Georg Ebers
Per aspera
Georg Ebers

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Zehntes Kapitel.

Der nubische Hafenwächter hatte die Frauen mit seinem Gehilfen schnell über den See geführt. Jetzt bog Melissa mit der Schaffnerin von der Uferstraße aus in eine Gasse ein, die zu derjenigen führen mußte, in der das Christenhaus lag.

Doch schon während sie ihr folgte, erwachten Zweifel in ihr, ob sie den rechten Weg gefunden habe. Als aber die nächste Straße bei einem Tempelchen mündete, das sie sicher noch nie gesehen hatte, wußte sie sich keinen Rat mehr; denn die kleineren und größeren Gassen lagen hier in labyrinthischem Gewirr durcheinander, und sie mußte bald der Begleiterin gestehen, die Richtung verloren zu haben.

Heute morgen hatte sie sich auf die Ortskunde des Andreas verlassen und, in lebendigem Gespräche mit ihm, auf nichts anderes geachtet.

Was war zu thun?

Nachdenklich blieb sie stehen, und dabei kam ihr die Stelle in den Sinn, an der sie dem Einzuge des Kaisers zugeschaut hatte, und diese getraute sie sich ebensowohl wieder zu erkennen, wie von ihr aus den Weg in die gesuchte Gasse zu finden.

Die Straße des Hermes war schnell zu erreichen; denn man hörte schon den Lärm der Nachtschwärmer, die sich auf dieser belebten Verkehrsader heute noch zahlreicher als sonst hin und her bewegten. Ihr galt es jetzt bis an das Tempelchen der Aphrodite zu folgen, und das war ein Wagnis; denn die Menschenmenge, die sich zu dieser Stunde dort herum trieb, konnte zwei einsamen Frauen leicht lästig fallen.

Aber die Schaffnerin war ein derbes, entschlossenes Weib im Anfang der sechziger Jahre, und Melissa fürchtete sich vor keiner Gefahr und meinte sich genügend geschützt, wenn sie mit Hilfe des Kopftuches das Antlitz den Blicken der Nachtwandler entzog.

Während sie sich klopfenden Herzens und doch entschlossen, um jeden Preis das gesuchte Haus zu finden, der Hermesstraße näherte, hörte sie in einer Nebengasse menschliche Stimmen, doch achtete sie ihrer kaum; denn wie hätte sie ahnen können, daß, was sie sagten, sie selbst nahe genug anging.

Das Gespräch wurde vor dem Thor eines großen Hauses zwischen einer Frau und einem Manne im weißen Gewand eines christlichen Priesters geführt; im Schatten eines Vorbaues des gegenüberliegenden Gebäudes aber stand ein Jüngling, dessen Lockenhaupt die Kapuze einer langen Caracalla bedeckte, und lauschte, dicht an die Mauer gedrückt mit verhaltenem Atem.

Alexander, der Maler, war der Horcher.

Er stand hier schon lange und wartete auf die Rückkehr der schönen Christin Agathe, der er über den See gefolgt und die unter Führung einer christlichen Diakonissin in dem großen Hause verschwunden war.

Bald nachdem sich das Thor hinter ihr geschlossen, waren ihr mehrere Männer gefolgt, die er im Dunkel der schmalen Gasse – denn der Mond stand noch niedrig – nicht zu erkennen vermochte.

Es war ja Thorheit, doch den einen hatte er anfänglich für den Vater gehalten; denn seine tiefe, laute Stimme glich aufs Haar der des Alten, und noch merkwürdiger war es, daß die Antwort, die der zweite Mann jenem erteilte, aus dem Munde seines Bruders Philipp zu kommen schien. Aber beide konnten zu so später Stunde eher auf dem fernen Aetna sein als in diesem Viertel der Stadt.

Das Warten dauerte dem ungeduldigen Künstler lange genug, und während er auf der Eselkrippe saß, die vor der Thür des nächsten Hauses stand, übermannte ihn der Schlaf. Nach der letzten durchwachten Nacht durfte er wohl müde sein, und als er die Augen wieder aufschlug und in die Gasse schaute, die jetzt der Mondschein erhellte, wußte er nicht, wie lang er geschlummert.

Vielleicht war die Erwartete schon aus dem Hause getreten, und doch mußte er sie um jeden Preis wiedersehen; denn sie glich der verstorbenen Korinna, die er gemalt, so wunderbar, daß er sich des Gedankens nicht erwehren konnte, vielleicht – und nach der Rede des Magiers Serapion wäre das ja möglich gewesen – der abgeschiedenen Seele der entschlafenen Jungfrau begegnet zu sein.

Es hatte ihn Mühe gekostet, den Glaukias, mit dem er über den See gefahren war, zu bestimmen, ihm allein die Verfolgung dieses selten schönen Geschöpfes zu überlassen, und wahrscheinlich wäre sein Bitten vergeblich gewesen, wenn es den Bildhauer nicht gereizt hätte, sein letztes Werk, das sein Sklave ihm nachtrug, den Freunden im »Elefanten« zu zeigen. Es waren Spottbilder des Kaisers, den er vor dem kanopischen Thore gesehen, und die es ihm vorhin im Hause des Polybius mit wenigen glücklichen Griffen zu modelliren gelungen.

Nachdem Alexander erwacht war, stellte er sich in den Schatten des Vorbaus, der dem Hause gegenüber lag, welches das schöne Ebenbild Korinnas aufgenommen hatte, und von nun an brauchte er nicht mehr lange auf Zerstreuung zu warten; denn aus dem hohen weißen Gebäude trat ein Mann und schaute in die Gasse hinaus. Das Mondlicht gestattete dem Künstler, jenen und alles, was sich später begab, zu erkennen.

Der schlank gewachsene Bursche an der Thür trug das Gewand eines christlichen Priesters, doch schien er Alexander zu jung für diese Stellung. Auch sollte er bald erkennen, daß der andere nicht war, was er schien, und daß er etwas Betrügerisches im Sinne trug; denn als diejenige zu ihm gestoßen war, auf die er gewartet haben mochte, tadelte sie ihn wegen seiner Unvorsichtigkeit; er aber versetzte munter, daß es ihm zu heiß in der Verkleidung geworden. Dann holte er einen falschen Bart hervor und wies ihn der Frau, welche eine christliche Diakonissin zu sein schien, mit dem Rufe: »Das wird genügen!«

In schneller Rede, von der dem Horcher manches Wort entging, berichtete er sodann, Serapion habe heute viel gewagt und die Vorstellung ein häßliches Ende genommen; denn die Christin, die er so fein über den See gelockt, sei ängstlich geworden und habe zu wissen begehrt, wo sie sich befinde.

Da schrak die Diakonissin zusammen und bestürmte den Burschen mit leisen Fragen; er aber schob die Schuld auf den Philosophen, den der Meister gestern gefangen. Wie das Weib dann Näheres über das Vorgefallene zu wissen begehrte, erstattete er einen kurzen Bericht.

Es war derselbe Kastor, der in der Wohnung des Serapion heute morgen ein Rad geschlagen hatte, und dessen Geschicklichkeit dort so warm gelobt worden war.

Die schöne Agathe, begann er, habe sich, nachdem er sie am Mittag im Namen des Patriarchen Demetrius zu einer Versammlung geladen, gegen Sonnenuntergang am Fährhause eingefunden. Es sei ihr mitgeteilt worden, es solle den christlichen Jungfrauen mancherlei eröffnet werden, das keinen Aufschub dulde, besonders aber wolle man beraten, was der Forderung des Präfekten gegenüber, sich an einem Aufzug zu Ehren des Kaisers zu beteiligen, zu thun sei. Beim Fährhause habe die alte Dorothea das Mädchen in Empfang genommen und hieher geführt. Die Frau, die das Mädchen von drüben her begleitet, sei schwerlich die klügste gewesen; denn Dorothea habe sie leicht bestimmt, ihr während der Versammlung in ihre Wohnung zu folgen.

»Dort,« fuhr der Verkleidete eilig fort, »wird die Wärterin des Mädchens wohl etwas Berauschendes mit dem Wein oder Fruchtsaft zu sich genommen haben, und sie schläft jetzt im Fährhaus oder wohin Dorothea sie sonst im Taumel führte; denn bei ihr durfte die Frau nicht erwachen.

»So war alles bestens aus dem Wege geschafft, was unbequem werden konnte, und nachdem der Syrer der schönen Agathe im Gewand eines christlichen Presbyters mitgeteilt hatte, was der Patriarch den Jungfrauen gebiete, führte ich sie zu der Bühne, auf der die Zuschauer die Geister durch das Fensterchen erblicken.

»Der Syrer hatte ihr geboten, so und so viele Gebete für die durch den Kaiser gefährdete Gemeinde zu sprechen, und – goldene Aphrodite! – wie gehorsam betrug sich das Schäfchen. Auf den Knieen und mit hoch erhobenen Armen und Augen flehte sie zu ihrem Gotte. Aber da . . . Hörst Du nichts? Es regt sich im Hause, und ich . . . Doch ich bin gleich am Ende.

»Sie sollte also dem Philosophen erscheinen, und wie der eine Weile wie verzückt durch das Fensterchen auf sie hingeschaut hat, ruft er plötzlich: ›Korinna!‹ und wieder ›Korinna!‹ und dazu allerlei unsinniges Zeug, obgleich ihm Serapion streng verboten hatte, auch nur einen Laut von sich zu geben. Natürlich ward das Fenster sogleich mit dem Vorhang verschlossen; Agathe hatte aber das Rufen gehört, und wie sie nun angstvoll zu wissen begehrte, wo sie sei und nach Hause verlangte, – da war Serapion wieder einmal groß. Du hättest mit anhören sollen, wie der Fuchs die Taube zu beschwichtigen wußte und mir zu gleicher Zeit zuraunte, was nun Deine Aufgabe ist.«

»Die meine?« fragte das Weib verdrossen. »Wenn er denkt, ich setze um seines schönen Bartes willen meine Stellung in der Gemeinde aufs Spiel . . .«

»Gemach,« fiel ihr Kastor beschwichtigend ins Wort. »Es handelt sich nicht um den Bart des Herrn, sondern um schwerere Dinge. Zehn vollwichtige Solidi verspricht er, wenn Du die Agathe mit zu Dir nimmst oder über den See führst und Dir das Ansehen gibst, als habest Du sie vor Mysten oder Zauberern errettet, die sie zu irgend einem Zweck in ihre Mitte gelockt. Sie kennt Dich als christliche Diakonissin und folgt Dir gewiß. Wenn Du sie ihrem reichen Vater zurückgibst, gehst Du ebensowenig ganz leer aus. Sage ihm, Du habest ihre Stimme auf der Straße vernommen und ihr mit Hilfe eines wackern Greises – das bin ich – auf jede Gefahr hin Beistand geleistet. Fragt er nach dem Schauplatz Deiner Heldenthat, so bezeichne irgend ein Haus, nur nicht dies. Das Ganze schiebst Du wohl am besten dem Wunderthäter Hananja in die Schuhe, der es schon lang um uns verdient hat. Doch vorgeschrieben soll Dir nichts werden; denn Deiner Klugheit reicht die unsere doch nicht das Wasser.«

»Schmeicheleien helfen mir nichts,« unterbrach ihn das Weib. »Wo ist das Gold?«

Da reichte ihr Kastor die in Papyrus gewickelten Solidi und fuhr dann fort: »Nur noch einen Augenblick! Das weiße Gewand muß herunter. Die Kleine darf mich nicht wieder erkennen. Ich dringe mit Dir ins Haus, Du hast mich – einen alten, fremden Mann – auf der Straße gefunden und zu Hilfe gerufen. Verloren ist bei dem allen nichts als Dorotheas Ruf unter den Christen. Ja, wir werden sie aus der Stadt zu schaffen haben. Dich und die Agathe muß ich begleiten; denn es darf dem Mädchen unterwegs nichts Kränkendes widerfahren. Der Meister hat es dringend befohlen, und in dieser Nacht kommt so viel Schönheit nicht unangefochten durch die lebhafteren Straßen. Ich habe dabei natürlich auch die Deine im Sinne.«

Hier lachte Kastor munter auf, ballte das weiße Gewand zusammen, und als Alexander aus dem Versteck auf ihn hinsah, schüttelte er erstaunt den Kopf; denn der betrügerische Gesell, der eben noch so jugendfrisch und aufrecht dagestanden hatte, bot in der gebückten Haltung, die er eingenommen, und dem langen weißen Barte, den er sich schnell an das Kinn befestigt hatte, das Ansehen eines müden, ärmlichen Greises.

»Ich will Dich!« murmelte Alexander in seinem Versteck und erhob drohend die Faust gegen den Ränkeschmied, der mit der falschen Diakonissin ins Haus getreten war.

Serapion war also ein Betrüger und der vermeinte Geist Korinnas eine christliche Jungfrau, die man schmählich hinterging. Aber er wollte sie bewachen und den lachenden Ränkeschmied zur Rechenschaft ziehen.

Vor allem lag ihm daran, mit ihr in Verbindung zu bleiben. Das Glück seines Lebens, er fühlte es, hing davon ab. Die Götter hatten sie für ihn gleichsam vom Tode erweckt. In ihr sah er alles vereint, was ihm wert war. Ins Unbedeutende versank alles andere vor dem einen Wunsch, sie zu besitzen. Sie war in diesem Augenblick seine Welt, und was es außer ihr gab: die Häscher, die ihn bedrohten, der Vater, die Geschwister, die hübsche Ino, die er in der vergangenen Nacht treuer Liebe versichert, hatten aufgehört, für ihn zu sein.

Ganz erfüllt von dem Verlangen nach ihr, verwandte er keinen Blick von der Thür ihm gegenüber, und als das Ebenbild Korinnas endlich mit der Diakonissin, die er Elisabeth nennen hörte, mit dem Kastor ins Freie getreten war, folgte Alexander dem ungleichen Kleeblatt, und er mußte die Füße heben; denn anfänglich gingen sie schnell und als fürchteten sie, eingeholt zu werden, in die nächste Gasse.

Vorsichtig hielt er sich dicht an den beschatteten Häusern, und als sie endlich stehen blieben, that er das Gleiche.

Die Diakonissin fragte jetzt die Jungfrau, wohin sie geführt zu werden wünsche. Wie sie aber verlangte, in ihrem Boote, das am Fährhause warte, heimzukehren, stellte die Diakonissin ihr vor, daß dies wegen der trunkenen Matrosen, die zu dieser Stunde das Ufer des Sees unsicher machten, nicht wohl angehe. Sie könne ihr darum nur raten, in ihrem Hause vorlieb zu nehmen, bis es wieder tage. Der freundliche Alte dort – und damit wies sie auf den Kastor – werde ihren Rudersklaven gewiß gern mitteilen, daß die Ihren wegen des Ausbleibens unbesorgt sein dürften.

Beide Frauen standen bei diesem Gespräch im hellen Mondschein, und die blassen Strahlen des Gestirnes der Nacht, die das schöne, unverschleierte Antlitz Agathens streiften, verliehen ihm jene bleiche, leichenhafte Färbung, die Alexander auf dem Bildnis Korinnas wiederzugeben versucht hatte. Da durchschauerte ihn abermals der Gedanke, daß sie eine auferstandene Tote sei, die ihn sich nachziehe, vielleicht in die Gruft, die sie verlassen.

Aber gleichviel! Hatten ihn auch die Sinne getäuscht bei allem, was er eben erlauscht, war das bleiche, unsagbar schöne Frauenbild dort eine Lamie, eine Empuse aus Hekates finsteren Reichen – wie zu einem Freudenfest sollte er ihr folgen, wohin sie begehrte, nur um in ihrer Nähe zu bleiben.

Jetzt dankte Agathe der Diakonissin und schlug die Augen auf, um ihr ins Antlitz zu schauen, und das waren zwei große, dunkle, unter Thränen leuchtende Sterne, die eher allem andern glichen als jenen Augen, die ein Schreckgespenst sich selbst aus den Höhlen nimmt, um sie dem Verfolger wie Bälle oder Steine ins Antlitz zu schleudern. O, wenn diese Augen doch je so in die seinen schauen wollten, wie sie jetzt der trügerischen Frau warm und dankbar entgegen blickten!

Mühsam kämpfte er an gegen das Verlangen, dem freventlichen Spiele, das Ruchlose mit der holdesten Unschuld trieben, jetzt schon ein Ende zu machen, doch es gelang ihm; denn die Gasse war menschenleer, und wenn es zwischen ihm und dem gebückten Greise dort, dessen kräftige und geschmeidige Glieder er vorhin wahrgenommen hatte, zum Kampfe kam und er, Alexander, würde von einem Messerstich des Schurken getroffen, – denn als Ringer fühlte er sich jedem gewachsen – dann war Agathe des Beschützers beraubt und ganz und gar in die Hand des Betrügers gegeben. Das durfte nicht sein, und er hielt an sich, auch da er den Wohllaut ihrer Stimme vernahm und mit ansehen mußte, wie sie dem vermeinten Alten dankbar die Hand drückte, er aber sich mit väterlich freundlichen Geberden herausnahm, ihr den Scheitel zu küssen und ihr dann half, das Kopftuch über das Haupt zu ziehen. Die Straße des Hermes, wo die Diakonissin wohnte, sagte er, sei belebt, und die Gottesgabe der Anmut, womit der Himmel sie gesegnet habe, werde dort ruchlose Sündenknechte anziehen, wie das Licht die Fledermäuse und Mücken.

Wie salbungsvoll klang dabei die Stimme des Heuchlers, und wie ernst und fromm wußte die falsche Diakonissin zu reden. Jetzt erst sah er, daß sie eine Frau in mittleren Jahren war, und mit wachsender Entrüstung fragte er sich, ob man den Göttern, die solchem verbrecherischen Scheusal so sanfte, gewinnende Züge schenkten, nicht vorwerfen dürfe, den Redlichen damit Fallstricke zu legen? In der That war das Antlitz dieses Weibes ebenso wohlgeformt wie sanft und gewinnend.

Alexander verwandte keinen Blick von Agathe, und sein Künstlerauge schwelgte im Anblick ihres elastischen Ganges und ihrer schlanken, wohlgebildeten Gestalt. Vor allem entzückte ihn die Art, wie sie das Haupt leicht nach vorn senkte, und so lang der Weg sie durch die stille Gasse führte, ward er nicht müde, sie mit lieblichen Dingen zu vergleichen: mit einer Mohnblume, deren Blüte den Stengel biegt, einer Weide, welche die Krone über das Wasser neigt, mit der pfeilfrohen Artemis, die, während sie im Mondenschein jagt, nach dem Wilde ausspäht.

Unbemerkt und mühelos war er den Dreien so bis zur Straße des Hermes gefolgt; dort aber ward seine Aufgabe schwerer; denn die Wege wimmelten von Menschen.

Zu fünf und sechs wandelten ältere Männer, die zu späten Zusammenkünften gingen oder von solchen zurückkehrten, in ernsten Gesprächen dahin, Priester und Tempeldiener kamen ermüdet von nächtlichen Weihen und Zeremonien; am zahlreichsten aber waren die Jünglinge und Männer, die bekränzt und unbekränzt, mehr oder weniger trunken eben noch gezecht hatten, und die leichten Dirnen, die nach Begleitern ausschauten, oder, von heiteren Bewerbern umgeben und verfolgt, hier anzulocken strebten, dort abwiesen, was ihnen mißfiel.

Das Licht der Pechpfannen, das die Straße erhellte, spiegelte sich hier in begehrlich blitzenden, von Leidenschaft und Rausch glühenden Augen, dort im Waffenschmuck römischer Krieger. Die meisten gehörten zum Gefolge des Kaisers. Wie im Felde suchten sie auch im Frieden der Stadt den Sieg zu ertrotzen, und mancher Grieche überließ den wohlbegründeten Anspruch auf eine Schöne murrend, doch widerstandslos einem Tribun oder Centurio. Wo der Alexandriner höflich auswich, brachen sie sich Bahn oder stießen im sicheren Gefühle, die bevorzugten Stützen des Kaisers und in seiner Nähe unverletzbar zu sein, was ihnen im Wege stand, zur Seite.

Laut und rauh erschütterten ihre barbarischen Stimmen die Luft und brachten die Gespräche und Scherze der Griechen zum Schweigen, die selbst im Rausche und in ausgelassener Freude die Feinheit ihres Wesens bewahrten. Dafür begegnete den Kriegern nur selten ein freundlicher Blick aus dem Auge eines Alexandriners; den Mädchen aber war das Gold dieser wüsten Gesellen nicht weniger willkommen als das der Söhne ihres Volkes.

Das Feuer in den Pechpfannen beleuchtete auch manchen Auflauf, der sich blitzschnell bildete, wo Hellenen und Römer aneinander gerieten. Freilich gelang es den Lictoren und Bütteln der Stadt gewöhnlich sehr schnell, die Streitenden auseinander zu treiben; denn ein Befehl der Obrigkeit gebot ihnen, sich stets auf Seiten des Römers zu stellen.

Redende und streitende Männer, lachende und singende Weiberstimmen mischten sich in die Kommandorufe der Lictoren. Flöten- und Lautenspiel, Cymbel- und Tamburinklänge drangen aus den offenen Weinstuben und Garküchen auf die Straße, und von dem runden Venustempelchen her, bei dem der römische Arzt Melissa morgen früh aufzusuchen versprochen, ließ sich das Jauchzen und Gelächter ausgelassener Liebespaare am lautesten vernehmen.

Sonst war die kanopische Straße die belebteste der Stadt, in dieser Nacht aber hatte die des Hermes ihr den Rang abgelaufen; denn sie führte zu der Wohnung des Caracalla im Serapeum, und von ihm aus ergoß sich ein Strom von Vergnügungssüchtigen in die Hochflut derer, die heranwogte, um einen Blick auf den Glanz des kaiserlichen Hofhaltes und das Lager auf dem Serapeumsplatze zu werfen.

Die ganze Straße glich einem Festsaal, und Alexander hatte der Jungfrau und ihrem Begleiter oft von den Säulengängen neben den Häusern auf den Fahrweg zu folgen; denn hier galt es dem Gedränge, dort einzelnen Trunkenen, Zudringlichen oder Händelsuchenden auszuweichen.

Dennoch verstand der falsche Greis, dem Mädchen, dessen Gestalt und Antlitz das Kopftuch den Vorübergehenden verbarg, so geschickt Bahn zu brechen, daß sich dem Alexander keine Gelegenheit bot, ihr beizuspringen und ihr seine Hingebung durch eine mannhafte That zu beweisen.

Daß es seine Pflicht sei, die Jungfrau vor der Gefahr zu behüten, eine ganze Nacht unter dem Schutz dieser käuflichen Betrügerin und ihres ruchlosen Spießgesellen zuzubringen, hatte der Jüngling sich schon lange gesagt, doch der Gedanke, daß ein Angriff auf ihre Begleiter sie den Blicken der Menge aussetzen und sie in eine schlimme Lage bringen werde, hielt ihn noch zurück.

Jetzt blieben die drei unter dem Säulengange zur Linken der Straße stehen. Kastor ergriff von neuem die Hand der Jungfrau und verhieß ihr beim Abschiednehmen mit lauter Stimme, sie morgen früh aufzusuchen, um sie an den See zu begleiten; Agathe aber dankte ihm wieder warm und herzlich.

Da war es, als treibe der Sturm die Mäßigung Alexanders in alle Winde, und bevor er sich dessen selbst versah, stand er zwischen dem Betrüger und der jungen Christin, trennte ihre Hände mit einem raschen Griffe, schlug die starke Rechte um den Unterarm des Kastor, hielt Agathes Linke mit der seinen fest und rief ihr zu: »Man treibt ein verruchtes Spiel mit Dir, schöne Jungfrau, und auch dies Weib hintergeht Dich. Der dort« – und damit gab er den Arm des Verkleideten, der sich wütend, doch vergeblich, ihm zu entringen versuchte, frei und riß ihm den falschen Bart vom Antlitz – »ist ein verruchter Betrüger.«

Da schrie Agathe, die bis dahin sich gleichfalls von seiner Hand zu befreien versucht hatte, hell auf vor Schreck und Entrüstung; der entlarvte Uebelthäter aber zog dem Gegner mit einem behenden Griff die Kapuze der Caracalla vom Haupt, sprang ihm mit der Wut und Gewandtheit eines Panthers an den Hals und rief in schneller Geistesgegenwart um Hilfe.

Auch Kastor war stark, und während Alexander sich bemühte, ihn mit der Rechten von sich abzuwehren, ohne die Hand Agathes freizugeben, zog das Geschrei der Diakonissin und ihres Spießgesellen immer mehr Menschen herbei.

Im Nu waren sie rings von Neugierigen umgeben, die lachend und scheltend die Ringenden anfeuerten oder sie zur Ruhe verwiesen. Während es aber dem Künstler eben gelang, dem Gegner die Hand umzubiegen, und ihn zu einem Kniefall zu zwingen, schrie hinter ihm eine hohe Stimme in triumphirender Schadenfreude: »Da säße denn der Spottvogel im Garn. Wer heißt auch den Fuchs den Hasen würgen, während der Jäger ihm nachsetzt!«

»Zminis!« rief Alexander bestürzt, und jetzt erst wurde ihm voll bewußt, daß Freiheit und Leben hier auf dem Spiel ständen. Wie der Hirsch, den die Meute umringt, wandte er das Lockenhaupt, nach einem Ausweg spähend, hierhin und dorthin, und als sein Blick wiederum die Stelle traf, wo sein Gegner gestanden hatte, fand er sie leer; denn der flinke Gaukler hatte sich behende aus dem Staube gemacht und unter der Menge verloren.

Aber des Künstlers Blick war auch einem Augenpaare begegnet, das ihn mit seiner ruhigen Klarheit sich selbst zurückgab und ihn aufrief, nach Sammlung und Besonnenheit zu ringen. Es war das seiner Schwester Melissa, die, während sie mit ihrer Begleiterin den Auflauf umging, die Stimme des Bruders erkannt hatte. Trotz der eifrigen Mahnung der Schaffnerin, sich nicht in das Gedränge zu mischen, war sie vorwärts gedrungen und hatte sich, während die Sicherheitswächter den Auflauf auseinandertrieben, dem unvorsichtigen, schwer gefährdeten Liebling genähert.

Alexander hielt immer noch die Hand Agathes in der seinen.

Zitternd und von Todesangst ergriffen wußte die Jungfrau nicht, wie ihr geschah. Ihr greiser Begleiter war ein junger Bursche und also ein Betrüger. Was sollte sie von der Diakonissin halten, die gemeinsame Sache mit ihm machte, was von dem herrlichen Jüngling, der die Schändlichen entlarvt und sie vielleicht vor dem furchtbarsten Schicksal errettet hatte?

Wie bei einem schweren Ungewitter Blitz auf Blitz, so folgte in dieser gräßlichen Nacht ein Schrecknis dem andern, um ihr, die an ein stilles Leben unter guten, friedfertigen Menschen gewöhnt war, den Geist zu verwirren.

Jetzt legte der Sicherheitswächter die Hand an denjenigen, der mutig für sie eingetreten war und dessen helle Augen sie so treu und liebevoll angeschaut hatten. Ins Gefängnis wollte man ihn führen, und so war auch er vielleicht ein Verbrecher. Bei diesem Gedanken versuchte sie ihm die Hand zu entziehen; er aber ließ sie nicht los; denn die Diakonissin war ihr genaht und gebot ihr im Tone frommer Entrüstung, sich fortzuheben von dieser Stätte des Greuels und ihr in ihr friedliches Heim zu folgen.

Was sollte sie thun?

Angstvoll, unschlüssig, hier von Betrug, dort von Gefahr und vielleicht von Schande bedroht, schaute sie erst auf die Diakonissin, dann auf Alexander, der trotz der Drohungen des Sicherheitswächters den Blick bald auf ihr ruhen ließ, bald nach der Stelle hin schaute, wo er die Schwester gesehen.

Die Lictoren, welche die Menge zurückhielten, hatten auch Melissa den Weg vertreten, aber während das bittende Auge Agathes das des Künstlers traf und es ihm war, als dränge sich ihm alles Blut in das Herz und Antlitz, gelang es der Schwester, sich an seine Seite zu schmiegen.

Und wieder gab ihr Anblick ihm die Fassung zurück, deren er so nötig bedurfte; wußte er doch, daß im nächsten Augenblick seine Hand, die jetzt noch die Agathes festhielt, gefesselt sein werde; denn Zminis hatte seinen Leuten befohlen, an Stelle der in dieser wilden Nacht schon verbrauchten Stricke und Ketten neue zu holen.

Diesem Umstand verdankte er es allein, daß man ihn noch nicht gebunden fortgeführt hatte. Und es lag ihm ja noch ob, die Jungfrau vor der Diakonissin zu warnen, die sie sich nachzuziehen versuchte.

Jetzt sagte ihm der schnelle Geist, daß Agathe seiner Schwester eher Glauben schenken würde als ihm, den der Aegypter mehr als einmal einen Missethäter genannt, und wie er die Schaffnerin des Polybius seiner Melissa atemlos, mit wirrem Haar und verschobenem Peplos nachdrängen sah, hellte sich ihm die Seele noch mehr auf; denn mit dieser wackeren Frau trat eine neue Zeugin auf den Plan. Sie mußte Agathe wohl kennen, wenn sie wirklich die Tochter des Zeno war.

Schnell gefaßt verlor er keinen Augenblick, und während Zminis mit seinen Leuten wegen des Gefängnisses verhandelte, wohin man den »Hochverräter« zu führen habe, sobald die erwarteten Fesseln da seien, gab er die Hand des Christenmädchens frei, legte sie in die Melissas und rief: »Das ist meine Schwester, die Braut des Diodor, des Sohnes des Polybius, eueres Nachbars, wenn Du die Tochter des Zeno bist. Sie soll Dich beschützen.«

Agathe hatte indes die Schaffnerin erkannt, und als diese des Künstlers Rede bestätigt, und die Christin Melissa ins Antlitz geschaut hatte, erkannte sie mit dem sicheren Unterscheidungsvermögen eines unschuldigen Frauenherzens, wem sie hier zu trauen habe.

Wie eine Hilfesuchende legte sie den Arm um Melissa, und sogleich wandte die Diakonissin sich mit gut gespielter Entrüstung von ihr ab und eilte in das offene Haus.

Das alles hatte wenige kurze Minuten in Anspruch genommen; als aber Alexander die beiden Wesen, die er am meisten liebte, vereint und Agathe von der Betrügerin getrennt, gerettet und unter gutem Schutze sah, atmete er hoch auf, und wie von einer schweren Last befreit, rief er der Schwester zu: »Sie heißt Agathe, und ihr, dem Ebenbilde der verstorbenen Korinna, gehört von nun an mein Leben. Du sollst es ihr sagen, Melissa.«

Dabei suchte sein heißer Liebesblick das Auge der Christin, und als sie ihn errötend mit dankbarer Innigkeit erwiderte, begann sein frohes Antlitz wieder in der alten übermütigen Daseinslust zu strahlen, und seine Blicke wandten sich abermals auf die Menge.

Was ihm dort wohl begegnet sein mochte?

Melissa sah es plötzlich in all seinen Zügen hell aufblitzen und leuchten, und als der Aegypter Zminis eben dem Büttel winkte, der sich mit einem Seil in der hochgehobenen Hand durch die Nachtwandler Bahn brach, ließ er die ersten Takte eines Schelmenliedes laut erschallen.

Schon im nächsten Augenblicke tönten sie vielstimmig, und als gäbe sie das Echo zurück, aus der Menge wider.

Es war der Ruf, womit die Knaben von der Timagetischen Ringbahn die Genossen zu Hilfe gerufen hatten, wenn sie von denen aus dem Gymnasium der Dioskuren, mit denen sie in Fehde lebten, überfallen worden waren; Alexander aber hatte seine Gespielen Jason und Pappus, den Bildhauer Glaukias und viele andere Künstler auf der Straße bemerkt. Die Beistand heischenden Takte waren verstanden worden, und bevor noch der Sicherheitswächter Zeit fand, dem Untergebenen den Strick abzunehmen, war die Schar der Maler und Bildhauer unter Führung des Glaukias durch die Reihe der Wächter gedrungen, hatte den Alexander in die Mitte genommen und war mit ihm singend und jubelnd von dannen geeilt.

»Folgt ihm! Haltet sie auf! Entreißt ihn den Schurken! Bringt ihn tot oder lebendig! Kaiserlicher Lohn demjenigen, der ihn einfängt!« rief der Aegypter, schäumend vor Wut, den Häschern zu und stellte sich selbst an ihre Spitze; doch die alexandrinischen Nachtschwärmer, von denen viele die Künstler kannten und stets bereit waren, den Sykophanten und Häschern das Spiel zu verderben, drängten sich dicht zwischen die Fliehenden und die Verfolger zusammen und verlegten ihnen den Weg.

Wohl gelang es den Lictoren und Bütteln endlich, sich durch den vielköpfigen schreienden und tobenden Wall von Männern und Weibern zu drängen; doch als sie wieder freiere Bahn fanden, hatte der Künstlerhaufe sich längst in eine Nebengasse geschlagen.


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