Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4

Meister Cramp hatte seine Frau aus dem Weiler Carte bei Calmpthout heimgeführt, wo sie mit ihrem Bruder Wannes Andries wohnte. Dieser war ein dürftiger Pächter, ein Kuhbauer, wie die Bauern im Polder sagen, die gewöhnlich reich an Pferden sind und daher diejenigen verachten, die gezwungen sind, ein Stück Rindvieh vor den Pflug oder die Egge zu spannen.

Annemie Andries war ein Mädchen, das schon mehr als einem Jungen aus der Umgegend gefallen hatte. Groß, lebhaft und muskulös, gab sie den Wohlgeruch üppigster Gesundheit von sich, der lau und berauschend war wie die Aprildüfte, wenn die Säfte steigen. Sie hatte den Teint einer flämischen Bäuerin, zugleich rosafarbig und gebräunt, fast wie Rahm, den man mit zerdrückten Erdbeeren und Honig vermischt hatte. Ihre kastanienbraunen Haare waren in zwei Flechten geteilt; ihre Stirn war niedrig, ihre Nase gerade und breit; ihre hellbraunen Augen hatten einen kühnen Ausdruck; ihr Mund war röter als frisches Blut, ihr Kinn ein wenig eckig und ihr Hals dick. Zwei starke runde Brüste, die sich beständig auf und ab hoben, reichten bis an den Rand ihrer rosafarbenen Jacke, die weit ausgeschnitten war.

Wenn sie sich schnell bewegte, krachten ihre Kleider. Die Ärmel hochgeschlagen, zeigte sie mit der wohlgefälligen Zufriedenheit eines rüstigen Arbeitsmädchens dicke, rote Arme, die durch die rauhen Liebkosungen des Winters und das lange Eintauchen in kaltes Wasser aufgesprungen waren, aber doch noch appetitlich blieben.

Ja, Annemie war üppig schön. Die jungen Kuhhirten von der Heide, die um sie herumliefen, sagten ihr das schon lange in jener malerischen und brutalen Sprache, die die sinnlichen Gelüste jenes Gesindels ohne Rückhalt ausdrückt. Innerlich fühlte Annemie sich zwar geschmeichelt, aber sie wies alle Anerbietungen lachend zurück, denn ehrgeizig und eigennützig, wie sie war, träumte sie von einer reichen Heirat und wartete auf einen vornehmeren Freier als jene Hungerleider. Da sie jedoch von einer schwachen und nachgiebigen Natur war, hätte sie sich vielleicht doch einmal von einem geweckten, wohlgestalteten Drescher, dem allerdings hundert Flegelschläge nur einen Heller einbrachten, bereden lassen, wenn nicht ihr Bruder, der habsüchtiger und vorsichtiger war, auf sie achtgegeben hätte.

Wannes schmeichelte sich mit der Hoffnung, daß er mit seiner Schwester das Glück der Andries begründen könne. Das junge Blut, dachte er, muß noch anderen Freiern den Kopf verdrehen als diesen hungrigen Lumpen aus den Kempen.

Und wirklich hatte Annemie eines Tages auf der Heimkehr von einem Markt in dem alten Geizhals Nelis Cramp, dem unverbesserlichen Junggesellen, die Lust erregt, sie zur Frau zu nehmen.

Zuerst war sie von diesem Sieg nicht allzusehr erbaut. Der Freier war doch gar zu häßlich. Einen erwachsenen Mann hätte sie noch annehmen wollen, aber so einen alten Kerl! ... Nein, je zärtlicher er wurde, desto abstoßender kam er ihr vor.

Dennoch wußte Wannes seine Schwester zu überreden. Er sagte, es sei doch besser, sie heirate den alten Geizhals, dann würde sie später, wenn sie noch jung sei, dessen Vermögen erben. Während sie nur zu warten brauche, bis der Alte abkratzen würde, wäre sie nicht mehr die arme Annemie, die auf einem Gespann von grindigen Hunden mit Tannenzapfen, Binsenbüscheln und anderen lächerlichen Waren auf den Markt fahren müsse; sie würde dann die Bäuerin Cramp werden, die Besitzerin des Weißhofes, eines der größten Güter zwischen Eeckeren und Santvliet. Um sie zu überzeugen, daß es nicht immer gut ist, wenn Mann und Frau zu gut zusammenpassen, erinnerte Wannes sie an das Beispiel ihrer Eltern, die sie zurückgelassen hatten, ihn, den ältesten, Annemie, die jüngste, und drei andere Kinder (die, Gott sei Dank, der liebe Herrgott zu sich genommen) mit einem Winkel Land, auf dem nur Ginster wuchs, zwei unfruchtbaren Kühen und ihrem Segen als ihrer ganzen Erbschaft. Er brauchte übrigens nur seinen eigenen Fall zu erwähnen: er war Witwer und hatte ein halbes Dutzend Buben von vier bis zwölf Jahren, die zerfetzt und wie eine unheilstiftende Bande sich den ganzen Tag in der Gegend herumtrieben und ihrem Vater nichts als die Strafanzeigen des Feldhüters zuzogen.

Annemie sah schließlich über die Gestalt und das Alter des Zukünftigen hinweg. In seiner Eigenschaft als Familienoberhaupt hatte Wannes dafür gesorgt, daß in den Vertrag als Bedingung gesetzt wurde, das ganze Vermögen verbleibe dem überlebenden Ehegatten.

Der Eintritt der jungen Bäuerin auf dem Weißhof brachte anfänglich keine Veränderung in dem Leben Kees Dooriks mit sich. Er befleißigte sich, zwei Herren zu befriedigen, statt nur einen, und das fiel ihm nicht schwer, denn die junge Frau, die von ihrem Mann in die Wirtschaft eingeführt worden war, gewöhnte sich daran, sich für die Führung der Geschäfte auf diesen tätigen, ruhigen Gehilfen zu verlassen. Da die Arbeiten den Knecht gewöhnlich nach außen riefen, so sah sie ihn nur während der Mahlzeiten und des Abends, und dann war er immer untertänig, scheu, fast mürrisch.

Zwei Jahre verstrichen inmitten dieser friedlichen Beziehungen, und aus dem kleinen Jungen wurde ein Mann. Er war eben zur Ziehung gewesen, und da er das Glück gehabt hatte, nicht mit ausgehoben zu werden, lief er in einem Atem von der Gemeindeschule nach Hause, winkte mit der Mütze, um dem Bauern diese wichtige Nachricht schon von ferne mitzuteilen, als man ihm auf der Türschwelle den plötzlichen Tod von Nelis Cramp mitteilte.

Der alte Egoist hatte sich davongemacht, ohne die Zukunft seines Schützlings zu sichern, gegen den er keine Verpflichtungen zu haben glaubte. Er überließ seiner Witwe den Knecht wie ein guterhaltenes Werkzeug in der Gesamterbschaft, mit den sechs Pferden, den neun Kühen, dem Hühnerhof, dem ganzen Gut nebst Zubehör sowie den zwanzig Morgen Land, die er im Polder gekauft hatte.

Die Leute im Dorf waren über die Undankbarkeit des Geizhalses entrüstet, und andere Pächter glaubten diesen kostbaren Gehilfen von der einzigen Erbin des Weißhofes entfernen zu können, indem sie dessen Uneigennützigkeit, die so schlecht belohnt worden war, überall rühmten.

Wäre der alte Cramp einige Zeit früher gestorben, so hätte der treue Diener, enttäuscht über die falsche Großmut seines Beschützers, wahrscheinlich dem Gefühl seiner Empörung nachgegeben und sich einen freigebigeren Herrn gesucht.

Aber gegenwärtig hatte er andere Begierden als nach einem Stück Land. Die tiefe Anhänglichkeit des jungen Burschen an das rauhe und kräftige Land der Unterscheide konnte gegenüber den Reizen eines Geschöpfes wie der leichtlebigen Annemie nicht gleichgültig bleiben – dieser Annemie, in der sich alle Verlockungen der flämischen Natur vereinigten, die, schwer, üppig und fruchtbar, zu materiellen Genüssen geneigt ist.

Und der Augenblick kam heran, da die Arbeiten der Scholle dem täglichen Verbrauch seiner Kräfte nicht mehr genügten, da seine Beschäftigungen auf den Äckern, wo er lange Stunden im kalten Staubregen des Novembers wie in der glühenden Hitze des Juli zubrachte, oder seine Arbeiten in der Tenne oder im Hofe nicht mehr imstande waren, ihn des Abends müde, steif und gedankenlos auf sein Lager zu werfen und ihn einem Schlaf zu überliefern, wie ihn die verschnittenen Tiere unter ihm im Stall schliefen. Und jetzt erriet er während der schlaflosen Nächte, wenn er sich auf seinem Strohsack wälzte, weshalb sein Liebling Puß, der stolze schwarze Hengst, wütend mit dem Fuß stampfte und laut wiehernd zu rufen schien, während die anderen Tiere des Hofes in ihrer stupiden Ruhe lagen.

Die erwachende Mannbarkeit hätte noch lange bei Kees geschlummert, wenn es unter dem Dach des Weißhofes nur eine rotbäckige, dicke Trutschel wie Paulke gegeben hätte, aber in Gegenwart der reizenden Annemie konnte seine Apathie nicht länger dauern.

Als Nelis Cramp verschied, trug der gute Kees schon seit Monaten Verlangen nach seiner Meisterin, aber die Erkenntlichkeit zwang ihn, diese Leidenschaft zu verheimlichen und sogar zu bekämpfen. Seine Gefühle für die junge Witwe waren daher auch scheinbar dieselben geblieben. Er hielt sich zurück, bezeugte ihr noch immer dieselbe Zuvorkommenheit wie ein anhänglicher Hund, aber er verweilte öfter, wo sie hinkam, verlangte längere Erklärungen über die zu verrichtende Arbeit, und mehr als einmal trafen sich ihre Hände bei derselben Beschäftigung. Handelte es sich darum, etwas Schweres aufzuheben, eine Last wegzuwälzen, so berührten seine Finger die ihren wie durch einen Zufall, und diese Berührung rief einen köstlichen Reiz in ihm hervor.

Die junge Witwe hatte bald die Wandlung des jungen Mannes bemerkt, der früher vor ihren Röcken flüchtete. Ihre Koketterie erwachte daraufhin ganz instinktiv. Sie machte sich sogar lustig über Kees' schüchterne Miene und sein plötzliches Erröten. Es amüsierte sie, wenn seine schwarzen Augen so beharrlich nach den ihren suchten und dabei bald einen kühnen, bald einen flehentlichen Ausdruck annahmen. Sie fand Freude an seiner jugendlichen Stimme, die zuweilen rauh in der Kehle anhielt, während sie ein andermal sanfter klang als die Orgel in der Kirche unter den Händen des Schulmeisters. Die Gespräche der Witwe mit dem Knecht handelten jedoch immer nur von gleichgültigen Dingen wie von dem Schwein, das man zur Kirmes schlachten würde, oder von der schwarzen Kuh, die nicht kalbte und für die die Bäuerin einen Bittgang nach Braßschaet zu machen gedachte.

Kees war schon bald von seiner Verehrung für den geizigen Nelis Cramp abgekommen, und er sah nun ein, daß Cramp zu häßlich und zu alt für das frische Mädchen aus den Kempen gewesen war. Jetzt träumte er davon, wie er der Gefährte der verführerischen Meisterin und auch der Besitzer des nicht weniger begehrenswerten Weißhofes werden könnte.

In dieser Stimmung war er, als jener düstere Gewitterabend sie bei der Heimkehr von der Ernte überraschte.


 << zurück weiter >>