Fjodor Michailowitsch Dostojewski
Ein Werdender - Erster Band
Fjodor Michailowitsch Dostojewski

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Zehntes Kapitel

1

Ich wachte gegen halb elf auf und wollte lange meinen Augen nicht trauen: auf dem Diwan, auf dem ich gestern geschlafen hatte, saß meine Mutter, und neben ihr – die unglückliche Nachbarin, die Mutter der Selbstmörderin. Sie saßen beide Hand in Hand, unterhielten sich flüsternd, wahrscheinlich, um mich nicht zu wecken, und weinten beide. Ich stand vom Bette auf und ging geradeswegs auf meine Mutter zu, um sie zu küssen. Sie strahlte nur so über das ganze Gesicht, küßte mich und schlug mit der rechten Hand dreimal das Kreuz über mich. Wir hatten nicht Zeit, uns auch nur ein Wort zu sagen: die Tür ging auf, und herein traten Wersilow und Wasin. Mama stand sogleich auf und ging mit der Nachbarin hinaus. Wasin gab mir die Hand, Wersilow aber sagte kein Wort zu mir und ließ sich in einen Sessel fallen. Er und Mama waren augenscheinlich schon eine Zeitlang hier. Sein Gesicht war finster und bekümmert.

»Am meisten leid tut es mir,« begann er langsam zu Wasin zu sprechen, anscheinend ein angefangenes Gespräch fortsetzend, »daß ich nicht dazu gekommen bin, das alles noch gestern abend zu ordnen, – wahrscheinlich wäre dann diese schreckliche Sache nicht passiert! Ja, und es wäre auch Zeit genug gewesen: es war noch nicht acht. Sie war gestern kaum aus meinem Zimmer heraus, da hatte ich sofort den Gedanken, ihr auf dem Fuße hierher zu folgen, aber diese unvorhergesehene und unaufschiebbare Sache, die ich übrigens auch auf heute . . . um eine Woche sogar, hätte verschieben können – diese ärgerliche Sache hat alles gehindert und alles zerstört. Wie so etwas manchmal zusammentrifft!«

»Vielleicht wäre es Ihnen auch nicht gelungen, sie umzustimmen; da war auch ohne Ihr Eingreifen schon zuviel ins Brennen und Kochen geraten«, bemerkte Wasin obenhin.

»Nein, es wäre mir gelungen, es wäre mir sicher gelungen. Und ich hatte ja auch den Gedanken, an meiner Statt Sophia Andrejewna zu schicken. Das fuhr mir durch den Kopf, aber nur ganz flüchtig. Sophia Andrejewna ganz allein wäre die Rechte gewesen, ihre Wahnideen zu überwinden, und die Unglückliche wäre am Leben geblieben. Nein, ich dränge mich nie wieder . . . mit ›guten Taten‹ vor . . . Ein einziges Mal im Leben habe ich das getan! Und ich hatte geglaubt, ich gehörte noch nicht der vergangenen Generation an und verstände die Jugend von heute. Ja, ja, kaum ist man reif, so ist man auch alt. Nicht wahr, es gibt ja heutzutage doch endlich viel Leute, die sich gewohnheitsmäßig immer noch zur jungen Generation rechnen, weil sie gestern noch dazugehörten, und dabei bemerken sie nicht, daß sie schon abgetakelt sind.«

»Diese Sache beruht ja doch auf einem Mißverständnis, auf einem nur zu begreiflichen Mißverständnis,« bemerkte Wasin verständig, »ihre Mutter sagt, nach jener schweren Beleidigung in dem öffentlichen Hause hätte sie gleichsam das gesunde Urteil verloren. Nehmen Sie die anderen Umstände hinzu, die erste Kränkung durch den Kaufmann . . . Dies alles konnte in früherer Zeit genau so vorkommen und bietet meines Erachtens durchaus kein besonders charakteristisches Merkmal für die Jugend von heute.«

»Ein bißchen ungeduldig ist sie schon, die Jugend von heute, abgesehen natürlich von ihrem geringen Blick für die Wirklichkeit, der ja freilich der Jugend aller Zeiten eigentümlich ist, aber der heutigen doch wohl in besonders hohem Grade . . . Sagen Sie doch, was hat Herr Stebelkow hier eigentlich angestellt?«

»Herr Stebelkow«, fiel ich auf einmal ein, »ist an allem schuld. Wär' er nicht gewesen, nichts wäre geschehen. Er hat Öl ins Feuer gegossen.«

Wersilow horchte, sah mich aber nicht an. Wasin runzelte die Brauen.

»Ich mache mir auch Vorwürfe wegen eines lächerlichen Umstandes,« fuhr Wersilow fort, immer noch langsam sprechend und jedes Wort deutlich betonend, »ich glaube, ich habe mir damals nach meiner üblen Angewohnheit ihr gegenüber eine gewisse Lustigkeit erlaubt, dies gewisse leichtsinnige Lachen – kurz und gut, ich war nicht scharf, trocken und finster genug, drei Eigenschaften, die, glaub' ich, bei der Jugend von heute sehr hoch im Werte stehen . . . Mit einem Wort, ich habe ihr Grund gegeben, mich für einen vagierenden Seladon zu halten.«

»Ganz im Gegenteil,« fiel ich wieder scharf ins Gespräch, »ihre Mutter versichert besonders eifrig, daß Sie eben durch Ihren Ernst, Ihre Strenge sogar, Ihre Aufrichtigkeit, einen großartigen Eindruck gemacht haben, – das sind ihre eigenen Worte. Die Verstorbene selbst hat sich, nachdem Sie gegangen waren, eben in diesem Sinne lobend über Sie geäußert.«

»S–so?« murmelte Wersilow und warf endlich einen flüchtigen Blick auf mich. – »Nehmen Sie diesen Zettel, er gehört zur Sache«, sagte er dann und reichte Wasin ein winziges Stückchen Papier hin. Der nahm es, und als er sah, daß ich neugierig hinschaute, ließ er mich lesen. Es war eine kleine Notiz, zwei ungleichmäßige Zeilen, mit Bleistift hingekritzelt, und vielleicht im Dunkeln:

»Mama, Liebste, verzeih mir, daß ich mein Debüt auf Erden abgebrochen habe. Deine dich betrübende Olla.«

»Das wurde erst heute früh gefunden«, erklärte Wasin.

»Was für eine sonderbare Notiz!« rief ich erstaunt.

»Wieso sonderbar?« fragte Wasin.

»Kann man denn in so einer Minute in humoristischen Ausdrücken schreiben?«

Wasin sah mich fragend an.

»Ja, und der Humor ist auch sonderbar,« fuhr ich fort, »die Sprache, die unter Gymnasiasten, unter Kameraden üblich ist . . . Na, welcher Mensch kann in einer solchen Minute und in einem Schreiben an seine unglückliche Mutter – und ihre Mutter hat sie doch offenbar geliebt – sagen: mein Debüt auf Erden abbrechen.«

»Warum soll man das nicht sagen können?« fragte Wasin und verstand noch immer nicht.

»Da ist von Humor überhaupt keine Rede,« bemerkte Wersilow endlich, »der Ausdruck ist natürlich nicht recht passend, er hat durchaus nicht den richtigen Ton und könnte wirklich unter Gymnasiasten oder sonst Kameraden gewissermaßen als Klischeeausdruck geprägt sein, wie du sagtest, oder aus irgendeinem Feuilleton stammen; aber die Verstorbene hat ihn auf diesem schrecklichen Zettel ganz ohne Hintergedanken und ganz ernsthaft gebraucht.«

»Das kann nicht sein, sie hat das Gymnasium absolviert und beim Abgang die silberne Medaille bekommen.«

»Die silberne Medaille bedeutet da gar nichts. So absolvieren heutzutage viele das Gymnasium.«

»Geht's schon wieder gegen die Jugend?« lächelte Wasin.

»Durchaus nicht«, erwiderte Wersilow, während er aufstand und seinen Hut nahm. »Wenn die jetzige Generation nicht so literarisch ist, so ist sie dafür reich . . . an anderen Vorzügen«, fügte er mit ungewöhnlichem Ernst hinzu. »Außerdem sind ›viele‹ nicht ›alle‹, und Ihnen, zum Beispiel, werfe ich keine mangelhafte literarische Bildung vor, und Sie sind doch auch noch ein junger Mensch.«

»Ja, und Wasin hat ja auch weiter nichts Schlimmes an dem ›Debüt‹ gefunden«, konnte ich mich nicht enthalten zu bemerken.

Wersilow reichte Wasin schweigend die Hand; der griff auch nach seiner Mütze, um mit ihm zusammen fortzugehen und rief mir zu: »Auf Wiedersehen.« Wersilow ging hinaus, ohne mich zu bemerken. Ich hatte auch keine Zeit zu verlieren: ich mußte um jeden Preis laufen und mir eine Wohnung suchen, – jetzt war das nötiger als je zuvor. Mama war nicht mehr bei der Wirtin, sie war fortgegangen und hatte die Nachbarin auch mitgenommen. Ich trat mit einer Art besonderer Munterkeit auf die Straße . . . Irgendein neues und großes Gefühl war in meiner Seele geboren. Und zudem glückte mir alles wie absichtlich. Ich kam ungewöhnlich schnell an die richtige Stelle und mietete mir eine Wohnung, die mir vollkommen paßte. Von dieser Wohnung später, jetzt will ich mit der Hauptsache zu Ende kommen.

Es war höchstens etwas nach eins, als ich wieder zu Wasin kam, um meinen Koffer zu holen, und ihn zufällig gerade wieder zu Hause traf. Als er mich sah, rief er mit fröhlichem und offenem Ausdruck:

»Wie froh bin ich, daß Sie mich getroffen haben, ich war gerade im Begriff, wieder auszugehen. Ich kann Ihnen etwas mitteilen, was Sie, glaub' ich, sehr interessieren wird.«

»Ich bin im voraus überzeugt davon!« rief ich.

»Wie munter Sie aussehen! Sagen Sie, wußten Sie nichts von einem gewissen Briefe, den Kraft in Verwahrung hatte und den Wersilow gestern bekommen hat, eben etwas, was sich auf die Erbschaft bezieht, die ihm zugefallen ist? In diesem Brief erklärt der Erblasser seinen Willen in einem Sinne, der dem der gestrigen Gerichtsentscheidung entgegengesetzt ist. Dieser Brief ist schon vor langer Zeit geschrieben. Kurz und gut, ich weiß nicht genau, worum es sich handelt – aber wissen Sie nicht etwas?«

»Wie sollte ich das nicht wissen? Eben darum hat mich Kraft ja vorgestern mit in seine Wohnung genommen . . . von jenen Herrschaften aus, um mir diesen Brief zu übergeben, und ich hab' ihn gestern Wersilow gebracht.«

»So? Das hatte ich mir auch so gedacht. Stellen Sie sich vor, die Sache, von der Wersilow vorhin hier sprach – daß sie ihn gestern verhindert hätte, herzukommen, um das junge Mädchen umzustimmen, – diese Sache hing eben mit jenem Brief zusammen. Wersilow ist direkt, gleich gestern abend, zum Rechtsanwalt des Fürsten Sokolskij gegangen, hat ihm diesen Brief übergeben und auf die ganze ihm zugefallene Erbschaft verzichtet. Im Augenblick ist dieser Verzicht schon nach den gesetzlichen Formalitäten rechtsgültig gemacht. Und zwar schenkt Wersilow nicht etwas, sondern er erkennt in diesem Akt das vollkommene Recht der Fürsten an.«

Ich stand wie versteinert, aber ich war entzückt. In Wahrheit war ich vollkommen überzeugt gewesen, daß Wersilow den Brief vernichten würde, trotz allem, was ich zu Kraft davon gesagt hatte, daß das unedel wäre, und obgleich ich mir das damals selbst in dem Wirtshause wiederholt hatte und mir gesagt hatte, »ich wäre zu einem reinen Menschen gekommen, und nicht zu diesem«, – aber noch mehr bei mir selbst, das heißt, im tiefsten Innern meiner Seele war ich der Ansicht gewesen, daß man überhaupt nichts anderes tun könnte, als das Dokument einfach vernichten. Das heißt, ich hatte das für eine ganz gewöhnliche Sache gehalten. Und wenn ich nachher auch Wersilow anklagte, so hatte ich ihn gleichsam absichtlich angeklagt, zum Schein, das heißt, um meinen höheren Standpunkt ihm gegenüber zu wahren. Als ich aber jetzt von Wersilows Tat hörte, geriet ich in aufrichtiges, volles Entzücken und verurteilte in Reue und Scham meinen Zynismus und meine Gleichgültigkeit gegen die Tugend und im Augenblick stellte ich Wersilow unendlich hoch über mich und hätte Wasin beinahe umarmt.

»Was ist das für ein Mensch! Was für ein Mensch! Wer hätte das getan?« rief ich trunken vor Freude.

»Ich bin einverstanden mit Ihnen, sehr viele hätten das nicht getan . . . und seine Handlungsweise ist unstreitig hervorragend uneigennützig . . .«

»Aber? . . . Sprechen Sie zu Ende, Wasin, Sie haben ein Aber?«

»Ja, natürlich ist auch ein Aber dabei; Wersilows Handlungsweise ist nach meiner Ansicht ein wenig vorschnell und nicht so ganz frei von Berechnung«, lächelte Wasin.

»Berechnung?«

»Jawohl. Ich sehe da ein gewisses ›Piedestal‹. Denn er hätte in jedem Falle dasselbe tun können, ohne sich selbst so schwer zu schädigen. Wenn nicht die Hälfte, ein Teil der Erbschaft könnte doch zweifellos auch jetzt Wersilow zufallen, mag man die Sache auch noch so peinlich ansehen, um so mehr, als das Dokument keine entscheidende Kraft besaß und er den Prozeß schon gewonnen hatte. Derselben Ansicht ist auch der Anwalt der Gegenpartei selbst; ich habe eben erst mit ihm gesprochen. Seine Handlungsweise wäre deswegen nicht weniger schön gewesen, und einzig aus einem Anfall von Stolz ist es anders gemacht worden. Was die Hauptsache ist, Herr Wersilow ist in Hitze geraten und hat sich ganz unnütz überhastet, er hat ja selber vorhin gesagt, daß er es um eine ganze Woche hätte verschieben können.«

»Wissen Sie was, Wasin? Ich kann ja nicht umhin, Ihnen beizustimmen, aber . . . so ist es mir schon lieber, mir gefällt es so besser!«

»Nun, das ist Geschmacksache. Sie selbst haben meine Ansicht gefordert, ich hätte sonst nichts gesagt.«

»Na, und selbst wenn da ein ›Piedestal‹ ist, auch dann ist es so besser,« fuhr ich fort, »ein Piedestal mag ja ein Piedestal sein, aber an sich ist es eine sehr kostbare Sache. Dieses ›Piedestal‹ ist doch immerhin jenes gewisse ›Ideal‹, und es dürfte schwerlich besser sein, wenn das heute überhaupt in keiner Seele mehr lebte: mag es sogar einen kleinen Schönheitsfehler haben, wenn es nur da ist! Und wahrscheinlich denken Sie doch selber so, Wasin, mein lieber Wasin, mein liebster Wasin! Kurz und gut, ich schwatze natürlich furchtbar daher, aber Sie verstehen mich ja. Dafür sind Sie Wasin, und für jeden Fall, ich umarme und küsse Sie, Wasin!«

»Vor Freude?«

»Vor großer Freude! Denn dieser Mensch ›war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wieder gefunden‹. Wasin, ich bin ein dummer, kleiner Junge und Ihrer nicht wert. Und eben deshalb gestehe ich, daß ich in manchen Augenblicken ein ganz anderer bin, höher und tiefer. Weil ich Sie vorgestern ins Gesicht hinein gelobt hatte (und gelobt hatte ich Sie nur, weil ich erniedrigt und bedrückt wurde), darum hab' ich Sie zwei ganze Tage lang gehaßt! Ich gab mir mein Wort, noch in derselben Nacht, Sie niemals aufzusuchen, und gestern früh kam ich nur im bösen zu Ihnen, verstehen Sie wohl, im bösen. Ich saß hier allein auf meinem Stuhle und kritisierte Ihr Zimmer und Sie, und jedes Buch, das Sie besitzen, und Ihre Wirtin, ich gab mir Mühe, Sie zu erniedrigen und über Sie zu lachen.«

»Das brauchte doch nicht gesagt zu werden . . .«

»Gestern abend schloß ich aus irgendeinem Satz, den Sie aussprachen, Sie verständen die Frauen nicht, und ich war froh, daß ich Sie darauf ertappen konnte. Vorhin, als ich Sie auf dem ›Debüt‹ ertappte – war ich wieder ungeheuer froh, und das alles nur, weil ich Ihnen damals Ihr Lob gesungen hatte.«

»Ja, warum auch nicht!« rief endlich Wasin (er hatte die ganze Zeit weiter gelächelt, ohne sich im geringsten über mich zu wundern), »das passiert doch alle Tage und fast jedem Menschen, und das ist das erste, was einem passiert; nur gesteht das kein Mensch ein, ja, und es ist auch gar nicht nötig, das einzugestehen, weil das in jedem Fall vorübergeht und gar keine Folgen daraus entstehen.«

»Ist es wirklich bei allen Menschen so? Sind alle so? Und Sie sagen das und sind ganz ruhig dabei? Ja, aber mit einer solchen Anschauung kann man doch nicht leben!«

»Ach Sie meinen:

Die niedre Wahrheit ist mir lieber
Als Trug, der mich zu Wolken hebt!«

»Aber das ist doch wahr,« rief ich, »in diesen zwei Versen liegt ein geheiligtes Axiom!«

»Ich weiß nicht; ich möchte nicht entscheiden, ob diese zwei Verse recht haben oder nicht. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit wie immer irgendwo in der Mitte: das heißt, in einem Falle ist es heilige Wahrheit, im andern Lüge. Gewiß weiß ich nur eines: daß dieser Gedanke noch auf lange hinaus einer der Hauptstreitpunkte unter den Menschen sein wird. Jedenfalls bemerke ich, daß Sie jetzt tanzen möchten. Also, tanzen Sie doch: das ist eine gesunde Bewegung und ich habe gerade heute früh entsetzlich viel Arbeit auf dem Halse . . . ja, ich habe mit Ihnen schon zuviel Zeit versäumt!«

»Ich gehe schon, ich gehe schon, ich schere mich fort! Nur ein Wort,« rief ich, den Koffer schon in der Hand, »wenn ich mich Ihnen jetzt eben wieder ›an den Hals geworfen‹ habe, so ist es nur deshalb geschehen, weil Sie mir, als ich kam, diese Sache mit so aufrichtiger Freude mitgeteilt haben und ›froh waren‹, daß ich Sie noch antraf, und das nach dem ›Debüt‹ vorhin; durch diese aufrichtige Freude haben Sie mit einem Ruck mein ›Junges Herz‹ wieder auf Ihre Seite gebracht. Na also, leben Sie wohl, leben Sie wohl, ich will mich bemühen, jetzt möglichst lange nicht wieder zu kommen, und weiß, daß Ihnen das äußerst angenehm sein wird, das sehe ich Ihnen ja schon an den Augen an, und für uns beide wird das sogar von Vorteil sein . . .«

So schwatzte ich und verschluckte mich beinahe an meinem fröhlichen Geschwätz, und trug meinen Koffer hinunter und begab mich damit in meine Wohnung. Mir gefiel es vor allen Dingen ungeheuer, daß Wersilow vorhin so unbezweifelbar böse auf mich gewesen war und mit mir nicht hatte sprechen, mich nicht hatte ansehen wollen. Als ich meinen Handkoffer fortgestellt hatte, eilte ich sofort zu meinem alten Fürsten. Ich muß bekennen, diese zwei Tage war es mir direkt ein bißchen schwer geworden, ihn nicht zu sehen. Ja, und auch von Wersilow mußte er aller Voraussicht nach schon gehört haben.

 

2

Ich wußte ja auch so, daß er sich sehr freuen würde, wenn ich käme und kann beschwören, ich wäre auch ohne die Sache mit Wersilow heute zu ihm gegangen. Mich hatte gestern und heute früh nur der Gedanke abgeschreckt, ich könnte dort vielleicht Jekaterina Nikolajewna begegnen; jetzt aber fürchtete ich mich schon vor gar nichts mehr.

Er begann mich vor Freude zu umarmen.

»Na, der Wersilow! Haben Sie's gehört?« fing ich direkt mit der Hauptsache an.

»Cher enfant, du mein lieber Freund, das ist so erhaben, das ist so edel, – kurz und gut, selbst auf Kilian (das war der Beamte unten im Bureau) hat es einen erschütternden Eindruck gemacht! Das ist nicht sehr vernünftig von ihm, aber es ist glänzend, es ist eine Tat! Das Ideal muß man bewundern!«

»Nicht wahr? Nicht wahr? In dem Punkt sind wir zwei einander immer begegnet.«

»Mein Lieber, wir begegnen uns immer. Wo warst du denn? Ich wollte dich durchaus selber aufsuchen, aber ich wußte nicht, wo ich dich finden könnte . . . Denn ich konnte ja doch nicht zu Wersilow . . . Allerdings jetzt, nach alledem . . . Weißt du lieber Freund: ich glaube, auf die Weise hat er auch immer die Frauen besiegt, durch solche Züge, da ist kein Zweifel . . .«

»Beiläufig, daß ich's nicht vergesse, ich hab's mir eigens für Sie aufgehoben. Gestern hat ein ganz gewöhnlicher, trauriger Hanswurst, der mir ins Gesicht auf Wersilow schimpfte, von ihm den Ausdruck gebraucht, er wäre ein ›Weiberprophet‹. Was denken Sie von diesem Ausdruck, was denken Sie davon? Ich hab' ihn für Sie aufgehoben . . .«

»Weiberprophet! Mais . . . c'est charmant! Haha! Aber das paßt so zu ihm, das heißt, es paßt absolut nicht – pfui! . . . Aber das ist so treffend . . . das heißt, treffend ist es eigentlich nicht, aber . . .«

»Macht nichts, macht nichts, regen Sie sich nicht auf, sehen Sie es nur als ein Bonmot an!«

»Ein großartiges Bonmot, und weißt du, es hat einen sehr tiefen Sinn . . . Eine ganz richtige Idee! Das heißt, wirst du glauben . . . Kurz und gut, ich will dir ein ganz kleines Geheimnis mitteilen. Hast du dir damals Olympia gut angesehen, weißt du? Wirst du mir glauben, daß sie ein bißchen Herzweh nach Andrej Petrowitsch hat, und in einem Grade, daß sie sich sogar, glaub' ich, einige Hoffnung macht . . .«

»Hoffnung macht! Will sie vielleicht einmal das sehen?« schrie ich und zeigte unwillig meine Faust.

»Mon cher, schrei nicht, das ist nun einmal so, und du hast ja vielleicht recht, von deinem Standpunkt aus. Beiläufig, lieber Freund, was hattest du eigentlich neulich, als Katerina Nikolajewna kam? Du schwanktest . . . ich dachte, du würdest umfallen und wollte schon zuspringen, um dich zu halten?«

»Davon ein andermal. Also, mit einem Wort, ich war einfach verwirrt, aus einem gewissen Grunde . . .«

»Du bist jetzt auch rot geworden.«

»Na, und Sie müssen gleich eine lange Brühe herummachen. Sie wissen, daß sie mit Wersilow verfeindet ist . . . und das ist auch alles; na, deswegen war ich auch so erregt: ach, lassen wir das, ein andermal!«

»Also, lassen wir's, ich bin selber froh, wenn ich das alles ruhen lassen kann . . . Kurz und gut, ich habe ihr gegenüber ein sehr schlechtes Gewissen, ich hab' ja sogar, weißt du noch, damals vor dir über sie gemurrt . . . Vergiß das, lieber Freund; sie wird ihre Meinung über dich auch ändern, das fühle ich ganz sicher voraus . . . Und da hätten wir ja auch Fürst Seriosha!«

Ein junger hübscher Offizier trat ein. Ich sah ihn begierig an, ich hatte ihn noch nie gesehen. Das heißt, ich sage hübsch, wie jedermann ihn nannte, aber es war ein Etwas in diesem jungen, hübschen Gesicht, das nicht durchaus anziehend war. Ich bemerke das hier als einen Eindruck des ersten Augenblickes, meines ersten Blickes auf ihn, der mir die ganze Zeit gegenwärtig geblieben ist. Er war mager, sehr schön gewachsen, dunkelblond, hatte ein frisches Gesicht, das übrigens doch etwas gelblich angehaucht war, und einen entschlossenen Blick. Seine schönen, dunkeln Augen sahen etwas finster drein, selbst wenn er vollkommen ruhig war. Aber sein entschlossener Blick stieß eben darum ab, weil man, warum weiß ich nicht, das Gefühl hatte, diese Entschlossenheit wäre ihm etwas wohlfeil zu stehen gekommen. Übrigens, ich verstehe das nicht auszudrücken . . . Selbstverständlich, sein Gesicht hatte die Fähigkeit, wenn es eben noch finster gewesen war, gleich darauf einen überraschend freundlichen, sanften und zärtlichen Ausdruck anzunehmen, und, was die Hauptsache war, diese Verwandlung ging ganz naiv, ohne jeden Hintergedanken vor sich. Und diese Naivität hatte eben etwas Anziehendes. Ich will noch einen Zug anführen: trotz aller Freundlichkeit und Naivität war dies Gesicht niemals fröhlich, selbst wenn der Fürst aus vollem Herzen lachte; man fühlte immer, daß eine wirkliche, helle, leichte Fröhlichkeit niemals in seinem Herzen zu Hause war . . . Es ist übrigens außerordentlich schwer, einen Menschen so zu beschreiben. Ich verstehe das ganz und gar nicht. Der alte Fürst machte sich sofort daran, uns miteinander bekannt zu machen, nach seiner dummen Gewohnheit.

»Dies ist mein junger Freund, Arkadij Andrejewitsch« (schon wieder Andrejewitsch!) – »Dolgorukij.«

Der junge Fürst wendete sich sofort zu mir mit verdoppelt liebenswürdigem Gesichtsausdruck; aber man sah deutlich, daß ihm mein Name gänzlich unbekannt war.

»Das ist . . . ein Verwandter von Andrej Petrowitsch«, brummelte mein greulicher Fürst. (Wie greulich können manchmal die alten Herren mit ihren Angewohnheiten sein!) Jetzt wußte der junge Fürst sogleich Bescheid.

»Ach! Es ist so lange her, seit ich den Namen . . .,« sagte er hastig, »ich hatte das außerordentliche Vergnügen, im vorigen Jahr in Luga Ihr Fräulein Schwester, Lisaweta Makarowna, kennenzulernen . . . Sie hat mir auch von Ihnen erzählt . . .«

Ich wunderte mich direkt: auf seinem Gesicht strahlte eine entschiedene, aufrichtige Freude.

»Erlauben Sie, Fürst,« stotterte ich heraus, während ich beide Hände auf den Rücken legte, »ich muß Ihnen aufrichtig sagen – und ich freue mich, daß ich das in Gegenwart unseres lieben Fürsten sagen kann – daß ich sogar den Wunsch hatte, Sie zu treffen, und daß ich diesen Wunsch erst ganz vor kurzem hatte; gestern erst, aber mit ganz anderen Absichten. Ich sage das gradeheraus, so sehr Sie sich auch darüber wundern mögen. Kürzer gesagt, ich wollte Sie fordern wegen der Beleidigung, die Sie vor anderthalb Jahren in Ems Herrn Wersilow zugefügt haben. Und obwohl ich natürlich wußte, daß Sie meine Forderung vielleicht nicht annehmen würden, weil ich nur ein Gymnasiast und unmündiger Halbwüchsling bin, ich hätte Sie dennoch gefordert, ganz gleich, wie Sie das aufgenommen, was Sie auch getan hätten . . . und ich bekenne offen, ich habe auch jetzt noch dieselbe Absicht.«

Der alte Fürst hat mir nachher gesagt, ich hätte es verstanden, dies alles sehr edel herauszubringen.

Aufrichtige Bekümmernis erschien auf dem Gesichte des jungen Fürsten.

»Sie haben mich nur nicht aussprechen lassen,« sagte er eindringlich, »wenn ich Ihnen mit Worten aus vollem Herzen begegnet bin, so waren eben meine jetzigen aufrichtigen Gefühle gegenüber Andrej Petrowitsch der Grund dazu. Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht gleich alle Tatsachen mitteilen kann; aber ich versichere Ihnen bei meiner Ehre, daß ich schon lange, lange mein unglückliches Benehmen in Ems tiefstens bereue. Als ich jetzt nach Petersburg reiste, war ich entschlossen, Andrej Petrowitsch jede nur mögliche Genugtuung zu geben, das heißt, ihn offiziell um Verzeihung zu bitten, in einer Form, die er selbst bestimmen sollte. Höhere und mächtige Einflüsse waren die Ursache dieser Änderung in meiner Anschauung von der Sache. Der Umstand, daß wir miteinander im Prozesse lagen, hätte nicht den geringsten Einfluß auf meinen Entschluß gehabt. Sein gestriges Verfahren mir gegenüber hat sozusagen meine Seele erschüttert, und in diesem Augenblick, glauben Sie mir, bin ich noch nicht ganz zu mir gekommen. Ich muß Ihnen also mitteilen – und deshalb komme ich auch jetzt zu dem Fürsten, nämlich, um ihm einen ganz außerordentlichen Umstand mitzuteilen: vor drei Stunden, das heißt genau um die Zeit, als er mit dem Rechtsanwalt diesen Akt rechtsgültig machte, erschien bei mir ein Beauftragter von Andrej Petrowitsch und überbrachte mir eine Forderung von ihm . . . eine regelrechte Forderung wegen der Sache in Ems . . .«

»Er hat Sie gefordert?« rief ich und fühlte, daß meine Augen entbrannten und mein Gesicht sich mit Blut übergoß.

»Ja, er forderte mich; ich nahm die Forderung sofort an, beschloß aber, noch vor dem Austrag ihm brieflich meine Ansicht über mein Benehmen darzulegen und meine Reue wegen dieses schrecklichen Irrtums . . . denn das war nur ein Irrtum, – ein unglückseliger, verhängnisvoller Irrtum! Ich möchte bemerken, daß meine Stellung im Regiment diesem Schritte etwas sehr Riskiertes gab: durch einen solchen Brief vor dem Austrag der Forderung setzte ich mich der Verurteilung durch die öffentliche Meinung aus . . . das begreifen Sie wohl? Aber ungeachtet dessen entschloß ich mich und kam nur nicht dazu, den Brief abzuschicken, denn eine Stunde nach der Forderung bekam ich wieder ein Schreiben von ihm, in dem er mich bittet, ich möchte entschuldigen, daß er mich belästigt habe und möchte die Forderung vergessen, und er fügt hinzu, er bereute diesen ›momentanen Ausbruch von Kleinmut und Egoismus‹, – das sind seine eigenen Worte. Auf die Art macht er mir jetzt den Brief schon ganz leicht. Ich habe ihn noch nicht abgeschickt, sondern bin eben gekommen, um mit dem Fürsten noch ein paar Worte darüber zu sprechen . . . Und glauben Sie mir, ich selbst habe unter den Vorwürfen meines Gewissens in der Sache wohl mehr gelitten als irgend jemand anders . . . Genügen Ihnen diese Erklärungen, Arkadij Makarowitsch, wenigstens für jetzt, fürs erste? Wollen Sie mir die Ehre erweisen, von meiner vollkommenen Aufrichtigkeit überzeugt zu sein?«

Ich war vollständig besiegt; ich sah hier eine unbezweifelbare Offenherzigkeit und Geradheit, die ich nicht im geringsten erwartet hatte. Ich murmelte eine Antwort und streckte ihm einfach meine beiden Hände entgegen; er schüttelte sie erfreut. Dann führte er den Fürsten in sein Schlafzimmer und hatte eine Unterredung von vielleicht fünf Minuten mit ihm.

»Wenn Sie mir ein besonderes Vergnügen machen wollen,« wandte er sich mit lauter Stimme und offenem Ausdruck an mich, als er wieder herauskam, »dann begleiten Sie mich jetzt nach Hause, ich zeige Ihnen dann den Brief, den ich nachher gleich an Andrej Petrowitsch abschicken werde, und auch seinen Brief an mich.«

Ich willigte mit großer Freude ein. Mein Fürst war auf einmal sehr geschäftig, als er uns hinausbegleitete und rief mich auch auf einen Augenblick in sein Schlafzimmer hinein.

»Mon ami, wie ich mich freue, wie ich mich freue . . . Von alledem sprechen wir noch. Beiläufig, hier habe ich zwei Briefe in meiner Mappe: den einen mußt du selbst abliefern und persönlich erläutern, der andere ist an die Bank – und dort mußt du auch . . .«

Und so gab er mir zwei angeblich unaufschiebbare Aufträge, die, wie er sagte, ganz besonders viel Mühe und Aufmerksamkeit erforderten. Ich sollte herumfahren und die Briefe abgeben, in Registern nachschlagen lassen . . .

»Ach, Sie Schlaukopf!« rief ich und nahm die Briefe, »ich möchte schwören, das ist alles dummes Zeug, es handelt sich überhaupt um keine wichtige Sache, und diese beiden Aufträge haben Sie sich einfach nur ausgedacht, um mich zu überzeugen, daß ich zu tun habe und mein Geld von Ihnen nicht umsonst bekomme!«

»Mon enfant, ich schwöre dir, daß du dich hierin täuschest: das sind zwei sehr dringliche Angelegenheiten . . . Cher enfant!« rief er auf einmal, ungeheuer ergriffen: »du mein lieber, junger Mensch!« (Er legte mir beide Hände aufs Haupt.) »Ich segne dich und dein Los . . . Mögest du immer reinen Herzens bleiben wie heute . . . so gut und trefflich wie möglich . . . mögest du alles Schöne lieben . . . in allen seinen verschiedenartigen Formen . . . Na, enfin . . . enfin rendons grâce . . . et je te bénis!«

Er sprach nicht zu Ende und fing über meinem Haupte zu schluchzen an. Ich muß bekennen, fast hätte auch ich geweint; wenigstens umarmte ich meinen Sonderling aufrichtig und mit Freuden. Wir küßten uns kräftig.

 

3

Fürst Seriosha (das heißt, Fürst Sergej Petrowitsch, und ich will ihn auch so nennen) brachte mich in einem stutzerhaften Fiaker nach seiner Wohnung, und mein erstes war, mich über die Großartigkeit dieser Wohnung zu wundern. Das heißt, nicht eigentlich Großartigkeit, aber diese Wohnung war wie »bei besseren Leuten erster Klasse«: hohe, große, helle Zimmer (ich sah zwei, die anderen waren verschlossen), und die Möbel, – wiederum nicht wer weiß was für ein Versailles oder Renaissance, aber doch weiche, bequem luxuriöse Möbel, auf größtem Fuße; Teppiche, geschnitztes Holzwerk, Statuetten. Dabei erzählten alle Leute von ihnen, sie wären Bettler, sie hätten einfach gar nichts. Ich hatte schon gehört, dieser Fürst hätte den Leuten überall Sand in die Augen gestreut, – hier und in Moskau, und früher im Regiment, und in Paris, er wäre sogar ein Spieler und hätte Schulden. Ich hatte einen abgeschabten Rock an, der außerdem noch staubig war, weil ich ja in den Kleidern geschlafen hatte, und mein Hemd trug ich schon den vierten Tag. Übrigens war mein Rock noch nicht ganz schlecht, aber als ich beim Fürsten war, fiel mir wieder Wersilows Vorschlag ein, ich sollte mir doch Kleider machen lassen.

»Denken Sie sich, infolge eines Selbstmordes, den eine Dame begangen hat, habe ich die ganze Nacht in den Kleidern geschlafen«, bemerkte ich mit zerstreuter Miene, und da er sofort sein Interesse für den Fall bezeigte, erzählte ich ihn ihm auch in Kürze. Aber ihn beschäftigte augenscheinlich mehr als alles andere sein Brief. In der Hauptsache erschien es mir sonderbar, daß er nicht nur nicht gelächelt, sondern auch nicht einmal den kleinsten Ansatz dazu gezeigt hatte, als ich ihm vorhin so ganz einfach erklärt hatte, ich wolle ihn fordern. Wenn ich es auch verstanden hätte, ihn zu zwingen, nicht zu lachen, aber es war doch immerhin sonderbar bei einem Menschen von dieser Art. Wir setzten uns mitten im Zimmer einander gegenüber, an seinen großen Schreibtisch, und er gab mir seinen schon fertig ins reine geschriebenen Brief an Wersilow zu lesen. Das Dokument sah allem sehr ähnlich, was er mir vorhin bei dem Fürsten gesagt hatte, und war sogar mit einer gewissen Leidenschaft geschrieben. Aufrichtig gestanden, wußte ich noch nicht recht, wie ich diese seine sichtliche Offenherzigkeit und Lust zu allem Guten im Grunde aufnehmen sollte, aber ich begann mich schon zu ergeben. Denn in der Tat, warum sollte ich nicht daran glauben? Was für ein Mensch er auch war, was man sich von ihm auch erzählen mochte, er konnte deswegen doch durchaus gute Neigungen haben. Ich las auch Wersilows letzten Brief, sieben Zeilen – die Zurücknahme der Forderung. Wenn er in ihm auch von seinem »Kleinmut« und »Egoismus« sprach, im ganzen war dieser Brief doch auffallend »von oben herab«, oder besser gesagt, seine ganze Handlungsweise in dieser Affäre zeigte eine gewisse Verachtung. Ich sprach das aber nicht aus.

»Wie sehen Sie übrigens diese Zurücknahme der Forderung eigentlich an?« fragte ich. »Sie glauben doch nicht, daß das aus Feigheit geschah?«

»Selbstverständlich nicht,« lächelte der Fürst, aber mit einem gewissen sehr ernsten Lächeln, wie er denn überhaupt ein immer gedrückteres Wesen annahm, »ich weiß zu gut, daß der Mann Mut besitzt. Es handelt sich hier natürlich um eine besondere Anschauungsweise . . . um sein eigenes Ideensystem . . .«

»Zweifellos«, unterbrach ich ihn mit Feuer. »Ein gewisser Wasin sagt, in seiner ganzen Handlungsweise, wie sie sich in jenem Briefe und dem Verzicht auf die Erbschaft ausspricht, liege eine gewisse Sucht nach einem ›Piedestal‹ . . . Ich glaube, daß man solche Sachen nicht tut, um gesehen zu werden, sondern daß sie in der Tiefe der Natur, im Innersten des Menschen begründet sein müssen.«

»Ich kenne Herrn Wasin sehr gut«, bemerkte der Fürst.

»Ach ja, Sie müssen ihn ja in Luga gesehen haben.«

Wir sahen uns plötzlich an, und ich weiß noch, ich errötete, glaub' ich, ein bißchen. Wenigstens brach er das Gespräch ab. Ich hätte es übrigens sehr gern weitergesponnen. Der Gedanke an eine Begegnung, die ich gestern gehabt, lockte mich, einige Fragen an ihn zu richten; ich wußte nur nicht, wie ich es anfangen sollte. Und überhaupt, ich fühlte mich gewissermaßen gar nicht in meinem Element. Mich verblüffte auch seine erstaunliche Wohlerzogenheit, seine Höflichkeit, die Ungezwungenheit seiner Manieren, – kurz und gut, der ganze Schliff seines Tones, den diese Leute fast von der Wiege an besitzen. In seinem Briefe hatte ich zwei sehr grobe grammatikalische Schnitzer gefunden. Und überhaupt, ich demütige mich bei solchen Begegnungen nie, sondern werde gewaltsam scharf, was vielleicht manchmal auch töricht sein mag. Aber in diesem Falle trug dazu ganz besonders der Gedanke bei, daß ich Federchen auf meinem Rock hatte, so daß ich sogar etwas familiär wurde . . . Ich bemerkte im stillen, wie der Fürst mich hier und da anhaltend und fest musterte.

»Sagen Sie, Fürst,« platzte ich auf einmal mit einer Frage heraus, »finden Sie es in Ihrem Innern nicht lächerlich, daß ich, so ein ›Milchbart‹, Sie zum Duell fordern wollte, und noch dazu wegen der Beleidigung eines andern?«

»Die Beleidigung seines Vaters kann man wohl als sich selbst zugefügt betrachten. Nein, ich finde nichts Lächerliches daran.«

»Aber mir scheint doch, als ob das furchtbar lächerlich wäre . . . in den Augen eines andern . . . das heißt, selbstverständlich in meinen eigenen nicht. Um so mehr, weil ich Dolgorukij heiße und nicht Wersilow. Und wenn Sie mir nicht die Wahrheit sagen oder sie irgendwie zu mildern suchen aus Rücksichten der gesellschaftlichen Höflichkeit, dann werden Sie mich doch wohl auch in allem anderen betrügen?«

»Nein, ich finde es nicht lächerlich,« wiederholte er furchtbar ernst, »wie sollten Sie denn nicht das Blut Ihres Vaters in sich empfinden? . . . Es ist ja richtig, Sie sind noch sehr jung . . . und . . . ich weiß nicht . . . ich glaube, einer, der noch nicht volljährig ist, darf sich nicht duellieren, und man darf keine Forderung von ihm annehmen . . . nach den Regeln . . . Aber wenn Sie wollen, gilt es da nur einen ernsthaften Einwand: wenn Sie ohne Wissen des Beleidigten fordern, wegen dessen Beleidigung Sie fordern, so drücken Sie damit doch eine gewisse persönliche Mißachtung gegen den Betreffenden aus, nicht wahr?«

Unsere Unterhaltung unterbrach plötzlich ein Diener, der eintrat, um irgend etwas zu melden. Der Fürst hatte ihn augenscheinlich erwartet; er stand, ohne zu Ende zu sprechen, auf und ging schnell auf ihn zu, so daß dieser seine Meldung schon halblaut machte und ich natürlich kein Wort davon vernahm.

»Entschuldigen Sie mich,« wandte sich der Fürst an mich, »ich komme in einer Minute wieder.«

Und damit ging er. Ich blieb allein, ging im Zimmer herum und sann. Sonderbar, er gefiel mir und mißfiel mir doch wieder ungeheuer. Er hatte irgend etwas, was, hätte ich selber nicht sagen können, aber es war etwas Abstoßendes. »Wenn er auch nicht ein bißchen über mich lacht, so ist er zweifellos sehr gradsinnig und ohne Hintergedanken; aber wenn er über mich gelacht hätte, dann . . . wäre er mir vielleicht klüger erschienen . . .«, dachte ich etwas seltsam. Ich trat an den Tisch und las noch einmal seinen Brief an Wersilow. Ich vertiefte mich so hinein, daß ich die Zeit ganz vergaß; als ich gleichsam wieder erwachte, bemerkte ich auf einmal, daß die Minute des Fürsten sich unstreitig schon auf eine Viertelstunde ausgedehnt hatte. Das erregte mich ein bißchen; ich ging noch einmal auf und ab, endlich nahm ich meinen Hut und beschloß, weiß ich noch, hinauszugehen, und wenn ich jemand träfe, den Fürsten holen zu lassen, und wenn er käme, mich einfach von ihm zu verabschieden und ihm zu versichern, ich hätte zu tun und könnte nicht länger warten. Mir schien das das passendste zu sein, denn mich quälte ein klein wenig der Gedanke, daß es doch wohl ein wenig nichtachtend von ihm wäre, mich so lange allein zu lassen.

Beide Türen zu diesem Zimmer waren geschlossen und befanden sich an den beiden Enden einer und derselben Wand. Ich hatte vergessen, durch welche Türe wir hereingekommen waren, oder war vielleicht eher zerstreut; so öffnete ich denn die eine und sah auf einmal in einem langen, schmalen Zimmer – meine Schwester Lisa auf einem Diwan sitzen. Außer ihr war niemand da, und sie wartete natürlich auf irgend jemand. Aber ich hatte nicht Zeit, mich auch nur zu wundern, als ich plötzlich die Stimme des Fürsten hörte, der laut mit jemand sprach und in sein Arbeitszimmer zurückkam. Ich schloß eilig die Türe, und der durch die andere Tür eintretende Fürst merkte nichts. Ich weiß noch, er fing an sich zu entschuldigen und brachte irgend etwas von einer gewissen Anna Feodorowna vor . . . Aber ich war so verwirrt und verblüfft, daß ich fast kein Wort verstand, ich stotterte nur hervor, ich müßte unbedingt nach Hause, und dann ging ich, ohne mich halten zu lassen, schnell hinaus. Der wohlerzogene Fürst mußte meine Manieren wohl mit neugierigem Staunen beobachten. Er geleitete mich bis in das Vorzimmer und redete die ganze Zeit, ich aber antwortete nicht und sah ihn nicht an.

 

4

Auf der Straße wandte ich mich nach links und ging auf gut Glück weiter. Mein Kopf war wie leer. Ich ging langsam und war, glaub' ich, ein gutes Stück gegangen, fünfhundert Schritt vielleicht, als ich auf einmal einen leichten Schlag auf meiner Schulter fühlte. Ich drehte mich um und erblickte Lisa: sie hatte mich eingeholt und mich leicht mit dem Sonnenschirm auf die Schulter geschlagen. Etwas riesig Vergnügtes, aber zu einem Quentchen auch Verschlagenes, lag in ihrem strahlenden Blick.

»Na, wie bin ich froh, daß du nach dieser Seite gegangen bist, sonst wäre ich dir wohl heute nicht mehr begegnet!« Sie war ein wenig außer Atem vom schnellen Gehen.

»Wie du außer Atem bist.«

»Ich bin schrecklich gelaufen, um dich noch zu erwischen.«

»Lisa, das warst du doch, die ich eben dort getroffen habe?«

»Wo dort?«

»Beim Fürsten . . . bei Fürst Sokolskij . . .«

»Nein, ich war das nicht, nein, mich hast du nicht getroffen . . .«

Ich verstummte, und so gingen wir vielleicht zehn Schritte. Lisa fing furchtbar zu lachen an.

»Ich war's, natürlich war ich's! Hör' mal, du hast mich doch selber gesehen, du hast mir in die Augen gesehen, und ich hab' dir in die Augen gesehen, also was fragst du denn, ob du mich getroffen hast? Na, das nenn' ich mir einen Charakter! Weißt du, ich hatte große Lust, laut herauszulachen, als du mir da in die Augen schautest. Du hast mich furchtbar komisch angeschaut!«

Sie lachte furchtbar. Ich fühlte, wie aller Kummer auf einmal mein Herz verließ.

»Ja, aber sag' doch, wie bist du da hingekommen?«

»Bei Anna Feodorowna war ich.«

»Was für eine Anna Feodorowna?«

»Stolbejewa. Als wir in Luga wohnten, saß ich ganze Tage bei ihr, sie empfing auch Mama bei sich und kam auch zu uns. Und sie ging sonst dort fast zu niemand hin. Sie ist eine entfernte Verwandte von Andrej Petrowitsch, und auch mit Fürst Sokolskij ist sie verwandt: sie ist eine Großmutter oder so was vom Fürsten.«

»So wohnt sie beim Fürsten?«

»Nein, der Fürst wohnt bei ihr.«

»Wem gehört also die Wohnung?«

»Es ist ihre Wohnung, die ganze Wohnung gehört ihr, schon seit einem ganzen Jahre. Der Fürst ist eben erst angekommen und bei ihr abgestiegen. Und sie selber ist auch erst seit vier Tagen in Petersburg.«

»Na, weißt du was, Lisa, der Kuckuck hole ihre Wohnung und sie selbst . . .«

»Nein, sie ist sehr nett . . .«

»Meinetwegen, und Gottes Segen über sie. Wir sind selber nett! Sieh, was das für ein Tag ist, sieh, wie schön es ist! Wie hübsch du heute bist, Lisa. Übrigens aber bist du ein schreckliches Kind.«

»Arkadij, sag' nur, das junge Mädchen, von gestern!«

»Ach, so was Trauriges, Lisa, so was Trauriges!«

»Ja, wie traurig! So ein Schicksal! Weißt du, es ist direkt sündhaft, daß wir so lustig spazierengehen, und ihre Seele fliegt irgendwo in der Finsternis dahin, in irgendeiner bodenlosen Finsternis, weil sie sich versündigt hat, und mit ihrem Leid . . . Arkadij, wer ist schuld an ihrer Sünde? Ach, wie schrecklich das ist! Denkst du manchmal über diese Finsternis nach? Ach, wie ich mich vor dem Tode fürchte, und wie sündhaft das ist! Ich liebe die Finsternis nicht, was ist doch die Sonne für ein schönes Ding! Mama sagt, es ist sündhaft, sich zu fürchten . . . Arkadij, kennst du Mama gut?«

»Erst wenig, Lisa, wenig kenn' ich sie.«

»Ach, was bist du für ein Mensch; du mußt sie, mußt sie kennenlernen! Sie muß man ganz besonders verstehen . . .«

»Ja, siehst du, ich hatte dich ja auch nicht gekannt, aber jetzt kenne ich dich doch ganz. Ganz habe ich dich in einer Minute erkannt. Magst du dich auch vor dem Tode fürchten, Lisa, aber du bist doch wohl stolz, kühn, mutvoll. Besser als ich, viel besser als ich! Ich hab' dich schrecklich gern, Lisa. Ach, Lisa! Mag der Tod kommen, wenn es sein muß, aber bis dahin leben, leben! Weihen wir jener Unglücklichen unsere Trauer, aber das Leben wollen wir dennoch segnen, nicht? Nicht? Ich habe eine ›Idee‹, Lisa. Lisa, du weißt doch, daß Wersilow auf die Erbschaft verzichtet hat? Du kennst meine Seele nicht, Lisa, du weißt wohl nicht, was dieser Mensch für mich bedeutet hat?« . . .

»Na, das sollt' ich nicht wissen! Alles weiß ich.«

»Alles weißt du? Na ja, dafür bist du es ja! Du bist klug; du bist klüger als Wasin. Du und Mama – ihr habt durchdringende Augen, humane, das heißt, ich meine den Blick, nicht die Augen, das ist Unsinn . . . Ich bin schlecht in vielen Beziehungen, Lisa.«

»Dich muß man richtig in die Hand nehmen, das ist das Ganze!«

»Nimm mich in die Hand, Lisa. Wie gut ist's, dich heute anzusehen. Ja, weißt du denn auch, daß du sehr hübsch bist? Ich hatte noch niemals deine Augen gesehen . . . Jetzt erst hab' ich sie zum erstenmal gesehen . . . Wo hast du sie heute hergenommen, Lisa? Wo hast du sie gekauft? Wieviel hast du dafür gezahlt? Lisa, ich habe keinen Freund gehabt, ja und ich sehe diese Idee als einen Unsinn an; aber mit dir ist es kein Unsinn . . . Willst du, wollen wir Freunde werden? Du verstehst, was ich sagen will? . . .«

»Sehr gut versteh' ich's.«

»Und weißt du, ohne Abmachung, ohne Kontrakt, – wir wollen einfach Freunde sein!«

»Ja, einfach, einfach, nur eine Abmachung: wenn wir uns jemals gegenseitig anklagen, wenn wir aus irgendeinem Grunde unzufrieden miteinander sind, wenn wir sogar böse und häßlich gegeneinander werden; wenn wir sogar dies alles vergessen, – so wollen wir doch niemals diesen Tag und diese jetzige Stunde vergessen! Wollen wir uns das Wort darauf geben, uns immer dieses Tages zu erinnern, als ich und du so Hand in Hand gingen, und als wir so lachten und fröhlich waren . . . Ja? Also ja?«

»Ja, Lisa, ja, ich schwör' es dir; aber, Lisa, mir ist, als hörte ich dich zum erstenmal . . . Lisa, du hast viel gelesen?«

»Bis jetzt hast du mich noch nicht gefragt. Erst gestern zum erstenmal, als ich mich mal versprach, würdigten Sie mich Ihrer Aufmerksamkeit, hochgeehrter Herr, Herr Klugkopf.«

»Aber warum hast du denn nicht selber mit mir zu sprechen angefangen, wenn ich so ein Narr war?«

»Ich habe ja immer darauf gewartet, daß du gescheiter werden würdest. Ich habe Sie von Anfang an durchschaut, Arkadij Makarowitsch, und als ich Sie durchschaut hatte, dachte ich so bei mir: Er wird ja doch kommen, es wird ja doch wahrscheinlich damit enden, daß er kommt, – na, und da beschloß ich, diese Ehre lieber Ihnen selbst zu überlassen und Sie den ersten Schritt tun zu lassen: Nein, dachte ich, komm du jetzt nur lieber zu mir!«

»Ach, du Kokette! Na, Lisa, gesteh' mal offen: hast du diesen Monat lang über mich gelacht oder nicht?«

»Ach, du bist sehr komisch, du bist furchtbar komisch, Arkadij! Und weißt du, vielleicht hab' ich dich deswegen in diesem Monat am liebsten gehabt, weil du so ein Sonderling bist. Aber du bist in vielen Stücken auch ein häßlicher Sonderling – so, das sage ich, damit du nicht zu stolz wirst. Ja, und weißt du, wer noch über dich gelacht hat? Mama hat gelacht, Mama mit mir zusammen: ›Ist das ein Sonderling,‹ wisperten wir uns zu, ›nein, ist das ein Sonderling!‹ Und du sitzst derweil und denkst, wir sitzen und zittern vor dir.«

»Lisa, was denkst du von Wersilow?«

»Ich denke sehr viel über ihn nach; aber weißt du, wir wollen jetzt nicht von ihm sprechen. Heute wollen wir nicht von ihm sprechen, nicht wahr?«

»Ganz wie du willst! Nein, du bist furchtbar klug, Lisa! du bist sicherlich klüger als ich. Warte nur, Lisa, ich mache mit dem allen ein Ende, und dann sag' ich dir vielleicht auch was . . .«

»Warum machst du auf einmal ein finsteres Gesicht?«

»Nein, ich mache kein finsteres Gesicht, Lisa, ich dachte nur . . . Siehst du, Lisa, lieber geradeheraus: ich habe so einen Zug, daß ich es nicht liebe, wenn ein gewisser heikler Punkt in meiner Seele angefaßt wird . . . oder besser gesagt: wenn man gewisse Gefühle oft hinausläßt, so daß sich jedermann daran ergötzen kann, so verletzt das das Schamgefühl, nicht wahr? Darum ist es mir manchmal lieber, ein finsteres Gesicht zu machen und zu schweigen; du bist klug, du mußt das verstehen.«

»Ja, mehr noch, ich bin selber so; ich habe dich durchaus verstanden. Weißt du, daß auch Mama so ist?«

»Ach, Lisa! Wenn man nur möglichst lange in dieser Welt leben könnte! Was? Was hast du gesagt?«

»Nein, ich habe nichts gesagt.«

»Du schaust mich so an?«

»Du schaust ja auch. Ich schau' dich an und hab' dich lieb.«

Ich begleitete sie fast bis nach Hause und gab ihr meine Adresse. Beim Abschied küßte ich sie zum erstenmal im Leben . . .

 

5

Und so wäre alles gut gewesen, aber eins war doch nicht gut: ein schwerer Gedanke arbeitete in mir schon seit der Nacht und wollte mir nicht aus dem Sinn. Es war der Gedanke, daß ich gestern abend, als ich der Unglücklichen an unserer Pforte begegnet war, – daß ich ihr da gesagt hatte, ich selbst ginge aus dem Hause, man müsse die Bösen verlassen und sein eigenes Nest bauen, und Wersilow hätte viele uneheliche Kinder. Solche Worte des Sohnes über den Vater mußten ihren Verdacht gegen Wersilow natürlich endgültig bestätigen, und die Idee, daß er sie beleidigt hätte. Ich hatte Stebelkow beschuldigt, aber vielleicht hatte ich selber auch Öl ins Feuer gegossen. Dieser Gedanke war schrecklich, ist noch heute schrecklich . . . Aber damals, an jenem Morgen, hatte er mich zwar schon zu quälen angefangen, aber mir schien es trotzdem immer noch, es wäre ein Unsinn: »Ach, das war auch ohne mich schon genug ins Brennen und Kochen geraten,« wiederholte ich mir von Zeit zu Zeit, »ach, es ist nichts, es geht schon vorüber! Ich werd' es verwinden! Ich will das durch irgend etwas aufwägen . . . durch irgendeine gute Tat . . . Ich habe noch fünfzig Jahre vor mir!«

Aber der Gedanke arbeitete weiter.

 


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