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Das Leichenbegängnis

§§§ Astri und Odin standen einander zur Seite, als die Vorbereitungen zum Leichenbegängnis getroffen werden mußten. Es gab viel zu tun, denn es mußte schnell gehen, jetzt bei der Sommerhitze. Andrea und Otte kamen aus der Stadt, aber sie waren mehr zur Last als zur Hilfe. – »Es hätte alles gut geklappt hier, wären wir nicht im Wege gewesen«, sagte Otte zu Ola Haaberg, der herkam und alles leiten und den Wirt machen sollte. Er mußte die Einladungen übernehmen. Es sollten nicht viele gebeten werden, fand er, denn es gab jetzt nicht mehr viele, die sich an Aasel erinnerten. Doch Odin sagte, es sollten trotzdem alle kommen, eine Menge Menschen, wie in alter Zeit; sie sollten ihrer gedenken, ob sie wollten oder nicht. Ola lachte, aber er schüttelte den Kopf. Da griff Astri ein. – »Entweder ein großes Leichenbegängnis oder gar nichts. So hat es die Großmutter gewollt, nicht wahr. Odin?« – »Ja, gewiß; daran zweifelt niemand.« Da lachte Ola wieder: »Die ziehen am gleichen Strick, die beiden, Schwester und Bruder, wahrlich – – kein Wunder, wenn es so gegangen ist!« Sie wurden beide gleichzeitig rot, kamen jedoch rasch darüber hinweg. Dies war das einzige Mal, daß der eine merkte, der andere denke daran, was an jenem Morgen zwischen ihnen vorgefallen war.

Mitten in der Geschäftigkeit, am Tag vor dem Begräbnis, traf Odin der Gedanke, so wie einen manchmal eine kleine Stille mitten im heulenden Sturm trifft: Und du, du mußt ja vortreten und eine Rede an der Bahre halten! Er fühlte sich ein wenig beklommen, war gleichzeitig ängstlich und erstaunt. – »Ja, ja, das soll nun nicht geschehen«, sagte er. »Ich werde doch wohl beim Leichenschmaus für die Großmutter nicht die Leute so aufschrecken?« Aber der Stachel blieb doch sitzen, wie seinerzeit, als er noch ein kleiner Bub war und sah, wie sich die Schlange unter dem Erdhügel verbarg.

Am Sonntagmorgen zu früher Stunde schon trafen die Gäste allmählich ein, an die hundert Menschen etwa. Sie sollten ein Frühstück auf Haaberg erhalten. In großer Feierlichkeit kamen sie an. Es war nicht so wie sonst, und die Leute waren in dieser Zeit wenig an Gastgelage gewöhnt. Selbst das Wetter war heute feierlich. Zwar gab es weder Sonne noch Schatten, sondern es schlief ein sanfter blauer Hauch zwischen den Bergen, über den Hängen und den Wiesen und wohin man sah; man hätte glauben können, man sei in einer anderen Gemeinde. Nicht ein Lufthauch rührte sich. Und rings um sie war Haaberg, und Haaberg war ein großer und stiller Hof, ein fremder Hof für sie alle sozusagen, er sah jeden an, der kam, sprach mit ihm und legte sich schwer auf ihn.

Odin stand da und betrachtete die Leute. Er kannte alle und jeden, und jede neue Falte in ihrem Gesicht wurde er gewahr. Sie waren seine Leute. Endlich hörte er einen, der sich aufraffte: »Ja, nun ist also die Aasel fort.« – »Ja–a«, wurde bestätigt. – »Hm; sie war ja auch alt. Und gleichsam eine aus der früheren Zeit, oder wie ich es nennen soll.« Darauf kam keine Antwort, sie hatten jetzt angefangen, vom Wetter zu reden.

Odin ging in die Kammer hinaus, wo Ola Haaberg seine Hilfskräfte regierte und das Essen überwachte. Er lächelte:

»Hast du sie gesehen, du?«

»Wen denn?«

»Die Leute. Sie sehen mir fast so aus, als hätten sie erst kürzlich schlecht über die Großmutter geredet. Sie schämen sich, daß sie trotzdem von ihr hierher geladen worden sind, siehst du das nicht?«

Ola lachte irgendwo tief drinnen, es klang wie ein Bach unter dem Schnee. Da wurde Odin über den Augen hart:

»Du lachst doch auch über alles, du!«

Ola lachte immer noch, aber er war doch auch ganz ernst: Odin solle für seine Worte bedankt sein, so habe er es sich von ihm erwartet, ja! Und kurz darauf fügte er hinzu: »Ich glaubte wahrhaftig schon, du bliebest solange hier, bis du genau so einer würdest wie ich. Hm, hm! Aber du hast es trotzdem wie ein Dummkopf angefangen, wie es auch sein mag! Oder ich bin hundert Jahre zu früh auf die Welt gekommen. Aber steh nicht da und halt mich auf, heute habe ich, Gott sei Dank, anderes zu denken.«

Odin sah durch die Kammertür hinaus, nach den Leuten in der Stube drinnen. Da drehte er sich schaudernd zu Ola zurück und deutete mit dem Kopf in der Richtung der Stube:

»Ich glaube, ich bin zu denen dort verurteilt. Zu den Menschen.«

»Ganz richtig, Junge!« meinte Ola lächelnd. Er leuchtete vor lauter Bosheit.

Er hatte noch das gleiche Lächeln, als er in die Stube trat und zu Tisch bat. Keiner wollte sich als Erster setzen, und keiner an den obersten Platz, es war das alte Lied; aber die Zeit war schon vorgeschritten. Da rief Ola über die Leute hin und brachte sie alle in Bewegung: »Per Lines, hier ist dein Platz! Arthur und Mina setzt euch hierher, und Otte und du, Andrea, und du, Iver Vennestad, da her! Und Kal Lauvset hier, und wenn du dein Weib bei der Hand hast, setz sie neben dich!« So nahm er sie Mann für Mann vor, mit sicherer Hand, nach Alter und Sippe, und was man sonst noch rechnen mußte, ihr Platz war da, und immer war es der rechte. Dies kam so überraschend für die Gäste, daß sie an ihre Plätze gingen, ehe sie sich's recht überlegten, und Ola stand mit der Uhr in der Hand da.

Odin saß weit unten und freute sich über die Leute: dieses Mal waren sie auf Haaberg. So sollte es sein, aber so konnte es nie mehr werden. – »Wer doch vor hundert Jahren gelebt hätte!« sagte er zu seinem Nachbarn. – »Ja, meinst du?« – »Nur eine kurze Zeit, nicht lange, meinte ich. Ich glaube, es war ein anderer Zug in den Menschen, damals.« – »Hm, ja.«

Im übrigen ging das Frühstück still vor sich, und still trugen sie den Sarg herein. Ola Haaberg sollte die Leiche hinaussingen, denn der neue Küster war verreist.

Als er mit dem Vaterunser fertig war, trat Odin an den Sarg heran. Die Leute achteten dessen nicht sonderlich, und auch Ola nicht, sie wollten nun endlich zu singen anfangen, irgendeine Kleinigkeit hielt sie noch davon ab, und jetzt sahen sie Odin dort stehen und wußten sofort, daß er etwas sagen, daß er reden wollte. Er sah aus wie sonst, war nicht einmal bleich, und seine Blicke glitten rasch über sie hin, betasteten sie und flogen wieder weg; er war durchaus nicht von Sinnen, aber reden wollte er. Jetzt fing er an!

Astri war bleich geworden und packte Lauris bei der Hand. Sie sah, wie die Gesichter der Leute schimmerten, aber die Augen darin waren erloschen, so wunderten sie sich, und so schämten sie sich für ihn. Einzig und allein Ola Haaberg stand als der da, der er zu sein pflegte.

Odin legte die Hände um sein Gesangbuch und sprach laut und ernsthaft: »Lebwohl, Großmutter! Ich sage dir Dank von Haaberg. Du weißt, was ich damit meine. Ich konnte es dir nicht sagen, solange du lebtest. Ich sage dir Dank von allen hier. Auch sie konnten es dir nicht sagen. Und du hast es keinem verargt. Dafür wollen wir dir am meisten danken, dafür, daß du keinem etwas verargt hast. Du warst älter als die anderen; ein Menschenleben warst du älter, und trotzdem warst du jünger als die Jüngsten von uns, wenn es darauf ankam. Du warst die Letzte, die die Ruhe in sich selber hatte; du konntest hier sitzen und die sein, die du warst; du verglichst dich mit niemand. Und trotzdem warst du viel mehr voller Unruhe für die Zukunft als irgendein anderer, du sahst sie stets vor dir. Oder ich will es anders sagen: Du sahst das, was gewesen war, und du sahst das, was werden sollte. Es war ein Staunen, das von dir ausging. Hast du uns verlassen, damit du nicht mehr zu sehen brauchtest, wie klein hier alles wird? Ich glaube das nicht, keiner von uns glaubt das, denn da würden wir gegen dich sündigen.«

Jetzt sahen sie alle einen Augenblick lang, daß Odin bleich geworden war. Aber ein Gesicht nach dem anderen löste sich auf und war wieder so, wie es immer zu sein pflegte. Nicht viel anders, als sei irgendeine Qual über sie hingegangen und habe sie nun losgelassen. Jetzt hörten sie ihm zu. Das eine oder andere Gesicht in der Stube bestätigte sogar seine Worte, und einige dachten über das nach, was er sagte, und wogen es ab; und da und dort war einer, der frei und offen wünschte, Odin möchte sich ganz verrennen und sich nicht mehr zurechtfinden.

Astri sah sie alle, wie sie so dastanden. Ihr war, als sehe sie die Menschen im Traum.

Odin fühlte sie nur an sich, wie etwas, das ihn innerlich emportrug. Er räusperte sich so zuversichtlich: – »Wir aber sind hier zurückgeblieben. Uns dünkt, wir sollten sagen, daß dein Volk mein Volk und dein Gott mein Gott sein solle. Aber wir können es nicht; noch lange nicht. Doch das eine oder andere versprechen wir, so wie wir hier stehen; für geringer halte ich keinen von uns. Und deine Blicke werden mit uns sein – mit vielen von uns, ja. Sie sind mild und gut, aber sie folgen uns und fragen. Sie fragen, was wir wollen, und sie wundern sich darüber, daß wir uns zufrieden geben. Du warst so klein, und warst so bekümmert und ungewiß, wenn du uns nachsahst: ein Mensch warst du. Du wußtest es nicht einmal, daß die Gemeinde kleiner wurde, als du fortgingst. Du saßest außerhalb der Gemeinde, aber es wird trotzdem leer nach dir.

So gönnen wir dir den Frieden, den du dir selber nie vergönnt hast. Und uns wünschen wir die Unruhe, die du für uns hattest. Lebewohl!«

Odin hatte seine Farbe wiedergewonnen. Jetzt schlug er die Augen zu Boden.

Eifrig begannen die Leute zu singen und dann den Sarg aufzuheben. Viele sangen laut. Und viele weinten, jetzt, da man die Tote hinaustrug. – »Mein Gott, war das ein Geschwätz«, hörte Odin hinter sich sagen, als sie draußen im Gang standen. Aber die anderen sangen. Sie gaben sich, so gut sie konnten, der alten Melodie des Leichengesanges hin, das sah er; und Astri mit ihnen.

Draußen aber hatte sich strahlendes Wetter aufgetan. Die Wolken waren nur noch kleine weiße Federn, die in der blauen Luft über den Bergen dahinsegelten und schimmerten. Der Laubhang stand in der Sonne da und schlief. Schlummerndes Grün glänzte überall. Dann kam der Wind. Baum für Baum erwachte und raschelte, schlief ein und wurde wieder geweckt; in aufleuchtenden Wogen zog der Wind nach Osten dahin.

Odin fragte sich, während er dies sah: Ist es wirklich so, oder gehen die Wogen nur in mir? Ist es nur ein Traum, was ich da sehe? – Warum waren die Leute alle miteinander so winzig klein, jetzt, da er sie ansah, und so weit weg? Denn sie hatten doch vorher nicht so ausgesehen; sie hatten ihren Wert gehabt.

Jetzt wurde der Sarg um die Hausecke herumgetragen. Da drehte er sich weg und hielt Umschau, nach Astri oder Ola, aber die waren bemüht, nachzukommen. Es gab niemand, dem er es hätte sagen können, und schließlich war es auch gleichgültig, aber so war es also: weder die Häuser noch der Hof noch sonst irgend etwas schaute Aasel nach, wie sie so dahinfuhr, wußten nicht einmal etwas davon. Nur der Sommerwind war da, der im Laub unten im Garten raschelte, und die Leute, die sich anschickten, mit zur Kirche zu gehen.

Ein einziges Gesicht war unter allen, das einen kleinen Traum für sich hatte, ein Jungmädchengesicht; es war bleich und fein, so daß es Odin entgegenleuchtete, und jetzt erkannte es ihn. Und er erkannte es; er fühlte einen leisen Stich in der Brust. Es war sie, aber er konnte sich nicht darauf besinnen, wer es war. Und sie war es, die ihn angesehen hatte und vor der er erbleicht war, als er neben dem Sarg stand, jetzt erinnerte er sich. Sie war es, von der er als kleiner Bub träumte, dann und wann, den seltsamsten Traum von allen Träumen, die er je geträumt hatte, und da bekam der darauffolgende Tag immer so ein merkwürdiges Gesicht. Ja, ja, aber nun mußte er zur Kirche.

Still ging es dahin, den Hang hinan und den weiten Bogen zum Kirchhof hinauf, eine lange, lange Reihe schwarzgekleideter Menschen im Sonnenschein. Odin durchfuhr ein Beben, als die Glocke sie empfing. Er schaute um sich, ob auch die anderen dies fühlten. Aber er konnte nichts bemerken. Einen Augenblick dünkte ihn, er sei wieder draußen auf freiem Feld und mitten im Abenteuer, unendlich weit fort und ohne Weg zur Gemeinde und zu christlichen Menschen; sie waren von ihm fortgegangen und hatten ihn dort vergessen, mitten im Sonnenschein und im Reichtum. Da sah er, daß sie dort ging. Sie hob die Augen und sah ihn an, und nun waren es sie beide, die darum wußten.

Und im übrigen: wenn er der Glocke eine Weile zuhörte, so war ihre Stimme nicht so schlimm. Sie hatte einen schönen Klang, wie die Menschen ihn brauchten, wenn es feierlich werden sollte. Es konnte auch einmal die Zeit kommen, daß man sie nicht mehr hörte, nicht auf die richtige Art – daß einer so sagte, wie der alte Heide, von dem sie immer erzählten, der von Juwika: »Jetzt schlagen sie wieder auf das Erz in der Kirche, da ist's Zeit, daß ich einen Schnaps trinke!« So zottig war dieser Kerl gewesen. Und so mager konnte die Gemeinde einen machen, vielleicht? Und zur Gemeinde war er verurteilt.

Der Pfarrer sprach am Grabe, er machte seine Sache gut, und die Leute standen ruhig da, ruhig und Gott hingegeben, und hörten zu. Es nahm sich prächtig aus, wie sie so dastanden.

Und so gingen sie auch wieder von der Kirche weg und nach Haaberg zurück. Dort aber löste sich bald einer nach dem anderen aus der Schar, viele Gesichter wurden munter, die ganze Stube lebte auf, bis es wie in einem Wirtshaus summte, als sie bei Tisch saßen. – »Na, du läßt dir's wohl auch gut gehen, scheint mir?« sagte Ola Haaberg, er kam herbei und schlug Odin auf die Schulter. Odin blickte auf: »Kann schon sein. Ich muß an das denken, was König Olav einmal sagte: › Hier sind viele und schöne Leute versammelt.‹ War das nicht schön?« – »Doch, doch, das ist wahr! Du sollst auch dafür bedankt sein! Denn Appetit auf Menschen, das ist es gerade, was einer haben muß. Ja, und danke für die Rede! Du sprachst fast wie ein Hüterbub von der Weide draußen, das ist wohl wahr, aber es tat doch gut.«

Odin hörte nicht zu, denn am untersten Tischende saß sie. Er hatte sie über den Leuten rings um sich vergessen, es waren ihrer so viele und so gute Bekannte, jetzt aber fühlte er wieder den harten Griff an der Brust. Im selben Augenblick erkannte er sie. Es war die Kleine vom Nordland, mit der er damals auf jener Fahrt zum Markt segelte und dabei ins Wasser fiel. So fein mußte dieses Gesicht werden, ja, das hatte er die ganze Zeit gewußt; so fremd würde sie einmal aussehen. Sie hatte braune und glänzende Augen. Die ganze Welt spiegelte sich darin und wurde neu dadurch. Jetzt schaute er nicht mehr dorthin, wo sie saß, er sah sie trotzdem, auch ohne daß er das tat, und überdies empfand er es für ungehörig gegen sie, beinahe wie einen Raub.

Da hörte er jemand auf seiner anderen Seite sagen: »Was siehst du denn an der Wand dort, Odin?«

Es war Astri; er hatte vergessen, daß sie bei Tisch neben ihm saß. – »Was ich dort sehe?« sagte er. »Ich sehe meine Meerfrau, wenn du's unbedingt wissen willst.« – »An der Wand?« – »Nein, dort!« er deutete mit dem Kopf zum Ende des Tisches hinunter. »Ich wußte ja, daß sie einmal kommen würde«, fügte er hinzu. »Aber beinahe hätte ich es doch vergessen, manchmal.« – »Ja; die ist schön, die dort.«

Er merkte, daß Astri sie eingehend betrachtete und daß sie gleichzeitig auch ihn überflog. Er drehte sich herum und sah ihr in die Augen. Sie schauten einander so lange an, bis sie lächelten, und hielten auch dann noch stand, zwei Kinder, die sich gut vertragen. Ihm war, als höbe sich eine Wolke von Astris Gesicht. – »Ja –« sagte er; »jetzt haben wir uns wohl ausgesprochen und miteinander abgerechnet, nicht wahr?« Sie nickte und ließ ihre Blicke weder ans Tischende schweifen. – »Laß mich's erleben!« sagte sie. »Daß einmal Ernst daraus wird.« – »Ja, aber nicht heute. Bei mir hat es nie Eile, in keiner Sache. Die anderen, die knien sich immer hinein, das sehe ich, jeder auf seine Art, und bald werde auch ich es wohl einmal tun müssen, aber Eile hat es nicht damit.«

Er merkte, daß Astri ihm nicht mehr zuhörte. Sie redete mit Lauris.

Als sie fertiggegessen hatten, forderte Lauris Odin auf, mit ihm in eine der Dachkammern hinaufzugehen. Er wollte ihm einen Schnaps einschenken. Denn das gab es bei diesem Leichenschmaus nicht. Es wurden übrigens zwei daraus, zwei gehörige. Da schaute Odin den Lauris an und lachte: »Du gehst umher und tust, als wärst du ein Feind, du. Aber ich glaub' nicht daran.« – »Nein, über so etwas glaubst du dich erhaben?«

Er hat Schlangenaugen, dachte Odin; aber er hielt ihren Blick aus, ohne zu blinzeln. Sie saßen noch eine Weile da, brachten aber kein Gespräch zustande. – »Jetzt will ich wieder hinunter und mit den Leuten reden«, sagte Odin. »Es ist auch ein Mädchen darunter, das ich begrüßen möchte eine Staatsschute, will ich dir sagen. Mit seidenen Segeln und seligen Stunden, wie es heißt.«

Lauris suchte Astri auf. – »Hast du jetzt mit ihm geredet?« fragte sie. – »Nein, es wurde nichts daraus, ich glaube, es ist besser, wenn du das tust, wenn du auf die richtige Art mit ihm redest, dann geht es. Denn was will er eigentlich mit dem Hofanteil? Und wenn wir diesen nicht haben, dann können wir mit den beiden anderen auch nicht viel anfangen, das weißt du, das gibt kein richtiges Haaberg – du mußt dich lieb Kind bei ihm machen!«

Astri biß sich auf die Lippe und schwieg. – »Kannst du mir's nicht ersparen?« bat sie nach einiger Zeit. »Denn ich habe keine rechte Lust dazu.« – »Nun, du bist doch diejenige, die weiß, was Haaberg wert ist! Ich, ich bin nur ein Heringsfischer und ein Landstreicher für ihn, das hast du wohl gemerkt?«

Zuerst flog ein Schatten über ihr Gesicht, und der Mund verzog sich, als müßte sie etwas Übles hinunterschlucken. Dann sah sie Lauris erstaunt an: »Für ihn, sagst du? Für ihn, der dich in allem und jedem nachahmt? Ja, ja, ich werde es tun. Wenn du mich bittest, Haaberg – – muß ich dir doch wohl verschaffen können«, murmelte sie.

Unterdessen ging Odin von einer Gruppe zur anderen und redete mit den Leuten. Sie wußten nicht, was sie sagen sollten, das aber wußte er, das war ihm nun so nach und nach beschert worden, dünkte ihn. Nur ein, zwei Scherzworte, und ein kurzes Lachen, dann war er mitten unter ihnen: »Ich sollte eigentlich vom Wetter reden, ich auch, aber ich weiß nicht, was ich darüber sagen soll. Wird es zu trocken oder wird es zu naß? – – Und jetzt wollen wir Haaberg also kleinbeißen. Damit Ihr von nun an der größte Bauer in der Gemeinde seid. Ja, das Haus soll stehenbleiben, aber es soll jetzt zwei Besitzer aufnehmen. Der dritte Bauer? Der werde ich.« Dann fragte er ernsthaft und bekam auch ernsthafte Antworten: »Hab' ich zuviel bezahlt für meinen Anteil?« – »Nein, woher doch.« Drei oder vier waren da, die ihm mehr dafür geben wollten, wenn er verkaufte.

Da sagte auf einmal einer: »Aber war es nicht falsch von deiner Großmutter, daß sie den Hof so aufteilte?« Und die anderen stimmten mit ein: »Es war falsch. Sie war zu alt. Ganz und gar verkehrt hat sie's gemacht.«

Odin wurde blaß, als er dies hörte. Dann schaute er auf und betrachtete einen jeden rings um ihn, und nun waren seine Augen leuchtend hell, er war froh:

»Nein, es war recht, das war es! Es war recht, so wie sie es machte, unbedingt! Wie konnte ich das nur nicht früher

sehen! Sie war so allein, als sie starb – – ich hätte ihr ein Wort sagen sollen!«

Er wurde gewahr, daß rings um ihn alle verstummten, und da hielt er nach ihr Umschau. Sie saß bei der Tür, so schien es ihm, denn dort sah er ein Kleid, ganz anders schwarz als die anderen, es ging förmlich ein Leuchten von ihm aus. Aber ihr Name war ihm entfallen, und sein Herz hämmerte, als wäre er im Begriff, Gott zu versuchen, durch verrücktes Segeln oder irgendeine andere Tollheit. Er sah hinunter und lachte: »Nein, schaut doch. Die feine Dame dort! Nichts als lauter Seide und Alabaster! Zu der muß ich jetzt hin und sie begrüßen.« – »Ja, was ist denn das für eine Seidenpuppe?« – »Das mag der wissen, der sie erschaffen hat!«

Und nun ging er. Der Ausdruck in ihrem Gesicht veränderte sich, als er kam, ohne daß sie aufblickte, und sie stand auf. Ganz kurz nur sah sie ihn an und grüßte. – »Und Dank für's letztemal!« fügte sie hinzu, wie es der Brauch war.

»Ja, das war nun eine nasse Geschichte, das letztemal!« erwiderte er lachend, und es lag ihm ein ganzes Gewebe von lustigen Worten auf der Zunge, aber er sagte nichts weiter. Statt dessen sah er sie an, denn jetzt konnte er nicht anders. Mina war da, er merkte es kaum, und die Leute rings um sie waren wie ein Wald, der alles still und gut machte.

»So, so, du bist nun also doch nach Süden gekommen?« sagte er.

Er ging hinaus. Er mußte unter den offenen Himmel. Viele waren schon draußen. Es litt einen nicht in der Stube drinnen. Das Wetter war fast zu gut. Die Luft schmeckte süß von lauter Blüten und Laub, und drunten im Garten und über allen Wiesen lag der brummende Ton der Hummeln. Große Wolken standen über den Bergen im Süden, blaugrau und mit Rändern wie aus sonnenvergoldetem Schnee. Das Land lag still und schlafend darunter. Es war ein Tag, so schön, als sei er unter vielen ausgesucht.

Aber Odin kehrte um; er wollte ins Haus und sie herausholen. In diesem Augenblick kam Astri. Er sah sofort, daß sie etwas von ihm wollte, und ließ sich Zeit. – »Willst du dich jetzt hier niederlassen?« fragte sie. – »Ja, es kommt darauf an.« – »Das darfst du nicht, Odin!«

Sie wurde rot, kaum daß sie es gesagt hatte, und ihre Augen wollten seinem Blick nicht standhalten, sie blinzelte schnell ein paarmal, faßte sich dann wieder und lächelte: »Ja, ich sage ganz offen, wie es ist, Haaberg – – das will ich haben! Und Haaberg, darunter verstehe ich den ganzen Hof. Aber es ist auch wirklich wahr, Odin, du sollst hier nicht festwachsen. Sollst du's dahinbringen, wozu du ausersehen bist, dann mußt du hinaus.« – »Über ›die hohen Berge‹ wohl, oder –?« – »Du weißt es ja selber auch, Odin!« – »Ja, ja. Aber wozu bin ich denn eigentlich ausersehen, wenn wir offen reden wollen?«

Sie sah ihn erstaunt und höhnisch an: »Sprich doch keinen Unsinn! Du, als ein Dichter; denn das bist du doch, und du weißt es auch.« – »Ich weiß es wohl. Aber es ist so merkwürdig: Ich bin mehr als das.« – »Mehr?« – »Ja, so sagte ich. Ich will sie umdichten; – die Gemeinde hier, verstehst du. Ich will die Gemeinde dichten. Ich will mich hier festkrallen und auf sie losgehen, ich will sie anders haben. Mein ganzes Leben lang bin ich herumgegangen und habe gedichtet. Dichten, so wie du es meinst, ist nichts anderes als träumen, ich aber will lieber leben – ja, schweig still und hör' mir jetzt zu! Einer muß doch mit ihr anfangen, mit den Menschen und allem – hast du je schon einmal soviel ordentliche Leute beieinander gesehen? Und doch bringen sie nichts zuwege. Ich will jeden auf seine Stelle weisen. Und dann will ich leben, wie gesagt; auf alles andere verzichte ich!«

»Bist du denn verrückt, Odin?«

»Ja, jetzt bin ich besessen. Jetzt werfe ich den Würfel, jetzt gehe ich über den Bach, heute noch!« Und als sie nur stillstand und ihn ansah, fügte er hinzu, ernsthaft mitten im Lachen: »Ich bin verurteilt.«

»Ja so, ja, Das bist also du. Du wirst immer weniger und weniger. Weniger und weniger.«

Odin sieht sie an und zieht belustigt die Stirne kraus. Übermütige Gedanken kommen und gehen auf seinem Gesicht, lassen es aufleuchten und dunkel werden. Dann sagt er: »Hast du jene Nacht vergessen, du, als wir beide allein auf dem Weg dort gingen – nachdem die Mutter gestorben war? Wie nahe uns damals der Tod war, hm? Nur ein kleines Stück weit bis zu ihm. Da wolltest du leben. Mir lag damals nicht soviel daran. Aber jetzt will ich zugreifen; jetzt ist das Leben hier, hörst du nicht die Menschen und den Sommer und alles miteinander? Es war nicht leicht für mich, früher einmal, hier einen Halt zu finden, oder wie ich es nennen soll, denn unsere Sippe hatte ihn verloren. D u warst dir deines Weges sicherer, das habe ich die ganze Zeit erkannt.«

Auch ihr kamen die gleichen Züge ins Gesicht, es leuchtete ein junger Mut in den Augen auf, und der weiche Nacken reckte sich empor – schon früher einmal hatte er empfunden, daß die Freude ihn wie eine Woge durchzog, nur weil sie lebte. Astri aber drang durch alles dies hindurch, stand da und sah ihn an, ohne mit der Wimper zu zucken. – »Sollen wir wirklich den Hof zerreißen?« – »Es wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben.« – »So kläglich wirst du denn doch nicht sein. Odin? Daß du auf das Geschwätz einer Frau hörst, die zu alt war, die als vom Tod Gezeichnete sich noch ein letztes Mal aufbäumte. Du könntest uns doch trotzdem deinen Anteil verkaufen?«

Er konnte die Blicke nicht von ihr abwenden, sie war ein zu wunderbares Geschöpf, wie sie so dastand. – »Ich erkenne jetzt, Astri, um wieviel es sich für dich handelt. Und um deinetwillen hätte ich es auch tun können. Hätte ich gar vieles tun können. Aber die Großmutter hat es uns verboten.« »Ach, sie ist ja nicht mehr da!« – »Sie ist schon noch da. Sie ist hier. Sie ist in mir und in dir und wo du nur willst.«

Astri schüttelte den Kopf, es war, als höre sie einem Kind zu. Eine Weile stand sie da und blickte zu Boden. Dann wurde sie rot:

»Hast du mich denn nicht so lieb gehabt – – daß es nun schwer für dich ist, hier zu sein?«

»Doch, aber –. Doch, das soll Gott wissen. Darüber könnte ich ein Gedicht schreiben, ja. Habe es auch schon getan; gar manch einen schönen Vers. Aber das genügt nicht. Ich muß es ertragen

»Ach so, dann soll es also Krieg geben?« – sie ging von ihm fort.

Ein schmaler Rücken, ein wunderbar weiches und liebliches Geschöpf, aber sie sah wie ein Feind aus, als sie fortging; er hätte ihr den Nacken oder den Rücken streicheln mögen. – »Die sitzt nicht da und träumt«, sagte er. »Ich liebe jene, die nicht träumen.« Ja, freilich, eine saß da und träumte, und zwar gleich hier neben der Tür, aber sie träumte von ihm, und wenn sie es nicht tat, so sollte sie es doch bald tun – er fuhr sich hastig durchs Haar, denn er war barhaupt. Ich will hinein und sie zu fassen kriegen, jawohl!

Im Vorraum und im Gang begegnete er der ganzen Schar, sie hatten Kaffee getrunken und wollten jetzt hinaus. Er stieß sie vor den Magen oder bahnte sich mit aller Gewalt einen Weg durch sie, ihm war, als sei er die Freude selber, die sich durch bedrückte Leute hindurchkämpfte. – »So, so, du willst mich aufhalten, Ola Engdalen? Nimm dich in acht, mein Lieber, denn hier komme ich!« – »Wie könnt Ihr nur so satt sein!« lachte er einem Mann von Vika zu. – »Satte Leute sind nur im Weg. – Wißt Ihr, was ein Altersheim ist, Petter Ramset? Freilich nicht, nein, aber Ihr sollt mir helfen, eines zu errichten.« – »Heute abend noch? Nein!« – »Nein, so sagt Ihr immer, da werden wir schon einig werden.« – »Ja, du schwimmst mit dem Strom, du«, sagte er zu einem Gleichaltrigen, »mir scheint, das ist deine Natur.«

So trieb er es auf dem ganzen Weg und war oft ziemlich grob, aber doch nie so, daß es wirklich traf, sie fanden alle, er sei ein junger und lustiger Kerl: Sagt weiter nichts über den Odin! Denn er meint nichts damit, sagten einige. Und dann ist es doch wieder, als meine er etwas damit, fanden wiederum andere. – »Wenn er nur auf dem richtigen Weg bleibt«, sagte der alte Helmer Hagan. – »Was für ein Weg ist das denn? Der deine oder der seine?« lachte einer von den Männern auf Paalsnes.

Als Odin eintrat, waren nicht viele Leute in der Stube. Die Frauen hatten sich in die Oststube hinüber verzogen, die meisten wenigstens. Odin ging zum Tisch und trank seinen Kaffee. Die Mädchen, die die Gäste versorgten, liefen aus und ein, mit roten Wangen und weißen Schürzen, sie rochen ganz erhitzt. Von ihr sah er nichts, aber nun glaubte er sich zu erinnern, daß sie Ingri hieß. Da kam Ola auf seinem Rundgang zu ihm. – »Mir scheint, du stehst da und denkst; du stehst wohl da und kommst auf irgend etwas

Odin schaute erstaunt auf: »Ja, ich stand gerade da und kam auf etwas, das ist wahr. Aber ich muß bis ganz zurück, bis nach Kjelvika und in jene Zeit, wenn ich den nötigen Schwung in mich kriegen will.« Er schämt sich bei diesen Worten, wird rot und will fortgehen. Dann lacht er: »Nein, ich höre nur den Sonnenschein und die Vögel, und dann noch den Bendek – da aber ist kein Verlaß mehr auf mich!«

Er wollte schon wieder seiner Wege gehen, aber Ola stellte sich vor ihn hin: »Du redest so dumm daher. Denn du bist keiner von den Alten, das weiß ich denn doch. Die sind irgendwo zurückgeblieben. Die blinde Fahrt, weißt du, die blinde Fahrt: von der hast du nichts in dir. Hm! Du siehst die ganze Gemeinde vor dir, Mann für Mann.« – »Ja, genau so ist es!« – »Ja«, sagte Ola, »aber du fühlst doch, wie es weitertreibt. Du sollst, heißt es jetzt; das ist ein neues Wort. Aber trink jetzt, Bursche, darum bin ich hergekommen. Ich, hörst du, ich bin schon mitten im Gastgelage. So, ja! Portwein. Dich selber besiegen, heißt es jetzt. – Glaubst du, der Vater wäre der richtige Mann dazu gewesen? Kaum, denn das gab es damals noch nicht. Aber, aber –« Ola legte ihm die Hand auf die Schulter, wie betrunkene Männer tun, »– – wenn du dem Trieb in dir folgst, wenn du der Odin selber bist, durch und durch, dann gebrauchst du seine Kraft, jetzt weißt du's. Dann tust du das, wovon er nichts wußte – du mußt gut darauf aufpassen, Junge! Du mußt – – verflucht noch einmal, du mußt – –«

»Amen!« sang Odin, so wie der Küster es singt. Ola trank noch ein Glas und wischte sich den Schweiß ab. – »Ein Jammer, daß ich nicht doch Pfarrer geworden bin. Ich hätte schön auf den Herzen der Leute gespielt, so!« Er trommelte mit den Fingern auf der Flasche, die er in der Hand hielt. »Aber der Lauris, mit dem wirst du noch deine liebe Not haben. In dem steckt gar vielerlei; er ist ein anderes Prinzip als du. Und ein Lump obendrein. Eine ganze Gemeinde von Lumpen sozusagen. Ja!«

Odin wachte auf und sah Ola an, mit glänzenden Augen, wie ein kleiner Bub, es blitzte blau unter den dunklen Brauen: »Aber es steckt auch etwas Gutes in ihm; ich fühle es. Ich mag ihn gern. Er und ich, wir werden wohl – –«

Ola schüttelte den Kopf: »Das ist jetzt zu hoch für mich. Wird noch einmal ein Laienprediger oder ein Storthingsmann aus dir, was meinst du wohl? Oder sollen wir glauben, in einer festlichen Stunde, daß du eine Kinderkrankheit nach der anderen überwinden wirst?«

Odin erzählte, was Aasel über ein Heim für alte arme Leute in der Gemeinde gesagt hatte. Das war es, was ihm heute abend eingefallen war: sein Hofanteil sollte dazu hergenommen werden, zu einem Armenhof, wenn sie es so nennen wollten. Er wollte die Sache gleich in Angriff nehmen und bat Ola, ihm zu helfen, es gab dabei so viele Dinge, von denen er nichts verstand.

Ola tat so, als höre er kein Wort, aber Odin wußte, daß er sehr wohl achtgab. – »Wir können ja morgen über die Sache reden«, knurrte Ola und wollte gehen. – »Nein, ich will noch heute abend mit den Leuten darüber sprechen, die sollen jetzt gleich etwas zwischen die Zähne bekommen. Mir wär's am liebsten, wenn du reden wolltest, das nimmt sich besser aus.«

Aber Ola schüttelte den Kopf und schaute grau vor sich hin. – »Ja, ja, dann tu ich's also selber, du kannst es ja sein lassen!« Odin wurde brennend rot im Gesicht. – »Meinetwegen«, sagte Ola. »Daß du sogar beim Leichenschmaus für deine Großmutter Dummheiten machen magst! Nun, von mir aus«, fügte er für sich selber hinzu, »aber ich dachte, hier gäb's andere Dinge aufzuräumen.« Er sah Odin ernsthaft an: »Also damit ist's nichts!« – »So gewiß, wie ich hier stehe!« erwiderte Odin und ging fort, und er merkte, wie Ola hinter ihm herlächelte, gleichsam als habe er schon nachgegeben. Jetzt aber zu ihr! Er wäre krank geworden, hätte er noch länger warten müssen.

Ola tappte durch die Stuben, bis er Astri fand. Er ließ sich nicht anmerken, daß er mit ihr reden wollte, sondern wartete nur, bis sie sich an ihm festsaugte. – »Ja, meine Liebe, ich weiß es«, sagte er, »ich weiß es, Kind, und wenn wir's schlau anfangen, dann kriegen wir ihn doch noch herum. Den Hof wollen wir auf alle Fälle wieder zusammenleimen – ›so war sie einmal!‹ sagen die Weiber bei einer zerschlagenen Tasse. Deine Mutter und auch der Otte stehen auf unserer Seite, die beiden müssen ihn wieder zur Vernunft bringen. Du brauchst nicht zu seufzen, meine Goldpuppe, du wirst schon noch einmal Hausmutter auf Haaberg, verlaß dich drauf! Wenn er wieder einmal von diesem Altersheim redet oder was das ist, dann lassen wir die ganze Menschheit auf ihn los. Ihm widersprechen ist so gut, wie ihn aufstacheln. Wir wollen nichts anderes tun, als einfach lächeln, dann kommt er schon so nach und nach wieder zur Erde herunter. Du liebe Zeit!«

Kaum war dies gesagt, als Odin kam, denn in der Oststube hatte er sie nicht gefunden, und jetzt wollte er durch die Küche und hinaus. Er hatte ein Gefühl, als seien die beiden hier gegen ihn, sie schwiegen so seltsam, aber er vergaß es gleich wieder, denn dort im Gang zur Küche stand sie und blickte hinaus. Hier ging fast nie jemand aus und ein. Als er kam, drehte sie sich um, als habe sie ihn erwartet. Sie hatte die Hand in die Seite gestemmt auf eine merkwürdig zarte Art.

»Komm und geh ein wenig mit mir ins Freie!« sagte er und faßte im Vorbeigehen nach ihr. Er war so atemlos, daß ihm das Reden schwerfiel.

Sie gingen nach Osten hinüber, die Blicke der Leute im Rücken und die Sonne schräg von links im Gesicht. Beim Vennestadweg bogen sie ab und wandten sich dort zu den Mooren in der Richtung zum Bergeinschnitt hinauf.

Der Himmel weitete und weitete sich immer mehr vor ihnen, während sie dahingingen, Himmel und Himmel und kein Land, unergründliche Bläue nach Norden zu. – »Ach!« sagte sie. – »Das ist das Merkwürdigste, was ich je gesehen habe!«

Dort endlich kam Land, nördlich vom Fjord, länglich und graublau, mit Inseln und Landzungen und Sunden, und dort erstreckte sich der Fjord meilenweit nach rechts und nach links, bis man ganz weit draußen die Inseln wie eine Luftspiegelung aus der Meeresfläche emporsteigen sah, weit, weit entfernt, dort, wo man es nicht mehr für möglich hielt. Und da endlich, unten vor ihnen, war der Strand. Ein seltsam vergessener Strand, eine ganze kleine Welt für sich. Felsbuchten und Muschelsand am Wasser, kurzgeschorene Wiesenflecke und runde Büsche davor, es war so merkwürdig, die hier zu sehen. Die Möwen lockten über den Fischgründen, die Großmöwen schrien weiter draußen über dem Heringszug; jeder Laut drang einem bis ins innerste Mark. Und die Abendsonne schien auf alles, als habe sie keinen anderen Gedanken als nur dieses Land hier. Das Meer spiegelte die Berge wider, es gab kein größeres Glück.

»Wie ich auf dich gewartet habe!« sagte Odin.

Sie gab keine Antwort. Auf einer kleinen Wiese zwischen großen runden Wacholderbüschen setzten sie sich hin. Er erzählte, daß er hier als kleiner Junge gewohnt habe, draußen am wilden Strand. Über ihr Gesicht rann ein kleines Lächeln, Odin dünkte es, als sei ein Stolz darin, fremd und unerwartet. – »Ich weiß«, sagte sie. – »Hättest du nicht hier wohnen mögen?« – »Doch!« – »Ja, das weiß ich. Aber es kommt nicht dazu. Du sollst bei mir sein, und ich muß mitten in der Gemeinde wohnen – ja, darüber werde ich dir später mehr erzählen. Es ist dort übrigens genau so merkwürdig; wenn man erst einmal dahinterkommt.«

Sie sah ihn an. Es waren viele Tiefen in ihren Augen, und unerwartet vieles bebte und zuckte bis zu ihren Brauen hinauf, er kam sich nicht viel anders vor als wie ein junger Bub, der dasaß und prahlte. Aber er schaute ihr fest in die Augen, bis sie ihre Blicke abwenden mußte. Jetzt zog sie wieder die Mundwinkel hoch, es war ein schweres und allwissendes Lächeln. »Aber wenn ich nun nicht wollte?« Und ihre Stimme sang für ihn auf eine neue Art.

Da war er gleich wieder der alte: »Darüber werden wir uns wohl einigen müssen! Ich habe lange genug auf dich gewartet.«

Ihm war es, als käme von überallher Antwort und Zustimmung, vom ganzen Land rings um sie und weit draußen vom blinkenden Meer her. – »Nein, jetzt gehörst du mir, das ist nun einmal nicht anders – – und wenn ich so mache, was dann?«

Er umfaßte sie und zog sie zu sich herüber. Er sah die Angst, die in ihren Augen aufleuchtete, die Röte und den stolzen Mut, es zerbrach und gab nach, alles miteinander, es gab nichts weiter mehr als nur das Land und sie beide, und er war Odin. – »So, so, meine Meerfrau! Nein, ich will dir nichts tun; ich bin wohl gefährlich, aber ich werde dich nicht anrühren, nein! Aber lange – warte ich nicht.«

Sie mußte nicht weinen, nur ein wenig bleich war sie geworden. Sie schaute weg, zum Strand hinaus. Es war nicht zu glauben, daß er hier saß, so nahe bei ihr. – »Ingri!« sagte er. Aber sie antwortete nicht. Sie schüttelte den Kopf. Ihre Augen wanderten hin und her. – »Es ist so seltsam hier«, sagte sie. »Mir ist, als hätte auch ich hier gelebt.« – »Ja? Aber zum Herbst, da sind wir zu zweit, und dann – ja, wir werden zwar unter den anderen leben, aber du glaubst doch auch nicht, daß es mit uns so gehen wird wie mit anderen Leuten, daß wir nichts als nur die graue Gemeinde und lauter Werktage vor uns haben?« – »Nein, aber – mit uns zweien wird's nichts.« – »Doch, unbedingt

Sie schüttelte wiederum den Kopf, und Odin dünkte es, als habe er nie früher jemand dies tun sehen. – »Unmöglich!« sagte sie. – »Mag sein, aber daraus mache ich mir nichts, es war auch unmöglich, daß ich dich wiederfinden sollte, und es ist doch so gekommen. Du brauchst mir gar nicht zu erzählen, wie unmöglich es ist – und wärest du auch ein Lappenmädchen, ich würde dich doch nehmen. Ich würde dich darum nicht fortjagen, nein, und wenn auch die ganze Gemeinde mit Fingern auf mich zeigen würde!«

Er fuhr zusammen, als er sah, wie diese Worte auf sie wirkten. – »Ja, ja, Ingri, ich bin ein bißchen zu derb für dich, ich weiß es; das soll später schon besser werden. Und jetzt muß ich wohl wieder heim zu den Leuten vom Leichenschmaus und muß sie mir vornehmen, das wird noch ein Kampf, Ingri. Es ist das erstemal, daß wir aneinandergeraten. Aber sie müssen nachgeben, wahrhaftig. Sie sollen mir helfen, das zu tun, was die Großmutter wollte. Aber eines noch: jetzt mußt du mir einen Kuß geben, und dann gehen wir; du und ich.« – »Den hast du dir vorhin schon genommen.« – »Nein, d u sollst mir einen geben, ich sitze ganz still da und warte, und dann kommst du von selber – in diesem Punkt will ich doch richtig geträumt haben.«

Sie zögerte eine Weile; dann tat sie es. Aber sie kam, so schien es ihm, als ginge sie dem Unglück entgegen. Ihr Mund fühlte sich seltsam klein und weich an. – »Das Merkwürdigste, was ich je gespürt habe!« sagte er. »Und jetzt gehen wir heim, du und ich. Ich werde sie mir fein hernehmen, heute abend, du sollst schon noch hören. Wenn du hier bist. Heute bei der Kirche, als du dort standest: Gottesfurcht und diese Dinge – – das alles war keine Schande mehr. So bist du.«

Ingri sah noch einmal über den Fjord hin, ehe sie fortgingen. – »Ja –« sagte Odin, »jetzt liegt er still da; der reine Feiertag. Aber du sollst ihn einmal sehen, wenn er Ernst macht. Da ist er wie ein ganzer Mann.«

Die Sonne stand schon weit drüben im Nordwesten, aber hoch am Himmel, sie dachte noch nicht so bald ans Untergehen.

– – – Unterdessen ging Ola Haaberg umher und redete mit den Leuten. Zuerst und hauptsächlich mit Lauris, und später mit jedem einzelnen der Häusler und guten Nachbarn. Rund und voll war er, und gutmütig, so daß sein Gesicht leuchtete: »Der Teufelsbub, der Teufelsbub!« – Ja, sie mußten gestehen, die Rede, die er da hielt –? – »Ja, die auch, ja; die auch. Trotzdem, die tat euch nur gut. Aber jetzt will er uns etwas ganz Neues zeigen. Er nimmt den Hofanteil hier und verwandelt ihn in eine – ja, in eine Anstalt. Hier soll die Gemeinde ihre Armen unterbringen; wir sollen ihnen ein Schloß herbauen. Ja! weiß Gott, es ist ihm Ernst damit! Und du und ich und wir anderen, wir sollen nach seiner Pfeife tanzen« – Ola puffte sie in den Bauch. »Ja, ja, ja, wir müssen gehorchen, wir müssen gehorchen! Wir sind alt und zu nichts mehr nutz, nach seinem Kopf. Werden wir ihm das Geld versprechen, hm?« »Das glaub' ich mein Lebtag nicht«, murrte einer. – »Daraus wird nichts, soviel ich weiß«, lächelte ein anderer. – »Er steckt uns alle miteinander ein, da ist nichts zu machen«, seufzte Ola und setzte seinen Weg fort, von Freund zu Nachbar.

Aber mit Andrea redete er ganz offen. – »Wir dürfen nicht zulassen, daß er Haaberg zerreißt, wir müssen an sie denken, die wir heute hinausgetragen haben. Er ist verrückt!« – »Ja, aber war es nicht ihr Wille –?« – »Woher doch! Er hat ihr den Kopf verdreht, zuletzt; du mußt mit seinem Vater reden, du bist die einzige, die das kann.«

Nach und nach gingen alle umher und hielten Ausschau nach Odin. Zum Schluß warteten sie sehr auf ihn.

Und endlich kam er, kam aus dem Wald mit einem Mädchen und ging geradeswegs auf den Hof zu.

Auch Mina ging umher und hielt nach ihnen Ausschau, als sie nun wiederkamen. Sie sah nicht sonderlich zufrieden aus.

Ingri ging hinein. – »Wir waren nur ein wenig fort und haben uns verlobt«, sagte Odin. »Das ließ sich hier beim Haus nicht so abmachen – heißt sie nicht Ingri?« Mina wurde ernstlich böse. – »Du solltest nicht solchen Unsinn reden, Odin, und besonders nicht heute abend!« – »So?« – »Du weißt doch wohl, was für ein Abend es ist?« – »Sonntagabend, ja? Und Gastgelage und gutes Wetter? Ach so, du denkst an die Großmutter! Sie war sicherlich bei allem dabei; ich glaube sogar, sie hat vor sich hingelacht. Du weißt, sie wollte es so schrecklich gerne, daß zwei Leute zusammenkamen.« – »Und außerdem, Odin: die Ingri ist nichts für dich. Sie ist ein feines kleines Ding, und nichts als lauter Staat, wenn ich es schon sagen soll.« – »Staat hab' ich gern; darum hab' ich ja auch dich oft gern gehabt.« In Minas Augen flackerte es sofort auf, sie war noch keine zwanzig Jahre alt, wie sie so dastand. Aber als er gehen wollte, hielt sie ihn zurück und trat dicht an ihn heran. – »Und das eine sollst du wissen«, flüsterte sie, »denn sie selber wird dir das kaum erzählen: ihr Vater ist nur ein armer Tropf, er sitzt im Loch! Hat Konkurs gemacht und Namen gefälscht, jetzt weißt du's!«

»Lappenblut ist keines in ihr?« Odin sah enttäuscht aus. »Ja, ja, aber ihn werden wir schon wieder freibekommen!«

Mina ließ ihn stehen. Es knisterte in ihrem Bock, so von Herzen erzürnt, sie war sicher von außen bis innen in Seide gekleidet! – »Meinetwegen hätte sie gern Lappin und Sklavin sein können, ich hätte sie trotzdem mitten unter euch gepflanzt!« fügte er hinzu. »Das hätte ich wahrhaftig fertiggebracht. Und wenn es heute abend gut geht – – – wenn ich heute abend siege – – –«

Als die Gäste nach dem Abendessen hinausgegangen waren, dastanden und rauchten und das gute Wetter genossen, trat Odin auf die Vortreppe hinaus. Sie sahen ihn alle miteinander, und sie wußten: nun kam er. Aber nicht ein einziger in der ganzen Schar fing an zu murmeln; sie rauchten nur ein wenig heftiger und unterhielten sich weiter; sie schielten zu ihm hinüber, ob er nicht bald anfangen würde. Er sah doch nicht so aus, als ob er Angst davor hätte. So, jetzt legte er los.

Er brauchte nicht viele Worte. Es sei Aasels Wille gewesen, hier ein Heim für alte und arme Leute zu errichten, so wie man es in vielen anderen Gemeinden schon getan hätte. Sie sei nicht weiter gekommen mit ihrem Plan, und nun habe er sich die Sache so und so gedacht. Sein Hofanteil hier war gerade recht zu diesem Zweck, und so hatte auch Aasel sich's gedacht. Den Preis hatten sie wohl alle schon gehört, es sei der gleiche, den er selber bezahlt hatte. Die übrigen Kosten sollten sie ausrechnen. Die Armenpflege würde nicht teuerer werden, als sie jetzt war, er nannte verschiedene Zahlen; und daß sie besser werden würde, konnte wohl keiner leugnen. Er machte nun den Vorschlag, daß sie sich heute abend zusammentun und darüber reden sollten und daß jeder in eine Liste einzeichnen sollte, wieviel er geben wollte, denn ohne Herzensgüte und Hilfe käme man nicht vom Fleck. Einige hätten Geld, die meisten hätten Bauholz, und an Arbeitskräften fehlte es wohl keinem. Später wollte er sich dann an die jungen Leute wenden.

Es klang leicht und froh, was er da sagte, und es fehlte nicht viel, dann hätte er die ganze Schar angesteckt.

Da puffte Ola Haaberg Petter Ramset in die Seite, und Petter räusperte sich und schob ein Stück Kautabak in den Mund. Die anderen beachteten dies wohl, denn Petter hatte ein loses Mundwerk. – » Ist es denn auch dein Hofanteil, von dem du da redest?« sagte er. – »Ja, ich denke doch wohl.« Ola pfiff vor sich hin, ohne Ton, und Petter sah in die Luft hinaus. – »Wieviel hast du dafür bezahlt?« – »3000 Kronen, rund gerechnet, und für das gebe ich ihn auch wieder her.« Aber im selben Augenblick wurde Odin rot: »Du hast recht, er ist noch nicht bezahlt, ich hatte noch keine Zeit, das Geld herzuschaffen, aber deswegen gehört er mir doch. Und der Preis ihr wißt selber, daß dies ein Preis unter Brüdern ist. Den Hof also hätten wir.«

Ola Haaberg war ein wenig weiter vorgetreten, er hatte die Daumen in die Armlöcher der Weste geschoben, stand so da wie Odin. – »So sollt ihr's machen, liebe Leute!« lachte er, »den Hof verkaufen, der euch nicht gehört. Fortschritt, nicht wahr?« – »Darüber können wir später noch reden«, sagte Odin ruhig, »aber heute abend handelt es sich um die Armen und um alles andere, was wir vorhaben. Denen geht es nicht allzu gut, den meisten wenigstens, das weiß ein jeder. Ich bin zu jung, um hierin voranzugehen, ich weiß dies und weiß auch noch mehr; aber ich dachte, wenn ich es im Namen der Großmutter sagte, so würdet ihr selber anpacken und es zu Ende führen.« – »Arme Leute sind wir alle miteinander!« warf Ola Engdalen lachend ein, und alle lachten mit, einer wie der andere.

Odin sah, wie gar mancher unter ihnen ein breites Gesicht bekommen hatte; sie standen da und machten sich lustig. Da huschte ein schmerzlicher Zug über sein Gesicht. Er wartete eine Weile und betrachtete sie. Ging dann zu ihnen hinunter und redete eindringlich mit jedem einzelnen. Sie gaben ihm recht, bis zu einem gewissen Punkt, wenn er aber dann weiter wollte, so hatte er die ganze Schar und nicht nur den einzelnen Mann gegen sich: sie wollten nicht glauben, daß sich das machen ließe! Ein zähes Lächeln gab ihm zu erkennen, daß, so wie die Zeiten jetzt waren und besonders heute abend, sie lieber von etwas anderem reden wollten. Ola Engdalen lachte ihm breit und derb ins Gesicht, so daß alle es hörten:

»Was redest du da eigentlich für Zeug, du kleiner Bengel, du? Geh hinein und leg dich schlafen und werd erst einmal trocken hinter den Ohren!«

Odin sah Ingri mit ein paar anderen Frauen an der Hausecke stehen. Sie sah nicht recht froh aus, wenn die anderen lachten. Er drehte sich weg und erblickte seinen Vater. Ging zu ihm hin. – »Was sagst du nun, Vater?« – »Ich? Ich habe nichts damit zu schaffen. Aber um den Hofanteil hier sollst du dir keine Mühe geben.« – »Wenn doch die Großmutter es wollte?« – »Ja, ja, schon recht – aber gib es auf! Du kriegst ihn ja nicht einmal. Und dann noch dazu das Geld.« – »Ich hatte vor, dich um Hilfe zu bitten?«

Otte Setran schüttelte den Kopf. Er sah zu Boden. – »Nicht für den Hof hier, nein.« Odin sah ihn an. – »Es ist nicht mehr viel von ihm übrig!« seufzte er und ging seiner Wege. »Und dort steht der Lauris«, – Odin lächelte. – »So, so, stehst du hier? Abseits von der ganzen Geschichte. Ja, du hältst es doch mit mir, nicht wahr?« – »In welcher Sache denn?«

Odin ließ ihn stehen. Einige hatten angefangen, von anderen Dingen zu reden, sie hielten sich nicht lange bei solchem Kindergeschwätz auf; sie redeten laut. Andere wieder wurden lebhafter, als Odin in die Nähe kam, sie lächelten und fragten: »Nun, wie ging es? Und was hat eigentlich der Ola Engdalen gesagt? Ja, so, er würde sich Geld leihen und dann ein Haus hier bauen, wenn er heute abend nicht verkaufen könnte? So, so, ja.«

Ehe er sich's versah, hatte der Zorn ihn erfaßt, er hörte seine Stimme hart und trocken zwischen den Häusern und über die Leute hin klingen:

»Ist denn kein Mut und keine Männlichkeit in euch, Leute?«

»Still doch, Junge!« sagte Ola Haaberg, »hier gibt es jedenfalls keinen, der dir zuhört.«

»Ja, wartet nur ein bißchen«, sagte einer hinter ihnen. Es war Iver Vennestad, der dort stand, und jetzt trat er ein wenig vor, so verwittert, wie er war. – »Ich halte es mit dem Odin. Wir sollten es uns wirklich überlegen. Und wenn du eine hilfreiche Hand brauchst, um den Hof hier zu kaufen, dann wollen wir uns die Sache einmal näher anschauen. Und für den Rest wollen wir später sorgen.«

Es war ihm peinlich, daß er so laut zwischen all den Menschen geredet hatte und nun alle Augen auf sich gerichtet fühlte, aber jetzt war es geschehen, und so reckte er sich noch einmal auf und fügte hinzu, mit unsicherer Stimme: »Ich weiß, die Aasel meinte es so. Das weißt du auch, Ola Haaberg, du solltest dich schämen!«

Dies kam so unerwartet, von dieser Seite, daß sie alle plötzlich schwiegen. Dann drehten sie sich um und hatten nichts gehört.

Odin stand da und sah Iver mit leeren Augen an. – »Ja, ja, ich danke dir schön«, sagte er. »Ich muß mir's einmal überlegen. Für heute abend hab' ich verloren, da ist kein Zweifel. Aber daß der Vater –?« Dann lachte er: »Verloren hab' ich, Junge, daß es nur so krachte!«

Die gleichen Worte sagte er zu Ingri. Sie erwiderte nichts darauf, aber es war offensichtlich, daß es ihr wehgetan hatte. – »Ich glaubte fast, ich hätte gleichzeitig auch dich verloren«, sagte er. – »Der Tag wird wohl auch noch kommen.« – »Ja, wird kommen, davon reden wir nicht! Was noch in der Zukunft liegt, das – –«

Sie blickte auf und mußte lächeln, sie fand, er sähe so unvernünftig aus. Jetzt stand er da und ließ die Blicke über die Gäste hinschweifen, kam mehr und mehr wieder zu sich. »So sind sie nun also!« lächelte er. »Da geht er, der Oheim Ola; eine Tüte voller Zuckerzeug und Gift; der hat, scheint's, die Hosen voll. Da segelt die Mina dahin, sie hat keinen Ballast im Boot. Wenn sie sich trauten, die anderen, dann würden sie's genau so machen. Astri läßt sich nicht sehen; sie ist ganz verschwunden; ich möchte sie fast einen Instinkt nennen. Dort sehe ich den Vater und sein Goldkind vor mir. Nur ein Ehepaar, sag' ich dir. Ach nein, ich denke mir so: wer nicht auf seinem Recht besteht, der steht nicht; aus dem wird ein Ehemann. Du siehst mich an, ja, ja, Ingri, aber du sollst das Spiel dennoch wagen, im Blinden, jetzt mitten in der Jugend, es geht nicht anders; niemals, du darfst mir's glauben! Ich meine doch, daß es noch ein Staat mit uns beiden werden wird. Aber so sind sie also«, er deutete mit dem Kopf zu den andern hinüber. »Fein haben sie's aufgenommen, hm? Sie gönnen sich nicht einmal ein richtiges Lachen. Wäre ich doch bloß zwanzig Jahre älter gewesen!«

Er stand still, wie er öfters zu tun pflegte, und ließ die Zeit vor sich aufleben, das, was gewesen war, oder das, was kommen sollte, je nachdem wie es sich ihm am liebsten zeigte. Und dies erkannte er wie sein eigenes Leben wieder:

Licht und Schatten wechselten über dem Land, tief aber still. Der Tag öffnete sich und schloß sich wieder ringsum. Es war die Weisheit, die dem Toren zulächelte.

Odin wandte sich Ingri zu. Sie stand da und sah hinaus, ebenso wie er. – »Bisweilen verstummt es so seltsam in mir, wenn ich das hier sehe, verstummt und lauscht: denn irgendwo weit draußen hat es nach mir gerufen, im Schatten und in der Stille drinnen. Ich möchte am liebsten aufstehen und antworten: ›Rede, Herr, dein Knecht höret!‹ Gleich darauf ist es wieder hell, und ein Ding nach dem anderen tritt hervor und lächelt einem zu, Gesicht an Gesicht. Dann habe ich es wie eine alte trockene Stimme gehört, von irgendwoher: ›Ich rief dich nicht, geh und leg dich wieder schlafen!‹«

Odin stand da und lächelte, zu den taublauen Mooren und den sonnenvergoldeten Bergen hinüber, er war hoch über allem:

»Und trotzdem hat es mich gerufen. Und wenn nicht, so soll es noch rufen müssen!«


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