Marie von Ebner-Eschenbach
Unverbesserlich
Marie von Ebner-Eschenbach

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Einen besonders schweren Stand hatte der geistliche Herr dieses Mal mit dem immer rückfälligen Sünder. Daß er die Anna mit Gewalt geküßt hatte, gab er zu; aber als einen Willensakt konnte er diese Tat nicht gelten lassen. Er ahnte selbst nicht, wie es geschehen konnte. Es hatte ihn, als er am Pfarrhof vorbei kam, mit Gewalt hinein- und in den halbdunklen Gang gezogen, und im Gang war ihm die Anna entgegengekommen, und da hatte es ihn zu ihr und seinen Mund auf den ihren gestoßen.

«Was soll das heißen – ‹Es› hat dich gezogen, ‹es› hat dich gestoßen? Es gibt kein ‹Es›, das zieht und stößt. Der Mensch hat einen freien Willen, Eduard.»

«Ja, hochwürdiger Herr Pfarrer, den hab ich, o den hab ich! Ich tu immer wollen, und immer das Beste; aber was nachher herauskommt, dafür kann ich nichts.»

«Schäm dich, einen solchen Unsinn zu reden», zürnte Emanuel. «Aber du bist gar nicht mehr fähig, dich zu schämen, du bist unverbesserlich, und den Unverbesserlichen geb ich auf.»

Edinek erschrak. In dieser Weise hatte der geistliche Herr noch nie zu ihm gesprochen. Schlecht stand es mit ihm, wenn der Übergütige also zu ihm sprach. Immer bereit, ins Äußerste zu stürzen, als wär's das Nächste, erwiderte er stockend, schluckend und in naiver, ehrlicher Verzweiflung:

«Wird schon so sein, werden schon recht haben, die Leut, die mich Teufelsbrut schimpfen... Wird schon so sein, das Verfluchte, das mich zwingt, wird schon der Teufel sein.»

«Laß dich nicht zwingen, laß dich nicht unterkriegen, widersteh der Versuchung!»

«Wenn ich nur nicht eine so teuflische Natur hätt, hochwürdiger Herr.»

«Natur! Verschone mich mit deiner Natur. Weißt du, wozu sie da ist, deine Natur? – Um überwunden zu werden, dazu!»

«Wenn man nur könnt...»

«Man kann! Nicht nur der Mensch, sogar das Tier kann seine Natur überwinden. Hast du nie einen braven Jagdhund gesehen? Wozu treibt ihn seine Natur, und was tut er, weil sein Wille stärker geworden ist als seine Natur?... Ja, sogar von einem Wolf weiß ich, der seine Natur bezähmte, einem wilden Wolf.»

Edinek schien sehr ungläubig. «Haben ihn gesehen, den Wolf?»

«Das nicht. Er lebte vor ein paar hundert Jahren.»

«Ein paar hundert Jahren – ja so.»

Pater Emanuel hatte in einem Lehnstuhl Platz genommen; Edinek stand vor ihm, seine Haltung, die anfangs geknickt gewesen, war schon sicherer geworden:

«Hier war er? Hier bei uns?»

«Nein, in der Nähe einer italienischen Stadt, die Gubbio hieß, und der Schrecken der ganzen Gegend.»

«Ein einziger Wolf? O den hätt ich...»

«Nichts hättest du. Er war so stark, daß er alle, die gegen ihn auszogen, und wenn ihrer noch so viele waren, und wenn sie sich noch so gut bewaffnet hatten, überwand und auffraß. Zuletzt traute sich niemand mehr aus der Stadt, die Menschen waren hinter ihren Mauern eingeschlossen wie die Belagerten. Sie wären verhungert, wenn ein großer Heiliger sich ihrer nicht erbarmt hätte. Dieser Heilige war Franziskus von Assisi... Du weißt von ihm.»

Edinek bejahte.

«Der beschloß, sie mit Gottes Hilfe von dem Feinde zu befreien, machte sich auf und ging ihm entgegen.»

«Das war schön! Er allein, ganz allein!»

«Zuletzt ja; anfangs hatte eine ganze Schar Leute ihn begleitet, als sie aber den Wolf erblickten, der heulend mit aufgerissenem Rachen auf sie zu stürzte, wichen alle zurück.»

«Nur der Heilige nicht!» fiel Edinek begeistert ein.

«Nur der Heilige nicht. Allein stand er da und erwartete den bösen Feind, der in wilden Sprängen auf ihn zu kam...»

«Und hat nichts gehabt, kein Gewehr, keinen Säbel?...»

«Eine mächtigere Waffe hat er gehabt als Säbel und Gewehr. Die geweihte Hand hat er erhoben und das heilige Zeichen des Kreuzes gemacht.»

«Über den Wolf?»

«Du sagst es. Und das böse, ingrimmige Tier stand still, schloß den Rachen, senkte den Kopf und rührte sich nicht. Der Heilige aber sprach: ‹Komm näher, Bruder Wolf!›»

«Bruder?»

«So ist es uns überliefert. Und weiter sprach der Heilige: ‹Höre, Bruder Wolf, ich verbiete dir, einem Menschen, einem Geschöpfe Gottes, weh zu tun. Versteht mich mein Bruder?› Da konnte man sehen, daß ihn der Wolf verstanden hatte, denn er nickte mit seinem Kopfe, kam ganz nahe heran und legte sich demütig dem Heiligen zu Füßen. ‹Wolf›, sagte nun Franziskus von Assisi, ‹du hast schon viel Schaden angerichtet, viel Unglück in die Welt gebracht; der ganze Ort ist dir feindlich gesinnt.›»

Bei diesen Worten sah der Priester den schuldbeladenen Edinek fest und bedeutungsvoll an, und dieser blickte, vor Verlegenheit schielend, zur Seite und murmelte: «Nur die Männer.»

«'Aber ich will Frieden stiften zwischen ihnen und dir. Sie sollen dir alles Üble, das du ihnen zufügtest, verzeihen, und du sollst ihnen nichts Übles mehr zufügen.' Wieder nickte der Wolf, so zustimmend er nur konnte, und der Heilige hielt ihm die Rechte hin: ‹Wenn du's zufrieden bist, Bruder, dann versprich mir's in die Hand.› Und der Wolf hob die Pfote und legte sie in die Rechte des Heiligen, zutraulich und fromm und mit einem Nachdruck, wie ein solches Tier es nur irgend tun kann. So hat der Wolf sein Wort gegeben, und als der Heilige in die Stadt zurück ging, folgte ihm der Wolf wie ein guter Hund. Und hat sein Wort gehalten, hat seine wilde Natur bezwungen und hat sein Wort gehalten. Er ist ein Freund der Bewohner von Gubbio geworden, aus und ein gegangen in ihren Häusern, nirgends mehr gefürchtet und überall willkommen.»

Edinek war immer röter und verlegener geworden. «Wohl, jawohl», versetzte er zagend. «Es war halt ein Wunder.»

«Es ist eine Legende, und ich denke mir die Stadt wie das Himmelreich und den Wolf wie den reuigen Sünder, den der Heilige dahin zurückführt.»

«Es war halt doch ein Wunder», wiederholte Edinek; «ein Heiliger hat ein Wunder getan.»

Aber es sprachen nur seine Lippen, ganz anders sprach sein Herz. Das schwoll und klopfte in starken Schlägen:

Ist der Mann, vor dem du stehst, nicht auch ein Heiliger? Lebt er nicht wie in einem gläsernen Hause? Wissen die Bewohner des Dorfes nicht alles von ihm? Hat er je etwas getan, das eines Heiligen unwürdig gewesen wäre? Nie, niemals!...

Er ist ein Heiliger, und wie zu einem Heiligen kann man zu ihm beten!

Überzeugt und ergriffen trat er näher an den Geistlichen heran, kniete nieder, hob die Augen tränenfeucht zu ihm empor und fragte:

«Möchten mir nicht die Hand reichen, damit ich meine Pfote hineinlegen kann?»

«Und mir Besserung versprechen?» Den Mund Emanuels umspielte das gewohnte, mild überlegene Lächeln.

«Ja! ja! ja! O nicht nur versprechen, Wort halten, wahr und gewiß, wenn nur Hochwürden die Gnade hätte, die große, unendliche Gnade – ein Wunder zu tun!»

 

«Hoffnungslos!» murmelte Pater Emanuel und befahl ihm, aufzustehen. «Das Wunder kannst nur du selbst an dir vollbringen», sagte er, «und sollst damit gleich anfangen, indem du dich einer Strafe unterwirfst. Ohne die kommst du mir dieses Mal nicht durch.»

«N-icht?» Edinek fand, daß er in dem Fall schlimmer dran sei als der Wolf, machte aber keine Einwendung, sondern verbeugte sich still und ergeben.

«Ich befehle dir, von morgen an bis zu Allerheiligen statt des Mesners, der krank war und dem es noch schwer wird, seinen ganzen Dienst zu tun, die Kirche täglich am Morgen aufzusperren und zu säubern. Um vier Uhr an Werktagen, um fünf Uhr an Sonn- und Feiertagen. Morgen, Sonntag, also um fünf. Um acht Uhr ist Hochamt; vorher werde ich die Beichte hören.»

Abermals verbeugte sich Edinek und versprach, daß der hochwürdige Herr alles in bester Ordnung finden werde.

Ja, im Versprechen und im Fassen von Vorsätzen ist der Mensch ein Meister. Pater Emanuel musterte die dürftige Kleidung, die er trug, der Mensch, und mochte nicht fragen, wohin der neue Anzug gekommen sei, den Monika ihm erst kürzlich hatte machen lassen. Er wußte ja: verspielt im Wirtshaus, beim Handelsmann eingetauscht gegen ein Kopftuch, ein Ringlein für die Geliebte, die eben an der Reihe war. Aber gleichviel, so kläglich ausgestattet konnte man ihn den Kirchendienst in der vorgeschrittenen Jahreszeit unmöglich versehen lassen.

Was tun? Ein Blick in die Brieftasche hatte den Geistlichen überzeugt, daß da nichts zu holen sei. So begab er sich denn zum Kleiderschrank und entnahm ihm eine warme Soutane, die er dem eben zur Strafe und Buße Verurteilten reichte.

«Der Schneider soll dir daraus einen Winterrock machen und mir die Rechnung schicken.»

Nein, das war zuviel der Gnade, und so tief ergriffen und gerührt hatte sich Edinek noch nie gefühlt. Seine Beredsamkeit ließ ihn im Stiche, sogar sein Atem war beklommen. Er zog die Hand Emanuels an die Lippen und bedeckte sie mit Küssen, von denen jeder einen feurigen guten Vorsatz bedeutete.

 

Seine Wohnung befand sich am Ende des Dorfes in dem halb verfallenen Häuschen einer alten Witwe. Auf dem Wege dahin traf er einige Bekannte. Sie luden ihn ins Wirtshaus zum Kartenspiel und wollten ihn, als er ablehnte, mit Gewalt fortreißen. Es setzte eine regelrechte Prügelei, die erfrischend auf ihn wirkte. Als Sieger über die Versucher und die Versuchung betrat er seine kleine Stube. Da war es schon recht finster; er entfachte das Petroleumlämpchen, entfaltete und betrachtete die Soutane. Wirklich, sie sah dem hochwürdigen Herrn ähnlich, sie war so gediegen, ernst und weich wie er selbst; kein anderer als er konnte sie getragen haben. Edinek legte sie, als er in seine mit Stroh gefüllte Bettlade zur Ruhe ging, dicht neben sich und atmete wohlig den leisen Weihrauchduft ein, den sie ausströmte. Den Kirchenschlüssel hatte er, damit alles Heilige beisammenblieb, in ihre Tasche gesteckt. Er betete andachtsvoll, schlief gut, erwachte rechtzeitig.

Als er beim Schein seiner Laterne ins Freie trat, heulte der Sturmwind ihm eisig entgegen; einzelne große Schneeflocken wirbelten in der Luft herum, zerschmolzen ihm auf dem Gesichte. Den Herbstmorgen durchschauerte eine Anwandlung von winterlichem Froste; es war der richtige Moment, einen Bußgang anzutreten.

Zehn Schritt vom Hause blieb der reuige Sünder plötzlich stehen und schlug sich vor den Kopf. Er hatte den Kirchenschlüssel liegenlassen...

Eiligst umkehren denn, ihn hervorholen aus der Tasche der Soutane...

Und nun hielt er sie in Händen, bewunderte sie und gedachte der gütigen Absicht, in der der Pfarrer sie ihm geschenkt hatte. Ihr jetzt schon Ehre zu machen, konnte das eine Sünde sein? Er überlegte, beantwortete die Frage verneinend und zog den Priesterrock über seine Kleider.

So angetan begab er sich wieder auf den Weg. O wie war ihm jetzt! Wie breiteten die langen Ärmel sich schützend über seine Hände! Wie angenehm wärmend umschlenkerte das lange Gewand ihm die Beine!

Und wie man sich in so einer Soutane fühlt, als ein ganz anderer, ein Vornehmer, als ein Kirchendiener und mehr – beinah als ein Kaplan.


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