Marie von Ebner-Eschenbach
Unverbesserlich
Marie von Ebner-Eschenbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Turmuhr schlug fünf, als er anfing, mit Besen und Wischtuch in der Kirche zu hantieren. Es geschah beim Schein einiger Lichtstümpfchen, die er da und dort aufsteckte. Aber bald herrschte eine große Sauberkeit. So nett hatte es in der Kirche schon lange nicht mehr ausgesehen. Freilich, der Mesner ist alt; es wäre Zeit, daß er sich zur Ruhe setzte. Edinek könnte seine Stelle erhalten und dann auch einen Dienst im Pfarrhofe, als Wirtschafter, als Gärtner; das Fräulein sagte erst neulich wieder: «Eine gute Hand für Blumen, die hat der Nichtsnutz!»

Ja, wenn er in die Pfarrei kommen könnte später, wenn die Anna verheiratet sein wird, denn früher nehmen sie ihn nicht... Leider! Sie geht ihm nicht aus dem Sinn, die Anna; er muß sehr oft an sie denken und an den ihr geraubten Kuß, aber auch an den Wolf, an dem er sich ein Beispiel nehmen soll – und wird!

Er war mit der Arbeit fertig, hatte zuletzt noch den Beichtstuhl abgestaubt und ließ sich nun darin nieder, um seinen Gedanken bequemer nachzuhängen. Doch vergingen sie ihm im leichten Schlummer, in den er verfiel. Das Geräusch schlürfender Schritte weckte ihn; mehrere Personen waren durch die geöffnete Kirchentür eingetreten. Die Beichtkinder, die der Herr Pfarrer erwartete... Wäre eine schöne Geschichte, wenn ihn die sähen im Priesterkleide. Jetzt heißt es sich davonmachen im Schutz der Dunkelheit, längs der Wand, am Altar vorüber, in die Sakristei... Er steht auf – aber Himmel! da kniet schon jemand im Beichtstuhl vor dem Gitter...

Edinek, ganz erschrocken, hält die Hand vors Gesicht und murmelt mit leiser, verstellter Stimme: «Mach sie oder er, wer's ist, daß er oder sie fortkommt, jetzt wird noch nicht Beicht gehört.»

Seine Worte blieben unverstanden und wurden gänzlich mißdeutet. Er hatte sie kaum ausgesprochen, als das Beichtkind sein Bekenntnis abzulegen begann. Und nun spitzte er die Ohren. Wer da vor ihm kniete, war niemand anders als die Cibulka, die alte Diebin, die sich schon so oft an pfarrherrlichem Eigentum vergriffen, die er nie hatte «stellen» können und die sich ihm nun selbst in die Hände lieferte. Sie hat sich im Beginn, gleichsam einleitend, allerlei kleiner Vergehen ohne Stocken angeklagt; aber jetzt kommt es zögernd und stotternd heraus, daß sie gestohlen hat.

Edinek konnte ein «Aha!» nicht unterdrücken, dämpfte aber dessen triumphierenden Ton durch ein kräftiges Räuspern.

«Also gestohlen – und was denn?»

«Dem Schullehrer aus dem Garten zwei Gurken.»

«Nur zwei?»

«Nur zwei große.»

«Die kleinen hat sie nicht gezählt, waren ihrer zu viele. Was weiter?»

«Dem Herrn Vorsteher ein Bündel Reisig aus der Holzlage.»

«Für die Scheite könnt Ihr nichts, die sind von selbst mitgegangen. Was weiter?»

«Dem Kaufmann aus dem Laden eine Handvoll Reis.»

«Wird eine tüchtige Hand gewesen sein, die Ihr Euch an dem Tag habt wachsen lassen. Was weiter?»

Jetzt kam's! Jetzt endlich war es da: «Vom Feld des hochwürdigen Herrn Pfarrers drei Säck.»

Gibt es einen jubelvollen Grimm? Ja, denn Edinek empfand ihn. «Pagasch!» sprach er, aber so leise, daß die Cibulka es unmöglich gehört haben konnte, und er setzte befehlend hinzu: «Zurücktragen die Säck, gleich zurücktragen! Verstanden?»

«Herr Jesus! Allerheiligste Muttergottes, ich hab sie nicht mehr.»

«So, so! Was angefangen damit?»

«Dem Juden verkauft.»

«Und das Geld vertan, verpraßt!...»

«Gott im Himmel, verpraßt – ich arme Witwe mit drei Kindern.»

«Saubere Kinder! geraten alle ihr nach. Lassen keine Kirsche rot werden am Baum, fressen alle schon grün auf. Diebsgesindel!»

«Herr Jesus!» Die Cibulka war in sich zusammengesunken zu einem Häufchen, aus dem heraus es wimmerte: «So streng sind der hochwürdige Herr nie mit mir gewesen!»

Die Mahnung kam sehr zurecht, bei einem Haar hätte der Pseudobeichtvater sich verraten. Er nahm sich zusammen und moderierte die Ausdrücke seiner Entrüstung. An Salbung fehlte es ihnen aber durchaus, und die Anzahl der Bußgebete, die er der armen Sünderin aufgab, war außerordentlich. Dann murmelte er etwas, das einer Lossprechung gleichen sollte, und befahl:

«Fort! zurück zum Seitenaltar dort. Ihre Buß abbeten!»

Sie schlich unter tiefen Verbeugungen davon, und zum Entsetzen Edineks schlug die Uhr drei Viertel auf sechs. Auch begann es heller zu werden. Hohe Zeit zum Rückzug; er erhob sich. Aber Himmel! da kniete schon eine zweite im Beichtstuhl, und die erkannte er sogleich. Es war die Rusalkova, deretwegen ihm das Fräulein eine scharfe Zurechtweisung erteilt hatte. Über die mußte er ins reine kommen, die Versuchung war zu groß. Seinen Platz wieder einnehmend, begann er rasch und leise:

«Dominus sit in corde tuo...» und bebte dabei vor Aufregung und schwerer Besorgnis.

Die Rusalkova bekannte redlich ihre unredlichen Taten, und er zählte die Minuten, fieberte vor Ungeduld, fiel ihr alle Augenblicke ins Wort: «Weiß schon! Geklatscht, verleumdet, den Mann ausgeschimpft, weiß schon... Und sich an fremdem Eigentum vergriffen – was? Nicht auch gestohlen – nein? Ein paar Hendeln zum Beispiel?»

Die Rusalkova stutzte; so offenbar zornig waren Hochwürden nie gewesen, und sie, verwöhnt durch seine Güte und frech von Natur, bäumte sich auf und sagte trotzig:

«Ein paar armselige Hendeln.»

«Armselig? Hendeln aus der Pfarrei – geistliche Hendeln armselig? Zurücktragen! Hört Ihr? Um Verzeihung bitten – zurücktragen – augenblicklich!»

«Wüßt nicht wie», erwiderte das Weib, in Tränen, aber mehr des Grolles als der Reue, ausbrechend; «wir waren hungrig, wir haben sie gegessen.»

«Pag...», die zweite Silbe blieb ihm in der Kehle stecken... Dreiviertel vorbei! schlug's in seinem Kopfe, klopfte wie mit Hämmern. Dreiviertel vorbei!... Ihm war, als sträubten sich seine Haare vor Angst und Bangigkeit. Jeden Augenblick konnte der Herr Pfarrer da sein, ihn antreffen bei Ausübung eines frevelhaft angemaßten Amtes... Kalten Schweiß auf der Stirn, mit so viel Atem wie ein Gewürgter, brummte er in Hast einige Worte, die mehr einer Beschimpfung als einer Ermahnung glichen, und entließ die Diebin mit der Weisung, ihre Bußgebete: fünfzehn Vaterunser, fünfzehn Ave Maria, den Rosenkranz, am selben Altar abzubeten wie die Cibulka.

«Die richtige Buße kommt nach, du Diebin, die erteil ich dir eigenhändig», setzte er unverständlich murmelnd hinzu, und die Rusalkova, die sich für absolviert hielt, verließ den Beichtstuhl. Eine dritte Bußfertige nahm sogleich ihre Stelle ein. Aber Edinek war schon aufgestanden. «Warten!» flüsterte er, ohne auch nur einen Blick durchs Gitter zu tun. Zur Seite gedreht, den Anwesenden – es waren ihrer noch wenige – den Rücken zukehrend, schleifte er quer durch die halbe Kirche, umging nach tiefer Kniebeugung den Altar und befand sich in der Sakristei.

Es war gerade noch Zeit, hinter den großen Schrank mit den Meßgewändern zu schlüpfen, den man der Feuchtigkeit wegen etwas weggeschoben hatte von der Mauer.

Die Turmuhr hob aus zum sechsten Schlag, der geistliche Herr trat ein und ging geradenwegs in die Kirche. Nun entledigte Edinek sich der Soutane und verbarg sie, sorgsam zusammengelegt, hinter dem Schranke. Dann ging er ins Freie. Die Luft war feucht und schwer, der Himmel trostlos grau.

 

Der alte Mesner hatte sich schon eingefunden und die Glocke, die zur Kirche rief, in Bewegung gesetzt. Von verschiedenen Seiten kamen Leute herbei, nicht lange und das Gotteshaus wird gefüllt sein.

Dem Edinek ist ganz kurios zumute. Eigentlich ist ihm, als ob er davonlaufen sollte. Aber statt dessen kehrt er zurück in die Kirche, bleibt unfern vom Eingange stehen und späht nach seinen Beichtkindern aus. Sie knien, noch eifrig betend, vor dem Seitenaltare. Er lächelt boshaft und denkt: Kanaillen!

Der Herr Pfarrer hat den Beichtstuhl verlassen; bald kommt er wieder, und die Predigt beginnt.

Neben Edinek entstand eine kleine Bewegung, die Leute rückten zusammen, machten Platz; die imposante Gestalt des Fräuleins schritt durch die Menge, der Bank ganz vorne neben dem Altare zu.

Mit geneigtem Kopf, mit gesenkten Augen folgte ihr Anna. Die jungen Burschen stießen und zwinkerten einander an, sahen dem schönen Mädchen nach. Gar zu gern hätte ihnen Edinek zugeraunt: «Zwinkert nur – ich, ich habe sie geküßt!... Das war, das war, ihr Tröpfe, als wenn ich meinen glücklichen Mund auf eine rote, volle, frische Rosenknospe gedrückt hätte!»

Wenige Minuten nur, und der hochwürdige Herr stand auf der Kanzel, begann seine Predigt mit der Auslegung der Epistel und des Evangeliums am einundzwanzigsten Sonntag nach Pfingsten, erklärte, was gemeint sei mit den Worten der Schrift: «Denn wir haben nicht nur zu kämpfen wider Fleisch und Blut, sondern wider die Oberherrschaft und Mächte, wider die Geister der Bosheit in der Luft...»

Den Worten vermochte Edinek nicht zu folgen, er erwog sie kaum; was ihn tief und mächtig ergriff, war der Anblick des Heiligen dort oben auf der Kanzel, der war's! Er! Er! In seinem priesterlichen Ernst, durchleuchtet vom Geist seiner gütevollen Weisheit und einer Liebe, die, einem unerschöpflichen Borne entquollen, niedertaute über das mühsal- und schuldbeladene Menschenvolk zu seinen Füßen. Göttlich erschien er ihm und verdammenswert das Verbrechen, in eines seiner Rechte einzugreifen.

Und von ihm war es begangen worden in frevelhaftem Übermut – von ihm, dem Sünder, dem Wolf!

Das Bewußtsein seiner Schuld fiel ihm klar und fürchterlich aufs Herz. Und mit einem Male kamen auch die Gedanken an ihre Folgen angestürmt. Maßlos vergrößert durch Angst und Gewissensbisse, erhoben sie sich dräuend vor ihm, jagten ihn fort, fort, trieben ihn zur Flucht.

Scheu und hastig stahl er sich hinweg, schritt längs der Kirche, längs des Pfarrhofgartens dem Dorfe zu... Aber nun fiel ihm ein, daß er die Soutane in der Sakristei liegengelassen hatte, in einem feuchten Winkel, wo sie verschimmeln würde. Ihn jammerte des letzten Geschenkes, das er vom hochwürdigen Herrn empfangen hatte, des schönen, lieben!... Weit und breit war niemand zu sehen; er durfte wagen, zurückzueilen und die Soutane hervorzuholen aus ihrem Versteck. Fest an seine Brust gepreßt, trug er sie durch den immer unverschlossenen Garten der Pfarrei, durch den Gang, dessen Halbdunkel ihm so verhängnisvoll geworden war, und legte sie auf die Schwelle der Zimmertür Seiner Hochwürden. Hochwürden sollte sicher sein können, daß kein Mißbrauch mehr mit ihr getrieben werde.


 << zurück weiter >>