Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 3
Alexander Dumas

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Der Morgen.

Auf der Grenze der beiden Wohnungen erwartete ein Mann die Königin. Es war Charny, überströmt von Blut.

Der König! rief Marie Antoinette, als sie Charnys blutige Kleider sah. Der König! mein Herr, Sie haben versprochen, den König zu retten!

Der König ist gerettet, Madame, antwortete Charny.

Und er tauchte seinen Blick durch die Thüren, welche die Königin offen gelassen hatte, um von ihren Gemächern zum Oeil-de-Bœuf zu gelangen, wo in diesem Augenblick die Königin, Madame Royale, der Dauphin und einige Gardisten versammelt waren, und wollte eben fragen, wo Andrée sei, als er dem Blicke der Königin begegnete.

Dieser Blick hielt ihm das Wort auf seinen Lippen zurück.

Doch der Blick der Königin drang noch tiefer in sein Herz ein. Er hatte nicht nötig, zu sprechen; Marie Antoinette erriet seine Gedanken.

Sie kommt, sagte sie, seien Sie unbesorgt.

Und sie lief zum Dauphin und nahm ihn in ihre Arme.

Andrée und Charny wechselten nicht ein Wort.

Das Lächeln des einen erwiderte das Lächeln der andern.

Seltsam! diese zwei so lange getrennten Herzen hatten nun Schläge, die einander antworteten.

Während dieser Zeit schaute die Königin umher, und als wäre sie glücklich gewesen, Charny bei einem Versehen zu ertappen, fragte sie: Der König? der König?

Der König sucht Sie, Madame, antwortete Charny ruhig. Er ist durch einen Korridor zu Ihnen gegangen, während Sie durch einen andern gekommen sind.

In demselben Augenblick hört man gewaltiges Geschrei im anstoßenden Saal.

Das waren Mörder, die schreien: Nieder mit der Österreicherin! nieder mit der Messalina! nieder mit der Veto! Man muß sie erdrosseln, man muß sie aufhängen!

Zu gleicher Zeit werden zwei Pistolenschüsse hörbar, und zwei Kugeln durchlöchern die Thüre in verschiedenen Höhen.

Eine von den Kugeln flog über den Kopf des Dauphin vorüber und drang in das Getäfel ein.

Oh! mein Gott! mein Gott! rief die Königin, auf die Kniee fallend, wir werden alle sterben.

Auf einen Wink von Charny bildeten die fünf bis sechs Gardisten sodann einen Wall für die Königin und die zwei königlichen Prinzen.

In diesem Augenblick erschien der König, die Augen voll Thränen, das Gesicht bleich; er rief der Königin, wie die Königin dem König gerufen hatte.

Er erblickte sie und warf sich in ihre Arme.

Gerettet! gerettet! rief die Königin.

Durch ihn, Madame, antwortete der König, auf Charny deutend; und Sie, auch gerettet, nicht wahr?

Durch seinen Bruder, erwiderte die Königin.

Mein Herr, sprach Ludwig XVI, zum Grafen, wir sind Ihrer Familie viel schuldig, zu viel, als daß wir unsre Schuld je bezahlen könnten.

Die Königin begegnete dem Blick von Andrée und wandte errötend den Kopf ab.

Die Streiche der Angreifenden begannen an der Thüre zu erschallen.

Auf, meine Herren, sprach Charny, wir müssen hier eine Stunde fest halten. Wir sind unser sieben, und man wird, wenn wir uns gut verteidigen, wohl eine Stunde brauchen, um uns zu töten. Binnen einer Stunde muß man notwendig Ihren Majestäten zu Hilfe kommen.

Und mit diesen Worten packte Charny einen ungeheuren Schrank, der in der Ecke des königlichen Zimmers stand.

Man folgte seinem Beispiel, und bald war eine Menge von Möbeln aufgehäuft, durch die sich die Garden Schießscharten machten, um durchzufeuern.

Die Königin nahm ihre zwei Kinder in ihre Arme, erhob ihre Hände über ihrem Haupte und betete.

Die Kinder erstickten ihr Schluchzen und ihre Thränen.

Der König ging in das an das Oeil-de-Boeuf anstoßende Kabinett, um einige kostbare Papiere zu verbrennen, die er den Angreifenden entziehen wollte.

Diese wüteten gegen die Thüre. Jeden Augenblick sah man ein Stück davon unter der Schneide einer Axt oder unter der Wucht eines Brecheisens springen.

Durch die Öffnungen drangen die Piken mit der geröteten Zunge, die Bajonette mit der blutigen Spitze und suchten den Tod zu bereiten. Zu gleicher Zeit durchlöcherten die Kugeln den Rahmen über der Barrikade und durchfurchten den Gips des vergoldeten Plafonds.

Endlich stürzte eine Bank von dem Schranke herab. Der Schrank spaltete sich; eine ganze Füllung der Thüre öffnete sich gähnend wie ein Schlund, und man sah durch die erweiterte Öffnung, statt der Bajonette und der Piken, blutige Arme dringen, die sich an die Öffnungen anklammerten und sie immer mehr erweiterten.

Die Gardisten hatten ihre letzten Patronen verschossen, und zwar nicht unnütz, denn durch die zunehmende Öffnung sah man den Boden der Galerie mit Verwundeten und Toten bestreut.

Auf das Geschrei der Frauen, die durch diese Öffnung schon den Tod eintreten zu sehen glaubten, kam der König zurück.

Sire, sagte Charny, schließen Sie sich mit der Königin im entferntesten Kabinett ein; verriegeln Sie hinter Ihnen alle Thüren; stellen Sie zwei von uns hinter die Thüren. Ich stehe für zwei Stunden; sie haben mehr als vierzig Minuten gebraucht, um diese zu durchbrechen.

Der König zauderte; es kam ihm demütigend vor, so von Zimmer zu Zimmer zu fliehen.

Hätte er nicht die Königin gehabt, er wäre nicht einen Schritt zurückgewichen, hätte die Königin nicht ihre Kinder gehabt, sie wäre so fest geblieben, als der König.

Aber, ach! arme Menschen! Könige oder Unterthanen, wir haben immer im Herzen eine geheime Öffnung, durch welche die Kühnheit flieht und der Schrecken eintritt.

Der König war also im Begriff, den Befehl zu geben, in das abgelegenste Kabinett zu fliehen, als plötzlich die mörderischen Arme sich zurückzogen, die Piken und die Bajonette verschwanden, die Schreie und die Drohungen erloschen.

Es trat ein Augenblick des Stillschweigens ein, wo jeder Mund offen, jedes Ohr gespannt, jeder Atem gehemmt blieb.

Dann hörte man den abgemessenen Schritt einer regelmäßigen Truppe.

Das ist die Nationalgarde! rief Charny.

Herr von Charny! Herr von Charny! rief eine Stimme.

Und zu gleicher Zeit erschien das wohlbekannte Gesicht von Billot an der Öffnung.

Billot! rief Charny; Sie sind es, mein Freund?

Ja, ich bin es. Der König und die Königin, wo sind sie?

Sie sind hier.

Unversehrt?

Unversehrt.

Gott sei gelobt! Herr Gilbert! Herr Gilbert! hierher!

Beim Namen Gilbert bebten zwei Frauenherzen auf eine sehr verschiedene Art.

Charny wandte sich instinktartig um, er sah Andrée und die Königin bei diesem Namen erbleichen.

Er schüttelte den Kopf und seufzte.

Öffnen Sie die Thüren, meine Herren, sagte der König.

Die Gardes-du-corps stürzten hinzu und zerstreuten die Trümmer der Barrikade.

Während dieser Zeit hörte man die Stimme Lafayettes rufen: Meine Herren von der Pariser Nationalgarde, ich habe gestern abend dem König mein Wort gegeben, es würde allem, was Seiner Majestät gehört, nichts Böses widerfahren. Wenn Sie die Gardisten ermorden lassen, so machen Sie, daß mein Ehrenwort gebrochen ist, und ich bin dann nicht mehr würdig, Ihr Chef zu sein.

Als die Thüre sich öffnete, waren die Personen, die man erblickte, der General Lafayette und Gilbert; etwas links stand Billot, ganz freudig über den Anteil, den er an der Befreiung des Königs gehabt hatte.

Billot hatte Lafayette aufgeweckt.

Hinter Lafayette stand der Kapitän Gondran, Kommandant der Kompagnie von Saint-Philippe-du-Roule.

Madame Adelaide war die erste, die Lafayette entgegenlief, sie schlang ihre Arme mit der Dankbarkeit des Schreckens um seinen Hals und rief: Ah! mein Herr, Sie haben uns gerettet!

Lafayette trat ehrerbietig vor, um über die Schwelle des Oeil-du-Boeuf zu schreiten; doch ein Offizier hielt ihn zurück und fragte: Verzeihen Sie, mein Herr, haben Sie die großen Entrées?

Wenn er sie nicht hat, so gebe ich sie ihm, sprach der König, Lafayette die Hand reichend.

Es lebe der König! es lebe die Königin! rief Billot.

Der König wandte sich um.

Das ist eine Stimme, die ich kenne, sagte er lächelnd.

Sie sind sehr gnädig, Sire, antwortete der brave Pächter. Ja, ja, es ist die Stimme von der Fahrt nach Paris. Ah! wenn Sie in Paris geblieben wären, statt hierher zurückzukehren!

Der König faltete die Stirn.

Ja, sagte er, sie sind äußerst liebenswürdig, die Pariser!

Nun? fragte der König Herrn von Lafayette, wie einer, der sagen will: Was ist Ihrer Ansicht nach zu thun?

Sire, antwortete ehrerbietig Herr von Lafayette, ich glaube, es wäre gut, wenn Eure Majestät sich auf dem Balkon zeigte.

Der König befragte Gilbert, doch nur mit dem Auge. Darauf ging er gerade auf das Fenster zu, öffnete es und erschien auf dem Balkon.

Es erscholl ein gewaltiger Ruf, ein einstimmiger Ruf:

Es lebe der König!

Dann folgte ein zweiter Ruf auf den ersten:

Der König nach Paris!

Und zwischen diesen zwei Rufen schrieen furchtbare Stimmen: Die Königin! die Königin!

Bei diesem Schrei bebte alle Welt; der König erbleichte, Charny erbleichte, selbst Gilbert erbleichte.

Die Königin erhob das Haupt.

Auch bleich, die Lippen zusammengepreßt, die Stirne gefaltet, stand sie beim Fenster.

Madame Royale lehnte sich an sie. Vor ihr war ihr Dauphin, und auf dem blonden Kopfe des Kindes preßte sich krampfhaft ihre marmorweiße Hand an.

Die Königin! die Königin! fuhren die Stimmen fort, die immer furchtbarer wurden.

Das Volk wünscht Sie zu sehen, Madame, sagte Lafayette.

Oh! gehen Sie nicht, meine Mutter! rief Madame Royale, in Thränen zerfließend, indem sie ihren Arm um den Hals der Königin schlang.

Die Königin schaute Lafayette an.

Fürchten Sie nichts, Madame, sagte er.

Wie! ganz allein! versetzte die Königin.

Lafayette lächelte, und ehrerbietig, mit jenen anmutigen Manieren, die er bis in sein Alter behielt, machte er die zwei Kinder von ihrer Mutter los und schob sie zuerst auf den Balkon.

Dann bot er der Königin den Arm und sprach:

Eure Majestät geruhe, sich mir anzuvertrauen, und ich stehe für alles.

Und er führte die Königin auch auf den Balkon.

Es war ein entsetzliches Schauspiel, und ganz geeignet, den Schwindel zu geben, das Schauspiel, das der Marmorhof, verwandelt in ein Menschenmeer von heulenden Wellen, bot.

Beim Anblick der Königin brach ein ungeheurer Schrei aus dieser Menge hervor, und man hätte nicht sagen können, ob es ein Schrei der Drohung oder ein Freudenschrei war.

Lafayette küßte der Königin die Hand; dann erscholl ein allgemeiner Beifallsruf.

In dieser edlen französischen Nation ist bis in den bürgerlichen Adern ritterliches Blut.

Die Königin atmete freier.

Seltsames Volk! sagte sie.

Dann bebte sie plötzlich und sprach:

Und meine Gardisten, mein Herr, meine Gardisten, die mir das Leben gerettet haben, vermögen Sie nichts für sie?

Geben Sie mir einen, Madame, erwiderte Lafayette.

Herr von Charny! Herr von Charny! rief die Königin.

Aber Charny machte einen Schritt rückwärts, er hatte begriffen, um was es sich handelte.

Er wollte nicht für den Abend des 1. Oktobers öffentliche Abbitte thun.

Da er nicht schuldig war, so bedurfte er keiner Amnestie.

Andrée ihrerseits hatte denselben Eindruck gefühlt; sie hatte die Hand gegen Charny ausgestreckt, um ihn zurückzuhalten.

Ihre Hand begegnete der Hand des Grafen, diese beiden Hände drückten sich.

Die Königin sah es, sie, die doch in diesem Augenblick so viele Dinge zu sehen hatte.

Ihr Auge flammte, und mit stöhnender Brust, mit stockender Stimme sagte sie zu einem Gardisten:

Mein Herr, mein Herr, kommen Sie, ich befehle es Ihnen.

Der Gardist gehorchte.

Er hatte nicht dieselben Gründe des Zögerns wie Charny.

Herr von Lafayette zog den Gardisten auf den Balkon, steckte ihm seine eigene dreifarbige Kokarde an den Hut und umarmte ihn.

Es lebe Lafayette! es leben die Gardes-du-corps! riefen fünfzigtausend Stimmen.

Einige Stimmen wollten das dumpfe Murren, die letzte Drohung des entfliehenden Sturmes, hören lassen.

Aber sie wurden durch den allgemeinen Zuruf bedeckt.

Wohlan! sagte Lafayette, alles ist beendigt, und das schöne Wetter ist wiedergekehrt!

Dann trat er zurück und sprach: Doch damit es nicht abermals getrübt werde, Sire, bleibt ein letztes Opfer zu bringen.

Ja, versetzte der König nachdenkend, Versailles verlassen, nicht wahr?

Und nach Paris kommen, Sire.

Mein Herr, sagte der König, Sie können dem Volke verkünden, in einer Stunde werden wir, die Königin, ich und meine Kinder, nach Paris abgehen.

Dann zur Königin: Madame gehen Sie in Ihre Gemächer und treffen Sie Anstalten.

Dieser Befehl des Königs schien Charny an etwas wie ein wichtiges Ereignis, das er vergessen hatte, zu erinnern.

Er eilte der Königin voran.

Was wollen Sie bei mir machen, mein Herr? fragte die Königin hart; Sie haben nichts dort zu thun.

Ich wünsche es sehr lebhaft, Madame, erwiderte Charny, und wenn ich wirklich nichts dort zu thun habe, so werde ich nicht so lange bleiben, daß meine Gegenwart Eurer Majestät mißfallen könnte.

Die Königin folgte ihm. Blutspuren befleckten den Boden; die Königin sah sie. Marie Antoinette schloß die Augen, suchte einen Arm, um sie zu führen, nahm den von Charny und ging so ein paar Schritte blind.

Plötzlich fühlte sie, wie Charny am ganzen Leibe schauerte.

Was giebt es, mein Herr? fragte sie, die Augen wieder öffnend. Dann rief sie: Ein Leichnam! ein Leichnam!

Eure Majestät wird mich entschuldigen, wenn ich ihren Arm loslasse, sagte Charny. Ich habe gefunden, was ich bei ihr gesucht, den Leichnam meines Bruders Georges.

Es war in der That der des unglücklichen jungen Mannes, dem sein Bruder befohlen hatte, sich für die Königin töten zu lassen. Er hatte pünktlich gehorcht.


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