Georg Ebers
Per aspera
Georg Ebers

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Zwölftes Kapitel.

Melissa hatte gemeint, man werde, wie es sonst Sitte war, die Sänfte über die Rampe oder die für Fußgänger bestimmte Treppe des Serapeums durch das Hauptportal führen; doch das ging heute wegen der Anwesenheit des Kaisers nicht an, und so mußte der Kranke um die ganze Ostseite des ungeheuren Baues, der die Fläche eines Dorfes einnahm, getragen werden.

Die Hinterthür in der Südwand, durch die sie endlich Einlaß fanden, führte in einen Gang, der an dem großen Opferhof vorbeilief und an den sich die inneren Räume des Tempels schlossen, zu denen auch die Incubationssäle gehörten.

In diesen wurde den Kranken im Traume offenbart, auf welchem Wege oder durch welche Mittel sie Heilung erwarten durften, und es fehlte daselbst auch nicht an traumdeutenden Priestern und an Aerzten, die hieher kamen, um seltene Krankheitsfälle zu beobachten und den Hilfesuchenden zu erklären, was die oft dunklen Ratschläge des Gottes bedeuteten, oder ihnen mit der eigenen Kunst Beistand zu leisten.

Ein dem Ptolemäus befreundeter Arzt, der, obgleich er heimlich die Taufe empfangen, zu den Pastophoren des Tempels gehörte, erwartete die Sänfte an der Pforte und schritt dem kleinen Zuge als Wegweiser voran.

Aus dem Opferhof drang den Eintretenden das Gebrüll vieler Stiere entgegen. Man schlachtete sie auf Befehl des Kaisers zu so früher Stunde, und weil Caracalla der Opferschau beizuwohnen verheißen, durfte niemand, der nicht zur Priesterschaft oder zu den Freunden des Cäsar gehörte, den Hof betreten. Die Sänfte mußte darum eine Treppe hinan und durch einen lang hingestreckten Saal der Bibliothek geführt werden, dessen breite Fenster in den großen, unbedachten Raum schauten, wo die Tiere auch der Eingeweideschau unterzogen wurden.

Diodor fühlte und sah nichts von alledem; denn das Bewußtsein war ihm infolge seines Schädelbruches geschwunden; Ptolemäus aber versicherte Melissa, um sie zu beruhigen, daß er fest schlafe.

Während es die Treppen hinanging, hatte sie sich dicht an der Seite des Geliebten gehalten; nach dieser Versicherung des Arztes aber trat sie von der Sänfte zurück und schaute sich wieder um.

Wie der Zug den Saal betrat, in dem aus langen Regalen die Schriftrollen in steinernen und hölzernen Kästen ruhten, erscholl unten feierlicher Gesang und das »Heil dem Cäsar«, welches dem Nahen des Herrschers voranging.

Da wies der wegweisende Arzt in den Hof und rief der Jungfrau, deren Schönheit ihn anzog, freundlich zu: »Schau hinab, wenn Du den Kaiser zu sehen wünschest. Wir müssen ohnehin warten, bis das Gefolge den Gang hinter der Thüre dort verläßt,« und Melissa, welche die weibliche Neugier schon an das Fenster gelockt hatte, schaute nun in den Hof und auf die Treppe, von der eine Manipel der Prätorianer, römische Herren in der Toga oder im Waffenschmuck der Legaten, bekränzte Opferschauer und andere Priester herabstiegen.

Dann blieben die Stufen kurze Zeit leer, und Melissa glaubte den Schlag des eigenen Herzens zu vernehmen, als plötzlich das »Heil dem Kaiser!« lauter erscholl, das helle Geschmetter einer Trompetenfanfare von den hohen Steinwänden widerhallte, die den Opferhof umgaben, und Caracalla auf der breiten, zu den Altären hinabführenden Marmortreppe erschien.

Wie gebannt hingen die Augen der Jungfrau an dieser Erscheinung, die weder schön war noch stattlich und sie doch, sie wußte selbst nicht wodurch, mächtig anzog.

Woher kam ihm, der eher klein war als groß, eher schlaff als majestätisch, das zwingende Etwas, das jede Vertraulichkeit von ihm fernhalten mußte?

Der herrliche Löwe, der gelassen neben ihm herschritt, und in dessen Mähne er die linke Hand vergrub, erschien nicht unnahbarer als er. Sein »Perserschwert« nannte er das furchtbare Raubtier, womit er wie mit einem Schoßhund verkehrte, und nun kam es Melissa wieder in den Sinn, was durch diesen Mann über ihren Alexander verhängt werden konnte, und dazu alles, was die Welt diesem Mörder des Bruders, der Gattin und so vieler Tausende vorwarf.

Da fühlte sie zum erstenmal, daß auch sie zu hassen vermöge, und es drängte sie, alles Böse auf das Haupt dieses Mannes herabzuwünschen. Das Blut stieg ihr in die Wangen, und die kleinen Hände ballten sich ihr zu Fäusten. Aber sie verwandte doch keinen Blick von dem Verhaßten; denn alles, was an ihm war, schien ihr, wenn nicht schön, so doch eigentümlich, wenn nicht groß, so doch wert der Beachtung.

Sie wußte, daß er noch in den zwanziger Jahren stehe, doch als er gestern an ihr vorüberfuhr, war er ihr wie ein mürrischer Menschenfeind an der Grenze des Greisenalters erschienen.

Wie jung er heute aussah!

Dankte er das dem Lorbeerkranz, der das Haupt ihm schmückte, oder der weißen Toga, die ihn in schönen Falten umfloß und nur den sehnigen Arm freiließ, an dem er den Löwen führte?

Von ihrem Platze aus war es ihr nur möglich, das Antlitz des Hinabsteigenden von der Seite zu schauen, – und unschön war es gewiß nicht; ja, Nase, Stirn und Kinn schienen ihr fein und edel gebildet. Der Backenbart war dünn und über der Oberlippe wölbte sich ihm ein nach unten gekehrter Schnurrbart. Von den Augen, über denen die Stirn hervorsprang, war jetzt nichts zu erkennen, doch ihr tiefer, bedrohlicher Schielblick hatte sich ihr gestern tief ins Gedächtnis geprägt.

Jetzt drängte der Löwe sich näher an ihn.

Wenn die Bestie sich aufrichtete und ihren Herrn, das blutigere, gefährlichere Raubtier, das nicht nur mit den Zähnen, sondern mit jedem Laut der Lippen und jedem Wink der Hand zu morden vermochte, zu Boden riß und zerfleischte, dann war die Welt von dem grimmigen Schadenbringer befreit. Ja, sein Auge, das gestern mit so verletzender Nichtachtung über die frohe Menge hinweggeschaut hatte, die ihn jubelnd begrüßte, war das eines Bösewichts gewesen.

Da – und es war ihr, als habe er ihre Gedanken erraten – wandte er, während er den Löwen streichelte und ihn sanft beiseite schob, das Antlitz voll zu ihr hin, und sie wußte nicht, ob es sie freuen solle oder verdrießen, doch die widrig schielenden Augen von gestern waren nicht mehr Furcht und Abscheu erregend, nein, sie hatten liebevoll und dazu mit einem schmerzlichen Glanz auf das Tier geblickt. Das garstige Mörderantlitz war zu dieser Stunde gewiß nicht unschön, sondern anziehend und glich dem eines wohlgebildeten, doch bleichen und von herben Leiden des Körpers oder der Seele gequälten Jünglings.

Sie täuschte sich nicht; denn auf der nächsten Stufe blieb Caracalla stehen, drückte die rechte Hand auf die Schläfe und preßte den Mund fester zusammen, als suche er Herr eines peinigenden Schmerzes zu werden. Dann schüttelte er wehmütig das Haupt und betrachtete die hohen Wände des Opferhofes, die man ihm zu Ehren mit Teppichen und Blumengewinden geschmückt.

Erst richtete er das Auge auf die Reliefbilder und den festlichen Ausputz zur Rechten; wie er aber das Haupt wandte, um nach der Seite hinzuschauen, wo Melissa stand, mahnte sie eine innere Stimme, vom Fenster zurückzutreten, damit der Blick des Unholdes sie nicht beflecke.

Doch ein mächtiger Trieb hielt sie zurück, und plötzlich war es ihr, als wanke der Boden ihr unter den Füßen, und wie eine Schiffbrüchige nach dem rettenden Balken, griff sie nach der kleinen Säule zur Linken des Fensters, um sie fest mit der Hand zu umklammern; denn das Gefürchtete war geschehen: Caracallas Blick hatte den ihren getroffen und war eine Weile in ihm ruhen geblieben. Und sein Auge hatte dabei nicht blutdürstig oder in begehrlichem Glanz wie das der trunkenen Jünglinge gestern nacht auf der Straße gefunkelt, sondern wie überrascht von etwas Wunderbarem, das er hier nicht zu finden erwartet, in das ihre geblickt.

Endlich schien ein neuer Schmerz ihn zu nötigen, sich von ihr abzuwenden; denn bitteres Weh spiegelte sich in seinen Zügen, als er den Fuß langsam auf die nächste Stufe setzte.

Wiederum und heftiger als vorher preßte er dabei die Hand an die Schläfe, und gleich darauf winkte er einem großen, schön gestalteten Manne mit wallenden Locken, der ihm gefolgt war, um sich auf seinen dienstfertig dargebotenen Arm zu stützen.

»Theokrit, ein früherer Schauspieler und Tänzer,« raunte der priesterliche Führer dem Mädchen zu. »Aus dem Gaukler machte die Laune des Cäsar einen Senator, Legaten und Günstling.«

Doch Melissa bemerkte nur, daß er sprach und überhörte den Inhalt seiner Rede; denn der Mann, der dort die Treppe langsam hinabstieg, nahm ihre ganze Teilnahme in Anspruch.

Sie wußte, wie diejenigen aussehen, die Schmerzen erdulden und sie vor den Augen der anderen verbergen, und gewiß zehrte quälendes Siechtum an diesem Jüngling, der die Welt beherrschte und nach dessen Purpur begehrliche Hände sich schnell genug ausstrecken würden, sobald er es verlernte, stark zu erscheinen und rüstig.

Wie alt und lebensmüde sah er jetzt wieder aus, der Beklagenswerte, der doch noch so jung war und für so reiche Glückseligkeit geboren!

Wohl durfte man ihn einen verruchten und blutigen Tyrannen nennen; aber ebenso gewiß auch einen beklagenswerten unglücklichen Mann. Je grausamer die Schmerzen waren, die er empfand, desto saurer mußte es ihm fallen, sie vor den Blicken der vielen zu verbergen, die jederzeit auf ihm ruhten.

Es gibt nur eine wirksame Arznei gegen den Haß, und sie heißt das Mitleid, und mit der Wärme einer barmherzigen Frauenseele folgte Melissa jeder Bewegung des kaiserlichen Mörders, seitdem sie einen Leidenden in ihm erkannt und sein Blick den ihren getroffen hatte.

Nichts entging dabei ihrem hellen Auge, was das Mitgefühl für den Mann zu nähren vermochte, den sie noch eben verabscheut. Sie bemerkte ein leichtes Hinken bei seinem Gange und ein krampfhaftes Zucken an seinen Augenlidern, sie sagte sich, seine feine, beinahe durchsichtige Hand sei die eines Leidenden, und sein an vielen Stellen ausgegangenes Haar habe Schmerz und Krankheit gelichtet.

Als ihm aber bei der letzten Stufe der Oberpriester des Serapis mit den Opferschauern entgegentrat, und die Augen des Kaisers wieder den bösen, schielenden Ausdruck von gestern gewannen, bezweifelte sie nicht, daß er mit schwerer Selbstüberwindung so bedrohlich dreinschaue, um trotz seiner Leiden denen furchtbar zu erscheinen, deren Gehorsam er brauchte.

Während er die Treppe hinabstieg, war er der Stütze eines Begleiters bedürftig gewesen, sie hatte es gesehen und dazu auch bemerkt, wie sorgsam sein lockiger Führer bestrebt gewesen war, zu verbergen, daß er ihm beistand. Aber der Höfling hatte einen zu hohen Wuchs, um diese Aufgabe so gut zu lösen, wie sie selbst es sich zugetraut hätte. Sie war ja nicht viel kleiner als der Kaiser und gehörte auch nicht zu den Schwachen. Ihr Arm hätte dem Leidenden eine bessere Stütze geboten!

Aber wie war es für sie, die Schwester des schwer bedrohten Alexander, die Braut des Diodor, den sie liebte, nur möglich, an dergleichen zu denken?

Jetzt verschwand der Cäsar unter den Priestern, und der Führer rief ihr zu, daß der Weg für die Sänfte nun frei sei.

Da warf sie einen Blick in dieselbe, und nachdem sie gesehen, daß Diodor noch immer schlief, folgte sie ihr nachdenklich und beantwortete die Fragen des Andreas und der Aerzte kurz und zerstreut. – Sie hatte die Erklärungen ihrer Begleiter überhört und das Haupt nur flüchtig nach dem Hofe hingewandt, wie man ihr einen langen, hageren Herrn mit rundem Kopf und einer faltigen Stirn als den Macrinus, den Präfekten der Leibwache, den mächtigsten Mann nach dem Cäsar, bezeichnete und ihr die Freunde Caracallas, die sie schon gestern gesehen, und dazu den Geschichtsschreiber Cassius Dio, sowie andere Senatoren und Mitglieder des kaiserlichen Gefolges zeigte.

Jetzt, wo der Weg durch Räume und Gänge führte, die der Fuß eines Laien sonst nur selten betrat, schaute sie sich aufmerksamer um, wenn der Serapispriester sie auf besonders schöne Statuen und Gemälde oder auf merkwürdige symbolische Darstellungen hinwies.

Dennoch blickte sie, deren Gemüt und Geist schon der Verkehr mit den Brüdern für alles Schöne und Wissenswerte empfänglich gemacht hatte, weniger teilnahmsvoll hin, als es sonst wohl geschehen wäre; denn sie mußte während dieses Ganges an zu viel anderes denken. Zunächst an die Hilfe, die dem Diodor durch den großen Galenus bevorstand, dann an den Vater, der sich heute ohne sie behelfen mußte, und endlich an die Seelenstimmung ihres ernsten Bruders Philipp. Er wie Alexander, die sonst so einig waren, begehrten nun beide Agathens, und was sollte daraus entstehen? Dazwischen kehrten ihre Gedanken oft zu dem unglücklichen Kaiser zurück, und es war ihr dann immer, als gebe es ein Band, sie wußte selbst nicht welches, das sie mit ihm verbinde.

Sobald die Sänfte wieder Stufen zu überschreiten hatte, gab sie acht auf die Träger und rührte die Hand, wenn sich die Lage des Schlummernden veränderte. So oft sie ihm dabei in das schöne, vom Fieber gerötete Antlitz schaute, das die vollen Locken reich umwallten, hob sich ihr das Herz, und es war ihr, als habe sie den Göttern Dank zu sagen, daß ihr Verlobter in so herrlicher Jugendkraft prange und dem vorzeitig welkenden, verbrecherischen Purpurträger in keiner Hinsicht gleiche. Dennoch gedachte sie auch des Caracalla, und einmal kam es ihr in den Sinn, daß wenn er an Stelle des Diodor so dahingetragen werden müßte, sie nicht minder pflegsam seiner warten möchte als des Verlobten.

Der Kaiser, der ihr bis dahin so fern gestanden wie eine Gottheit, von deren vernichtender Macht sie vernommen, war ihr plötzlich menschlich nahe getreten. Unwillkürlich gesellte sie ihn zu den wenigen, mit denen ihr stilles Leben sie in persönliche Berührung gebracht und für deren Wohl und Weh sie Teilnahme fühlte.

Ganz schlecht und verhärtet konnte er nicht sein! Wenn er nur wüßte, wie weh es ihr that, ihn leiden zu sehen, würde er gewiß dem Zminis gebieten, von der Verfolgung ihres Alexander zu lassen!

Dicht vor dem Ziele ihrer Wanderung traf ihr wiederum eine Fanfare das Ohr und rief ihr ins Gedächtnis, daß sie unter einem Dache mit ihm weile. Sie war ihm so nahe, und wie fern lag es ihm doch, zu ahnen, was ein Herz, das mitleidig für ihn schlug, von ihm begehrte.

Viele der auf Eingebungen des Gottes begierigen Kranken oder Gesunden, die im Serapeum geschlafen, hatten zu dieser Stunde schon das Lager verlassen und berieten sich in der weiten Vorhalle mit Traumdeutern und Aerzten. Es ging hier so lebhaft her wie auf dem Markte, und ein älterer Mann mit wirrem Haar und glühenden Augen wiederholte fortwährend mit lauter Stimme: »Es war der Gott selbst, der mir erschien, und sein dreiköpfiger Hund leckte mir die Wangen.«

Dicht vor dem Ziele hielt ein altes häßliches Weib Melissa fest und flüsterte ihr zu: »Heilungstrank für Deinen Liebsten. Thränen aus den Augen des Horuskindes. Stammt von der Isis selbst. Wirkt sicher und schnell. Komm zu dem Balsamhändler Hezron in der Nekropolisstraße. Für fünf Drachmen die Gesundheit des Liebsten.«

Doch Melissa, die hier seit der Krankheit der Mutter nicht fremd war, betrat, ohne sich aufhalten zu lassen, zugleich mit der Sänfte den langen Incubationssaal, dessen steinerne Decke auf zwei Reihen haushoher Säulen ruhte. Sie kannte auch den harzigen Wohlgeruch des Kyphi,Die im ägyptischen Tempel gebräuchlichste gemischte Räucherungsessenz, die auch den Hellenen bekannt war und von der wir viele ägyptische und griechische Rezepte besitzen. der diesen Raum erfüllte, obgleich frische Luft fortwährend durch die hochgelegenen Fenster in ihn eindrang. Ueber sie breiteten sich rote und grüne Vorhänge, und die gedämpften Lichter, denen sie Einlaß gewährten, durchfluteten das Halbdunkel und streiften die mit farbigen Reliefbildern aus der Göttergeschichte bedeckten Wände des stillen Saales.

Es war verboten, hier zu reden, und der Schritt der Füße verhallte auf starken, dichtgeflochtenen Matten.

Die meisten Lager standen schon leer, nur die zwischen der langen Fensterwand und ersten Säulenreihe wurden noch größtenteils von Kranken benützt, die den Beistand des Gottes suchten. Auf eines derselben wurde Diodor gebettet, und Melissa leistete dabei still und mit einer Umsicht, die auch die Aerzte erfreute, hilfreiche Hand. Aber auch jetzt erwachte er nicht, obgleich sein Nachbar die Lippen keinen Augenblick still hielt, weil er im Traume den Befehl erhalten hatte, den Namen des Serapis so oft zu wiederholen, wie ein Pokal voll Wasser aus dem Agathodämonkanal Tropfen enthalte.

»Ein langes Verweilen in diesem Dufte würde ihm schaden,« flüsterte der Arzt Ptolemäus dem Freigelassenen zu; »aber Galenus hat sagen lassen, er werde sich heute schon früh zu den Kranken begeben, und er war noch nicht hier. Er ist zwar alt, und zu Rom, heißt es, schlafe man lang.«

Hier ward er durch eine Bewegung unterbrochen, welche – niemand wußte woher – die Stille des Saales trübte, und gleich darauf stießen eifrige Hände die Flügel der Hauptthür geräuschvoll und gewaltsam auseinander.

»Er kommt,« raunte der priesterliche Führer den anderen zu, und gleich darauf ward die Schwelle von einem Greis überschritten, dem eine Schar von Pastophoren wie die Höflinge dem Fürsten ehrerbietig und in gebückter Haltung folgten.

»Leiser, meine Brüder,« gebot der größte aller Aerzte seines Jahrtausends den anderen mit gedämpfter Stimme und ging dann, auf einen Stab gestützt, der Reihe der Lager entgegen. Wohl sah man ihm an, daß er die Achtzig überschritten, doch leuchtete sein großes Auge immer noch jugendhell und lebendig.

Melissa errötete bei dem Gedanken, den Serenus Samonicus mit diesem wunderbaren Greise verwechselt zu haben. Er mochte einst größer gewesen sein; jetzt aber hatte sich ihm der Rücken gekrümmt, und das schwere Haupt neigte sich ihm wie suchend nach vorn. Sein Antlitz war bleich und farblos, Nase und Mund fein und edel, doch nicht im großen Stil geschnitten. Blaue Aederchen schimmerten durch die zarte, blasse Haut, und ungelichtet und wellig umfloß sein großes Haupt immer noch das lange, in der Mitte gescheitelte, silberweiße seidige Haar. Der schneeig weiße weiche Bart reichte ihm bis auf die Brust. Ein langes, faltiges Gewand vom kostbarsten weißen Wollenstoff umschmiegte seine Greisengestalt – und seine ganze Erscheinung wäre nur durch besondere Feinheit ausgezeichnet gewesen, wenn nicht eben die Augen so strahlend hell und durchdringend scharf unter den dichten Brauen geleuchtet und die hohe, leicht gewölbte, beinah faltenlose Stirn nicht dagewesen wäre, um für die Kraft und Tiefe seines Geistes zu zeugen. Melissa wußte ihn mit niemand zu vergleichen; den Christen Andreas aber erinnerte er an das Bild des greisen Johannes, das ein reicher Glaubensgenosse der Markuskirche geschenkt.

Wenn dieser Mann nicht zu helfen vermochte, dann konnte es keiner! Und wie vornehm und auf sich selbst gestellt bewegte sich die gebückte Gestalt dieses Greises an seinem Stabe vorwärts. Er, der hier Fremde, schien den anderen die Wege zu weisen und im eigenen Reiche zu gebieten.

Melissa hatte gehört, daß der starke Kyphiduft dem Geliebten schädlich werden könne, und der Wunsch, Galenus möge sich dem Diodor bald zuwenden, erfüllte sie ganz. Er begann auch nicht bei dem der Thür am nächsten gelegenen Kranken, sondern blieb in der Mitte des Saales stehen, lehnte sich an eine Säule und überblickte zuerst den Raum und die Betten.

Als sein prüfender Blick auch das Lager des Diodor streifte, begegnete ihm ein anderer, der ihm mit ehrfurchtsvoll flehender Bitte aus einem schönen, großen und reinen Augenpaar entgegenschaute.

Da flog ihm ein feines Lächeln um die bärtigen Lippen, und indem er Melissa näher trat, sagte er: »Wo die Anmut winkt, müssen auch Greise gehorchen. Der Geliebte, schönes Kind, oder der Bruder?«

»Mein Bräutigam,« versetzte sie schnell, und die jungfräuliche Befangenheit, die ihr die Wangen dabei rötete, stand ihr so wohl, daß er mit liebenswürdiger Schalkhaftigkeit leise fortfuhr: »Er muß viele gute Eigenschaften haben, wenn ich Dich ihm gönnen soll, Kind!«

Damit trat er auch dem Lager näher, und nachdem er dem Diodor ins Antlitz geschaut, sagte er wie im Selbstgespräch und ohne der Aerzte zu achten, die ihn wißbegierig umdrängten: »Es hat auch hier aufgehört, echte Griechen zu geben; nur die Schönheit der Ahnen ist nicht so leicht zu verlöschen und findet sich noch bei den Enkeln. Welch ein Haupt, welch ein Antlitz und Haarschmuck!«

Während er dem Jüngling dann Brust, Schultern und Arme betastete, rief er im Ton aufrichtiger Bewunderung: »Wahrhaft göttliche Glieder!«

Dann legte er ihm die weiße, zarte Greisenhand, über deren Oberfläche sich ein Netz von bläulichen Adern breitete, auf die Stirn, blickte sich von neuem im Saale um, sog, während Ptolemäus ihm die Krankheitsgeschichte kurz und sachgemäß erzählte, den Duft, der den Raum erfüllte, prüfend ein und sagte, nachdem der christliche Arzt geschlossen: »Wir werden den Fall untersuchen, doch nicht hier, sondern in einem weniger stark durchräucherten Raume. Dieser Duft erweckt Träume, doch noch weit sicherer die Dämonen des Fiebers. Habt ihr kein anderes Gemach mit reinerer Luft in der Nähe?«

Ein vielstimmiges »Ja« gab ihm Antwort, und ungesäumt wurde Diodor in einen kleineren Nebensaal getragen.

Während die Uebersiedlung stattfand, trat Galenus von Lager zu Lager und richtete Fragen an den Oberarzt und die Kranken. Den Diodor und Melissa schien er vergessen zu haben, – nachdem er aber hier nur flüchtig hineingeschaut, dort aufmerksam untersucht und Rat erteilt hatte, verlangte er unaufgefordert zu dem Verlobten der schönen Alexandrinerin geführt zu werden.

Von der Schwelle des Nebenraumes aus winkte er Melissa freundlich zu.

Wie gern wäre sie ihm gefolgt; doch sie sagte sich, daß der wunderbare Greis sie gerufen hätte, wenn ihm ihre Gegenwart erwünscht gewesen wäre, und wartete bescheiden auf seine Rückkehr.

Diese ließ freilich lange genug auf sich warten, und der Jungfrau wurden die Minuten zu Viertelstunden, während sie durch die geschlossene Thür Männerstimmen, das Wimmern und laute Aufstöhnen des Leidenden, Wassergeplätscher und das Klirren metallener Instrumente vernahm, und die lebendige Einbildungskraft sie ahnen ließ, wie schwer Erträgliches dem Geliebten da drinnen angethan werde.

Endlich erschien Galenus wieder. Sein ganzes Wesen atmete heitere Zufriedenheit. Die Aerzte, die ihm folgten, flüsterten unter einander, schüttelten das Haupt, als sei ihnen ein Wunder begegnet, und wo ein Auge auf ihm ruhen blieb, war es voll enthusiastischer Verehrung. Melissa wußte, wie sein Blick den ihren traf, daß nun alles gut sei, und als sie die Rechte des Greises ergriff, schloß sie aus ihrer feuchten Frische, daß er sie eben erst getrocknet und mit eigener Hand verrichtet habe, was der Arzt Ptolemäus von seiner Kunst erwartet.

Die Augen wurden ihr feucht vor dankbarer Rührung, und obwohl Galenus sie zu hindern versuchte, ihm die Lippen auf die Hand zu drücken, gelang es ihr dennoch; er aber küßte ihr in väterlichem Wohlgefallen an ihrer warmherzigen Anmut die Stirn und sagte: »Geh jetzt ruhig nach Hause, mein Mädchen. Der Stein ist Deinem Freunde recht hart auf das Schädeldach geprallt. Da hat denn der Druck eines zerbrochenen Balkens – eines Knochenstückes mein' ich – auf das Hirn ihm die Fähigkeit geraubt, zu erkennen, eine wie liebenswerte Braut ihm die Götter schenkten. Nun that das Messer seine Pflicht, der Balken ist wieder aufgerichtet worden, die Splitter, die nichts taugen, wurden beseitigt, das Dach ist in Ordnung, und der Druck hörte auf. Damit kehrte Deinem Freund auch das Bewußtsein zurück, und ich wette, daß er in diesem Augenblick an Dich denkt und Dich zu sich heran wünscht. – Doch es ist besser, wenn ihr das Wiedersehen noch aufschiebt. Zweimal vierundzwanzig Stunden soll er in dem Zimmer dort bleiben; denn jede Störung verzögert nur die Genesung.«

»So bleibe ich hier, um ihn zu pflegen,« rief Melissa eifrig; Galenus aber versetzte mit einer Entschiedenheit, die jeden Widerspruch aushob: »Um des Herzustellenden willen darf es nicht sein. Die Nähe des Weibes, für die das Herz des Kranken glüht, steigert die Tücke des Fiebers noch sicherer als der scharfe Duft des Kyphi. Außerdem ist diese Stätte kein Aufenthaltsort für Deinesgleichen.«

Da neigte sie traurig das Haupt, er aber nickte ihr zu und fuhr freundlich fort: »Der Arzt Ptolemäus, der Dein volles Zutrauen verdient, rühmte Dich als ein verständiges Mädchen, und Du wirst mir das Werk, das recht leidlich gelang, nicht verderben. Aber nun lebe wohl; dort warten noch andere Kranke.«

Damit reichte er ihr die Hand zum Abschied; doch als sein Auge dabei ihrem unter Thränen glänzenden Blicke wieder begegnete, frug er sie nach Namen und Herkunft.

Es schien ihm wie eine gute Vorbedeutung für die kommenden schweren Stunden, die er dem Kaiser zu widmen hatte, beim ersten Tagewerk einer so reinen und schönen Menschenblüte begegnet zu sein.

Nachdem sie ihm den eigenen Namen und den des Vaters genannt und ihm auch von ihrem Bruder, dem Philosophen, und Alexander, dem Maler, gesprochen hatte, der schon jetzt zu den ersten Meistern der Stadt gehöre, erwiderte er heiter: »Seinen Genius in Ehren; doch unter den Blinden, weißt Du, ist der Einäugige König. Wie die alten Götter bei euch vor lauter neuen kaum mehr zu Worte kommen, so schweigen auch die Musen. Das viele wahrhaft Schöne, das man hier sieht, ist nicht neu, und das Neue leider nicht schön. Aber die Werke Deines Bruders,« fügte er begütigend hinzu, »mögen eine Ausnahme bilden.«

»Du solltest seine Bildnisse nur sehen!« rief Melissa eifrig.

»Ist vielleicht das Deine darunter?« fragte der Arzt gespannt, »das wäre ein Andenken, das ich gern nach Rom mitnehmen würde.«

Alexander hatte Melissa vor kurzem gemalt, und wie freute sie sich, dies Bild dem verehrten Manne, dem sie so Großes schuldete, darbieten zu können. Sobald sie nach Hause komme, versprach sie errötend, werde sie es ihm schicken.

Dies unerwartete Geschenk bereitete dem Greise großes Vergnügen, und als er ihr lebhaft und mit schlichter Herzlichkeit dankte, unterbrach sie ihn mit der Versicherung, daß man in Alexandria die Kunst doch noch nicht zu Grabe trage. Der Laufbahn ihres Bruders drohe freilich ein frühes Ende; denn er schwebe in großer Gefahr.

Da begehrte der Greis, der nun auf dem Sessel Platz genommen hatte, der ihm von dienstfertigen Aerzten zugeschoben worden war, zu wissen, wie es sich damit verhalte, und Melissa berichtete kurz, was Alexander gefehlt, und wie nahe er gestern schon daran gewesen sei, den Häschern in die Hände zu fallen.

Dann blickte sie den Greis bittend an; und wie er ihre Schönheit gerühmt hatte, so floß ihr nun – sie wußte selbst nicht, woher sie den Mut nahm – das Lob seines Ruhmes, seiner Größe und Güte von den Lippen.

Mit der Bitte, dem Kaiser, der ihn gewiß wie einen Vater ehre, zu bewegen, die Verfolgung ihres Bruders einzustellen, schloß sie das kühne Gesuch.

Während der letzten Sätze waren die Züge des Arztes immer ernster geworden, mehrmals hatte er den weißen Bart wie beunruhigt gestrichen, und als sie bei den letzten leisen Worten den schüchtern gesenkten Blick zu ihm aufzuschlagen wagte, erhob er sich mühsam und sagte im Tone des Bedauerns: »Wie möchte ich der Schwester verargen, daß sie für den gefährdeten Bruder an manche Thür klopft; doch gäbe ich viel darum, wär' es nicht an der meinen geschehen. Versagen, wo man gern freudig gewährte, ist hart, und doch muß es geschehen; denn Claudius Galenus thut zwar für Bassianus Antoninus, den Kranken, sein Bestes wie für jeden andern Patienten, Bassianus der Mensch und der Kaiser sind ihm aber so fremd, wie das Feuer dem Wasser, und so soll und wird es auch während der kurzen Spanne Zeit bleiben, die es mir und auch ihm noch unter der Sonne zu wandeln vergönnt ist.«

Die letzten Worte hatten herb und abweisend geklungen, und doch fühlte Melissa, wie schwer es dem Greise fiel, ihren Wunsch zu verweigern. Darum bat sie recht warm: »O, verzeihe mir, Herr. Wie konnt' ich auch ahnen . . .«

Dann stockte sie plötzlich und fragte: »Du glaubst also wirklich, dem Cäsar sei nur noch eine kurze Lebensdauer beschieden?«

Aus diesen Worten klang die ängstlichste Spannung, und sie mißfielen dem Galenus; denn der große Menschenkenner deutete sie falsch, und seine leise Stimme klang unwillig, da er versetzte: »Doch wohl eine genügend lange, um eine Kränkung zu strafen.«

Melissa war bei diesen strengen Worten erblaßt. Sie meinte ihren Sinn zu erkennen, und – gedrängt von der lebhaften Besorgnis, von diesem Manne verkannt zu werden – rief sie eifrig: »Ich wünsche ihm gewiß nicht den Tod, nein, sicherlich nicht, trotz meines Bruders. Doch vorhin sah ich ihn aus der Nähe, und da meinte ich zu erkennen, daß große Schmerzen ihn quälten. Man beklagt ja auch ein Tier, wenn es leidet. Er ist noch so jung, und es muß so schwer sein zu sterben.«

Da nickte Galenus ihr beifällig zu und versetzte: »Für dies Wort dank' ich Dir im Namen meines Patienten im Purpur. Schicke mir nur Dein Bild! Doch bald; denn schon vor Sonnenuntergang besteig' ich das Schiff. Ich werde gern an Dich denken. Was die Leiden des Cäsar betrifft, so sind sie so schwer . . . Nicht Deinem Feind, Kind, würde Deine freundliche Seele sie wünschen. Meine Kunst besitzt wenig Mittel, sie zu lindern, und die Unsterblichen finden sich wohl kaum bereit, die Last zu erleichtern, die sie diesem Mann auferlegten . . . Von den Millionen, die vor ihm zittern, opfert oder betet wohl keiner und keine aus freiem Antrieb für das Wohl dieses Herrschers.«

Da leuchtete das Auge Melissas in enthusiastischem Glanze auf, – doch Galenus nahm es nicht mehr wahr; denn er hatte ihr nach einem kurzen Lebewohl den Rücken gewandt, um sich neuen Kranken zu widmen.

»Es lebt doch eine,« sagte sie sich, während sie dem Arzte nachschaute, »die für diesen Unglücklichen aus freien Stücken beten möchte und opfern; Diodor, ich weiß es, wehrt es mir nicht.«

Damit wandte sie sich dem Andreas zu und ließ sich von ihm zu dem Geliebten führen.

Jetzt schlummerte er wirklich und nahm den Kuß nicht wahr, den sie ihm auf die Stirn hauchte. – Ihn liebte sie, dem leidenden Uebelthäter gehörte nur ihr Mitleid.

Draußen preßte sie die Hand aus die Brust, schöpfte, wie aus einem Kerker befreit, tief Atem und rief: »Der Kopf ist mir ganz wirr von dem Duft da drin und all der Angst und Besorgnis; aber, Andreas – so froh und dankbar hat mir das Herz doch nimmer geschlagen. Jetzt muß ich aber die Gedanken zusammennehmen, um daheim auf dem Platz zu sein; denn der Philipp . . . Und dann . . . Ewige Götter . . . Der alte, gefällige, römische Herr, der Samonicus, wird sich bald zum Stelldichein beim Aphroditetempel begeben. Sieh nur, wie hoch die Sonne schon steht. Laß uns schneller gehen; denn ihn warten zu lassen . . .«

Hier unterbrach sie der Christ mit dem Rufe: »Täusche ich mich nicht, so steht der Römer auf dem offenen Wagen, der dort die Rampe herabkommt.«

Er hatte recht gesehen, und um weniges später hielt das Gespann des Samonicus neben Melissa, und sie wußte ihm das Geschehene in so schonender und anmutiger Weise mitzuteilen, daß er, weit entfernt, sich verletzt zu fühlen, ihr Glück zu dem Beistand wünschte, den sein großer Freund ihrem Verlobten geleistet. Seine Zusage habe ihm ohnehin Sorgen bereitet; denn zwei schwere Aufgaben an einem Tage zu lösen, sei in seinem Alter zu viel, und am Abend habe er an dem Gastmahl teilzunehmen, zu dem sich der Kaiser bei dem Kaufherrn Seleukus geladen.

»Dem Bruder des Oberpriesters?« frug Melissa erschrocken; denn der Tod hatte ja dem Hause dieses Mannes erst vor kurzem die einzige Tochter geraubt.

»Demselben,« lautete die heitere Antwort. Dann reichte er ihr die Hand mit der Versicherung, daß die Erinnerung an sie es ihm erleichtern werde, gern an Alexandria zu denken.

Während sie einschlug, trat Andreas schnell auf ihn zu, verneigte sich ernst und fragte, ob es unbescheiden sei, wenn er, der ein naher Freund des Hauses dieser Jungfrau sei, ihn, den hochangesehenen Vertrauten des Kaisers, in ihrem Namen um eine Gunst ersuche.

Da schaute der Römer den Andreas prüfend an, und weil ihm das männlich vornehme, ja trotzig selbstbewußte Aeußere des Freigelassenen, in dessen Erscheinung er alles wiederzufinden meinte, was er sich unter einem echten Alexandriner dachte, Zutrauen einflößte, forderte er ihn auf, ohne Scheu zu reden. Er hoffte dabei etwas für die Weise der Bürger dieser Weltstadt Bezeichnendes zu hören, um beim Gastmahl den Kaiser damit zu unterhalten.

Als er dann vernahm, daß es sich um den Bruder Melissas handle, der ein hervorragender Künstler sei, lächelte er erwartungsvoll. Auch nach der Mitteilung, daß Alexander wegen eines leichtsinnigen Scherzes auf die Person des Herrschers verfolgt werde, drohte er Melissa nur schalkhaft mit dem Finger; sobald er aber vernahm, daß Alexanders Spott sich auf die Ermordung des Geta durch seinen kaiserlichen Bruder beziehe, schrak er zusammen, und der Ton seiner Stimme gab dem ernsten Unwillen, der ihn erfüllte, deutlichen Ausdruck, als er den Bittstellern zurief: »Glaubt ihr, ich hätte wie der Cerberus zu Füßen eures Serapis drei Köpfe, daß ihr mir zumutet, den einen für das Lächeln eines hübschen Gesichtes auf den Henkerblock zu legen?« Dann gab er dem Rosselenker ein Zeichen, und die Rappen eilten mit dem leichten Fuhrwerk über den Platz in die Straße des Hermes.

Der Freigelassene schaute ihm achselzuckend nach und murmelte dumpf vor sich hin: »Meine erste Bitte an einen Großen und sicher die letzte.«

»Der Feigling!« rief Melissa; Andreas aber sagte mit einem überlegenen Lächeln: »Laß uns auch daraus die Lehre nehmen, Kind: Wer auf die Hilfe anderer rechnet, der ist übel bestellt. Auf Gott allein sollen wir uns verlassen und die eigene Kraft.«


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