Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 3
Alexander Dumas

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Medea.

Auf die furchtbaren moralischen und politischen Aufregungen in Versailles war ein wenig Ruhe gefolgt.

Der König lebte wieder frisch auf, und während er zuweilen an das dachte, was sein bourbonischer Stolz bei dieser Fahrt nach Paris zu leiden gehabt hatte, tröstete er sich mit dem Gedanken seiner wiedererlangten Volksbeliebtheit.

Während dieser Zeit organisierte Herr Necker und verlor ganz sachte seine Popularität.

Was den Adel betrifft, so fing er an, seinen Abfall oder seinen Widerstand vorzubereiten.

Das Volk wachte und wartete.

In sich selbst zurückgezogen, überzeugt, daß sie der Zielpunkt alles Hasses sei, machte sich die Königin mittlerweile sehr klein, sie verstellte sich; denn sie wußte wohl, daß sie, während sie der Zielpunkt von vielen Gehässigkeiten, zugleich auch das Ziel von vielen Hoffnungen war.

Seit der Reise des Königs nach Paris hatte sie Gilbert kaum wiedergesehen.

Einmal übrigens war er ihr in dem Vorzimmer, das nach den Gemächern des Königs führt, begegnet.

Und hier, da er sich tief vor ihr verbeugte, fing sie zuerst das Gespräch an.

Guten Morgen, mein Herr, sagte sie. Sie gehen zum König?

Dann fügte sie mit einem Lächeln bei, unter dem eine gewisse Färbung von Ironie durchdrang: Als Rat oder als Arzt?

Als Arzt, Madame, antwortete Gilbert. Ich habe heute den Dienst.

Sie winkte Gilbert, ihr zu folgen. Beide traten in einen kleinen Salon ein, der vor dem Zimmer des Königs kam.

Nun! mein Herr, sagte sie, Sie sehen wohl, daß Sie mich täuschten, als Sie mir neulich, bei Gelegenheit der Fahrt nach Paris, versicherten, der König laufe keine Gefahr.

Ich, Madame? versetzte Gilbert erstaunt.

Allerdings; ist nicht auf den König geschossen worden?

Wer sagt dies, Madame?

Alle Welt, mein Herr, und besonders diejenigen, welche die arme Frau beinahe unter die Räder des Wagens Seiner Majestät haben fallen sehen. Wer das sagt? Herr von Beauveau, Herr d'Estaing, die Ihren zerrissenen Rock, Herr Gilbert, Ihren durchlöcherten Busenstreif gesehen haben.

Madame!

Die Kugel, die Sie gestreift hat, mein Herr, konnte den König wohl töten, wie sie die arme Frau getötet hat; denn die Mörder wollten weder Sie, noch die arme Frau töten.

Ich glaube nicht an ein Verbrechen, erwiderte Gilbert zögernd.

Das mag sein. Doch ich, ich glaube daran, sprach die Königin, Gilbert fest anschauend.

In jedem Fall, wenn es ein Verbrechen gewesen ist, darf man es nicht dem Volke zuschreiben.

Die Königin heftete ihren Blick noch schärfer auf Gilbert.

Ah! sagte sie, und wem muß man es denn zuschreiben? Sprechen Sie.

Madame, fuhr Gilbert, den Kopf schüttelnd fort, ich sehe und studiere das Volk. Das Volk, wenn es in Revolutionszeiten mordet, das Volk tötet mit seinen eigenen Händen; es ist dann der Tiger in Wut, der gereizte Löwe. Der Tiger und Löwe nehmen keine Mittelsperson, keine Agenten zwischen der Gewalt und dem Opfer; sie töten, um zu töten; sie vergießen das Blut, um es zu vergießen; sie lieben es, ihren Zahn damit zu färben, ihre Klaue darein zu tauchen.

Davon sind Foulon und Berthier Zeugen, nicht wahr? Aber ist nicht Flesselles mit einem Pistolenschuß getötet worden? Ich habe es wenigstens sagen hören; doch im ganzen, fuhr die Königin mit Ironie fort, vielleicht ist das nicht wahr, wir sind so sehr von Schmeichlern umgeben, wir gekrönten Häupter.

Gilbert schaute seinerseits die Königin fest an und sagte:

Oh! bei diesem glauben Sie ebensowenig als ich, Madame, daß ihn das Volk getötet hat. Bei diesem gab es Leute, die dabei interessiert waren, daß er starb.

Die Königin dachte nach.

Das ist in der That möglich, sprach sie.

Somit . . . versetzte Gilbert, indem er sich verbeugte, als wollte er die Königin fragen, ob sie ihm noch etwas zu sagen habe.

Ich begreife, mein Herr, sprach die Königin, während sie den Doktor sanft durch eine beinahe freundliche Gebärde zurückhielt. Wie dem auch sein mag, lassen Sie mich Ihnen sagen, daß Sie den König mit Ihrer Kunst nie so thatsächlich retten werden, als Sie ihn mit Ihrer Brust gerettet haben.

Gilbert verbeugte sich zum zweiten Mal.

Doch da er sah, daß die Königin blieb, blieb er auch.

Ich hätte Sie wiedersehen sollen, sagte sie nach einer Pause von einem Augenblick.

Eure Majestät bedurfte meiner nicht . . .

Sie sind bescheiden.

Ich möchte es nicht sein.

Warum?

Wäre ich weniger bescheiden, so wäre ich auch weniger schüchtern und folglich mehr geeignet, meinen Freunden zu dienen oder Feinden zu schaden.

Warum sagen Sie: Meine Freunde, und sagen Sie nicht: Meine Feinde?

Weil ich keine Feinde habe, oder vielmehr, weil ich es nicht anerkennen will, daß ich welche habe, wenigstens von meiner Seite.

Die Königin schaute ihn erstaunt an.

Damit will ich sagen, fuhr Gilbert fort, diejenigen seien allein meine Feinde, welche mich hassen; ich aber hasse niemand.

Weil?

Weil ich niemand mehr liebe, Madame.

Sind Sie ehrgeizig, Herr Gilbert?

Ich habe einen Augenblick gehofft, es zu werden, Madame, und diese Leidenschaft ist in meinem Herzen nicht zur Reife gekommen.

Es bleibt Ihnen jedoch eine, sprach die Königin mit einer Art von ironischer Feinheit.

Mir, Madame? Und welche, bei Gott?

Die . . . Vaterlandsliebe.

Gilbert verbeugte sich.

Oh! das ist wahr, sprach er, ich bete mein Vaterland an und werde ihm alle Opfer bringen.

Ach! sagte die Königin mit einem unbeschreiblichen Zauber der Schwermut, es gab eine Zeit, wo ein Franzose diesen Gedanken nie mit den Worten ausgedrückt hätte, deren Sie sich eben bedienten.

Was will die Königin damit sagen? fragte er.

Ich will damit sagen, mein Herr, daß es in der Zeit, von der ich rede, unmöglich war, sein Vaterland zu lieben, ohne zugleich seinen König und seine Königin zu lieben.

Gilbert errötete, verbeugte sich und fühlte in seinem Herzen etwas wie einen Schlag von jener Elektrizität, welche die Königin in ihren verführerischen Vertraulichkeiten von sich ausströmte.

Madame, erwiderte Gilbert, ich darf mich rühmen, daß ich die Monarchie mehr als irgend jemand liebe.

Sind wir in einer Zeit, mein Herr, wo es genügt, dies zu sagen, und wäre es nicht besser, es zu thun?

Madame, entgegnete Gilbert erstaunt, ich bitte Eure Majestät, zu glauben, daß ich alles, was der König oder die Königin befehlen wird . . .

Sie werden es thun, nicht wahr?

Sicherlich, Madame.

Damit, daß Sie es thun, werden Sie nur eine Pflicht erfüllt haben, mein Herr, sprach die Königin, die unwillkürlich wieder ein wenig von ihrem gewöhnlichen Stolze annahm.

Madame . . .

Gott, der den Königen die Allmacht gegeben hat, fuhr Marie Antoinette fort, hat sie von der Verbindlichkeit freigesprochen, gegen die, welche nur ihre Pflicht erfüllen, dankbar zu sein.

Ach! ach! Madame, entgegnete Gilbert, die Zeit naht heran, wo Ihre Diener mehr als Ihre Dankbarkeit verdienen werden, wenn sie nur ihre Pflicht thun wollen.

Was meinen Sie damit, mein Herr?

Ich meine, Madame, daß Sie in diesen Tagen der Unordnung und der Zerstörung vergebens da Freunde suchen werden, wo Sie Diener zu finden gewohnt sind. Bitten Sie Gott, Madame, er möge Ihnen andre Diener, andre Stützen, andre Freunde schicken, als die, welche Sie haben.

Kennen Sie solche?

Ja, Madame.

So bezeichnen Sie mir sie.

Madame, ich, der ich mit Ihnen spreche, war gestern Ihr Feind.

Mein Feind, und warum dies?

Weil Sie mich einsperren ließen. – Heute, Madame, bin ich Ihr Diener.

Und der Endzweck, warum Sie mein Diener geworden sind? Es liegt nicht in Ihrer Natur, mein Herr, so schnell Meinungen, Glauben oder Neigungen zu wechseln. Sie sind ein tiefer Mann in den Erinnerungen, Herr Gilbert, Sie wissen Ihre Rache fortdauern zu lassen. Auf! nennen Sie mir den Endzweck Ihrer Veränderung.

Madame, Sie haben mir soeben vorgeworfen, ich liebe mein Vaterland zu sehr.

Man liebt es nie zu sehr, mein Herr; es handelt sich nur darum, zu wissen, wie man es liebt. Ich, ich liebe mein Vaterland. (Gilbert lächelte.) Oh! keine falsche Auslegung, mein Herr; mein Vaterland ist Frankreich, ich habe es adoptiert. Eine Deutsche durch das Blut, bin ich Französin durch das Herz. Ich liebe Frankreich; doch ich liebe es durch den König. Und Sie? Nicht wahr, bei Ihnen ist es nicht dasselbe? Sie lieben Frankreich einzig und allein Frankreichs wegen.

Madame, antwortete Gilbert, ich würde der Achtung gegen Eure Majestät ermangeln, wenn ich der Freimütigkeit ermangelte.

Oh! rief die Königin, abscheuliche, gräßliche Zeit, wo alle Leute, die redlich zu sein behaupten, zwei Dinge von einander trennen, die sich niemals trennen lassen, zwei Prinzipien, die immer miteinander gegangen sind: Frankreich und sein König. Doch haben Sie nicht ein Trauerspiel von einem Ihrer Dichter, in dem eine von allen verlassene Königin gefragt wird: Was bleibt Euch? Worauf sie antwortet: Ich! Nun denn, ich bin wie Medea, ich bleibe mir, und wir werden sehen.

Und sie ging zornig weiter und ließ Gilbert ganz erstaunt zurück. Sie hatte durch den Hauch ihres Zornes eine Ecke des Schleiers vor ihm gelüftet, hinter dem sich das ganze Werk der Gegenrevolution ausarbeitete.

Ah! sagte er zu sich selbst, während er beim König eintrat, die Königin geht mit einem Projekt um.

Oh! sagte die Königin zu sich selbst, während sie in ihre Gemächer zurückkehrte, es ist offenbar nichts mit diesem Menschen zu machen. Er hat wohl Stärke, aber keine Ergebenheit.

Arme Fürsten! bei denen das Wort Ergebenheit gleichbedeutend ist mit Knechtsinn.


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