Marie von Ebner-Eschenbach
Unverbesserlich
Marie von Ebner-Eschenbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ergötzlich und beinahe rührend – Monika selbst mußte das zugeben – war die Obsorge, die der nichtsnutzige Bursch allem widmete, was zum Eigentum der Pfarrei gehörte. Wenn sich jemand an ihm vergriff im Garten oder auf dem Felde, gab es für Edinek keine ruhige Stunde, bevor er den Täter erwischt und durchgeprügelt hatte. Eine widerrechtliche Handlung, für die aber Monika nicht ganz ohne sympathisches Verständnis war, denn in diesem Unrecht bekundete sich ein entschiedener Sinn für das Recht.

Eine Gelegenheit aber gab es, bei der der makelvolle Jüngling nie versäumte, sich im reinsten Lichte zu zeigen. Um die Erntezeit, wenn der große Mangel an Arbeitern eintrat, wenn man um keinen Preis Leute auftreiben konnte, die das Heu, die Feldfrucht hereingebracht hätten, kam er daher und stellte seine Dienste zur Verfügung. Und war es auch nach einigen im Wirtshaus durchtollten Nächten und war auch sein hübsches Gesicht rot und gedunsen, waren auch seine Augen verglast, er kam, holte das Arbeitszeug herbei und verrichtete freudig und unverdrossen sein Tagewerk.

Es war ein ästhetisches Vergnügen, ihm dabei zuzusehen, und die Geschwister gönnten sich's, standen in einiger Entfernung und bewunderten ihn im stillen. Er fühlte recht gut, daß sie es taten; ein beglückender Stolz erhöhte seinen Eifer, er warf den Kopf zurück und übersah das Gebiet seiner Tätigkeit mit einem Feldherrnblick. Seine schlanke Gestalt reckte sich; mit weit ausholender, gleichmäßiger Gebärde schwang er die Sense und legte das goldene Getreide in mächtigen Schwaden vor sich hin.

«Sieht er nicht aus wie ein junger Perseus mit dem Sichelschwert, der Schlingel?» fragte Emanuel.

«Soweit ein Perseus wie ein Schlingel aussehen kann», erwiderte Monika und ging nach Hause, um dem Perseus-Schlingel eine tüchtige Mahlzeit bereiten und aufs Feld schicken zu lassen.

Am nächsten Tage spendete sie ihm etwas weniger Willkommenes – eine Ermahnung. Sie stellte ihm vor, wie schön und in jeder Hinsicht ersprießlich es wäre, wenn er immer brav und arbeitsam sein wollte. Alles war vortrefflich gesagt, und die guten, klugen Worte mit Herzlichkeit vorgebracht.

Im Kopfe Edineks jedoch stellte sich ein Zusammenhang her zwischen diesen Ermahnungen und dem Zustande immerwährenden Bravseins, und sie verbanden sich zu der Vorstellung einer unermeßlichen Langeweile.

Das Fräulein hatte kaum den Rücken gekehrt, als er auch schon dem Genuß eines so unmäßigen Gähnens frönte, daß er in Gefahr geriet, sich die Kinnlade zu verrenken.

 

Fräulein Monika war auf der Suche nach einer neuen Dienerin. Ihre, wie sie sagte, «langjährige Kathi» stand im Begriff, sie zu verlassen. Es hatte sich ein Liebhaber ihres wohlkonditionierten Sparkassenbuches gefunden, den sie für einen Liebhaber ihrer dürftigen Reize hielt: ein vagierender Schreiber von anrüchigem Charakter und um neun Jahre jünger als sie.

Mit ebensoviel Scharfsinn als Delikatesse stellte ihr das Fräulein die Gefährlichkeit des Schrittes vor, den sie unternehmen wollte. «Ich habe einmal gelesen», sprach sie, «sterben ist nichts, heiraten – das ist etwas.»

«So?» Kathi, deren Gesicht viel Ähnlichkeit mit dem eines Meerschweinchens hatte, lächelte ernsthaft.

«Sie sollten nicht lächeln, liebe Kathi. Der Tod, sehen Sie, ist das Ende eines jeden Kampfes, während mit dem Eingehen einer Ehe der Kampf beginnt.»

«So?» Kathis Lächeln wurde ironisch.

«Es handelt sich oft um Angriff und Verteidigung.» Monika ging vom allgemeinen zum konkreten Fall über. «Sie zum Beispiel werden Ihr Sparkassenbuch zu verteidigen haben.»

Das Meerschweinchengesicht nahm einen bösartigen Ausdruck an. Kathi mußte sehr bitten. Wenn das Fräuln glaubte, er, der Schreiber, beabsichtige, eine Geldheirat zu machen, irrte die Fräuln. Und sie entwarf in knappen, abgebrochenen Sätzen ein derart geschmeicheltes Bild von ihrem Verlobten, daß Monika nicht umhin konnte, in scharfem Tone auszurufen:

«Sie sind verliebt!»

Das war in ihren Augen ein so harter Tadel, daß sie meinte, ihrer Köchin damit den Dolch ins Herz gestoßen zu haben, und über die eigenen Worte sehr erschrak.

Aber Kathi zuckte nur die mageren Achseln und antwortete schnippisch:

«Warum soll ich nicht verliebt sein?»

Auszusprechen, was sie dachte: «Sie haben nicht mehr das Recht dazu, sehen Sie doch in den Spiegel!», war Monika nicht grausam genug, und so hatte das Gespräch ein Ende.

 

Monika freute sich, daß sie ihren Ärger überwunden und die harten Worte, die er ihr eingab, nicht ausgesprochen hatte. Ihr Gewissen war gut und leicht, aber im Magen spürte sie einen leichten Druck.

Als sie zu ihrem Bruder ging, um ihm ihr jüngstes Erlebnis mitzuteilen, fand sie ihn nicht allein.

Ein junger, hübscher Mensch in Dragoneruniform stand in militärischer Haltung vor ihm und salutierte nun das Fräulein bei seinem Eintreten auf das ehrerbietigste.

«Um Gottes willen», rief Monika, «was ist Euch, Sylvin, Ihr weint ja!»

Sylvin bestätigte mit einem Schluchzen, daß er weine, und der Druck im Magen Monikas verstärkte sich. Der Anblick eines weinenden Soldaten war ihr alles eher als angenehm.

«Er rückt morgen nach seinem Urlaub wieder ein», sagte der Pfarrer, «und bekommt keinen Urlaub mehr, bevor er ausgedient hat. Die Trennung von seiner Braut, der Anna – du weißt, der Tochter des Zimmermanns -, wird ihm sauer.»

«Wohl und gut; aber ein Mann weint doch nicht, weil ihm etwas sauer wird.»

Sylvin widerlegte diese Behauptung tatsächlich; der kräftige Mann, der aussah wie das blühende Leben, vergoß Ströme von Tränen.

«Ein Jahr, ein ganzes Jahr... gnädiges Fräulein... und die Anna, meine Anna...»

«Wird sich schon noch gedulden, lieber Sylvin, wird auf ihn warten.»

«Sie möcht wohl, sie meint wohl – und was sie is – o da... da bin ich sicher... aber die Bursche, gnädiges Fräulein – und eine so schöne Person, eine so schöne, schöne Person!...»

Weiter konnte er vorläufig nicht, ein leidenschaftliches Schluchzen erstickte seine Stimme.

«Wenn er seiner Anna sicher ist», sprach Monika trocken, «was kümmern ihn da die Bursche?»

«Die sind so keck! Die geraten jetzt alle der Teufelsbrut nach, dem Edinek. Wie soll ein armes Mädel sich erwehren, wenn die Mutter tot ist und der Vater oft die ganze Woche fort, in der Arbeit... O gnädiges Fräulein! O wenn sich ihrer annehmen wollten! Die Leut sagen, daß die Kathi heiratet – o wenn das gnädige Fräulein die Anna nehmen möchte statt der Kathi, die Anna möchte ihr alles absehen an den Augen...»

Das Wort «Augen» mußte eine besonders rührende Wirkung auf ihn ausüben; es war kaum ausgesprochen, als seine Stimme abermals brach.

Monika fühlte sich äußerst abgestoßen und äußerst gedrängt, ihre Empfindungen auszusprechen. So viele gute, kräftige Ermahnungen fielen ihr ein – wahre Schlager. Sie litt die Qualen eines Demosthenes, der nicht zu Worte kommen darf, aber sie schluckte, schluckte! Und es war, als ob in ihrem Innern kleine Hände kämpfend rängen, als ob es lautlos schrie: Wenn's nur nicht auf einmal übergeht!

Aber – unglückseliges Naturell! – es ging über.

Als Sylvin in seiner Pein sehr unschön aufschrie, war's mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei. Sie sprach. Leider keines der vortrefflichen Worte, die ihr früher in den Sinn geraten waren, sondern unüberlegte, unwillkürlich hervorgebrachte:

«Flenn er nicht! Hör er auf! Ihn stößt ja schon der Bock. Wenn ich die Anna wäre, ich nähme lieber den Edinek als einen Mann, der flennt!»

Nun war ihr Magen frei; aber in welchem Zustand befand sich ihr Gewissen! Sie stand auf und verließ das Zimmer.

Sylvin fühlte sich eisig angeweht. Wie eingefroren versiegte der Quell seiner Tränen.

Bei dem Aus- und Aufbruch seiner Schwester hatte Pater Emanuel die Augenbrauen hoch emporgezogen. Auf seiner Stirn bildeten sich Falten, alle voll reinsten Wohlwollens, heiterer Freundlichkeit, und seinen Mund umkräuselte das bekannte, ein wenig überlegene und sehr gütevolle Lächeln. Er näherte sich dem rührseligen Kriegsmann, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: «Sei ruhig, Sylvin, sei du ganz ruhig. Glaub mir, Sylvin, bevor die Woche um ist, steht deine Braut unter dem Schutze des Pfarrhofes.»

 

Nun war der Pfarrherr allein und geriet alsbald in eine der wundervoll rosigen Stimmungen, die sein Alter so jung und so schön machten. Durch keinen äußeren Grund waren sie veranlaßt, so konnte auch kein äußerer Grund ihnen so leicht etwas anhaben. In herrlicher Unabhängigkeit, von jeder Erdenschwere frei, kamen sie und erfüllten ihn mit ihrem stillen, sanften, unsagbar warmen Lichte. In jungen Jahren hatte er diese Stimmungen nicht gekannt; sie waren Früchte des späten Alters, und um kein Jugendglück hätte er sie getauscht. Heute freute ihn einmal wieder alles. An ihm erfüllte sich die Verheißung: «Wer seine Zelle liebt, wird in ihr den Frieden finden.» Er liebte seine niedrige, aber geräumige «Zelle» und jeden Gegenstand, den sie enthielt: die Einrichtung – Urväterhausrat, aber gediegen und erprobt. Jeder Schrank, jede Truhe, jeder Sessel sah ihn mit treuen Augen an und fragte: Bin ich dir nicht ein braver Diener gewesen? Habe ich je auch nur mit einem Fuße gewankt? Kannst du mir einen übermütigen Sprung nachweisen? Fest wie Stein ist mein edles Holzwerk mit der Zeit geworden und metallisch sein milder Glanz. Wir haben deine Eltern überlebt, wir werden auch dich überleben. Was dann?

Was dann? Ja, Erben, die sie ihm zuliebe in Ehren halten würden, hatte er nicht; aber die neue Zeit weiß das Alter zu schätzen, besonders an Möbeln, und er prophezeite den seinen den glorreichsten Aufenthalt in einer berühmten Sammlung. «Ihr sollt es gut haben», sprach er munter und strich leicht mit der Hand an der Konsole hin, über der die Bilder seiner Eltern hingen, Werke einer altmodischen, schlichten, aber sehr echten Kunst. – Einen Gruß zu ihnen empor; dann trat er ans Fenster, öffnete beide Flügel und ließ die Herbstabendluft hereinfluten.

Sie kam in breitem Strome, kühl und sehr erquickend, und trug den Duft der späten Rosen herein, die noch im Vorgarten blühten. Edinek pflegte sie; er hatte eine gute Hand für Blumen, dieser Mensch.

Am Himmel verglomm ein blasser Purpurstreifen, die lange Reihe der fernen Berge begann sich im Dämmer zu verlieren. Bald sachte ansteigend, bald sich leise senkend, wehte die Landschaft zu ihnen hin. Etwas Großartiges hatte sie nicht, diese gute mährische Landschaft, aber für den alten Mann am Fenster einen liebkosenden Heimatszauber. Vom jetzt wasserreichen Flusse herbeigesandt, begannen graue Nebel sich in die Niederungen zu breiten und mählich jede Linie und jede Form zu verwischen, jede Farbe auszulöschen. Mildes, leises, vom geheimnisvollen Hauch des Sterbens umwehtes Hingleiten in die Nacht... Und sie wieder nur ein Übergang zum lichten Morgen, und der Schlaf, auch der tiefste, der letzte, nur ein Übergang zu neuem Tage. Traumloses oder vielleicht traumumsponnenes Einschlafen, dem seligen Erwachen in Gottes himmlischer Nähe entgegen...

Pater Emanuel hatte manche Anzeichen dafür, daß er vor seiner Schwester sterben sollte, und überzeugt hielt er sich, daß sie ihn nicht lange überleben werde. So stark sie war, das ginge über ihre Kraft. Aber an seinem offenen Grabe sah er sie aufrecht stehen und angesichts des Trauergeleites wahrscheinlich tränenlos. Seine starke, seine schwache, seine liebe, alte Schwester!

Als sie ihn zum Abendessen rufen ließ, fand er sie genau so, wie er erwartet hatte. Mit etwas geröteten Wangen und unruhigen Augen. Auch ungewöhnlich gesprächig und lebhaft von Dingen redend, die ihr recht gleichgültig waren. Nach der Mahlzeit ging sie zum Klavier, blieb eine Weile unentschlossen, ob es heute eine Beethoven- oder eine Haydnfeier geben sollte, durchstöberte die Noten und sagte, über sie gebeugt, leichthin: «Unter anderm! Ich war recht grob mit dem sentimentalen Myrmidonen.»

«Das warst du, liebe Schwester.»

«Ich will meine Heftigkeit durchaus nicht entschuldigen; aber du weißt, daß Sentimentalität und alles, was ihr gleichsieht, mich anwidert, mich aufwühlt. Eine gewisse Art Männlichkeit fordere ich sogar von den weiblichsten Frauen. Übrigens läßt sich die Sache mit der Anna, die ja ein braves Mädchen ist, erwägen...» Sie neigte den Kopf tiefer – sie machte einen strengen Unterschied zwischen dem Bruder, ihrem vertrauten Freunde, und dem geweihten Priester, ihrem Seelsorger: «Morgen komme ich zur heiligen Beichte, Hochwürden.»

Er jubilierte im stillen, ihm lachte das Herz. – Schlaf ruhig, kummervoller Sylvin, deine Anna ist geborgen, dachte er. Das hast du der Reue über einen unbezähmten Ausbruch der Ungeduld zu danken. Ja, ja, gar manches große Gute entsprang schon der Reue über ein kleines Unrecht – und da leugnen sie, da mißkennt sogar Goethe ihren WertNichts taugt Ungeduld,
Noch weniger Reue;
Jene vermehrt die Schuld,
Diese schafft neue.
.


 << zurück weiter >>