Marie von Ebner-Eschenbach
Unverbesserlich
Marie von Ebner-Eschenbach

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Die Hochzeit Kathis wurde prunkvoll gefeiert. In Seide starrend, stand die Braut vor dem Altare und trug mit Stolz und mit Recht den Myrtenkranz. Aber wieviel besser hatte ihr doch das immer blütenweiß garnierte Diensthäubchen gestanden! Trotz Schleier und Kranz nahm sie sich neben dem jugendlichen Bräutigam aus wie eine wohlhabende Großtante an der Seite ihres lachenden Erben.

Der Herr Pfarrer und Monika nahmen als Ehrengäste am Hochzeitsschmause teil. Für die Tafelmusik sorgte Edinek, gab auf seiner Geige Volkslieder und Tanzweisen zum besten und brachte dazwischen die tollsten Witze und Späße vor. Einen großen Teil der männlichen Jugend riß er zu schallendem Gelächter hin, die Mädchen kicherten, und viele von ihnen sahen ihn mit blitzenden, andere mit vorwurfsvollen Augen an. Der Neuvermählte trank ihm zu und schmunzelte verständnisvoll bei jeder Anspielung auf das Glück, eine schöne, reiche Frau heimzuführen. Aber die Alten und Mittelalterlichen stellten sich taub, kehrten ihm den Rücken zu. Zu schlecht angeschrieben war er bei ihnen, um mit seiner Unterhaltungsgabe und mit seiner Musik etwas anderes als ihren Ärger und ihr Mißfallen zu erregen.

Neulich erst hatte der Vorsteher selbst erklärt, es würde im Dorfe solide Burschen und brave Mädchen erst wieder geben, wenn der Teufel seinen zur Hölle längst reifen Sohn geholt hätte.

Auf dem Heimwege erging Monika sich in Betrachtungen. Erziehung! – einmal ist sie alles, einmal ist sie nichts. Dieser Edinek – wäre etwas anderes aus ihm geworden, wenn ihn Pestalozzi selbst in die Hand genommen hätte?

Ihr Bruder wußte es nicht, gestand auch, daß er sich keine Gedanken darüber mache.

Es sei allerdings fruchtlos, meinte sie, aber interessant. Und schad ist es um den Buben, sehr, sehr schad. Er hat künstlerische Anlagen, der Bub, könnte Musiker werden, Sänger, Schauspieler. Das weibliche Publikum hätte er für sich. Wie sie ihn alle anstaunten, die Dorfprinzessinnen! Sogar die ernste Anna, die doch keinen Augenblick vergessen sollte, dem tränenreichen Bräutigam nachzutrauern, hatte mehr als einmal laut mitgelacht. Das Fräulein beschloß, ihr bei nächster Gelegenheit eine Bemerkung darüber zu machen.

 

Anna nahm seit einiger Zeit die Stelle Kathis im Pfarrhause ein. Sie hatte sich, durch ihre Vorgängerin in den Dienst eingeführt, deren Unterweisungen zunutze gemacht. Geschickt, still und freudig verrichtete sie ihre Arbeit, gab nie Grund zum Tadel und nahm jedes Lob wie ein Gnadengeschenk hin. An Respekt für ihre Gebieter leistete sie das Äußerste. Sie betrat das Zimmer des Fräuleins so ehrfürchtig, als ob sie eine Kapelle beträte, besorgte das Waschen und Plätten der Kirchenwäsche ernst und hingebend wie eine heilige Handlung. Wenn sie dem Herrn Pfarrer begegnete, blieb sie stehen, machte Front, knickste und rührte sich noch eine ganze Weile nicht, nachdem er schon vorüber war.

Einmal sagte Monika: «Du hast Respekt vor dem Herrn Pfarrer, das ist recht. Was denkst du denn, wenn du ihn siehst?»

Ein großer Schreck bemächtigte sich Annas bei dieser Frage. Sie zerknüllte den Zipfel ihrer weißen Küchenschürze, führte ihn tief geneigten Hauptes an die blühenden, zuckenden Lippen und blickte das Fräulein von unten herauf bestürzt und ratlos an.

«Antworte! Du mußt immer antworten, wenn ich dich frage.»

«Herr Jesus, gnädiges Fräulein, was ich denk? Wenn ich ihn seh, denk ich, wie mir sein möcht, wenn er vor uns stehen möcht, vor mir und dem Sylvin, und uns trauen möcht... gnädiges Fräuln. Und wenn ich das denk, steigt mir's immer so rot in den Kopf, und ich möcht mich vor ihm niederknien.»

Nun, dachte Monika, vorläufig hat der plärrende Othello noch keinen Grund, ihr ans Leben zu gehen.

Zu wachen hörte sie trotzdem nicht auf. Es war geboten, denn man sah den unternehmenden Edinek das Haus jetzt besonders oft umstreichen. Freilich, die Zeit der Kartoffelernte war da; er schickte sich an, sie hereinzubringen, und hatte im Keller zu tun. Ins Haus selbst durfte er nicht, seitdem es ein so schönes Vögelchen beherbergte.

Am Tage nach dem Rosenkranzfeste wurde dieses Verbot von ihm gebrochen. Da kam er einhergestürmt, nahm in zwei Sprüngen die Stufen zur Eingangstür und rannte schreiend auf Monika zu, die eben am Ende des Ganges aus der Küche trat. «Fräuln, Fräuln, denken sich, die Pagasch, die niederträchtige...»

Monika trat ihm mit gebieterisch erhobener Hand einen Schritt entgegen: «Beherrsche er sich. Solche Ausdrücke sind...»

Sie mußte innehalten, Edinek war nicht zu bändigen.

«Drei Säck!» schrie er noch lauter als vorhin, «just die neuen, die die Fräuln erst gekauft hat, fort – gestohlen!»

«Was? Kartoffelsäcke?»

«Ich hab noch oben auf dem Feld zu tun, leg sie hin auf den Rain, wo der Weg ins Dorf geht, meinen Rock dazu... komm nach einer Viertelstund wieder, und da liegt auch noch der Rock... den haben's liegenlassen, der hätt sie verraten können. Aber, meine Säck! Meine neuen Säck, die hat mir das Gesindel...»

Monika unterbrach ihn: «Ich habe ihm schon gesagt, daß er nicht zu schimpfen braucht. Aber recht schön, recht schön, daß es ihm nah geht. Übrigens hätte er auch besser achtgeben und die Säcke nicht an den Rain legen sollen, wie hergerichtet zum Forttragen... Das Diebshandwerk ist eben wieder recht in Aufschwung gekommen im Dorfe...» Ihre Stimme wurde immer milder, die Empörung des Nichtsnutzes über eine widerrechtliche Handlung berührte verwandte Saiten in ihr, und sie schloß beinahe vertraulich: «Mir fehlen ja auch seit einigen Tagen zwei meiner schwarzen Hühner.»

Edinek stieß von neuem sein Lieblingsschimpfwort aus:

«Pagasch, niederträchtige! Gleich drei Säck und zwei Hendeln und Gott weiß was alles noch! Aber... ich kenn die Pagasch, und wenn ich sie erwisch – und ich...»

Er schwor darauf, daß er sie erwischen und «treschaken» werde, fluchte und wetterte, überstürzte sich und warf in seinen Reden alles derart durcheinander, daß man nicht mehr wußte, ob er von den Säcken, der Pagasch, dem Fräulein oder von den Hendeln sprach.

Plötzlich aber, wie auf den Mund geschlagen, schwieg er, riß die Augen auf, starrte. – Anna war aus der Küche getreten, rosig und blond, im Glanz ihrer lieblichen Schönheit. Der Anblick wirkte auf den Jüngling, wie wenn er zum erstenmal in ihm schwelgte, berückend und entzückend. Es gab keine Erdäpfelsäcke und keine Hendeln mehr, das Fräulein war in einen Abgrund versunken, auf der ganzen Welt lebte nur die Anna. Der Gedanke. Du mußt mein werden! durchblitzte ihn, und er murmelte, zu früh triumphierend: «Sackerlot!»

Monika riß ihn aus seiner Berauschung, indem sie ihm die Tür wies. Dann wandte sie sich mit strenger Miene ihrer Dienerin zu.

Das junge Mädchen bog sich wie eine Gerte, steckte den Kopf zwischen die emporgezogenen Schultern, rang die Hände über den Knien, pustete, schluckte und brach endlich in ein unaufhaltsames Gelächter aus.

«Worüber lacht sie?» fragte Monika. «Sie sollte nicht lachen, sie sollte lieber gut überlegen, wie sehr sie sich vor dem Nichtsnutz, dem Eduard, in acht zu nehmen hat.»

«Verzeihn, gnädiges Fräuln, verzeihn», sprach Anna zwischen neuen Lachanfällen, «der ist ja ein Narr, und er» – das hieß bei ihr immer: der Sylvin – «ist auch ein Narr, daß er sich vor dem fürchtet.»

 

Einige Tage später saß Monika in ihrem Zimmer am Tische vor der hell brennenden Lampe und erwartete Anna, die im nächsten Augenblick kommen sollte, um den Kaffee zu servieren. Ihr leichter und rascher Schritt wurde eben vom Gange her vernehmbar, als ein Schrei ergellte, der dem Fräulein durch Mark und Bein ging. Ihre Magd hatte ihn ausgestoßen, und zugleich klang und klirrte das Getöse zu Boden gestürzten, zerschmetterten Geschirres.

Monika eilte zur Tür, riß sie auf und stand ihrem Bruder gegenüber, der auf die Schwelle seines Zimmers getreten war. Aus dem seinen wie aus dem ihren fiel ein heller Lichtschein auf den halbdunkeln Gang.

Das Fräulein stieß einen Schreckensruf hervor, der Pfarrer fragte gelassen:

«Was gibt es denn?»

Erstens also für heute keinen Kaffee. Das gute Getränk duftete ihm zwar entgegen, aber von den Fliesen herauf, wo es sich ausbreitete, aromatisch und dunkelhell. In seiner Nähe bildete die Sahne einen kleinen See und streckte nach ihm schmale Kanäle gleich sehnenden Ärmchen aus. Und drinnen und daneben lag in Trümmern das großelterliche Erbstück, das Altwiener Porzellanservice. Die Kanne mit dem gutmütigen Bäuchlein und der schlanken Taille, mit der Birne auf dem kuppelförmigen Hütlein, und die Zuckerdose und die Tassen, alles in Scherben.

Und an dieser Stätte des Unheils zwei Bilder menschlichen Elends. Dem Fräulein gegenüber preßte sich Edinek in Zerknirschung so dicht mit dem Rücken an die Wand, daß er plattgedrückt aussah wie eine Blume in einem Herbarium. Wieder starrte er zur Anna hin, jetzt aber in Todesangst. Und sie befand sich in sinnloser Verzweiflung. Aus diesem jungen Geschöpfe kam eine Wildheit zutage, deren man es nie für fähig gehalten hätte.

Fluchend hob sie die geballten Fäuste, ihre Augen glühten wie Feuerbrände, und wie das Herz ihr klopfte, sah man am Auf- und Niederwogen ihres Busentuches. Den Kopf zurückwerfend, stieß sie in schrillen Tönen abgebrochen hervor: «Teufel – vermaledeiter!... In die Hölle mit ihm!... Nicht hier herumlaufen – nicht Menschen unglücklich machen, Teufel!»

«Was hat er Ihnen getan?» fragte der Pfarrer.

«Ge-ge-geküßt», kam die Antwort unter Schluchzen und Stöhnen heraus. «Er hat mich ge-geküßt!»

«Abscheulich!» rief das Fräulein. «Abscheulich! Miserabilität! Er weiß doch, der Mensch, daß sie eine Braut ist.»

«Und ‹er› hat gesagt, wenn ich mich ein einziges Mal von einem andern küssen laß...» Ein neuer Zornes- und Schmerzensausbruch mußte sich Luft machen, ehe sie schließen konnte: «mag er mich nicht mehr... und jetzt... und jetzt... wird er mich nicht mehr mögen...»

«Na, na», suchte das Fräulein zu beruhigen, hätte aber selbst nötig gehabt, beruhigt zu werden, und der Pfarrer sprach:

«Sie haben sich ja nicht küssen lassen; Sie wurden überrascht, und wie Sie darüber erschraken und wie Sie sich wehrten, bezeugen dieser verschüttete Kaffee und dieses zerbrochene Porzellan.»

Die Geschwister sahen einander wehmütig an; dann durchmaß Monika den Edinek mit einem Richterblick vom Wirbel bis zur Sohle.

«Dich», wandte sie sich zu ihrer Dienerin, «wird niemand zur Rechenschaft ziehen für die Untat eines...»

Während sie einen Ausdruck suchte, der ihrer nicht unwürdig und für den Verbrecher bezeichnend gewesen wäre, fiel Emanuel sanft ein:

«Nimm sie mit auf dein Zimmer, und Sie, Eduard,» – wenn er «Sie» und «Eduard» sagte, war er sehr böse – «räumen hier auf und kommen dann zu mir.»


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