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Sir Henry Baskerville und Dr. Mortimer hatten sich zum verabredeten Zeitpunkt eingefunden, und so brachen wir wie vorgesehen nach Devonshire auf. Sherlock Holmes fuhr mit mir zum Bahnhof und gab mir letzte Anweisungen und Ratschläge.
»Ich will dich nicht damit belasten, dir von meinen Theorien oder einem Verdacht zu berichten«, sagte er, »ich möchte einfach, dass du mir alle Fakten so ausführlich wie möglich mitteilst, du kannst es dann mir überlassen, daraus entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen.«
»An welche Fakten hast du gedacht?« fragte ich.
»Alles, was mit dem Fall, und sei es auch nur indirekt, zu tun zu haben scheint, vor allem aber die Beziehungen zwischen dem jungen Baskerville und seinen Nachbarn oder neue Einzelheiten hinsichtlich des Todes von Sir Charles. Ich habe in den vergangenen Tagen selbst einige Untersuchungen vorgenommen, doch die Ergebnisse waren, wie ich befürchte, eher negativ. Nur eines scheint sicher zu sein, dass nämlich Mr. James Desmond, der nächste Erbe, ein älterer Herr von äußerst freundlicher Natur ist, so dass die Verfolgungen kaum von ihm herrühren werden. Ich glaube wirklich, wir können ihn vollständig aus unseren Überlegungen streichen. So bleiben die Leute übrig, die im Moor zur direkten Umgebung von Sir Henry Baskerville gehören.«
»Wäre es als erste Maßnahme nicht besser, dieses Ehepaar Barrymore loszuwerden?«
»Auf gar keinen Fall. Man könnte keinen größeren Fehler begehen. Falls sie unschuldig sind, wäre dies eine grausame Ungerechtigkeit, und falls sie schuldig sind, so würden wir uns jeder Gelegenheit berauben, sie zu überführen. Nein, nein, wir werden sie auf unserer Verdächtigenliste behalten. Dann gibt es einen Stallknecht in Baskerville Hall, wenn ich mich recht entsinne. Des Weiteren leben dort zwei Moorbauern, außerdem unser Freund Dr. Mortimer, den ich für durch und durch anständig halte, und seine Frau, über die wir nichts wissen. Dann gibt es diesen Naturforscher, Stapleton, und seine Schwester, die als junge und attraktive Dame gilt, ferner Mr. Frankland von Lafter Hall, der ebenfalls ein unbekannter Faktor ist, und ein oder zwei weitere Nachbarn. Dies sind die Leute, denen deine besondere Aufmerksamkeit gelten soll.«
»Ich werde mein Bestes tun.«
»Ich gehe davon aus, dass du bewaffnet bist!«
»Ja, ich hielt das für eine gute Idee.«
»Ganz bestimmt. Behalte deinen Revolver Tag und Nacht bei dir und lasse niemals in deiner Wachsamkeit nach.«
Unsere Freunde hatten bereits ein Erster-Klasse-Abteil belegt und erwarteten uns auf dem Bahnsteig.
»Es gibt keinerlei Neuigkeiten«, sagte Dr. Mortimer als Antwort auf die Frage meines Freundes. »Eines kann ich beschwören: Wir sind in den letzten beiden Tagen von niemandem verfolgt worden. Wann immer wir ausgegangen sind, haben wir aufmerksam darauf geachtet; niemand hätte uns entgehen können.«
»Ich nehme an, Sie sind immer zusammen gewesen?«
»Abgesehen von gestern Nachmittag. Wenn ich in die Stadt komme, widme ich gewöhnlich einen Tag dem reinen Vergnügen, daher verbrachte ich ihn im Museum der Medizinischen Fakultät.«
»Und ich habe die Leute im Park beobachtet«, sagte Baskerville, »es gab keinerlei Probleme.«
»Es war dennoch unklug«, sagte Holmes und schüttelte seinen Kopf mit ernster Miene. »Ich bitte Sie darum, Sir Henry, nicht mehr allein umherzulaufen. Ein großes Unglück wird Ihnen widerfahren, wenn Sie das tun. Haben Sie ihren anderen Schuh wiedergefunden?«
»Nein, er ist für immer verschwunden.«
»Tatsächlich? Das ist sehr interessant. Dann auf Wiedersehen«, fügte er hinzu, als sich der Zug in Bewegung setzte. »Denken Sie immer an einen der Sätze aus dieser seltsamen alten Legende, die Dr. Mortimer uns vorgelesen hat, Sir Henry, und meiden Sie das Moor in jenen Stunden der Dunkelheit, da die Mächte des Bösen sich erheben.«
Ich schaute zum Bahnsteig zurück, den wir schon weit hinter uns gelassen hatten, und sah die große und hagere Gestalt von Holmes regungslos dastehen und uns nachstarren.
Wir hatten eine kurzweilige und vergnügliche Reise, die ich dazu nutzte, meine beiden Gefährten besser kennen zu lernen und mit Dr. Mortimers Spaniel zu spielen. Nach wenigen Stunden schon wurde die braune Erde rötlich und der Ziegel zu Granit, rotbraune Kühe grasten auf von Hecken begrenzten Feldern, wo saftige Gräser und üppige Vegetation von einem reicheren, wenn auch feuchteren Klima kündeten. Der junge Baskerville starrte eifrig aus dem Fenster und schrie laut auf vor Entzücken, als er die vertraute Landschaft von Devon erkannte.
»Ich habe eine Menge von der Welt gesehen, seit ich diese Gegend verlassen habe, Dr. Watson«, sagte er, »aber niemals habe ich einen vergleichbaren Ort gefunden.«
»Ich habe noch nie einen Mann aus Devon getroffen, der nicht auf sein Land geschworen hätte«, bemerkte ich.
»Das hängt ebenso sehr von der Art der Menschen wie vom Land ab«, sagte Dr. Mortimer. »Ein Blick auf unseren Freund hier verrät uns den rundlichen Keltenschädel, der in sich die keltische Begeisterungsfähigkeit und Bodenständigkeit trägt. Der Kopf des armen Sir Charles war ein seltenerer Typ von halb gälischem und halb irischem Charakter. Aber Sie waren doch recht jung, als Sie Baskerville Hall das letzte Mal sahen, nicht wahr?«
»Ich war noch ein kleiner Junge, als mein Vater starb, und habe Baskerville Hall nie gesehen, denn er lebte in einem kleinen Landhaus an der Südküste. Anschließend bin ich direkt zu einem Freund nach Amerika gefahren. Ich sage Ihnen, das ist alles für mich ebenso neu wie für Dr. Watson, und ich bin sehr gespannt darauf, das Moor zu sehen.«
»In diesem Fall ist Ihr Wunsch leicht zu erfüllen, denn hier ist ihr erster Blick auf das Moor«, sagte Dr. Mortimer und zeigte aus dem Waggonfenster.
Über den grünen Rechtecken der Felder und dem niedrigen Bogen eines Waldes erhob sich in der Ferne ein grauer, melancholisch wirkender Hügel mit einem merkwürdig gezackten Gipfel, trübe und schemenhaft wie eine fantastische Traumlandschaft. Lange starrte Baskerville reglos auf dieses Bild, und ich konnte seinem Gesicht ansehen, wie viel ihm der erste Anblick dieses seltsamen Ortes bedeutete, den seine Vorfahren so lange beherrscht und auf dem sie so tiefe Spuren hinterlassen hatten. Da saß er in seinem Tweed-Anzug mit seinem amerikanischen Akzent in der Ecke eines prosaischen Eisenbahnwaggons, doch während ich sein dunkles und ausdrucksvolles Gesicht betrachtete, fühlte ich mehr als zuvor, dass er ein echter Nachfahre dieser langen Linie heißblütiger, feuriger und herrischer Menschen war. Stolz, Tapferkeit und Stärke zeigten sich in seinen dichten Augenbrauen, diesen sensitiven Nasenflügeln und den großen haselnussbraunen Augen. Sollte in diesem abschreckenden Moor eine schwierige und gefährliche Aufgabe vor uns liegen, so war er doch wenigstens ein Gefährte, für den man ein Risiko auf sich nehmen könnte mit der Gewissheit, dass er es voller Mut teilte.
Der Zug hielt an einem kleinen Nebenbahnhof und wir stiegen alle aus. Draußen, jenseits des niedrigen weißen Zauns, erwartete uns ein kleiner offener Pferdewagen. Offenbar war unsere Ankunft ein großes Ereignis, denn der Bahnhofsvorsteher und die Träger kamen herbeigeeilt, um unser Gepäck hinauszutragen. Es war ein hübscher, einfacher Landflecken, doch war ich überrascht zu bemerken, dass am Tor zwei Soldaten in dunklen Uniformen standen, die sich auf ihre Gewehre stützten und uns eingehend musterten, als wir an ihnen vorübergingen. Der Kutscher, ein knorriger kleiner Bursche mit harten Gesichtszügen, grüßte Sir Henry, und ein paar Minuten später rollten wir rasch die breite weiße Straße entlang. Sanft gewelltes Weideland erstreckte sich zu beiden Seiten unseres Weges und alte Giebelhäuser schauten hier und da aus dem dichten grünen Laubwerk hervor, doch hinter der friedlichen, sonnenbeschienenen Landschaft erhob sich überall die düstere Linie des Moors gegen den Abendhimmel, bisweilen durchbrochen von zerklüfteten, finsteren Hügeln.
Der Wagen bog in eine Seitenstraße, und wir fuhren in jahrhundertelang durch Räder tief eingegrabene Rillen bergauf, auf beiden Seiten von Böschungen gesäumt, die mit saftigem Moos und üppigen Farnen dicht bewachsen waren. Gesprenkelte Brombeersträucher glitzerten im Licht der untergehenden Sonne. Immer weiter den Berg erklimmend kamen wir über eine schmale Steinbrücke und fuhren einen Bach entlang, der brausend und schäumend zwischen grauen Findlingen dahinrauschte. Die Straße und der Bach wanden sich durch ein dicht mit Eichen- und Kieferngestrüpp bewachsenes Tal. Bei jeder Biegung ließ Baskerville einen Ausruf des Entzückens hören, schaute eifrig um sich her und stellte zahllose Fragen. In seinen Augen erschien alles wunderschön, aber mir schien eine Spur von Melancholie auf diesem Landstrich zu liegen, der deutlich das Mal des vergehenden Jahres trug. Gelbe Blätter fielen von den Bäumen auf uns herab und bildeten ringsumher einen Teppich. Das Rasseln unserer Räder erstarb in den dichten Haufen modernder Vegetation – ein trauriges Willkommen der Natur an den heimkehrenden Erben der Baskervilles.
»Hallo!« rief Dr. Mortimer. »Was ist das?«
Ein steil ansteigender, mit Heidekraut bewachsener Ausläufer des Moors lag direkt vor uns. Auf dem Hügel, scharf und deutlich wie ein Reiterstandbild auf seinem Sockel, erblickten wir einen finsteren, reglosen Soldaten zu Pferde, der sein Gewehr schussbereit auf dem Arm liegen hatte. Er beobachtete die Straße, auf der wir fuhren.
»Was bedeutet das, Perkins?« fragte Dr. Mortimer.
Unser Fahrer kehrte sich in seinem Sitz zu uns um.
»Ein Sträfling ist aus Princetown ausgebrochen, Sir. Er ist jetzt schon seit drei Tagen auf der Flucht und die Wachen beobachten jede Straße und jeden Bahnhof, aber sie haben noch kein Anzeichen von ihm entdeckt. Die Bauern in der Gegend sind nicht erfreut darüber, und das ist eine Tatsache.«
»Nun, soweit ich weiß, bekommen sie fünf Pfund, wenn sie Informationen geben können.«
»Ja, Sir, aber was ist die Aussicht auf fünf Pfund im Vergleich zu der Möglichkeit, dass man ihnen die Kehle durchschneidet. Das ist kein gewöhnlicher Sträfling, sondern ein Mann, der vor nichts zurückschreckt.«
»Um wen handelt es sich denn?«
»Um Selden, den Mörder von Notting Hill.«
Ich erinnerte mich gut an den Fall, denn Holmes hatte daran ein besonderes Interesse gehabt auf Grund der bemerkenswerten Grausamkeit des Verbrechens und der unglaublichen Brutalität des Mörders. Das Todesurteil war in lebenslänglich umgewandelt worden, weil Zweifel an seinem Geisteszustand bestanden hatten, so grauenvoll war sein Vorgehen gewesen. Inzwischen hatte unser Wagen den Hügel erklommen, und vor uns erstreckte sich die unendliche Weite des Moores, in der sich hier und da wüste Steinhaufen oder turmartige Felsblöcke erhoben. Ein kalter Wind fegte über die Ebene hinweg und ließ uns erschauern. Irgendwo dort draußen, in dieser öden Landschaft, lauerte dieser teuflische Unhold, verbarg sich in einer Höhle wie ein wildes Tier, sein Herz voller Rachedurst gegen die ganze menschliche Rasse, die ihn ausgestoßen hatte. Diese Vorstellung hatte mir gerade noch gefehlt zu dem düsteren Eindruck, den diese dürre Einöde, der eisige Wind und der immer dunkler werdende Himmel auf mich machten. Selbst Baskerville war still geworden und vergrub sich tiefer in seinen Mantel.
Das fruchtbare Land hatten wir nun weit hinter uns gelassen. Wir blickten zurück und sahen, wie die flachen Strahlen der tiefen Sonne die Bäche in Goldfäden verwandelten und die frisch aufgepflügte Erde vor dem breit gestreckten Waldrand rot erglühen ließen. Der Weg vor uns wurde rauer und verlief wilder über große rostbraune und olivgrüne Abhänge, auf welchen gigantische Findlinge lagen. Ab und zu fuhren wir an einem Moorbauernhaus vorbei, dessen Mauern und Dach aus Stein gebaut und von keinerlei Pflanzen bewachsen waren, die sein harsches Äußeres gemildert hätten. Plötzlich schauten wir in eine muldenartige Senke, in der verkrüppelte Eichen und Kiefern wuchsen, die der Sturm vieler Jahre zerzaust und gebeugt hatte. Zwei hohe, schmale Türme erhoben sich über den Bäumen. Der Fahrer wies mit seiner Peitsche darauf.
»Baskerville Hall«, sagte er.
Sein Herr hatte sich erhoben und betrachtete es mit geröteten Wangen und glänzenden Augen. Ein paar Minuten später hatten wir das äußere Tor erreicht, eine fantastisch verschlungenes, schmiedeeisernes Werk mit von Flechten befallenen, verwitterten Pfeilern auf beiden Seiten, von den Eberköpfen der Baskervilles gekrönt. Das Pförtnerhaus war eine Ruine aus schwarzem Granit und nackten Dachbalken, doch gegenüber erhob sich ein neues, halb fertiges Gebäude, ein erstes Ergebnis des südafrikanischen Goldes von Sir Charles.
Durch das Tor gelangten wir in eine Allee, auf welcher die Räder wieder durch herabgefallenes Laub glitten und deren alte Bäume ihre Zweige zu einem dunklen Tunnel über unseren Köpften formten. Sir Henry erschauerte, als er den langen und dunklen Weg entlang schaute, an dessen Ende das Haus geisterhaft hervorlugte.
»Ist es hier passiert?« fragte er mit leiser Stimme.
»Nein, nein, die Taxusallee befindet sich auf der anderen Seite.«
Mit düsterer Miene schaute sich der junge Erbe um.
»Kein Wunder, dass mein Onkel an diesem Ort das Gefühl hatte, ihn werde ein Unglück ereilen«, sagte er. »Hier kann jeder Angst bekommen. Ich werde innerhalb des nächsten halben Jahres eine Reihe elektrischer Lampen installieren lassen und Sie werden es nicht wiedererkennen mit einer Tausend-Watt-Glühlampe gegenüber der Eingangstür.«
Die Allee mündete in eine weite Rasenfläche und das Haus lag vor uns. In der Dämmerung konnte ich erkennen, dass sich ein mächtiges Gebäude mit Vorhalle in der Mitte erhob, dessen Vorderseite fast völlig mit Efeu bewachsen war, welches nur hier und da von einem Fenster oder einem Wappen unterbrochen wurde. An beiden Seiten dieses Mittelteils erhoben sich die beiden alten, zinnenbewehrten und mit Schießscharten versehenen Türme. Rechts und links davon schlossen sich moderne Flügel aus Granit an. Ein mattes Licht schien durch tief in den Mauern liegende Fenster, und aus den hohen Schornsteinen, die aus dem steil aufsteigendem Dachgiebel aufragten, quoll eine schwarze Rauchsäule.
»Willkommen, Sir Henry! Willkommen in Baskerville Hall!«
Ein großer Mann war aus dem Schatten der Eingangstür getreten, um den Wagenschlag zu öffnen. Die Silhouette einer Frau zeichnete sich gegen das gelbe Licht der Eingangshalle ab. Sie kam heraus und half dem Mann mit unserem Gepäck.
»Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich gleich nach Hause weiterfahre«, sagte Dr. Mortimer. »Meine Frau erwartet mich.«
»Sie werden doch zum Abendessen bleiben?«
»Nein, ich muss gehen. Wahrscheinlich wartet auch einiges an Arbeit auf mich. Ich würde Ihnen ja gern das Haus zeigen, aber Barrymore ist sicherlich ein besserer Führer als ich. Gute Nacht, und zögern Sie weder bei Tag noch bei Nacht, nach mir zu schicken, wenn ich Ihnen behilflich sein kann.«
Das Geräusch des Wagens erstarb in der Ferne, während Sir Henry und ich in die Halle traten. Die Tür fiel hinter uns schwer ins Schloss. Wir befanden uns in einer schönen Halle, weiträumig, erhaben und von dicken, vom Alter geschwärzten Eichenbalken überspannt. In dem großen altmodischen Kamin hinter den hohen eisernen Feuerböcken prasselte und knackte ein Holzfeuer. Sir Henry und ich hielten unsere Hände darüber, denn sie waren von der langen Fahrt ganz steif gefroren. Dann blickten wir umher und bewunderten das hohe, schmale Fenster aus altem bunten Glas, die Eichentäfelung, die Hirschgeweihe, die Wappenschilde an den Wänden; doch im gedämpften Licht des Kronleuchters wirkte alles düster.
»Es ist so, wie ich es mir vorgestellt habe«, sagte Sir Henry. »Sieht es nicht genau aus wie der Sitz einer alten Familie? Wenn ich daran denke, dass es dieselbe Halle ist, in der meine Ahnen fünfhundert Jahre lang gelebt haben, wird mir ganz feierlich zumute.«
Seine dunkles Antlitz leuchtete in jugendlicher Begeisterung, als er sich umsah. Das Licht schien genau auf die Stelle, wo er stand, doch lange Schatten lagen auf den Wänden und hingen wie ein schwarzer Baldachin über ihm. Barrymore war zurückgekommen, nachdem er das Gepäck in unsere Zimmer getragen hatte. Jetzt stand er in der ergebenen Haltung eines formvollendeten Dieners vor uns. Er war ein bemerkenswerter Mann, groß, gut aussehend, mit einem breiten schwarzen Bart und bleichen, doch angenehmen Gesichtszügen.
»Wünschen Sie, dass das Abendessen sofort aufgetragen wird, Sir?«
»Ist es bereit?«
»In ein paar Minuten, Sir. Es gibt heißes Wasser in Ihren Zimmern. Meine Frau und ich schätzen uns glücklich, Sir Henry, Ihnen dienen zu dürfen, bis Sie sich eingelebt haben, aber auf Grund der neuen Umstände wird der Haushalt wohl eine umfangreichere Dienerschaft erfordern.«
»Welcher neuen Umstände?«
»Ich wollte damit sagen, Sir, dass Sir Charles ein sehr zurückgezogenes Leben geführt hat und wir in der Lage waren, für ihn zu sorgen. Sie werden natürlich mehr Gesellschaft haben wollen und daher Änderungen in der Haushaltsführung benötigen.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie und Ihre Frau uns zu verlassen wünschen?«
»Nur, wenn es Ihnen konveniert, Sir.«
»Aber Ihre Familie war mehrere Generationen lang bei uns, nicht wahr? Es täte mir sehr Leid, mein Leben hier mit dem Bruch einer alten familiären Bindung zu beginnen.«
Ich hatte den Eindruck, auf dem weißen Gesicht des Butlers Anzeichen von Rührung wahrzunehmen.
»Das geht mir ebenso, Sir, und auch meiner Frau. Doch um die Wahrheit zu sagen, wir hingen beide sehr an Sir Charles. Sein Tod hat uns sehr getroffen und seither ist dies für uns eine sehr traurige Umgebung. Ich glaube, wir können in Baskerville Hall niemals mehr leichten Herzens leben.«
»Aber was wollen Sie denn künftig tun?«
»Ich habe keinen Zweifel daran, Sir, dass es uns gelingen wird, ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Durch die Großzügigkeit von Sir Charles besitzen wir dafür die Mittel. Und jetzt, Sir, führe ich Sie vielleicht am besten auf Ihre Zimmer.«
Eine rechteckige Galerie lief den oberen Teil der alten Halle entlang, die man von beiden Seiten durch eine Treppe erreichte. Von diesem zentralen Punkt aus erstreckten sich zwei lange Flure über die ganze Länge des Gebäudes, von denen sämtliche Zimmer abgingen. Mein eigenes war im selben Flügel wie das Sir Henrys und sogar fast benachbart. Diese Zimmer erschienen deutlich moderner als der mittlere Bau des Hauses, und die hellen Tapeten und zahlreichen Kerzen taten das Ihre, um den düsteren Eindruck zu verscheuchen, der sich bei mir seit unserer Ankunft festgesetzt hatte.
Doch der Speisesaal, der von der Halle abging, war wiederum ein Ort von Schatten und Düsternis. Es war ein langgestreckter Raum mit einer Stufe, die den erhöhten Platz der Familie von dem tiefer gelegenen Teil, der für das Gefolge vorgesehen war, trennte. Über einem Ende erhob sich die Galerie der Minnesänger. Schwarze Balken schwebten über unseren Köpfen unter einer rauchgeschwärzten Decke. Hätten Reihen von Fackeln ihr flackerndes Licht geworfen und die Farben und die raue Fröhlichkeit eines Banketts aus alten Zeiten den Raum erfüllt, wäre der Eindruck sicher gemildert worden; doch jetzt, da zwei schwarz gekleidete Herren in einem kleinen Lichtkegel saßen, den eine abgeschirmte Lampe warf, wurde die Stimme zum Flüstern und die Stimmung gedrückt. Eine Reihe von Ahnen in jeder denkbaren Mode vergangener Zeiten, vom elisabethanischen Ritter bis zum Stutzer der Regentschaft, schauten auf uns herab und entmutigten uns durch ihre stumme Gesellschaft. Wir sprachen wenig, und ich war wirklich erleichtert, als wir mit dem Essen fertig waren und uns in das moderne Billardzimmer zurückziehen konnten, um eine Zigarette zu rauchen.
»Das ist wirklich kein sehr fröhlicher Ort«, sagte Sir Henry. »Ich vermute, man kann sich daran gewöhnen, aber im Moment fühle ich mich ein wenig fehl am Platz. Es überrascht mich nicht, dass mein Onkel ein bisschen komisch geworden ist, als er ganz allein in diesem Haus gewohnt hat. Wie dem auch sei, wenn es Ihnen recht ist, werden wir heute zeitig zu Bett gehen, und morgen früh sieht vielleicht alles viel freundlicher aus.«
Bevor ich mich schlafen legte, zog ich die Vorhänge beiseite und schaute aus dem Fenster. Es ging auf die Rasenfläche vor der Eingangshalle hinaus. Gegenüber stöhnten und wiegten sich zwei Baumreihen im aufkommenden Wind. Der Halbmond durchbrach die dahineilenden Wolken. In seinem kalten Licht sah ich jenseits der Bäume Reihen von Felsbrocken und die lange, flache Kurve des trostlosen Moors. Ich schloss die Vorhänge mit dem Gefühl, dass mein letzter Eindruck in völligem Einklang mit dem Rest war.
Und doch war es noch nicht der allerletzte. Trotz meiner Müdigkeit blieb ich wach und wälzte mich von einer Seite auf die andere auf der Suche nach Schlaf. Von Ferne hörte ich eine Glocke jede Viertelstunde schlagen, doch davon abgesehen lag das alte Haus in Totenstille da. Und dann, plötzlich, inmitten der Nacht, drang ein Geräusch an meine Ohren, klar tönend und unmissverständlich. Es war das Schluchzen einer Frau, das erstickte, unterdrückte Keuchen von jemandem, der von einer unkontrollierbaren Sorge zerrissen wird. Ich setzte mich auf und lauschte angestrengt. Das Geräusch konnte nicht weit entfernt sein und war mit Sicherheit innerhalb des Hauses. Eine halbe Stunde lang wartete ich, die Nerven zum Zerreißen gespannt, doch hörte ich kein anderes Geräusch mehr als das Schlagen der Glocke und das Rascheln des Efeus an der Mauer.