Georg Ebers
Per aspera
Georg Ebers

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Der Sklave Argutis erwartete Melissa im Vorsaal. Er mußte eine gute Nachricht bringen; denn helle Freude strahlte ihr aus seinem ganzen Wesen entgegen. Bevor sie noch das Haus verlassen, wußte sie auch, daß der Vater und Philipp zurückgekehrt und wieder frei seien.

Der Sklave hatte der Herrin nichts von dieser frohen Kunde mitteilen lassen, um sich die Lust nicht zu schmälern, sie ihr selbst zu überbringen, und die Freude, die sein Liebling zu erkennen gab, war so groß und lebhaft, wie er erwartet. Auch eilte Melissa zu Johanna zurück, um sie wissen zu lassen, was sie beglückte, und damit sie es ihrer Gebieterin melde.

Auf der Straße berichtete der Sklave, heute in aller Frühe sei das Schiff, das den Vater und Sohn zurückgebracht habe, vor Anker gegangen. Die Gefangenen hätten schon auf der See die Freiheit zurückerlangt, und sich sogleich nach Hause begeben können. Alles sei gut, nur, fügte er zaudernd und immer noch feuchten Auges hinzu, – nur sei es eben jetzt anders als früher und die Alten stärker als die Jungen. Dem Vater habe der schwere Dienst auf der Ruderbank nichts anhaben können, der Philipp aber sei recht elend von der Galeere gekommen, und sie hätten ihn sogleich in die Schlafkammer gebracht, wo ihn Dido jetzt pflege. Es sei gut, daß sie nicht mit angehört, wie der Herr über die bestandene Unbill geflucht und gewettert; das Wiedersehen mit den Vögeln habe ihn indes schnell genug beruhigt.

Bisher war Melissa mit dem Begleiter auf das Serapeum zugegangen, jetzt aber erklärte sie dem Sklaven, daß sie zuerst die Befreiten wiedersehen müsse. Sie bestand auch darauf, obgleich Argutis versicherte, der Herr habe beabsichtigt, sobald er sich von den Spuren des Kerkers und elenden Ruderdienstes im Bade gesäubert, sie bei dem Oberpriester aufzusuchen. Den Philipp werde sie freilich finden; denn er sei zu schwach, das Haus zu verlassen.

Der Alte hatte Mühe, der jungen Herrin zu folgen, und bald schritt sie leichten Fußes über das »Willkommen« auf der Schwelle des väterlichen Hauses. So hell und einladend hatte ihr die rote Mosaikinschrift selten entgegengeleuchtet, und glückselig ward ihr der eigene Name aus der Küche entgegengerufen.

Dieser frohe Gruß durfte der alten Dido nicht nur durch die Thür zurückgegeben werden. Im Nu stand Melissa am Herde, und vor freudiger Rührung keines Wortes mächtig, wies die Sklavin mit Quirl und Gabel bald auf den Topf, in dem ein großes Stück Rindfleisch zu einer Kraftbrühe für den schwachen Philipp verkocht ward, bald auf den Spieß, an dem zwei junge Hähne über dem Feuer sich bräunten, bald auf die Pfanne, worin sie die kleinen Fische briet, die der Heimgekehrte so gern aß.

Dem schweren Seelenkampfe, den die Alte in sich ausgefochten hatte, während die Pflicht sie an den Herd bannte und die Liebe sie von ihm fortzog, war aber bald ein Ende gemacht, und mit beiden Händen auf dem unbeschäftigten dürren Arm der Alten nahm Melissa die zärtlichen Worte in Empfang, welche Dido für sie bereit hielt.

Die Sklavin versicherte, daß sie die Heimgekehrte kaum mit dem Blick, geschweige denn mit den Fingern zu berühren wage, womit sie eben noch Fische geschlachtet; denn sie gehe so vornehm einher wie die Tochter des Alexanderpriesters.

Da lachte Melissa ihr zu; die Sklavin aber erzählte, der Herr sei nicht mehr zu halten gewesen. Die Sehnsucht nach ihr und das Verlangen, mit dem Kaiser zu reden, hätten ihn fortgetrieben, und der Alexander begleite ihn natürlich. Nur der Philipp, das arme, zerschlagene Wurm, sei zu Hause, und sie wiederzusehen, werde ihn besser stärken als die Kraftbrühe und der alte Wein, den der Vater, obgleich er ihn sonst für Libationen am Grabe der Mutter aufspare, für ihn aus dem Speicher geholt.

Bald darauf stand Melissa am Lager des Bruders, und sein Anblick warf einen dunklen Schatten in das helle Licht dieses frohen Morgens. Wohl flog, als er sie erkannte, ein flüchtiges Lächeln über die bleichen, durchgeistigten Züge, die ihr in so kurzer Zeit um ein Jahrzehnt gealtert zu sein schienen, doch schwand es so schnell, wie es gekommen war. Dann blickten die übergroßen Augen wieder stumpf aus den dunklen Schatten, die sie umgaben, und ein wehes Zucken zeigte sich bisweilen an den schmalen, festgeschlossenen Lippen.

Melissa ward es schwer, die Thränen zurückzuhalten; denn was war aus dem Jüngling geworden, der noch vor wenigen Tagen ihnen allen das Uebergewicht seines hellen Geistes so selbstbewußt zu fühlen gegeben!

Ihr warmes Herz zog sie stärker zu dem leidenden Bruder hin, als je zu dem gesunden, und er mußte wohl auch empfinden, mit wie warmer Zärtlichkeit sie ihm zusprach.

Die ungewohnte, harte Knechtesarbeit an den schweren Rudern, versicherte sie, hätte auch einen Stärkeren übermüdet, bald aber werde er das Museum wieder besuchen und dort wacker disputiren. Dabei neigte sie sich über ihn, um ihm die Stirn zu küssen, er aber richtete sich nur ein wenig auf und sagte dann mit einem höhnischen Lächeln: »Apathie und Ataraxie, völliger Gleichmut – das letzte für die Seele des Skeptikers erreichbare Ziel. Das wenigstens,« und dabei blitzte das Auge ihm flüchtig auf, »hab' ich in diesen verfluchten Tagen erreicht. Daß einem denkenden Menschen alles, alles, wie es auch heiße, so bodenlos gleichgiltig werden könnte, hätt' ich selbst nicht gedacht.«

Hier schwieg er. Die Schwester aber rief ihn auf, Mut zu fassen. Gewiß stünden ihnen allen noch viele frohe Tage bevor.

Da richtete er sich kräftiger in die Höhe und sagte: »Frohe Tage? Mir und euch? . . . Ein höchst sonderbarer Gedanke. Aber daß auch Du noch so munter hoffst, könnte mich freuen oder in Erstaunen versetzen, wenn es dergleichen überhaupt noch für mich gäbe. Stünde es anders, so fragte ich Dich jetzt: ›Welches Gegengeschenk gabst Du dem kaiserlichen Bluthund für unsere Freiheit?‹«

Hier rief Melissa empört seinen Namen, er aber fuhr unbeirrt fort: »Alexander sagt, der hohe Herr habe Gefallen an Dir gefunden. Er ruft, und Du kommst. Natürlich! Er hat zu befehlen. Was doch alles aus dem Kinde eines Steinschneiders werden kann! Aber was mag der schöne Diodor zu alledem sagen? Warum wirst Du so blaß? Das sind freilich Fragen, die ich Dir ins Gesicht schreien müßte, wenn es mit mir stünde wie früher. Jetzt sag' ich nur in aller Ruhe: ›Thu, was Du willst!‹«

Das Blut war Melissa bei diesem Angriffe des Bruders aus den Wangen gewichen. Seine schmählichen, falschen Anschuldigungen erregten ihren Unwillen aufs tiefste, doch ein Blick in sein müdes, schmerzlich verzogenes Gesicht lehrte sie, wie schwer er leide, und in ihrer barmherzigen Seele trat das Mitleid gegen den wohlbegründeten Groll in die Schranken. Der Kampf war schwer; doch das Mitgefühl siegte, und statt ihn mit einer scharfen Antwort zu strafen, zwang sie sich, kurz und freundlich zu erzählen, was ihr begegnet war, um so den unwürdigen Verdacht, der ihm gewiß selbst weh that, mit milder Hand zu zerstreuen. Sicher, daß dem Leidenden ihre Erklärung wohlthue, schloß sie; ihm aber fiel es nicht ein, ihre freundliche Mäßigung anzuerkennen und seiner Freude Ausdruck zu geben. Vielmehr sagte er im nämlichen Tone wie vorhin: »Wenn es sich so verhält, um so besser. Stünd' es anders, hätte man es auch hinnehmen müssen. Ich wüßte nichts, wonach ich noch früge, und es ist recht so. Nur mit dem Körper bin ich noch nicht zur Ruhe gekommen. Er drückt mich wie Blei, und mit jedem Worte, das ich rede, wird er mir schwerer. Darum bitt' ich Dich, laß mich allein!«

Aber die Schwester gehorchte nicht, sondern rief eifrig. »Nein, Philipp, so darf es nicht bleiben! Nimm den starken Geist zusammen und zerreiße die Bande, die ihn fesseln und lähmen.«

Da stöhnte der Philosoph schmerzlich auf, und indem er sich wieder dem Mädchen zuwandte, versetzte er mit einem wehmütigen Lächeln: »Gebiete das dem Kissen dort auf dem Lehnstuhl; es würde ihm besser gelingen.«

Dann rief er ungeduldig und so laut er vermochte. »Geh jetzt; Du weißt nicht, wie weh Du mir thust.«

Damit wandte er sich wieder von ihr ab und drückte das Antlitz tief in die Kissen. Melissa aber legte ihm wie außer sich die Hände auf die Schulter, rüttelte ihn leise und rief: »Und wenn es Dich auch verdrießt, so geh' ich nicht von Dir. Das Unglück, das Dich in diesen Tagen verfolgte, wird Dich auch noch verderben, wenn Du Dich nicht aufraffst. Wir haben ja Geduld, und es darf langsam geschehen; doch den Versuch sollst Du machen. Auch das Kleinste, was Dich schmerzt, thut uns weh, und so darf denn auch Dir nicht gleichgiltig sein, was uns angeht. Schau, Philipp! Die Mutter und Andreas lehrten uns oft, nicht nur an uns selbst zu denken, sondern auch an andere. Wir verlangen so wenig; doch wenn Du . . .«

Hier aber befreite sich der Philosoph von ihrer Hand und rief in lauten Klagetönen: »Fort, sag' ich, Du läßt mich! Noch ein Wort, und ich vergehe.«

Damit verbarg er den Kopf unter die Decke, und Melissa nahm wahr, wie ihm der Körper auf und nieder flog, als schüttle ihn ein Frost.

Die Zerrüttung dieses geliebten Menschen schnitt ihr tief in die Seele.

O, daß sie ihm doch hätte helfen können!

Gelang es ihr nicht, fand er die Kraft nicht wieder, sich aufzuraffen, so hatte auch ihn der Cäsar zu Grunde gerichtet. Verdorbene und vernichtete menschliche Leben bezeichneten die Bahn dieses Schrecklichen, und schaudernd frug sie sich, wann die Reihe an sie kommen werde.

Das Haar war ihr in Unordnung geraten, und wie sie es glättete und dabei in den Spiegel schaute, fiel ihr auf, daß sie in dem schlichten, doch kostbaren weißen Gewande der verstorbenen Korinna in der That eher einer vornehmen Jungfrau als einer schlichten Künstlertochter gleiche. Am liebsten hätte sie es sich abgerissen und mit einem andern vertauscht; doch ihr einziges bescheidenes Festkleid war bei Frau Berenike geblieben.

So angethan am hellen Morgen den Nachbarn zu begegnen und durch die Straßen zu gehen, schien ihr unmöglich nach dem ungerechten Argwohn des Bruders, und darum gebot sie dem Argutis, eine Sänfte zu holen.

Beim Abschied sah die alte Dido ihr an, daß Philipp ihr wehe gethan habe. Ihr ahnte auch womit, und darum hielt sie jede Frage zurück, um sie nicht zu verletzen; doch am Herde stach sie grimmig in das Hühnchen, das für den Philosophen bestimmt war. Aber sie briet es dennoch mit aller Sorgfalt.

Auf dem Wege zum Serapeum stieg die Unruhe Melissas. Bis dahin hatte Kampfbereitschaft, Furcht, Hoffnung und das frohe Bewußtsein, das Rechte zu thun, in ihrer Seele gewechselt. Jetzt ergriff sie zum erstenmale das Gefühl des Unglücks. Das Schicksal selbst war ihr Gegner geworden. Auch noch nach einer gelungenen Flucht konnte sie die verlorene Ruhe nicht wiederzufinden hoffen.

Der Angriff des Philipp hatte ihr gezeigt, was die meisten von ihr denken mochten, und führte das Schiff sie in die Ferne, durfte sie dann den Diodor von dem alten Vater fort und sich nachziehen? Sie mußte zu dem Geliebten und, ging es an, ihm alles vertrauen. Auch die Rose, die ihr die Christin für ihn geschenkt und die in ihrem Schoße lag, hätte sie ihm so gern überbracht. Allein durfte sie sich indes nicht in das Gemach des Genesenden wagen, und die Begleitung eines Sklaven galt in den Augen der Leute für keine. Es fragte sich auch, ob man den Unfreien in die inneren Räume des Heiligtums einlassen würde. Doch sie wollte, sie mußte den Diodor sehen und sprechen, und das Nachdenken über den Weg, auf dem dies sich bewerkstelligen lasse, die Freude auf das Wiedersehen mit dem Vater, sowie die Frage, welche Aufnahme Alexander wohl bei der Christin Agathe gefunden, lösten sie aus dem Banne der bedrückenden Empfindungen, womit sie das Haus verlassen hatte.

Die Sänfte hielt. Argutis half ihr atemlos beim Aussteigen; denn es war mühsam genug gewesen, ihr den Weg zu öffnen, da sich jetzt schon dichte Menschenmengen nach dem Zirkus drängten, wo die große Nachtvorstellung zu Ehren des Kaisers beim Einbruch des Dunkels beginnen sollte.

Als sie eben das Haus betreten wollte, bemerkte sie den Andreas, der auf die Straße des Hermes zuschritt, und ungesäumt gebot sie dem Sklaven, ihn anzurufen. Bald stand er denn auch ihr zur Seite und zeigte sich gern bereit, sie zu Diodor zu begleiten.

Im Krankenzimmer fand sie indes den Geliebten diesmal nicht allein. Zwei Heilkünstler waren bei ihm, und sie erblaßte, als sie in dem einen den römischen Leibarzt des Kaisers erkannte.

Doch es war zu spät, sich vor ihm zu verbergen, und so eilte sie denn nur auf den Geliebten zu, flüsterte ihm warme Liebesworte ins Ohr, erzählte ihm hastig, daß die Ihren wieder frei seien, und beschwor ihn, während sie ihm die Rose reichte, immer und immer an sie und an ihre Liebe zu glauben, was man ihm auch zutragen möge.

Diodor war wieder aufgestanden und in voller Genesung. Sein Antlitz hatte sich bei ihrem Erscheinen verklärt; als er sie aber die alte, beunruhigende Bitte wiederholen hörte, verlangte er besorgt zu wissen, was sie damit meine; sie aber wies ihn mit der Versicherung, daß sie sich schon verspätet habe, auf den Andreas und Frau Euryale, die ihm mitteilen würden, was ihr widerfahren sei und ihr jede gute Stunde verderbe. Endlich hauchte sie ihm, als sie sich einen Augenblick unbeachtet von den Anwesenden wähnte, einen Kuß auf die Lippen. Er aber ließ sie nicht los, sondern verlangte in leidenschaftlicher Zärtlichkeit, was ihm als Bräutigam gebühre, bis sie sich ihm entwand und dem Zimmer enteilte.

Auf der Schwelle vernahm sie helles Gelächter und hinter derselben laute, muntere Worte. Der sie sprach, war nicht der Geliebte, und als sie, auf Andreas wartend, sich bemühte, dem Gespräch, das da drinnen begann, zu folgen, vernahm sie deutlich, wie der Leibarzt – kein anderer redete in dieser wunderlich singenden, gebrochenen Weise die griechische Sprache – fröhlich ausrief. »Beim Hunde, Jüngling, Du bist zu beneiden. Die Schönheit, der mein hoher Gebieter nachhinkt, ungerufen fliegt sie Dir in die Arme.«

Da erhob sich wieder das helle Gelächter von vorhin, doch ward es diesmal von Diodors unwilliger Frage unterbrochen, was dies bedeute.

Endlich vernahm Melissa, wie die tiefe Stimme des Andreas dem Jüngling verhieß, ihm nachher darüber Rede zu stehen, und wie der Christ den Genesenden, der ungeduldig eine Erklärung verlangte, zur Ruhe ermahnte und zuletzt den Leibarzt ersuchte, ihm auf kurze Zeit Gehör zu gewähren.

Nun ward die Ruhe hinter der Thür eine Zeit lang nur von dem zornigen Aufbegehren und den Klagen des Diodor und beschwichtigenden Rufen des Freigelassenen unterbrochen; sie aber trieb es zu dem Geliebten zurück, um ihm selbst anzuvertrauen, wozu die letzten Tage sie gezwungen hatten; doch jungfräuliche Scheu hielt sie davon zurück, bis Andreas zu ihr hinaustrat.

In den männlichen Zügen des Freigelassenen spiegelte sich tiefe Beunruhigung, und seine Stimme klang rauh und hastig, als er ihr zurief: »Du mußt fort, heute noch fort!«

»Und der Vater, und die Brüder, und Diodor?« frug sie angstvoll; er aber entgegnete dringlich: »Mögen die Deinen sehen, wie sie entkommen; für Dich gibt es hier keinen Schlupfwinkel, der versteckt genug wäre. Benütze drum das Schiff, das Dich erwartet. Folge dem Argutis sogleich zu Frau Berenike. Ich kann Dich nicht begleiten; denn an mir ist es, den Leibarzt, von dem Dir die größte Gefahr droht, für die nächsten Stunden in Anspruch zu nehmen. Er sagte mir zu, mir über den See in unseren Garten zu folgen. Ich versprach ihm dort ein köstliches, echt alexandrinisches Gastmahl, und Du weißt, daß Polybius die Gelegenheit gern ergreifen wird, es mit ihm zu teilen. Auch ein goldenes Mittel, ihm die Zunge zu fesseln, muß sich wohl finden; denn wehe Dir, wenn Caracalla vorzeitig erfährt, daß Du eines andern Braut bist, und wehe dann auch Deinem Verlobten. Nach Sonnenuntergang, wenn sich hier alles in den Zirkus begibt, will ich den Diodor in Sicherheit bringen. Lebe wohl, Kind, und mag Dich der himmlische Vater behüten.«

Damit legte er ihr wie zum Segen die Rechte auf den Scheitel; Melissa aber rief, die Hände ringend: »So laß mich wenigstens noch einmal zu ihm! Wie kann ich fort in die Ferne, ohne Lebewohl, ohne ein Wort des Abschieds und der Vergebung?«

Doch Andreas fiel ihr abweisend ins Wort: »Du darfst nicht. Es gilt hier sein Leben wie Deines. Für ihn zu sorgen ist meine Sache; Dir ebnet die Gattin des Seleukus die Flucht.«

»Und Du wirst ihn bewegen,« drang Melissa in ihn und klammerte sich fest an seinen Arm, »an mich zu glauben?«

»Ich will es versuchen,« versetzte der Freigelassene dumpf; Melissa aber ließ seinen Arm los; denn von der Treppe her, bei der sie standen, kamen laute Männerstimmen näher.

Heron und Alexander kehrten von dem Cäsar zurück.

Ungesäumt schritt der Christ ihnen entgegen und verabschiedete den Tempeldiener, der sie führte.

Melissa warf sich in dem halbdunklen Gang dem Vater weinend an die Brust, er aber strich ihr liebevoll über das Haar, küßte ihr so zärtlich, wie er sich ihr noch nie erwiesen hatte, Stirn und Augen und raunte ihr munter zu: »Trockne nur die Thränen, mein Liebling. Du hast Dich wacker gehalten, und nun kommt die Belohnung. Auf Angst und Trauer folgt jetzt Glück und Macht und alle Herrlichkeit der Erde. Noch hab' ich auch dem Alexander verschwiegen, was uns alle glücklich zu machen verheißt; denn ich kenne meine Pflicht.«

Darauf erhob er die Stimme und fragte den Freigelassenen: »Bin ich recht unterrichtet, so finden wir den Sohn des Polybius in einem der Gemächer hier in der Nähe?«

»Ganz recht,« unterbrach ihn der Freigelassene ernst und erklärte dann dem Steinschneider, er könne den Diodor jetzt nicht sehen, sondern müsse ungesäumt mit dem Sohn und der Tochter auf dem Schiffe der Frau Berenike das Weite suchen. Kein Augenblick sei zu verlieren. Melissa werde ihm unterwegs alles erklären.

Da lachte Heron höhnisch auf: »Das wäre das Rechte! Wir haben Zeit zur Genüge, und was uns Großes bevorsteht, soll alles den geraden und rechten Weg gehen. Mein erster Gang, Du siehst es, führt mich hieher; denn dem Diodor hatte ich das Mädchen versprochen, und bevor ich es einem andern bewillige, muß es ihm mitgeteilt werden.«

»Vater!« rief Melissa, der Stimme kaum mächtig; Heron aber achtete nicht ihres Einspruchs, sondern fuhr gelassen fort: »Diodor wäre mir ein lieber Schwiegersohn gewesen. Das soll er auch hören. Aber wenn der Kaiser, wenn der Beherrscher der Welt sich herabläßt, einen schlichten Mann um die Tochter zu bitten, so schweigt eben jede andere Rücksicht. Diodor ist verständig, und er wird das sicherlich einsehen. Man weiß ja, wie der Cäsar mit denen verfährt, die ihm in den Weg treten; ich aber wünsche dem Sohne des Polybius alles Gute und unterließ es darum auch, dem Cäsar zu verraten, was Dich, Kind, einmal mit dem wackern Jüngling verband.«

Der Freigelassene war dem Heron nie angenehm gewesen. Das feste Wesen dieses Mannes widerstand seiner mürrischen, launenhaften Art, und so gereichte es ihm zur Genugtuung, ihn seine Ueberlegenheit fühlen zu lassen und sich vor ihm mit dem vermeinten Glücke zu brüsten, das seinem Hause bevorstand.

Aber Andreas hatte schon von dem Leibarzt erfahren, daß der Kaiser den Abgesandten seiner Mutter mitgeteilt habe, er werde sich wieder vermählen, und zwar mit einer Alexandrinerin, der Tochter eines Künstlers von makedonischer Herkunft. Damit konnte nur Melissa gemeint sein, und diese Nachricht hatte ihn veranlaßt, so dringend auf der Flucht des Mädchens zu bestehen.

Bleich, keines Wortes mächtig stand Melissa dem Vater gegenüber; der Freigelassene aber ergriff ihre Hand, schaute dem Heron mit einem strafenden Blick ins Antlitz und frug ihn gelassen: »Und Du hättest wirklich den Mut, das Geschick dieses lieben Kindes an das eines blutigen Wüterichs zu knüpfen?«

»Den hab' ich,« entgegnete Heron bestimmt und löste die Hand der Tochter aus der des Andreas.

Da wandte dieser dem Künstler mit einem vielsagenden Achselzucken den Rücken, Melissa aber eilte ihm nach, klammerte sich fest an ihn und rief, indem sie sich bald an ihn, bald an den Vater wandte: »Ich bin dem Diodor versprochen und halte fest an ihm und meiner Liebe, das sage ihm, Andreas. Was auch komme, ihm, und ihm allein will ich gehören . . . Der Kaiser . . .«

»Verschwöre nichts!« fiel ihr Heron grollend ins Wort; »denn, beim großen Serapis . . .«

Doch Alexander war zwischen ihn und die Schwester getreten und unterbrach den Vater mit der Bitte, zu bedenken, was er von dem Mädchen verlange. Die Werbung des Kaisers sei ihm selbst kaum erfreulich erschienen; denn warum hätte er sonst vor ihm geheim gehalten, was Caracalla mit ihm in dem Nebengemache geflüstert. Er möge sich nur vorstellen, welches Schicksal dem schutzlosen Kinde an der Seite eines Gatten bevorstehe, dessen auch Männer nur zitternd gedächten. An die Mutter möge er denken, und was sie zu solcher Verbindung gesagt haben würde. Noch sei es Zeit, dem furchtbaren Werber zu entfliehen.

Hier wandte Melissa sich an den Bruder und bat ihn innig: »So führe Du mich auf das Schiff, Alexander, so sei Du mein Begleiter.«

»Und ich?« frug Heron und schaute düster zu Boden.

»Du folgst uns!« bat das Mädchen mit flehend erhobenen Händen. »O Andreas, sage doch etwas! Zeige ihm doch, was mich erwartet.«

»Es ist ihm auch ohne mich bekannt,« versetzte der Freigelassene. »Ich muß jetzt gehen; denn es handelt sich hier um zwei Leben, Heron. Halte ich den Arzt nicht fern von dem Cäsar, vielleicht auch um das Deiner Tochter. Willst Du Dein Kind in ewiger Todesangst sehen, so gib ihm den Kaiser zum Gemahl. Liegt sein Glück Dir am Herzen, so fliehe mit ihm in die Ferne.«

Damit winkte er den Geschwistern und kehrte in das Zimmer des Kranken zurück.

»Fliehen, fliehen!« wiederholte der Alte und schwenkte unwillig die Hand. »Der Andreas, der Freigelassene, der Christ . . . Immer gleich das Höchste und Letzte . . . Warum denn so unbedacht mit dem Kopfe durch die Wand . . . Erst erwägen, dann handeln, hat uns auch die gelehrt, an deren heiligen Namen Du, Alexander, mich mahntest.«

Dabei war Heron den Seinen voran aus dem halbdunklen Gang in einen freien Hofraum getreten, und als er die Tochter nun schnell atmend und zum Aeußersten entschlossen in dem weißen, kostbaren Gewande der Korinna, einer vornehmen Priesterin ähnlich, vor sich sah, kam ihm wieder in den Sinn, daß sie schon vor seiner Gefangennahme aufgehört habe, der bescheidene, fügsame Spielball seiner Launen zu sein.

Welche stolze Schönheit war aus der stillen Goldstickerin geworden!

Bei allen Göttern! Caracalla brauchte sich solcher Kaiserin nicht zu schämen. Und ungewohnt, vor seinen Kindern, was es auch sei, zurückzuhalten, lieh er dieser Ueberzeugung auch Worte. Doch er kam nicht weit; denn die Frühmahlstunde war eben vorbei, und von allen Seiten strömten Beamte und Diener des Heiligtums in den Hof, und so folgten denn Vater und Sohn der Jungfrau schweigend durch die belebten Gänge und Räume in die Wohnung des Oberpriesters.

Dort wurden sie von Philostratus empfangen, der Melissa kaum Zeit ließ, Frau Euryale zu begrüßen, und ihr so hastig und erregt, wie sie ihn noch nie gesehen, mitteilte, daß der Kaiser sie ungeduldig erwarte.

Dabei winkte ihr der Philosoph, ihm zu folgen, sie aber schmiegte sich wie eine Schutzsuchende an den Bruder und rief: »Ich will nicht mehr zu Caracalla! Du bist der Freundlichste und Beste von allen, Philostratus, und mußt mich verstehen. Es führt zum Bösen, wenn ich Dir folge . . . Ich kann nicht mehr zu dem Cäsar.«

Doch dem Hofmanne war es nicht möglich, gegenüber dem bestimmten Befehle des Herrschers ihr nachzugeben, und so schwer es ihn auch ankam, sagte er entschieden: »Wohl versteh' ich, was Dich zurückhält; doch willst Du nicht Dich und die Deinen verderben, mußt Du Dich fügen. Und außerdem weißt Du ja noch gar nicht, was der Cäsar Dir zu bieten gedenkt, Du glückliches, unseliges Kind!«

»Ich weiß, o, ich weiß es!« schluchzte Melissa, »aber gerade das . . . Ich habe dem Cäsar willig gedient; doch bevor ich einwillige, das Weib dieses Schrecklichen zu werden . . .«

»Sie hat recht,« fiel Frau Euryale ihr in das Wort und zog Melissa an sich; Philostratus aber ergriff die Hand des Mädchens und sagte sanft: »Jetzt folgst Du mir, Kind, und gibst Dir das Ansehen, als sei Dir noch völlig verborgen, was der Cäsar mit Dir im Sinne hat. Es ist der einzige Weg, Dich zu retten. Während Du aber bei dem Kaiser weilst, der Dir heute ohnehin nur kurze Zeit widmen kann, kehre ich hieher zurück und halte Rat mit den Deinen. Es gilt, Wichtiges, nicht allein für Dich, zu entscheiden.«

Da schaute Melissa mit den noch immer feuchten Augen Frau Euryale fragend an, sie aber nahm ihre Hand aus der des Philosophen und rief ihm zu: »Sie folgt Dir sogleich!« Dann zog sie das Mädchen sich nach in das eigene Gemach.

Dort forderte sie Melissa auf, sich die Augen zu trocknen, ordnete ihr mit eigenen Händen Haar und Gewand und versprach dabei, alles aufzubieten, um ihr die Flucht zu erleichtern. Jetzt sei es an ihr, dem Kaiser so unbefangen zu begegnen wie vorgestern und gestern. Sie möge ruhig sein; denn es werde treu für sie gewacht.

Nach einem kurzen Abschiede von dem Vater, der mürrisch dreinschaute, weil es ihn verdroß, gar nicht um seine Meinung gefragt zu werden, und dem Alexander, der ihr liebevoll seinen Beistand verhieß, schritt sie an der Hand des Philosophen von einem überfüllten Raum in den andern. Oft hatten sie Mühe, sich durch die Menge der Wartenden zu drängen, und in dem Vorgemach, wo die Aurelier gestern ihren Uebermut so grausam büßten, wurden sie von den blonden und rotlockigen Riesengestalten der germanischen Leibwache aufgehalten, deren Führer Sabinus, ein Thracier von besonderer Größe und Kraft, den Philosophen kannte.

Caracalla hatte befohlen, niemand vorzulassen, bevor nicht die Verhandlungen mit der parthischen Gesandtschaft zum Abschluß gelangt seien, die er vor einer Stunde begonnen. Nun wußte Philostratus wohl, daß der Cäsar auch die wichtigsten Geschäfte bei der Meldung Melissas unterbrechen werde, doch hatte er der Jungfrau mancherlei ans Herz zu legen, bevor er sie dem Herrscher zuführte; sie aber wünschte nichts sehnlicher, als daß die Thür, die sie von dem furchtbaren Freier trennte, bis ans Ende der Tage verschlossen bleibe. Als der Kämmerer Adventus aus dem kaiserlichen Gemache die Wartenden überschaute, bat sie ihn, noch einige Zeit hingehen zu lassen, bis er sie melde.

Der Alte blinzelte ihr mit den blöden Augen Gewährung zu; der Philosoph aber sorgte dafür, daß Melissa nicht sich selbst und der Angst ihres Herzens überlassen bleibe und bot die ganze ihm eigene Beredsamkeit auf, um ihr begreiflich zu machen, was es bedeute, die Gemahlin des Beherrschers der Welt und eine Kaiserin zu sein.

In feuriger Rede stellte er ihr vor, wie viel Gutes man als solche zu stiften, wie viel Thränen man zu trocknen vermöge. Auch an den heilenden und sänftigenden Einfluß erinnerte er sie, den sie auf Caracalla übe; dieser Einfluß aber stamme zweifellos von den Göttern, weil er das Natürliche überschreite und höchst segensreich wirke. Solches Geschenk der Himmlischen dürfe der Mensch nicht abweisen, um einer alltäglichen Herzensneigung Genüge zu thun. Der Jüngling, auf dessen Liebe es zu verzichten gelte, werde sich mit den Vielen zu trösten wissen, denen täglich Schlimmeres begegne. Schnell werde es ihm gelingen, einen Ersatz, wenn auch keinen gleich schönen, zu finden. Dagegen sei sie unter Millionen die einzige, deren Herz sich mitleidig und einem göttlichen Befehle gehorsam dem Caracalla zugewandt habe. Entfliehe sie ihm, so werde sie den Cäsar des einzigen Wesens berauben, auf dessen Liebe er ein Recht zu haben meine. Sie werde, wenn sie den hohen Freier erhöre, den Unbändigen zu zähmen, seine Wut zu mildern vermögen, und zum Dank für ein Opfer, das vor ihr so viele gebracht, das einzig herrliche Bewußtsein eintauschen, der ganzen Welt den höchsten der Dienste zu leisten; denn durch sie und ihre Liebe werde sich der Wüterich im Purpur in einen milden Herrscher verwandeln. Der Segen der Tausende, die sie beschützte und errette, werde ihr auch das Schwerste erträglich machen und süß.

Hier schwieg Philostratus und schaute ihr fragend ins Antlitz; sie aber schüttelte leise das Haupt und versetzte: »Der Kopf ist mir so wirr, daß selbst das Hören mir schwer fällt; ich fühle aber doch, wie gut gemeint Deine Rede war und wie weise. Was sie mir zu bedenken gibt, wäre sicherlich wert der Erwägung, wenn es für mich überhaupt noch etwas zu überlegen gäbe. Ich habe mich einem andern angelobt, der mir mehr gilt als alles, mehr auch als Dank und Segen der bedrohten Leute, die ich nicht kenne. Ich bin ja nichts als ein armes Mädchen, das gern glücklich sein möchte. Weder Götter noch Menschen erwarten mehr von mir, als daß ich meine Pflicht thue gegen diejenigen, welche mir lieb sind. Und dann, wer sagt Dir denn, daß es mir gelingen würde, den Kaiser, wozu es auch sei, zu bestimmen?«

»Wir sind Zeuge der Macht gewesen, die Du auf ihn übst,« erwiderte der Philosoph; Melissa aber schüttelte das Haupt und fuhr eifrig fort: »Nein, nein! Er schätzt an mir nur die Hand, die sich als heilsam gegen Schmerz und Schlaflosigkeit bewährte. Die Liebe, die er etwa für mich empfindet, macht ihn weder sanfter noch besser. Wenige Stunden, bevor er mir bekannte, daß sich sein Herz mir zugeneigt habe, ließ er den Titianus ermorden.«

»Ein Wort von Dir,« versicherte der Philosoph, »und es wäre ungeschehen geblieben. Als Kaiserin wird man Dir gehorchen wie ihm. Wahrlich, Kind, es ist nichts Kleines, den Göttern gleich hoch über den anderen Sterblichen zu thronen.«

»Nein, nein!« rief Melissa und fuhr aufschaudernd fort. »Diese Höhe! Denk' ich nur an sie, so dreht sich alles mit mir im Kreise. Auf solchen Platz darf sich nur eine Schwindelfreie wagen. Jeder versucht gern das Beste aus sich zu machen. Dem Diodor kann ich eine gute Hausfrau sein, aber eine wie schlechte Kaiserin würde ich werden! Ich bin nicht für die Größe geboren. Und dazu – was ist denn das Glück? Ich fühlte es immer nur, wenn ich still und unbesorgt that, was mir oblag. Als Herrscherin aber würde die Furcht mich keinen Augenblick verlassen. O, ich kenne die gräßliche Angst zur Genüge, die dieser Schreckliche um sich verbreitet, und eh' ich mich entschlösse, sie mich bis ans Ende peinigen zu lassen bei Tag und bei Nacht, des Morgens, Mittags und Abends, viel lieber wollt' ich heute schon sterben. Darum bleibt mir keine Wahl. Aus dem Auge muß ich dem Kaiser, fort von hier, in die Ferne.«

Hier wollten ihr wiederum Thränen die Stimme ersticken, doch sie kämpfte wacker gegen sie an. Philostratus aber bemerkte es wohl und schaute ihr bald wehmütig ins Antlitz, bald sinnend zu Boden. Endlich begann er mit einem leisen Seufzer: »Man sammelt Erfahrungen im Leben und handelt ihnen, so alt man auch wird, dennoch entgegen. Jetzt muß ich es büßen. Doch es liegt noch in Deiner Hand, mich den Tag segnen zu lassen, an dem ich Dein Fürsprecher wurde. Vermöchtest Du Dich zu wahrer Seelengröße aufzuschwingen, Mädchen, durch Dich – ich beschwöre es – würden die Bürger dieses Weltreiches vor großen Heimsuchungen sicher gestellt werden.«

»Aber, Herr,« unterbrach ihn Melissa, »wer verlangt wohl so hohe Dinge von einem bescheidenen Mädchen? Gut und hilfreich gegen die Hausgenossen, die Freunde und Stadtgenossen zu sein, lehrte mich die Mutter; dem Bräutigam Treue zu halten, befiehlt mir das eigene Herz. Aber ich mag die Römer nicht, und was sind mir Gallier, Dacier, Geten oder wie diese Barbaren sonst heißen?«

»Und doch,« versetzte Philostratus, »hast Du für den fremden Tyrannen geopfert.«

»Weil seine Schmerzen mein Mitleid erregten,« entgegnete Melissa errötend.

»Und hättest Du dasselbe für einen mit bejammernswert schweren Wunden bedeckten, herrenlosen schwarzen Sklaven gethan?« fragte der Philosoph.

»Nein,« entgegnen sie schnell. »Dem hätt' ich mit eigener Hand Beistand geleistet. Wo ich ohne sie helfen kann, wend' ich mich nicht an die Götter. Und dann . . . Ich sagt' es ja schon: Sein Leid schien doppelt groß, weil es so grell abstach von dem hellen Glanz und dem Glücke.«

»Und so,« sagte der Philosoph ernst, »verzehnfacht, vertausendfacht sich auch das Kleine, das den Herrscher betrifft, für die Beherrschten. Wenn man durch ein geschliffenes Glas mit vielen Flächen einen Baum ins Auge faßt, wird daraus ein Wald. So gestaltet sich auch das Unbedeutende, das auf den Kaiser wirkt, zum Bedeutenden für die Millionen, denen er gebietet. Der Verdruß des Cäsar bringt Tausenden Schaden, aus seinem Zorn erwächst ihnen Tod und Verderben. Ich fürchte, Mädchen, daß Deine Flucht viel Schweres über diejenigen bringen wird, welche den Kaiser umgeben, und hier wahrlich nicht zuletzt über die Alexandriner, zu denen Du gehörst, und denen er ohnehin grollt. Du sagtest einmal Deine Vaterstadt sei Dir teuer.«

»Das ist sie,« versetzte Melissa, deren Antlitz bei den letzten Worten bald errötet, bald erblaßt war, »aber so klein kann der Kaiser nicht sein, daß er eine große Stadt büßen läßt, was die arme Tochter eines Steinschneiders ihm anthut.«

»Du denkst an meinen Achill,« entgegnete der Philosoph. »Aber nur was ich Gutes an Caracalla erkannte, übertrug ich auf die Gestalt des Heros. Und dann, Du weißt es ja: Im Zorne ist der Cäsar nicht mehr er selbst. Lehrte mich nicht die Erfahrung, daß es keine Gründe gibt, die stark genug wären, um ein liebendes Frauenherz zu überzeugen, so rief' ich Dir jetzt noch einmal zu: Bleibe hier! Weise das glänzende Geschick nicht von Dir, das die Götter Dir bieten, damit Deiner Stadt nicht wie einst dem unseligen Troja um eines Weibes willen großes Leid widerfahre. Zeus hört nicht die Schwüre der Liebenden, sagt das Sprichwort; ich aber füge hinzu: Der Liebe zu entsagen, um andere zu beglücken, ist größer und schwerer, als an ihr festzuhalten, wenn sie bedroht wird.«

Diese Worte erinnerten sie an manche Lehre des Andreas, und sie griffen ihr ins Herz. Vor dem inneren Auge sah sie den Caracalla, wie er, nachdem er erfahren, daß sie geflohen, seinen Löwen auf den Philostratus hetzte und dann schäumend vor Wut den Befehl gab, den Vater und die Brüder, den Polybius und seinen Sohn wie den Titianus auf den Richtplatz zu schleppen.

Und Philostratus gewahrte, was in ihr vorging, und mit dem kurzen Rufe: »Bedenke, wie vieler Menschen Wohl und Wehe in Deiner Hand liegt,« erhob er sich und begann ein Gespräch mit dem thracischen Befehlshaber der germanischen Wache.

Melissa blieb allein auf dem Diwan zurück. Vor ihrem inneren Auge verwandelte sich das Bild, und sie sah sich in kostbaren Purpurgewändern und blitzendem Schmuck an der Seite des Kaisers auf einem goldenen Wagen. Das Volk jauchzte ihr tausendstimmig zu, und neben ihr stand ein Füllhorn, das von goldenen Solidi und purpurnen Rosen überfloß und nicht leer ward, soviel sie ihm auch entnahm. Und dabei ging das Herz ihr auf, und wie sie in der Menge, die ihr die rege Einbildungskraft zeigte, das Weib ihres Schlossers Herophilus erkannte, der durch eine Anklage des Zminis in Gefangenschaft geraten war, wandte sie sich an den Cäsar, den sie im Geiste immer noch auf dem Wagen neben sich sah, mit dem kurzen Rufe: »Gnade!« Und Caracalla nickte ihr Gewährung zu, und im nächsten Augenblicke lag das Weib des Herophilus an der Brust des Befreiten, dem die gebrochenen Ketten noch an den Knöcheln klirrten. Die Kinder der Wiedervereinten waren nun auch da und streckten die Aermchen zu den Eltern empor und boten erst ihnen glückselig die Lippen und dann auch ihr.

Wie schön das war, und wie es ihrem mitleidigen Herzen so wohl that!

Und das, sagte ihr der neu erwachte, erwägende Geist, brauche kein bloßer Traum zu bleiben, nein, es liege in ihrer Hand, es sich selbst und so vielen immerfort, Tag für Tag, bis ans Ende, zu teil werden zu lassen.

Da drängte es sie schon, sich zu erheben und dem Freunde zuzurufen: »Ich folge Deinem Rate und bleibe; doch die Einbildungskraft hatte schon ihr Spiel von neuem begonnen und zeigte ihr die Witwe des Titianus, wie sie den Cäsar anflehte, des edlen, unschuldigen Gatten zu schonen, und wie er sie grausam zurückwies.

Da kam es ihr in den Sinn, daß es ihren Gnadenersuchen ähnlich ergehen könne, und im nämlichen Augenblicke ließ sich aus dem Nebengemache die grollende Stimme des Kaisers vernehmen.

Wie gräßlich ihr kreischender Ton klang!

Da senkte sie den Blick, und er fiel auf das Gefieder der schneeweißen Tauben, die das Mosaikbild auf dem Estrich darstellten, und auf einen dunklen Fleck an demselben.

Das war die letzte Spur des Blutes des jungen Tribunen, die es den Bürsten der Aufwärter nicht zu beseitigen gelungen. Und diese unvertilgbare Spur der Unthat, deren Zeuge sie gewesen, führte ihr das Bild des verwundeten Aureliers vor die Seele. Von Fieber geschüttelt lag er darnieder, und ebenso hatte sie vor wenigen Tagen den Geliebten gesehen. Sein bleiches Antlitz stellte sich ihr wieder vor das innere Auge, und würde es ihn nicht furchtbarer als ein Steinwurf treffen, wenn er erfuhr, daß sie ihm treulos geworden, um mächtig zu werden und groß, und andere, ihr Fremde, vor der Wut des Tyrannen zu schützen?

Von Kind an hatte sein Herz ihr gehört, und es mußte brechen und verbluten, wenn sie das Gelöbnis brach, worauf er baute. Oder verwand er auch, was sie ihm anthun sollte, war es doch sicher auf lange Zeit um sein Glück geschehen und seine Ruhe.

Wie hatte sie nur einen Augenblick zweifeln können, was hier ihre Pflicht sei?

Folgte sie dem Philostratus, that sie dem Cäsar den Willen, so war Diodor berechtigt, sie zu verdammen und zu verwünschen. Und wußte sie sich denn ganz ohne Schuld?

Schnell genug erhob sich eine Stimme, die dies verneinte; denn es hatte Stunden gegeben, in denen das Mitleid so mächtig in ihr geworden war, daß sie wärmer für den kranken Cäsar gefühlt, als es recht war. Ja, sie konnte es nicht leugnen; denn sie hätte dem Geliebten nicht ohne zu erröten, beschreiben können, wie es ihr zu Mute gewesen, als sie, sie wußte selbst nicht, welche geheime Macht zu dem Kaiser hingezogen hatte.

Und nun wuchs schnell und stark in ihr die Ueberzeugung, daß sie den Geliebten nicht nur vor neuem Weh zu behüten, sondern auch an ihm gut zu machen habe, was sie verschuldet. Der Gedanke, ihre Liebe zu opfern, um für andere – und noch dazu wahrscheinlich vergeblich – einzutreten, um ihr Los zu erleichtern und durch das Fremden gebrachte Opfer sich selbst elend und den einzig Geliebten unglücklich zu machen, erschien ihr jetzt wunderlich, frevelhaft, unfaßlich, und tief aufatmend gedachte sie nun wieder der Zusage, die sie dem Andreas gegeben. Auch ihm, der sie immer zum Guten ermahnt, konnte sie nun wieder frei in das ernste, mahnende Antlitz schauen.

So, so allein war es recht, so mußte es sein!

Doch nach den ersten, schnellen Schritten, die sie dem Philostratus entgegenthat, blieb sie noch einmal zaudernd stehen. Das Wort von der Erfüllung der Zeit war ihr zugleich mit der Erinnerung an den Christen wieder in den Sinn gekommen, und sie sagte sich, daß die Stunde der Entscheidung, vor die jeder Mensch einmal gestellt wird, für sie gekommen sei. An der Antwort, die sie dem Philostratus erteilte, hing das Wohl und Wehe ihrer Zukunft Wie ein Schreck überkam sie dieser Gedanke; doch nur einen Augenblick. Dann richtete sie sich höher auf, und während sie dem Freunde nähertrat, empfand sie froh, daß sie gut gewählt habe, ja, daß es sie wenig kosten würde, dafür den Tod zu erleiden.

Philostratus hatte, während er ganz hingenommen von dem Gespräch mit dem Thracier zu sein schien, nicht aufgehört, sie verstohlen zu beobachten, und dem Menschenkenner war es nicht entgangen, wozu sie sich entschloß.

Fest überzeugt, sie dem Caracalla gewonnen zu haben, hatte er sie sich selbst überlassen. Es war ihm gewiß erschienen, daß die Saat, die er in ihre Seele gestreut, aufgehen, daß sie sich nun deutlicher vorstellen werde, was es ihr als Kaiserin selbst zu genießen und von anderen fernzuhalten vergönnt sei; denn sie war klug und nachdenklichen Sinnes und dazu – davon hatte er das Beste erwartet – doch nur ein Weib. Aber eben weil sie ein Weib war, durfte er sich nicht wundern, daß seine Erwartung getäuscht ward. Das Gegenteil wäre ihm um Caracallas und seiner Umgebung willen erfreulicher erschienen, doch er war ein guter Mensch und hatte sie zu lieb gewonnen, als daß ihm der Gedanke, sie an den zügellosen jungen Wüterich gekettet zu sehen, nicht peinlich gewesen wäre.

Bevor sie ihn noch anrief, verabschiedete er sich von dem Thracier. Dann raunte er ihr, während er sie auf den Diwan zurückführte, zu: »Da wäre man wieder um eine Erfahrung reicher geworden. Künftig setz' ich, wenn ich einer Frau überlasse, einen Entschluß zu fassen, von vornherein voraus, daß sie sich für das Gegenteil dessen entscheiden werde, was ich als Philosoph und logisch denkender Mann erwartet hatte. Du bestehst darauf, Deinem Bräutigam die Treue zu halten und dem höchsten aller Werber – er wird nach seinem Tode ein Gott sein – den Dolch in die Brust zu stoßen; denn eine ähnliche Wirkung wird Deine Flucht auf ihn üben.«

Da nickte Melissa ihm heiter zu und versetzte: »Das Leben kostet der stumpfe Stahl, den ich führe, den Cäsar gewiß nicht, auch wenn er kein künftiger Unsterblicher wäre.«

»Kaum,« entgegnete Philostratus, »doch was ihm durch Dich widerfährt, wird ihn antreiben, die eigene nur zu scharfe Waffe gegen andere zu erheben. Caracalla ist ein Mann, und ihm gegenüber haben meine Voraussetzungen bisher sich gewöhnlich bestätigt. Wie fest ich in diesem Fall an sie glaube, magst Du daraus ersehen, daß ich schon vorhin einen Brief der Mutter des Kaisers, den ihre Boten brachten, benützte, um mich von ihm zu verabschieden; denn, sagte ich mir, erhört Melissa den Kaiser, so braucht sie keinen andern Bundesgenossen als den Knaben Eros; flieht sie aber, – dann wehe denen, die sich in der Nähe des Erzürnten befinden, und zehnfach mir, der den Flüchtling in seine Nähe geführt hat. Morgen früh fahr' ich, bevor noch Caracalla das Lager verläßt, mit den Boten der Julia zu ihr zurück; der Platz auf dem Schiffe . . .«

»O Herr,« unterbrach ihn Melissa bestürzt, »wenn auch Du, mein gütiger Beschützer, mich verläßt, von wem kann ich Beistand erwarten?«

»Bedarfst Du seiner denn noch, wenn Du den Willen zur That machst?« fragte der Philosoph. »Nachher, und so lang dieser Tag währt, wirst Du mich vielleicht brauchen, und ich schärfe Dir nochmals ein, Dich dem Caracalla gegenüber so zu verhalten, daß auch seine mißtrauische Seele nicht ahnen kann, was Du im Sinne trägst. Du findest mich heute noch stets bereit, Dir zu helfen. Aber hörst Du? . . . Da tobt der Cäsar schon wieder. So entläßt er gern die Abgesandten, denen er einprägen will, daß ihre Bedingungen ihm nicht anstehen. Und nun schnell noch dies! . . . Wenn man grau wird, dann freut es das Herz doppelt, eine so schöne Jungfrau aufrichtig bedauern zu sehen, daß man fortgeht. Ich war von je ein Freund Deines liebenswerten Geschlechtes, und Eros ist mir heute noch bisweilen gewogen. Du aber, je anmutiger Du bist, um so tiefer muß ich beklagen, daß ich Dir nicht mehr sein durfte als ein alter, freundlicher Mentor. Aber erst ließ das Mitleid die Liebe nicht zu Worte kommen, dann die alte Erfahrung, daß jedes Frauenherz zu gewinnen ist, außer dem, das schon einem andern gehört.«

Dem alternden Freunde schöner Frauen waren diese Worte in so liebenswürdig bedauerlichem Tone von den Lippen geflossen, daß Melissa mit den hellen, großen Augen warm zu ihm aufschaute und schalkhaft versetzte: »Hätte Eros den Philostratus vor dem Diodor den Weg zu Melissa gewiesen, so nähme Philostratus vielleicht die Stelle in ihrem Herzen ein, die jetzt dem Sohne des Polybius gehört und immer gehören wird, trotz des Cäsar.«


 << zurück weiter >>