Marie von Ebner-Eschenbach
Unverbesserlich
Marie von Ebner-Eschenbach

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Und nun eiligen Schrittes durchs Dorf, verfolgt von quälenden Vorstellungen... Eine Viertelstunde noch, und der Herr Pfarrer tritt an den Altar, eine halbe Stunde, und die Wandlung kommt und die heilige Kommunion, und vor dem Geistlichen knien fünf Kommunikantinnen, und nur dreien hat er die Absolution erteilt. Es wird gefragt, geantwortet – da ist's geschehen. Die Sünderinnen sind fortgewiesen vom Tische des Herrn, ungespeist, zu Tode beschämt... Sie werden ihm fluchen, die Weiber, der ganze Ort wird ihn bitterer hassen, als die Bewohner der Stadt, deren Namen er vergessen hat, den Wolf gehaßt haben... Seine Phantasie, sonst eine eingefleischte Schönfärberin, führt ihm heute nur düstere Bilder vor. Verklagen werden sie ihn. Religionsstörung wird es heißen – und darauf steht der Kerker...

Im Dorfe ist es still und leer. Nur hie und da guckt aus einem Fensterchen ein altes, runzeliges Gesicht. Müde, Gebrechliche, die sich nicht mehr zur Kirche schleppen können. Aus einer Haustür kommt eine geballte Faust zum Vorschein, und eine zittrige Stimme kreischt:

«Is die heilige Mess' schon vorbei? Oder haben's den Teufel ausgetrieben?»

Es folgt keine der kecken und lustigen Antworten, die man gewohnt ist, von Edinek zu hören. Er hastet stumm seiner Wohnung entgegen, langt bei der Hütte an, die ihn heute zum letzten Male beherbergte und die ihn zum ersten Male zutraulich anmutet.

Seine wenigen Habseligkeiten waren bald zu einem Bündel zusammengeschnürt. Obenauf schnallte er die Violine und wanderte fort mit seiner leichten Bürde auf dem Rücken.

Sein Zukunftsplan reifte, während er ihn auszuführen begann. Über die Grenze ging es nach Ungarn. Der Weg war ihm bekannt; er hatte in manchen der umliegenden Ortschaften Abenteuer der verschiedensten Art erlebt. In Ungarn fanden die Verfolger, die sie ihm gewiß nachschicken würden, ihn nicht so leicht. Da mochte er ihm nachlaufen, der Gendarm Pietienak, der den großen Haß auf ihn hat wegen seines Lümmels von Sohn, über den sich keiner traute und den Edinek neulich so arg verprügelte.

Der Sturm gab sich Ruhe, der Himmel war reingefegt, sah beinahe freundlich aus und schien geneigt, der Mutter Sonne einen Blick auf ihr geliebtes Kind Erde zu gönnen.

Nach einigen Stunden rüstigen Vorwärtsschreitens war Edinek auf eine Anhöhe gelangt, von der aus man fern ins Land sehen konnte. Adje, stolzer Javornik! Adje, blaue Berge, die in weitem Halbkreis die Heimat umsäumen. In Ungarn, sagen die Leute, gibt's keine Berge, nur Steppen, Felder, unabsehbar groß, und reiche, reiche Magnaten. Bei so einem – das ist sein Plan – will er in Dienst treten, als Gartengehilfe, oder als Knecht, oder vielleicht kommt er in den Stall als Pferdewärter. Und bald werden sie staunen, was für ein Arbeiter er sein kann, wenn er will. Und wenn er sich recht ausgezeichnet haben wird, dann geht er zurück zum Herrn Pfarrer und sagt: «Sehen Hochwürden, es ist doch etwas aus mir geworden, und jetzt bitt ich um Verzeihung und bitt um meine Soutane.»

Seine guten Gedanken erfrischten ihn, gaben ihm Kräfte zu fröhlichem Weiterwandern trotz des quälenden Hungers, der sich schon vor einer Weile eingestellt hatte.

 

Am Nachmittag kam er in ein großes Dorf. Mittendrin, auf dem Platze, erhob sich sehr stattlich das Wirtshaus. In reifer Schönheit prangend, stand die Wirtin vor der Tür, das Schlüsselbund am Gürtel, einen Zipfel der schneeweißen Schürze aufgerafft.

Edinek trat auf sie zu, grüßte höflich und behielt den Hut in der Hand. «Frau Wirtin, ich habe großen Hunger und nicht das kleinste Geld.»

Sie maß den Wanderjüngling im dünnen rostfarbigen Röcklein: «Man sieht ihm beides an, und daß er ein Fallot ist, obendrein.»

«Da irrt sich die Frau Wirtin, das bin ich nicht.» Er funkelte sie strafend an mit seinen Feueraugen; seine Lippen verzogen sich wie die eines schmollenden Kindes, und er wollte fort ohne Gruß.

Die Wirtin hielt ihn zurück: «Mach er keine Geschichten. Ein Stück Brot werde ich für ihn noch übrig haben.»

Sogleich kam sein Groll zu Falle, und der Übermut stieg auf: «Trockenes? Da drin», er deutete auf seine Kehle, «ist's auch nicht sehr feucht.»

Sie lachte und trat ins Haus. Edinek folgte ihr und saß bald darauf in der geräumigen Wirtsstube vor einer Schüssel mit Suppe, in der zwei gewaltige Knödel schwammen.

In dem Raume, der ihm angewiesen worden, zeigten sich Vorbereitungen zu einem Feste. Der Boden war frisch gescheuert, an den Wänden und über den Türen waren Girlanden aus Reisig und Papierblumen angebracht. Der ungebetene Gast war mit seiner Mahlzeit noch nicht fertig, als die Frau Wirtin erschien, mit einem Pack Leinenzeug unter dem Arme.

Edinek sprang auf: «Kann ich helfen?»

«Bleib er sitzen, schau er, daß er fertig wird, und dann troll er sich. Wir haben viel zu tun.»

«So, was gibt's denn?»

«Einen Hochzeitsschmaus. Zwei Reiche heiraten.»

«Na ja! Wo Tauben sind... Ich krieg keine Reiche, Frau Wirtin.»

Wenn sich nicht eine in deine hübschen Augen vergafft, du Spitzbub, dachte sie, und er, mit seiner unfehlbaren Kunst, Weibergedanken zu lesen, wurde schleunigst galant.

«Das kann ich nicht sehen, daß sich die Gnädige so abschleppt!» rief er und nahm ihr trotz ihres Sträubens das Tischzeug ab.

«Wohin damit?»

«Erst müssen die Tische zusammengerückt werden. Warte er, mach sich nicht wichtig und esse weiter.»

Er setzte sich wieder vor seine Suppe hin, und die Frau verließ das Zimmer, um einen Stoß Teller zu holen, den sie bald darauf hereinbrachte.

Edinek hatte eben den letzten Bissen mit dem selben Vergnügen wie den ersten verzehrt. «Das war gut!» rief er, «und ich danke auch schön!» Und eh die Wirtin sich's versah, war er auf sie zugelaufen und hatte ihr einen derben Kuß auf den Mund versetzt. Sie tat sehr entrüstet; von den vielen Tellern, die sie trug, fiel aber keiner auf den Boden. Mit sicheren Händen hielt sie alle fest, stellte sie auf die Anrichte und sprach:

«Er ist ein unverschämter Kerl. Ich möchte nur wissen, woher er kommt; muß eine kuriose Gegend sein, wo's in der Mod is, den Leuten nur so um den Hals zu fallen.»

«Es ist eine schöne Mod und eine schöne Gegend, Frau Wirtin, und ein Heiliger lebt dort.» Den letzten Satz sprach er ganz wehmütig.

«Der Heilige wird sich wohl nicht viel mit ihm abgegeben haben?»

«Doch, doch...! Aber jetzt an die Arbeit! Wie soll ich die Tische stellen?»

Sie gab an, half mit; alles ging rasch vonstatten. Eine große Tafel in Hufeisenform war bald sauber gedeckt. Die Mägde hatten Glas und Eßzeug gebracht, die Wirtin und Edinek legten alles an den rechten Platz; er sprach und scherzte in einem fort, fragte auch:

«Unter anderm: Gibt's denn hier keinen Wirt?»

«'s gibt ihn schon, nur daß er jetzt in Ungarn is und Vieh einkauft.»

«In Ungarn? So, so, dahin bin ich grad auf dem Weg. Vielleicht treff ich ihn und kann ihm einen Gruß ausrichten von der Frau Wirtin.»

«Richtig, er is der Bote, auf den ich gewartet hab! Also mach er, daß er fortkommt.»

«Noch nicht; mir gefällt's da bei ihr; und meinen Dank muß ich auch noch abtragen für das gute Frühstück.»

«Den schenk ich ihm, den kann er für sich behalten, seinen Dank. Hört er?»

«Warum will die Frau Wirtin mir die Kränkung antun?» fragte er mit so kläglicher Miene und in so jämmerlichem Tone, daß sie laut auflachen mußte.

Nun hatte er gewonnenes Spiel, ließ seinem Übermut die Zügel schießen und brachte Späße der verschiedensten Qualität in Hülle und Fülle vor. Es sprühte nicht nur, es qualmte auch.

Die Wirtin, keineswegs zimperlich, lachte um so herzhafter, je derber seine Witze wurden, und er, geschmeichelt durch diesen Erfolg, schenkte ihr bald sein ganzes Vertrauen. Sie erfuhr, daß er auf dem Wege nach Ungarn sei, wo er Gärtner bei einem Magnaten werden wolle, oder – eben überlegte er sich's -, oder vielleicht Primas einer Zigeunerbande. Auch daß er sein Dorf vorsichtshalber verlassen habe, teilte er ihr mit und gab die Szene im Beichtstuhl zum besten. Er dramatisierte sie sogar. Er stellte, in komischer Abwechslung sich sitzend, die Diebinnen kniend, die eine zerknirscht, die andere frech dar, er stöhnte, winselte, widerbellte mit ihren alten Stimmen, machte die Gesichter, die sie schnitten, und ihre Gebärden nach. Die Wirtin war ein dankbares Publikum, hielt sich die Seiten, wand sich vor Lachen und stieß unter Schreien und Kreischen hervor:

«Hör er auf! – Hör er gleich auf – ich platze!»

Aber je mehr sie kreischte, je toller trieb er's, und zuletzt gab es solchen Lärm, daß ein Knecht und zwei Mägde kamen, um zu fragen, was denn los sei bei der Frau Wirtin.

Sie versicherte, daß ihr nichts fehle, sie habe nur unbändig lachen müssen über den Narren da; und sie versetzte ihm unter neuen Kontorsionen einen fast zärtlichen Backenstreich.

Edineks Eitelkeit war geschmeichelt; er brannte darauf, neue Lorbeeren einzuheimsen. Ja, die Leute zum Lachen zu bringen verstehe er, habe seine Kunst erst neulich bei einem Hochzeitsschmause ausgeübt, er würde sie auch hier gern zeigen, wenn es der Frau Wirtin recht wäre.

Es war ihr recht, und er flüsterte ihr zu: «Mesner und Beichtvater in der Früh, am Abend Lustigmacher, das ist ein Leben! Das paßt mir!»

 

Eine Wandertruppe, die vor längerer Zeit im Dorfhotel Station gemacht, hatte an Zahlungsstatt einige alte Anzüge dagelassen. Er durfte darunter wählen, was ihm für die Gelegenheit passend schien, und entschied sich für einen blauen Frack mit Messingknöpfen, eine weiße Hose und eine hohe Krawatte mit Vatermördern. Sein bloßer Anblick erweckte Heiterkeit. Die Kleider waren zu weit für ihn und umschlotterten seine schlanke Jünglingsgestalt, die langen Frackschöße flogen wie Fahnen hinter ihm her, und wie zwischen zwei Lanzen blühte sein feines, rosiges Gesicht zwischen den spitzigen Vatermördern hervor, seine Geige hielt er unbeholfen im Arme und schien ratlos, was mit einem solchen Ding anzufangen sei.

Die Gesellschaft hatte den hergelaufenen Possenreißer mißtrauisch und verächtlich begrüßt; aber die bärbeißigen Gesichter verwandelten sich in heitere, als er damit begann, einen desperaten Musikanten darzustellen, der einen Hochzeitsmarsch aufspielen soll und, eingeschüchtert durch den Anblick der imponierenden Gesellschaft, seinem Instrumente schrille Gickser und katzenjämmerliches Miauen entlockte. Plötzlich aber setzte er die Fiedel fester an, schwang den Bogen und strich mit wilder Sicherheit über die Saiten. Der Musikant hatte seine Kunst wiedergefunden und ließ eine jauchzende, hinreißend fröhliche Weise erklingen. Als Gegenwirkung der Angst und Pein, die er am Morgen ausgestanden hatte, überkam ihn eine elementare, eine tolle Lustigkeit und weckte bald lauten Widerhall. Die nie versagende Dankbarkeit für den Komiker stellte sich ein, er durfte am Tische Platz nehmen, mitessen und mittrinken. Als der Tanz anging, erlitt er den Genuß, die Frau Wirtin einige Male durch das Lokal zu rollen, und erholte sich von der Auszeichnung bei der Polka mit jungen, hübschen Mädchen.

Der Tag graute, das Fest war noch nicht zu Ende, aber die Hausherrin mahnte ihn fürsorglich:

«Jetzt mach er sich aus dem Staub, er hat noch gute zwei Stunden zu laufen bis zur Grenze.»

Sie steckte ihm einige Nahrungsmittel zu, gab ihm etwas Geld und hätte ihm auch den Raub eines zweiten Kusses verziehen, wenn ihm darum zu tun gewesen wäre. Er aber war kein Freund von Wiederholungen und stattete seinen Dank platonisch ab.

Nachdem er sich am Brunnen gewaschen und nachdem er seine eigenen Kleider wieder angezogen hatte, trat er die Wanderung ins Ausland Ungarn an. Eine herrliche Zuversicht erfüllte ihn, ein köstlicher Glaube an sein gutes Glück, seinen guten Stern. Wie war es ihm jetzt wieder ergangen! Konnte er sich's besser wünschen? Als hungriger Habenichts zu wildfremden Menschen kommen, ihnen etwas vorfiedeln, ein bißchen lustig sein und nach ein paar Stunden satt, belobt und beschenkt weiterziehen – versuch ein anderer, ob ihm das gelingt!

Juchhe! Also vorwärts, hinaus in die Welt! Ihm kann's nicht fehlen, er musiziert sich durch bis zu dem Magnaten, auf den er fahndet. Der wird sich wundern, was für einen tüchtigen Arbeiter er an ihm gewonnen hat, und ihn auch reich belohnen; sie sind großmütig, so heißt es, die Magnaten.

Nur daß ihm der Teufel das Spiel nicht verderbe... Hüte dich, Teufel! Edinek faßte von neuem die besten Vorsätze und wehrte sich eine Zeitlang tapfer gegen den Schlaf, der ihn bei dieser Beschäftigung überfiel.

Der Weg führte ihn an einem Kruzifix vorbei, das am Rain zwischen vier Pappeln auf steinerner Stufe stand. Dort kniete er nieder zum Morgengebet. Aber bald verschwammen seine Gedanken, und an das Holz des Kreuzes gelehnt, unter den ausgebreiteten Armen einer göttlichen Liebe, schlief er ein.

Das war wonnig; es kamen alsbald auch Träume in holden Scharen, fein wie feinste Düfte, durchsichtig wie dünnste Schleier. Er stand mitten unter Blumenbeeten; unabsehbar breiteten sie sich, und alle hatte er bepflanzt, gepflegt, gezogen. Er war stolz auf sein Werk, und der Magnat war so entzückt, daß er ihn bat, sein Schwiegersohn zu werden... Der gute Magnat... Jetzt faßte er ihn an der Hand – und rüttelte ihn... o! o! warum so derb? Das geht über den Traum und verjagt ihn. Edinek erwacht. Das bärtige Gesicht, das sich über das seine beugt, ist nicht das des guten Magnaten, sondern das seines gefürchteten grimmigen Verfolgers, des Gendarmen Pietienak.

Edinek glotzte ihn an mit den erschrockenen Augen eines plötzlich aus dem Schlafe geweckten Kindes. Bei einem Haar wäre er in heiße Tränen ausgebrochen. So aus dem schönsten Traum gerissen zu werden! Aus den Armen einer Magnatentochter durch die rauhen Fäuste eines Stöckelknechtes!... Wie schadenfroh der grinste, wie er die Gelegenheit begrüßte, Rache zu nehmen für den zerdroschenen Sohn! Edineks Rührung verwandelte sich in Wut; er sprang auf, führte einen kräftigen Faustschlag ins Gesicht des Gendarmen und wandte sich zur Flucht. Doch war er eingeholt, ehe er sich's versah, und trotz der wildesten Gegenwehr von dem viel stärkeren Manne niedergerungen.

Aus dem beiderseits in Grimm und Haß geführten Kampfe ging die obrigkeitliche Person mit geschwollener Nase und zerrissener Uniform hervor, Edinek zwar unverletzt, aber als ein Gefangener.


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