Georg Ebers
Per aspera
Georg Ebers

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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Das große Amphitheater des Dionysos lag im Bruchium, dem schönen Palästeviertel der Stadt, in der Nahe des großen Hafens zwischen dem Choma und der Landzunge Lochias. An die weite und hohe Rotunde, die Zehntausende faßte, schlossen sich die ansehnlichsten Ring- und Reitbahnen der Stadt. Diese Bauten, zu denen schon die ptolemäischen Könige den Grund gelegt, und die später mancherlei Erweiterungen und Ausschmückungen erfahren hatten, bildeten mit den Annexen, unter denen die Gladiatoren und Tierkämpferschulen, sowie die Ställe für wilde Bestien aus allen Teilen der Erde den breitesten Raum einnahmen, für sich einen eigenen kleinen Stadtteil.

Jetzt glich das Amphitheater einem Bienenkorbe, in dessen Innerem schon jede Zelle gefüllt zu sein scheint, und in dem doch noch ein ganzer Schwarm, der ihm entgegenwimmelt, Raum zu finden erwartet.

Schon am Morgen hatten sich die Stehplätze für das gemeine Volk und die billigen Sitzreihen der oberen Stockwerke gefüllt. Am Nachmittag waren auch besser gestellte Bürger gekommen, denen die Plätze nicht gesichert werden konnten, und was jetzt, bei Sonnenuntergang, kurz vor dem Beginne der Vorstellung erschien, stieg größtenteils aus Wagen oder Sänften und gehörte zum Hofstaat des Kaisers, zu den höchsten Beamten, dem Senat, den Vornehmsten und Reichsten der Stadt.

Schon mischte sich rauschende Musik in das Geschrei und laute Gespräch der Zuschauer und der Tausende, die den Zirkus umgaben, ohne auf Einlaß zu hoffen. Auch für sie gab es genug zu sehen, zu thun oder zu gewinnen. Welch ein Vergnügen, die geputzten Frauen und bekränzten Großen und Reichen aussteigen, die berühmten Gelehrten und Künstler erscheinen zu sehen und sie, je nach der Wertschätzung, die man ihnen zollte, mehr oder weniger beifällig zu begrüßen.

Den glänzendsten Anblick bot der große Zug der Priesterschaft, an deren Spitze Theophilus, der Oberpriester des Serapis, und ihm zur Seite der Alexanderpriester unter einem herrlichen Baldachin, würdevoll dahinschritt. Sie begleiteten die vor der Vorstellung zu schlachtenden Opfertiere, sowie die Bilder der Götter und vergöttlichten Kaiser, die gleichsam als vornehmste Zuschauer in der Arena aufgestellt werden sollten. Theophilus trug den großen Ornat seiner Würde, der Alexanderpriester den Purpur, der ihm, dem Idiologen und Haupte aller Tempel Aegyptens, als Vertreter des Kaisers zukam.

Das Erscheinen der Cäsarenbilder rief ein kleines Totengericht hervor; denn dem Julius Cäsar jauchzte die Menge begeistert zu, den Augustus empfing sie mit unwilligem Murmeln, beim Erscheinen des Caligula wurde sogar gepfiffen, während die Bildsäulen des Vespasian, Titus, des Hadrian und der Antonine laute Beifallsrufe erweckten. Auch die Statue des Septimius Severus, des Vaters des Caracalla, dem die Stadt manchen Vorteil verdankte, wurde freundlich empfangen. Aber auch die Bilder der Götter hatten sich eine sehr verschiedene Aufnahme gefallen zu lassen. Den Serapis und den göttlichen Stadtheros Alexander hieß man laut willkommen, während sich beim Nahen des Zeus-Jupiter und Ares-Mars kaum eine Stimme erhob; galten sie doch für die Hauptgötter der ungeliebten Römer.

Die Abteilungen der kaiserlichen Leibwache, welche in der Nähe des Amphitheaters aufgestellt waren, fanden, so lange es Tag war, keinen großen Unterschied zwischen dem Treiben vor dem alexandrinischen Zirkus und vor denen am Tiber.

Was ihnen auffiel, war höchstens die größere Menge der dunkelgefärbten Gesichter und der phantastisch gekleideten Magier. Auch das nackte, nur mit dem Schurz gekleidete gemeine Volk, das sich hier neugierig und zu allerlei Diensten bereit, unter die auf den Zirkus zuströmenden Zuschauer drängte, fehlte in der Hauptstadt. Doch je später es wurde, desto mehr fanden die Römer es wert, hierher gekommen zu sein.

Zu Rom gab es, wenn eine große Tierhetze mit Gladiatorenspielen und dergleichen angesagt war, wohl auch barbarische Fürsten und Gesandte aus entlegenen Teilen der Erde in sonderbaren, glänzenden Trachten zu sehen, auch dort wurde vor dem Amphitheater und seiner Umgebung mit allerlei Dingen Handel getrieben, auch am Tiber veranstaltete man, besonders beim Feste der Flora, nächtliche Vorstellungen mit glänzender Beleuchtung; hier aber gab es, als die Sonne zur Rüste ging und der Anfang der Spiele immer näher rückte, Unvergeßliches zu schauen.

Welche unerhörte Kleiderpracht trugen viele Frauen zur Schau, die den kostbaren Sänften entstiegen, in wie sonderbarem und reichem Putz erschienen auch die Herren, denen eine Schar von eigenen Dienern aus den goldnen und silbernen Wagen half. Ueber welche Schätze mußten diejenigen gebieten, die ihre Sklaven in gestickte Brokate zu kleiden und mit goldenem und silbernem Schmuck zu zieren vermochten. Die Vorläufer, die auch mit den schnellsten Rossen Schritt hielten, Lungen von Stahl mußten sie haben.

Die Prätorianer, denen lange nichts begegnet war, was sie veranlaßt hätte, der Vorschrift des größten Lebenskünstlers unter den Dichtern, nichts anzustaunen, entgegen zu handeln, stießen hier oft überrascht und von Bewunderung ergriffen einander an; ja, der Centurio Julius Martialis, der neulich den Besuch von Weib und Kind, entgegen der Vorschrift, im Lager empfangen hatte und dabei vom Kaiser selbst beobachtet worden war, schlug mit der Faust auf den beschienten Schenkel und wies die Kameraden mit einem lauten: »Daß euch!« auf das Fuhrwerk des Seleukus, dem vier Vorläufer in langärmeligen Jacken von reich mit Silber geschmücktem meergrünem Bombyx den Weg bahnten.

Die barfüßigen Jungen mit den flinken, hageren Gazellenbeinen waren ja alle hübsch genug und wie aus einer Form gegossen. Was aber dem Centurio und seinen Nachbarn am bemerkenswertesten an ihnen vorkam, war das Funkeln und Blitzen, das von ihren zarten Fußknöcheln ausging, als die scheidende Sonne einmal flüchtig blendende Strahlen durch einen Riß des finsteren Gewölkes zur Erde sandte. Jeder dieser Bursche trug goldene Reifen, die mit kostbaren Edelsteinen besetzt waren, an den Beinen, und die Rubinen, die am Geschirr der Rosse des Seleukus funkelten, hatten noch weit höheren Wert.

Er war als Festordner zeitig gekommen und der Vorbote ähnlicher Schaustellungen des Reichtums, von denen eine der andern schnell folgen sollte, sobald die kurze Dämmerung Aegyptens der Finsternis gewichen und die Beleuchtung des Zirkus in Angriff genommen worden war.

Da erschien eine schöne geputzte Frau in einer großen Sänfte, über die sich ein breites Dach von lauter weißen Straußenfedern breitete, welche der Abendwind wie ein Dickicht von Farnkräutern hin und her bewegte. Zehn schwarze und zehn weiße Mädchen trugen diesen Thronsitz, und ihnen voran ritten zwei liebliche Kinder auf gezähmten Straußen.

Der stattliche Sohn eines vornehmen Hauses, der, wie der Kaiser zu Rom, zu den Blauen gehörte, lenkte die herrlichen vier Schimmel vor seinem Wagen selbst, und dieser war über und über mit Türkisen besetzt, das Geschirr der Rosse aber mit geschliffenen Saphiren.

Der Centurio Martialis schüttelte in stummer Bewunderung den Kopf.

Sein Antlitz war in den vielen Kriegen, an denen er im Osten und Westen, ja auch im fernen Schottland teilgenommen hatte, tief gebräunt worden, doch deutete die schmale Stirn, die schlaffe, niederfallende Unterlippe und der glanzlose Blick seiner Augen auf geringe geistige Begabung. Trotzdem fehlte es ihm mit nichten an Willenskraft, und er galt unter den Kameraden für ein gutes Lasttier, das sich manches aufbürden und gefallen ließ, bis es ihm zu viel ward. Dann konnte er wüten wie ein reißendes Tier, und er wäre schon vor Jahren zu einer höheren Stellung aufgerückt, hätte er nicht in einem solchen Ausbruche des Zorns einen Kameraden beinahe erdrosselt.

Wegen dieses schweren Vergehens war er hart bestraft worden und hatte zum andernmal von unten anfangen müssen.

Daß er den Centurionenstab trotz seiner geringen Herkunft bald zurückerlangte, dankte er besonders dem jungen Tribunen Aurelius Apollinaris, dem er im Kriege gegen die Armenier das Leben gerettet, und der hier in Alexandria von der eigenen Hand des Cäsar um seiner »Geliebten« willen so grausam verstümmelt worden war.

Der beschränkte Centurio hatte ein treues Herz. Wie an Weib und Kind hing er an den vornehmen Brüdern, denen er so Großes verdankte, und hätte der Dienst es gestattet, wäre er schon längst einmal in die kanopische Straße gegangen, um nach dem Verwundeten zu schauen. Aber er fand nicht einmal Zeit zu dem Verkehre mit den Seinen; denn jüngere und reichere Kameraden, die sich der Genüsse der großen Stadt freuen wollten, hatten ihm wieder von ihren eigenen Pflichten ein gutes Teil aufgebürdet.

Heute morgen waren ihm von einem vornehmen jungen Krieger, der seine Laufbahn gleich als Centurio begonnen hatte, einige Eintrittstäfelchen für die Nachtvorstellung im Zirkus in Aussicht gestellt worden, wenn er den Dienst vor dem Amphitheater an seiner Stelle übernehme. Und dem Martialis war diese Aufforderung willkommen gewesen; denn sie machte es ihm möglich, den beiden, die ihm die Liebsten waren, seinem Weib und seiner Mutter, das höchste Vergnügen zu bereiten, das Alexandrinern und Alexandrinerinnen geboten werden konnte.

Sobald jetzt etwas Bemerkenswertes außerhalb des Zirkus erschien, bedauerte er, die Frauen schon vorhin auf einen der oberen Sitzreihen geführt zu haben. Auch die Pferde, den Wagen und die mit Türkisen und Saphiren besetzten Gewänder des Blauen hätte er ihnen gern gezeigt, obgleich ein Decurio bei seinem Anblick ausrief, römische Patrizier verschmähten es mit Recht, die eigene Person in so barbarischer Weise auszuputzen, und ein Alexandriner unter den Prätorianern versicherte, seinen Landsleuten von hellenischem Blut gelte eine schön geworfene Falte mehr als ganze Edelsteinreihen an der Chlamis.

»Aber warum hat denn die Menge den Blauen so stürmisch begrüßt?« frug ein in Pannonien heimischer Leibwächter.

»Die Menge!« versetzte der Alexandriner verächtlich. »Die Syrer und anderen Asiaten darunter sind es gewesen. Sieh doch die Griechen an! Der große Kaufherr Seleukus ist der reichste von allen; doch wie prächtig er auch Roß, Wagen und Sklaven auszuschmücken weiß, kleidet er sich selbst doch nur mit dem einfachen makedonischen Umwurf. Ist der vom kostbarsten Stoffe – wer will's ihm verdenken? Wo Du solchen Edelsteinprunk am Leibe eines Herrn siehst, kannst Du Dein Haus verwetten, wenn Du eins hast, daß der Prahlhans nicht weit von Syrien heimisch.«

»Der da, auf der Perlmuschel mit zwei Rädern, ist der Jude Poseidonios,« bemerkte der Pannonier. »Ich liege bei seinem Vater im Quartier. Aber er trägt sich doch griechisch.«

Da zog der Centurio in der Freude, auch etwas zu wissen, den Mund breit und rief: »Ich bin hier zu Hause und sage Dir: Schön eintränken würde Dir's der Jude, wenn Du ihn für etwas anderes hieltest als für einen Hellenen.«

»Ganz recht,« fügte ein anderer Prätorianer aus Antiochia hinzu; »die vielen Juden hier haben mit denen in Palästina nur wenig gemein. Für Griechen wollen sie gelten, reden nur griechisch, geben sich griechische Namen und glauben auch nicht mehr recht an den großen Gott ihrer Väter; denn sie treiben griechische Philosophie, und ich kenne einen, der im Tempel des Serapis seine Andacht verrichtet.«

»In Rom halten es viele nicht anders,« versicherte ein aus Ostia stammender Mann. »Ich kenne ein Epigramm, das sie deswegen verspottet.«

Hier wurden sie unterbrochen; denn Martialis wies auf einen hochgewachsenen Mann in ihrer Nähe, und sein scharfes Auge hatte in ihm den Präfekten der Prätorianer, Macrinus, erkannt.

Im Nu stellten die Krieger sich straffer auf, doch richtete sich manches behelmte Haupt nach der Stelle hin, wo ihr höchster Vorgesetzter mit dem Magier Serapion flüsterte.

Macrinus hatte den Kaiser bestimmt, den Geisterbeschwörer zu sich zu entbieten, um seine Kunst zu erproben. Nach der Vorstellung, so spät sie auch enden möge, sollte der Magier vor ihm erscheinen.

Serapion dankte dem Präfekten und flüsterte ihm dann zu: »Es ward mir vorhin die zweite Offenbarung.«

»Nicht hier,« unterbrach Macrinus ihn ängstlich und zog dann seinen schönen jungen Sohn, der ihn begleitete, mit sich fort und dem Eingangsthor entgegen.

Indes wich die Dämmerung dem Dunkel und viele Stadtsklaven standen im Begriff, die zahllosen Lämpchen zu entzünden, welche zur Beleuchtung der Außenseite des Zirkus dienten. Sie umsäumten die hohen Bogen, welche in langen, kreisrunden Reihen die beiden unteren Stockwerke umgaben und die oberen Ränge des gewaltig hohen und weiten Rundbaues trugen. Nur von kleinen Zwischenräumen getrennt, bildeten die Lampenreihen weithin leuchtende Rahmen, welche die edlen Formen des Amphitheaters schon von fern den ihm Nahenden zeigten.

Die Bogen zu ebener Erde umschlossen teils die Räume, aus denen Menschen und Tiere in die Arena gelassen, teils Läden, in denen Blumen und Kränze, Speisen und Getränke, Tücher, Fächer und andere den Zuschauern willkommene Dinge feilgeboten wurden.

Auf der Fläche zwischen dem Theater und dem weiten Kranze von Pechpfannen, der den ganzen Rundbau umgab, wogten Männer und Frauen zu Tausenden auf und nieder. Geputzte, schaulustige Mädchen drängten sich einzeln und scharenweise an die ankommenden Männer, und ihr Gelächter übertönte munter die tiefen pathetischen Stimmen der Magier und Zauberer, die den Vorübergehenden ihre Wunderkraft anpriesen. Einige derselben drangen auch in die Warteräume der Gladiatoren und Tierkämpfer, die heute ihres Beistandes so nötig bedurften, daß mancher trotz eines strengen, neu eingeschärften Verbotes sich unter die Menge stahl, um einen wirksamen Zauber oder ein hilfreiches Amulet zu erkaufen.

Wo die Beleuchtung am weitesten vorgeschritten war, wurde in besonderer Weise versucht, auf die Stimmung der Zuschauer zu wirken; – denn hier verteilten zungenfertige Leute, teils im Dienste des Präfekten Macrinus, teils in dem des besorgten Senats der Stadt Tücher, um dem Kaiser damit zuzuwehen, und Blumen, die ihm auf den Weg gestreut werden sollten. Manchem als Unruhestifter bekannten glitt auch ein Goldstück mit dem Bilde dessen, den es heute zu feiern galt, in die Hand, und unter dem an der Straße, die der Cäsar benützen sollte, aufgestellten Volke trugen viele die Caracalla. Es waren größtenteils gedungene Leute, deren Beifallsgeschrei den Cäsar gnädig stimmen sollte.

Sobald der Präfekt im Theater verschwunden war, lockerten sich wieder die Reihen der Prätorianer. Es war gut, daß sich außer dem Centurio Martialis noch ein anderer Alexandriner unter ihnen befand, der erst vor einem Jahre die Vaterstadt verlassen hatte; denn ohne ihn wäre ihnen mancherlei unerklärt geblieben.

Am sonderbarsten erschien ihnen der Empfang einer stattlichen, doch prunklosen Harmamaxa, der erst ein wohlgebildeter, bekränzter Jüngling, dann eine ältere Matrone, und endlich ein vornehm gekleidetes Mädchen entstiegen, dessen seltene Schönheit selbst den Centurio Martialis, dem sonst fremde Weiber nur wenig galten, zu dem Rufe veranlaßte: »Das wäre mir von allen die liebste.«

Aber es mußte mit diesen dreien doch etwas Besonderes auf sich haben; denn bei ihrem Anblicke brach die Menge erst in ein lautes Tosen und Schreien, dann aber in noch lautere Rufe des Beifalls und Willkommens aus, in das sich freilich auch der schrille Klang etlicher Rohrpfeifen mischte.

»Die Geliebte des Cäsar, eines Steinschneiders Tochter,« raunte der Alexandriner den Kameraden zu. »Der hübsche Junge ist wohl ihr Bruder. Soll ein feiler Sykophant sein, ein vom Kaiser erkaufter Spion.«

»Der?« fiel ihm ein älterer Centurio, den narbigen Kopf schüttelnd, ins Wort. »Eher glaub' ich, daß der Alten, die mit ihm ausstieg, der Jubel dort gilt und nicht der Jungen.«

»Dann laß es nur bei dem Sykophanten,« lachte der Alexandriner; »denn die Alte ist es in der That, die sie so lebhaft begrüßen, und beim Herkules, sie verdient es! Die Gattin des Serapispriesters ist's. – Wenig Arme gibt's in der Stadt, denen sie nicht Gutes gethan hat. Sie kann's ja freilich; denn ihr Mann ist der Bruder des reichen Seleukus, und ihr Vater saß auch bis über den Ohren im Golde.«

»Ja sie kann es,« fiel ihm hier der Centurio Martialis selbstzufrieden und als sei dies auch für ihn rühmlich, ins Wort. »Aber viele haben noch mehr, und wie fest halten sie den Beutel! Ich kenne sie von Kind an, und sie ist von den Guten die Beste. Und was dankt die Stadt ihr nicht alles! Das Leben setzte sie aufs Spiel, um beim Vater des Cäsar den Bürgern Gnade zu erwirken, nachdem sie sich offen gegen ihn erklärt und zu seinem Rivalen, dem Pescennius Niger, gehalten. Es gelang ihr auch damals.«

»Aber warum pfeifen sie denn?« frug der ältere Centurio.

»Weil ihr Begleiter ein Angeber ist,« wiederholte der Alexandriner. »Und das Mädchen! Den Cäsar in Ehren! Doch wer von euch sähe die Schwester oder Nichte wohl gern als seine Geliebte?«

»Ich nicht!« rief Martialis. »Aber wer die Jungfrau dort für schlecht hält, der sage es nur, wenn es ihn nach einem blauen Auge gelüstet. Wen Frau Euryale im eigenen Wagen hieher führt, an dem ist kein Makel.«

»Nein, nein,« fügte der jüngere Alexandriner begütigend hinzu. »Der Schwarzkopf da drüben und seine Genossen würden anders pfeifen, wenn sie nichts Gutes von ihr wüßten, und – das bleibt die Hauptsache – wäre Frau Euryale nicht bei ihr. Aber dort . . . Seht nur die unverschämten Hunde – sie sind von den Grünen – vertreten ihnen den Weg. Doch da sind auch schon die Lictoren.«

»Achtung!« rief im nämlichen Augenblick der Centurio Martialis, fest entschlossen, den Sicherheitswächtern beizustehen und der Matrone und ihrem schönen Schützlinge kein Haar krümmen zu lassen; denn ihr Gemahl war der Bruder des Seleukus, dem schon sein Vater und Schwiegervater gedient, und in dessen Villa zu Kanopus seine Mutter und sein Weib angestellt waren, um sie in Stand zu erhalten. Auch er fühlte sich dem Kaufherrn verpflichtet, und was zu seinem Hause gehörte, war berechtigt, auf seinen Beistand zu zählen.

Doch es bedurfte des Vorrückens nicht; denn eine Anzahl von Blauen aus der Menge hatte die Grünen, welche dem Alexander mit drohenden Fäusten in den Weg getreten waren, schon zurückgetrieben, und die Lictoren traten schützend vor die Bedrohten.

Diesem Auftritte schaute ein junger, festlich gekleideter Mann, der sich in die vorderste Reihe der Menge gedrängt hatte, tief atmend zu. Er war sehr bleich, und der volle Kranz auf seinem Haupte kaum stark genug, um die Binde zu verbergen, die es umgab.

Es war Diodor, der Bräutigam Melissas.

Nachdem er sich bei seinem Freunde ausgeruht, hatte er sich in einer Sänfte bis vor den Zirkus tragen lassen; denn das Gehen fiel ihm noch schwer. Sein Vater gehörte zum Senate der Stadt, und seiner Familie kam eine Reihe von Plätzen auf dem untersten, vornehmsten Range zu, der diesmal zum Teil dem Kaiser und seinen Begleitern überlassen worden war. Darum konnten auch den einzelnen Mitgliedern des Senates nur halb so viele Sitze wie sonst eingeräumt werden. Doch auf zwei durfte der Sohn des Polybius in jedem Falle für den Vater Anspruch erheben, und Timon, sein Freund, der auch für die festliche Kleidung des Diodor Sorge getragen hatte, war gegangen, um ihm die Einlaßtäfelchen von der Kurie zu holen. An dem zu den Plätzen des Polybius führenden Eingangsthore wollten sie sich treffen, und bis zur Ankunft des Timon konnte noch eine Weile vergehen.

Es hatte den Diodor gelüstet, den kaiserlichen Nebenbuhler zu sehen, doch, statt ihm zu begegnen, war er Zeuge des schmählichen Empfanges gewesen, den ein Teil des Volkes dem Alexander und seiner Schwester vor dem Zirkus bereitete.

Wie schön und begehrenswert war ihm diejenige wieder erschienen, die er noch heute Morgen glückselig die Seine genannt.

Als er sich nun von dem großen Eingangsthor entfernte, fragte er sich, warum ihn die Demütigung eines Wesens so bitter schmerze, das ihm so wehe gethan und das er zu hassen und zu verabscheuen meinte.

Vor kaum einer Stunde hatte er dem Timon versichert, die Liebe zu Melissa aus dem Herzen gerissen zu haben. Es werde ihm wohlthun, die Pfeife, die er bei sich trug, zu gebrauchen, und mitanzusehen, wie das Volk ihre Treulosigkeit strafe. – Und jetzt?

Als die beleidigenden Rufe der Grünen, deren Farbe er doch selbst trug, erschollen waren, hatte er sich Zwang anthun müssen, sich nicht auf die feigen Schreier zu stürzen und sie niederzuschlagen.

Schwankenden Schrittes ging er auf die Pforte zu, bei der er den Freund erwartete.

Das Blut hämmerte ihm an die Schläfen, der Mund war ihm wie ausgedörrt, und als ihn eine Obstverkäuferin aus einem der Bogen des Unterbaues anrief, entnahm er den Fruchtkörben einige Aepfel, um sich durch ihren Saft zu erquicken.

Er that es mit zitternder Hand, und die erfahrene Alte, welche die Binde unter seinem Kranze bemerkte, meinte einen tief erregten Unzufriedenen in ihm zu erkennen, der vielleicht schon mit den Lictoren zusammengeraten sei. Darum wies sie mit einem vielsagenden Schmunzeln unter den Tisch, auf dem die Obstkörbe standen, und raunte ihm zu: »Da sind auch faule. Immer sechs in einer Düte, die sich leicht unter dem Umwurf versteckt. Für wen Du sie willst. Einer Göttin von hier hat der Cäsar den goldenen Parisapfel gereicht, doch die da unten thun es wohl auch. Ihrem Bruder, dem Sykophanten, gönn' ich die meisten.«

»Kennst Du die beiden?« frug Diodor unwillig mit heiserer Stimme.

»Nein, Herr,« versetzte die Alte. »Ist auch nicht nötig. Es fehlt mir nicht an Kunden, und ich habe offene Ohren. Einem schönen Jüngling aus unserer Stadt hat die Dirne dem Römer zu Gefallen die Treue gebrochen, und wer solche Unthat strafen hilft, dem lohnen es die rächenden Götter.«

Diodor fühlte, wie die Kniee ihm wieder wankten, und eine zornige Entgegnung schwebte ihm schon auf den Lippen, als die Hökerin plötzlich wie außer sich aufkreischte: »Der Cäsar! Da kommt er!«

Durch die gewitterschwüle Abendluft war schon lange das Geschrei der den Kaiser begrüßenden Menge erst leiser, dann lauter vernehmbar geworden. Jetzt hatte es sich plötzlich zu einem das Ohr betäubenden Lärm gesteigert, und während es wie tosendes Donnerrollen, das schrille Pfiffe, schnellen Blitzen vergleichbar, durchzuckten, an das Ohr schlug, erklomm die grauhaarige, wohlbeleibte Hökerin den Tisch mit unbeholfener Eile und schrie aus vollem Halse: »Der Kaiser! Da ist er! – Heil, Heil, Heil dem großen Cäsar!«

Auf die Gefahr hin, zu Boden zu stürzen, bückte sie sich dabei in leidenschaftlicher Hast tief unter den Tisch, um das blaue, zerlöcherte Tuch, das die faulen Aepfel verborgen hatte, von ihnen fortzureißen und es in so wilder Begeisterung zu schwingen, als habe der Mann, gegen den sie eben noch die widrigsten aller Wurfgeschosse zum Kauf angeboten, ihr alterndes Herz im Fluge gewonnen. Dabei fuhr sie fort mit der weithin schallenden, schrillen Stimme ein »Heil dem Cäsar« nach dem andern hervorzuschmettern, bis der Atem der übervollen keuchenden Brust versagte, und das runde Gesicht sich ihr mit bläulicher Röte färbte. Ja, so tief schien ihre Begeisterung, daß ihr helle Thränen über die runden Wangen rangen.

Und wie die Apfelfrau, so schrie alles rings umher: »Heil dem Cäsar!« und nur aus dem dichtesten Haufen durchschrillten bisweilen scharfe Pfiffe den Jubel der Menge.

Diodor hatte inzwischen den Blick dem Hauptthore zugewandt und sich, fortgerissen von dem allgemeinen Wunsche zu schauen, auf eine noch uneröffnete Kiste mit getrockneten Feigen gestellt. Seine hochgewachsene Gestalt überragte jetzt weit die gedrängte Menge, und mit dicht zusammengebissenen Zähnen nahm auch er wahr, was die Hökerin veranlaßte, vor Entzücken vergehend hervorzukeuchen: »Wundervoll! Herrlich! Dergleichen hätte er auch in Rom vergeblich gesucht. Ja, hier, ja, bei uns! . . .«

Jetzt übertönte das Geschrei des Volkes alles andere.

Wo ein Vater oder eine Mutter das Kind mitgenommen, ward es in die Höhe geschwungen, wo ein Kleingewachsener hinter Großen stand, machte man ihm willig Platz; denn es wäre einer Unthat gleichgekommen, ihm solchen Anblick zu schmälern. Schon viele hatten einen hohen Herrn auf dem glänzenden goldenen Wagen, den vier herrliche Rosse zogen, dahinfahren sehen; aber von Fackelträgern, wie diejenigen, welche dem Caracalla voranleuchteten, wußten auch Alte und Weitgereiste nicht zu erzählen. Denn drei Elefanten gingen dem Fuhrwerk des Cäsar voran, drei andere folgten ihm, und alle sechs trugen in dem Rüssel hell brennende Fackeln, die sie, um den Weg zu erleuchten, bald hoch erhoben, bald senkten.

Daß Tiere sich zu solchem Dienst abrichten ließen! Daß gerade in Alexandria den hochmütigen, verwöhnten Römern eine solche Leistung vorgeführt werden konnte!

Da hielt schon der Wagen, und die schwarzen Aethiopier, welche die vierfüßigen, riesigen Fackelträger begleitet hatten, führten bereits die vorderen ihren Kameraden hinter dem Fuhrwerke zu.

Das war schön, das mußte das Herz jedes Freundes seiner Vaterstadt mit Stolz und Vergnügen erfüllen. Wofür sollte man sich die Hälse heiser schreien, wenn nicht für ein solches, nie dagewesenes Schauspiel?

Auch Diodor verwandte kein Auge von den Elefanten. Ihr Anblick ergötzte ihn wohl anfänglich, doch verdroß er ihn bald noch weit tiefer; denn er sagte sich, daß der schnöde Tyrann, sein Todfeind, den Beifall, den die elende Menge den klugen Tieren zollte, auf sich selbst beziehen werde.

Damit griff er nach der Rohrflöte in den Brustfalten seines Gewandes. Vorhin war er schon nahe daran gewesen, sie zu benützen, um Melissa einen Teil des Wehes heimzuzahlen, das sie ihm zugefügt hatte. Bei dieser Erinnerung aber ergriff ihn Abscheu vor der Erbärmlichkeit solcher Rache, und mit einem raschen Griffe zerbrach er die Flöte und schleuderte die Stücke vor dem Apfelkrame zu Boden.

Die Hökerin bemerkte es und rief ihm zu: »Ja, ja, um solchen Anblickes willen muß man schon mancherlei vergeben;« er aber wandte ihr stumm den Rücken und fand den Freund an der verabredeten Stelle.

Ungehindert erreichten sie die Sitze der Senatorenfamilien, und als sie dort Platz genommen hatten, wies der Jüngling die mitleidigen Fragen nach seinem Befinden, welche die Bekannten rings umher an ihn richteten, ungesprächig zurück.

Sein Freund Timon blickte teilnahmsvoll in das schöne, bleiche und ermüdete Antlitz des wie gebrochen in sich selbst versunkenen Jünglings.

Am liebsten hätte er ihn gleich zum Aufbruche genötigt; denn dem Cäsar und seinem Gefolge, zu dem ja auch Melissa gehören sollte, gerade gegenüber waren ihnen die Plätze angewiesen worden.

Einzelne Gesichter ließen sich bei dem Halbdunkel, das den weiten Raum des Theaters immer noch erfüllte, nicht erkennen. Aber bald mußte es hell werden, und welche Marter stand dann dem nur halb genesenen, treulos verlassenen Unglücklichen bevor!

Nach dem hellen Lichte, das vor dem Zirkus die Augen geblendet hatte, that dem Diodor die Dämmerung einstweilen noch wohl. Seine matten Glieder ruhten, aus dem parfümirten Springbrunnen in der Arena stieg süßer Wohlgeruch zu ihm auf, und sein Blick, der ihm hier noch nichts Willkommenes zuzuführen vermochte, starrte ins Leere.

Auch der Gedanke that ihm wohl, die Flöte vernichtet zu haben. Mit ihrem Pfiff hätte er sich selbst geschändet, und dazu wäre der Ton ja auch der würdigen Frau ins Ohr gedrungen, die das Mädchen begleitete und in der er noch gestern eine zweite Mutter geehrt.

Rings um ihn her erscholl jetzt laute Musik, hörte er es rufen und schreien, und auch über ihm – es konnte von den obersten Rängen kommen – begann ein seltsames Getöse. Doch er achtete nicht auf das alles, und während er der Matrone gedachte, erhob sich in ihm plötzlich und zum erstenmal die Frage, ob diese Frau Melissa wohl hieher begleiten würde, wenn sie dieselbe des ruchlosesten Treubruches oder einer anderen entwürdigenden That für fähig hielte. Er, der keine Vorstellung versäumte, hatte Frau Euryale noch nie im Zirkus gesehen. Auch heute erschien sie hier schwerlich zu ihrem Vergnügen. Melissa zu liebe war sie gekommen, und doch wußte sie, daß die Jungfrau seine Verlobte. Hatte der Kaiser die Matrone nicht gezwungen, sich hier zu zeigen, dann mußte die Geliebte noch der Neigung und Achtung der besten der Frauen wert sein, und bei diesen Erwägungen erhob die Hoffnung in seiner gequälten Seele wieder das Haupt.

Jetzt wünschte er plötzlich, helleres Licht möge das Halbdunkel verdrängen, das ihm eben noch so wohl gethan hatte; denn Frau Euryales Verhalten sollte ihn lehren, ob ihr Melissa immer noch wert sei. Wenn die Matrone sich ihr so freundlich wie früher erwies, dann gehörte ihr Herz ihm vielleicht auch jetzt noch, dann hatte sie nicht der eitele Glanz des Purpurs verführt, ihm treulos zu werden, dann war es der Zwang des Uebermächtigen, der sie . . .

Hier unterbrach lautes Trompetengeschmetter, Schlachtgeschrei und gleich darauf der schwere Fall einer zu Boden gestürzten Masse, ein heller, sich ringsum wiederholender Aufschrei, lauteres Lärmen und der Beifallsruf der Nachbarn sein stilles Sinnen.

Erst jetzt nahm auch er wahr, daß die Vorstellung soeben den Anfang genommen. Unter ihm, wohin er den Blick stets gerichtet, ohne ihn je zu erheben, war freilich auf dem gelblichen Sande der Arena noch nichts zu gewahren als die duftenden Springbrunnen und ein formloser Körper, zu dem sich bald auch ein zweiter und dritter gesellte; ihm zu Häupten aber war es lebendig geworden, und von der rechten Seite her durchzuckten helle Lichtstrahlen den weiten Raum.

Ueber dem gewaltigen Rundteil, das in sieben Rängen den Zuschauern Platz bot, prangten Sonnen und seltsam geformte, übergroße Sterne, die ein mattes, vielfarbiges Licht ausströmten; doch was der Jüngling über sich wahrnahm, war nicht der Himmelsbogen, der sich heute dunkel bewölkt über seine Vaterstadt breitete, sondern ein Velarium von ungeheurem Umfang, welches das nächtliche Firmament zur Darstellung brachte. Es breitete sich über den ganzen unbedeckten Zuschauerraum. Jedes Sternbild, das über Alexandria aufging, war deutlich zu erkennen. Jupiter und Mars, die Lieblinge des Kaisers, übertrafen an Größe und Glanz alle anderen Planeten, und in der Mitte dieses Himmelsgemäldes, das sich langsam in die Runde drehte, bildeten zu Buchstaben aneinander gereihte Sterne die eigentlichen Namen des Caracalla: »Bassianus« und »Antoninus.« Aber auch ihr Licht war gedämpft und wie von Nebeln verschleiert. Von dem künstlichen Firmament erscholl sanfte Musik; aus der Luftschicht unter ihr aber ließ sich der Ruf der Kriegstrompete und wildes Schlachtgeschrei vernehmen. So waren denn aller Augen aufwärts gerichtet, und auch die des Diodor schauten nach oben.

Verwundert nahm er wahr, daß die Veranstalter der Vorstellung in dem Bestreben, dem kaiserlichen Gaste der Stadt etwas niegesehenes Neues zu bieten, das erste Kampfspiel in die freie Luft verlegt hatten. Dort, in der Höhe der obersten Ränge wurde eine Aetherschlacht geführt, deren Anordnung wohl auch den verwöhnten Römern einige Ueberraschung zu gewähren verhieß. Schwarze und goldene Schiffe stießen dort scheinbar im leeren Raume aufeinander, und ihre Bemannung kämpfte mit dem Ungestüm der Verzweiflung.

Die ägyptische Vorstellung von den Lichtgöttern, die in goldenen Barken den Himmelsozean befahren und die Mythe von dem Sonnengotte, der allmorgendlich die Dämonen der Finsternis bekämpft und besiegt, lag diesem Kampfspiele zu Grunde.

Hoch über den unteren Rängen, wo der Kaiser und alle weilten, nach deren Bewunderung man geizte, sollte der Kampf zwischen den Geistern des Dunkels und des Lichtes ausgefochten werden, und zwar von lebenden Menschen, größtenteils von zum Tode oder zu schwerer Zwangarbeit verurteilten Verbrechern.

Die schwarzen Schiffe waren mit afrikanischen, die goldenen mit hellfarbigen Uebelthätern bemannt, und sie waren gern an Bord gestiegen; denn vielen stand es bevor, nur verwundet, einigen unbeschädigt aus dem Kampfe hervorzugehen, und jeder war entschlossen, die Waffen zu brauchen, um den furchtbaren Streit schnell zu Ende zu führen.

Die krausköpfigen Schwarzen wußten freilich nicht, daß man ihnen nur leicht zusammengelötete Schwerter, die beim ersten Streich auseinanderspringen mußten und Schilder in die Hand gegeben hatte, die keinem ernsten Schlag widerstanden, den hellfarbigen Geistern des Lichts aber feste und scharfe Waffen zu Schutz und Trutz. Es mußte ja um jeden Preis vermieden werden, daß die Dämonen der Finsternis über die des Lichtes triumphirten. Was galt das Leben eines Schwarzen, zumal wenn es ohnehin verwirkt war!

Während unten Frau Euryale und Melissa auf den Plätzen des Kaisers die Augen von dem schrecklichen Schauspiel, das über ihnen tobte, abwandten und die Matrone, mit der Hand der Jungfrau in der ihren, dieser zuraunte: »O, Kind, Kind, daß es not that, Dich hierher zu begleiten!« erschollen laute Beifallsrufe und stürmisches Klatschen.

Der Steinschneider Heron, der in der rotumsäumten Toga seiner neuen Würde, strahlend vor Glück und Stolz auf dem mit Polstern belegten, bevorzugten Sitze Platz genommen hatte, schlug so heftig in die riesigen Hände, daß den Nachbarn die Ohren sausten. Auch ihn hatten beim Eintritt in den Zirkus laute Pfiffe übel empfangen; doch er war weit entfernt gewesen, sie auf sich zu beziehen. Als ihm aber dicht vor der kaiserlichen Loge eine Schar von Grünen seinen Namen mit derben Schmähworten ins Gesicht gerufen hatte, war er stehen geblieben, um dem nächsten die gewaltige Faust unter das Kinn zu stoßen und die anderen giftige Neidharte zu schelten. Dank den hier aufgestellten Lictoren war er unbeschädigt davongekommen, und sobald er sich unter lauter Freunden des Kaisers und großen Herren sah, zu denen er oft mit stummer Ehrerbietung niedergeschaut hatte, fand er die gute Laune wieder. – Besonders freute er sich auf die Stunde, in der er den Kaiser fragen konnte, was er nun von seiner Vaterstadt sage?

Alexander folgte wie der Vater dem blutigen Kampfspiel; ja mit atemloser Spannung schaute er aufwärts, wenn die Ringenden einander in die gähnende Tiefe zu reißen drohten. Dennoch vergaß er keinen Augenblick den Schimpf, der ihm vor dem Zirkus widerfahren war. Wie weh das Herz ihm that, war auf seinem bekümmerten Antlitz zu lesen. Nur einmal flog ihm ein Lächeln um die Lippen. Als es nach dem Ende der ersten Vorstellung heller geworden war, hatte er auf dem nächsthöheren Rang ihm gegenüber die hübsche Ino, die Tochter des Nachbarn Skopas, bemerkt, die er vor wenigen Tagen seiner Liebe versichert. Es war ihm bewußt gewesen, schlecht gegen sie gehandelt und ihr das Recht gegeben zu haben, ihn treulos zu schelten. Ihr gegenüber hatte er sich wirklich eines Verrates schuldig gemacht, und das war ihm schwer auf die Seele gefallen.

Jetzt begegnete sein Blick dem ihren, und sie gab ihm in der auffallendsten Weise zu erkennen, daß sie ihn einen Spion des Kaisers nennen gehört und den Verleumdern Glauben geschenkt habe. – Sein Anblick schien sie mit Entrüstung zu erfüllen, und sie war bestrebt, ihm zu zeigen, daß sie schnell Ersatz für ihn gefunden, und dem Alexander hatte der junge Ktesias, ihr Nebenmann, der sich schon lange vergebens um sie bewarb, es zu verdanken, wenn Ino ihn jetzt mit ins Auge fallender Zärtlichkeit beglückte.

Das war tröstlich für den armen Ausgestoßenen. Wenigstens um der Nachbarstochter willen brauchte er sich keine weiteren Vorwürfe zu machen.

Diodor saß ihm gegenüber, und auch seine Aufmerksamkeit ward oft unterbrochen.

Die leuchtenden Schwerter und die Fackeln in der Hand der Geister des Lichtes, sowie die matt glänzenden, falschen Sterne zu ihren Häupten hatten das Dunkel nicht genügend zerstreut, um den Jünglingen zu gestatten, einander zu erkennen. Wohl schaute Diodor oft genug auch während der fesselnderen Scenen des Kampfes nach der Loge des Kaisers hin, doch gelang es ihm nicht, die Geliebte von den anderen Frauen in der Umgebung des Caracalla zu unterscheiden. Aber schon ward es heller; denn während der Kampf noch schwankte, schwebte plötzlich eine neue Barke voller Lichtgeister mit hochgeschwungenen Fackeln den Genossen zu Hilfe, und der Himmel schien sie gesandt zu haben, um die Schlacht zu entscheiden, die schon länger währte, als es die Festordner für möglich gehalten.

Das wilde Kampfgeschrei, das Geheul der Verwundeten und Ringenden da oben übertönte längst die sanfte Sphärenmusik ihnen zu Häupten. Der Ruf der Tuben und Posaunen durchgellte ununterbrochen den weiten Raum, oft begleitet von dem schrecklichsten der Töne in diesem grausamen Schauspiel, dem dumpfen Aufschlag eines in die Tiefe geschleuderten Leibes.

Und dieser gräßliche Klang erweckte den lautesten Beifall unter der Menge, weil er dem übersättigten Ohr etwas Neues bot. Ueberhaupt entfesselte dieser tolle, nie gesehene Kampf in der Höhe einen rasenden Jubel; denn er gab dem Auge, das hier niederwärts zu schauen gewohnt, eine Richtung, in die es noch nie gelockt worden war. Welchen köstlichen Anblick gewährte es auch, die Schwarzen und Weißen miteinander ringen zu sehen, wie trefflich gestattete der Unterschied der Farben die einzelnen Kämpfer, auch wenn sie einander dicht umklammert hielten, zu unterscheiden. Und als am Ende der Schlacht ein ganzes Boot umgestürzt ward, und noch beim Fallen in die Tiefe einzelne Streiter sich umschlungen hielten und in wütendem Haß einander umzubringen trachteten, da erbebten die Mauern des festen Baues von dem rasenden Klatschen und Jauchzen der Tausende auf allen Rängen.

Nur einmal that sich der begeisterte Beifall noch wilder kund, und das war nach der Entscheidung der Schlacht und dem, was ihr folgte; denn kaum hatten die siegreichen Lichtgeister sich mit hoch erhobenen Fackeln in den Booten erhoben und von schwebenden Kindergenien Lorbeerkränze empfangen, die sie zu der Loge des Kaisers niederwarfen, als ein wohlriechender Dampf, welcher der Stelle entströmte, wo der Himmel den hohen Rundbau berührte, den ganzen oberen Teil des Theaters den Blicken der Zuschauer entzog. Die Musik verstummte, und von oben her ließ sich nur ein wunderliches, unheimliches Grollen, Zischen, Rauschen und Knistern vernehmen. Ein Dämmerlicht, noch matter als vorher, erfüllte den weiten Raum, und bange Empfindungen bemächtigten sich der vieltausendköpfigen Zuschauerschaft.

Was sollte das geben?

War das Velarium in Brand geraten, versagten die Beleuchtungsmaschinen den Dienst, und sollte man in diesem peinlichen Halbdunkel verbleiben?

Hier und da erhob sich auch bereits ein Ruf des Unwillens und ein schriller Pfiff aus der leicht erregten Menge; der Dampf aber hatte sich schon allmälich verzogen, und wer aufwärts schaute, der gewahrte, daß das Velarium mit der Sonne und den Sternen einer schwarzen Fläche Platz gemacht hatte. Niemand wußte, ob sie dem umwölkten Himmel angehöre, oder ob ein neues, einfarbiges Riesentuch den Zuschauerraum überspanne; plötzlich aber riß die gewobene Decke auseinander. Von unsichtbaren Händen fortgezogen, verschwanden ihre Teile. Wie auf den Wink eines Zauberers erhob sich eine rauschende Musik, und zu gleicher Zeit strömte in gewaltigen Wellen eine solche Flut von Licht in das Theater, daß jede Hand das Auge bedeckte, um es vor Blendung zu schützen. Einem hohen Jubelchore vergleichbar, der in die Schlußaccorde eines dumpfen Trauergesanges einfällt, folgte der hellste Sonnentag der finsteren Nacht auf dem Fuße.

Die Maschinisten Alexandrias hatten ein Wunder verrichtet. – Selbst die Römer, die auch bei den nächtlichen Vorstellungen am Florafeste in dem beleuchteten Zirkus der Flavier nichts Gleiches geschaut, lohnten es ihnen mit reichen Beifallsstürmen, die nicht aufhören zu wollen schienen; denn wer die Quellen des Lichtes da oben, die, von zahllosen Spiegeln vervielfacht, in das Theater fluteten, genügend bewundert hatte und dann den Zuschauerraum überblickte, der begann sicher Hand und Stimme von neuem zu regen.

Auf ein geheimes Zeichen strahlten auch an den Sitzreihen tausende von Lichtern und Lampen auf, und wenn der Glanz der Vorstellung der Kleiderpracht der alexandrinischen Zuschauer und Zuschauerinnen entsprach, dann durfte man noch Großes erwarten.

Jetzt erst erkannte man die Schönheit der Frauen und die Kostbarkeit ihrer Gewänder, jetzt erst versandten die Edelsteine schnell aufleuchtende und erlöschende Blitze. Wie viele Gärten und an Lotosblumen reiche Gewässer hatten geplündert, wie viele Haine des Lorbeers beraubt werden müssen, um die Kränze zu liefern, die jedes Haupt auch auf den oberen Rängen schmückten, und wer zu diesen hinaufsah und die stattlichen Gewänder gewahrte, in denen Mann und Weib auch hier erschienen war, der mußte glauben, daß es nur Reiche in Alexandria gebe.

Wohin das Auge sich wandte, begegnete ihm etwas besonders Schönes oder Prächtiges. Und die Fülle an entzückenden Einzelbildern, die sich dem Blicke aufdrängten, umgaben in großen Rahmen die vollen Guirlanden von Lotosblumen und Malven, Lilien und Rosen, Oelbaum- und Lorbeerlaub, Papyrusstengeln und Palmenwedeln, Pinien und Weidenzweigen, die hier in schön gerundeten Festons aufgehängt, dort wie farbenreiche Binden um Säulen, Pfeiler und die Fundamente ganzer Sitzreihen geschlungen waren.

Nur eins unter den zahllosen Menschenpaaren in diesem Festsaal ohne Gleichen sah und hörte nichts von dem allen.

Kaum hatte die Nacht sich in strahlendes Licht verwandelt, als Melissas Auge dem des Geliebten begegnet war, und zu dem Erkennen hatte sich schnell ein zages Fragen und Antworten gesellt, das die unglücklichen Liebenden mit neuer Hoffnung erfüllte.

Melissas Blick bekannte dem Diodor, daß sie ihn und ihn allein liebe; aus dem des Jünglings aber war zu erkennen, daß er nicht von ihr lassen könne. – Doch sein Auge gab auch dem Weh der von Zweifel und Kümmernis gequälten Seele Ausdruck und sandte Frage auf Frage zu Melissa hinüber.

Und sie verstand seine stummen Blicke, als seien es hörbare Worte, und ohne auf die Neugierigen zu achten, die sie umgaben, und zu bedenken, wie verhängnisvoll dies Wagnis für sie werden könne, hob sie den Strauß in ihrer Rechten, neigte sich über ihn, wie um sich an dem Duft der Blumen zu laben und drückte einen schnellen Kuß auf die schönste der halb erschlossenen Knospen.

Die Antwort, die sie empfing, lehrte, daß auch Diodor sie verstand; denn jetzt strahlte ihr aus seinen hellen Augen nichts mehr entgegen als Liebe und Dank. Inniger, meinte sie, habe er ihr nie ins Antlitz geschaut, und wieder neigte sie das Haupt zu den Rosen nieder.

Aber mitten in dem neu erwachten Glücke röteten sich ihr die Wangen in jungfräulicher Scheu über ihr kühnes Unterfangen, und zu glücklich, um, was sie gethan zu bereuen, und doch bang, daß diejenige, deren Urteil ihr alles galt, es mißbilligen werde, schmiegte sie, Ort und Zeit vergessend, das Haupt an Frau Euryales Schulter und blickte ihr mit den großen Augen fragend und wie um Vergebung bittend ins Antlitz.

Die Matrone durchschaute sie; denn sie war ihren Blicken gefolgt und fühlte mit, was die Jungfrau bewegte, und ohne zu ahnen, ein wie großes Geschenk sie damit einem dritten bereite, zog sie Melissa fester an sich und küßte ihr, unbekümmert um ihre Umgebung, die Schläfe.

Dem Diodor war es bei diesem Anblick, als habe er den Preis beim Wettfahren gewonnen, und sein Freund Timon, der das Künstlerauge eben an den prächtigen Bildern ringsum weidete, fuhr zusammen, so ungestüm und kräftig hatte Diodor ihm die Hand gedrückt.

Was war mit dem siechen Unglücklichen, den er, Timon, aus Mitleid in den Zirkus begleitet, vorgegangen, daß ihm die Augen so hell leuchteten, und er das Haupt wieder so hoch trug? Was bedeutete die Versicherung des Jünglings, daß nun alles gut werden könne?

Vergebens fügte Timon Frage an Frage; denn noch mochte Diodor auch dem besten Freunde nicht vertrauen, was ihn beglückte. Es genügte ihm, zu wissen, daß Melissa ihn liebe, und daß die Frau, zu der er mit enthusiastischer Verehrung aufschaute, sie so wert halte wie je.

Zum erstenmal begann er, sich jetzt auch seiner Zweifel an der Geliebten zu schämen. Wie hatte er, der sie von Kind an kannte, ihr etwas so Unreines, Verdammungswürdiges zutrauen können! Sicher war es ein übermächtiger Zwang, der sie noch an den Kaiser fesselte, und sie hätte ihn so nicht anschauen können, wenn sie nicht im Sinne trug – und vielleicht wollte Frau Euryale ihr dabei helfen – dem kaiserlichen Werber zu rechter Zeit zu entfliehen. So mußte es sein, und je öfter er zu ihr hinschaute, desto gewisser wollte es ihm scheinen.

Jetzt freute ihn das blendende Licht, das ihn umgab; zeigte es ihm doch die Geliebte.

Die Worte, welche Frau Euryale ihr zugeflüstert hatte, mußten sie zur Vorsicht gemahnt haben; denn sie gönnte ihm nur noch selten einen kurzen Liebesblick, und er sagte sich selbst, daß ihr stummer, doch lebhafter Verkehr von vorhin ihnen beiden hätte verhängnisvoll werden können.

Aber es war doch in dem plötzlich hereingebrochenen Lichte zu viel zu Tage getreten, das jeden und auch den Kaiser unwiderstehlich anzog, als daß man Zeit gefunden hätte, ihrer zu achten. Jetzt war die erste Neugier befriedigt, und nun hielt es auch Diodor für geboten, sich Zurückhaltung aufzuerlegen.

Caracalla hatte sich den Zuschauern noch nicht gezeigt. Ein goldener Schirm, durch dessen Oeffnungen er zu schauen vermochte, ohne gesehen zu werden, entzog ihn den Blicken der Menge, doch konnte Diodor diejenigen wohl erkennen, die er empfing. Erst waren es die Veranstalter der Vorstellung, dann die parthische Gesandtschaft und einige Vertreter der obersten Behörden der Stadt gewesen. Endlich führte Seleukus die Gemahlinnen der reichen Herren, die mit ihm die Kosten dieser Vorstellung trugen, vor den Thron, und unter diesen kostbar bekleideten Frauen überstrahlte Frau Berenike alle durch den Stolz ihrer Haltung und die auffällige Pracht ihrer Kleidung.

Als ihr großes Auge den Cäsar herausfordernd traf, faltete er die Stirn und frug höhnisch: »Man scheint hier prunkende Trauergewänder zu tragen?«

Frau Berenike aber erwiderte schnell: »Sie haben nichts mit der Trauer zu schaffen und sollen nur den Mächtigen ehren, der die Trauernde in den Zirkus entbot.«

Diodor sah den Blick nicht aufflammen, womit Caracalla die kühne Matrone bedrohte, und vernahm auch nicht, wie er leichthin versetzte: »So vergreift man sich hier in der Art, mir Ehre zu erweisen; indes wird man Gelegenheit finden, sich besser zu unterrichten.«

Doch über den weiten Raum der Arena hin bemerkte der Jüngling das schnelle Erröten und Erblassen der stolzen Frau, und wie gleich nach ihr der Präfekt der Prätorianer, Macrinus, sich mit dem Festordner und dem Leiter der Gladiatorenschule dem Kaiser näherte.

Zu gleicher Zeit hörte Diodor seinen Nachbar, ein Mitglied des städtischen Senates, sagen: »Wie das alles so zahm und ruhig verläuft! Mein Vorschlag, den Cäsar im Halbdunkel eintreten zu lassen und ihn und die anderen Mißliebigen zuerst den Blicken zu entziehen, war ganz vortrefflich. Gegen wen sollten sie die Pfeifen gebrauchen, so lang sich der eine vom andern nicht unterschied? Jetzt hält das Entzücken die Schreier noch im Zaum. Die künftige ›Kaiserbraut‹ mag mir am lautesten danken. Sie erinnert mich übrigens an die persischen Krieger, die, bevor sie in die Schlacht zogen, sich Katzen an die Schilder banden, weil sie wußten, daß ihr ägyptischer Feind lieber gar nicht auf sie schießen, als die heiligen Tiere der Gefahr aussetzen würde, von seinen Pfeilen getroffen zu werden.«

»Was meinst Du damit?« frug ein anderer und erhielt die muntere Antwort: »Frau Euryale ist für die Kaiserbraut die schützende Katze. Aus Achtung vor der Matrone und aus Furcht, sie mit zu verletzen, blieb ihr Schützling auch von denen da oben bis jetzt unbehelligt.«

Dabei wies er auf eine Gruppe von Grünen, die auf einem der oberen Ränge die Köpfe zusammensteckten; sein Nebenmann aber fügte hinzu: »Es hält sie auch noch etwas anderes im Zaume. Die drei Bartlosen hinter ihnen sind Sicherheitswächter. Wie die Rosinen durch den Kuchenteig sind sie durch die ganze Zuschauermasse verbreitet.«

»Das ist weise und gut,« versicherte der Senator. »Wir könnten den Zirkus sonst leicht viel hastiger verlassen, als wir ihn betraten. Mit trockenen Gewändern kommen wir ohnehin kaum nach Hause. Sieh nur, wie die Lichter da oben schwanken; man hört auch das Pfeifen des Sturmes, und solch ein Leuchten kommt aus keiner Maschine. Vater Zeus lockert die Blitze, und wenn das Unwetter losbricht . . .«

Hier wurde diese Rede von schmetternden Fanfaren unterbrochen, in die sich das Rollen des fernen Donners mischte, der dem ersten Blitze gefolgt war.

Gleich darauf begann der Aufzug, der sonst dem Beginne jeder Vorstellung voranging.

Schon vor dem Erscheinen des Kaisers hatte man die Statuen der Götter auf die für sie bestimmten Postamente gestellt, um zu verhüten, daß die Zuschauer das Erscheinen der vergöttlichten Cäsaren zu Kundgebungen benützten.

Jetzt umgingen die Priester in feierlicher Prozession die Bildsäulen, und Theophilus goß dem Serapis, der Alexanderpriester dem Heros der Stadt seine Libation in den Sand. Dann erschienen die Festordner, die Gladiatoren und Tierkämpfer, welche heute ihre Kunst zum Besten geben sollten.

Als die Priester sich der Loge des Kaisers näherten, trat dieser an die Brüstung und begrüßte die Zuschauer, denen er sich jetzt zum erstenmale zeigte.

Melissa war ihm, während er noch hinter dem Schirme saß, gehorsam seinem Befehle, von Frau Euryale zugeführt worden, und er hatte sie gnädig begrüßt. Jetzt schien er sich weder um sie, noch um ihren Vater und Bruder zu bekümmern; auch trennten auf sein Geheiß mehrere Plätze seinen Sitz von dem ihren. Auf Rat des Oberpriesters Theophilus wollte er sie erst der Menge an seiner Seite zeigen, wenn die Sterne zum andernmale befragt worden waren, und er – vielleicht schon übermorgen – Melissa als seine Gemahlin in den Zirkus führen konnte. Der Matrone hatte er Dank gesagt, daß sie die Jungfrau begleite, und in prahlerischem Tugendstolz hinzugefügt, die Welt solle erfahren, daß er auch die glühendsten Wünsche seines Herzens dem Ziemlichen zu opfern verstehe.

Die fackeltragenden Elefanten hatten ihm Vergnügen bereitet, und in der Erwartung, Melissa wieder zu begegnen und öffentlich anerkannt zu sehen, daß er die Schönste für sich gewonnen, war er heiter in den Zirkus gekommen. Auch jetzt noch zeigte er sein natürliches Gesicht. Nur bisweilen zog sich ihm die Stirn zusammen; denn der Blick der Gattin des Seleukus ging ihm nach.

Wie eine Rachegöttin hatte die verwegene Frau, »die geputzte Niobe,« wie er sie dem Präfekten Macrinus gegenüber verächtlich nannte, vor ihm gestanden, und seltsamerweise kehrte ihm mit jedem Gedanken an sie die Erinnerung an den Vindex und seinen Neffen zurück, deren Hinrichtung die Fürbitte Melissas beschleunigt hatte, und es verdroß ihn jetzt, der Geliebten das Ohr verschlossen zu haben.

Der Gedanke, daß der Name Vindex auch einen »Rächer« bedeute, beunruhigte ihn und kam ihm so wenig aus dem Sinn wie die »Niobe« mit den furchtbaren, düsteren Augen.

Er wollte sie nicht mehr sehen, und die Gladiatoren erleichterten ihm dies; denn eben näherten sie sich ihm, und ihr wilder Enthusiasmus ließ ihn eine Zeit lang alles andere vergessen.

Während die einen Schwert und Schild, die anderen ihre nicht weniger schrecklichen Waffen, das Netz und die Harpune, schwangen, scholl ihr: »Heil Dir, Cäsar, die zu sterben gehen, grüßen Dich!« ungestüm und heiser aus rauhen Kehlen zu ihm empor.

Zu zehn Mann in jeder Reihe umkreisten sie in schnellem Sturmschritt und in Abteilungen gesondert das Rund der Arena.

Zwischen dem ersten und zweiten Haufen stolzirte einer für sich allein daher, als sei er etwas Besonderes, und wiegte sich dabei mit geschwollenem Selbstgefühl in den Hüften. Das war sein ertrotztes Recht, und man sah es seinem breiten, rohen Gesichte mit der aufgestülpten Nase und den wulstigen Lippen, aus denen weiße Zähne wie die eines Raubtieres blitzten, wohl an, daß es denen übel ergangen wäre, die versucht hätten, es ihm zu schmälern. Dabei war er von kleinem Wuchs; doch aus der hoch gewölbten Brust, den überbreiten Schultern und den kurzen, krummen Beinen traten die Muskeln wie elastische Bälle hervor und lehrten den Kenner, daß er ein Riese an Kraft sei. Ein Schurz bildete seine ganze Kleidung; denn er war stolz auf die zahllosen Narben, die ihm weiß und rot von der hellen Haut schimmerten. Den kleinen Bronzehelm hatte er nach hinten gerückt, damit dem Volke das furchtbare Aussehen des linken Teils seines Angesichts nicht entgehe, aus dem ihm ein Löwe, während er mit ihm und drei Panthern gekämpft, das Auge zugleich mit einem Teil der Wange gerissen. Er hieß Tarautas, und im ganzen Reiche war er bekannt als der grausamste aller Gladiatoren; hatte er sich doch auch das zweite Recht erstritten, nur auf Leben und Tod zu kämpfen und unter keiner Bedingung Gnade zu schenken oder für sich zu verlangen. Wo er auf den Plan trat, gab es Leichen zu sehen.

Der Cäsar wußte, daß man ihm nach diesem Manne den Spitznamen »Tarautas« gegeben, und er hatte das nicht ungern gesehen; denn er wollte vor allem stark und furchtbar erscheinen, und das war der Gladiator, der in seinem Stande nicht seinesgleichen besaß. Sie kannten einander auch, und der Tarautas hatte nach manchem schwer erfochtenen Siege, bei dem sein Blut geflossen war, Geschenke von dem kaiserlichen Gönner erhalten.

Wie nun der narbige Graukopf, der in dem langen Zuge der Gladiatoren ein Glied für sich bildete, aufgebläht von Eitelkeit, die kleinen frechen Augen unter den Zuschauern umherschweifen ließ, da erfüllte sich ihm vorzeitig das Verlangen, wofür er im Zirkus das Leben so oft aufs Spiel gesetzt hatte, aller Blicke auf sich zu ziehen. Das hob ihm die Brust, das verdoppelte die Spannkraft seiner geschmeidigen Sehnen, und als er vor die Loge des Kaisers gelangte, ließ er mit seltener Fechterkunst und zäher Ausdauer das kurze Schwert so schnelle Kreise über seinem Scheitel beschreiben, daß es aussah, als sei es zu einer blinkenden, stählernen Scheibe geworden. Dabei überschrie der Ruf seiner gewaltigen, mißtönenden Stimme: »Heil Dir, Cäsar!« wie Löwengebrüll den der anderen Gladiatoren, und der Kaiser, der noch keinem Alexandriner ein freundliches Wort oder eine gütige Miene gegönnt hatte, ließ sich herbei, dem wilden Unhold, dessen Kraft und Geschicklichkeit ihm gefielen, mehrmals aufs gnädigste zuzuwinken.

Auf diesen Augenblick hatten die Grünen im dritten Range gewartet. Dem Manne, dem der Cäsar selbst Beifall schenkte, auch das ihre zu erkennen zu geben, konnte niemand verbieten, und so begannen sie den Namen »Tarautas« in die Arena zu rufen.

Sie wußten, daß sie damit jedermann aufforderten, den Kaiser mit dem blutigen Scheusal zu vergleichen, dessen Namen sich an ihn geheftet, und wen es drängte, seinen Groll und sein Mißvergnügen zu äußern, der verstand die Meinung und stimmte mit ein.

So hallte denn das weite Theater bald wider von dem einen Rufe: »Tarautas!«

Anfänglich erscholl er ordnungslos an vereinzelten Stellen, bald aber – niemand wußte, wer damit begonnen – vereinte sich die Menge auf allen obern Rängen zu einem einzigen Chore, der dem lang verhaltenen Ingrimm mit kindischer, sich fortwährend steigernder Lust freie Bahn ließ, indem er taktmäßig und in einem wie von selbst entstandenen Rhythmus den Namen »Tarautas« hervorstieß.

Bald wollte es scheinen, als sei den Tausenden das tolle, zu immer lauterem Gebrüll anwachsende Verslein:

»Taráu – Taráu – Taráutas«

einstudirt worden, und wie es immer geht, wenn in die Schranken der Zurückhaltung einmal eine Bresche gelegt ist, flog auch hier eine nach der andern in den Staub, und dort ließ sich der schrille Pfiff einer Rohrflöte, da das Rasseln einer Knarre vernehmen. Dazwischen erschollen die leidenschaftlich erregten Stimmen derer, an welche Lictoren oder Sicherheitswächter der Stadt die Hand legten, und die ihrer scheltenden Nachbarn; den gesamten meuterischen Lärm aber begleiteten mit furchtbarem Ernst die rollenden Donnerschläge des immer schneller heraufziehenden Gewitters.

Auch die faltige Stirn des Kaisers verriet, daß ein solches bei ihm im Anzuge sei, und kaum hatte er die Absicht der Menge durchschaut, als er dem Präfekten Macrinus schäumend vor Wut befahl, Ruhe zu schaffen.

Bald schmetterte Fanfare auf Fanfare mahnend in das Gebrüll.

Die Festordner empfanden, daß nur, wenn es gelang, die Aufmerksamkeit der Zuschauer durch Herz und Sinn erregende Scenen zu fesseln, die Kundgebungen zum Schweigen gebracht werden konnten, die Unheil über die ganze Stadt zu bringen drohten, und so wurde verordnet, mit dem wirksamsten Schauspiel, welches eigentlich bestimmt war, die ganze Vorstellung zu beschließen, schon jetzt zu beginnen.

Es sollte zur Darstellung bringen, wie römische Krieger ein Lager der Alemannen eroberten. Es lag darin eine Schmeichelei für den Cäsar, der sich nach seiner fraglichen Besiegung dieses tapferen Volkes den Namen »Alemannicus« beigelegt hatte. Ein Teil der Kämpfer, welcher die Germanen darstellte, war in Tierfelle gekleidet und mit langwallendem roten und blonden Haare geschmückt. Andere Gladiatoren stellten die römische Legion dar, die jene zu bewältigen hatte.

Die Alemannen waren sämtlich zum Tode verurteilte Männer und Frauen, die sich ungerüstet und nur mit stumpfen Schwertern bewaffnet zu verteidigen hatten. Den Frauen war Leben und Freiheit zugesagt worden, wenn sie sich nach der Eroberung des Lagers mit der scharfen Klinge, die man einer jeden anvertraut hatte, wenigstens so tief verwunden würden, daß Blut fließe. Wer sich dabei das Ansehen einer Sterbenden recht täuschend zu geben verstand, sollte eine besondere Belohnung erhalten.

Unter die Germanen mit den stumpfen Waffen waren auch einige Gladiatoren von besonderer Körpergröße und mit scharfen Schwertern gemischt worden, um die Entscheidung hinauszuschieben.

Während vor den Augen der Zuschauer in wenigen Minuten Wagen, Rinder und Pferde zu einem Lager zusammengeführt und mit einem Wall von Baumstämmen, Steinen und Schildern umgeben wurde, ließen sich immer noch hie und da Rufe und Pfiffe vernehmen, ja, als der Gladiator Tarautas im Waffenschmuck eines römischen Legaten einer schwer bewaffneten Kriegerschar voran die Arena betrat und den Cäsar wiederum begrüßte, steigerte sich die Unruhe von neuem.

Aber die Geduld Caracallas war schon erschöpft, und der Oberpriester Theophilus sah seinen bleichen Wangen und zuckenden Augenlidern an, was in ihm vorging, und beseelt von dem innigen Verlangen, seine Mitbürger vor unabsehbarem Unglück zu wahren, stellte er sich mit bittend erhobenen Händen vor die Bildsäule seines Gottes.

»Im Namen des großen Serapis hört mich, makedonische Männer und Frauen!« rief seine mächtige, klangvolle Stimme in das Lärmen der oberen Zuschauerreihen hinein.

Da ward es still in dem weiten Raume. Nur der Wind unterbrach mit klagendem, langgezogenem Geheul die Ruhe. Dann und wann erschütterte auch der Schlag eines Zeugstückes, das der Sturm von dem Velarium riß, an das Gemäuer die Luft, und in diese Geräusche mischte sich unheimlich der Schrei der Eulen und Dohlen, die das Licht aus ihren Nestern in der Bekrönung des Zirkus vertrieben hatte, und die das Unwetter nun wieder dorthin zurückzog.

Laut und überall vernehmbar, dringlich und im Tone väterlicher Besorgnis legte der Oberpriester nun den Lauschenden ans Herz, sich still zu verhalten, das glänzende Vergnügen, das ihnen hier geboten werde, nicht zu stören und vor allem zu bedenken, daß der große Cäsar, das göttergleiche Haupt des Erdenrundes, zur höchsten Ehre eines jeden in ihrer Mitte verweile. Als Gast der gastfreundlichsten aller Städte dürfe der erhabene Herrscher von jedem Alexandriner das feurige Bestreben erwarten, ihm den Aufenthalt hier angenehm zu machen. An ihm, Theophilus, sei es, im Namen des Höchsten der Götter die Stimme mahnend zu erheben, damit nicht der üble Wille weniger Ruhestörer die irrige Meinung in dem teuersten der Gäste errege, man sei in Alexandria blind für die Segnungen, die jeder Bürger seinem weisen Regimente verdanke.

Hier unterbrach ein lauter Pfiff und dann der weithin schallende Ruf: »Nenne diese Segnungen; wir kennen keine!« den Redner; Theophilus aber ließ sich nicht beirren und fuhr eifriger fort: »Ihr alle, die des hohen Cäsars Gnade zu römischen Bürgern erhob . . .«

Aber wieder fiel ihm ein Zuschauer – es war der Oberaufseher der Kornspeicher des Seleukus – vom zweiten Range her kreischend ins Wort: »Meint ihr, wir wüßten nicht, was diese Ehre uns kostet?«

Ein lauter Beifallsruf folgte dieser Frage, und plötzlich bildete sich abermals und wie durch ein Wunder ein Chorus, der ein ganzes Distichon wiederholte, das einer in die Menge gerufen, ein zweiter und dritter ihm nachgesprochen hatte, und das dann als Gemeingut aller in der sangartigen Weise, die ein vierter ihm gab, von tausend Lippen, so laut nur jeder vermochte, demjenigen entgegenscandirt wurde, für den es bestimmt war.

Ans den oberen Rängen in jeder Himmelsrichtung des Zirkus erschollen nun die folgenden Verse, die noch vor wenigen Augenblicken keinem bekannt gewesen waren:

»Morden die Lebenden gilt's, um der Toten Begräbnis zu zahlen;
    Denn was der Zöllner uns ließ, schonungslos raubte der Soldat.«

Und diese Verse mußten wohl mitten aus dem Herzen der Menge kommen; denn sie ward nicht müde, sie zu wiederholen, und erst als ein heftiger Donnerschlag den Zirkus erschütterte, verstummten viele und schauten mit wachsender Angst in die Höhe.

Dieser Augenblick wurde benützt, um die Vorstellung beginnen zu lassen.

Der Kaiser biß sich in ohnmächtiger Wut die Lippen, und der Haß gegen die Alexandriner, die ihm nun offen zu erkennen gaben, wie sie ihm gesinnt waren, steigerte sich von einem Augenblick zum andern.

Wie ein schweres Unglück empfand er das Unvermögen, dem ihm angethanen Schimpfe die Strafe auf dem Fuße folgen zu lassen, und siedend vor Zorn dachte er eines bekannten Wortes des Caligula und wünschte dieser Stadt ein einziges Haupt, um es ihr vom Rumpfe zu schlagen.

Das Blut pochte ihm so heftig an die Schläfen, und es sauste ihm so wild vor den Ohren, daß er eine gute Weile von allem, was um ihn her vorging, nichts sah und hörte.

Diese wilde Erregung konnte ihm wieder furchtbare Leidensstunden zuziehen. Doch er brauchte solche jetzt weniger zu fürchten; denn dort saß das lebende Heilmittel, das er mit den festesten Banden an sich gekettet zu haben meinte.

Wie schön Melissa war! Und als er sich wieder nach ihr umschaute, bemerkte er, daß ihr Auge mit banger Besorgnis auf ihm ruhte.

Da war es ihm, als lichte sich etwas in seiner umdüsterten Seele, und es wurde ihm wieder bewußt, daß sein Herz sich der Liebe geöffnet.

Aber es ging ja nicht an, sie, die dies Wunder bewirkt, jetzt schon zur Vertrauten seines Hasses zu machen. Er hatte sie zürnen, hatte sie weinen, aber auch lächeln sehen, und in den nächsten Tagen, die aus ihm, dem grausam Gequälten, einen Glücklichen machen sollten, wollte er ihre großen Augen sonnig leuchten und ihren Mund überfließen sehen von Worten der Liebe, der Freude, des Dankes. Später erst sollte die Abrechnung mit den Alexandrinern erfolgen, und er besaß die Macht, sie den heutigen Abend blutig büßen und schmerzlich bereuen zu lassen.

Wie um sich selbst aus einem bösen Traume zu erwecken, fuhr er sich mit der Hand über die krause Stirn; ja, er fand auch ein Lächeln, da sein Blick dem ihren wieder begegnete, und diejenigen, denen sein Anblick fesselnder erschien als das grause Blutvergießen in der Arena, stießen einander verwundert an; denn kaum faßlich schien ihnen der Gleichmut oder die Verstellungskunst, womit der Cäsar das Unerhörte hinnahm, das ihm hier geboten wurde.

Seit seinem ersten Besuch eines Zirkus hatte Caracalla noch nie so lange völlig unbeachtet gelassen, was bei einem Blutvergießen wie diesem vorging. Doch es war ihm bis dahin nichts besonders Bemerkenswertes entgangen; denn jetzt erst begann der eigentliche Kampf um das Lager, das Niedermetzeln der Alemannen, der Selbstmord der germanischen Weiber.

Da sprang der Gladiator Tarautas eben behend wie eine Katze und blutgierig wie ein hungriger Wolf auf einen hoch bepackten Wagen der Feinde, und ein großer Krieger mit langem, hinten zusammengeknotetem, goldrot schimmerndem Haar, stürzte sich ihm entgegen.

Das war kein falscher Germane!

Caracalla kannte ihn.

In seiner Heimat war er ihm unter den kriegsgefangenen Häuptlingen vorgeführt worden, und er hatte ihn, da er sich als trefflicher Reiter erwies, zu den Aufsehern der Ställe gesellt. Seine Aufführung war tadellos gewesen, bis er am Tage des Einzugs in Alexandria seinen Vorgesetzten, einen heißblütigen Gallier, und dazu auch zwei Lictoren, die ihn festzunehmen versuchten, im Rausch erschlagen hatte.

Er war zum Tode verurteilt und nun unter die Germanen aufgenommen worden, um im Zirkus für das Leben zu streiten.

Und wie er kämpfte, wie er mit dem stumpfen Schwerte auf den gefährlichsten der Gladiatoren einhieb und ihm auszuweichen verstand!

Diesem Streite zu folgen lohnte es sich wahrlich; ja er fesselte den Kaiser so sehr, daß er darüber alles andere vergaß.

Der Name des Gegners des Alemannen war auf ihn, den Cäsar, übertragen worden. Eben noch hatte der tausendstimmige Ruf »Tarautas« ihm gegolten, und gewohnt, in allem, was ihm begegnete, eine Vorbedeutung zu sehen, sagte er sich und rief das Schicksal zum Zeugen an, daß das Los des Gladiators das seine sein solle. Fiel der Fechter, dann waren seine, des Cäsar Tage gezählt, kam er gut davon, dann stand ihm ein langes, lebenswertes Dasein bevor.

Er konnte auch dem Tarautas die Entscheidung unbesorgt überlassen; denn er war der stärkste aller Gladiatoren im Reiche, und er kämpfte mit scharfen Waffen gegen die stumpfen in der Hand eines Mannes, der wohl beim Dienst in den Ställen verlernt hatte, das Schwert so zu führen wie in früheren Tagen.

Doch der Germane war eines Edelings Sohn, der schon als Knabe dem Heerbanne gefolgt war. Hier galt es, das Leben zu wahren und so rühmlich es anging vor den Augen dessen zu sterben, den er als mächtigen Herrn und Bezwinger vieler Völker – auch des seinen – zu ehren gelernt hatte.

Und der starke, wohlgeübte Edeling that das Seine.

Wie sein Gegner, so fühlte auch er, daß die Augen der Zehntausende ringsum an ihm hingen, und dazu war es ihm, als gelte es, die Schande abzuwaschen, die er als Mörder über sich selbst gebracht und über das Volk, als dessen Sohn er sich immer noch fühlte.

Jeder Muskel seines gewaltigen Leibes stählte sich und gewann neue Spannkraft durch dies Verlangen, und als er sich schon von dem Schwerte des unbesiegbaren Fechters getroffen und das warme Blut sich über die Brust und den linken Arm rinnen fühlte, nahm er alles, was an Leibeskraft ihm inne wohnte, zusammen. Mit dem Kriegsgeschrei seines Stammes warf er den schweren Riesenleib auf den Gladiator. Ohne des tiefen Schwertstiches zu achten, womit der Tarautas seinen Angriff geistesgegenwärtig erwiderte, stürzte er sich dann von der Höhe des bepackten Wagens auf die Steine der Umfassung des Lagers, und beide rollten eng verschlungen wie ein Körper von dem Wall in den Sand der Arena.

Als sei ihm selbst eine Verletzung widerfahren, zuckte Caracalla bei diesem Anblick zusammen und erwartete vergeblich, daß der geschmeidige Tarautas, den er schon aus gleich schwierigen Lagen ungeschädigt hatte hervorgehen sehen, sich von der Last des Germanen befreien werde.

Aber der Kampf fuhr fort um die Gefangenen her zu toben, und keiner von beiden regte auch nur ein Glied.

Da fuhr der Kaiser tief beunruhigt auf und gebot dem Theokrit, zu erkunden, ob der Tarautas nur verwundet sei oder tot, und während der Günstling ausblieb, hielt es ihn nicht auf dem Throne. Von bangem Mißbehagen getrieben, erhob er sich, bald um mit einem Mitglied seines Gefolges zu reden, bald um sich niederzulassen und einen neuen Blick auf das Gemetzel zu seinen Füßen zu werfen. Er war fest von der Ueberzeugung durchdrungen, daß sein eigenes Ende nahe bevorstehe, wenn der Tarautas den Tod gefunden habe.

Endlich hörte er die Stimme des Theokrit, und wie er sich umwandte, um Auskunft von ihm zu erhalten, traf sein Blick den der Frau Berenike, die aufgestanden war, um den Zirkus zu verlassen.

Da überlief es ihn kalt, und das Bild des hingerichteten Vindex und seines Neffen trat ihm wieder vor das innere Auge; doch im nämlichen Augenblick hörte er, wie der frühere Tänzer ihm heiter zurief: »Der Tarautas! Er ist gar kein Mensch! Einen Aal möcht' ich ihn nennen, wenn er weniger breitschulterig wäre. Der Kerl lebt, und der Arzt sagt, in drei Wochen nähm' er es wieder auf mit vier Bären oder zwei Alemannen.«

Da flog es wie heller Sonnenschein über das Antlitz des Kaisers, und er blieb froh, obgleich ein furchtbarer Donnerschlag den Zirkus erschütterte und einer jener Wolkenbrüche, wie nur der Süden sie kennt, seine Ströme in den offenen Raum ergoß, die Feuer und Lichter verlöschte und das Velarium so wild aus den Schlingen riß, daß es vom Sturm gepeitscht in die oberen Ränge schlug und die Zuschauer von den Sitzen vertrieb.

Männer fluchten, Weiber kreischten und weinten, und laute Fanfarenrufe und Heroldstimmen verkündeten, daß die Vorstellung geschlossen sei und übermorgen fortgesetzt werden solle.


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