George Eliot
Adam Bede - Zweiter Band
George Eliot

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Vierunddreißigster Abschnitt

Die Verlobung

Es war ein trockner Sonntag und für den zweiten November wirklich ein hübscher Tag. Zwar die Sonne schien nicht, aber die Wolken standen hoch und der Wind war so still, daß die gelben Blätter, welche von den Ulmen herabschwirrten, vor eigener Trockenheit abgefallen sein mußten. Trotzdem ging Frau Poyser nicht zur Kirche, weil sie bös erkältet war; erst vor zwei Wintern hatte sie wochenlang an einer Erkältung gelitten, und da seine Frau nicht zur Kirche ging, meinte ihr Mann, am Ende bleibe er am besten auch zu Haus und leiste ihr Gesellschaft. Die Gründe dieses Entschlusses hätte er vielleicht nicht genau präzisieren können; aber alle Leute von Erfahrung wissen ja, daß unsere festen Überzeugungen oft von sehr feinen Eindrücken abhängen, für die ein Wort ein viel zu derber Ausdruck ist. Was aber auch die Gründe sein mochten, aus Poysers Hause gingen den Nachmittag nur Hetty und die Knaben zur Kirche, und trotzdem war Adam kühn genug, sie nach der Kirche anzusprechen und nach Hause zu begleiten. So lange sie durch das Dorf gingen, schien er sich hauptsächlich mit Martinchen und Thoms zu beschäftigen; er erzählte ihnen von den vielen Eichhörnchen im Walde und versprach, sie einmal mitzunehmen. Als sie aber ins Feld kamen, sagte er zu den Jungen: »nun wollen wir mal sehen, wer von euch am raschesten gehen kann. Wer zuerst zu Haus am Hofthor ist, den nehm' ich zuerst auf dem Esel mit nach dem Walde. Aber Thoms muß bis an den nächsten Steg Vorsprung haben, weil er der kleinste ist.«

So deutlich hatte Adam nie zuvor gehandelt. Sobald die Jungen sich in Trab gesetzt hatten, sah er Hetty an und sagte: »Wollt Ihr nicht meinen Arm nehmen, Hetty?« Und er sagte das in einem Tone, als hätte er sie schon darum gebeten und sie es ihm abgeschlagen. Lächelnd blickte Hetty zu ihm auf und legte sofort ihren Arm in seinen. Ihr war das gleichgültig, aber sie wußte, daß er sich viel daraus machte, und das war ihr nicht gleichgültig. Ihr Herz schlug nicht rascher als vorher, und ebenso dumpf als gedrückt fuhr sie fort, die halbkahlen Felder und das gepflügte Ackerland zu betrachten. Aber Adam war es kaum noch, als wenn er ginge; er glaubte, Hetty müsse fühlen, daß er leise, ganz leise ihren Arm drücke, und Worte drängten sich ihm auf die Lippen, die er nicht zu äußern wagte, die er entschlossen war noch nicht zu äußern, und so blieb er still. Die ruhige Geduld, mit der er einst auf Hettys Liebe gewartet und sich mit ihrer Nähe und dem Gedanken an die Zukunft begnügt hatte, war seit dem furchtbaren Schlage vor fast drei Monaten von ihm gewichen. Die Qualen der Eifersucht hatten seine Leidenschaft in Ruhelosigkeit verwandelt, hatten ihm Furcht und Ungewißheit fast unerträglich gemacht. Aber durfte er auch Hetty noch nichts von seiner Liebe sagen, von seinen neuen Aussichten wenigstens wollte er ihr erzählen und sehen, ob ihr das Freude mache. Sobald er die Herrschaft über sich selbst wieder erlangt hatte, sagte er:

»Ich werde Eurem Onkel etwas Neues sagen, das ihn überraschen wird, Hetty, und freuen wird es ihn auch.«

»Was denn?« erwiderte Hetty gleichgültig.

»Meister Burge hat mir einen Anteil an seinem Geschäft angeboten, und ich hab's angenommen.«

Bei diesen Worten veränderte sich Hettys Gesicht, offenbar nicht wegen eines angenehmen Eindrucks, den diese Nachricht auf sie machte. In der That war sie erschrocken und verwirrt; sie hatte ihren Onkel so oft andeuten hören, Adam könne jeden Augenblick Marie Burge und einen Anteil am Geschäft haben, wenn er nur wolle, daß ihr in diesem Augenblicke beides zusammenfiel und sie sofort dachte, Adam habe sie vielleicht wegen der jüngsten Vorfälle aufgegeben und sich um Marie Burge beworben. Ehe sie Zeit hatte, sich die Gründe zu vergegenwärtigen, weshalb das nicht wahr sein konnte, brachte dieser Gedanke von neuem ein Gefühl der Verlassenheit und Enttäuschung über sie; die einzige Hoffnung, der einzige Mensch, auf den sich ihr Geist in seiner dumpfen Ermattung noch verlassen hatte, war ihr entschlüpft, und vor Verdruß und Kummer traten ihr die Thränen in die Augen. Sie blickte zu Boden, aber Adam sah ihr Gesicht, sah ihre Thränen, und ehe er noch sagen konnte: »Hetty, liebe Hetty, warum weint Ihr?« hatte er in Gedanken rasch alle möglichen Gründe überflogen und endlich halb das Rechte getroffen. Hetty glaubte, er werde Marie Burge heiraten – sie sah das ungern – ob sie's wohl ungern sah, daß er eine andere nähme als sie selbst? Alle Vorsicht war nun dahin, jeder Grund dazu war verschwunden, und Adam fühlte nichts als Freudebeben. Er beugte sich zu ihr, nahm ihre Hand und sagte:

»Ich könnte mich jetzt verheiraten, Hetty – ich könnte eine Frau ernähren; aber ich werde nie heiraten, wenn Ihr mich nicht haben wollt.«

Hetty blickte zu ihm auf und lächelte unter Thränen, wie sie den ersten Abend im Wäldchen bei Arthur gethan hatte, als sie glaubte, er komme nicht, und er doch kam. Was sie jetzt fühlte, war ein viel schwächerer Triumph, aber die großen, dunkeln Augen und die süßen Lippen waren so schön wie je, vielleicht noch schöner, denn in der letzten Zeit war Hetty voller und frauenhafter geworden. Adam konnte kaum an das Glück dieses Augenblicks glauben. Seine Rechte faßte ihre Linke und er preßte ihren Arm fest ans Herz, als er sich zu ihr niederbeugte.

»Liebst du mich wirklich, Hetty? Willst du mein liebes Weib sein und mich lieb haben und für mich sorgen, so lange ich lebe?«

Hetty sprach kein Wort, aber Adams Gesicht war nahe an dem ihren und sie legte ihre runde Wange an seine wie ein Kätzchen. Sie wollte geliebkost sein, wollte fühlen, als sei Arthur wieder da.

Danach bedurfte es für Adam der Worte nicht mehr, und den Rest des Weges sprachen sie kaum. Er sagte nur: »ich darf's doch an Onkel und Tante sagen, nicht wahr, Hetty?« Und sie antwortete Ja.

Die rote Flamme auf dem Herde des Pachthofes schien den Abend auf vergnügte Gesichter, als Hetty hinaufgegangen war und Adam die Gelegenheit ergriff, um dem Pachter und seiner Frau und dem Großvater zu erzählen, er dürfe jetzt daran denken, sich zu verheiraten, und Hetty habe eingewilligt, die Seine zu werden.

»Darf ich hoffen, daß Sie keine Einwendungen dagegen haben?« fügte er hinzu; »noch bin ich zwar nur arm, aber es soll ihr nichts abgehen, was sich durch Arbeiten verdienen läßt.«

»Einwendungen!« erwiderte der Hausherr, während der Großvater sich vornüber bückte und sein langgezogenes »nein, nein!« vorbrachte. »Was für Einwendungen könnten wir wohl gegen Euch haben, mein Junge? Wenn Ihr auch noch nichts habt, in Eurem Kopfe steckt Geld, so gut wie in einem Saatfelde; es dauert nur eine Weile. Für den Anfang habt Ihr genug, und was Ihr zur Aussteuer nötig habt, dafür wollen wir schon sorgen. Du hast doch Bettzeug und Leinwand übrig? – die Masse? he?«

Diese Frage war natürlich an Frau Poyser gerichtet, die in warme Tücher eingehüllt dasaß und zu heiser war, um mit ihrer gewohnten Leichtigkeit sprechen zu können. Zuerst nickte sie bloß kräftig mit dem Kopfe, aber sofort war sie auch unfähig, der Versuchung einer deutlicheren Erklärung zu widerstehen.

»Das wäre noch schöner, wenn ich nicht Bettzeug und Leinwand hätte,« sagte sie mit heiserster Stimme; »bei uns wird ja jedes Huhn erst gepflückt, eh' wir's verkaufen, und das Spinnrad steht die ganze Woche nicht still.«

»Komm her, Mädchen,« sagte Poyser, als Hetty wieder herunterkam, »komm her und gieb mir 'nen Kuß und nimm unsern herzlichen Glückwunsch.«

Hetty ging sehr ruhig auf ihn zu und küßte den dicken, gutmütigen Mann.

»Da!« sagte er und klopfte sie auf den Rücken, »nun küss' auch die Tante und den Großvater. Ich freue mich so, daß du dich glücklich verheiratest, als wenn du meine eigene Tochter wärest, und das thut die Tante auch, dafür stehe ich, denn sie hat diese sieben Jahre an dir gehandelt, Hetty, als wärst du ihr eigenes Kind. Aber hör',« fuhr er lustig fort, als Hetty der Tante und dem Großvater ihren Kuß gegeben hatte, »Adam will auch seinen Kuß haben, sollt' ich meinen, und jetzt hat er ein Recht dazu.«

Hetty lächelte und ging wieder nach ihrem Stuhl.

»Nun, Adam, dann nehmt Euch einen, oder Ihr seid nur ein halber Kerl.«

Adam stand auf, wurde rot wie ein kleines Mädchen – der große, starke Bursch – und indem er Hetty umfaßte, bückte er sich nieder und küßte sanft ihre Lippen.

Eine hübsche Scene bei dem roten Schein des Feuers! Denn Lichter brannten nicht; wozu auch, da die Flamme so hell loderte und von allem Zinn und dem blanken Eichenholz wiederstrahlte, und am Sonntag Abend natürlich niemand arbeitete. So freundlich war die Scene, daß selbst Hetty inmitten all der Liebe einen Anflug von Zufriedenheit spürte. Adams zärtliche Neigung und seine Liebkosungen regten zwar keine Leidenschaft in ihr auf und konnten ihrer Eitelkeit nicht mehr genügen, aber sie waren das beste, was das Leben ihr jetzt noch bot, und versprachen Veränderung.

Ehe Adam fortging, wurde noch vielfach besprochen, ob er wohl ein Haus finden werde, worin er sich zunächst niederlassen könne. Außer dem Hause neben Wilhelm Maskery stand keines im Dorfe leer, und das war jetzt für Adam zu klein. Poyser bestand darauf, es sei am besten, wenn Seth mit der Mutter auszöge und Adam das alte Haus ganz für sich behielte; nach einiger Zeit könne er etwas anbauen, da im Holzhof und Garten noch Platz genug sei, aber von dem Ausziehen seiner Mutter wollte Adam nichts hören.

»Nur ruhig, ruhig!« sagte Poyser endlich, »wir brauchen ja heute Abend nicht alles auf einmal abzumachen. Wir haben Zeit, uns das noch zu überlegen. Vor Ostern ist nicht an die Hochzeit zu denken. Ich bin zwar nicht für einen langen Brautstand, aber etwas Zeit muß man doch haben, um alles nett und ordentlich einzurichten.«

»Ja gewiß,« sagte Frau Poyser mit heiserem Geflüster; »ein Christenmensch kann nicht so Hochzeit machen wie ein Kuckuck.«

»Ich bin doch ein bißchen bange,« bemerkte Poyser, »wenn ich daran denke, daß wir vielleicht gekündigt werden und zehn Stunden weit ziehen müssen, um wieder eine Pachtung zu finden.«

»Ja, ja,« sagte der alte Großvater, indem er auf den Fußboden hinstarrte und mit den Händen auf- und abfuhr, während er die Ellbogen auf der Lehne ruhen ließ, – »ja, ja, es wär' 'ne schlimme Geschichte, wenn ich unser altes Haus verlassen müßte und auf einem fremden Kirchhof begraben würde, und du wirst leicht doppelt so viel bezahlen müssen,« fügte er zu seinem Sohne gewandt hinzu.

»I, ängstigt Euch nicht vor der Zeit!« antwortete ihm der Sohn. »Vielleicht kommt der Kaptän nach Hause und versöhnt den alten Herrn wieder mit uns. Darauf rechne ich; der Kaptän leidet kein Unrecht, wenn's sein kann, das weiß ich.«


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