Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 3
Alexander Dumas

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Pitou als Diplomat.

Wir haben gesehen, wie Pitou von der Höhe seiner Hoffnungen herabfiel. Der Fall war tief.

Wie sollte er sich nun vor seinen Auftraggebern zeigen? Wie sollte er ihnen, nachdem er so viel unbesonnenes Selbstvertrauen an den Tag gelegt, nun sagen, ihr Anführer sei ein Prahler, ein Großsprecher, der sich von einem alten Abbé Geißelhiebe auf den Hintern geben ließ?

Erst sich rühmen, er werde beim Abbé Fortier siegen, und dann scheitern: welch ein Fehler!

Auf dem Rande eines Grabens stützte Pitou seinen Kopf auf beide Hände und dachte nach. Er hatte den Abbé Fortier dadurch zu ködern geglaubt, daß er griechisch und lateinisch sprach; er hatte sich in seiner naiven Treuherzigkeit geschmeichelt, er werde den Cerberus mit dem Honigkuchen von schönen Ausdrücken bestechen; – und nun hatte sich sein Kuchen bitter gefunden, und Cerberus hatte ihn in die Hand gebissen, statt den Kuchen zu verschlucken. So waren alle seine Pläne über den Haufen geworfen.

Der Abbé Fortier besaß also eine ungeheure Eitelkeit; Pitou hatte ohne diese Eitelkeit gerechnet. Was den Abbé Fortier so sehr erbitterte, war nicht die Absicht Pitous, ihm die dreißig Flinten aus seinem Arsenal zu nehmen, als vielmehr die Dreistigkeit seines Schülers, ihm, dem Meister, einen Schnitzer im Französischen nachgewiesen zu haben.

Die jungen Leute, wenn sie gut sind, begehen immer den Fehler, daß sie an die Vollkommenheit bei andern glauben.

Der Abbé Fortier war aber ein wütender Royalist und besonders ein hoffärtiger Philolog.

Pitou machte sich bittere Vorwürfe, daß er in Beziehung auf König Ludwig XVI. und das Zeitwort sein im Abbé den doppelten Zorn, dessen Opfer er geworden, erregt hatte. Er kannte ihn und hätte ihn deswegen schonen sollen. Hierin lag wirklich sein Fehler, und er beklagte ihn zu spät, wie immer.

Nun blieb ihm noch die Aufgabe, es aufzufinden, was er hätte thun sollen.

Er hätte seine Beredsamkeit anwenden sollen, um dem Abbé Fortier eine royalistische Gesinnung darzuthun, und ganz besonders hätte er seine Sprachschnitzer ihm durch die Finger sehen müssen.

Er hätte ihm einreden sollen, die Nationalgarde von Haramont sei gegenrevolutionär.

Er hätte ihm versprechen müssen, dieses Korps sei ein Hilfskorps des Königs.

Und es unterlag keinem Zweifel, der Abbé würde dann seine Schätze und seine Arsenale geöffnet haben, um der Monarchie den Beistand einer so mutigen Schar und ihres heldenmütigen Anführers zu sichern.

Indem er dann an das Sprichwort-Lied dachte, das sagt:

Lorsque l'on veut quelque chose du diable,
    Il faut l'appeler Monseigneur!
Wenn man etwas vom Teufel will, muß man ihn Gnädigster Herr nennen

schloß er aus alledem, er selbst sei nur ein vierfacher Dummkopf, und wenn man mit einer Art von Ruhm zu seinen Wählern zurückkehren wolle, so müsse er von dem, was er gethan, nunmehr das bare Gegenteil thun.

Diesen neuen Erzgang durchsuchend, beschloß endlich Pitou, die Waffen, die er sich erst durch Ueberredung hatte verschaffen wollen, nunmehr durch List oder Gewalt sich anzueignen.

Mit Hilfe seiner Gefährten konnte Pitou sich in das Museum des Abbés einschleichen und die Waffen des Arsenals stehlen oder wegnehmen.

Was die Wegnahme betrifft, so unterlag es keinem Zweifel, daß es in Frankreich noch eine Menge Leute gab, die, an die alten Gesetze gewöhnt, ein solches Unternehmen bezeichnen würden als eine Räuberei oder einen Diebstahl mit bewaffneter Hand.

Diese Betrachtungen hatten zu Folge, daß Pitou vor dem angeführten Mittel zurückwich.

Uebrigens war Pitous Eitelkeit verpfändet, und sollte sich diese auf eine ehrenhafte Weise aus der Sache herausziehen, so durfte Pitou zu niemand seine Zuflucht nehmen.

Er fing wieder an zu suchen, – nicht ohne eine gewisse Bewunderung für die Richtung, welche die Spekulationen seines Geistes nahm.

Endlich rief er wie Archimed: Heureka! was besagen will: Ich habs gefunden.

Folgendes war das Mittel, das Pitou in seinem Arsenal gefunden hatte:

Herr von Lafayette war der Oberkommandant der Nationalgarden von Frankreich.

Haramont war in Frankreich.

Haramont hatte eine Nationalgarde.

Folglich war Herr von Lafayette Oberkommandant der Nationalgarde von Haramont.

Herr von Lafayette durfte es also nicht dulden, daß es den Milizen von Haramont an Waffen fehlte, da die Milizen andrer Gegenden bewaffnet waren oder werden sollten.

Um zu Herrn von Lafayette zu gelangen – Gilbert – um zu Gilbert zu gelangen – Billot.

Pitou schrieb also einen Brief an Billot.

Da Billot nicht lesen konnte, so würde Gilbert lesen, und hiedurch wäre natürlich der zweite Vermittler erreicht.

Nachdem dies beschlossen war, wartete Pitou die Nacht ab, kehrte geheimnisvoll nach Haramont zurück und nahm eine Feder.

Welche Vorsicht er aber auch angewandt hatte, um unerkannt heimzukehren, er war von Claude Tellier und Désiré Maniquet gesehen worden.

Sie zogen sich stille, einen Finger auf dem Mund, die Augen auf den Brief gerichtet, zurück.

Pitou schwamm im vollen Strome der praktischen Politik.

Wir geben nun den Brief, der einen so großen Eindruck auf Claude Désiré gemacht hatte:

Lieber und geehrter Herr Billot!

Die Sache der Revolution gewinnt alle Tage in unsrer Gegend; die Aristokraten verlieren Terrain, die Patrioten rücken vor.

Die Gemeinde Haramont tritt in den aktiven Dienst der Nationalgarde ein. Doch sie hat keine Waffen.

Es giebt aber ein Mittel, sich welche zu verschaffen. Gewisse Privatleute vorenthalten eine Menge Kriegswaffen, die dem öffentlichen Schatze große Ausgaben ersparen könnten, wenn sie in den Dienst der Nation übergingen.

Dem General von Lafayette möge es belieben, zu befehlen, daß diese ungesetzlichen Waffendepots, nach Maßgabe der zu bewaffnenden Mannschaft, zur Verfügung der Gemeinden gestellt werden, und ich übernehme es für meinen Teil, wenigstens dreißig Flinten in die Arsenale von Haramont schaffen zu lassen.

Das ist das einzige Mittel, um den gegenrevolutionären Schlichen und Ränken der Aristokraten und Feinde der Nation einen Damm entgegenzusetzen.

Ihr

Mitbürger und ergebenster Diener

Ange Pitou.

Als er diese Vorstellung niedergeschrieben, bemerkte Pitou, daß er es vergessen habe, dem Pächter von seinem Hause und seiner Familie etwas mitzuteilen.

Er behandelte ihn zu sehr als Brutus; anderseits, wenn er Billot Einzelheiten über Katharine gab, setzte er sich der Gefahr aus, zu lügen oder das Herz eines Vaters zu zerreißen, und das hieße dann auch in Pitous Seele blutende Wunden wieder öffnen.

Pitou unterdrückte einen Seufzer und fügte als Nachschrift bei:

N. S. Frau Billot, Jungfer Katharine und das ganze Haus befinden sich wohl und empfehlen sich dem Andenken von Herrn Billot.

Auf diese Art gefährdete Pitou weder sich, noch sonst jemand.

Als der Kommandant der Truppen von Haramont den Eingeweihten den weißen Umschlag zeigte, der mit seinem Inhalt nach Paris abgehen sollte, beschränkte er sich darauf, ihnen zu sagen: Das ist es.

Und er warf seinen Brief in die Lade.

Die Antwort ließ nicht auf sich warten.

Nach zwei Tagen kam ein eigener Bote zu Pferd in Haramont an und fragte nach Ange Pitou.

Groß war das Aufsehen, groß die Erwartung und Angst der Milizer. Der Eilbote ritt ein weißbeschäumtes Pferd und trug die Uniform des Generalstabs der Pariser Nationalgarde.

Man denke sich die Wirkung, die er hervorbrachte, man denke sich auch die Bangigkeit und das Herzklopfen von Pitou.

Er näherte sich zitternd, bleich, und nahm das Packet, das ihm, nicht ohne zu lächeln, der mit der Sendung beauftragte Offizier überreichte. Es war eine Antwort von Herrn Billot durch Gilberts Hand.

Billot empfahl Pitou Mäßigung im Patriotismus. Und er sandte den Befehl des Generals Lafayette, contrasigniert vom Kriegsminister, um die Nationalgarde von Haramont zu bewaffnen.

Er benützte die Abreise eines Offiziers, der beauftragt war, im Namen des Generals Lafayette die Nationalgarde von Soisson und von Laon zu bewaffnen.

Dieser Befehl war folgendermaßen abgefaßt:

Diejenigen, welche mehr als eine Flinte und einen Säbel besitzen, sind gehalten, ihre andern Waffen den Corpschefs jeder Gemeinde zur Verfügung zu stellen.

Gegenwärtige Maßregel soll im ganzen Umfang der Provinz vollzogen werden.

Rot vor Freude, dankte Pitou dem Offizier; dieser lächelte abermals und ging auf der Stelle nach der folgenden Station ab.

Pitou sah sich so auf dem Gipfel der Ehre, er empfing unmittelbar Botschaften von General Lafayette und von den Ministern. Und ihre Botschaften dienten auf eine gefällige Weise Pitous ehrgeizigen Plänen.

Die Wirkung dieses Besuches auf die Wähler Pitous zu schildern, wäre eine unmögliche Arbeit. Nur, wenn er diese bewegten Gesichter, diese glänzenden Augen, diesen Eifer der Bevölkerung, die tiefe Ehrfurcht sah, die unmittelbar jedermann für Ange Pitou faßte, konnte sich auch der ungläubigste Beobachter überzeugen, daß unser Held fortan ein großer Mann sein sollte.

Die Wähler verlangten das Siegel des Ministeriums zu sehen und zu berühren, was ihnen Pitou sehr huldreich bewilligte. Und als die Zahl der Anwesenden bis auf die einzigen Eingeweihten geschmolzen war, sprach Pitou:

Bürger, meine Pläne sind geglückt, wie ich es vorhergesehen. Ich habe dem General Lafayette geschrieben, daß Ihr Euch als Nationalgarde zu konstituieren gewünscht und mich zu Eurem Befehlshaber gewählt habt.

Leset die Aufschrift des Briefes, den ich vom Ministerium erhalte.

Und er reichte ihnen die Depesche, als deren Adresse man lesen konnte:

Dem Herrn Ange Pitou,
Kommandanten der Nationalgarde von Haramont.

Ich bin also, fuhr Pitou fort, ich bin also anerkannt und bestätigt vom General Lafayette als Kommandant der Nationalgarde. Ihr seid anerkannt und bestätigt als Nationalgardisten vom General Lafayette und vom Kriegsministerium.

Ein langer Schrei der Freude und Bewunderung erschütterte die Wände der Dachstube, die Pitou bewohnte.

Was die Waffen betrifft, fügte unser Mann hinzu, so habe ich die Mittel, um sie zu bekommen.

Ihr werdet Euch schleunigst einen Leutnant und einen Sergeanten ernennen. Diese zwei Autoritäten, werden mich bei dem Schritte, den ich vorhabe, begleiten.

Die Eingeweihten schauten sich verlegen an.

Deine Meinung, Pitou? sagte Maniquet.

Das geht mich nichts an, erwiderte Pitou mit einer gewissen Würde, es darf kein Einfluß auf die Wahlen geübt werden; versammelt Euch außer meiner Gegenwart; ernennt die zwei Chefs, die ich Euch bezeichnet habe, aber ernennt tüchtige. Das ist alles, was ich Euch zu sagen habe.

Mit diesem königlich ausgesprochenen Wort entließ Pitou seine Soldaten und blieb allein, in seine Größe gehüllt, wie Agamemnon. Er versenkte sich in seine Herrlichkeit, während außen die Wähler um einen Brocken der militärischen Macht sich stritten, die Haramont regieren sollte.

Die Wahl dauerte eine Stunde. Der Leutnant und der Sergeant wurden ernannt; es waren: der Sergeant, Claude Tellier, und der Leutnant, Désiré Maniquet. Man kam wieder zurück, und Pitou bestätigte sie und verkündigte ihre Ernennung.

Als diese Arbeit beendigt war, sprach er:

Meine Herren, es ist nun nicht ein Augenblick zu verlieren.

Ja, ja, lernen mir das Exerzieren, rief einer der Begeistertsten.

Eine Minute Geduld, erwiderte Pitou, ehe wir exerzieren, müssen wir vor allem Flinten haben.

Das ist nur zu richtig, sagten die Führer.

Kann man es nicht, in Erwartung der Flinten, mit Stöcken lernen?

Betreiben wir die Dinge militärisch, antwortete Pitou, der, als er den allgemeinen Eifer wahrnahm, sich nicht stark genug fühlte, um Unterricht in einer Kunst zu geben, von der er noch gar nichts verstand. Soldaten, die mit Stöcken im Feuer exerzieren lernen, wären eine sonderbare Erscheinung; fangen wir nicht damit an, daß wir uns lächerlich machen.

Das ist richtig, rief man; die Flinten!

Kommt mit mir, Leutnant und Sergeant, sagte Pitou zu seinen Untergebenen; Ihr andern wartet auf unsre Rückkehr.

Eine ehrerbietige Einwilligung war die Antwort der Schar.

Es bleiben uns sechs Stunden Tag. Das ist mehr, als wir brauchen, um nach Villers-Cotterêts zu gehen, unsre Angelegenheit abzumachen und zurückzukehren.

Vorwärts, Marsch! rief Pitou.

Der Generalstab des Heeres von Haramont setzte sich sogleich in Bewegung.

Als aber Pitou den Brief von Billot noch einmal las, um sich zu überzeugen, so viel Ehre sei kein Traum, fand er darin folgende Worte von Gilbert, die ihm entgangen waren:

Warum hat Pitou vergessen, dem Herrn Doktor Gilbert Nachrichten von Sebastian zu geben?

Warum schreibt Sebastian nicht an seinen Vater?


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