Georg Ebers
Per aspera
Georg Ebers

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Elftes Kapitel.

Vielleicht wäre es auch um Melissas Freiheit geschehen gewesen, wenn der um einen schönen Erfolg betrogene Zminis nicht, außer sich vor Wut, dem Entflohenen in eigener Person nachgeeilt wäre.

Melissa brauchte das Haus, in dem ihr Verlobter ruhte, nicht mehr zu suchen; denn Agathe, der sie es beschrieb, kannte es wohl. Sein Besitzer Proterius war ein vornehmes Mitglied der Christengemeinde, und sie hatte den Vater mehrmals zu ihm begleitet.

Unterwegs teilten die Mädchen einander mit, wie sie zu so ungewöhnlicher Zeit auf die Straße gekommen, und als Melissa von Agathes wunderbarer Aehnlichkeit mit der verstorbenen Tochter des Seleukus sprach, die dem Alexander gewiß Anlaß gegeben, ihr zu folgen und sie zu beschützen, berichtete die Christin, wie oft man sie schon mit Korinna, der so jung dahingegangenen Tochter ihres Oheims, verwechselt habe. Sie selbst sei der Verstorbenen vor Jahren zum letztenmal begegnet; denn Korinnas Vater habe sich mit dem ihren entzweit, seit er sich offen zum christlichen Glauben bekenne. Der dritte Bruder, Theophilus, der Oberpriester des Serapis, habe sich versöhnlicher gezeigt, und seine Gattin Euryale sei ihr von allen Frauen die liebste.

Bald ergab es sich, daß auch Agathe die Mutter verloren, und das führte die Mädchen so schnell einander näher, daß sie wie Schwestern oder eng verbundene Freundinnen Hand in Hand neben einander hinschritten.

Vor dem Hause des Proterius hatten sie nicht lange zu warten; denn Andreas war im Vorsaale mit der Zurüstung der Sänfte für den Diodor beschäftigt, und der Arzt Ptolemäus leistete ihm dabei hilfreiche Hand.

Wohl zeigte der Freigelassene sich überrascht, als Melissa ihn anrief, wohl tadelte er ihr neues Wagnis, doch freute ihn ihr Erscheinen; denn, obgleich dies kaum im Bereich des Möglichen gelegen hatte, war es ihm doch mehrmals, wenn nahende Schritte sich hören ließen, gewesen, als müsse sie kommen, um ihm zu helfen.

So hörte man es seinen Verweisen auch deutlich genug an, daß ihr Wagestück ihm vielleicht ebenso löblich wie tadelnswert erscheine. Er zeigte sich so heiter, wie sie den ernsten Mann sonst nur unter seinen Blumen gesehen. Ein Schmeichelwort hatte sie noch nie von seinen Lippen vernommen; als aber Agathe vor seinen Augen den Arm um ihre Schulter legte, wies er auf sie hin und rief dem Arzte mit einem liebenswürdigen Lächeln zu: »Wie zwei Rosen an einem Stengel!«

Er hatte auch Grund, sich zu freuen; denn der Zustand des Diodor hatte sich nicht verschlimmert, und Galenus einen Besuch bei den Kranken im Serapeum in Aussicht gestellt. Daß Melissa und Agathe einander gefunden, hielt er für eine gnädige Fügung des Himmels, und das glückliche Entkommen des leichtfertigen Alexander nahm ihm eine Last von der Seele.

Willig gab er Melissas Bitte nach, sie und Agathe zu dem Kranken zu führen, doch gestattete er ihnen nur kurze Zeit bei dem Schlummernden zu bleiben und ersuchte dann die Diakonissin, den Mädchen, die der Ruhe bedürften, ein Zimmer anzuweisen.

Die Matrone erhob sich sogleich; Melissa aber bat jetzt mit banger Dringlichkeit, bei dem Kranken bleiben zu dürfen und blickte besorgt auf die Schlüssel in der Hand der strengen Matrone.

Da raunte Andreas ihr zu: »Du meinst, ich wolle Dich hindern, der Sänfte zu folgen? – Doch Du irrst, und was würd' es mir auch nützen? Du drängst Dich durch die Wachen zu den hohen Herren vom Senat, Du findest den Weg über den See, durch die Nacht und das trunkene Volk auf der Straße; schlöss' ich Dich ein, so wagtest Du wohl gar einen Sprung durch das Fenster. Nein, nein. Ich bekenne, daß Du meine Bedenken besiegtest. Ja, wolltest Du uns jetzt Deinen Beistand entziehen, so müßten wir Dich bitten, ihn uns doch zu gewähren. Aber der Arzt wünscht, den Diodor bis Tagesanbruch völlig ungestört zu lassen. Er hat sich jetzt ins Serapeum begeben, um ihm einen guten Platz zu verschaffen. Auch Dir thut Ruhe not; doch zur rechten Zeit wirst Du gerufen. Folgt jetzt der Witwe Katharina. Wegen der Deinen,« und damit wandte er sich an Agathe, »sei unbesorgt. Ein Knabe ist schon unterwegs zu Deinem Vater und meldet ihm, wo Du Unterkunft fandest.«

In dem Zimmer, das die Diakonissin den Mädchen öffnete, stand das große Lager, das Proterius, der Besitzer des Hauses, in früheren Jahren mit seiner längst verstorbenen Gattin geteilt. Jetzt streckten sich die neuen Freundinnen darauf aus; doch so müde sie auch waren, schien es beide nicht nach Schlaf zu verlangen. Sie waren so froh, sich gefunden zu haben und hatten einander so viel zu fragen und zu berichten.

Sobald die Witwe Katharina eine dreiarmige Lampe entzündet und sie verlassen hatte, begann ihr Geplauder.

Das Haupt der anschmiegenderen Agathe ruhte auf der Schulter Melissas, und wenn diese der anderen in das schöne Antlitz schaute, und es ihr in den Sinn kam, mit wie tiefer Leidenschaft das Ebenbild dieser Jungfrau den leichtfertigen Bruder erfüllt hatte, oder wenn ein gutes Wort der Christin ihr besonders zusagte, streichelte sie ihr das aufgelöste, in vollen Wellen niederfließende braune Haar.

Es bedarf ja nur einer gemeinsamen Empfindung, eines geteilten Erlebnisses, einer in einsamer Vertraulichkeit verbrachten Stunde, um die Herzen zweier Mädchen einander nahe zu bringen, und diesen beiden war es, als sie unbelauscht und Schulter an Schulter dem Morgengrauen entgegenharrten, als hätten sie von der Wiege an Lust und Schmerz miteinander geteilt.

Dazu festigte sich das weichere Gemüt Agathes gleichsam an der bewußten Willensstärke, die manches Wort Melissas verriet, und wenn die Christin mit rührender Einfalt der Heidin das liebreiche mitleidige Herz eröffnete, war es dieser, als blicke sie in eine ihr neue, doch sie mächtig anziehende Welt.

Dazu wollte die hohe Schönheit Agathes der Künstlertochter wie etwas Göttliches erscheinen, und oft weilte ihr Blick andächtig auf den reinen, ebenmäßigen Zügen der Christin.

Als Agathe sie nach dem Vater fragte, entgegnete Melissa kurz, er sei seit dem Tode der Mutter oft recht bekümmert und rauh, doch im Grunde des Herzens liebreich und gut. Dagegen sprach die Christin mit glühender Begeisterung von der warmen Menschenfreundlichkeit des edlen Mannes, dem sie das Leben verdankte, und das Bild, das sie von ihrer Umgebung entwarf, war so beschaffen, daß es der Heidin [nicht] schwer fiel, daran zu glauben.

Ihr Vater Zeno, versicherte Agathe, lebe in stetem Kampfe gegen das Leid und Elend des Nächsten, und es gelinge ihm auch, Glück und Wohlsein um sich her zu verbreiten. Die Aermsten stünden seinem liebreichen Herzen am nächsten, und drüben auf ihrem Gute habe er lauter Sieche und Unglückliche um sich versammelt. Ihr sei die Wartung der Kinder überlassen, und die Kleinen hingen an ihr, als sei sie ihre Mutter. Sie habe ja auch weder Bruder noch Schwester; und nun wandte das Gespräch sich auf den Alexander, von dem Agathe mehr und immer mehr zu wissen begehrte.

Und wie gerne sprach Melissa von dem heiteren Künstler, der bis dahin der Sonnenschein ihres freudlosen Daseins gewesen.

Es gab auch viel Günstiges von ihm zu berichten; denn wie hoch schätzten die besten Meister sein Können, trotz seiner Jugend, wie treu hingen seine Genossen an ihm, wie wohl verstand er es, den Vater aus dem düstern Unmut zu reißen. Dabei fiel ihr mancher liebenswürdige und großmütige Zug ein, von dem man ihr erzählt oder den sie mit erlebt hatte. Von dem ersten Ersparten hatte er den Genius mit der gesenkten Fackel aus dem Grabe der Mutter in Erz gießen lassen, um den Vater damit zu erfreuen. Einmal war er halb tot nach Hause gebracht worden, nachdem er ein Weib und ein Kind aus dem Wasser gezogen und vergeblich versucht hatte, auch das zweite zu retten. Wild und unbändig konnte er freilich sein, aber seiner Kunst und der Liebe zu ihr und den Seinen war er doch niemals untreu geworden.

Wie groß öffneten sich die Augen Agathes, wenn Melissa ihr Schönes von dem Bruder erzählte, wie ängstlich schmiegte sie das Haupt an die Brust der neuen Freundin, als diese ihr vertraute, wie sie sich in orgiastischer Erregung mit dem Geliebten zusammengefunden.

Entsetzt, als bedrohe sie selbst etwas Schreckliches, griff sie nach der Hand der Schwester des Künstlers, während sie mit anhörte, wie so mancher Gefahr der Wagehals Alexander glücklich entronnen.

Dergleichen war Agathe auf dem einsamen Christensitze jenseits des Sees nie zu Ohren gekommen, und es erschien ihr wie die Erzählungen kühner Seefahrer den ruhigen Ackerbauern, zu denen der Sturm sie verschlägt.

»Weißt Du,« rief sie dazwischen, »daß mir das alles sehr wohl gefällt, obgleich es der Vater gewiß tadeln würde! Wo Dein Bruder das Leben aufs Spiel setzt, thut er es immer für andere, und das ist schön, das ist das Höchste. Wie der Cherub mit dem flammenden Schwerte kommt er mir vor. Doch Du kennst ja nicht unsere heilige Schrift.«

Da wünschte Melissa mehr über das Buch zu hören, dessen Andreas oft vor ihr gedacht hatte; doch es pochte an die Thür, und sie erhob sich schnell von dem Lager.

Agathe folgte ihr sogleich und ließ es sich nicht nehmen, nachdem eine Sklavin frisches Wasser gebracht, der Freundin die Tücher zu reichen, ihr dann das volle Haar neu zu ordnen, ihr die Spange an den Peplos zu stecken und die Falten des Gewandes zu ordnen.

Ihr, die sich so lange nach einer Schwester gesehnt, war es, als habe sie in Melissa eine solche gewonnen, und während sie sich ihr dienstlich erwies, küßte sie ihr Augen und Mund und bat sie mit liebenswürdiger Dringlichkeit, sie heute oder morgen zu besuchen, nachdem sie für den Bräutigam das Ihre gethan. Der Vater müsse sie kennen lernen, und es verlange sie auch, ihr ihre armen Kinder, ihre Hunde und Tauben zu zeigen. Sie, Agathe, werde auch zu ihr kommen, wenn sie bei dem Polybius weile.

»Und dort,« unterbrach sie Melissa, »findest Du wohl auch meinen Bruder.«

Da rief die Christin lebhaft: »Auch ihn bringst Du zu uns. Der Vater wird ihm Dank sagen wollen.«

Hier stockte sie und fügte ängstlich hinzu: »Wenn er nur nicht wieder das Leben so unvorsichtig aufs Spiel setzt.«

»Im Hause des Polybius,« beruhigte sie Melissa, »wird man ihn gut verstecken, und Andreas hält ihn schon fest.«

Damit küßte sie Agathe noch einmal und näherte sich der Thür; doch die Christin hielt sie zurück und raunte ihr zu: »Wir haben auf dem Gute des Vaters einen Versteck, wo keiner ihn findet. Es ward schon mancher aus der Gemeinde, den sie verfolgten, dort auf Wochen und Monde verborgen. Wenn sie ihn ernstlich bedrohen, so führst Du ihn zu uns. Wir sorgen gern für seine Sicherheit und alles. Denke nur, wenn sie ihn fingen, käme er doch um meinetwillen ins Unglück, und ich würde nie wieder ruhig. Versprichst Du, ihn zu uns zu führen?«

»Gewiß,« versetzte Melissa und eilte in den Vorsaal, wo der Arzt und Andreas ihrer harrten.

Die Männer hatten wohlgethan, sich des Beistandes des Mädchens zu versichern; denn sie verstand es wie wenige, mit Kranken umzugehen, seit sie die Mutter gepflegt.

Erst auf der Straße bemerkte Melissa, daß die Diakonissin Katharina die Sänfte begleitete. Sie mußte sich mit dem Transport des Leidenden in das Serapeum versöhnt haben; denn sie zeigte wieder die freundliche Ruhe, die dem Mädchen bei ihrer ersten Begegnung so wohlgefallen hatte.

Die Straße, durch die sie in der ersten Morgenfrühe dahinschritten, war still geworden, und ein zarter Dunst, hinter dem sich das goldene Licht der neu aufsteigenden jungen Sonne ahnen ließ, verschleierte den Horizont.

Es that wohl, die frische Morgenluft zu atmen, und es gab in dieser frühen Stunde niemand, dem man hätte auszuweichen brauchen als Bauern und Bäuerinnen, welche die Erzeugnisse ihrer Gärten und Felder auf Eseln und Ochsenkarren zu Markte führten. Auf dem Fahrdamm rührten schwarze Stadtsklaven die Besen. Hier und da gingen auch Gruppen von Männern, Weibern und Kindern zur Arbeit in den Fabriken, die in der geschäftigen Stadt nur kurze Zeit ruhte. An den Läden der Bäcker und Lebensmittelverkäufer öffneten sich die Thüren, in den offenen Werkstätten der Schuster und Metallarbeiter ging man ans Werk oder entzündete die Feuer, und Andreas winkte dem Zuge der Sklavinnen zu, die vom Gute des Polybius kamen und, in langer Reihe fortschreitend, die großen Milchkrüge und Gemüsekörbe auf ihrem Kopfe mit dem zierlich gebogenen Arm stützten.

Ueber dem Aspendiakanal, den sie bald überschritten, schwebte der Dunst wie dichter weißer Rauch und entzog die Formen und das Standbild der Stadtgöttin auf dem steinernen Geländer der Brücke den Blicken derer, die sich auf dem Fahrdamme hielten. Die Blätter der Nilakazien am Rande der Fahrstraße, ja das Gestein der Häuser und Bildsäulen, das der Nachttau befeuchtete, erschienen wie erfrischt und neu gewaschen, und vom Serapeum her trug der leichte Morgenwind einzelne Töne des Gesanges, den ein Priesterchor dort angestimmt hatte, um, wie allmorgendlich, den Triumph des Lichtes über die Finsternis zu feiern.

Wie das kühle Wasser vorhin, so ermunterte jetzt die Frische der Morgenluft die Jungfrau, der die vergangene Nacht so wenig Ruhe gebracht. Es war ihr, als überschreite sie mit der ganzen Natur die Schwelle des jungen, zu neuem Leben und Wirken ladenden Tages.

Zuweilen schien eine Flamme von der Fackel des Lucifer einen Streifen des Frühnebels zu verzehren, und den Phöbus Apollon, dessen Strahlendiadem auf Augenblicke aus den Dünsten hervortrat, begleiteten – Melissa meinte sie vor sich zu sehen – die Horen, die Stunden des Tages, in anmutigem Tanz und bestreuten den Weg des Sonnenwagens mit Blumen. Das alles war so schön wie der priesterliche Gesang, die würzige Reinheit des Aethers und die aus Erz gegossenen und aus Marmor gehauenen Werke der Kunst, die sie auf der Brücke, am Isis- und Anubistempel zur Rechten der Straße, zwischen den Säulengängen der vornehmsten Häuser, an den öffentlichen Brunnen und überall, wohin sie das Auge wandte, erblickte.

Der Geliebte, den man dicht vor ihr in der Sänfte dahintrug, war auf dem Wege zu dem Heilkünstler, in dessen Hand es lag, ihm Genesung zu schenken. Es war ihr, als gebe ihr die Hoffnung selbst das Geleite.

Seit die Liebe sich in ihrer Brust zu voller Blüte entfaltet, war ihr stilles Leben ereignisvoll geworden. Das meiste, das sie erfahren, hatte sie mit schwerer Besorgnis erfüllt. Ernste Fragen, an die sie früher nie gedacht, waren an sie herangetreten, und dennoch hatte sie in dieser kurzen, sorgenvollen Zeit die frohe Empfindung gewonnen, jung zu sein und, auf sich selbst gestellt, etwas Rechtes zu vermögen.

Diese letzten Stunden hatten ihr gezeigt, daß ihr Kräfte zu eigen seien, von deren Besitz sie noch gestern früh nichts gewußt. Sie, die sich jeder Laune des Vaters willig gebeugt und aus Liebe widerstandslos gethan hatte, was die Brüder von ihr verlangten, wußte jetzt, daß sie einen eigenen Willen besitze und stark genug sei, ihn zur Geltung zu bringen, und auch das hob die Freudigkeit, die sie an diesem Morgen erfüllte.

Alexander, die alte Sklavin Dido und Diodor hatten ihr wohl gesagt, daß sie schön sei, doch sie alle sahen sie ja mit dem Auge der Liebe an, und darum war sie immer der Meinung gewesen, daß sie ein recht wohlgebildetes, doch in jeder Hinsicht bescheiden begabtes Mädchen sei, dem es bevorstehe, still zurückgezogen im Dienste des Vaters abzublühen und zu verwelken. Jetzt wußte sie, daß sie schön sei, nicht nur, weil sie es gestern im Gedränge von so vielen gehört und Agathe es so fest behauptet, während sie ihr das Haar geordnet hatte, sondern auch weil es eine innere Stimme ihr sagte, und schon um des Geliebten willen glaubte sie ihr gern.

Sonst wäre sie nach ähnlichen Anstrengungen und so vielen durchwachten Stunden müde zum Umsinken gewesen, heut aber fühlte sie sich frisch wie die Vögel, die in den Kronen der Mimosen zur Seite der Fahrstraße das erstandene Licht mit hellem Gezwitscher begrüßten.

»Die Welt ist doch schön,« dachte sie; doch im nämlichen Augenblick gebot die ernste Stimme des Andreas den Sänftenträgern, in eine finstere Seitengasse einzubiegen, welche wenige hundert Schritte vor dem Rhakotiskanal in die Hermesstraße mündete.

Wie sorgenvoll der Freigelassene aussah!

Des früheren Sklaven und Christen Welt war nicht die ihre. Das sollte sie recht deutlich erkennen, als man die Sänfte des Diodor zu einem der ersten Häuser in der Seitengasse führte.

Es war ein großes, schmuckloses Gebäude mit wenigen hochgelegenen Fenstern und, wie Melissa bald erfuhr, eine christliche Kirche.

Bevor sie noch ihrem Erstaunen Ausdruck geben konnte, bat sie der Freigelassene, sich wenige Augenblicke zu gedulden; es sollten hier die Dämonen der Krankheit durch Beschwörungen gezwungen werden, den Leidenden zu verlassen.

Dabei wies er auf ein Bänkchen in dem breiten nur wenige Schritte tiefen Vorraume der Kirche. Dann winkte er den Sklaven, und diese trugen die Sänfte in einen langen, nicht sehr hohen Saal mit flacher Decke.

Vom Vorhause aus nahm Melissa nun wahr, wie dort ein priesterlich gekleideter Christ, den sie den Exorcisten nannten, allerlei Beschwörungen über den Kranken sprach, und die anderen hörten ihm so aufmerksam zu, daß sie auf eine gute Wirkung seiner ihr unverständlichen Formeln zu hoffen begann.

Dabei kam ihr in den Sinn, daß ihre alte Sklavin Dido, die vielen Göttern anhing, neben heidnischen Amuletten auch ein Kreuzchen am Halse trug, das ihr eine Christin geschenkt. Auf die Frage, warum sie, die Heidin, dies anlege, hatte die Alte erwidert: »Man kann nicht wissen, was hilft.« – Vielleicht blieben auch die Beschwörungen des Exorcisten nicht ohne gute Wirkung auf den Geliebten, zumal ja der Christengott groß sein mußte und gut.

Sie versuchte auch selbst die Seele im Gebet zu den Manen der verstorbenen Mutter zu erheben; was sie aber in dem Vorraum erblickte, zerstreute sie und erfüllte sie mit Entsetzen; denn dort standen einige Männer und Greise und zerfleischten sich selbst mit wuchtigen Geißelhieben den Rücken. Ja, ein weißhaariger Alter reichte einem kräftigen Burschen, dem das Blut von den Schultern troff, die Peitsche von Nilpferdhaut und bat ihn, seinen lieben Bruder, so innig, als handle es sich um eine Gnade, ihn die Geißel fühlen zu lassen. Doch der andere verweigerte ihm dies, und nun sah sie, wie der schwache Greis sich abmühte, die Peitsche gegen sich selbst zu gebrauchen.

Das alles entzog sich durchaus ihrem Verständnis und erschien ihr darum widrig. Wie abgezehrt und häßlich waren auch die Glieder der Leute, die hier solchen Frevel gegen den eigenen Leib, den schönen Tempel der göttlichen Seele, verübten!

Als die Sänfte wenige Minuten nach dem Eintritt in die Kirche diese wieder verließ, hatte sich der Sieg des Tagesgestirns über die Nebel entschieden, und die Morgensonne erhob sich mit blendendem Glanz am wolkenlosen Himmel. Wie in Licht gebadet schien alles rings umher; doch die schrecklichen Bilder aus dem Büßerraum warfen Schatten in die lichte Freudigkeit, die sie eben noch erfüllt hatte.

Bang und bedrückt nahm sie Abschied von der Diakonissin, die sie zufrieden und erhobenen Hauptes in der Hermesstraße verließ, und folgte der Sänfte, bis sie den weiten Platz des Serapeums betraten.

Da wich wie auf den Wink eines Zauberers alles von ihr, was ihr die Seele verfinstert; denn vor ihr erhob sich auf dem für die Ewigkeit gefestigten Unterbau von Felsen und wohlgefügten Quadern das aller Götter würdigste Bauwerk auf Erden, der Riesentempel des großen Serapis. Dem blauen Himmelsgewölbe strebte, als wolle sie mit dem eigenen Glanz die Schwesterwölbung ihr zu Häupten begrüßen, die herrliche Kuppel entgegen. Das Kupfer, womit sie gedeckt war, glänzte und gleiste wie eine zweite Sonne. Von der breiten Front des Tempels schaute ihr alles entgegen, was der Anbetung der Sterblichen und ihrer Verehrung genoß; denn aus Marmor gehauen und aus Erz gegossen standen auf dem Dache dieses Heiligtums auf Säulen und Konsolen, in Nischen und als Träger der Brüstungen und Altane die Statuen aller Tafelgenossen des olympischen Festmahles, und außer ihnen die Bildsäulen und Büsten der Helden und Könige, der Philosophen, Dichter und Künstler, deren Thaten und Werke ihnen die Unsterblichkeit erworben.

Von Kind an hatte Melissa zu diesem Gotteshause mit stolzer Bewunderung aufgeschaut; denn jede Kunst hatte ihr Bestes gethan, damit es nicht seinesgleichen habe auf Erden. In ihrer lieben Vaterstadt war es entstanden, und die Mutter, die sie oft in das Serapeum geführt, wo sie Trost für mancherlei Sorgen und Enttäuschungen suchte, hatte sie gelehrt, es zu lieben. Daß es ihr später verleidet worden war, vergaß sie in solcher Stimmung.

So reich und bunt belebt hatte sie die Umgebung des Wunderbaus noch nie gesehen.

Seine dem Platz zugekehrte Vorderseite wurde in dieser frühen Stunde noch von zahlreichen Sklaven, die auf Leitern und Gerüsten standen oder an Stricken und vom Dach herabgelassenen Stühlen hingen, mit Kränzen und Blumenguirlanden geschmückt. Die Rampe, auf der die Wagen zu dem Hauptportal hinauffuhren, war noch leer, und auf der breiten Treppe in der Mitte derselben stiegen nur festlich geschmückte Priester und Hofbeamte in mäßiger Menge auf und nieder, – der unabsehbar weite Platz vor dem Heiligtum aber hatte sich in ein Zeltlager verwandelt, und zwischen den schnell aufgeschlagenen linnenen Häusern wurden Rosse gestriegelt und Waffen geputzt. Mehrere Manipeln der Prätorianer und der makedonischen Phalanx standen schon in Reih und Glied, um die Wachen vor den Thoren der kaiserlichen Wohnung abzulösen und um dem Cäsar zur Verfügung zu stehen.

Fesselnder aber als dies alles erschienen dem Mädchen die an dem äußersten Rande des weiten Platzes in großen Zwischenräumen errichteten Altäre, auf denen Feuer entzündet waren. Dichte Rauchmassen stiegen von ihnen aus durch den windstillen, reinen Aether, luftigen Säulen vergleichbar, himmelan, während die Flammen, von der Morgensonne hell überstrahlt, mit bleichem, wechselndem Glanze wie gelenke Schlangen in mattem Gelb und Rot, bald schwindend, bald hellauf leuchtend, den Dampf durchschnellten und ihm sich nachzuschwingen strebten. Da war kein Feuer, von dem der Rauch nicht kerzengerad aufgestiegen wäre, und doch war jedes für einen andern Gott entzündet worden, und Melissa sah es für ein glückbringendes Zeichen an, daß keiner dem Dampfe himmelwärts zu steigen wehrte.

Priester und Opferschauer aller Götter des Morgen- und Abendlandes schürten die Feuer und leiteten die Darbringungen, während Krieger aus allen Nationen des Reiches die Altäre betend umstanden.

Doch Melissa zog ohne Bedauern an diesem ungewöhnlichen, Herz und Sinn erregenden Schauspiele vorbei; denn die Hoffnung auf das Heil, das dem Geliebten bald widerfahren sollte, drängte alles andere in den Schatten. Während sie aber auf die Tausende blickte, die hier lagerten, und zu dem Tempel hinschaute, an dessen Front so viele Menschen wie Ameisen thätig waren, kam ihr der Gedanke, daß das alles nur Einem gehöre und gelte. Ihm folgten die Legionen da drüben wie Staubwolken dem Sturme, auf seinen Wink erzitterte die Welt, und in seiner Hand lag auch ihr Leben und Glück, wie das der Millionen, die er beherrschte.

Und diesen Allmächtigen, diesen Gott in Menschengestalt, hatte ihr Bruder verspottet, und die Häscher waren ihm vielleicht wieder auf der Fährte.

Das trübte von neuem die helle Freudigkeit ihrer Seele, und als sie dem Andreas in die ernsten, besorgten Züge schaute, begann auch ihr das Herz banger zu schlagen.

Wie konnte sie heiter sein, da denen, die sie am meisten liebte, so Schweres drohte.


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