des Volkes gegen einen irregeleiteten Hof ihre Fesseln brach, um bald wie ein brüllender Löwe ganz Europa aus seiner Ruhe aufzuschrecken.

Während aber in der westlichen Hälfte des einstmaligen Reiches Karls des Großen alle Bande der Sitte und Ordnung sich lösten, zeigte das Deutsche Reich noch einmal sich in seinem größten, wenn auch rein äußerlichen Glanze. Am 1. September 1790 setzten die in Frankfurt versammelten Wahlfürsten des Reiches die Kaiserkrone Karls des Großen auf das Haupt des östreichischen Königs Leopold II. Solch ein Ereigniß versetzte die gute alte Krönungsstadt natürlich in die betäubendste Aufregung. Wer sich an der Schilderung des bunten Treibens, welches eine Kaiserkrönung mit sich brachte, ergötzen will, der lese die betreffenden Stellen in Göthes » Wahrheit und Dichtung,« wo Alles bis aufs Härchen, vom feierlichen Einzuge weltlicher wie geistlicher Kurfürsten in die Stadt bis zum Verspeisen des dem Volke preisgegebenen Festochsen auf dem Römerplatz, mit entzückender Farbenlebendigkeit dargestellt wird.

Nach altem Brauch wurde für die Dauer der Krönungsfeierlichkeiten die ganze Stadt in so viel »Quartiere« getheilt, wie Wahlfürsten erschienen. Ungewöhnlicher Pomp wetteiferte hier mit einander, jeder Hof suchte es dem andern an Glanz seines Auftretens, seines Gefolges zuvorzuthun. Das Kurfürstenthum Hannover erhielt als Quartier den Theil Frankfurts zugewiesen, welcher den Roßmarkt und den Großen Hirschgraben umfaßt. Eines der stattlichsten Häuser am Hirschgraben war und ist noch heute dasjenige, welches der Herr Rathsherr Kaspar Göthe mit beträchtlichen Kosten um die Mitte des 18. Jahrhunderts seinem Stande und seinen Neigungen gemäß hergerichtet hatte und in dem der große Bürger zweier Jahrhunderte Wolfgang Göthe zum ersten Male seine Augen dem Lichte erschloß. Zur Zeit der Krönung Leopolds II. wurde es nur noch von der berühmtesten Bürgerin Frankfurts, der Frau Rath Göthe bewohnt, die es sich in ächt reichsstädtischer Weise zur ganz besonderen Ehre schätzte, durch die splendideste Bewirthung und Beherbergung eines Theils der Krönungsgäste die Würde des Göthehauses zu bethätigen.

Die Prinzessinnen Luise und Friedrike von Mecklenburg-Strelitz waren mit ihren Hannöverschen Verwandten nach Frankfurt gereist und da sie sich doch eigentlich nicht zur Familie Kur-Hannovers betrachten konnten, ihr heimatliches Fürstenthümchen aber ebensowenig die Kurwürde besaß, wie Hessen-Darmstadt, so fühlten sie sich gewissermaßen als obdachlose Wesen, die keiner der »Großmächte« angehörten. Was war daher den beiden jungen Mädchen willkommner, als in dem angesehenen Hause der in ganz Frankfurt als liebreich bekannten »Frau Rath« Aufnahme zu finden, um so mehr als namentlich für Luise der Name Göthe damals kein ganz fremder war.

Das alte Herz der gleich ihrem großen Sohne ewig jung bleibenden ächtdeutschen Frau ging vor Freude bei dem Anblicke dieser beiden holden Geschöpfe wahrhaft wonnig auf. Das waren ihr die liebsten Gäste, die sie sich für ihr vereinsamtes, nur hin und wieder von dem Springinsfeld Bettina von Arnim erheitertes Haus wünschen mochte, und sie that in mütterlicher Fürsorge auch unermüdlich Alles, was sie ihren beiden munteren Gästen an den Augen absehen konnte. Sie theilte ihr Haus wie seine Erzeugnisse bis zu dem für die Prinzessinnen ganz neuen Eierkuchen mit ihnen und gerieth in einen heiligen Zorn, als die gestrenge Oberhofmeisterin die Beiden verhindern wollte, – einmal zu probiren, wie ein herzhaftes Pumpen an dem schon aus Wolfgang Göthe's Knabenjahren berühmten Brunnen thue, der auf dem gepflasterten Hofe hinter dem Hause steht. Welch ein inniges Verständniß für die kleinen Freuden einer harmlosen Jugend spricht nicht aus den Worten der Dichtermutter: »Ich hätte mir eher den ärgsten Verdruß über den Hals kommen lassen, als daß man sie in den unschuldigen Vergnügungen gestört hätte, die ihnen nirgendwo vergönnt waren als in meinem Hause; auch haben sie mir's beim Abschied gesagt, daß sie nie vergessen würden, wie glücklich und vergnügt sie bei mir waren.« Die Besucherinnen haben Wort gehalten.

Das waren herrliche Tage des ungestörtesten Genusses ächter Jugendfreude, jene ersten Septembertage des Jahres 1790, und wie tief die Dankbarkeit für das herzliche, ungekünstelte Wesen der Frau Rath gegenüber »ihren lieben Mecklenburgischen Prinzessinnen« in dem Gemüthe Luisens haftete, hat diese durch königliche Geschenke ihrer gastfreien Wirthin bewiesen.

Bemerkenswerth aus den Tagen dieser Kaiserkrönung ist noch die Anwesenheit Steins in Frankfurt, der sogar wahrscheinlich auch in dem Hause der Frau Rath, einer besonderen Einladung derselben folgend, S. » Briefwechsel der Frau Rath« von Robert Keil. gewohnt hat, – desselben Mannes, der noch oft in späteren Jahren ein Halt aus dem steilen Schmerzenswege für die Königin Luise werden sollte. Auch der greise Kaunitz, der fast zwei Menschenalter hindurch dem Habsburger Throne seine Dienste gewidmet hatte, war noch bei der Feierlichkeit zugegen; und in seltsamem Kontrast auch der damals noch kaum dem Jünglingsalter entwachsene Fürst Klemens Metternich, der für Preußens und Deutschlands Geschicke später so bedeutungsvoll wurde. Letzterer versah trotz seiner Jugend bei der Krönung die Würde eines Ceremonienmeisters, während sich die Prinzen von Mecklenburg-Strelitz und Hessen-Darmstadt, die nächsten Anverwandten Luisens, mit untergeordneteren Aemtern begnügen mußten.

Kaiser Leopold II. starb schon zwei Jahre nach seiner Krönung, und so kam Luise als sechszehnjährige Jungfrau im Sommer des Jahres 1792 noch einmal in Begleitung ihrer Verwandten nach Frankfurt, um auch diesmal wieder im Hause der »Frau Rath« ihr Absteigequartier zu nehmen. Franz von Oestreich, der sich nach seines Vaters Tode die Kaiserkrone aufs Haupt setzte, war der letzte Träger eines durch ein Jahrtausend geheiligten Namens, dessen Glanz noch bei seinen Lebzeiten verblich vor dem aufgehenden Gestirn eines mächtigeren Nebenbuhlers.

Länger und länger wurden schon die Schatten, und dasselbe Jahr, welches den Anfang der herben Trübsal für das Herz einer schuldlosen Königin von Preußen bezeichnet, sah die Sonne untergehen über dem Deutschen Reiche durch Gründung des Rheinbundes. Jene Königin aber wurde die Mutter des Monarchen, der das Reich Karls des Großen in weiser Beschränkung als ein unmögliches erkennend die deutschen Stämme um ein neues Kaiserszepter schaaren sollte.

Den Krönungsfeierlichkeiten zu Frankfurt folgte für die Prinzessin Luise ein Besuch bei ihrer ältesten verheirateten Schwester Charlotte, der Fürstin von Hildburghausen. Hier hat sie im Umgange mit einer der edelsten Fürstenfamilien und mit den bedeutendsten Geistern, die sich an dem kleinen freundlichen Hofe trafen, viel zu ihrer Vorliebe für deutsche Bildung und deutsche Kunst beigetragen, wie denn auch Hildburghausen bis auf den heutigen Tag ein poetisches Andenken an sie in dem Denkmal bewahrt hat, welches die Herzogin Charlotte ihr daselbst setzte. – Einen glücklichen Herbst und Winter hat sie hier im Jahre 1792 verlebt und eine ganz andere an Geist und Gemüth kehrte sie zum zweiten Male in das ihr zur Heimath gewordene Darmstadt zurück.


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