Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 3
Alexander Dumas

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Pitou als Revolutionär.

Pitou wollte, nachdem er den ersten Pflichten des Gehorsams entsprochen hatte, die ersten Bedürfnisse seines Herzens befriedigen.

Um das Gehorchen ist es eine sehr angenehme Sache, wenn just der Befehl des Herrn für denjenigen, welcher gehorcht, alle geheimen Wünsche erfüllt.

Er schlug also einen kräftigen Schritt an, folgte dem Gäßchen, das von Pleux nach der Straße von Lonnet führt und warf sich dann querfeldein, um schneller zu dem Pachthofe von Pisseleux zu gelangen.

Doch bald wurde sein Lauf ruhiger; jeder Schritt rief eine Erinnerung in ihm zurück.

Wenn man in den Ort zurückkehrt, wo man geboren ist, geht man auf dem Pfad seiner Jugend. Auf jedem Schritte findet man im Schlage seines Herzens eine Erinnerung.

Den ganzen Weg entlang versammelte Pitou die Vergangenheit um sich, und kam mit einer Seele voll von Erinnerungen nach dem Pachthofe der Mutter Billot.

Als er hundert Schritte vor sich den langen Kamm der Dächer erblickte, als er die alten Ulmen sah, als er den entfernten Lärm des Viehs, der Hunde, der Wagen hörte, richtete er seinen Helm auf seinem Kopfe zurecht, befestigte den Dragonersäbel an seiner Seite und suchte sich eine mutige Haltung zu geben, wie es sich für einen Verliebten und einen Militär geziemt.

Niemand erkannte ihn anfangs.

Ein Knecht ließ die Pferde an dem Teiche trinken.

Er hörte Geräusch, wandte sich um und erblickte durch den zerzausten Kopf einer Weide Pitou, oder vielmehr einen Helm und einen Säbel.

Der Knecht war ganz erstaunt, als Pitou an ihm vorüberkam und rief:

He! Barnaut! guten Morgen, Barnaut!

Pitou ging lächelnd weiter.

Doch der Knecht war nicht beruhigt; Pitous wohlwollendes Lächeln war unter seinem Helme begraben geblieben.

Zugleich erblickte die Mutter Billot durch das Fenster des Speisezimmers den Militär. Sie stand auf.

Damals lebte man auf dem Lande in Besorgnis; es verbreiteten sich erschreckliche Gerüchte; man sprach von Räubern, welche die Wälder umhieben und die Ernten noch grün abschnitten.

Was bedeutete die Ankunft dieses Soldaten? war es Angriff, war es Hilfe?

Die Mutter Billot hatte Pitou mit einem einzigen Blick in seinem Gesamtwesen umfaßt, sie fragte sich: warum so bäuerische Hosen zu einem so glänzenden Helme? Und sie neigte sich in ihren Mutmaßungen ebensosehr auf die Seite des Verdachts als auf die Seite der Hoffnung.

Der Soldat, wer er auch sein mochte, trat in die Küche ein.

Die Mutter Billot ging dem Ankömmling zwei Schritte entgegen.

Pitou, um seinerseits in der Höflichkeit nicht zurückzubleiben, nahm seinen Helm ab.

Ange Pitou! rief sie, Ange hier!

Guten Morgen, Frau Billot, antwortete er.

Ange! O! mein Gott, wer hätte das erraten; du bist also in Militärdiensten?

O! in Diensten! versetzte Pitou lachend.

Dann schaute er umher, suchend, was er nicht sah.

Die Mutter Billot lächelte; sie erriet den Zweck von Pitous Umherschauen.

Sie sagte einfach: Du suchst Katharine?

Ja, Frau Billot, um ihr mein Kompliment zu machen, erwiderte Pitou.

Sie läßt Wäsche trocknen. Auf, setze dich, schau mich an und sprich mit mir.

Das will ich wohl, erwiderte Pitou, und er nahm einen Stuhl.

Nun gruppierten sich um ihn bei den Thüren und auf den Stufen der Treppen alle Mägde und Knechte des Pachthofes, herbeigezogen durch die Erzählung des Stallknechtes.

Und bei jeder neuen Ankunft hörte man flüstern:

Das ist Pitou . . .

Ja, er ist es!

Pitou ließ auf seinen alten Kameraden einen wohlwollenden Blick umherlaufen. Sein Lächeln war eine Liebkosung für die Mehrzahl.

Und du kommst von Paris, Ange? fuhr die Gebieterin des Hauses fort.

Geradeswegs, Frau Billot.

Wie geht es unserm Herrn?

Sehr gut, Frau Billot.

Wie geht es in Paris?

Seht schlecht Frau Billot.

O! Und der Kreis der Zuhörer zog sich enger zusammen.

Pitou schüttelte den Kopf und ließ ein Schnalzen der Zunge hören, das sehr demütigend für die Monarchie war.

Die Königin?

Pitou antwortete diesmal durchaus nichts.

Oh! machte Frau Billot.

Laß hören, fahre fort, Pitou, sprach die Pächterin.

Ei! fragen Sie mich, antwortete Pitou, dem daran lag, in Katharines Abwesenheit nicht alles zu sagen, was er Interessantes zu belichten hatte.

Warum hast du einen Helm? fragte Frau Billot.

Das ist eine Trophäe, erwiderte Pitou.

Was ist das, eine Trophäe, mein Freund? versetzte die gute Frau.

Ah! es ist wahr, Frau Billot, antwortete Pitou mit einem Protektorslächeln, Sie können nicht wissen, was eine Trophäe ist. Eine Trophäe, das ist, wenn man einen Feind besiegt hat, Frau Billot.

Du hast also einen Feind besiegt, Pitou?

Einen! rief Pitou verächtlich, ah! meine gute Frau Billot, Sie wissen also nicht, daß wir zwei, Herr Billot und ich, die Bastille genommen haben?

Dieses magische Wort elektrisierte die Zuhörer. Pitou fühlte den Atem der Anwesenden in seinen Haaren und ihre Hände auf der Lehne seines Stuhles.

Erzähle, erzähle ein wenig, was unser Mann gethan hat, sagte Frau Billot, ganz stolz und zugleich ganz zitternd.

Pitou schaute, ob Katharine noch nicht komme, sie kam nicht.

Er nahm es fast als eine Beleidigung, daß Jungfer Billot den Nachrichten zulieb, frisch von einem solchen Kourier gebracht, ihre Wäsche nicht verließ.

Er schüttelte den Kopf und fing an seine Unzufriedenheit merken zu lassen.

Das giebt eine sehr lange Erzählung, sagte er.

Und du hast Hunger? fragte Frau Billot.

Vielleicht wohl.

Durst?

Ich sage nicht nein.

Sogleich beeiferten sich Knechte und Mägde, so daß Pitou unter seinen Händen Becher, Brot, Fleisch, Früchte aller Art fand, ehe er über die Tragweite seines Verlangens nachgedacht hatte.

Pitou hatte eine heiße Leber, wie man auf dem Lande sagt, das heißt, er verdaute schnell; aber so schnell er auch verdaute, er konnte noch nicht mit dem Hahn der Tante Angélique, dessen letzter Bissen erst seit einer halben Stunde verzehrt war, zu Ende gekommen sein.

Die Bedienung war gegen seinen Wunsch so rasch, daß das, was er verlangt hatte, ihn nicht so viel Zeit gewinnen ließ, als er hoffte.

Er sah, daß er sich einer äußersten Anstrengung unterziehen mußte, und fing an zu essen.

Aber wie groß auch sein guter Wille war, in dieser Arbeit fortzufahren, nach einem Augenblick sah er sich genötigt, anzuhalten.

Was hast du? fragte Frau Billot?

Ach! ich habe . . .

Zu trinken, für Pitou.

Ich habe Äpfelmost, Frau Billot.

Vielleicht ist dir aber der Branntwein lieber?

Der Branntwein?

Ja, hast du dich in Paris daran gewöhnt, solchen zu trinken?

Die brave Frau dachte, während seiner zwölftägigen Abwesenheit habe Pitou Zeit gehabt, sich zu verderben.

Pitou wies diese Annahme stolz zurück.

Ich – Branntwein? sagte er, nie.

So sprich.

Wenn ich spreche, so werde ich für Jungfer Katharine wieder von vorn anfangen müssen, und das ist lang, erwiderte Pitou.

Zwei bis drei Personen eilten nach dem Waschhause, um Jungfer Katharine zu holen.

Doch während alle Welt nach einer Seite lief, wandte Pitou maschinenmäßig die Augen nach der Treppe, die in den ersten Stock führte, und da der Wind von unten einen Luftzug nach oben gemacht hatte, so erblickte er durch eine offene Thüre Katharine, die aus einem Fenster schaute.

Katharine schaute nach dem Walde, in der Richtung von Boursonne. Sie war dergestalt in ihr Schauen vertieft, daß die Bewegung im Innern des Hauses sie gar nicht berührte; ihre ganze Aufmerksamkeit war im Gegenteil von etwas anderm in Anspruch genommen.

Ah! ah! sagte er leise seufzend für sich, nach dem Walde nach Boursonne, nach Herrn Isidor von Charny; ja so ist es.

Und er stieß einen zweiten Seufzer aus, der noch kläglicher war, als der erste.

In diesem Augenblick kamen die Boten, nicht nur vom Waschhause, sondern von allen Orten, wo Katharine sein konnte, zurück.

Nun? fragte Frau Billot.

Wir haben sie nicht gesehen.

Katharine! Katharine! rief Frau Billot.

Das Mädchen hörte nichts.

Pitou wagte es nun, zu sprechen.

Frau Billot, sagte er, ich weiß wohl, warum man Jungfer Katharine nicht im Waschhause gefunden hat.

Warum hat man sie nicht dort gefunden?

Ei! weil sie nicht dort ist.

Du weißt also, wo sie ist?

Ja.

Wo ist sie?

Sie ist oben.

Und er nahm die Pächterin bei der Hand, ließ sie die drei ersten Stufen der Treppe hinaufsteigen und zeigte ihr Katharine, die auf dem Rande des Fensters im Rahmen der Winden und des Epheus saß.

Sie macht sich das Haar zurecht, sagte die gute Frau.

Ach! nein, es ist ganz zurecht gemacht, antwortete Pitou schwermütig.

Die Pächterin schenkte der Schwermut Pitous keine Aufmerksamkeit und rief mit starker Stimme: Katharine! Katharine!

Das Mädchen bebte überrascht, schloß rasch sein Fenster und fragte: Was giebt es?

Ei! so komm doch, Katharine, rief die Mutter Billot, die nicht an der Wirkung zweifelte, die ihre Worte hervorbringen würden. Ange ist von Paris angekommen.

Pitou horchte mit Bangen auf die Antwort, die Katharine geben würde.

Ah! machte sie kalt.

So kalt, daß dem armen Pitou das Herz sank.

Ah! sprach sie, als sie den Boden berührte, er ist es.

Pitou verbeugte sich schamrot und schauernd.

Er hat einen Helm, sagte eine Magd der jungen Gebieterin ins Ohr.

Pitou hörte das Wort und studierte die Wirkung davon im Gesichte Katharines.

Ein reizendes Gesicht, vielleicht ein wenig bleich geworden, aber noch mehr voll und sammetartig.

Katharine zeigte aber für Pitous Helm keine Bewunderung.

Ah! er hat einen Helm, sagte sie, wozu?

Diesmal gewann die Entrüstung die Oberhand im Herzen des ehrlichen Jungen.

Ich habe einen Helm und einen Säbel, sprach er mit Stolz, weil ich mich geschlagen und Dragoner und Schweizer getötet habe, und wenn Sie daran zweifeln, so werden Sie Ihren Vater fragen, Jungfer Katharine . . . so ist es.

Katharine war so zerstreut, daß sie nur den letzten Teil von Pitous Antwort zu hören schien.

Wie geht es meinem Vater? fragte sie, und warum kommt er nicht mit Ihnen zurück? Sind die Nachrichten von Paris schlecht?

Sehr schlecht, erwiderte Pitou.

Ich glaubte, es sei alles in Ordnung gebracht, versetzte Katharine.

Ja, das ist wahr; doch alles ist wieder in Unordnung geraten.

Hat nicht zwischen Volk und König eine Verständigung stattgefunden? Ist nicht Herr Necker zurückberufen worden?

Es handelt sich wohl um Herrn Necker, erwiderte Pitou anmaßend.

Das hat aber doch das Volk zufrieden gestellt, nicht wahr?

So gut zufrieden gestellt, daß das Volk im Zuge ist, sich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und alle seine Feinde zu töten.

Alle seine Feinde! rief Katharine erstaunt. Und wer sind denn die Feinde des Volks?

Die Aristokraten.

Katharine erbleichte.

Was nennt man denn Aristokraten? fragte sie.

Ei! diejenigen, welche große Güter haben, – diejenigen, welche schöne Schlösser haben, – diejenigen, welche alles haben, während wir nichts haben.

Mein Gott! rief das Mädchen entsetzlich erbleichend.

Pitou bemerkte diese Veränderung in ihren Zügen.

Ich nenne Aristokraten Personen von Ihrer Bekanntschaft.

Von meiner Bekanntschaft?

Von unsrer Bekanntschaft? fragte die Mutter Billot.

Aber wen denn? fragte Katharine.

Herrn Berthier von Sauvigny, zum Beispiel, der Ihnen die goldenen Ohrringe geschenkt hat, die Sie an dem Tage trugen, wo Sie mit Herrn Isidor tanzten.

Nun?

Nun! ich habe die Leute gesehen, die sein Herz fraßen, ich, der ich mit Ihnen spreche!

Ein entsetzlicher Schrei drang aus der Brust aller hervor. Katharine warf sich auf den Stuhl zurück.

Du hast das gesehen? sagte die Mutter Billot vor Entsetzen.

Und Herr Billot hat es auch gesehen!

Ach! mein Gott.

Ja, fuhr Pitou fort, zu dieser Stunde muß man alle Aristokraten von Paris und Versailles getötet oder verbrannt haben.

Das ist gräßlich, murmelte Katharine.

Gräßlich! und warum denn? Sie sind doch keine Aristokratin, Sie, Frau Billot?

Herr Pitou, sprach Katharine mit einer düstern Energie, mir scheint, Sie waren nicht so grimmig, ehe Sie nach Paris abgingen.

Und ich bin es nicht mehr, Jungfer, erwiderte Pitou sehr erschüttert, aber . . .

Dann rühmen Sie sich nicht der Verbrechen, welche die Pariser begehen, da Sie kein Pariser sind, und da Sie diese Verbrechen nicht begangen haben.

Ich habe sie so wenig begangen, daß Herr Billot und ich, während wir Herrn Berthier verteidigten, beinahe umgebracht worden wären.

Oh! mein Vater! mein braver Vater! daran erkenne ich ihn! rief Katharine begeistert.

Mein würdiger Mann! sprach die Mutter Billot mit feuchten Augen. Ei! was hat er denn gethan?

Pitou erzählte die erschreckliche Szene auf der Grève, Billots Verzweiflung und seinen Wunsch, nach Villers-Cotterêts zurückzukehren.

Warum ist er denn nicht gekommen? sprach Katharine mit einem Ausdruck, der Pitous Herz tief bewegte, wie eine von den unglücklichen Prophezeiungen, womit einst die Wahrsager so tief in die Gemüter einzudringen wußten.

Die Mutter Billot faltete die Hände.

Herr Gilbert hat es nicht gewollt, antwortete Pitou.

Herr Gilbert will also, daß man meinen Mann töte? versetzte die Mutter Billot schluchzend.

Will er, daß das Haus meines Vaters zu Grunde gehen soll? fügte Katharine mit demselben Tone finsterer Schwermut bei.

Oh! nein! rief Pitou. Herr Gilbert und Herr Billot sind miteinander übereingekommen. Herr Billot wird noch einige Zeit in Paris bleiben, um die Revolution zu Ende zu bringen.

Sie beide allein wollen das? fragte die Mutter Billot.

Nein, mit Herrn von Lafayette und Herrn Bailly.

Ah! rief die Pächterin mit Bewunderung, sobald er mit Herrn von Lafayette und Herrn Bailly ist . . .

Wann gedenkt er zurückzukommen? fragte Katharine.

Oh! was das betrifft, ich weiß es nicht.

Und du, Pitou, wie bist du denn zurückgekommen?

Ich, ich habe Sebastian Gilbert zum Abbé Fortier geführt, und ich bin hierherkommen, um die Verhaltungsbefehle Herrn Billots zu überbringen.

Pitou erhob sich nach diesen Worten, nicht ohne eine gewisse diplomatische Würde, die, wenn nicht von den Dienstboten, doch wenigstens von den Gebietern begriffen wurde.

Die Mutter Billot stand auch auf und entließ ihre Leute.

Katharine, die sitzen geblieben war, suchte bis in die Tiefe der Seele Pitous Gedanken zu erforschen, bevor sie noch über seine Lippen kamen.

Was wird er mir sagen lassen? fragte sie sich.


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