Georg Ebers
Per aspera
Georg Ebers

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Neunzehntes Kapitel.

In einem der wenigen Zimmer, die der Oberpriester von seinem weiten Quartier sich für den Aufenthalt der Mitglieder des eigenen Hauses vorbehalten hatte, wurde der Jüngling von Melissa, der Gattin des Timotheus und Frau Berenike empfangen.

Diese zeigte sich erfreut, den Künstler wiederzusehen, dem sie das Bildnis der Tochter verdankte. Es war wieder in ihren Besitz gelangt; denn Philostratus hatte es während der Mahlzeit des Kaisers in ihr Haus zurückbringen lassen.

Ermüdet ruhte sie auf einem Polster. Hinter ihr lagen qualvolle Stunden; denn noch weit schwerer als um das ihr teure Gemälde hatte sie die Sorge um Melissa geängstigt, die ihr lieb geworden war. Dazu verkörperte sich in der Jungfrau für die Matrone ihr ganzes Geschlecht, und die Gefahr, dies reine, anmutige Geschöpf der Willkür eines zügellosen Tyrannen preisgegeben zu sehen, brachte sie außer sich und veranlaßte ihre lebhafte Seele zu lauten Ausbrüchen des Unwillens. Dazu brachte sie allerlei Anschläge in Vorschlag, deren Unmöglichkeit Frau Euryale, die besonnenere und nicht weniger warmherzige Gemahlin des Oberpriesters, ihr darthat.

Wie Berenike hatte auch sie, eine zarte Frau, deren schlichtes braunes Haar schon zu ergrauen begann, das einzige Kind verloren. Aber darüber waren Jahre hingegangen, und sie hatte sich gewöhnt, Trost in der Sorge für Notleidende zu suchen. In der ganzen Stadt schätzte man sie als die Vorsehung der Hilfsbedürftigen, gleichviel welchen Standes und Glaubens. Auch wo es Wohlthätigkeit im großen zu üben, Kranken und Armenhäuser zu errichten und auszustatten galt, wandte man sich zuerst an sie, und wo sie ihre geräuschlose und doch mächtige Beihilfe zusagte, war der Erfolg von vornherein gesichert; denn außer dem eigenen und dem großen Reichtum ihres Gatten standen dieser hochgestellten und allverehrten Frau die Mittel der Heiden und Christen der ganzen Stadt zur Verfügung; denn beide zählten sie zu den Ihren, und die letzteren, obgleich sie sich nur im geheimen zu ihnen hielt, mit dem größeren Rechte.

Daheim gewährte ihr der Verkehr mit hervorragenden Männern den höchsten Genuß. Ihr Gatte ließ ihr volle Freiheit, obwohl er, der oberste griechische Priester der Stadt, es lieber gesehen hätte, wenn sich unter ihren fleißigsten Besuchern nicht auch gelehrte Christen befunden hätten. Aber der Gott, dem er diente, faßte die meisten anderen in sich zusammen, und die Mysterien, denen er vorstand, lehrten, daß auch Serapis nur eine Erscheinungsform des beseelten Alls sei, das in steter, ewigen Gesetzen folgender Selbsterneuerung sein unendliches Dasein vollzog.

Von der Weltseele, die alles Geschaffene durchdrang, lebte ein Teil auch in dem einzelnen Menschen, um nach dem Tode zu seinem göttlichen Urquell zurückzukehren. An dieser pantheistischen Weltanschauung hielt er fest; doch er, der an Stelle des ungelehrten römischem Alexanderpriesters auch das Ehrenamt eines Hauptes des Museums bekleidete, kannte nicht nur die Systeme seiner heidnischen Vorgänger, sondern auch die heiligen Schriften der Juden und Christen.

In der Sittenlehre der letzteren fand er vieles, was seinen eigenen Ansichten entsprach.

Ihm, der sich im Museum zu den Skeptikern zählte, gefielen biblische Worte, wie: »Alles ist eitel« und »Alles Wissen ist Stückwerk.« Die Forderung der Nächstenliebe, der Friedfertigkeit, des Durstes nach Gerechtigkeit, die Aufforderung, den Baum an seiner Frucht zu erkennen und mehr für den Geist als für den Körper zu fürchten, waren ihm ganz nach dem Sinne.

Er war so reich, daß ihm die Gaben der Tempelbesucher, die seine Vorgänger gefordert hatten, wenig galten. So mischte er selbst manches Christliche in den Glauben, dessen oberster Diener und Hüter er war. Nur die Sicherheit, mit der Männer wie Clemens und Origenes, die zu den Freunden seiner Gattin gehörten, die Lehre, der sie anhingen, für die einzig richtige, ja für die Wahrheit selbst erklärten, schien ihm, dem Skeptiker, verwerflich.

Seinen Bruder Zeno hatten die Freunde seiner Gemahlin zum Christen gemacht; – für Frau Euryale selbst brauchte er dergleichen nicht zu befürchten. Sie liebte ihn zu sehr und war zu ruhig und verständig, um ihn, den heidnischen Oberpriester, durch die Taufe bloß zu stellen und ihn in die Gefahr zu stürzen, der Macht entkleidet zu werden, von der sie wußte, daß er ihrer für sein Wohlsein bedürfe.

Einer andern als der heidnischen Götterlehre anzugehören, stand jedem Alexandriner frei, und niemand hatte ihm selbst seine in skeptischem Sinn verfaßten Schriften verdacht. Wenn Euryale handelte wie die besseren unter den christlichen Weibern, konnte ihm das nur recht sein, und es wäre ihm kleinlich erschienen, sie wegen ihres Wohlgefallens an der Lehre des Gekreuzigten zu tadeln.

Ueber die Person des Kaisers war er noch nicht ins reine gelangt.

Er hatte erwartet, einen halb wahnsinnigen Bösewicht in ihm zu finden, und sein Toben, nachdem er von dem gegen ihn gerichteten Epigramm mit dem Stricke vernommen, hatte den Oberpriester nur in dieser Ansicht bestärkt. Später aber war er auch manchem Guten an ihm begegnet, und Timotheus wußte, daß sein Urteil durch die Hochachtung, die der Cäsar ihm erwies, während er die anderen wie Sklaven behandelte, nicht gefälscht worden sei. Seine bessere Meinung war vielmehr aus den Unterhaltungen entsprungen, die er mit dem Cäsar geführt. Da hatte der Vielgeschmähte sich nicht nur als ein wohlunterrichteter, sondern auch als ein denkender Mann gezeigt, und gestern Abend, bevor Caracalla sich erschöpft zur Ruhe begeben, war es dem welterfahrenen Oberpriester ähnlich ergangen wie vorhin dem leichtgläubigen Künstler; denn der Cäsar hatte ihm gegenüber sein schweres Geschick in rührenden Worten beklagt und bekannt, zwar Schweres verschuldet, aber auch das Beste gewollt und Glück, Seelenruhe und Behagen der Wohlfahrt des Staates geopfert zu haben. Hellen Blickes hatte er die Schäden seiner Zeit durchschaut und bekannt, bei dem Versuche, das alte Schadhafte mit Stumpf und Stiel auszurotten, um Besserem Platz zu schaffen, gescheitert zu sein und statt Dank zu ernten, den Haß der Götter und Menschen auf sich gezogen zu haben.

So kam es, daß Timotheus, als er vorhin zu den Seinen getreten war, diesen versichert hatte, er möchte, wenn er jenes Gespräches gedenke, doch noch Gutes, ja vielleicht das Beste von dem verbrecherischen Jüngling im Purpur erwarten.

Aber Frau Berenike hatte dem Schwager mit höhnischer Entschiedenheit versichert, Caracalla habe ihn getäuscht, und als Alexander dem Leidenden gleichfalls das Wort zu reden versuchte, war sie aufgefahren und hatte ihn thörichter Leichtgläubigkeit geziehen.

Melissa, die schon vorhin für den Kaiser eingetreten war, schloß sich trotz der Matrone dem Bruder an. Ja, Caracalla hatte Schweres verbrochen, seine Ueberzeugung, daß die Seele Alexanders in ihm und die der Roxane in ihr lebe, war thöricht genug, – aber die wunderbare Ähnlichkeit des Bildes auf der Gemme mit ihr mußte jeden überraschen. Daß auch gute und edle Regungen seine Seele bewegten, des sei sie gewiß.

Aber Frau Berenike zuckte wiederum nur höhnisch die Achseln, und als der Oberpriester bemerkte, gestern Abend sei Caracalla in der That nicht im stande gewesen, ein Festmahl zu besuchen, und ein Teil auch der anderen Verbrechen des Cäsar sei gewiß seinen schweren Leiden zur Last zu legen, brauste die Matrone auf: »Und ist es auch sein körperlicher Zustand, der ihn veranlaßt, ein Trauerhaus mit festlichem Lärm zu erfüllen? Was ihn zum Verbrecher macht, kann mir gleich sein. Ich für mein Teil gebe dies teure Kind lieber der Willkür eines Missethäters als der eines Geisteskranken preis.«

Aber der Oberpriester und die Geschwister versicherten, der Geist des Cäsar sei so gesund und scharf wie einer, und Timotheus frug, wer in ihrer Zeit denn frei sei von Aberglauben und dem Wunsche, mit den Seelen der Abgeschiedenen zu verkehren?

Doch die Matrone ließ sich nicht umstimmen, und nachdem der Oberpriester zum Dienste des Gottes abgerufen worden war, tadelte Frau Euryale, seine Gattin, den übergroßen Eifer der Schwägerin. Wo die Weisheit des reifen Alters und die schnelle Jugend in einem Urteil zusammenträfen, da sei es gemeinhin das rechte.

»Und ich bleibe dabei,« rief Berenike, und die großen Augen flammten ihr leidenschaftlich auf, »daß es freveln heißt, meinen Rat zu mißachten. Das Schicksal raubte Dir und mir das geliebte Kind. Ich will nicht auch diese da verlieren, die mir wert ward wie eine Tochter.«

Da neigte sich Melissa über die Hände der Matrone, küßte sie dankbar und rief mit feuchten Augen: »Aber er ist gut zu mir gewesen und hat mir versichert . . .«

»Versichert,« wiederholte Frau Berenike verächtlich. Dann zog sie die Jungfrau ungestüm an sich, küßte ihr die Stirn, legte ihr die Hand wie zum Schutz auf den Scheitel und wandte sich an den Künstler, während sie fortfuhr: »Was ich vorhin forderte, darauf bestehe ich. Noch in dieser Nacht muß Melissa fort von hier in die Ferne. Du, Alexander, sollst sie begleiten. Mein eigenes Meerschiff, die ›Berenike und Korinna‹ – Seleukus schenkte es mir und der Tochter – steht zur Abfahrt bereit. In Carthago lebt meine Schwester. Auch ihr Gemahl, der erste Mann der Stadt, ist mein Freund. In seinem Hause werdet ihr Schutz und Unterkunft finden.«

»Und der Vater und Philipp?« fiel ihr Alexander ins Wort. »Befolgen wir Deinen Rat, so sind sie des Todes.«

Da lachte die Matrone höhnisch auf: »Das ist es also, was ihr von dem guten, dem großen, dem edlen Herrscher erwartet!«

»Den Freunden,« versetzte Alexander, »erweist er sich huldreich, aber wehe dem, der ihn beleidigt.«

Da blickte Berenike sinnend zu Boden und fuhr ruhiger fort: »So sucht die Euren erst zu befreien und besteigt dann mein Schiff. Es soll für euch bereitstehen. Melissa wird es gebrauchen, ich weiß es. Meinen Schleier, Kind! Der Wagen erwartet mich beim Tempel der Isis. Du führst mich dahin, Alexander, und wir fahren zusammen zum Hafen. Ich mache Dich dort mit dem Schiffsführer bekannt. Es wird gut sein. Dir sind Vater und Bruder lieber als die Schwester, mir gilt diese hier mehr. Könnt' ich selbst nur fort, fort von hier aus dem verödeten Haus und sie begleiten!«

Damit hob sie den Arm, als wolle sie einen Stein ins Weite schleudern.

Stürmisch schloß sie endlich die Jungfrau in die Arme, nahm von der Schwägerin Abschied und verließ mit Alexander das Zimmer.

Sobald Frau Euryale mit Melissa allein war, beruhigte sie das Mädchen in ihrer gütigen, gelassenen Weise; denn die finsteren Ahnungen der unglücklichen Matrone hatten die Jungfrau mit neuer Besorgnis erfüllt.

Und was war ihr heute alles begegnet!

Bald nach der gefahrvollen Unterredung mit dem Kaiser war Theophilus mit dem Obersten der Sternseher des Serapeums und der Astronomen des Cäsar zu ihr gekommen, um sie zu fragen, an welchem Tage und in welcher Stunde sie zur Welt gekommen sei. Auch über die Geburtstage ihrer Eltern und andere Lebensumstände war sie ausgeforscht worden.

Theophilus hatte ihr bekannt, daß der Kaiser ihr das Horoskop zu stellen befehle.

Bald nach der Mahlzeit war sie dann in Begleitung der Frau Berenike, die sie in der Wohnung des Oberpriesters fand, in die Krankensäle des Serapeums gegangen, um den Geliebten zu begrüßen.

Dankbar und glücklich hatte sie ihn bei voller Besinnung wiedergefunden, aber die Aerzte und der Freigelassene Andreas, dem sie auf der Schwelle des Krankenzimmers begegnet war, legten ihr ans Herz, alles Aufregende fern von ihm zu halten. So war es ihr nicht möglich gewesen, ihm zu vertrauen, was den Ihren begegnet sei, und welchen gefahrvollen Schritt sie gethan, um sie zu retten. Aber Diodor hatte von der Hochzeit geredet, und Andreas konnte bestätigen, daß Polybius wünsche, sie so bald als möglich feiern zu sehen.

Manches Erfreuliche war zur Sprache gekommen; dazwischen aber hatte Melissa sich verstellen und ausweichende Antworten erteilen müssen, zunächst auf die Frage des Diodor, ob sie schon mit den Brüdern und den Freundinnen verabredet, welche Jünglinge und Jungfrauen das Hochzeitsgefolge bilden und den Hymenäus singen sollten.

Wenn beide miteinander geflüstert und sich zärtlich angeschaut hatten, wenn Diodor in sie gedrungen war, sich nicht nur die Hände küssen zu lassen, sondern auch die lieben roten Lippen, stellte Frau Berenike im Geiste die verstorbene Tochter an die Stelle Melissas. Welch ein Paar wäre das gewesen, wie stolz und glücklich hätte sie es in die schöne Villa zu Kanopus einführen wollen, die ihr Gatte und sie mit dem Wunsche neu ausgeschmückt hatten, daß sie einmal Korinna, ihren Gemahl, und, fügten es die Götter, ihre Kinder beherbergen möge.

Aber auch Melissa und Diodor paßten gut zu einander, und sie gab sich Mühe, jener alles Glück zu gönnen, das sie für die eigene Tochter begehrt.

Als es zur Trennung kam, legte sie die Hände der Verlobten ineinander und rief den Segen der Götter auf sie herab.

Diodor ließ es dankbar geschehen.

Er wußte nur, daß diese majestätische Matrone durch Alexander mit Melissa bekannt geworden sei und sie lieb gewonnen habe, und willig gab er der Empfindung Raum, diese Frau, an deren junonischer Schönheit sein Auge andächtig hing, sei statt der eigenen, längst verstorbenen Mutter an sein Lager getreten.

Außerhalb des Krankensaales war Andreas Melissa wieder begegnet, und nachdem sie ihm von dem Besuche bei dem Kaiser berichtet, war er angstvoll in sie gedrungen, dem Rufe des Tyrannen um keinen Preis wieder zu folgen. Dann hatte er ihr verheißen, sie sicher zu verbergen, sei es auf dem Gute des Zeno, sei es in dem schwer zugänglichen Hause eines andern Freundes.

Als Frau Berenike dann wieder mit besonderem Eifer auf ihr Schiff hinwies, hatte Andreas gerufen. »In die Gärten, auf das Schiff, unter die Erde, nur nicht zurück zu dem Cäsar.«

Die letzte Frage des Freigelassenen, ob sie auch weiter ihres Gesprächs gedacht, hatte ihr das Wort: »Da aber die Zeit sich erfüllet,« ins Gedächtnis zurückgerufen, und fortan war der Gedanke, daß die nächsten Stunden etwas Entscheidendes, »die Erfüllung der Zeit«, wie Andreas sich ausdrückte, für sie im Schoße tragen würden, wieder und wieder in ihr aufgetaucht.

Als sie dann um vieles später mit der Gattin des Oberpriesters allein war und diese ihren beruhigenden Zuspruch schloß, drängte sich Melissa die Frage auf die Lippen, ob Frau Euryale einmal das Wort: »Als aber die Zeit sich erfüllet,« vernommen habe.

Da rief die Matrone, indem sie ihr überrascht und prüfend ins Antlitz schaute: »So stehst Du dennoch im Verkehr mit den Christen?«

»Gewiß nicht,« versetzte die Jungfrau bestimmt. »Es kam mir nur zufällig zu Ohren, und Andreas, der Freigelassene des Polybius, erklärte es mir.«

»Ein guter Deuter,« entgegnete die ältere Frau. »Ich bin nur ein ungelehrtes Weib, doch, Kind, auch ich habe erfahren, daß im Leben jedes Menschen ein Tag kommt, eine Stunde, von der er später denkt, in ihr habe seine Zeit sich erfüllt. Wie die Tropfen sich zum Flusse verbinden, so vereint sich in ihr, was wir vorher gethan und gedacht, um uns auf neuer Bahn in das Heil oder Verderben zu tragen. Jeder Augenblick kann die Entscheidung bringen; darum haben die Christen recht, wenn sie von einander fordern, zu wachen. Halte auch Du die Augen auf. Wenn sich für Dich, wer weiß wie bald, die Zeit erfüllt, dann handelt es sich um das Wohl oder Weh Deines Lebens.«

»Das sagt mir auch eine innere Stimme,« erwiderte Melissa und preßte die Hand auf die hoch wogende Brust. »Fühle nur, wie mir das Herz schlägt!«

Lächelnd erfüllte Frau Euryale diesen Wunsch, und dabei durchrieselte es sie kalt. Wie anmutig und begehrenswert war dies junge Geschöpf, und Melissa kam ihr vor wie ein Lamm, das bereit steht, dem Wolfe vertrauensvoll entgegenzueilen.

Endlich führte sie den Gast in das Zimmer, wo das Abendmahl bereit stand.

Der Hausherr konnte es heute nicht teilen, und während beide Frauen einander noch wortkarg gegenüber saßen und Speise und Trank kaum berührten, ward Philostratus gemeldet.

Er kam als Abgesandter des Kaisers, der Melissa zu sprechen begehrte.

»In dieser Stunde? Nie, nie. Es geht sicher nicht an,« fuhr die sonst so gelassene Matrone auf; der Philosoph versicherte indes, daß jeder Widerspruch ausgeschlossen sei. Der Kaiser leide besonders schwer und lasse Melissa an ihr Versprechen erinnern, ihm gern zu dienen, wenn er ihrer bedürfe.

Ihre Gegenwart, versicherte er Frau Euryale, werde dem Kranken jetzt wohlthun, und er bürge dafür, daß die Jungfrau, so lange den Cäsar dieser unerträgliche Schmerz quäle, nichts zu befürchten habe.

Da rief Melissa, die sich schon beim Eintritt des Philosophen vom Lager erhoben hatte: »Ich fürchte mich nicht und folge Dir gern . . .«

»Recht so, Kind,« versetzte Philostratus warm; Frau Euryale aber hatte Mühe, den Thränen zu wehren, während sie dem Mädchen über die Locken strich und ihm die Falten des Gewandes zurecht zog.

Als sie Melissa endlich Lebewohl sagte und sie dabei ans Herz zog, mußte sie des Abschieds gedenken, den sie vor Jahren von einer christlichen Freundin genommen, bevor die Lictoren sie zum Märtyrertode im Zirkus führten. Zuletzt flüsterte sie dem Philosophen noch einiges ins Ohr und erhielt von ihm das Versprechen, Melissa, sobald es angehe, zu ihr zurückzubegleiten.

Philostratus war in der That unbesorgt.

Als das hilfesuchende Auge des Caracalla vor kurzem seinem teilnahmsvollen Blicke begegnete, hatte ihm der leidende Cäsar nichts zugerufen als: »O Philostratus, es thut so weh,« und diese Worte klangen noch immer in der Seele des warmherzigen Mannes nach.

Während er den Kaiser dann zu ermutigen versuchte, war der Blick desselben auf die Gemme gefallen, und er hatte sie zu sehen gewünscht. Aufmerksam und lange war sein Auge auf ihr haften geblieben, und als er sie dem Philosophen zurückgab, hatte er ihm befohlen, das Vorbild der Roxane zu ihm zu führen.

Tief verhüllt in den Schleier, den Frau Euryale ihr um das Haupt gelegt hatte, schritt die Jungfrau jetzt an der Hand des Philosophen von Gemach zu Gemach.

Wo sie sich zeigte, hörte sie ein Flüstern und Raunen, das sie beunruhigte, und aus manchem Zimmer tönte ihr, sobald es hinter ihr lag, ein Kichern, ja aus dem großen Raume, wo die Freunde des Kaisers in großer Zahl seines Rufes harrten, ein lautes Gelächter nach, das sie beängstigte und empörte.

So unbefangen, wie sie heute morgen vor den Cäsar getreten war, fühlte sie sich nicht mehr. Sie wußte, daß sie sich vor ihm zu hüten habe, daß alles, auch das Schlimmste von ihm zu erwarten sei; als Philostratus ihr aber unterwegs mit warmen Worten schilderte, wie schwer der Unglückliche leide, zog es ihre barmherzige Seele doch wieder zu dem Manne hin, mit dem sie – das fühlte sie auch jetzt wieder – ein unerklärliches Etwas verband.

Wenn eines, das wiederholte sie sich jetzt, war sie im Stande, ihm zu helfen, und zu dem Verlangen, die Richtigkeit dieser Ueberzeugung, von der sie sich selbst sagte, daß sie wunderlich und durch nichts begründet sei, zu erproben, gesellte sich die weniger uneigennützige Hoffnung, es werde sich, während sie des Leidenden warte, Gelegenheit finden, die Befreiung des Vaters und Bruders zu erwirken.

Während Philostratus ihr voranging, um ihr Kommen zu melden, und sie schnellklopfenden Herzens wartete, versuchte sie, zu den Manen der Mutter zu beten, doch bevor sie noch die nötige Sammlung fand, öffnete sich die Thür, Philostratus winkte ihr schweigend, und sie trat in das von einigen Lampen dürftig beleuchtete, weite Tablinum.

Caracalla ruhte hier noch immer; denn jede Bewegung steigerte den Schmerz, der ihn quälte.

Wie still es hier war! Sie meinte den Schlag des eigenen Herzens zu hören.

Philostratus blieb an der Thür stehen, sie aber ging auf den Zehen dem Lager entgegen, weil sie fürchtete, der Tritt ihrer leichten Sohlen könne den Ruhenden stören. Doch bevor sie den Diwan erreichte, blieb sie wieder stehen, und nun hörte sie von ihm her das klagende Röcheln des Leidenden, und aus dem Hintergrunde des Gemachs die gleichmäßigen Atemzüge des behäbigen Leibarztes und des alten Kammerdieners Adventus, die beide eingeschlafen waren, und dann ein seltsames Klopfen. Der Löwe schlug in der Freude des Wiedererkennens den Estrich mit dem Schweife.

Dies Geräusch erweckte die Aufmerksamkeit des Kranken, und als er die geschlossenen Lider aufschlug und Melissa gewahrte, die in ängstlicher Spannung jeder seiner Bewegungen gefolgt war, rief er ihr leise und mit der Hand auf der Stirn entgegen: »Das Tier hat ein treues Gedächtnis und begrüßt Dich in meinem Namen. Du mußtest kommen; ich wußt' es!«

Da trat die Jungfrau ihm näher und entgegnete freundlich: »Da Du mich brauchst, bin ich dem Philostratus gerne gefolgt.«

»Weil ich Dich brauche?« fragte der Kaiser.

»Ja,« entgegnete sie, »weil Du der Pflege bedarfst.«

»Dann müßte ich ja um Deinetwillen wünschen, recht oft zu leiden,« erwiderte er schnell; doch fügte er klagend hinzu: »wenn auch nicht so gräßlich wie heute.«

Man hörte ihm an, wie sauer das Reden ihm fiel, und das kurze Wort, das er gesucht und gefunden, um Melissa etwas Artiges zu sagen, hatte den erschütterten Nerven seines Kopfes so weh gethan, daß er röchelnd in die Kissen zurücksank.

Eine Zeit lang blieb nun wieder alles still, bis Caracalla die Hand von der Stirn entfernte und wie zur Entschuldigung fortfuhr: »Es stellt sich ja keiner vor, wie das ist. Und red' ich auch noch so leise, – bei jedem Worte erdröhnt mir das Haupt.«

»Du sollst auch schweigen,« unterbrach Melissa ihn eifrig. »Wenn Du etwas bedarfst, so winke nur. Ich versteh' Dich auch ohne Worte, und je stiller es hier ist, desto besser.«

»Nein, nein, Du sollst sprechen,« bat der Kranke. »Wenn die anderen reden, verzehnfacht sich das Pochen hier oben und regt mich auf; Deine Stimme aber höre ich gern.«

»Das Pochen?« unterbrach ihn Melissa, in der dieses Wort alte Erinnerungen wach rief. »Ist es Dir vielleicht auch, als rege sich ein Hammer über Deinem linken Auge? Sticht es Dir nicht durch das Hirn, wenn Du Dich lebhaft bewegst, und fühlst Du Dich dabei nicht so übel wie auf der schwankenden See?«

»So kennst auch Du diese Marter?« frug Caracalla erstaunt; sie aber erwiderte leise, nur die Mutter habe manchmal an ähnlichen Kopfschmerzen gelitten und sie ihr beschrieben.

Da sank der Kaiser wieder in die Kissen zurück, bewegte die trockenen Lippen und warf einen Blick auf den Trank, den Galen ihm verordnet, und Melissa, die schon als halbes Kind eine geliebte Kranke lange gepflegt, erriet, was er wünsche, brachte ihm den Becher und gab ihm zu trinken.

Mit einem dankbaren Blick lohnte ihr der Kaiser. Doch die Arznei schien den Schmerz nur zu steigern. Röchelnd lag er regungslos da, bis er, eine neue Stellung suchend, leise aufstöhnte: »Es ist, als würde hier oben Eisen gehämmert. Man sollte denken, auch ein anderer könnte es hören.«

Dabei faßte er die Hand der Jungfrau und zog sie sich auf die heiße Stirn.

Da fühlte Melissa den Puls in den Schläfen des Leidenden so hart und kurz unter ihren Fingern schlagen wie bei der Mutter, wenn sie ihr die kühle Hand auf die schmerzende Stirn gelegt hatte; und so ließ sie denn, nur beseelt von dem Wunsche, zu lindern und zu heilen, die Rechte über den Augen des Leidenden liegen. Sobald sie fühlte, daß die eine Hand ihr heiß ward, setzte sie die andere an ihre Stelle, und dem Kranken mußte das Erleichterung schaffen, denn das Röcheln hörte nach und nach auf, und endlich sagte er dankbar: »Wie mir das gut thut! – Du bist . . . Ich wußte, Du würdest mir helfen. Es wird schon ganz stille hier oben. Noch einmal die Hand, liebes Mädchen!«

Melissa folgte ihm willig, und wie er immer freier atmete, bekannte sie, daß der Kopfschmerz der Mutter oft besser geworden sei, wenn sie ihr die Hand auf die Stirn gelegt habe.

Nun schlug der Kaiser den entschleierten Blickt frei zu ihr auf und fragte, warum sie ihm dann nicht schon früher die Wohlthat dieses Mittels habe zu teil werden lassen.

Da zog Melissa die Hand langsam zurück, senkte den Blick und versetzte leise: »Du bist ja der Kaiser, bist ein Mann . . . und ich . . .«

Doch Caracalla fiel ihr eifrig und mit klarer Stimme ins Wort: »Nicht so, Melissa! Fühlst Du denn nicht auch, daß etwas anderes uns zu einander hinzieht, als was sonst den Mann mit dem Weibe verbindet? Da liegt die Gemme. Schau sie noch einmal an. Nein, Kind, nein! Diese Aehnlichkeit, sie ist kein Zufall. Mögen die Kurzsichtigen es Aberglauben nennen oder einen eitlen Wahn, ich weiß es besser: In dieser Brust lebt wenigstens ein Teil der Seele des Alexander. Hundert Zeichen – ich erzähle Dir später davon – machen es mir zur Gewißheit. Und gestern morgen . . . Ich sehe jetzt alles wieder vor mir . . . Du standest oben, links von mir, an einem Fenster . . . Ich schaute hinauf . . . Unsere Blicke begegneten einander, und dabei fühlte ich im innersten Herzen eine wunderbare Bewegung . . . Wo ich dies schöne Antlitz schon einmal gesehen, fragte ich mich im stillen. Und die Antwort lautete: ›Du bist ihr schon öfter begegnet, Du kennst sie!‹«

»Mein Angesicht erinnerte Dich an die Gemme,« fiel Melissa ihm hier beunruhigt ins Wort.

»Nein, nein,« fuhr der Kaiser ablehnend fort. »Es war etwas anderes. Warum hat mich keine meiner vielen Gemmen je an ein lebendes Wesen erinnert? Warum kehrte mir Dein Bild, ich weiß nicht wie oft, ins Gedächtnis zurück? Und Du? Erinnere Dich nur, was Du für mich thatest. Wie wunderbar sind wir zusammengeführt worden! Und das alles im Laufe eines einzigen, kurzen Tages. Auch Du bist . . . Bei allem, was Dir heilig ist, frage ich Dich . . . Hast Du meiner, nachdem Du mich im Opferhofe gesehen, so oft und lebhaft gedacht, daß es Dich selbst überraschte?«

»Du bist der Kaiser,« versetzte Melissa mit wachsender Besorgnis.

»So dachtest Du meines Purpurs?« fragte der Kaiser und sein Antlitz verdüsterte sich, »oder vielleicht nur meiner Macht, die den Deinen verhängnisvoll werden konnte? Ich will es wissen. Die Wahrheit, Mädchen, bei dem Haupte Deines Vaters!«

Da drängte sich Melissa aus der beklommenen Brust das Bekenntnis: »Ja, ich mußte mich Deiner recht oft erinnern . . . Und ich sah Dich nie im Purpur, sondern wie Du dort auf der Treppe . . . Und dort, – ach ich sagte Dir ja schon, wie weh mir Dein Schmerz that. Es war mir, als ob . . . Ja, wie soll ich es nur richtig beschreiben? Als stündest Du mir weit näher als sonst der Beherrscher der Welt einem armen, bescheidenen Mädchen. Es war . . . Ewige Götter . . .«

Hier stockte sie; denn plötzlich erwachte in ihr die Besorgnis, dies Bekenntnis könne ihr verhängnisvoll werden. Das Wort von der Zeit, die sich jedem erfülle, klang ihr dabei vor dem innern Ohre, und es war ihr, als vernehme sie zum andernmale die Warnung der Frau Berenike.

Aber Caracalla ließ ihr nicht Ruhe, sich zu besinnen; denn er unterbrach sie froh bewegt mit dem Ausruf: »So ist es denn wahr! Ein großes Wunder thaten die Himmlischen an Dir wie an mir. Wir schulden ihnen beide Dank, und mit reichen Opfern will ich ihnen zeigen, wie erkenntlich ich sein kann. Unsere Seelen, die das Schicksal schon einmal vereinte, haben sich wiedergefunden. Der Teil des Weltgeistes, der erst die Roxane beseelte und nun Dich, Melissa, er gebietet auch über den Schmerz, der mir das Leben vergällt . . . Du hast es bewiesen! – Und nun . . . Es fängt wieder an, stärker zu hämmern – nun, Du liebe Wiedergefundene, hilf mir noch einmal!«

Angstvoll hatte Melissa wahrgenommen, wie sich das Antlitz des Kaisers bei den letzten lebhaften Sätzen wieder gerötet, und dabei zog der Schmerz ihm von neuem die Stirn über den Augen zusammen. So folgte sie denn seinem Geheiß, doch diesmal nur in scheuem Gehorsam.

Als sie wahrnahm, daß er ruhiger wurde und die Berührung ihrer Hand ihm abermals wohlthat, gewann sie die verlorene Besonnenheit zurück. Dabei erinnerte sie sich, wie oft das stille Auflegen der Hand der Mutter zum Schlafe verholfen.

In leisem Flüsterton erklärte sie darum dem Kaiser, sobald er wieder zu reden begann, ihr Wunsch, ihm Linderung zu verschaffen, werde unerfüllt bleiben, wenn er nicht Augen und Lippen geschlossen halte.

Und Caracalla gehorchte, während ihre Hand die Stirn des gefürchteten Mannes so leicht berührte wie früher, wenn sie der Mutter zum Schlafe verhalf.

Als der Leidende nach einiger Zeit mit geschlossenen Augen vor sich hinmurmelte: »Vielleicht könnte ich schlafen,« war es ihr, als sei ihr ein Glück widerfahren.

Wie aufmerksam lauschte sie von nun an auf jeden seiner Atemzüge, wie gespannt schaute sie ihm ins Antlitz, bis sie sich nicht mehr täuschen konnte, und der Schlaf den Cäsar völlig bewältigte.

Da schlich sie auf den Zehen dem Philostratus zu, der schweigend und überrascht beobachtet hatte, was zwischen dem Herrscher und dem Mädchen vorgegangen war. Er, der stets geneigt war, an jene Heilungswunder zu glauben, deren sein Held Apollonius so viele verrichtet, meinte einem solchen beigewohnt zu haben und blickte mit an Scheu grenzender Bewunderung auf die Jungfrau, die ihm ein begnadigtes Werkzeug der Gottheit zu sein schien.

»Laß mich jetzt gehen,« flüsterte Melissa dem Freunde zu. »Er schläft und wird so bald nicht erwachen.«

»Du hast zu befehlen,« entgegnete der Philosoph achtungsvoll; doch im nämlichen Augenblick wurde es im Nebenzimmer laut, und Melissa erkannte die helle Stimme ihres Bruders Alexander, der ungestüm auf seinem Rechte bestand, jederzeit zu dem Kaiser gelassen zu werden.

»Er weckt ihn,« murmelte der Philosoph besorgt; Melissa aber warf kurz entschlossen den Schleier um das Haupt und trat in das Nebengemach.

Philostratus hörte von dort aus zuerst heftige Worte aus dem Munde des Theokrit und anderer Höflinge und die nicht minder leidenschaftliche Entgegnung des Künstlers. Dann vernahm er Melissas Stimme, und nachdem es jenseits der Thür plötzlich still geworden war, überschritt die Jungfrau wiederum die Schwelle.

Ein Blick auf den Kaiser lehrte sie, daß er immer noch schlafe, und nun winkte sie tiefatmend dem Freunde und bat ihn flüsternd, sie an den gaffenden Männern vorbeizuführen.

Alexander folgte den beiden.

In seinem sonst so frohen Antlitz kämpften Zorn und Erstaunen. Er war mit einer Nachricht gekommen, die den Kaiser leicht bestimmen konnte, die Freilassung des Vaters und Bruders zu verordnen, und im Vorzimmer war ihm das Herz stille gestanden vor Schreck und Empörung, als der Günstling Theokrit ihm in einer Weise, die ihm das Blut in die Wangen trieb, mitteilte, seine Schwester bemühe sich schon geraume Zeit – und Mitternacht war nahe – den leidenden Kaiser zu trösten.

Außer sich hatte er zu dem Cäsar vordringen wollen; doch Melissa war ihm in den Weg getreten und hatte den vornehmen Römern in so bestimmter und überlegener Weise geboten, die Stimmen zu dämpfen, daß sie verstummt waren und mit ihnen der Bruder.

Was hatten die letzten Tage aus seiner bescheidenen Schwester gemacht? Melissa, die ihm Befehle erteilte, denen er willenlos gehorchte! Es war nicht zu fassen! Aber etwas Beruhigendes hatte doch in ihrer Weise gelegen. Was sie gethan, mußte sie selbst für recht halten und ihrer würdig, sonst hätte sie das anmutige Haupt nicht so hoch getragen, ihm nicht so frei und selbstbewußt ins Antlitz geschaut.

Aber wie hatte sie sich herausnehmen dürfen, ihn zu verhindern, für den Vater und Philipp das Seine zu thun?

Während er schweigend durch die kaiserlichen Gemächer neben ihr herging, ward ihm der widerstandslose Gehorsam, den er geleistet, immer schwerer begreiflich, und als sie endlich in den leeren Vorraum traten, der das Quartier des Cäsar von dem des Oberpriesters schied, und Philostratus sich auf seinen Posten zur Seite des Herrschers zurückbegab, hielt er nicht länger an sich und rief ihr aufbrausend zu: »Bis hierher folgte ich Dir wie ein Knabe, ich weiß selbst nicht, warum. Aber es ist noch immer nicht zu spät zum Umkehren, und ich frage Dich nun, was Dir das Recht gab, mich zu hindern, das meine für die Unseren zu thun?«

»Dein lautes Reden, das den Cäsar zu wecken drohte«, versetzte sie ernst. »Sein Schlaf allein rettete mich vor dem Zwange, diese Nacht bei ihm zu durchwachen.«

Da bedauerte Alexander sein thörichtes Ungestüm, und nachdem Melissa kurz mitgeteilt, was sie in den letzten Stunden erlebt, berichtete er schnell, welche Gründe ihn so spät zu dem Kaiser führten.

Der Sachwalter Johannes, der christliche Freigelassene der Frau Berenike, begann er, habe den Vater im Gefängnis besucht und mit angehört, wie der Befehl erteilt worden sei, den Heron und Philipp als Staatsgefangene auf ein Schiff zu bringen, um die Ruder zu ziehen. Das sei nach Mittag geschehen, und der Christ habe dann weiter erfahren, daß die Gefangenen erst zwei Stunden vor Sonnenuntergang in den Hafen geführt worden seien. Das sei die Wahrheit, und doch habe der schändliche Zminis den Kaiser um Mittag versichert, der Vater und Philipp seien längst auf dem Wege nach Sardinien. Der nichtswürdige Aegypter habe also den Kaiser belogen, und das werde dem Schurken ja wohl endlich den Hals brechen müssen. Aber damit hätte es Zeit gehabt bis morgen. Was ihn zu so später Stunde hieher führe, sei nur der Wunsch, die Galeere am Aufbruch zu hindern; denn Johannes habe von christlichen Hafenwächtern gehört, daß sie die Anker noch immer nicht gelichtet. Das Schiff könne also erst morgen bei Sonnenaufgang in See gehen. Erst dann werde die Kette, die den Hafen versperre, geöffnet. Komme der Befehl, die Galeere aufzuhalten, lange nach Tagesanbruch, so sei sie gewiß schon unterwegs, und der Vater und Philipp konnten beim Ziehen der schweren Ruder zu Grunde gegangen sein, bevor eine ihnen nachsetzende schnellere Trireme des Staates sie befreie.

Mit wechselnden Empfindungen war Melissa diesem Berichte gefolgt. Um der eigenen Sicherheit willen hatte sie vielleicht den Vater und Bruder ins Unglück gestürzt; denn der Staatsgefangenen auf der Ruderbank wartete ein entsetzliches Schicksal. Und was lag an ihr, dem unwissenden Kinde, das so wenig leisten und nützen konnte?

Andreas hatte ihr gesagt, es sei die Pflicht des Christen und jedes guten Menschen, wo es das Heil des Nächsten gelte, das eigene in die Schanze zu schlagen, und um des Glückes und Lebens der Allergeliebtesten willen – denn sie allein waren für sie »die Nächsten« – sich selbst zu vergessen, des fühlte sie sich fähig.

Vielleicht war noch gut zu machen, was sie verschuldet, als sie den Kaiser eingeschläfert hatte, bevor sie auch nur mit einem Worte der Ihren gedacht. Statt ihn zu wecken, hatte sie die neue Macht über den Bruder mißbraucht und, indem sie ihn zu reden gehindert, vielleicht die Rettung der Ihren vereitelt.

Aber müßiges Klagen war hier noch weniger als sonst am Platze, und so zog sie entschlossen den Schleier fester ums Haupt und rief dem Bruder zu: »Warte hier, bis ich zurück bin!«

»Was hast Du vor?« fragte Alexander erschreckt.

»Ich kehre zu dem Kranken zurück,« versetzte sie bestimmt.

Da faßte der Bruder entsetzt ihren Arm und verbot ihr diesen Gang im Namen des Vaters.

Doch bei seinem heftigen Rufe: »Ich dulde es nicht,« versuchte sie sich von ihm loszuwinden und rief ihm ins Antlitz: »Und Du? Bist Du, an dessen Leben tausendmal mehr liegt als an meinem, nicht freiwillig in Gefangenschaft und Tod gegangen, um den Vater zu retten?«

»Ich war es, um derentwillen er der Freiheit beraubt ward,« unterbrach sie Alexander; sie aber versetzte schnell: »Und hätte ich vorhin nicht nur an mich gedacht, so wäre der Befehl, der die Unsern befreit, jetzt schon im Hafen. Ich gehe.«

Da ließ Alexander die Hand von ihrem Arme und rief, wie von einem inneren Drange genötigt: »So geh denn!«

»Und Du,« fuhr Melissa hastig fort. »Du suchst Frau Euryale auf. Sie erwartet mich noch. Erzähle ihr alles und bitte sie in meinem Namen, zur Ruhe zu gehen. Sage ihr auch, ich dächte des Wortes von der Zeit, die sich erfülle . . . Merke den Satz. Wenn ich mich in die Gefahr zurückbegebe, sage ihr, so geschehe es, weil eine Stimme hier drinnen mir sage, daß es so recht sei. Und es ist auch recht so, glaub es mir, Alexander!«

Da zog der Künstler die Schwester in die Arme und küßte sie; doch die Wünsche, die er ihr mit auf den Weg gab, verstand sie nur halb; denn die Stimme stockte ihm fortwährend vor innerer Bewegung.

Sie bis vor das Gemach des Kaisers zu begleiten, hatte er für selbstverständlich gehalten; sie aber duldete es nicht. Sein Erscheinen würde nur zu neuen Zwistigkeiten führen.

Er fügte sich auch diesmal, doch ihre Rückkehr hier abzuwarten, ließ er sich nicht nehmen.

Nachdem Melissa im Quartier des Kaisers verschwunden war, erfüllte er ungesäumt den Wunsch der Schwester und teilte Frau Euryale das Geschehene mit.

Neu ermutigt von der Matrone, die das Wagnis Melissas anfänglich nicht weniger tief erschreckt hatte als ihn, kehrte er endlich in den Vorsaal zurück, wo er, bald in tiefer Erregung auf und nieder schreitend, bald auf einer Marmorbank rastend, der Schwester harrte. Dabei übermannte ihn öfter der Schlaf. Was sein sonniges Gemüt beschattete, wich dann von ihm, und einmal zeigte ihm ein freundlicher Traum statt der beängstigenden Bilder, die ihn vor dem Entschlummern gequält, die schöne Christin Agathe.


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