George Eliot
Adam Bede - Zweiter Band
George Eliot

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Buch

Neunundvierzigster Abschnitt

Auf dem Pachthof

Es war anderthalb Jahr nach diesem Abschied zwischen Arthur und Adam. Die ersten Sonnenstrahlen eines Herbstnachmittags lagen auf dem Pachthof und der große Bullenbeißer hatte einen seiner aufgeregtesten Augenblicke; es war die Stunde des Tages, wo die Kühe zum Nachmittagsmelken auf den Hof getrieben wurden. Kein Wunder, daß die geduldigen Tiere wirr und verkehrt liefen; denn in das ungestüme Gebell des Bullenbeißers mischten sich von fernher Töne, welche die schüchternen weiblichen Geschöpfe mit verzeihlichem Aberglauben auf sich selbst bezogen – das furchtbare Knallen mit der Peitsche und das laute Rufen mit der Stimme, welches der Knecht vollführte, als er den leeren Getreidewagen mit dumpfem Gedonner vom Hofe hinunterfuhr.

Das Melken der Kühe war ein Anblick, den Frau Poyser liebte, und an milden Tagen stand sie um diese Zeit gewöhnlich, ihr Strickzeug in der Hand, vor der Hinterthür, in ruhige Betrachtung versunken, die sich nur dann zu lebhaftem Interesse steigerte, wenn der bösen, gelben Kuh, die mal einen Eimer voll kostbarer Milch umgestoßen hatte, aus Vorsicht halb und halb zur Strafe die Hinterbeine zusammengebunden wurden.

Heute aber schenkte Frau Poyser der Ankunft der Kühe ihre Aufmerksamkeit nur halb, da sie in eifrigem Gespräch mit Dina war, welche die Hemdkragen des Onkels ausbesserte und sich schon dreimal von Totty geduldig hatte den Faden abreißen lassen; Totty zupfte sie nämlich ab und zu plötzlich am Arm und verlangte, sie solle sich »das Kind« ansehen, eine große hölzerne Puppe ohne Beine in langem Rock, mit der sie neben Dina auf einem kleinen Stuhl saß und deren kahlen Kopf sie mit großer Zärtlichkeit an ihr dickes Gesicht drückte. Totty ist um zwei Jahr älter und entsprechend gewachsen, seitdem wir sie zuerst kennen lernten und trägt unter ihrer Schürze ein schwarzes Kleid. Auch Frau Poyser ist schwarz gekleidet, und die Familienähnlichkeit zwischen ihr und Dina scheint dadurch noch erhöht. Sonst sind unsre alten Freunde äußerlich wenig verändert und der schöne Flur schimmert noch grade so von blankem Eichenholz und Zinn.

»So wie du, Dina, ist mir doch noch keines vorgekommen,« sagte Frau Poyser, »wenn du dir mal was in den Kopf gesetzt hast; du bist so wenig aus der Stelle zu bringen wie ein Baum mit festen Wurzeln. Aber sag', was du willst, ich glaube doch nicht, daß das Religion ist; steht nicht in der Bergpredigt, die du den Kindern so gern vorliest, daß man thun muß, was andere Leute haben wollen? Aber wenn man etwas Unverständiges von dir verlangte, z. B. daß du deinen Mantel ausziehen und weggeben oder dir ins Gesicht schlagen lassen solltest, ja – dazu wärst du bereit genug; bloß wenn man etwas von dir verlangt, was gesunden Menschenverstand hat und dir selbst gut ist, dann bist du widerspenstig.«

»Nein, liebe Tante,« erwiderte Dina mit sanftem Lächeln, »gewiß wäre Euer Wunsch ein Grund für mich, alles zu thun, was ich nicht für unrecht hielte.«

»Unrecht! Nein, das geht über meine Geduld. Was ist da wohl Unrechts dran, möcht' ich wissen, wenn du bei deinen Verwandten bleibst, die dich herzlich gern bei sich wohnen haben und für dich sorgen wollen, wenn auch deine Arbeit das bißchen Sperlingsfutter, was du gebrauchst und die paar Kleider, die du trägst, nicht mehr als reichlich ersetzte? Und wen bist du wohl mehr verpflichtet, möcht' ich doch auch wissen, zu unterstützen und zu trösten als dein eigenes Fleisch und Blut, und ich bin die einzige Tante, die du noch hast und, jeden Winter, den Gott werden läßt, komm ich an den Rand des Grabes, und der Kleinen da, die bei dir sitzt, bricht das Herz, wenn du weggehst, und der Großvater ist noch kein volles Jahr tot und der Onkel wird dich recht vermissen, wenn du ihm nicht mehr die Pfeife ansteckst und immer so aufmerksam gegen ihn bist, und in der Milchkammer weißt du so gut Bescheid, und all die Mühe mit dir hätt' ich umsonst gehabt, und so viele Näherei haben wir zu machen, und ich werde wirklich ein fremdes Mädchen aus Treddleston dazu nehmen müssen – und alles bloß, weil du nach dem kahlen Haufen Steine zurück willst, wo die Krähen drüber wegfliegen und nicht bleiben mögen.«

»Liebe Tante Rahel,« sagte Dina und sah Frau Poyser ins Gesicht, »es ist reine Güte von Euch, wenn Ihr sagt, ich sei Euch unentbehrlich. Ihr habt mich wirklich jetzt nicht nötig; Nanny und Molly machen ihre Arbeit recht gut und Ihr seid mit Gottes Hilfe jetzt gesund, und Onkel ist wieder heiterer gestimmt und Nachbarn und Freunde habt Ihr auch genug, die fast alle Tage zu Euch kommen und den Onkel unterhalten. Ihr werdet mich wirklich nicht vermissen und in Snowfield sind Brüder und Schwestern in großer Not, die nicht so viel Annehmlichkeiten des Lebens haben wie Ihr. Ich fühle, daß ich zu denen zurückgerufen werde, wo ich von frühauf gelebt habe; ich fühle mich wieder hingezogen zu den Hügeln, wo Gottes Segen auf mir ruhte, wenn ich das Wort des Lebens denen brachte, die mühselig und beladen waren.«

»Fühlst dich hingezogen; ja wohl,« sagte Frau Poyser, die inzwischen einen Blick auf die Kühe geworfen hatte; »dabei soll ich mich immer beruhigen, wenn du widerspenstig bist. Warum willst du noch mehr predigen als du jetzt thust? Gehst du nicht jetzt schon jeden Sonntag fort, Gott weiß, wohin, um zu predigen und zu beten? Und giebt's nicht in Treddleston Methodisten genug, die du dir ansehen kannst, wenn dir die Leute von unserer Kirche zu hübsch sind? Und hast du nicht hier im Kirchspiel mit Leuten genug zu schaffen, die wieder dem Bösen verfallen, sobald du nur den Rücken wendest? Schmieds Lieschen z. B. – die putzt sich gewiß wieder mit neuem Flitter, darauf kannst du dich verlassen, ehe noch drei Wochen um sind; die bleibt gewiß nicht auf dem guten Wege, ohne daß du dabei bist, so wenig wie ein Hund auf den Hinterfüßen steht, wenn keiner zusieht. Aber auf die Seelen der Leute hier bei uns kommt dir's nicht an, scheint's, sonst bliebst du wohl bei deiner eigenen Tante, die doch auch so gut noch nicht ist, daß du ihr nicht helfen könntest, besser zu werden.«

Frau Poyser hatte in dem Augenblick etwas in der Kehle, was sie nicht merken lassen wollte; sie wandte sich darum rasch nach der Uhr und sagte: »Es ist wirklich schon Zeit zum Thee und wenn mein Mann hinten auf dem Hofe ist, dann trinkt er gewiß gern eine Tasse. Da, Totty, Herzchen, laß dir Mutter den Hut aufsetzen und geh' hinten auf den Hof und sag' Vater, wenn er da ist, er dürfe nicht wieder weggehen, ohne eine Tasse Thee zu trinken, und sag' auch den Jungens, sie sollten hereinkommen.«

Totty trabte davon und Frau Poyser machte den blanken Eichentisch zum Thee fertig.

»Du sagst, Nanny und Molly machten ihre Arbeit gut,« fing sie wieder an; »das heißt mal wieder sprechen. Die Mädchen sind eins wie's andere; klug oder dumm – nicht 'nen Augenblick kann man sie allein lassen; sie müssen immer unter Aufsicht sein, wenn sie bei der Arbeit bleiben sollen. Und wenn ich nun diesen Winter wieder krank werde wie im vorigen Jahr, wer soll dann nach ihnen sehen, wenn du weg bist? Und unser Kleinstes, das liebe Ding – der passiert gewiß was, die Leute lassen sie ins Feuer fallen oder dem Kessel zu nahe kommen, wenn der Speck drin kocht, oder sie hat sonst ein Unglück und wird lahm auf Lebenszeit, und alles durch deine Schuld, Dina!«

»Tante,« sagte Dina, »ich verspreche Euch, wieder zu kommen, wenn Ihr im Winter krank werden solltet. Glaubt doch nicht, daß ich je von Euch fortbleibe, wenn Ihr wirklich meiner bedürft. Aber für mein eigenes Seelenheil ist es nötig, daß ich nicht mehr so bequem und behaglich lebe wie hier, wo ich alles zu reichlich habe; wenigstens für eine kurze Zeit muß ich fort. Niemand weiß besser als ich selbst, was meine inneren Bedürfnisse sind und welchen Versuchungen ich am meisten ausgesetzt bin. Euer Wunsch, daß ich bei Euch bleiben möchte, ist kein Gebot der Pflicht, dem ich mein Ohr verschlösse, weil es gegen meine eigene Neigung ginge, sondern eine Versuchung, der ich widerstehen muß, damit nicht die Liebe zur Kreatur meine Seele wie ein Nebel umfängt, der das himmlische Licht nicht durchläßt.«

»Was du unter bequem und behaglich leben verstehst, das geht über meine Begriffe,« erwiderte Frau Poyser, indem sie eifrig Butterbrote machte. »Du hast wohl gut zu essen und zu trinken und das soll mir keiner nachsagen, daß ich nicht reichlich und überreichlich gebe, aber jedes Überbleibsel, was sonst keiner mag, das nimmst du gewiß für dich . . . aber was seh' ich? Da kommt Adam Bede und trägt das Kind auf der Schulter. Was mag er so früh wollen?!«

Frau Poyser eilte an die Thür, um ihr liebes Töchterchen in seiner hohen Stellung zu sehen, Liebe im Blick, aber Vorwürfe auf den Lippen.

»O schäm' dich doch, Totty! Mädchen von fünf Jahren dürfen sich nicht mehr tragen lassen. Adam, Euer Arm wird Euch weh thun, so schwer ist sie schon! Setzt sie doch auf die Erde und laßt sie laufen.«

»O nein, Frau Poyser,« sagte Adam, »ich kann sie mit der Hand aufheben und brauche den Arm gar nicht.«

Damit setzte er Totty, die sich um all das Reden nicht gekümmert hatte, wieder auf die Erde und die Mutter schärfte ihr die Vorwürfe mit einem wahren Regen von Küssen ein.

»Ihr wundert Euch wohl, mich um diese Stunde schon zu sehen, sagte Adam.«

»Freilich, aber kommt herein;« erwiderte Frau Poyser; »Ihr bringt doch nichts Schlimmes?«

»Nein, das nicht,« erwiderte Adam, indem er auf Dina zuging und ihr die Hand reichte. Sie hatte ihre Arbeit hingelegt und erhob sich unwillkürlich, als er sich ihr näherte. Eine leichte Röte verschwand eben von ihrer blassen Wange, als sie ihm die Hand gab und ihn schüchtern ansah.

»Ich habe einen Auftrag an Euch, Dina,« sagte Adam und vergaß ganz, daß er sie noch immer bei der Hand hielt; »Mutter kränkelt ein bißchen und läßt Euch recht bitten, Ihr möchtet doch so freundlich sein, zu ihr zu kommen und die Nacht bei ihr zu bleiben. Ich sagte ihr, ich wollte hier vorsprechen und Euch darum bitten, wenn ich aus dem Dorfe käme. Sie hat sich überarbeitet und will doch kein Mädchen zu Hilfe nehmen. Ich weiß nicht, was ich mit ihr anfangen soll.«

Damit ließ Adam Dinas Hand los und wartete auf eine Antwort; aber ehe sie noch den Mund öffnen konnte, fiel schon Frau Poyser ein:

»Da, siehst du? Hab' ich dir nicht gesagt, daß es hier Leute genug giebt, die dich nötig haben und daß du nicht anderswohin zu gehen brauchst?! Frau Bede wird so alt und gebrechlich wie was sein kann, und sie will niemand anders bei sich haben als dich. Die Leute in Snowfield haben sich nun schon gewöhnt, ohne dich fertig zu werden.«

»Ich will mir den Hut aufsetzen und gleich mit fort, wenn Ihr nicht noch was für mich zu thun habt, Tante,« erwiderte Dina, indem sie ihre Arbeit zusammenlegte.

»Freilich hab' ich noch was für dich zu thun; du sollst erst Thee trinken, Kind, er ist fertig und Ihr nehmt auch 'ne Tasse, Adam, wenn Ihr's nicht zu eilig habt.«

»Das nehm' ich mit Dank an, und nachher will ich mit Dina weggehen. Ich muß bald nach Haus, weil ich eine Menge Rechnungen auszuschreiben habe.«

»Wie, Adam, seid Ihr da?« sagte Pachter Poyser, der ganz heiß in Hemdsärmeln hereinkam, mit den beiden schwarzäugigen Jungen hinterdrein, die ihm noch immer so ähnlich sahen, wie kleine Elefanten einem großen. »Wo kommt Ihr schon so früh her, lange vor der Futterzeit?«

»Es ist wegen der Mutter,« antwortete Adam; »sie hat wieder einen Anfall von ihrem alten Leiden und möchte gern, daß Dina sie besuchte und etwas bei ihr bliebe.«

»Nun, Eurer Mutter wollen wir sie schon ein bißchen überlassen,« sagte Poyser, »aber sonst keinem, wenn's nicht ein Mann ist.«

»Sie überlassen?« sagte Frau Poyser, indem sie Kuchen auf den Tisch stellte und sich dann hinsetzte, um Thee einzuschenken. »Aber wir müssen sie wohl ganz fahren lassen, fürcht' ich, und nicht, weil sie einen Mann hat, sondern weil sie Mucken im Kopf hat. Thoms, was thust du da mit deiner kleinen Schwester ihrer Puppe? Machst das Kind böse und sie ist so artig, wenn du sie in Ruhe läßt. Du bekommst kein Stück Kuchen, wenn du das noch mal thust.« – Thoms hatte mit echt brüderlicher Freundlichkeit der Puppe den Rock über den Kopf gezogen und setzte ihren verstümmelten Leib dem Spott der Versammlung aus, – eine Unwürdigkeit, die Totty ins Herz schnitt.

»Was glaubst du wohl,« fuhr Frau Poyser zu ihrem Mann gewendet fort, »was Dina mir heute Nachmittag gesagt hat?«

»O, ich bin kein guter Ratsherr,« antwortete der Mann.

»Denk' nur, sie will wieder nach Snowfield zurück und in der Fabrik arbeiten und wieder so knapp leben wie früher, als hätte sie keinen, bei dem sie leben könnte.«

Poyser fand kaum Worte, um seine unangenehme Überraschung auszudrücken; er blickte nur von seiner Frau zu Dina hinüber, die sich neben Totty gesetzt hatte, um sie gegen die Neckereien ihres kleinen Bruders zu schützen und den Kindern den Thee zurecht machte. Wär' er zu allgemeinen Betrachtungen geneigt gewesen, so hätte ihm auffallen müssen, daß mit Dina etwas vorgegangen sei, da sie sonst nie die Farbe zu wechseln pflegte; so bemerkte er nur, daß sie in dem Augenblicke im Gesicht rot wurde. Er fand, es stehe ihr recht hübsch; es war nur ein leises Erröten, nicht tiefer als der Blütenkelch einer blassen Rose. Vielleicht kam es daher, daß ihr Onkel sie so fest ansah; aber wer kann das wissen? Denn grade in dem Augenblick sagte Adam mit ruhigem Erstaunen:

»Wie? Ich hoffte, Dina blieb ihr lebelang hier. Ich meinte, sie hätte es für immer aufgegeben, in ihre Heimat zurückzugehen.«

»Aufgeben!« sagte Frau Poyser, »ja, das hätte wohl jeder gedacht, der nicht verkehrt im Kopfe ist. Aber ich glaube, wenn einer wissen will, was so 'n Methodist thut, dann muß er selbst Methodist sein. Wo die Fledermäuse hinfliegen, das soll mal einer vorauswissen.«

»Aber was haben wir dir denn gethan, daß du uns verlassen willst?« meinte Poyser, der noch immer seine Theetasse nicht an den Mund gesetzt hatte. »Es ist beinahe so schlimm, als wenn du dein Wort brächest; deine Tante hat nie anders gedacht, als daß du unser Haus jetzt als deine Heimat ansähest.«

»Nein, Onkel,« sagte Dina und versuchte ganz ruhig zu bleiben. »Als ich herkam, sagte ich, es sei nur auf kurze Zeit, so lange die Tante mich nötig hätte.«

»Nun, und wer sagt dir, daß ich dich nicht mehr nötig habe?« fragte Frau Poyser. »Wenn du nicht ganz bei mir bleiben wolltest, dann hättest du lieber gar nicht kommen sollen. Wer nie ein Kopfkissen gehabt hat, der entbehrt's nicht.«

»Nein, nein,« meinte Poyser, dem alle Übertreibung zuwider war. »So mußt du nicht sprechen; Mariätag vorm Jahr wären wir ohne sie übel dran gewesen; dafür müssen wir ihr danken, sie mag nun bleiben oder nicht. Aber ich kann mir nicht denken, weshalb sie ein behagliches Haus verlassen und in ihre Heimat zurück muß, wo der Morgen Land noch keine zehn Schilling einbringt.«

»Ei, das ist ja grade der Grund, weshalb sie weg will, soweit sie überhaupt 'nen Grund hat,« entgegnete Frau Poyser. »Sie sagt, bei uns hätt' sie's zu gut und es gäbe zu viel zu essen, und den Leuten hier in der Gegend geht's für sie nicht schlecht genug. Und schon nächste Woche will sie fort; davon kann ich sie nicht abbringen, ich mag sagen, was ich will. Aber so machen's die Leute mit den sanften Gesichtern immer; man kann ebensogut gegen einen Sack Federn werfen, als auf sie einsprechen. Aber Religion ist das nicht, so widerspenstig sein – was meint Ihr, Adam?«

Adam bemerkte, daß Dina unruhiger sei, als er sie je in einer persönlichen Angelegenheit gesehen hatte, und da er ihr wo möglich gern zu Hilfe kommen wollte, so sah er sie freundlich an und sagte:

»Nein, ich kann Dina in keiner Weise tadeln. Ich glaube, ihre Gedanken sind besser als unsere Wünsche, was das auch für Gedanken sein mögen. Ich würde mich recht gefreut haben, wenn sie bei uns geblieben wäre; aber wenn sie es für recht erkennt wegzugehen, dann möchte ich ihr nicht im Wege sein oder es ihr durch Einwendungen erschweren. Um uns hat sie etwas anderes verdient.«

Wie es oft zu gehen pflegt, fielen gerade die Worte, welche ihr gut thun sollten, Dina in ihrer erregten Stimmung doppelt schwer aufs Herz. Zu schnell, um sich verbergen zu lassen, traten ihr die Thränen in die Augen und sie erhob sich eilig, um sich oben den Hut zu holen.

»Mutter, warum weint Dina?« fragte Totty; »sie ist doch nicht unartig gewesen.«

»Du bist ein bißchen zu weit gegangen,« sagte Poyser. »Wir haben kein Recht, ihr dreinzureden, wenn sie ihrem Willen folgt. Und du würdest schön böse mit mir sein, wenn ich nur ein Wort gegen etwas sagte, was sie thut.«

»Weil du sie ohne Grund tadeln würdest,« entgegnete Frau Poyser. »Aber was ich sage, das hat Grund, sonst sagt' ich's nicht. Ihr andern habt gut reden; ihr könnt sie nicht so lieb haben, wie ihre leibliche Tante thut. Und ich hab' mich so an sie gewöhnt! Ich werde mich so unbehaglich fühlen wie ein neugeschornes Schaf, wenn sie weg ist. Und daß sie aus unserm Kirchspiel weggeht, wo man sie so achtet! Unser Pastor hält so große Stücke auf sie, als wenn sie eine vornehme Dame wäre, obgleich sie 'ne Methodistin ist und die Mucke mit dem Predigen im Kopfe hat – Gott verzeih' mir, wenn ich es mit Unrecht so nenne.«

»Ja, ja,« meinte Poyser mit einem lustigen Ausdruck im Gesicht, »aber warum erzählst du Adam nicht, was dir der Pastor mal darüber gesagt hat? Ihr müßt wissen, Adam, meine Frau meinte mal gegen den Pastor, das einzige, was sie an Dina auszusetzen fände, sei das Predigen, und da antwortete der Pastor: ›Aber das dürfen Sie ihr nicht so hoch anrechnen, Frau Poyser; Sie vergessen, daß sie keinen Mann hat, dem sie was vorpredigen kann und ich stehe dafür, Sie halten Poyser manche gute Predigt.‹ Da hat's dir der Pastor mal gut gegeben,« fügte er hinzu und lachte herzlich. »Ich erzählt's Barthel Massey, der mußte recht darüber lachen.«

»Ja, der Witz braucht nicht groß zu sein, damit die Männer drüber lachen, wenn sie die Pfeife im Munde haben und einander angaffen,« erwiderte Frau Poyser. »Wenn's nach Barthel Massey ginge, ja! da wär' er der einzige Witzbold auf der Welt. Hätte der Häckselschneider über die Menschen zu sagen, dann wären wir alle von Stroh. Totty, du klein Herzchen, geh' hinauf zu Dina; sieh' was sie macht und gieb ihr 'nen hübschen Kuß.«

Frau Poyser gab ihrem Töchterchen diesen Auftrag, um gewisse drohende Zeichen an ihren Mundwinkeln abzuleiten; denn Thoms, der keinen Kuchen mehr erwartete, schob mit dem Zeigefinger die Augenlider in die Höhe und wandte seine Augapfel Totty von der Seite zu, wodurch sie sich persönlich gekränkt fühlte.

»Euch geht's gut, Adam, nicht wahr? Ihr habt viel zu thun,« sagte Poyser. »Meister Burge wird so hinfällig mit seiner Beklemmung auf der Brust, daß er gewiß nicht mehr viel beschaffen kann.«

»Ei ja, es giebt hübsch viel zu bauen,« sagte Adam, »mit all den Reparaturen auf dem Gute und den neuen Häusern in Treddleston.«

»Ich möchte drauf wetten,« meinte Poyser, »das neue Haus, welches Burge auf seinem eigenen Lande baut, ist für ihn selbst und seine Tochter; er wird das Geschäft gewiß bald ganz niederlegen und Euch übergeben, wenn Ihr ihm jährlich was bezahlt. Es dauert kein Jahr mehr, Adam, dann wohnt Ihr hier oben im Dorfe.«

»Nun,« erwiderte Adam, »ich nähme ganz gern das Geschäft allein in die Hand. Es ist mir nicht so wegen des größeren Verdienstes, wir sind ja nur unser drei mit der Mutter und haben reichlich zu leben; aber ich hätte doch gern freie Hand im Geschäft; ich könnte dann manches probieren, was ich jetzt nicht kann.«

»Und mit dem neuen Rentmeister kommt Ihr gut aus, ja?« fragte Poyser.

»Ja freilich; er ist ein ganz verständiger Mann, versteht sich auf die Landwirtschaft und leitet die Entwässerung und all das vorzüglich. Geht nur mal auf den Strich da nach Stonyshire hinüber und seht Euch die Verbesserungen an, die da gemacht werden. Aber vom Bauen versteht er nichts; so selten findet man einen, der sich auf mehr als eine Sache versteht; es ist grade als wenn die Menschen Scheuklappen trügen wie die Pferde und könnten auf einer Seite gar nichts sehen. Pastor Irwine – der versteht sich aufs Bauen, besser als die meisten Architekten; die wollen die großen Herren spielen und wissen doch meist nicht, wie sie einen Kamin so setzen sollen, daß er der Thür nicht im Wege ist. Nach meiner Ansicht ist der beste Architekt für gewöhnliche Arbeiten ein praktischer Baumeister, der etwas Geschmack hat, und es macht mir zehnmal soviel Vergnügen, nach der Arbeit zu sehen, wenn ich den Plan dazu selbst gemacht habe.«

Der Pachter hörte mit bewundernder Teilnahme diese Auseinandersetzung Adams über das Bauen an; aber vielleicht fiel ihm dabei ein, daß er schon zu lange von dem Kornschober weg sei, den er auf dem Hofe errichten ließ, und als Adam zu Ende war, stand er auf und sagte:

»Nun, mein Junge, jetzt muß ich Euch Adieu sagen, ich muß wieder auf den Hof.«

Auch Adam erhob sich; er sah Dina hereinkommen, den Hut auf und ein kleines Körbchen in der Hand; Totty ging vor ihr her.

»Ihr seid schon fertig, wie ich sehe, Dina,« sagte er; »dann laßt uns gehen; je eher ich zu Hause bin, desto besser.«

»Mutter,« sagte Totty mit ihrem feinen Stimmchen, »Dina hat gebetet und so sehr geweint.«

»Still, still,« erwiderte die Mutter, »Kinder dürfen nicht schwatzen.«

Aber der Vater, der sich im stillen vor Lachen schüttelte, setzte Totty auf den tannenen Tisch und ließ sich von ihr einen Kuß geben. Was die beiden Eltern für Begriffe von Erziehung hatten!

»Komm morgen zurück, Dina, wenn Frau Bede dich nicht nötig hat,« sagte Frau Poyser; »aber wenn sie krank ist, dann kannst du auch noch länger bleiben, weißt du.«

Und so nahmen Dina und Adam Abschied und verließen zusammen den Pachthof.


 << zurück weiter >>