George Eliot
Adam Bede - Zweiter Band
George Eliot

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Zweiundfünfzigster Abschnitt

Adam und Dina

Es war ungefähr drei Uhr, als Adam auf den Pachthof kam und Alick und die Hunde aus ihrem Sonntagsschläfchen aufstörte. Alick sagte, sie wären alle zur Kirche außer dem jungen Fräulein – so nannte er nämlich Dina. Für Adam machte das nichts aus, obschon das »alle« so weitumfassend war, daß es auch das Milchmädchen Nanny einschloß, die durch notwendige Arbeit oft vom Kirchengehen abgehalten wurde.

Auf dem Hofe war es ganz still; die Thüren waren alle geschlossen, und selbst die toten Gerätschaften schienen noch stiller als sonst. Das leise Tröpfeln des Wassers aus der Pumpe war das einzige hörbare Geräusch, und Adam klopfte so leise an die Hausthür, wie sich's für die Stille ziemte.

Die Thür ging auf und Dina stand vor ihm, tief errötend vor lauter Überraschung über Adams Besuch zu einer Zeit, wo er sonst regelmäßig in der Kirche war. Gestern hätte er ohne alle Schwierigkeit zu ihr sagen können: »Ich wollte Euch noch einmal sehen, Dina; ich wußte, Ihr wäret allein;« aber heute fühlte er sich zu beklommen, das zu sagen, und reichte ihr schweigend die Hand. Keins von beiden sprach ein Wort, und doch wünschten beide, sie könnten sprechen, als sie sich hinsetzten. Dina ging wieder an den Platz, wo sie eben gesessen hatte, an der Ecke des Tisches nahe am Fenster; ein Buch lag auf dem Tische, aber es war nicht aufgeschlagen; sie hatte ganz still gesessen und in das kleine Feuer geblickt, das auf dem Herde brannte. Adam setzte sich ihr gegenüber auf Poysers dreibeinigen Stuhl.

»Eure Mutter ist doch nicht wieder krank, Adam?« sagte Dina, nachdem sie sich etwas gefaßt hatte; »wie mir Seth sagte, war sie heute Morgen ganz wohl.«

»Nein, es geht ihr heute recht gut,« erwiderte Adam, der sich wohl darüber freute, daß Dina bei seinem Anblick solche Zeichen der Empfindung gab, aber doch noch immer eine gewisse Scheu empfand.

»Es ist niemand zu Haus, wie Ihr seht,« sagte Dina; »Ihr müßt ein wenig warten. Ihr habt gewiß eine Abhaltung gehabt, daß Ihr nicht auch zur Kirche seid.«

»Ja,« antwortete Adam und verstummte wieder um sogleich hinzuzufügen: »Ich dachte an Euch, das war der Grund.«

Dies Geständnis kam sehr ungeschickt und plötzlich heraus, wie Adam wohl fühlte, und er meinte, Dina müsse sofort verstehen, was er im Sinn habe. Aber bei der rückhaltlosen Offenheit seiner Worte sah sie darin nur eine erneute Beteuerung seines brüderlichen Bedauerns über ihre Abreise und antwortete ruhig:

»Sorgt und quält Euch nicht um mich, Adam. In Snowfield hab' ich alles was ich bedarf, und mehr als das. Und im Herzen bin ich ruhig, ich suche ja nicht meinen eigenen Willen, indem ich von hier scheide.«

»Aber wenn die Dinge nun anders ständen, Dina,« sagte Adam zögernd – »wenn ich Euch etwas sagte, was Ihr vielleicht noch nicht wißt . . .«

Dina sah ihn forschend an, aber statt fortzufahren nahm er einen Stuhl und setzte ihn nahe an die Ecke des Tisches, wo sie saß. Sie verwunderte sich und wurde bange und im nächsten Augenblick wanderten ihre Gedanken in die Vergangenheit zurück; wollte er von den beiden Unglücklichen in der Fremde etwas sagen, was sie noch nicht wußte?

Adam blickte sie an; es sah sich so lieb ihr in die Augen, die nun so selbstvergessen und fragend aussahen; einen Augenblick lang vergaß er ganz, daß er ihr etwas zu sagen hatte oder vielmehr, daß er ihr sagen mußte, was er dachte.

»Dina,« sagte er plötzlich, indem er ihre beiden Hände zwischen seine nahm, »ich liebe Euch von ganzem Herzen und ganzer Seele. Ich liebe Euch nächst Gott am meisten, der mich erschaffen hat.«

Dinas Lippen wurden blaß wie ihre Wangen und sie zitterte heftig unter diesem Anfall schmerzlicher Freude. Ihre Hände wurden kalt wie der Tod. Sie konnte sie nicht zurückziehen, weil er sie festhielt.

»Sagt nicht, daß Ihr mich nicht lieben könnt, Dina. Sagt nicht, daß wir scheiden müssen und fern voneinander leben.«

In Dinas Augen glänzten Thränen und sie flossen, ehe sie antworten konnte. Aber mit ruhiger, leiser Stimme antwortete sie:

»Ja, lieber Adam, wir müssen einem andern Willen uns unterwerfen. Wir müssen scheiden.«

»Nicht, wenn Ihr mich liebt, Dina – nicht wenn Ihr mich liebt,« rief Adam leidenschaftlich aus. »Sagt mir – sagt mir, ich bitte Euch, könnt Ihr mich mehr lieben als einen Bruder?«

Dina vertraute zu fest auf den Willen Gottes, als daß sie hätte versuchen können, Adam zu täuschen oder ihm etwas zu verbergen. Sie erholte sich allmählich von der ersten Aufregung und sagte, indem sie Adam treu und aufrichtig anblickte:

»Ja, Adam, mein Herz fühlt sich mächtig zu Euch hingezogen, und wenn's nach meinem eigenen Willen ginge und mir nicht das Gegenteil klar gewiesen würde von oben, dann fände ich mein Glück in Eurer Nähe und in der gehorsamen Liebe gegen Euch. Ich fürchte, ich vergäße, mich mit andern zu freuen und mit ihnen zu weinen; ja, ich bin bange, ich vergäße die Nähe Gottes und suchte keine Liebe mehr als die Eure.«

Adam antwortete nicht gleich. Sie saßen still und sahen einander in schweigender Entzückung an, – denn das erste Gefühl gegenseitiger Liebe schließt jede andere Empfindung aus; es verlangt die Seele ganz für sich allein.

»Wenn's so ist, Dina,« sagte Adam endlich, »wie kann denn etwas Unrechtes darin sein, daß wir einander angehören und unser Leben eins an das andere knüpfen? Wer hat uns diese mächtige Liebe ins Herz gelegt? Kann es etwas Heiligeres geben als sie? Können wir nicht Gott bitten, immer bei uns zu sein, und werden wir einander nicht helfen in allem Guten? Es würde mir nie einfallen, mich zwischen Euch und Gott zu stellen und Euch vorzuschreiben, was Ihr thun und was Ihr lassen solltet. Ihr würdet Eurem Gewissen so gut folgen können wie jetzt.«

»Ja, Adam,« erwiderte Dina, »ich weiß, der Ehestand ist ein heiliger Stand für die, welche durch ihre Pflicht dazu berufen sind und keinen andern Zug im Herzen haben; aber von Kindheit an wurde ich einen andern Weg geführt; mein ganzer Friede und mein ganzes Glück ist gewesen, daß ich nicht für mich selbst lebte, für mich selbst nichts wollte noch verlangte und nur in Gott und in den Geschöpfen Gottes lebte, deren Leiden und Freuden er mir offenbarte. Das sind Jahre großen Segens für mich gewesen, und ich habe es gefühlt, daß, wenn ich auf eine Stimme hörte, die mich weglockte von diesem Pfade, daß ich dann dem Lichte, welches mir geleuchtet hat, den Rücken wenden und Finsternis und Zweifel mich umfangen würden. Wir brächten einander keinen Segen, Adam, wenn mir Zweifel in der Seele blieben und ich zu spät nach dem besseren Teile mich sehnte, das mir einst geworden ist und das ich dann von mir gestoßen hätte.«

»Aber wenn eine neue Empfindung Euer Herz erfüllt, Dina, und wenn Ihr mich so liebt, daß Ihr mir gern näher ständet als allen andern Menschen, ist denn das nicht ein Zeichen, daß Ihr Euer Leben ändern dürft und ändern müßt? Giebt Euch nicht die Liebe das Recht dazu, wenn auch nichts anderes?«

»Adam, mein Herz ist darüber voll Zweifel, und jetzt, wo Ihr mir sagt, wie sehr Ihr mich liebt, da ist mir wieder dunkel geworden, was vorher klar war. Vorher fühlte ich, es ziehe mein Herz zu mächtig zu Euch hin, und Euer Herz sei nicht wie das meine, und der Gedanke an Euch hatte mich ganz ergriffen, so daß meine Seele ihre Freiheit verlor und in die Knechtschaft einer irdischen Neigung geriet, die mich bange machte. Denn bei jeder anderen Neigung bin ich immer zufrieden gewesen, wenn sie nur wenig erwidert wurde oder auch wohl gar nicht, aber bei Euch fing mein Herz förmlich an zu hungern nach Gegenliebe. Und ich war fest überzeugt, daß ich dagegen ankämpfen müsse wie gegen eine große Versuchung, und der Befehl des Herrn war klar, daß ich fort müßte von hier.«

»Aber jetzt, meine liebe, teure Dina, wo Ihr wißt, daß ich Euch mehr liebe als Ihr mich . . . jetzt steht die Sache ganz anders. Jetzt dürft Ihr nicht daran denken fort zu gehen; Ihr werdet bleiben und mein liebes Weib werden und ich werde Gott danken mehr als je.«

»Adam, es wird mir schwer, Euern Worten mein Ohr zu verschließen . . . und das wißt Ihr selbst wohl, aber eine große Furcht liegt auf mir. Es will mich dünken, als strecktet Ihr Eure Arme nach mir aus und winktet mir zu Euch, um mir das Leben leicht zu machen und nur meinem Vergnügen zu leben, und Jesus der Dulder stehe auf der andern Seite und blicke mich an und wiese hin auf die Sünder und die Leidenden und Betrübten. Das Bild ist mir immer wieder und wieder gekommen, wenn ich schweigend und von Finsternis umfangen dagesessen habe, und ein großer Schrecken hat mich befallen, daß ich vielleicht hart würde und selbstsüchtig und das Kreuz des Erlösers nicht mehr willig auf mich nähme.«

Dina hatte die Augen geschlossen und ein leises Beben überflog sie. »Adam,« fuhr sie fort, »Ihr werdet nicht verlangen, daß wir dem Guten nachjagen, indem wir dem Lichte in unserm Innern untreu werden; Ihr könnt ja nicht glauben, daß das etwas Gutes sei. Darin sind wir doch einer Meinung.«

»Ja, Dina,« antwortete Adam traurig, »ich bin nicht der Mann dazu, Euch gegen Euer Gewissen zu drängen. Aber ich kann die Hoffnung nicht aufgeben, daß Ihr die Sache doch noch anders ansehen lernt. Ich glaube nicht, daß Eure Liebe zu mir Euch das Herz verschließen wird; sie giebt Euch ja nur noch etwas zu dem, was Ihr schon seid, und nimmt nichts davon; denn mir scheint, mit der Liebe und dem Glück ist es ebenso wie mit dem Kummer – je mehr wir davon erfahren, desto besser können wir fühlen, was anderer Leute Leben ist oder sein könnte, desto mehr werden wir freundlich gegen sie sein und bereit, ihnen zu helfen. Je mehr Einsicht einer hat, desto besser wird er seine Pflicht thun, und das Gefühl ist eine Art von Einsicht.«

Dina schwieg; ihre Augen starrten vor sich hin als betrachteten sie etwas, was nur ihr selbst sichtbar sei. Adam fuhr mit Bitten fort:

»Und Ihr sollt ganz so leben können wie jetzt. Ich werde Euch nicht bitten, Sonntags mit mir zur Kirche zu gehen; Ihr könnt unter die Leute gehen, wohin Ihr wollt, und sie unterweisen, denn obschon ich mich selbst zu unserer Kirche halte, stelle ich mich doch nicht über Euch, als wären meine Worte eine bessere Richtschnur für Euer Thun als Euer eigenes Gewissen. Und die Kranken könnt Ihr pflegen grade so gut wie jetzt und Ihr werdet mehr Mittel haben, sie zu unterstützen, und werdet unter lauter Freunden sein, die Euch lieb haben, und könnt ihnen helfen und ihnen ein Segen sein bis ans Ende. Gewiß, Dina, Ihr würdet Gott so nahe sein, als ständet Ihr allein und wäret fern von mir.«

Eine Zeitlang blieb Dina die Antwort schuldig. Noch immer hielt Adam ihre Hände umfaßt und sah sie mit zitternder Sorge an; da wendete sie sich mit ernstem, liebendem Blick ihm zu und sagte mit wehmütigem Tone:

»Adam, in dem was Ihr sagt ist Wahrheit, und es giebt manche Dienerinnen Gottes, die mehr Kraft haben als ich und deren Herz durch die Sorge um Mann und Kinder sich nicht verengt, sondern erweitert. Aber ich habe nicht den Mut zu glauben, daß es mir auch so gehen würde; denn seit meine Neigung sich so ganz ohne Maß Euch zugewandt hat, habe ich wenig Freude und Frieden in Gott gehabt; mein Herz ist sozusagen geteilt gewesen. Und überlegt doch, Adam, wie es mit mir steht: das Leben, was ich bisher geführt habe, ist wie ein Land, worin ich seit meiner Kindheit im Segen gewandelt bin, und wenn ich einen Augenblick lang mich sehne, der Stimme zu folgen, die mich nach einem andern Lande ruft, das ich nicht kenne, so muß ich ja fürchten, daß meine Seele sich später zurücksehnt nach dem früheren Glück, das ich verlassen habe, und wo Zweifel ist, da ist keine vollkommene Liebe. Ich muß warten, bis ich meinen Weg klarer sehe; ich muß von Euch gehen, und wir müssen uns fügen in den Willen Gottes. Er verlangt bisweilen von uns, daß wir unsre natürlichen, erlaubten Neigungen ihn zum Opfer bringen.«

Adam wagte nicht mit seinen Vorstellungen fortzufahren, denn was aus Dina sprach, war nicht Laune oder Verstellung. Doch traf es ihn schwer; seine Augen wurden trübe, als er sie anblickte.

»Aber vielleicht gewöhnt Ihr Euch an den Gedanken, vielleicht fühlt Ihr später, daß Ihr wieder zu mir kommen könnt, um Euch nie von mir zu trennen.«

»Wir müssen uns fügen, Adam. Mit der Zeit wird unsre Pflicht uns klar werden. Es ist ja möglich, daß, wenn ich wieder lebe wie früher, alle diese neuen Gedanken und Wünsche verschwinden und in nichts vergehen. Dann werde ich wissen, daß ich nicht zum Heiraten bestimmt bin. Aber wir müssen warten.«

»Dina,« sagte Adam traurig, »Ihr könnt mich nicht so lieb haben wie ich Euch, sonst hättet Ihr nicht solche Bedenken. Aber das ist wohl natürlich; ich bin nicht so gut wie Ihr, und es ist ganz in der Ordnung, das ich das Beste liebe, was Gott mich je hat kennen lernen lassen.«

»Nein, Adam; mir scheint, meine Liebe zu Euch ist nicht schwach, denn mein Herz hängt an Euren Worten und Blicken, beinahe wie ein kleines Kind an der Hilfe und Liebe seines starken Vaters. Wenn der Gedanke an Euch mich nur so obenhin berührte, dann fürchtete ich nicht, daß Ihr je für mich ein Götzenbild im heiligen Tempel werden könntet. Aber Ihr werdet mir beistehen, nicht mich hindern wollen, daß ich zu gehorchen suche bis ans Ende.«

»Laßt uns hinausgehen in die Sonne, Dina, und zusammen spazieren. Ich werde Euch mit keinem Worte mehr beunruhigen.« Sie gingen hinaus in die Felder, den Kirchgängern entgegen. Adam sagte: »Nehmt meinen Arm, Dina,« und sie nahm ihn. Das war die einzige Veränderung in ihrem Verhältnis zu einander seit ihrem letzten Zusammensein. Aber die Wehmut bei dem Gedanken an ihre Abreise und an die Ungewißheit des Ausgangs vermochten in Adam nicht das süße Gefühl zu unterdrücken, daß Dina ihn liebe. Er nahm sich vor, den ganzen Abend auf dem Pachthofe zu bleiben, um ihr so lange nahe zu sein wie möglich.

»Holla, da kommt Adam mit Dina,« sagte Poyser, als er auf dem Rückweg von der Kirche mit seiner Familie auf die letzte Feldflur vor dem Pachthof kam. »Ich konnte mir gar nicht denken, warum er in der Kirche fehlte. Aber jetzt,« fügte er hinzu, »was meinst du wohl, was mir da in den Kopf kommt?«

»Nun, etwas das nicht weit zu gehen hatte, denn es liegt grade vor der Nase,« erwiderte Frau Poyser. »Du meinst, daß Adam Dina lieb hat.«

»Ja wohl, hast du das denn schon gewußt?«

»Na sicher,« sagte Frau Poyser, die sich womöglich nie überraschen ließ. »Ich bin keine von denen, welche die Katze in der Milchkammer sehen und sich verwundern, was sie da wohl suche.«

»Aber du hast mir ja nie ein Wort davon gesagt?«

»Weil ich keine Klappermühle bin, die Lärm machen muß, wenn der Wind weht. Ich kann reinen Mund halten, wenn es besser ist zu schweigen.«

»Aber du sollst sehen, Dina nimmt ihn nicht, oder meinst du doch?«

»Nein,« sagte Frau Poyser mit etwas zu kühnem Selbstvertrauen; »die heiratet keinen, wenn's nicht 'n Methodist und 'n Krüppel zugleich ist.«

»Es wär' aber doch recht hübsch, wenn die sich heirateten,« meinte der Mann und hielt den Kopf auf die Seite, als betrachtete er sich diesen neuen Gedanken behaglich. »Du sähst's doch auch gern, nicht wahr?«

»Ob ich es gern sähe! Dann bliebe sie doch hier und ginge nicht so weit weg nach Snowfield, und ich wäre nicht so allein mit den Nachbarn, die nicht meine Verwandten sind – na, und die Weiber! Ich würde mich in meine Seele schämen, wenn meine Butter und Käse so wären wie ihre. Und es sollte mich recht freuen, wenn ich das arme Ding gut geborgen sähe wie's 'nem Christenmenschen zukommt, unter ihrem eigenen Dache, und wir wollten sie gehörig ausrüsten mit Leinenzeug und Bettwerk, denn ich habe sie so lieb wie meine eigenen Kinder. Und man fühlt sich ordentlich sicherer, wenn sie im Hause ist; sie ist so rein wie frischgefallener Schnee; wer die bei sich hat, der kann dreist für zwei sündigen.«

»Dina,« rief der kleine Thoms und rannte auf sie zu, »Mutter sagt, du nähmst keinen als 'nen Methodisten und 'nen Krüppel. Bist du dumm!« Und damit umfaßte er Dina mit beiden Armen und sprang mit etwas unbequemer Zärtlichkeit neben ihr her.

»Nun, Adam, Ihr habt uns heute beim Singen recht gefehlt. Wie geht das zu?

»Ich wollte Dina noch mal sehn; sie geht ja sobald fort,« erwiderte Adam.

»Aber mein Junge, könnt Ihr denn nicht machen, daß sie bleibt? Sucht ihr doch 'nen guten Mann im Dorfe. Wenn Ihr das könnt, dann soll's Euch verziehen sein, daß Ihr in der Kirche fehltet. Aber auf keinen Fall geht sie vor dem Erntebier fort, und Ihr müßt Mittwoch auch kommen. Barthel Massey wird da sein und Craig wohl auch. Also Ihr kommt doch, um sieben Uhr? Meine Frau will es so früh haben.«

»Ja, sagte Adam, wenn's mir möglich ist, will ich kommen. Aber gewiß kann ich's nicht voraussagen, weil die Arbeit mich oft unerwartet lange aufhält. Ihr bleibt also bis Ende der Woche, Dina?«

»Ja, ja,« antwortete Poyser; »daß du mir nicht Nein sagst!«

»Sie braucht sich ja nicht so zu beeilen,« bemerkte Frau Poyser. »Mangel hält vor, da braucht man mit dem Kochen nicht so bei der Hand zu sein. Und von Mangel habt ihr ja in eurer Gegend den größten Vorrat.«

Dina lächelte, gab aber kein bestimmtes Versprechen, und den Rest des Weges sprach man von andern Dingen, blieb im Sonnenschein stehen und sah sich die große Herde grasender Gänse an und die neuen Kornschober und die überraschende Fülle von Birnen an dem alten Birnbaum, während Nanny und Molly nach Hause vorauseilten, jede in der Hand sorgfältig ins ungebrauchte Taschentuch ihr Gesangbuch eingewickelt, worin sie fast nur die großen Buchstaben und die Amens lesen konnten.

Sonntagnachmittagsruhe! Gegen einen sonnigen Spaziergang durchs Feld nach der Nachmittagskirche ist alles ruhige Behagen sonst Eile – wie nämlich solche Spaziergänge in der guten alten ruhigen Zeit zu sein pflegten, als die träg hingleitende Fähre auf dem Kanal das neueste Wunder von Schnelligkeit war, als Sonntagsschriften noch meist alte braune Ledereinbände hatten und mit merkwürdiger Genauigkeit immer an derselben Stelle aufklappten. Jetzt ist das ruhige Behagen dahin – dahin mit den Spinnrädern, den Kärrnerpferden, den langsamen Kutschen und den Hausierern, die an sonnigen Nachmittagen herumzogen. Kluge Leute möchten uns gern einreden, die Dampfmaschinen hätten die große Bestimmung, den Menschen Zeit zu sparen, Muße und Behagen zu schaffen. Glaubt's nicht! Die Dampfmaschinen machen bloß eine Leere, die der rasche Gedanke ausfüllt. Heutzutage hat's selbst der Müßiggang eilig – eilig mit seinen Vergnügungen, seinen Lustfahrten, Kunstsammlungen, Zeitschriften, aufregenden Romanen, wissenschaftlichen Untersuchungen und gelegentlichen Blicken durchs Mikroskop. In der guten alten Zeit war das Behagen ganz was andres! In alter Zeit stellte es sich unter dem Bilde eines ruhigen, wohlbeleibten Herrn mit ausgezeichneter Verdauung dar, der nur eine Zeitung las – und diese eine Zeitung ohne alle Leitartikel –, der nicht von der regelmäßigen Aufregung des Postschlusses litt, in einem Stillleben von ruhigen Anschauungen lebte, von keinem Zweifel über die Natur der Dinge gequält wurde, sondern an den Dingen selbst sich genügen ließ. Der alte Herr wohnte meist auf dem Lande, in einem netten Hause mit Hof und Garten, schlenderte an den Spalieren herum, freute sich an dem Duft der Aprikosen im warmen Schein der Morgensonne und streckte sich am heißen Mittag in einer kühlen Laube, wo er die Sommerbirnen fallen hörte. Von Betstunden und Bibelstunden an Wochentagen hatte er keine Ahnung, und Sonntags verlor die Predigt in seiner Achtung nichts, wenn er dabei schlafen konnte; ja, der Nachmittagsgottesdienst war ihm der liebste, weil er so kurz war, und er gestand das ganz unverhohlen; er hatte so 'n gutes, freies Gewissen – so breit wie sein Rücken. Ihm war das Leben keine Sorge, sondern eine sorgenfreie Versorgung; er klimperte mit dem Gelde in der Tasche, aß seine Mahlzeiten und schlief den Schlaf des Gerechten; hatte er doch seine Pflicht gethan und war Sonntag Nachmittag zur Kirche gewesen!

Der gute alte Herr! Seid nicht hart gegen ihn und meßt ihn nicht mit heutigem Maße: er ging nie in Erbauungsstunden, besuchte keine Konventikel, las nie Traktätchen!


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