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Getrennte Wege

1

Den Tag darauf sollte Aasel zur Stadt, es war ihre alljährliche Fahrt, und Astri sollte sie wie gewöhnlich begleiten. Odin fuhr sie bis nach Segelsund. Er sah, daß Astri ein wenig verändert war, wunderte sich jedoch nicht darüber, denn ihm selber erging es ebenso. Den ganzen Weg lang dachte er daran, es war beinahe so, als redete er mit ihr: Jetzt war er ein Sklave und kein freier Mann, denn er hatte nun soviel für sie hingegeben – er hätte noch viel mehr vermocht, um sie sich zu bewahren. Der Sklave war vielleicht der einzig glückliche Mensch auf der Welt. Nein, er war nicht glücklich darüber, nicht eigentlich, daß er sie besaß, er empfand mehr eine glückliche Angst darüber, daß er sie hätte verlieren können, ja, daß er sie immer noch verlieren könnte. Und sich ihrer nie sicher fühlte, nicht so sicher, wie andere Leute sich ihres Besitzes fühlten. Er stand hinten auf dem Wagen und schaute ihren Rücken an, der so mutig anzusehen war; und der Hals leuchtete so wunderbar weiß und fein, so lebendig gelblichweiß; und ihr Haar war braun, wie er es noch nie bei einer anderen gesehen hatte, dunkelbraun mit einem Schimmer von Sonnengold darin. – Laß dir Zeit, sagte er zu diesem Nacken, deiner werde ich schon einmal Herr werden, ich will dich zurückbiegen und züchtigen, bis nichts mehr daran ist, was sich gegen mich auflehnt, bis sie nachgeben, die Augen und das ganze Mädchen. Über mehr hat ein Mann noch nie geherrscht, nein.

Er bemerkte nicht, wie still die beiden Frauen dasaßen. Als er unten am Ufer den Wagen wendete, fragte er, wann man die beiden zurückerwarten könnte. Aasel nannte irgendeine Zeit.

Da aber dreht Astri sich zu ihm um, sie steht dicht neben ihm und schaut ihm in die Augen, läßt den Blick über sein Gesicht gleiten, als wolle sie sich die Erinnerung daran einprägen, so dünkte es ihn; dann sagt sie leise:

»Auf mich wirst du lange warten müssen. Wenn es überhaupt einen Sinn hat zu warten.«

Er sieht halb von oben auf sie herab, lächelt ihr sogar ein wenig zu:

»Ja, ja, ja. Du kommst eben, wann du kommst.«

Dann fuhren sie fort.

Aasel hatte vielerlei Dinge im Kopf, sie mußte für eine lange Zeitspanne einkaufen, ging von Laden zu Laden und erkundigte sich und überlegte; denn Stadtleute waren Stadtleute, und Handel war Handel, es ging nun einmal nicht anders; und sie war vom Land, das konnte ihr ein jeder ansehen. Astri ging mit ihr und wartete geduldig. Auch ihr schien es, als müsse es so gemacht werden.

Aber am nächsten Abend verließ sie die Großmutter plötzlich. Aasel fragte nicht, sie sah ihr nur nach, war vielleicht ein wenig unruhiger also sonst. Sie begriff, daß Astri zu Arne ging. – »Sie kommt wohl wieder«, tröstete sie sich.

Astri ging geradeswegs durch den Garten und zu dem großen Haus, klingelte und wartete. Ein Mädchen kam heraus und fragte, mit wem sie reden wolle. Astri sagte es. Das Mädchen überlegte, die Hand auf der Türklinke, dann sagte sie, sie wolle fragen, und bat Astri, in eine Stube gleich bei der Tür zu treten. Nicht lange darauf kommt der Hausherr selber herein, Finne auf der Säge, ein großer alter Mann, und streng, mit einer Brille. – Mit Arne reden? sagt er. Wer sie denn sei, wenn er fragen dürfe? Astri war aufgestanden, und die Röte kam und ging flackernd über ihre Wangen, während sie sagte, wer sie sei. – »Haaberg?« murmelte er. »Ja, so. Ja, aber mein Sohn ist heute nicht recht wohl, er liegt zu Bett; kann ich ihm etwas ausrichten?« – »Nein.« – »Ja, Sie müssen entschuldigen, Fräulein – – guten Morgen!«

Der große alte Mann verbeugte sich und war schon wieder draußen; dies alles ging so still und sicher vor sich. Astri tritt ein paar Schritte vor, und von neuem errötet sie, ein Ausdruck nach dem anderen jagt über ihr Gesicht. Dann aber bleibt sie stehen und betrachtet die geschlossene Türe vor sich, steht da und überlegt. Sie beißt sich in die Lippe, bis das Gesicht nach und nach weiß wird, und geht dann ruhig auf den Gang hinaus. – »Sollen sie mich denn wirklich hinauswerfen?« sagt sie und lächelt dabei; sie ist so zornig, daß sie weinen könnte. Sie erkennt am Geräusch, wo die Küche ist, und geht dorthin.

Dort trifft sie das Mädchen, mit dem sie vorhin gesprochen hat. – »Ist er sehr krank, der Arne?« fragt sie. »Ja, wer weiß. Er liegt jetzt seit einigen Tagen – er spuckt eben Blut!« – »Das ist doch nichts Neues, bei ihm.« – »Nein, Sie wissen, er – – ja, das Fräulein kennt ihn, soviel ich höre?« – »Sonst stünde ich gewiß nicht hier. Du mußt ihn von mir grüßen. Von Astri Haaberg. Astri wirst du dir wohl merken können?«

Sie hatte die Hand bereits auf der Klinke und wollte wieder hinaus. Da begann das Mädchen flüsternd zu erzählen, wie schlecht es hier im Hause jetzt stehe: »Finne hat mit dem Sägewerk aufgehört, oder vielmehr, man hat es ihm weggenommen, und Frau und Tochter sind bereits nach Süden zu ihren Verwandten gereist, kommen wohl überhaupt nicht wieder, nein.« Und jetzt würde hier wohl bald Auktion und Versteigerung sein, sie für ihr Teil habe sich bereits an einen anderen Platz verdungen. Und wenn Arne bettlägerig würde, jetzt in dieser Zeit, dann habe er's wahrhaftig nicht leicht – was sollten sie auch mit ihm anfangen? Doch, gewiß, er sei immer ein guter Junge gewesen, viel zu gut, soviel sie verstanden hatte, aber zu einer richtigen Wärme zwischen ihm und seinen Leuten sei es nie gekommen, er habe nie den Ehrgeiz gehabt, etwas zu werden. Und außerdem – –

»Ja, grüß ihn recht schön von mir«, unterbrach Astri, sie sagte Lebewohl und ging hinaus. Das Mädchen hatte eine unangenehme Art zu reden.

Als sie wieder auf dem Heimweg waren, fragte Aasel, wie es um den Arne stünde, ob er jetzt frischer sei, oder –? – Ach, es ginge so einigermaßen. Astri sah nicht so aus, daß Aasel Lust gehabt hätte, noch mehr zu fragen. Und als sie heimkam, leuchtete die Feierlichkeit förmlich aus ihr. Keinem, der mit ihr sprach, schenkte sie einen Blick. Man hätte glauben mögen, sie lausche auf das, was der Wind sagte, der jetzt von Südwesten her aufstand und schwer und sausend über die Häuser hinstrich.

Odin waren die Tage, an denen die Frauen in der Stadt weilten, unerträglich lang erschienen. Er hatte schließlich ein Gefühl, als kämen die beiden nie wieder. Überdies war das Alleinsein mit Andrea alles andere als angenehm, und es schien, als ginge es auch ihr in diesem Punkte nicht besser. Jetzt, da die anderen daheim waren und er Astri wieder sah, so wie sie war, blieb er oft lange stehen und schaute in die Luft hinaus. Aasel kam eines Tages zu ihm und fragte ihn, ob er sich mit Astri auskenne. – Nein? – Und mit ihr geredet hatte er auch nicht? Er schüttelte den Kopf und schaute wieder weg. – »Nein, nein?« seufzte Aasel. Da sagte er, hell und gleichmütig: »Es braucht seine Zeit. Sie muß Frieden haben. ›Es wird sich alles wieder wenden‹, sagte der Mann, als ihn das Weib in der leeren Tonne auf den Kopf gestellt hatte.« Aasel aber schüttelte besorgt den Kopf: »Du weißt, wie es ging – – mit der Elen hier, mit deiner Mutter, ja, und mit deinem Vater. Dein Vater war auch so: man mußte alles in Frieden lassen, alles sollte so geschehen, wie es geschehen wollte – – ich verstehe das so gut, ich auch. Hab selber oft Lust gehabt, die Welt so zu nehmen. Das ist ein gefährliches Spiel, Odin, das ist unerlaubt!« Odin lachte ihr zu: »Glaubst du? Ich wage es trotzdem, ich. Denn was geschehen muß, das wird geschehen. Manchmal wenigstens. Und die Astri – –«

Er ging an seine Arbeit. Mit Astri wollte er schon noch fertig werden, wenn die Zeit kam. »Hab keine Angst!« äffte er Aasel nach. Denn treu, das war sie, wie die Berge ringsum. Wie der blaue Himmel selber. War sie das etwa nicht? Doch, und wenn sie es nicht war, was sollte man dann mit ihr? Nein, er wollte nicht mit ihr reden.

Aber nach ein paar Tagen tat er es doch. – »Du bist so still?« sagte er. – »Schon möglich.« – »Von mir aus kannst du es gerne sein, weißt du. Aber dich freigeben, das tu ich auf keinen Fall, daß du's nur weißt.«

Sie sah ihn groß an, und lange. In ihren Augen war noch nie ein Funke von Angst gewesen. – »Sagst du das wirklich, Odin?« – »Ja, was sollte ich denn sonst sagen?« Da war es gleichsam, als reiße sie sich mit einem Ruck los:

»Ich bekam heute einen Brief von Arne. Nein, gestern war es. Er nimmt Abschied von mir. Er wird jetzt sterben.«

Odin schwieg dazu. Sie sah, wie ein Schatten über sein Gesicht rann, und nun schwand die Wolke vor der Sonne und ließ es deutlich werden. Es war seltsam jung, sein Gesicht, wie ein kleiner Knabe nur erschien er ihr, wie ein leichtlebiger, den so schnell nichts angreift. – »Aber ist es nicht merkwürdig«, sagte sie, »daß er gerade jetzt so krank werden mußte –. Wie ein Zeichen, findest du nicht? Der Doktor sagt, er begreife es nicht, wie es so schnell kommen konnte.«

Odin schweigt immer noch, und sie steht da und sieht ihn an. Regenschwer braust draußen der Frühlingswind.

»Du sollst es wie ein Mann tragen, Odin – du sollst nicht mehr an mich denken. Wir beide waren es eben nicht –«

Er tritt dicht an sie heran, umfaßt ihre Hände. Sonnenlicht und Schatten tanzen in dem Raum, wo sie stehen, und auch draußen über allen Wiesen und Hügeln, es springt und lacht, springt und lacht, nichts als Übermut und Gedankenlosigkeit, und von Zeit zu Zeit kommt ein Regenschauer herab, auch nur einer, der im Übermut dahinspringt im Mai. Dazwischen hinein läßt der Wind sich lauter vernehmen, er singt so, wie ein jeder es hören will.

»Bist du nicht recht bei Trost, Astri? An was denkst du eigentlich? Du mußt doch wohl –«

»Es ging doch so rasch mit ihm«, sagte sie still. »Und jetzt liegt er dort allein, kein Mensch kümmert sich um ihn.«

»Ja, aber hör nun, Astri, wir haben ja die Zeit vor uns, wir können ja – –«

Sie schüttelte den Kopf, sie ist wohl weit fort von allem, was er sagt.

»Wir zwei hätten es trotzdem nicht werden können.«

Er ließ ihre Hand los.

»Zum Betteln tauge ich nicht, das weißt du. Und dich zu bitten, es zu überlegen, nützt auch nichts; das hast du schon getan, das höre ich.«

»Du sollst mir lieber helfen, du!« sagte sie. »Es ist nicht so leicht. Es wird schwer genug mit der Großmutter und der Mutter.«

»Aber in Gottes Namen, Mädchen, an was denkst du denn eigentlich?«

Sie stand da und schwieg. Ihre Blicke lagen wie zwei schwere Hände auf ihm und drückten ihn nieder.

»Ich muß ihn heiraten.«

Sie brachte es sogar über sich, ihm zuzulächeln, denn jetzt wurde sein Gesicht so seltsam. Aber es dauerte nicht lange, dann schoß ihm die Röte wieder in die Wangen, er packte Astri, als wolle er sie schütteln, bis sie wieder zur Vernunft käme:

»Das tust du nicht, Astri! Das tust du nicht! Du? Du wirst deiner Großmutter nicht den Kummer machen, und denk doch an Haaberg und alles andere – nein! Von mir selber will ich nicht einmal reden, das ist nicht – –«

»Nein, das sollst du nicht. Du sollst mich freigeben – bist du nicht Manns genug, um das zu tun? Dann will ich dich auch nicht haben. Du sollst dein Recht abtreten.«

»Das geschieht nimmermehr!«

Aber als er diese Worte gesagt hatte, hielt er inne. Er mußte lange so gestanden haben, als er Astri sagen hörte:

»Jetzt dachtest du an deinen Vater, nicht wahr?«

Odin sah auf und sammelte sich rasch.

»Ja, das tat ich wohl, gewiß tat ich es, ja.«

»Aber ich, Odin, ich habe keinen Vater. Ich muß ohne ihn zurechtkommen. Doch ich glaube zu wissen – – daß er mit mir einig gewesen wäre. Geringer war er nicht; das fühle ich.«

»Ja, ja, also«, sagte Odin. »Dann ist nichts mehr darüber zu sagen.«

Er gab ihr die Hand, schämte sich dabei ein wenig, tat es aber trotzdem – Astri umschloß sie mit ihren beiden Händen:

»So mußte es gehen, Odin. Mit uns.«

»Ja, wer kann das wissen, aber –«

»Du bist so stark, du – wir zwei hätten sicher nicht zusammengepaßt.«

Odin hörte nicht, was sie sagte. Verhielt es sich wirklich so, daß er durch das hier hindurch mußte, so war der Weg wohl auch gangbar, und sie noch mehr zu plagen, war ein Unrecht. Jetzt war sie fortgegangen. Nur noch die Sonnenkringel lagen auf dem Boden.

»Sie haben kein Recht zu dem hier!« sagte er laut. »Aber nur zu!«

Er wollte hinuntergehen, ihm war leidlich gut zumute. Da durchlief es ihn wie etwas Neues, das, was sich soeben zugetragen hatte. Er setzte sich auf das Bett.

Odin und Astri redeten in den folgenden Tagen nicht viel miteinander. Erst mußte sie mit Aasel und der Mutter fertig werden, und danach hatte sie noch mehr als genug zu tun. Sie mußte sogar zum Pfarrer gehen. Irgendeine Veränderung war ihr nicht anzumerken, abgesehen davon vielleicht, daß sie ihre Augen meist woanders hatte als dort, wo sie ging, und daß sie noch ein wenig wortkarger war als zuvor. Bisweilen sah sie Odin an, gleichsam, als grüble sie darüber nach, was in ihm wohne. Er fragte sie eines Tages, was Aasel dazu sagte. – »Ach, nichts weiter.« – »Aber sie sagt nie ein Wort darüber zu mir – sie ist wohl ganz entsetzt?« – »Sie war entsetzt, ja. Zunächst. Aber ich glaube, sie versteht mich. Ich glaube sogar, sie sagte: ›Ich erkenne mich selber wieder.‹ Und zum Schluß meinte sie: ›In Gottes Namen denn!‹ Sie versteht mich.« – »Ja, ja. Etwas Ähnliches war zu erwarten. Ich habe es ihr angesehen, wenn ich mir's recht überlege.« – »Ja, und dann sagte ich noch, daß wir beide, du und ich, doch Geschwisterkinder seien, sie verstand gewiß auch das.«

Odin ließ sie wieder allein; denn jetzt war sie schon tief in ihren eigenen Gedanken, sie merkte kaum, daß er noch dastand.

Das Maiwetter pfiff um die Häuser mit Wind und Regen, es brauste über die Erde hin, daß es eine Lust war. Odin zog sich an und machte sich auf den Weg, hinaus zur Arbeit, ihn dünkte, er sei sein Leben lang hier umhergegangen: Prickelnde Schauer schlugen ihm entgegen, und die Erde war naß und klebrig unter den Füßen, und Haaberg ringsum war wie ein großes und ernsthaftes Gesicht, das ihn überallhin begleitete; dann kam die Sonne wieder heraus, hoch über den Wolken, und tauchte das ganze Land in erstauntes Licht, man konnte den Ton, der davon ausströmte, hören, wenn man wollte – und dann ging's wieder blindlings in Dunkelheit und Regenschauer hinein. Und die Arbeit war noch immer getan worden, mit leichtem Sinn und mit schwerem Sinn, durch dick und durch dünn, das hatte man hier nie so genau genommen. Seufzen, das mochten die anderen, so empfand er es. Und so stand es in der Schrift oder irgendwo: »So wie deine Tage sind, so soll auch deine Stärke sein.« Vielleicht hatten sie das gar nicht einmal gehört, jene, die früher hier lebten; jene, die den Weg hier heraufgefahren waren, die Türen und Schwellen hier abgenützt hatten, sie hatten hier so gut gelebt, wie sie konnten, auch ohne dies.

Aber Astri, die hatten sie nie gesehen.

Die Häusler waren früher oft auf Haaberg und halfen bei der Arbeit. Es war noch jetzt wie früher, wenn Haaberg nach ihnen ausschickte, so kamen sie, wenn sie konnten; aber jetzt arbeiteten sie um Tagelohn. Für Odin waren es trotz allem Häusler, er dachte in diesen Dingen nicht anders. Manchmal, wenn Aasel weiter nichts gesagt hatte, fragte er die Männer bei irgendeiner Arbeit um Rat, aber er tat es mehr, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen; sie wußten so vieles darüber, wie es früher hier gewesen war, und jeder für sich bedeutete eine kleine Welt, die Odin gerne kennenlernen wollte. Oft, wenn er zwischen ihnen dahinging, durchfuhr ihn eine Erinnerung an jene Zeit, da er mit Muscheln und Steinen spielte: Sie bewegten sich so willig dorthin, wo er sie hinwies, und kamen und fragten um Rat, wenn es not tat, oder auch sonst einmal, und am lustigsten war es, wenn sie aufmuckten und die Zähne zeigten, nahe daran, nicht zu gehorchen. Aber sie gehorchten dennoch. Odin sah ihnen nach, wie sie so dahingingen.

Anton Bekken, der Älteste unter ihnen, war seit Kristens Ableben Säer auf Haaberg. Odin fuhr mit der Egge hinterher. Sie treffen oben beim östlichen Ackerrain zusammen, und die Pferde bleiben stehen und schnuppern zum Säbottich hinüber. – »Ja«, sagt Anton zu den Gäulen, »ich höre es schon, aber – – der Bauer steht ein wenig zu nahe.« – »Gib nur jedem eine Handvoll«, sagt Odin. – »Wie du willst. Ja, dieses Jahr säe ich wohl für dich?« – »Ach nein, o nein. Da wollte ich euch schon anders antreiben.« – »Nun, was das Antreiben betrifft, so – aber du läßt es dir doch nicht entgehen? Und die Astri, eine bessere bekommst du nicht fürs Haus. Sie hat das Zeug zu einer Großbäuerin; das kannst du mir glauben. Aber spute dich, das sage ich dir, wer weiß, wie lange sie auf einen wartet. So, jetzt wollt ihr mich zum Dank wohl gar noch selber auffressen. He, he!«

Am gleichen Abend sagte Aasel zu ihm: »Du gehst jetzt fort von uns, du also auch?«

Von uns, sagte sie; Odin dünkten diese Worte immer tiefgründiger, je länger er darüber nachdachte. Und ihr Gesicht – durch das blies bald der Wind hindurch, so dünn war es. Daß ein Mensch zu gleicher Zeit so ängstlich und doch wieder so unerschrocken sein konnte! – »Nein, ich gehe nicht fort«, sagte er. »Kann ebensogut hierbleiben.«

Sie sah ihn an, sagte jedoch nichts. Dann fuhr sie sich über die Stirn und seufzte:

»Hm, hm! Daß es mit der Astri so gehen mußte wie mit ihrer Mutter? He? Das ist das Urteil, sagt sie.«

»Irgend etwas muß man ja wohl sagen!«

2

Astri hatte allein fortgehen wollen. Aber Aasel hatte ihr ins Gewissen geredet und sie umgestimmt, und so durften sowohl Aasel wie die Mutter mitkommen. Später war Astri froh, die beiden bei sich zu haben, es war trotzdem noch schwierig genug, mit allem zurechtkommen. Vielleicht empfanden die anderen es auch als einen Trost, daß sie ihr nach besten Kräften helfen konnten. Sie hatte beinahe jeden Tag an Arne geschrieben, und zuletzt hatte sie ihm mitgeteilt, an welchem Tag sie käme. Andrea hatte sie gefragt, was er darauf geantwortet habe. – »Was er geantwortet hat? Nichts weiter. Er muß doch wohl einsehen, daß es keinen anderen Ausweg gibt?«

Den Otte hatte sie gebeten, vorauszufahren und ein wenig außerhalb der Stadt eine Wohnung für sie zu mieten. Er hatte ein gemütliches kleines Haus unten am Meer gefunden. Arne mußte hingefahren und sogar hineingetragen werden. Lebensmittel und alles, was sie sonst noch brauchten, sollten ihnen durch einen Mann besorgt werden, der täglich mit dem Boot zur Stadt ruderte.

Arne hatte sich in den Kopf gesetzt, daß er nicht von einem Pfarrer getraut werden wollte. Lieber wollte er, daß Astri einfach so bei ihm bleiben und ihn pflegen sollte. Sie schüttelte nur den Kopf. Nahm seine Hand und sah ihn eine Weile an. Da gab er nach.

Andrea erbot sich, dazubleiben und bei ihm zu wachen, die Nacht vor der Trauung, und das nahm Astri an. Dann fügte sie hinzu und sah einmal die Mutter und einmal den Otte an: »Ihr könnt ja alle beide hier wachen.« Und später, als sie und die Großmutter bereitstanden, um in die Stadt zu gehen, betrachtete sie Andrea mit schmalen Augen und sagte, nun stünde sie ihnen ja nicht mehr im Wege; nun wolle sie am liebsten, daß alles ins Gleis komme. Sie sah die Großmutter an, die mit ganz unendlich matten Augen dastand. – Sie könnten doch der Großmutter schließlich die Freude machen. »Ich bin ihr eine Hochzeit schuldig, an der sie Freude hat; eine schönere, als diese hier werden wird.« Sie war sich nicht bewußt, daß es fast aussah, als lache sie. Dann drehte sie sich um und trat wieder ans Bett. Sie küßte Arne auf die Stirn und blieb noch eine Weile über ihn gebeugt stehen. Hinter ihrem Rücken gaben sie sich gewiß die Hand; es war still wie in der Kirche, bevor ein Brautpaar aufgeboten wird. Sie sah kreidebleich aus, als sie sich wieder herumdrehte, mochten die anderen in Gottes Namen die Tränen sehen.

»Ihr müßt es um der Großmutter willen tun«, sagte sie noch einmal.

Astri hatte bestimmt gewußt, daß es regnen würde, wenn sie heiratete. Das tat es auch. Sie merkte es erst, als der Pfarrer und Arnes Vater gekommen waren, als die Stube vor lauter Feierlichkeit still wurde. Wie eine Türe schlug es sich vor ihr auf, und der Regen murmelte und flüsterte in einem fort, ein milder aber starker Laut, genau so hatte sie es gehört, wenn sie versuchte, es sich auszudenken. So hatte sie auch das Gras gesehen, draußen auf der Wiese, und das Laub an dem Baum gleich hinter dem Haus, das Gras dunkelgrün vom Regen, und das Laub hell. Ihr schien es, als sei es um ihretwillen so. Als sei es ihr so zugedacht. Aber zur Mutter sagte sie: »Es regnet, Mutter. Regen auf die Brautkrone, hm? Das bringt Glück?« Die Mutter war bleich, aber sie lächelte.

Dann fand die Trauung statt, und dann sollten die anderen fortreisen. Finne, der alte große Mann, legte seine Hand den Neuvermählten aufs Haupt. Er sah unsäglich müde aus, als er ging, aber er drückte allen miteinander warm die Hand. Aasel ließ sich Zeit. Endlich brachte sie es heraus: Sie bat, ob sie nicht hier eine Tasse Kaffee trinken dürften, ehe sie fortführen. – »Ja, freilich!« sagte Astri, ihre Stimme klang hell – »natürlich sollt ihr Kaffee bekommen, ich dachte selber schon daran.«

Und dann blieben sie miteinander allein, er und sie. Da sagte Arne: »Aber du hättest es nicht tun sollen. Astri!« – »Hätte ich nicht? Weil es zu spät ist?« – »Nein«, lächelte er, »es ist nicht zu spät, aber –« – »Ja«, sagte sie, als eine Weile vergangen war, »ich habe schrecklich Angst gehabt vor dem Tod, das muß ich gestehen. Jetzt will ich es mit ihm aufnehmen und ihn zur Tür hinausjagen – ja, du verstehst schon, daß ich nicht nur deswegen zu dir gekommen bin? Denn ich mußte kommen. Und jetzt bin ich hier, nicht wahr?«

Er nahm sie bei der Hand und zog sie zu sich aufs Bett herunter. – »Wenn ich dich festhalte, dann glaube ich fast, daß ich schlafen kann.« – »Du sollst jetzt schlafen!« Und gleich darauf schlummerte er ein.

Und dort auf dem Bettrand oder auf dem Stuhl neben dem Bett saß sie fast die meiste Zeit, in den drei Wochen, die er lebte. Sie hatte eine Lagerstatt, auf der sie ausruhen konnte; aber in den Nächten wagte er kaum, ihre Hand loszulassen, er war ängstlich wie ein Kind und schrak sofort zusammen, wenn sie aufstand, und tagsüber gönnte er ihr erst recht nicht viel Ruhe. – »Du hast solange geschlafen«, klagte er. – »Nicht mehr als zwei Stunden.« – »Nicht mehr? Ich dachte

– – es wären mindestens fünf oder sechs.« – »Ist es denn besser, wenn ich hier sitze?« – »Ja, hörst du!« So fragte sie oft.

Kurze Zeit, ein oder zwei Tage lang, sah es aus, als habe die Krankheit nachgelassen. Der Husten klang nicht mehr so hart, und der Schlaf war gleichmäßiger; an einem Tag schliefen sie beide mehrere Stunden. In der Nacht darauf lag er da und sah sie an, ließ den Blick nicht von ihr. Ihre Hand hielt er so fest, daß es brannte. – »Astri!« flüsterte er. – »Astri!« Da stand sie auf, mit brennenden Wangen, schwer und ernst. »Ja, Arne. Ich kann es dir nicht abschlagen. Mag kommen – was da kommen mag.«

Sie schaute zum Fenster hinaus. Draußen war hellgraue Nacht. Das Laub rührte sich im Wind und trug den Hauch am Strand entlang; alles war so merkwürdig weit von ihr fort. Und ruhig und ernsthaft, wie sie aufgestanden war, zog sie sich aus und legte sich neben ihn. – »Ist hier auch Platz für mich?« sagte sie.

Gegen den Morgen zu, als sie aufstand, sagte er klagend: »Daran hattest du nicht gedacht, Astri, als du herkamst!« – »Nein, vielleicht nicht. Nein, wenn ich ehrlich sein soll. Aber jetzt gehörst du mir, Arne!«

Aasel und Andrea kamen ein paarmal und schauten sich nach ihnen um. Odin fragte nicht, wie es stünde, aber er ging den Frauen auch nicht aus dem Wege, wenn sie kamen. Er wartete ruhig, bis Aasel sich zum Erzählen anschickte. – »Die Astri hat jetzt ihren Kampf bald zu Ende gekämpft«, sagte sie das letztemal. »Ein wenig müde ist sie, ist wohl schon lange nicht mehr aus den Kleidern gekommen, die arme Haut, aber im übrigen kommt sie gut zurecht.« Und dann fügte sie hinzu: »Sie sah wohl keinen anderen Weg als den hier.« – »Nein«, meinte Odin. – »Wer doch nur wüßte, ob sie wieder hierher kommt!« – »Das glaube ich doch wohl.« – »Aber dann gehst wohl du fort?« – »Ja, kann sein.« – »Weit fort, hm?« – »Ich weiß nicht. Ich möchte einmal etwas Richtiges anpacken. Möchte hinaus und mich auslüften. Aufs Meer hinaus, glaube ich.«

Sie saß still da und sah ihn an. – »Du hast auch keine dickeren Backen bekommen«, murmelte sie. »Mein Gott, bist du jetzt mager!«

Da ging er von ihr fort. Mit ihrer Hoffnung mag sie allein fertig werden, so gut sie kann, sagte er zu sich. Ich habe ein Stück meines Lebens weggeworfen, ich habe mehr weggeworfen, es kommt nicht darauf an. Aber ich glaube, ich muß mich jetzt bald auf die Beine machen. Ein anderer sein.

Im übrigen war das Leben friedlich. Er saß oft oben auf der Last, wenn er von weit draußen heimfuhr, saß da und sah allerlei vor sich. Er sah so vieles. Oft sah er, wie klein doch alles war, wenn es einem eine Zeitlang schlecht ging, nicht anders als ein Punkt am weiten Himmel. Bisweilen wimmelte es ihm nur so entgegen, ein Gesicht nach dem anderen, wie seinerzeit, als er noch ein Knabe war, jene Tage rückten ihm wieder so lebendig nahe, mit sonnigem Strand und abendlichen Schatten, ein großes wildes Land, und dann kam die Gemeinde und das Land und belebte sich vor ihm und machte ihn warm und unruhig; sie wollten ihm wohl keinen Frieden mehr gönnen? Ja, in Holz sollte es nicht geschnitzt werden. Aber manchmal hörte er den Ton und den Takt darin und Wort für Wort, große und starke Worte, von denen er wenig gewußt hatte, es konnte einen ganz kalt überlaufen, in ihm steckte ein Fremder und sang. Blickte er dann auf, so lag der Sommertag vor ihm und lächelte allwissend, die Welt mit dem großen hellen Antlitz; und in weiter, weiter Ferne war Astri, er konnte sie gerade noch erkennen. – Du hast dich gründlich verlaufen, sagte er zu ihr. Auch du hast ein paar Jahre und noch mehr weggeworfen. Es kommt nicht darauf an.

– – – Als Arne gestorben war, schrieb Astri heim. Der Brief war diesmal an die Mutter gerichtet. – »Er starb heute nacht«, schrieb sie. »Es war gegen Morgen, und draußen war es hell, ich hörte die Vögel singen. Er starb so schön, es war gar nicht schwer, weder für ihn noch für mich. Das Sterben ist so etwas ganz anderes, als ich früher glaubte. Und jetzt fahre ich mit ihm nach Süden hinunter, der Sarg kam heute. Denn er soll nicht hier begraben sein, da seine Leute fortgezogen sind. Ich habe telegraphiert, daß man mich am Kai abholen soll. Und wenn die Großmutter fragt, so sage ihr, ich glaube, er ist selig gestorben. Ja, ich bin dessen sicher. Ich mußte ihm aus der Bibel vorlesen, und er glaubte alles, wenn ich es glaubte.«

Dann bat sie noch, man möge ihr Geld senden, und schrieb, daß man sie um die und die Zeit daheim erwarten könne, und jetzt müsse sie schließen. Aber trotzdem schrieb sie noch eine Seite lang, denn sie sei so wach, sagte sie, sie sitze da und schaue in den hellgrünen Tag hinaus. – »Nein, Mutter, ich sitze nicht hier und weine; aber ich will mich nur nicht hinlegen, es ist viel zu hell und still, ich habe noch nie ein so schönes Wetter gesehen. Und wenn ich weiterhin die bleiben könnte, die ich jetzt bin, dann wollte ich mich nicht groß davor fürchten, jung zu sterben, ich habe es jetzt überstanden. Mir ist, als säße ich hier und redete mit Dir, und der Arne ist dabei und hört zu, mir ist, als hätte ich soviel mit Dir zu reden. Denn auf Haaberg kann es nie so still werden, wie still es dort auch sein mag. Aber vielleicht kann ich von nun an ein wenig mehr mit Dir reden als bisher, es will mir heute so scheinen – daß ich anders bin als früher. Lebwohl, Mutter! Ich wünsche Dir alles Gute, und der Großmutter auch.«

An diesem Abend ging Odin zu seinem Vater. Aus dem Brief hatte er nichts weiter herausgehört, als daß Arne tot war. – »Aber daß sie diesmal an ihre Mutter geschrieben hat«, sagte er vor sich hin. »Und daß ich dadurch einsamer geworden bin?«

Der Vater war verlegen, als er ihn sah. Odin hatte schon früher etwas davon bemerkt, einen scheuen kurzen Blick aus seinen Augen, oder eine Art Erinnerung an etwas, das sich zwischen sie drängte, so daß es ihnen schwer fiel, miteinander zu reden. – »Es muß schon Jahr und Tag her sein, seit ich das letztemal hier war?« Odin stand da und schaute um sich. »Die Jahre, die ich hier war, gingen so rasch dahin, ebenso wie das Jahr in der Stadt. Ich weiß kaum mehr, daß ich einmal hier saß und an irgend etwas herumbastelte, und wer weiß, woran ich dabei dachte? Nein, ich erinnere mich nicht mehr daran.«

Otte antwortete nichts darauf, und das steigerte ihn hinein, so daß er viel mehr sagte, als er wollte. Und mittendrin auf einmal drehte er sich zum Vater hin, schaute ihn an und sagte mit einem harten, kurzen Ton: »Nein, jetzt mußt du mich schon ablösen, komm lieber du nach Haaberg und bleib dort. Doch, anders geht es nicht, es ist mein Ernst – du wirst doch wohl auf einem Hof zurechtkommen, wenn du nur willst? Beim Essen zum mindesten, und bei der Feldarbeit auch. Es hat doch keinen Sinn, die ganze Zeit dazusitzen und irgendwelche kunstvollen Sachen zu machen! Das ist ganz schön und gut, weißt du, aber es ist nicht genug! Und sie erwarten dich. Ich will nun einmal hinaus, das Meer hat lange genug auf mich gewartet, hat beinahe ein Recht auf mich, von früher her. Hm? Was sagst du dazu? Ja, diesmal mußt du schon daran glauben; bis sie einen ordentlichen Knecht finden auf jeden Fall.«

Otte fragte, ob sie etwas aus der Stadt gehört hätten. – »Ja, er ist jetzt gestorben.« Odin wurde sofort brennend rot. – »Während der Nacht«, fügte er hinzu. In diesem Augenblick wurde er sich bewußt, daß er gehört oder gesehen hatte, wie die Leute vor dem Vater verlegen wurden, sie schauten am liebsten in eine andere Richtung und rückten nicht mit dem heraus, was sie eigentlich hatten sagen wollen. Odin zuckte ein wenig mit der einen Schulter: »Ja, du versprichst es mir also, nicht wahr?«

Otte wollte es sich überlegen. – »Es sieht beinahe so aus, als würde er es tun«, sagte Odin zu sich; der Vater stand da und kaute an einem Hobelspan und schaute vor sich zu Boden. Und Odin nahm ein kleines Brett, das dort lag, ein schönes Stück aus Mahagoniholz mit einem geschnitzten Tierkopf darauf. – »Wenn sie bloß leben würden, diese Sachen hier«, sagte er. – »Leben sie nicht, findest du?« – »Doch, doch. Als ich klein war, fand ich, daß alle Dinge lebten, die ich nur ansah, ich konnte jedes Stück Holz zum Leben bringen, wenn ich nur wollte. Aber ich denke jetzt an die Menschen, an Menschen und Tiere, an lebende Geschöpfe: Die sind trotzdem lustiger, die da leben und irgend etwas tun – so daß man sie nur zu lenken und dahin oder dorthin zu stellen braucht; das war es, was ich meinte. Wie in den Büchern, he?« – »Ja, leben denn die? So?« – »Ja, das will ich meinen! Ich habe sie immer rings um mich, bisweilen die ganze Schar, und sie leben und sterben, daß es eine wahre Lust ist! Und so ist es in der ganzen Gemeinde; wenn man ihnen nur richtig nahe kommt, das ist eben die Kunst. Aber jetzt ist eine Zeitlang das Meer an der Reihe. Ich muß es erproben – – ja, das weißt du ja schon auswendig. Und auf Haaberg kann ich wohl grüßen und sagen, daß du kommst?«

Er müsse es wohl tun, trotz allem. Otte sah auf und zog die Augenbrauen hoch; das war seine Art, zu lächeln.

Jetzt bewegten sie sich stärker, die Brauen, und die Augen schienen Odin entgegenzutreten, sie waren durchaus nicht mehr scheu. Der junge Kerl hatte solch eine starkes Wesen, in seiner Stimme und im Gesicht und in allem, es ging ordentlich ein frischer Wind von ihm aus, der den Alten närrisch machen konnte; man konnte sagen, was man wollte. Jetzt lachte Otte: »Was sagst du, wenn es mir einfallen sollte, mich zu verheiraten, Odin?«

»Was ich sage?« Odin blinzelte ein paarmal. »Was ich sage? Du bist ja jetzt in dem Alter dazu, sage ich vielleicht.« – »Und deine Großmutter? Glaubst du, daß sie etwas gegen eine kleine Hochzeit einzuwenden hat, wenn es einmal so weit ist? Aber was ich eigentlich sagen wollte, ich dürfte jetzt wohl nicht vorher dort sein, wenn es wirklich dahin käme?« – »Wieso?« – »Nun, du weißt ja: die Leute!« – »Aus denen machst du dir doch nichts.« – »Ja, meinst du? Du solltest das nicht so bestimmt glauben, Junge. Daß du dir nur nicht auch einmal etwas aus ihnen machst. Sie haben schließlich ihr Recht. Das ist auch ein Recht, darfst du nicht vergessen.« – »Darüber haben wir schon einmal gesprochen, Vater; wir werden nicht einig.« – »Nein, nein. Wir werden schon einmal einig darüber, glaub mir's. Aber ich werde nach Haaberg gehen, wenn ich hier alles in Ordnung gebracht habe.«

Otte kam ein Stück weit mit. Über den Mooren leuchtete es schon blau, wie in den Nächten mitten im Sommer, und der Laubwald kleidete alles ringsum in ein grünes Gewand, der niedrige Birkenwald war so dicht und weich. Der Meereswind schlief nicht, von Zeit zu Zeit strich er herauf und brachte sich in Erinnerung, grau und wach, aber er hatte nichts Böses im Sinn. Raschelnd kam er über die Hügel am Meer herauf, strich über die Wiesen, daß es hinter ihm weiß aufleuchtete, mit heftigen striegelnden Böen; dann plötzlich wurde er wieder sanft und fuhr nur gleichsam mit der Handfläche über den Laubhang – der ward so von Herzen froh davon.

Da sagte Odin: »Bisher hast du wohl noch nie darüber nachgedacht, was aus mir einmal werden wird?« – »Nein; allerdings kaum.« – »Ich auch nicht. Irgendwo wird es wohl geschrieben stehen?« Otte gab keine Antwort, und Odin ging eine Weile dahin und pfiff leise. – »Aber ist es nicht merkwürdig«, sagte er, »daß ich ganz ruhig dabei bin, es kommt schon mit der Zeit, dünkt mich, und das genügt mir – und dann wieder kann mich die Angst packen, gerade als könnte es zu spät sein?«

Er hätte noch mehr gesagt, aber in diesem Augenblick sah er Astri so deutlich vor sich, der Wind trug sie ihm gerade entgegen: und die Nacht rings um ihn und alles in ihm veränderte sich, es erwachte und fand sich allein und in Qual.

»Es muß doch wohl vorübergehen«, sagte er; es war nicht viel Stimme in ihm.

»Du mußt es aushalten, heißt es im Märchen!« lachte Otte. »Das Wetter ist ja so schön.«

So redet das Alter, dachte Odin.

3

Eines Tages sagte Aasel von selber, sie meine nun, Odin solle einmal fortfahren. Ihr käme es so vor, als solle er jetzt nicht mehr länger dableiben. Odin stand da und sah sie an, so daß er kaum hörte, was sie sagte, hätte beinahe vergessen, zu erzählen, daß er ohnehin schon sozusagen im Begriff sei, fortzureisen; er wunderte sich darüber, wie jemand so stark sein konnte wie sie. Sie war nicht alt und stumpf, man konnte sehen, ein jegliches Ding ging durch sie hindurch, wie der Luftzug durch die Türe, und die Angst saß in jedem ihrer Züge und hielt sie hellwach: es sollte allen gut gehen, allen rings um sie. Sie lebte dahin und sah der Zukunft entgegen und wartete; er wußte nicht, worauf sie wartete, aber der Tod war es nicht.

Ihr die Hand zu geben und Abschied zu nehmen, war merkwürdiger, als er geglaubt hätte. Er sagte etwas, was er eigentlich nicht hatte sagen wollen: »Ihr wißt, daß ich wiederkomme.« – »Das ist es ja, woran ich glaube«, sagte sie.

Er kam in die Stadt und verheuerte sich auf ein Holzfrachtschiff, das mit dem Baumaterial für eine Kirche in die Gegend von Tromsöy sollte. Das Holz war schon verladen, es war ein reiner Zufall, daß er hier mitkam, ein Mann war krank geworden. Er kam gegen Abend aufs Schiff, und am Morgen sollten sie den Anker lichten. Und erst als die Segel gehißt wurden, kam der Schiffer an Bord. Odin wurde es ein wenig eng um die Brust: Der Schiffer war Lauris. Lauris grüßte ihn nur im Vorübergehen, ohne das geringste Erstaunen, er hatte jetzt anderes zu beobachten. Später kam er dann herbei und wechselte ein paar Worte mit Odin, es war fast, als hätten sie sich erst kürzlich noch gesehen, oder als hätten sie verabredet, miteinander zu segeln. Jetzt wunderte auch Odin sich nicht mehr über das Zusammentreffen. – »Natürlich mußten wir uns treffen«, sagte er zu sich selber; »das hast du doch schon immer gewußt, schon seit du ein kleiner Bub warst.«

Lauris war der gleiche wie früher, man konnte ihn für irgendeinen der Burschen an Bord halten, glattrasiert und jung, und die Augen goldbraun und sprühend von lauter Leben. Dazwischen hinein konnten sie ganz glashart werden, wenn ihm irgend etwas gegen den Strich ging, und im übrigen sahen sie aus, als wüßten sie alles, was zu wissen notwendig war. So kam es wohl auch den Leuten auf der Jacht vor, sie hielten sich gerne in einiger Entfernung von ihm und drehten sich flinker herum, wenn er zusah. Odin hörte, daß er bereits ein bekannter Schiffer sein sollte, und er konnte sich das gut zusammenreimen. Schwerer fiel es ihm, zu begreifen, daß Lauris bereits Geld gespart haben und die Hälfte des Fahrzeuges besitzen sollte, denn er hatte ihn früher nie anders als leichtsinnig und ohne Geld gekannt. Aber im Grund war wohl dies der richtige Lauris: einer, der anders war, als die Leute dachten.

Sie wurden gute Freunde auf der Fahrt. Lauris kam oft in den Mannschaftsraum vor und saß bei Odin und unterhielt sich lange mit ihm, wenn das Wetter es erlaubte, so daß die anderen sich ordentlich über ihn wunderten; denn die sah er selten, außer wenn sie mit Branntwein an Bord kamen. Und jedesmal kam er auf die alten Zeiten zu sprechen, und jedesmal sagte er, er wolle das Meer aufgeben und Landwirt werden – welchen Hof sollte er kaufen? Vennestad oder Haaberg? – »Du zielst auf etwas ab, wenn du so redest, das höre ich«, sagte Odin eines Abends. – »Ja, worauf wohl, was meinst du?« – »Nein, das weiß ich nicht und hab auch nicht vor, es herauszubringen.« Immer und immer wieder ertappte er sich dabei, daß er dasaß und auf diese Schifferseele herabsah, so wie man sich oft über einen Hund mit Menschenverstand wundern kann. Dann wurde er ärgerlich über sich und wünschte fast, nicht an Bord gekommen zu sein: Denn er ist doch wirklich ein Mensch, dieser Lauris, und noch dazu einer, der über die anderen hinausragt. – »Und du sitzt da und grübelst über tiefere Dinge nach, soviel ich sehe«, sagte Lauris oft. Odin konnte nicht unterlassen, dem anderen mitten ins Gesicht zu sagen: »Ich sitze da und wundere mich darüber, daß jeder Mensch seinen eigenen Weg gehen muß. Und daß es so leicht sein soll, auf den herabzuschauen, der einen anderen Weg geht als man selber.« Die übrigen durchfuhr ein leichter Schreck, aber Lauris nickte nur, ja, ja, so sei es wohl. Es geschah oft, daß Odin Lauris einen Hieb versetzte, nur um zu fühlen, daß er das Recht habe, zu sagen, was er meinte. Er traf dabei nicht, aber darauf kam es ihm auch nicht an.

Nach solch einem Gespräch wanderte er dann oft in der blauen Nacht auf Deck umher, statt zu schlafen. Sie lagen fest, wegen der Windstille. Das Land stand da und schlief, im Osten, Haupt an Haupt und Schulter an Schulter. Im Westen lagen Inseln und Meer wie eine Luftspiegelung des Himmels da. Aber im Norden war es, als wache die Sonnenglut über einem volklosen Land. Blickte Odin nach Süden, so schien ihm auch dort alles ganz gleich, öde und tot überall. Da war es merkwürdig, darüber nachzudenken, was ein Mensch war. Ein Unding, so schien es ihm, ein krabbelndes und geschwätziges Ding, das sich und seinen Unfrieden überall auf der Erde hintrug – mit einem guten Kern im tiefsten Innern; und mitten drin auf einmal schliefen sie ein und starben von allem weg.

Mitten in solchen Gedanken kam oft Astri zu ihm. Da hatte er eine seltsame Empfindung; er hätte sich hinsetzen und ein Lied über sie singen mögen. In ihm lebte ein Reichtum von schönen Worten auf, und eine Sehnsucht danach, die Herzen der Menschen zu rühren.

Zum Schluß bekamen sie einen ordentlichen Westwind, einen günstigen Wind. Gelöscht war die Ladung in einem Nu, und als sie die Segel wieder setzten, blies der Nordwind, als hätte man ihn gerufen. – »Ich hab das so an mir«, sagte Lauris nur. Hinter seinen Gesichtszügen lächelte es gewiß, und Odins Gesicht wurde hart wie vor einem Trugbild. – »Wie gefällt dir Nordland?« Lauris sah in die Luft und spuckte aus. – »Weiß nicht«, sagte Odin und ging seiner Wege. – »Weiß nicht«, sagte er später zu sich selber. »Aber jetzt segeln wir.«

So frisch ging es dahin, es wehte einem fast die Haare vom Kopf. Jetzt steckte sie die Nase ins Wasser, die Alte, die Jacht; und die See blieb schäumend hinter ihr zurück: Immer wilder und wilder wurde sie, schoß dahin wie eine gepeitschte Ziege. Odin stand grau und ernsthaft da, mit gespreizten Beinen wie irgendein alter Seemann, aber er lachte durch und durch. So, nun kam ihr die See entgegen – das war eine andere Nuß zum Beißen; ein Wasserberg nach dem anderen wälzte sich heran, erst der eine, dann der andere und dann noch einer! Wie ein Wal brach sie sich Bahn, wie ein blinder und gejagter Wal. Schließlich stand alles um sie in Gischt und Schaum. Die Jacht wurde winzig klein, zum Schluß, mußte sich einen Weg finden zwischen den Wasserbergen, wo eigentlich kein Weg war, nur Abgrund auf Abgrund und Stoß auf Stoß, und sie wimmerte und klagte, daß es einem dabei kalt über den Rücken laufen konnte. Aber nach Süden ging es, wunderbar nach Süden, daß ihnen das Land entgegenrannte und an ihnen vorbeischoß, man wußte kaum mehr, wo man war. So ging es auch wohl dahin, wenn das Schicksal einen in der Hand hatte.

Da erst erkannte Odin, daß hier ein Wille war, der lenkte, und das war Lauris. Der hatte nur dagelegen und geschlafen, ehe sie in den Westfjord kamen, dann stand er auf und übernahm das Ruder und ließ es nun nicht mehr los, bis sie südlich im Brönnöy-Sund einen Nothafen aufsuchen mußten.

Lauris spuckte den Kautabak in den Gischt hinaus, er traf mit Odin in Lee der Kombüse zusammen, als sie gerade mit dem Vertäuen fertig waren.

»Nun, was sagst du? Dir taugt die See, scheint mir?«

»Ja, jawohl!«

»Du siehst übrigens so aus, als stecke dir gar mancherlei im Kopf. So ist es mit mir auch. Ich denke an vieles, ja, an viele Dinge, Junge! – – Wir müssen uns an die Mutter Erde halten, wir; und an die Menschen.«

Odin schüttelte das Wasser ein wenig ab und ließ Lauris stehen, er wollte hinunter und sich schlafen legen.

Am Tage darauf schliefen sie aus, und später fuhren sie bei sanftem Wind heimwärts, kreuzten Tag und Nacht und erreichten die Stadt an einem schönen Morgen gerade bei Sonnenaufgang.

Als alles an Bord fertig war und die Leute schlafen gehen wollten, kam Lauris und fragte Odin, ob sie nicht lieber an Land rudern und ein Glas Bier trinken wollten. »Da treffen wir alte Bekannte«, lächelte er. Odin konnte nicht nein sagen. Erschöpft und müde stand er vor Lauris, und das ärgerte ihn. Kaum waren sie an Land, sagte er: »Ich weiß noch nicht, ob ich mittue. Ich habe hier nichts zu suchen.« – »Du meinst mit diesem elenden Jachtschiffer zusammen?« Lauris stieß ihn in die Seite und lachte. – »Ja, ganz richtig!« lachte auch Odin. Dieser aalglatte Jachtschiffer, dachte er; es liegen doch tausend Meilen zwischen ihm und mir. Aber Odin kam dennoch mit. Sie gingen die Straße hinauf und traten durch ein kleines Tor. – »Aber war das Tor denn nicht verschlossen?« wunderte sich Odin. Lauris gab keine Antwort, er klopfte an eine Tür im Hinterhof. – »Ja, diese Weiber!« seufzte er. während er dastand und wartete. »Ich pflege sonst nicht so kurze Zeit in Nordland zu bleiben.« Er wurde böse und klopfte hart: »Willst du wohl aufmachen, du Schlafhaube!« Endlich fragte eine Frauenstimme, wer draußen sei. – »Ich, denke ich!« – »Wer ist das?« flüsterte Odin. – »Mein Mädchen, zum Teufel. Die Karen-Anna.« Jetzt sah Odin, wie ein Vorhang sich bewegte, und zugleich las er das Wort Schneiderin auf der Tür vor sich. Richtig, er hatte ja gehört, daß sie jetzt hier war.

Odin ging seiner Wege, auf die Straße hinaus und zum Hafen hinunter. – Karen-Anna, sagte er ein paarmal.

Die Sonne ging über dem Fjord auf, und der Morgenwind trug ein paar Silberböen hinaus, da und dort auf dem schwarzen bodenlosen Spiegel, dem Sonnengold entgegen. Da rauscht ein großer Dampfer um die Landzunge. Mit weißen Schaumwächten als Schnurrbart. Er stößt einen langen hellen Ton aus, der von Berg zu Berg ins Land hineinrollt, und schwingt im Bogen zur Brücke heran. Unten sind schon ein paar Leute, und an Odin springen zwei oder drei Männer mit Koffern und Reisetaschen in der Hand vorüber, ein verschlafener Hoteldiener kommt mit dem Handkarren hinterdrein. Odin läßt sich Zeit; dies hier war ihm so willkommen.

Da redet einer dicht hinter ihm, die Worte greifen so roh und aufdringlich nach ihm: »Erwartest du vielleicht Bekannte?« Es war Lauris. »Ja, ja, jetzt wollen wir einmal schauen, wie das Fahrwasser hier aussieht. Und wenn du der Erbe von Haaberg bist, dann kommst du jetzt mit an Bord des Dampfers und stiftest eine Flasche Branntwein, ich wurde so durstig, als ich den Kerl pfeifen hörte.« – »Erbe, ich?« – »Nein, nein, wir können ja spleißen wegen der Flasche, meine ich; wir zwei Hundsfötter von Kjelvika und der Gegend da draußen. Hm?« – Odin lächelte nur. – »An dir ist Hopfen und Malz verloren«, seufzte Lauris.

Es gingen nicht viel Leute an Land, eine Touristengesellschaft, die schon von Pferden und Wagen erwartet wurde, zwei, drei Handlungsreisende mit ihrem Gepäck und einige Männer und Weiber mit Körben oder Kisten. Zuletzt kam noch eine hochgewachsene Dame allein. Sie war schwarz gekleidet vom Kopf bis zu den Füßen und trug einen schwarzen Schleier vor dem Gesicht. – »Nein, jetzt glaube ich gar –!« sagt Lauris und geht sofort auf sie zu. »Ja, guten Tag, guten Tag, Astri! Kennst du mich denn wieder?«

Es war wirklich Astri. Ihr Blick fiel auf Odin. Er stand in seinem Schiffsanzug da: »Bist denn du da?« – »Ja, und du auch? Bist du jetzt erst gekommen?« – »Ja, ich habe doch heimgeschrieben?« – »Ich war fort, hab mich verheuert, wie du siehst, wir kamen erst vorhin an, vom Norden her. Ein reiner Zufall, daß ich an Land ging und hierherkam.«

Sie ließ ihre Blicke über ihn hingleiten. Da erst bekam er ihr Gesicht eigentlich zu sehen. Ihre Augen schienen verwacht, sie zwinkerten so langsam und grau, und so bleich war sie, daß ihn dünkte, das Gesicht flimmere ganz weiß gegen das Schwarz. Sie fragte, ob bald ein Schiff fjordauswärts ginge. Lauris antwortete, daß sie noch einige Stunden warten müsse.

Er steht da und sieht sie an, und sie fühlt sich dabei wenig wohl und versucht wegzuschauen. Dann gehen sie zur Stadt hinauf. Odin hat ihren Koffer an sich genommen. Die Morgenstille hat sich wieder über die Stadt gelegt, man kann sie fast in den Straßen singen hören. Der Wind steht von den Bergen herunter und ist frisch wie klares Wasser; er gemahnt an Wiesen und Wälder.

Odin lief voraus und bestellte in dem gleichen Hotel, in dem die Kaufleute abgestiegen waren, ein Zimmer für Astri. – »Aber ich will mich nicht hinlegen«, sagte sie, »ich kann jetzt doch nicht schlafen. Wollen wir nicht lieber irgendwo hinausgehen, du und ich?« Lauris verabschiedet sich und geht.

Sie schlendern dahin, zwischen kleinen freundlichen Häusern, die in der Sonne liegen und schlafen, zwischen Äckern und Bäumen, die im Tau blinken. Jeder Halm und jedes Blatt ist mit schimmernden Perlen überzogen. Weiße, stille Wolkenballen liegen darüber, unendlich hoch droben, und zwischen ihnen leuchtet der Himmel hervor, so unergründlich blau. Vor ihnen blitzt der Fluß, der hier in den Fjord einmündet.

»Bist du es denn wirklich?« sagt Odin.

»Ja und nein.«

Auf einem Hügel blieben sie eine Weile stehen; dann machten sie kehrt und gingen zum Friedhof hinunter, gingen zwischen den Bäumen hin und her und betrachteten die Grabinschriften, und setzten sich auf eine Bank. – »Nein, der Arne sollte nicht hier liegen«, sagte sie. – »Daß du es fertigbringst, von ihm zu reden«, meinte Odin still. – »Ja, ich wundere mich selber darüber. Aber ich bringe vieles fertig. Unglaublich viel«, fügte sie hinzu. Sie erkundigte sich, wie es auf Haaberg stehe, und wollte dann wissen, wie es ihm auf seiner Segelfahrt ergangen sei. – »Nur großartig; beinahe so, wie ich es immer geträumt habe. Es tat so gut, ein wenig hinaussegeln zu können. Die See und ich, weißt du – und die Jacht ist ein aufrichtiges Fahrzeug, wie Lauris immer sagt. Aber das Nordland war mir zu stark. Damit wurde ich nicht fertig, diesmal noch nicht. Und manchmal legte es sich mir ganz eng um die Brust, in einer stillen Stunde, mir war, als wolle mich etwas ganz Unglaubliches erfassen, mir begegnen; es drohte mir fast wie ein Schicksal, ich begreife es nicht.«

Im übrigen erzählte er fast nur von Lauris. Es tat gut, von ihm reden zu können. – »Das ist ein seltsamer Heiliger. Ein allwissender Teufel, er sagt mir alles, was ich denke. Und ein Held auf dem Meer!« – »Daß du ihn ertragen kannst!« wunderte sie sich. – »Das ist es ja gerade. Mir kommt es manchmal vor, daß er das ist, was ich hätte werden können. Ich trage ihn sozusagen in mir; ich könnte leicht so werden wie er. Er und ich, das gäbe einen ganzen Kerl. Mitten im schlimmsten Wetter stand er oft da und behielt mich im Auge, stand da und wußte genau Bescheid über mich, das ist es, was mich so reizt. Böse, sagst du? Nein, das ist er auch nicht. Das ist er nicht, bestimmt nicht. Ich habe ein wenig darüber nachgedacht, was es bedeutet, böse zu sein; ich habe in letzter Zeit viel über die Menschen nachgedacht. Manchmal schien es mir, als brauchte ich nur ihn kennenzulernen, um die Menschen zu kennen – – die auf Haaberg haben sicherlich nie etwas von den Menschen rings um sich gewußt. Glaubst du nicht auch?«

Astri war schon wieder in anderen Gedanken, und Odin schwieg eine Weile. – »Ich würde sie kennenlernen«, sagte er leise, »ich gehöre zu ihnen. Aber jetzt mußt du auf dein Zimmer und dich schlafen legen, ich seh dir's an.« – »Nein, nein!« Sie schüttelte den Kopf. Dann blickte sie zu ihm auf, gleichsam durch den grauen Schleier vieler durchwachter Nächte, aber mit dem gleichen furchtlosen Blick in den Augen:

»Sag mir eines, Odin: War es schlimm, daß ich mit uns beiden Schluß machte? Zogst du deshalb von Haaberg und der Großmutter weg? Denn dann würde ich wieder fortfahren, ich gehöre ja doch nicht dorthin.«

»Es ging so, wie es gehen mußte. Ich war nicht der Richtige – – ich paßte nicht dorthin.« Wie ein Beben kam es über ihn, und durch die Luft und durch das Laub rann der gleiche warme Atemzug: das, was früher einmal war. »Es war so seltsam, dich zu verlieren, aber –«

Sie stand auf und ging aufs Friedhofstor zu, er folgte ihr und betrachtete dabei ihren Rücken, denn der war noch unverändert jung.

»Warum kann nicht das geschehen, was geschehen muß!« Er brach einen Zweig in mehrere Stücke.

»Das geschieht«, hörte er sie murmeln.

Aber mitten auf dem Weg wandte sie sich ihm wieder zu. Da war ihr Gesicht hell, und sie ließ die Blicke auf ihm ruhen: – »Sag mir, was du werden willst. Im Ernst! Denn mich dünkt, ich habe ein Recht, dich danach zu fragen, trotz allem.« – »Ich will Dichter werden!« lachte er. – »Dichter? Kannst du denn nicht ernsthaft reden! Dichter?« – »Ja, mein Kind, und zwar ein großer! Nein, ich will nicht irgendein Buch zusammenschreiben, wenigstens nicht vorläufig. Will nicht Lieder schreiben und auch keine Gedichte, das, fände ich, wäre eine Schande – ich habe so viele gemacht auf der Fahrt nach Norden, aber –« – »Worüber denn?« – »Nun, über – – nein, es ist ja gleichgültig. Aber ich habe mir etwas Merkwürdiges ausgedacht. Ich will die Menschen nehmen und sie herzeigen. Ich mag die Menschen. Sie herzeigen, verstehst du.« – »Schauspiele also.« – »Jawohl, so nennt man es wohl. Ich war tüchtig beim Zeug und schaute sie mir immer an, in jenem Winter, als ich in Drontheim lebte. Aber ich will nicht irgendeinen Unsinn schreiben über Liebst du mich? oder Das Schicksal trennt uns, davon steht schon genug in den Büchern, und außerdem sollte ich jetzt damit auch fertig sein. Ich will die Menschen so zeigen, wie sie durch die alten Zeiten und durch Dunkelheit bis hierher gekommen sind, mit lauter bösen Mächten rings um sich. Ich will den zeigen, der es mit dem Satan aufnahm – und siegte, denn er ist der Größte. Siegte, ja, so daß die anderen Mut fanden, zu atmen und zu lachen, wie es ihnen gefiel, das war ein großer Tag, er währte viele Hunderte von Jahren, vielleicht. Oh, meine Liebe, ich sehe sie, sie kommen alle miteinander, schütteln Dunkelheit und Zaubermächte ab und taumeln blind ins Licht, bleiben stehen und starren mit offenen Augen, sehen fast gar nichts. Mich dünkt, ich sei mitten unter ihnen, als habe ich die ganze Fahrt mit ihnen gemacht, in Blindheit, überall! Ich will euch jenes Mal zeigen, da sie einander gewahr wurden, und dann das andere Mal, da der eine oder andere sich selber gewahr wird. Und zum Schluß sollt ihr den Kampf sehen, den großen Kampf, in dem alle gegen einen und einer gegen alle ist. Ihn, der alles verliert und trotzdem gewinnt. Und vieles andere.«

Astri stand da und wagte nicht zu atmen. Denn so hatte sie ihn schon früher gesehen, so hatte ihr sein Antlitz entgegengeleuchtet, so blankäugig und glücklich wie ein Kind – das war nun lange her. – »Siehst du es denn?« – »Ja, freilich sehe ich es! Manchmal wenigstens. Ich sehe es so, daß es in mich hineinsickert, daß mir der Atem vergeht: vorwärts und immer vorwärts! im Glück und zum Abgrund hin – und manchmal sehe ich einen, der gerettet wird. Ich sehe, wie das Leben ununterbrochen das Gesicht wechselt! Und dann alle Ereignisse, die zum Leben erwachen und sich aufbauen – das wird ein kunstvolles Spiel werden!«

Ob es darum sei –? fragte sie. Daß er so lebe, als – als sei er allein gegen alle? – »Ja doch. Ja gewiß! Doch freilich, und rings um uns, das ist ein gefährlicher Tanz. Oder vielleicht soll er erst kommen.«

»Und das hast du mir nicht erzählt, Odin?«

»Nein, das tat ich nicht. Ich glaube kaum, daß ich es früher wußte.«

Astri ließ ihre Blicke von ihm fortwandern; sie schweiften weit hinaus. Sie zwinkerte mit den Augen, wie Aasel, fand er.

»Darum also, vielleicht – – kam alles so, wie es kam?« sagte sie, still und verwundert.

»Aber manchmal rinnt es nur wie ein Lied durch mich. Ich will nun abwarten und fühlen – –«

Sie wanderten wieder zur Stadt hinunter. Die fing jetzt an zu erwachen. Es sah fast aus, als blende sie das Glitzern des Fjords in den Augen. – »Aber wenn es dahin kommt, daß die beiden einander heiraten, dann versprichst du mir, zur Hochzeit zu kommen, nicht wahr? Denn dann können wir wie Geschwister sein, du und ich, nicht wahr?« Jedes Wort, das sie sagte, fuhr ihm wie eine Hand über den Körper, auf der bloßen Haut. Sie war immer noch die Astri, und jetzt redete sie mit ihm.

»Es ist wohl schwer für dich, mit mir zusammen zu sein?« fragte sie, als einige Zeit verstrichen war.

»Ach nein, nein. Nicht so sehr.«

4

Das Boot kam gegen sechs Uhr abends nach Segelsund. Aasel saß bei Frau Mina in der Stube und wartete, als Astri ankam. Sie saß am Westfenster, so daß die Sonne von hinten her über sie hereinflutete, das Gesicht aber lag im Schatten, man konnte gerade noch die Augen erkennen. – Sie hat sich nicht einmal bis zur Brücke hinuntergetraut, dachte Astri – da hat sie gehörig Angst. Aber die Aasel hielt ihre Hand nur ein wenig länger fest als sonst und betrachtete sie nur kurz: willkommen wieder daheim!

Jetzt wandte Astri sich zu Mina und begrüßte diese. Minas Gesicht war jung und frisch wie immer, aber es war ein fremdes Gesicht, das sah Astri sofort. Sie begrüßten einander kühl, und Astri drehte sich wieder zur Großmutter um und versuchte zu lächeln, gerade als hätten sie gestern noch miteinander gesprochen. – »Ja, ja, Kind, da haben wir dich also wieder«, sagte Aasel.

Ja–a, da sei sie nun, und jetzt könnten sie vielleicht weiterfahren? Sie freue sich trotzdem darauf, nach Haaberg heimzukommen. – Trotzdem? meinte Aasel erstaunt. Astri lächelte ruhig und wollte etwas sagen, wollte sich sogar schon neben sie hinsetzen, in dem Augenblick aber kam Oheim Ola herein. Dick und rund und mit leuchtend weißem Schädel, die Augen waren wie zwei schmale Striche im Gesicht; sie flogen gleichsam in der Stube herum und fingen die drei Frauen ein, nahmen sie und hielten sie des Spaßes halber vor sich hin dann hielten sie Astri allein fest. Es war ein merkwürdiges Licht in ihnen, fand sie, eine Art gutmütiger Bosheit, der zu begegnen ganz lustig war. Sie erinnerten sie an das Leben und an das, was in weiter Ferne lag, sie stellten sie wieder mitten dort hinein. Im übrigen war alles miteinander hier ein Traum, die Sonne da draußen, und die Großmutter hier drinnen und alles, was ihr vor die Augen kam.

»Ja, Astri, Astri!« kicherte er. »Du steckst uns alle ein!« er seufzte ergeben und sank auf einen Stuhl.

Da wurde Mina gesprächig, schneidend scharf und unbeirrt klang es durch die Stube und durchfuhr sie alle:

»Was glaubst du, ist er selig gestorben?«

»Der Arne?« fragte Astri. »Ja, das ist er«, sie begegnete ihren Blicken und sah wieder weg, gleichgültig.

»Was sagte er denn?«

Astri ließ wiederum ihre Blicke über sie hingleiten, ganz kurz nur, und wandte sich zu Aasel: »Wie steht es daheim?« – »Ach, leidlich, danke!«

Jetzt aber hatte Mina zu reden angefangen. Sie redete von Gottes Wegen, die unerforschlich seien, und dann vom Tode, der auf den Menschen warte, und dem Gericht danach. Astri stand still, als höre sie zu; es war eine lange Epistel. Es war nicht Minas Sprache und erst recht nicht ihre Meinung, es war ein neuer Mensch, ein merkwürdiger Mensch, und es fehlte nicht viel, dann kamen ihr die Tränen. – »Da gehe ich hinaus«, dachte Astri, »das will ich nicht sehen.« Aber zu den Worten Tod und Gericht nickte sie zustimmend. – »Und du selber, Astri, wie ist es mit dir? Hast du darüber nachgedacht?« Astri sah sie fast entsetzt an: »Was – – wonach fragst du mich?« – »Ob du siehst, auf welchem Weg du wanderst, frage ich.« – »Ach so!« Astri fühlte sich erleichtert, ganz jung schaute sie drein: »Ja, und du?«

Ola tat der Bauch ganz weh vor lauter Lachen, und Astri bereute, was sie gesagt hatte.

In dem Augenblick kam die Magd mit dem Kaffee herein, und Mina stand mitten in der Stube und erlosch; nur noch ein ganz klein wenig Glut lag auf ihren Wangen. Die Augen wurden dunkel wie der Wasserspiegel, wenn der Wind darüber hinstreicht. – »Ja, wirklich, jetzt will ich, glaube ich, doch Kaffee haben«, sagte Astri. Aasel leuchtete bei diesen Worten auf. Sie hatte so still dagesessen, als sei sie gar nicht vorhanden. Jetzt nahmen alle vier am Tisch Platz.

Auf einmal aber steht Astri auf, sie hat Tränen in den Augen und sieht die Großmutter an: »Nein, ich kann nicht, ich will lieber hinausgehen! Wenn ich erst daheim bin auf Haaberg, dann – –«

Aasel wurde kreidebleich. Als aber Astri zur Türe draußen war, wandte Mina sich Aasel zu und sagte: »Daß ihr sie so habt fortfahren lassen! Daß ihr das Kind alles habt tun lassen. Was ihm nur einfiel, habt ihr denn gar kein Gefühl für Verantwortung?«

Aasel räusperte sich ein wenig, und Mina hub wieder an: »Ihr habt doch eine Verantwortung vor Gott zum mindesten!« – »Ja«, antwortete Aasel still. »Sein Wille geschieht, so müssen wir glauben.« Mina wurde flammend rot und ihre Mundwinkel vertieften sich. – »Nur Ausreden«, sagte sie aufgebracht. »Und außerdem weiß man ja noch nicht, wie das hier weitergehen wird, sie kann ja schon angesteckt und krank sein, und weshalb mußte sie denn vorhin hinauslaufen? Und solch eine Schande

Da brummelte Ola, die Hände über dem Magen gefaltet:

» Entflieh, o Welt, aus meinem Herzen

Aasel aber ging sanft darüber weg, mit einem Seufzer, und hielt den Kopf dabei geneigt: »Ach ja, ja, so ist es! Schlimm ist es, wenn man Kinder hat, und schlimm ist es, wenn man keine hat. Aber Gottes Wille geschieht, das ist nun mein Glaube. Das nenne ich glauben. Nein, ich lebe nicht danach, nicht immer, Gott sei's geklagt, so bin ich nicht. Aber ich versuche es. Ja, und jetzt schönen Dank für den Kaffee!«

Astri hatte vor dem Haus gestanden und zum Fjord hinuntergeschaut. Draußen auf dem Meer blies der Seewind, aber hier drinnen im Fjord erstarb er mit ein paar Seufzern; und die Strandschwalbe flatterte dahin und dorthin, auf und nieder, ein ratloser Vogel, in seinem Flügelschlag wie auch in seiner Stimme. Es war kein Sommer ohne sie, aber sie erfüllte ihn mit lauter Unruhe. Und drinnen saßen sie in der gleichen Unruhe. Tri, tri! hätten sie am liebsten gesagt, genau so wie die Strandschwalbe; denn sie wollten so gerne ihrem Schicksal entkommen und wußten doch nie, wo es ihrer wartete. Astri hätte beinahe gelacht, wie sie so dastand: »Tri, tri, tri!«

Langsam und gemächlich ging es durch das Land und heim nach Haaberg. Astri hätte gerne mit der Großmutter geredet, aber noch war es ziemlich weit bis zu ihr hin. Früher war das gar nicht schwer gewesen; da war sie nur ein Kind für sie, konnte von allem reden, was ihr nur einfiel. Da fing Aasel an. – »Hier in der Gemeinde hat es wieder einmal eine große Erleuchtung gegeben. Sie haben, glaube ich, Stock und Stein bekehrt. Meinetwegen, mir ist es gleich. Wenn sie wirklich Trost darin finden, so wird's schon nötig sein. Und die Mina, das arme Ding, sie ist die Eifrigste von allen – ja, du hast es ja selber gehört.« – »Ja, ich sah es gleich, als ich hereinkam. Es war nicht sie selber – sie konnte einen verbrennen mit diesen Augen; und was für einen seltsamen Zug sie um den Mund hatte, das war das Glück mitten im blutigen Unglück. Ich sah es und vergaß es dann doch gleich wieder. Sie gab mir nur die äußersten Fingerspitzen! Jetzt erinnere ich mich.« Astri lachte. – »Du solltest nicht darüber lachen.« – »Ja, aber ich tue es trotzdem. Ich lache übrigens auch über den Unsinn, den Odin redete, ich sprach mit ihm in der Stadt. Daß es einmal einen gegeben habe, der den Menschen die Angst genommen habe; so daß sie zu atmen wagten, sagte er. Das wäre mir so eine Hilfe! Sie sind furchtsam und bleiben furchtsam. Weil sie ausreißen wollen.«

Aasel seufzte ein paarmal. – »Aber die Mina, mir ist, als wäre ich an ihrer Stelle. Ihr Mann ist nur ein kläglicher Wirrkopf, und nicht einmal der Richtige für sie, und ihr Herz ist so groß und stolz; und die Sünde ist hinter ihr her und will sie hinunterziehen, dorthin, wohin sie nicht will, und der Widerstand läßt nach. Wo soll man dann hin? Nein, ich sage nichts darüber. Mina rast gegen alle. Denn sie rast gegen sich selber. Gegen ihr Herz, oder wie ich es nennen soll. Ja, und dann gegen den Mißerfolg auf allen Seiten, sie ist abgearbeitet, die arme Haut. Ich fürchte, es kommt bald zu einer Versteigerung, auf dem Hof dort. Und was sagst du dazu, Astri?« – »Ich?« – »Ja, du und ich. Dein Vater wollte ihnen schon einmal helfen. Aber er kam dann nicht dazu. Statt dessen wurde ihnen von einem anderen Verwandten geholfen; er hat ihnen viel geholfen, leider; er hat sie ganz und gar in der Hand; er saugt sie aus. Hätten sie nicht diesen Ladengehilfen, dann wäre es schon lange aus und zu Ende. Dein Vater wollte, wie gesagt – aber.«

Astri stieg ein leichtes Rot in die Wangen.

»Du weißt, daß ich will.«

»Ja, ja«, sagte Aasel. Sie wollten nun einmal abwarten. Den Odin habe sie wohl nicht in der Stadt gesehen? Er müsse jetzt doch schon bald dort sein? – »Doch, freilich; ich sah ihn schon. Er war der erste, den ich sah; ich redete mit ihm, ich habe dir's doch erst vorhin erzählt.«

Aasel sagte nichts mehr. Ein langes Stück weit fuhren sie im Schritt dahin, obgleich es bergabwärts ging. Sie fuhren durch Birkenwald und durch Fichtenwald und an Mooren entlang und durch eine Talsenkung. Die Abendsonne lag über den Baumwipfeln. Berge und blaue Luft. Und immer stiller und stiller wurde es. – Es läutet wie eine große Glocke, dachte Astri; das halte ich nicht aus. Daß sie kein Wort mehr sagt! – Da raffte sie sich auf und zeigte dem Gaul die Peitsche:

»Ja, ja, den Odin habe ich getroffen. Und immer noch ist es nicht unmöglich. Immer noch kann es mit uns beiden etwas werden.«

»Ja, ist das dein Ernst, Astri?«

Astri lachte leise trillernd und sieht in die Luft hinaus, sie ist glühend rot geworden:

»Nichts ist unmöglich, sage ich. Wir sollen den Glauben nicht verlieren. Denn – – es steht nicht so um mich – – wie die Mina glaubt. Es war nur so merkwürdig für mich, wieder mit Menschen zusammenzukommen, ich mußte hinaus.«

Aasel sah zu ihr auf, so daß Astri vor ihren Augen erschrak; denn so ungefähr mußte der ausschauen, dem Angst und Freude wie zwei Schwerter durchs Herz gegangen waren. So sah wohl die Großmutter aus, wenn sie froh war.

Und dann endlich waren sie auf Haaberg. Astri umarmte die Mutter und weinte.

»Das ist nun nicht zu früh!« sagte Aasel. Aber dann war wohl nicht mehr viel von Astri übrig, fürs erste, fürchtete sie.

– – – Acht Tage später etwa fragte Andrea, was Astri dazu sage, daß nun sie sich verheiraten würde. Astri wurde seltsam eifrig. – »Das war es doch, was ich die ganze Zeit wollte, Mutter! Kannst du's denn nicht endlich glauben!«


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