Johannes Dose
Im Kampf um die Nordmark
Johannes Dose

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Elfter Abschnitt.

Eine fröhliche Flucht, eine schöne Degradation und eine scheußliche Lynchjustiz.

Die Kieler Freischar war in der begeisterten Stadt Schleswig allzu reichlich verpflegt worden und zog von den vollen Fleischtöpfen des Lollfußes fort und dem verhaßten Feinde singend entgegen. Der Magen war voll, der Mut groß, der Uebermut am größten, aber – aber der Gehorsam und die Disziplin mangelhaft, und die militärische Ausbildung fehlte gänzlich. Das war Heimreichs Verdruß, ja Gram, dieser gewählte Leutnant verlangte Subordination und ermahnte, nicht mit dem Munde, sondern mit der Faust Taten zu tun. Da kam von hinten die freche Rede und klang an sein Ohr: Es sei viel leichter, einen Leutnant als einen Kettenhund zu bekommen, sintemal jeder kommandieren und keiner kuschen wolle. Als einige Studenten in den Dörfern, die die Retter des Vaterlandes allzu freigebig bewirteten, zu viel Bier tranken und zu lange zurückblieben, trumpfte der Leutnant mächtig auf, so daß ein Frechdachs fragte: Ob der Kommilitone ein Korporal aus »Preißen« sei? Fangel befahl dem Frechling, zur Strafe einen Brotsack von zehn Pfund zu schleppen.

Der ungewohnte Marsch von fünf Meilen ging in die Füße und Knochen, so daß die Kecksten schachmatt Flensburg erreichten und auf das Pflaster sich hinwarfen. Das Studentenkorps hielt nach kurzer Erholung seinen Einzug, viele kehrten den durch das Loch der Pferdedecke gesteckten Kopf nach allen Fenstern hin und her, und alle fanden im Lokale des Bürgervereins ein gutes Essen und ein mäßiges Lager.

Am Morgen war ein dänisches Kriegsschiff im Hafen. Die Studenten liefen tapfer ans Bollwerk. Obgleich der Hauptmann sagte: »Kinder, es ist kindisch, einen Elefanten mit der Schrotflinte anzugreifen,« haben doch die Tapfersten aus sicherer Deckung das Schiff mit ihren Musketen beschossen. Die Dänen gingen ein paar hundert Schritte weiter vom Lande, stellten sich auf die Reling und boten mit Hohn einen gewissen Körperteil als Zielscheibe dar.

Die kleine schleswig-holsteinische Armee war sechstausend Mann stark, war in wenig Tagen zusammengewürfelt und wurde – man mußte eben alles, auch sehr alte, inaktive Offiziere nehmen – von dem siebzigjährigen General von Krohn befehligt. Major Michelsen führte außer dem Jägerkorps die Studenten und Turner, wohl die Truppe, die den höchsten Kampfmut, aber die geringste, d. h. gar keine Ausbildung besaß.

Dieser Heeresteil bildete die Vorhut, Michelsen rückte bis Apenrade vor, war aber so vorsichtig, nicht die von den Bürgern angebotenen Quartiere anzunehmen. Ein dänisches Heer von achttausend Mann zog von Jütland her, sechstausend Feinde kamen von Alsen aufs Festland, um sich mit den Jüten zu vereinen. Schleunigst marschierte Michelsen zurück, um nicht umzingelt zu werden, und ist glücklich der Mausefalle entronnen, aber nur um in eine ärgere hineinzugeraten.

Sechzehn Patronen und zwölf Zündhütchen – ein unbegreifliches Verhältnis, wie vieles in diesem Cimbernheer – wurden verteilt. Bald alarmierte ein Schuß das ganze Korps. Hurra, nun ging es an den Feind. Ach, welche Enttäuschung! Ein rabiater Ueberheld hatte auf die eigene Dragoner-Patrouille, die freilich noch die gleiche Uniform, wie der Feind, und zum Unterschiede nur eine Armbinde trug, geknallt.

Heimreichs erster Rückzug endete in einer zerfallenen, zugigen Scheune bei Sögaard, wo man frostklappernd auf dem Boden kampierte. Der gelehrte Dr. Eggers, der als Gemeiner diente, wollte allen mit den Tröstungen der Philosophie die Nacht verkürzen und versüßen und wählte das Thema: Patientia omnia vincit. Nur die nötige Geduld, und zu Martini werden wir alle eine gebratene Gans verzehren – wofern wir nicht von den Würmern verzehrt werden.

Am Morgen ging es nach Flensburg zurück. Alle brannten auf die Schlacht, die hier geschlagen werden mußte, alle waren voll Zuversicht und Kampfmut. Nie ist ein Feind grimmiger gehaßt worden, nie eine Schlacht gegen einen mehr als zweimal überlegenen Gegner mit einem so tapferen, ja tollen Optimismus erwartet worden, nie hat ein vergewaltigtes Volk fester auf sein gutes Recht und seinen Gott vertraut, aber niemals auch in der Geschichte ist unter solchen Umständen, bei so unzulänglichen Mitteln ein Sieg, ein Wundersieg erfochten worden. Der Prinz von Noer, der damals noch als Eisenfresser galt und den Geist des Heeres gehoben hätte, war trotz seiner großen Worte: »Am Tage der Schlacht werde ich bei der Armee sein,« fern in Rendsburg geblieben, wobei allerdings zu seiner Entschuldigung zu sagen ist, daß er dringend abriet, mit einem so winzigen Heere eine so waghalsige, ja wahnsinnige Bataille zu wagen. Durch Späher wußte man genau, daß eine altgediente dänische Armee von vierzehntausend Mann – gegen sechstausend Deutsche – nördlich von Flensburg unter General von Hedemann sich vereinigt hatte. Dennoch war man wider alle Vernunft voll Siegeshoffnung in dem Anno 48 weit verbreiteten Wahn, daß Milizen-Heldenmut und Freischärler-Furor die überlegene militärische Zahl und Zucht ersetzen und schlagen werde.

Heimreich hatte am Schlachtmorgen nicht jenen todesverachtenden Mut, wie auf der Fahrt nach Rendsburg, sondern ein drückendes Gefühl, eine häßliche Ahnung, als wenn ein großes Übel oder Unglück ihm bevorstünde. Er wollte dieses infame Gefühl vor jedem, aber auch vor sich selber verheimlichen, denn er fragte sich voll Scham: Ist das die erbärmliche Feigheit oder das verruchte Kanonenfieber? Nein, es war der nüchterne Verstand, der zu viel Unvernunft ringsum erblickte.

Michelsens Abteilung sollte nach der ordre de bataille den rechten Flügel bilden und besetzte das liebliche, von Waldschluchten zerklüftete Gelände bei der Kupfermühle, das an die Föhrde sich lehnt. Der pflichteifrige Feldchirurg Reuter hatte in Flensburg einen Mann und einen Planwagen, der mit chirurgischen Geräten, Verbandsachen und Bergen von Charpie hoch beladen war, gedungen und aus seiner eigenen, d. h. aus Schiff-Meiers Tasche bezahlt. Der Äskulap-Wagen blieb in den Krusauer Bergen stecken. Aber zwanzig Mann spannten sich vor, brachten ihn aus dem Dreck und ulkten mit dem vor der Schlacht üblichen, krampfhaften Galgenhumor: »Doktor, wenn die Charpie-Ladung ihre Bestimmung erfüllen soll, müssen wir alle dreimal alle Arme, Beine und Glieder verlieren.« – Ein paar rechtschaffene Jünglingsgesichter machten eine verzerrte Grimasse, die ein Grinsen bedeuten sollte – denn im Westen wurde schon tüchtig kanoniert und mit Musketen geknallt.

General Krohn hatte hinter der Krusau, deren breite Sumpfniederung für Kavallerie und Kanonen völlig unwegsam ist, eine sehr gute, aber für sein schwaches Heer allzu ausgedehnte, eine Meile lange Stellung gewählt und besonders die Übergänge stark besetzt. Doch die Position war ganz offen im flachen Westen, wo sie umgangen werden konnte, auch hatte er sein Häuflein zu sehr zersplittert und ein volles Drittel der Armee, das gar nicht ins Feuer kam, nach Glücksburg gesandt, um gegen eine Landung der Schiffe und einen Angriff im Rücken gedeckt zu sein. Letzteres war wohl strategisch richtig, aber eine verhängnisvolle Schwächung und eine – wie sich allerdings erst hinterher zeigte – unnötige Vorsicht.

Die Studenten, und der ganze rechte Flügel, marschierten an dem Vormittage recht plan- und zwecklos hin und her, um, wie es höheren Ortes hieß, überall auf dem Posten zu sein und nicht von dem Feind, der in den Waldungen leicht sich heranschleichen konnte, überrumpelt zu werden. Nach dem Gehör, nach dem Gedonner und Geknatter war das Gefecht im Westen im vollen Gange, man blickte gespannt, ungeduldig nach den Rotröcken aus, aber kein Feind ließ sich blicken. Der Däne hielt seinen linken Flügel zunächst in mäuschenstiller Ruh, um eine Mausefalle zu machen.

Die Sonne rückte höher. Die Studenten standen voll Aufregung und Ungeduld herum, mutmaßten, räsonierten, horchten, lugten und langweilten sich schließlich, als das Kommando »Zündhütchen auf« immer nicht kam. Das Geschützfeuer wirkt wie eine Fanfare, so daß jeder beherzte Soldat im ersten Elan wild in die blinkenden Bajonette sich stürzen wird. Aber dieser erste Eifer und Elan blieb unbenutzt und erlahmte durch das stundenlange, untätige Herumstehen.

Überall hörte man dummes, törichtes Geschwätz. »Du, wenn eine Bombe einen trifft, ist man dann tot auf der Stelle?« – »Ja, dann wird man von dir wahrscheinlich nur einen Hosenknopf finden und als Andenken deiner Mutter schicken, die ihn an der Uhr trägt und um ihren Hannes heult, so oft sie den Hosenknopf, deine sterblichen Überreste, anblickt.«

»Ob ein Schuß in den Arm oder das Bein sehr weh tut?« – Kunz Reuter mischte sich in das geistreiche Gespräch hinein. »Die wohlverdiente Kugel, die Fangel mir applizierte, war anfangs kaum zu fühlen und nachher sehr erträglich, nur das Liegen war tödlich – tödlich ennuyant.«

Hm, wohlverdient ... spürt er wahre Reue? summte Heimreich, der es hörte und im Vorbeigehen Kunz kurz grüßte.

»Nein, lieber eine Kugel vor den Kopf oder ins Herz hinein, bloß nicht lange sich quälen oder zum Krüppel geschossen werden. Heine! Wenn ich nicht leben und nicht sterben kann, dann gibst du mir den Gnadenschuß, nicht wahr?«

So redeten sie, nach dem Geschützdonner die Ohren spitzend. Auch viel strategische, besser wissende Weisheit und Kritik wurde ausgekramt, jeder dritte Student redete wie ein geborener Feldherr. Da brachte ein heransprengender Dragoner die sehr böse Nachricht, das Dorf Bau, der Schlüssel der Stellung, sei nach einem hitzigen Gefecht von den Dänen genommen worden. »Die verd– Hundsfötter!« – »Mit Flüchen werden wir die Dänen, die uns darin weit über sind, nicht schlagen,« brummte Fangel.

Major Michelsen ritt mit sehr ernster, ja sorgenvoller Miene am Freikorps entlang. Leutnant Fangel salutierte und gestattete sich eine Frage. »Ich habe vom General Befehl, mich hier zu halten bis zum äußersten, oder bis ich abgerufen werde,« war die Antwort. Der Major zog die Kandare an und horchte sehr gespannt gen Westen. Das Schießen zog sich zweifellos weiter nach dem Süden! Eine große Aufregung bemächtigte sich der Studenten, einige schrien schon: »Wir werden umzingelt.«

Michelsen sprengte von der Höhe, die des Waldes wegen keinen Weitblick bot, herunter und hielt mit einem Ruck an. »Wo ... wo war das Schützenfeuer, Lorenzen?« – Lorenzen, der in der Gegend zu Hause war, erwiderte bestimmt: »Das war bei Harrislee herum.«

»Allmächtiger, dann steht der Feind beinahe schon in unsrem Rücken, und ich habe keine Rückzugsorder.« Der Führer biß sich auf die Lippen und stand vor einem furchtbaren und raschen Entschluß. Durfte er sich nach Flensburg zurückziehen, oder mußte er bleiben? In dem Moment pflanzte sich eine instinktive Beklemmung durch die Reihen fort, einer raunte dem anderen zu: »Wir werden abgeschnitten.«

Man tappte wie im Dunklen; durfte man auf sein Gehör allein sich verlassen? Erst nachher erfuhr man den Verlauf des Verhängnisses. Nach dem Verlust von Bau hatte der Oberstleutnant Graf Baudissin, der tapfere Roland des Heeres, das Dorf Niehuus gegen eine schwere Übermacht mit nur zwei Kompagnien wacker gehalten, obgleich die zwei anderen Kompagnien unter dem wegen seiner Infamie bei Bau sofort kassierten Major Kindt das Weite gesucht hatten; schließlich erdrückt, mußte er mit seinem dezimierten Häuflein weichen, aber an dem dunklen Tage blieb blank sein Ehrenschild, hell strahlt sein Ruhm und auch der Name des Hauptmanns Schmidt, der Harrislee mit Heroismus verteidigte und, auf den Tod verwundet, verlor. Mittags um halbzwei Uhr hatten die Dänen das Zentrum und den linken Flügel geworfen und drangen schon in Flensburg hinein. Michelsen war vergessen worden! Im deutschen Hauptquartier herrschte eine totale Kopflosigkeit, General Krohn kam überhaupt nicht aus seinem Quartier heraus und muß die schwere Schuld tragen, da er behauptet, aber nicht bewiesen hat, daß er den schwer exponierten Michelsen rechtzeitig zurückbeordert habe. Einer schob, wie immer, die Ursache und das Unglück auf den anderen ab. Die ungeheuerliche Tatsache, daß Michelsen keinen Rückzugsbefehl erhielt, ist bis heute nicht aufgeklärt worden.

Endlich gab der Major, der schuldlos in eine scheußliche Falle geriet, das Kommando, das er eigentlich nicht geben durfte und ihn eventuell vor ein Kriegsgericht bringen konnte. »Langsam in Reih und Glied nach Flensburg zurück!«

Heimreich sagt zu seinen Leuten mit einem Knirschen in der Stimme: »Auf dem Rückzug zeigt sich erst, was ein rechter Kerl und rechte Courage ist.«

Trotz des allgemeinen Ingrimms ein Gelächter! Wird er ausgelacht? Nein, Kunz Reuter erregt ungewollte Heiterkeit, ficht mit den Armen, brüllt hinter dem Äskulap-Wagen her: »He! Haltet den Saukerl! Stoppt ihn, stoppt ihn!« Der Charpie-Wagen rasselt und rast und retiriert auf der Straße nach Flensburg, der Kutscher in seiner Angst haut auf den Gaul los. Noch ein stärkeres Gerassel! Die paar Geschütze, die Michelsen hatte, folgen dem feigen Exempel und jagen in wilder Flucht davon.

Unweit der Stadt geht die Chaussee an der Föhrde entlang. O weh, hier werden die Studenten, die bis jetzt gute Ordnung hielten, von den ankernden Orlogschiffen mit einem Eisenhagel überschüttet, weichen dem fürchterlichen Feuer westwärts aus und stoßen dort auf den von Bau kommenden Gegner. Es wäre richtig und die einzige Rettung gewesen, nicht zu kämpfen, sondern schleunigst zu fliehen und Flensburgs Tore zu erreichen. Aber Kampfwut entflammt die Studenten, die des Tages Ehre retten und mit dem verhaßten Feind fechten wollen.

Die Tapfersten stürmen voran, die anderen folgen. Reuter hat eine Muskete ergriffen, er, der Feldarzt, führt und kommandiert: »Vorwärts! Auf die Schufte! Keinen Pardon!« Hoch und heldenhaft, wie ein Recke der Vorzeit, rennt er allen ein paar Schritte voraus, gegen den Knick, hinter dem die dänischen Schützen zielen. Dicht hinter ihm stürmt Heimreich mit seinem Haufen. Hier – da – dort fällt einer hin. Die Läufe blitzen, die Kolben krachen. Schreien, Stöhnen, tierische Töne! Aus einem Schädel quillt die graue Gehirnmasse. Körper wälzen sich, einer steht im Graben auf dem Kopf, Blutpfützen sind in den Furchen.

Kunz steht hoch oben auf dem Knick, wie ein sieghafter Riese, und schreit Hurra, die feindlichen Schützen laufen, nur einer kehrt und duckt sich. Da schlägt der junge Held, die Muskete hoch in die Luft werfend, die Arme hintenüber.

Heimreich beugt sich und hebt das Haupt des einstigen Freundes. Die sieghaft blitzenden Augen werden trübe und traurig, die Lippen zucken vor Schmerz, ein roter Springquell strömt aus der Halswunde, flutet und färbt Heimreichs Ärmel blutrot. Der Samariter will den Gefallenen heben und flüstert: »Kunz, ich trage dich nach hinten.«

Das Antlitz wird gräulich, wird grünlich fahl, die Augen starren und stieren, und die verbissenen Lippen bewegen sich. »Heim ... ich ... sterbe ... vergib mir ... grüße Hil ... de, Hil ... de, daß sie vergebe ... daß ich sie liebte ... sehr ... mehr ... am meisten ... Hil ... de ...«

Heimreich hört die Buße und Beichte und bewahrt das Testament des Sterbenden, der mit dem Namen seiner verlassenen Schwester auf den Lippen verscheidet.

Es ist ein greinendes Kindergesicht, ein kurzes Todesringen, aus der Halsschlagader stürzt der Lebensstrom. Kunz Reuter ist dennoch ein ganzer Held gewesen und heldenhaft-herrlich für sein Vaterland gestorben. Heimreich betrachtet tiefbewegt den Toten und sieht jetzt an dem Freunde keinen Fehler und Mangel und keine Menschlichkeit mehr, denn der Tod hat alle Schuld gesühnt und alle Schatten verscheucht.

Plötzlich hört er das pfeifende S–s–s–s–s einer Kugel, die durch den Zipfel seines Mantels schlägt. Er sieht mit Schrecken, daß er allein vor dem Feinde steht und seine Kameraden geflohen sind, daß ein Gewimmel von Rotröcken den Knick von drüben erklettert. Ein menschenfreundlicher Sergeant ruft in gebrochenem Deutsch ihm zu: »Übergebe dir, du deutser Insurgenterhuund!«

Der Freischärler hat sich weder er- noch übergeben, sondern mit dem Säbel wild um sich geschlagen und ein Rennen gemacht, wie noch nie in seinem Leben. Von dreißig Kugeln, die ihm nachzischen, hat nur eine getroffen und ihm den rechten Stiefelabsatz glatt vom Fuße gerissen. Es liegen aber genug auf der kurzen Strecke. Der liebenswürdige Schmidt ist tödlich getroffen und wimmert: »Gib mir den Gnadenstoß ins Herz!« Und da – das ist sein früherer Leibfuchs Dresen, ein braver Kerl. Hier ... Wendt, der gescheite Disputator ... und Jülich ... und Lorenzen, der treue Kamerad.

Heimreich kann ihnen keine Hand reichen, keine Hilfe leisten. Als er den Haufen erreicht, ist alle Ordnung aufgelöst. Auf dem ganzen Wege prasseln die eisernen Schlossen, welche die Schiffe werfen. Jeder schaut nach dem rettenden Tore und rennt. Tod und Tücke! Das Tor ist verschlossen! Die schuftigen Bewohner des Nordteils von Flensburg halten es mit dem Feinde und haben sogar alle Haustüren, an die man rüttelt, verrammelt. Der Weg nach Flensburg, nach dem Süden ist versperrt, jede Flucht abgeschnitten. Ein Schauder, ein Schrei durchzittert den Haufen: Wir sind umzingelt und verloren!

Hier im Schlußakt der Tragödie von Bau, im gewissen Untergange zeigen die Studenten deutschen Heldenmut, echten Kriegergeist, ja -größe. Alle werfen sich in die Häuser der Vorstadt und besonders in die nahe Eisengießerei, um sich bis zum äußersten zu wehren und für ihr Land das Leben zu lassen.

Eine halbe dänische Schwadron sprengt heran und haut die Letzten, die in der Gasse umherirren, zusammen. Aber die Flüchtlinge stellen sich gegen die Wand und schießen, aus allen Fenstern blitzt es. Den Dragonern ist es übel bekommen, ledige Rosse jagen zurück.

Hoffnungslos ist der Kampf, das Kieler Freikorps von zehnfacher Übermacht umstellt. Die Schiffe schleudern ganze Breitseiten durch das Dach und die Fenster der Gießerei, das trommelt und prasselt auf das Gußeisen, darunter viele sich verkriechen. Viele wälzen sich in ihrem Blut.

Ein nutzloses Sterben, ein Getötetwerden ohne Gegenwehr! Ein humaner Dänenoffizier fordert die jungen Leute zur Übergabe auf und verspricht Pardon. Aber keiner will als erster das ihm schmählich scheinende, einzig vernünftige Zeichen der Ergebung geben.

»Lasset uns leben, um diesen Tag zu rächen!« spricht Fangel und tritt aufrecht ans Fenster, bindet sein Taschentuch an den Gewehrlauf und schwenkt das weiße Fähnlein. Viele andere folgen seinem Beispiel.

Was noch lebt, wird gefangen und entwaffnet. Die rohen Dänen treiben die Studenten, die als gebildete Leute und Kieler Aufrührer ein besonderer Gegenstand ihres rachsüchtigen Zorns, ihres rüden Hohns sind, unter gemeinen Schimpfworten, Knüffen und Kolbenstößen zum Hafen hinunter.

Dort steht die Herde der Gefangenen, von scharf geladenen Gewehren bewacht, die akademische Jugend des Landes in schmählicher Erniedrigung, in seelischer Qual. Ihr Freiheitstraum ist schimpfliche Knechtschaft, ihr hoher Mut ist zur stillen Verzweiflung oder zur stumpfen Apathie geworden. Fangel knirscht mit den Zähnen, als ein Jüte ihm den Jägerrock vom Leibe reißt mit den Worten: »Du Bube sollst nicht länger den Rock des Königs mit deinem meineidigen Körper beschmutzen und verlausen.«

Die braven deutschen Bürger, die den kampfmüden Freischärlern eine Erquickung bringen wollen, werden mit Schimpfen und Schlägen verjagt.

Jetzt präsentieren die ringsum aufgestellten Soldaten das Gewehr vor dem inspizierenden Offizier, der aus dem Sattel steigt und die Insurgenten höhnisch betrachtet und auf deutsch häßlich hänselt: »Meine jungen hochstudierten und zum Teil hochgebornen Herren! Zu unsrem Schmerze können wir Sie nicht im ersten Hotel der Stadt unterbringen, wie Sie erwarten, sondern Sie müssen auf dem Transportschiff mit einem wenig standesgemäßen Unterkommen vorlieb nehmen. Die Unannehmlichkeit wird aber nur von kurzer Dauer sein, da sie alle voraussichtlich in Kopenhagen als Aufrührer ehrenvoll erschossen und im Jenseits ein gutes Quartier bekommen werden.«

Hm, hm! Das ist ja der alte Leutnant Bosen, der jetzt Herr Kapitän heißt und den schönen Fuchs meines Vaters reitet! denkt Heimreich sehr überrascht und betrachtet den Fuchs. Nein, er irrt sich nicht. Das große, ihm so gut bekannte Auge des Kapitäns blickt bei dem blutigen Sarkasmus toternst, das kleine Luchs- und Fuchsauge pliert und schielt nach dem alten Bekannten, den es hier unvermutet wiedersieht und offenbar nicht wiedererkennen will. Aber der Hühnerhund, der seinem Herrn folgt, schnobert hin und her, erkennt sofort den guten Hylleruper, der ihm oft das Fell gekraut hat, stößt ein Geheul aus und springt an Heimreich hoch.

Bosen schneidet einen Augenblick eine kurios verdutzte Grimasse und versetzt dem Tiere einen mächtigen Fußtritt. »Kusch dich, Skandia! Pinedöd! Ist das nicht ein Hund? Der Racker möchte alle Teufelsinsurgenten mit Haut und Haaren fressen ... ja die eidbrüchigen Kerle müßten alle geköpft werden, wenn ich König wäre ... kusch dich, du Satan! Wir dürfen ihnen leider nichts tun, wir haben leider Befehl, die ganze Menagerie lebendig in Kopenhagen abzuliefern ... der König will sein Pläsier haben und vom Christiansborger Schloß aus zusehen, wie die ganze Bagage füsiliert wird.«

Die Jüten lachten breitmäulig, der Hauptmann Bosen ist ein Offizier nach ihrem Herzen.

»Was sehe ich! Schwerenot! Die Räuberkerle haben in Rendsburg die Jägermäntel Sr. Majestät gestohlen ... her mit dem königlichen Eigentum!« kommandiert Bosen.

Sehr grob, mit einem rohen Griff packt er einen, faßt er zufällig Heimreich Fangel am Kragen und zerrt ihn aus Reih und Glied. »Du verfluchter Holsteiner, nimm die sechs Mäntel da auf deinen Puckel, du sollst Packesel sein und die Mäntel in mein Quartier tragen. Komm! Immer zwei Schritte vor mir! Verstanden! Marsch!«

Heimreich ist wütend auf den Überläufer, der wie ein rechter, unflätiger Renegat sich benimmt und den brutalen Dänen herauskehrt. Warum soll just er und nicht ein anderer die Mäntel schleppen? Das ist ihm noch ein Rätsel. Und was beabsichtigt dieser Bosen, der ganz aus der Art geschlagen und ein abscheulicher Poltron geworden ist?

Es geht die Straße hinauf. Der Hauptmann macht lange Schritte, bis sie außer Schußweite sind, dann schielt er nach dem Mantelträger, blinzelt und brummt: »Ist Er müde, kann Er sich verschnaufen ... aber tüchtig Luft in die Lungen pumpen! Verstanden?«

Nein, Heimreich kann den kuriosen Befehl nicht begreifen und das verschmitzte Geblinzle des Kapitäns nicht verstehen.

Bosen lugt die Gasse hinauf und hinunter und spricht mit sich selber: »Kein Soldat weit und breit zu sehen! Wie leicht könnte der Kerl mir desertieren, da ich kein Knallinstrument bei mir habe.«

Der Gefangene merkt jetzt Absicht, spitzt beide Ohren und blickt seinen Begleiter an, ohne die Beine zu gebrauchen.

Da hat der Dänenhauptmann wild ihn angeschaut und angeschnauzt: »Schwerenot! Haben die Studenten aus Kiel, die stockdumm wie ein Königlicher Kammerherr sind, bei Bau noch nicht gelernt, von ihren Beinen Gebrauch zu machen?« Ganz leise flucht und flüstert er: »Pinedöd! Werfen Sie mir doch die Mäntel in die Visage, nehmen Sie Ihre Beine unter den Arm und rennen Sie zur Hölle!«

Heimreich haut mit wahrer Wollust dem Hauptmann die schweren Mäntel ins Gesicht, rast die Straße hinunter und rennt gen Süden. Das war die schnellste und schönste Retirade seines Lebens.

Um einen Vorsprung zu geben und seinen Schelmenstreich zu verbergen, fällt Bosen hin, zappelt gewaltig unter den Mänteln, arbeitet sich hoch, reißt den Säbel heraus, rennt eine Strecke, stolpert über die Scheide und brüllt wie ein rasender Roland: »Stoppt ihn, stoppt ihn! Die Insurgenten-Schwefelbande! Schießt! Feuer! Fünfhundert Banktaler demjenigen, der diesen Hölleninsurgenten niederknallt! Der Hund hieb mich nieder! Fünfhundert Banktaler!«

Viele Schüsse blitzen viel zu spät, gehen ins Blaue und blessieren einen Flensburger, noch dazu dänisch gesinnten Bürger, der sich auf seinem Schmerzenslager zum Deutschtum bekehrte. Der Hauptmann will aus der Haut fahren und flucht so aufrichtig und greulich, daß auch nicht der kleinste Verdacht auf ihn fällt. –

Der Flüchtling erreichte bei Översee das geschlagene, aber völlig geordnete Heer und erzählte mit Lachen die groteske Farce des Kapitäns Bosen und seine gelungene Flucht. Doch ihm wurde weh und zum Weinen, als er sein Bataillon suchte und nicht fand. Das Studentenkorps existierte nicht mehr, es war gefallen oder gefangen, durch die schwere Schuld der Oberleitung gefangen. Die unglücklichen Studenten wurden im dunklen Schiffsraum wie Vieh eingepfercht, nach Kopenhagen geführt, vom Pöbel bedroht, von den feinen Kopenhagenerinnen bespuckt und auf dem Gefangenen-Schiff, der berüchtigten, von Ungeziefer wimmelnden »Dronning Marie« sehr übel behandelt, wenigstens wochenlang, bis bei Schleswig viele Dänen in deutsche Gefangenschaft gerieten und man mit kräftigen Repressalien drohte, wodurch die Dänen zur Humanität gezwungen wurden.

Das kleine cimbrische Heer hatte fast tausend, d. i. jeden sechsten Mann bei Bau verloren. Viele Frauen trugen schwarzes Gewand, das ganze Land trauerte tief, aber die führenden Geister erkannten, daß man zu blind auf sein Recht vertrauend in einen ungleichen Kampf gezogen sei. Die Cimbern sind ein zähes und dauerhaftes Germanengeschlecht, keine Enttäuschung wird ihre Tatkraft lähmen. Die provisorische Regierung arbeitete rastlos, um das Heer zu vergrößern. Nicht nur die Einberufenen, sondern die Freiwilligen strömten in Scharen zu den blau-weiß-roten Fahnen. In den Tagen tönte das Schleswig-Holstein meerumschlungen wie eine rührige Werbetrommel in allen Gauen Germaniens, das deutsche Volk forderte stürmisch vom Bunde schleunige Hilfe für den Bruderstamm im Norden. Eine neue, starke Zuversicht ging sonnenhell vom Süden auf, die niedergeschlagenen Gesichter erhellten sich, als sie die Botschaft hörten: der Preußenkönig hat ein Armeekorps mobil gemacht, und der deutsche Bund hat aus verschiedenen Kontingenten ein Korps gebildet, das Holstein besetzen soll.

Heimreich war bei seinem Onkel in Schleswig eingekehrt und von der guten Tante gehätschelt und genudelt worden. Er hielt nicht bloß einige Tage angenehme Einkehr, sondern auch nachdenkliche Rückschau und ernstliche Selbsteinkehr. Ein arges Heimweh nach Hyllerup und nach – Bodil, die wahrscheinlich sein Freischärlertum schwer verdammen und schwerlich verzeihen werde, quälte ihn, oft war er in Versuchung, jetzt, wo sein Truppenteil nicht mehr bestand, spornstreichs nach Hause zu laufen und ruhig bei den Eltern den Lauf der Dinge abzuwarten. Mit leuchtenden Augen würde Bodil den Heimgekehrten empfangen und festhalten und nie wieder fortlassen zu den von ihr verabscheuten Insurgenten. Seine Liebe war die Versucherin, die ihm in Schleswig, wo er am Scheidewege stand, hart zusetzte mit scheinbaren Vernunftgründen. Wenn du aufrichtig sein willst, hast du keinen Respekt vor dem gepriesenen Freischärlertum, sondern eine höchst geringe Meinung von dem ganzen Milizwesen, von dem freien, undisziplinierten, unbotmäßigen Volksheer. Du hast deine Truppe verloren und bei Bau deine Pflicht gegen das Vaterland getan, du kannst mit gutem Gewissen nach Hause gehen.

Heimreich sprang auf und faßte einen herzhaften Entschluß. Nein, ich gehe nie wieder zu den Freischärlern mit ihrem Ungehorsam und Unfug, aber ich gehe nach Rendsburg, um als Freiwilliger bei dem regulären Heere und als rechter Soldat zu dienen. So marschierte Fangel, der Leutnant des Kieler Studentenkorps, nach Rendsburg, um als gemeiner Soldat bei einem Jägerkorps einzutreten. Das war eine hochherzige Degradation. Reich an solchen Degradierten, die im Leben hohe Stellungen bekleidet hatten und als gewöhnliche Soldaten die Muskete schulterten, war die schleswig-holsteinische Armee, die in ein paar Wochen die Scharte von Bau auswetzte. – – –

Die Dänen feierten den Sieg einer zweieinhalbfachen Übermacht mit gallischer Überschwänglichkeit, die Kopenhagener besangen in dem blödsinnigen Liede vom »Tappren Landsoldat« ihre Holzschuh-Krieger, Friedrich VII. begrüßte die Helden von Bau, fuhr nach Augustenburg und zertrümmerte höchst eigenhändig mit einem Beil den Schreibtisch des Herzogs, um die Briefe mitzunehmen, die nichts Gravierendes enthielten und dennoch von einer feilen Kreatur benutzt wurden, um den völlig unwahren Vorwurf der Felonie gegen den Augustenburger zu erheben.

Die Dänen in Nordschleswig jubilierten und schimpften auf die Insurgenten. So lächerlich ihre Panik, so närrisch ihre Angst vor den losgelassenen Sklaven, vor den schrecklichen Freischaren gewesen, so frech und übermütig wurden sie bei der Siegesnachricht. Die dummen Bauern glaubten sich aus Räuberhand gerettet, tranken in vielen Kaffepünschen Begeisterung und Mut und waren gewaltige Maulhelden. Ein Deutscher durfte in den Tagen kaum sich blicken lassen.

Pastor Fangel war am 10. April in Norderhusen gewesen und brachte böse Nachrichten mit nach Hause. Er trat in die Stube, machte alle Türen fest zu und sagte mit leiser Vorsicht und leiser Verzagnis: »Unsre Landsleute sind geschlagen, und ein- bis zweitausend sollen in Gefangenschaft geraten sein.«

»Schrecklich, mein Sutor, schrecklich!«

Der alte Propst in Norderhusen, der seine deutsche Gesinnung nie auf der Zunge getragen und allzu sehr, als Mann der Mitte, laviert hatte, sei amtsmüde und wolle sich emeritieren lassen. Nach einem on dit, solle der Amtmann gesagt haben: »Herr Propst, die Pension ist gut ... wir können in Nordschleswig nur scharfe Besen gebrauchen.«

Die Pastorin rang die Hände. »Das ist entsetzlich für uns! Nun wird ein Stockdäne Propst, ein brutaler Besen, und wir werden zuerst aus unsrem lieben Heim herausgekehrt. O, mein Sutor!« Dann fing sie an zu schreien: »Wo ist unser Heimreich, mein Herzenssohn?«

»Warum sollte Gott so hart uns schlagen und unsren Heimreich uns nehmen ... kaum zwei- bis dreihundert sind gefallen. Gertrud, weine nicht vor den Leuten! Die Mägde freuen sich über unsren deutschen Schmerz.«

Die Pastorin konnte gut mimen, wenn es halt sein mußte, und machte in der Küche eine muntere Miene. –

In der Morgenfrühe patschte die alte Kathrin auf ihren Holzpantinen nach dem Pastorat, und alle wichen seltsamerweise ihr, der Patriotin, wie einem Gespenste, weit aus; denn ein altes Weib war am Morgen eine schlimme Begegnung. Die Hylleruper waren ja vor Anzeichen und übernatürlichen Dingen stets auf der Hut, obgleich das weiße Gespenst jetzt sich ganz ruhig verhielt. Kathrin wollte einen Taufschein für ihre Tochter haben, die in Kolding in Dienst sei und sich mit einem einberufenen Schlächtergesellen schnellstens verheiraten wolle, klagte unter Tränen über die Verdienstlosigkeit, triumphierte, als der Pastor ihr die Gebühr von sechs Kurantschillingen erließ, und dankte mit den hämischen Worten: »Nun müssen Sie uns, Herr Pastur, am Sonntag eine schöne Dankpredigt für den Sieg bei Bau halten, wir freuen uns schon alle darauf. Zehntausend Deutsche liegen ja bei Bau erschlagen und dürfen als Aufrührer nicht begraben, sondern sollen von den Tieren gefressen werden, so sagt man.«

Fangel machte ein tieftragisches, entsetztes Gesicht und sagte mit einem Grauen in der Stimme: »Ja, ja, ich habe schon davon gehört ... es ist gräßlich, gräßlich für ganz Nordschleswig ... von dem greulichen Gestank wird die Pest ausgebrütet, die Pest, der schwarze Tod wird uns alle, alle umbringen.«

Die alte Kathrin lief erschrocken von dannen, und ihre zwei Zähne klapperten vor Angst im Munde. –

Der Pastor hatte aus dem Friedhof eine kleine Leiche, die nicht in die Kirche kam, eingesegnet und begegnete auf dem Heimwege Bodil Hansen. Sie sprach freundlich, ohne alle Schadenfreude, sagte aber schließlich doch mit einer gewissen Genugtuung: »Ja, bei Bau hat Gott zu unseren Gunsten entschieden und doch wohl deutlich gesagt, wo das Recht ist.«

Diese religiöse Auffassung mußte der Geistliche widerlegen. »Recht wird auf Erden stets und überall der Erfolg behalten. Wenn jede Bataille ein Gottesurteil wäre, dann müßte ja Gott in seinem Urteil ebenso oft schwanken, wie die Wage des Kriegsglücks.«

Der Pastor ging weiter. Die Knechte an der Kirchhofsecke, die ein Hylleruper Hasardspiel hitzig trieben, eine Münze warfen und um einen Schilling wetteten, steckten nicht schnell wie sonst das Geldstück weg – denn es war ein Herkommen, die Karten und kleinen Passionen in Gegenwart des Pastors zu verstecken –, sondern glotzten nach dem Priestergewande, griffen nicht nach der Mütze und sahen ihn an, als wenn sie wer weiß was für Kerle seien.

Die Gemeinde verwilderte. Heute arbeitete keiner, der Tag wurde wie ein Festtag gefeiert, besonders im Wirtshause, wo Rolf Krake stundenlang auf der Harmonika den »Tappre Landsoldat« leierte, damit das Volk die neue, unglaublich einfältige Nationalhymne Dänemarks erlerne. Im Halbdüster der Abenddämmerung betrat Eskild Thorö eilig und echauffiert das Pfarrhaus und gab allen umständlich die Riesenhand. Er wäre kein rechter Hylleruper gewesen, wenn er mit seinem eigentlichen Anliegen angefangen hätte, nein, er sprach erst von dem Nachtfrost und der Frühjahrssaat und dann erst von der Schlacht. »Die armen Menschen, die bei Bau verblutet sind, tun mir am meisten leid ... die Anstifter bleiben hübsch hinter dem Ofen und müßten, wenn ich was zu sagen hätte, allen vorangehen im Gemetzel. Ja, die Urheber eines Krieges müßten nach meiner Meinung durch Zweikampf die Sache unter sich ausfechten ... der Beseler und Reventlow auf der einen, Orla Lehmann und Monrad auf der anderen Seite, und jeder mit einem Knüppel bewaffnet, damit sie sich nicht totschlagen könnten ... ob nun zwei gegen zwei oder zwanzigtausend gegen zwanzigtausend stehen, macht nichts aus, da es nur darauf ankommt, den Sieger zu finden.« – Eskild besaß nicht nur ein starkes Gerechtigkeitsgefühl, sondern auch einen gesunden Mutterwitz.

»Das Gefecht bei Bau hat keine große Bedeutung,« sagte der Pastor, »die endgültige Entscheidung wird erst die Zukunft bringen.«

Eskild streifte Hilde mit einem Blick, als wenn seine Worte an sie gerichtet seien, wandte sich aber an den Pastor. »Ich habe immer, schon in der Schule, die Partei des Schwächeren ergriffen, und jetzt nach Bau möchte ich es fast mit den Deutschen halten ... aber ich darf es nicht ... ich muß der alten Obrigkeit gehorchen, wenngleich viele der dänischen Beamten nichts taugen und sich schmieren lassen.«

»Tun Sie, was Sie nach Ihrem Gewissen müssen!« nickte die Pastortochter.

»Ich kann kein richtiges Deutsch sprechen und darum auch wohl kein richtiger Deutscher sein, nicht wahr?« sagte er treuherzig. »Ich spreche nur das gewöhnliche Dänisch, daher bin ich nach meinen Begriffen nur ein guter Nordschleswiger und nichts weiter.«

»Das ist ein enges Vaterland,« lachte die Pastorin.

»Ja,« war die bescheidene Antwort, »der Bauer hat einen engen Gesichtskreis.«

Endlich rückte Eskild ein paarmal auf dem Stuhle hin und her und mit seinem eigentlichen Anliegen heraus, »Wollen Sie mir einen Gefallen tun, Frau Pastorin? Ich wollte nämlich gern diese Nacht im Pastorat bleiben ... wenn Sie nur einen Stuhl auf dem Flur oder in der Küche mir überlassen.«

»Nein, Sie sollen ein warmes Bett in unserem Gastzimmer haben,« sagte Hilde rasch und fragte: »Sie haben wohl eine kleine Meinungsverschiedenheit mit Ihrem Vater gehabt?«

»Durchaus nicht! Ich möchte eben nicht schlafen, sondern in den Kleidern bleiben.«

Ein zu komisches und rätselhaftes Verlangen! Ob bei ihm wohl das Oberstübchen ganz in Ordnung sei? Die Pastorin guckte ihn an und fragte: »Fürchten Sie sich in Ihrem eignen Hause? Oder ist das weiße Gespenst in Ihrem Hof gesehen worden? Wenn Sie sich gruseln, bleiben Sie nur hier, denn im Pfarrhause spukt es nicht.«

»Nein, nein, das nicht! Aber es könnten vielleicht schlechte Menschen in der Nacht hier eindringen ... haben Sie eine Flinte, Herr Pastor?«

»Ei–ne Flin–te? Ich gehöre zum Lehr- und nicht zum Wehrstand. Bei uns ist nie eingebrochen worden ... und Diebe pflegen sich nicht anzumelden.«

Der Pastor begriff den Menschen nicht und war baff verwundert. »Was haben Sie?«

»Mein Knotenstock tut's auch und tötet keinen, wenn ich ein bißchen böse werde.«

Da ging dem Pastor ein scheußliches Licht auf, mit Abscheu ahnte er, daß die üblen Elemente der Gemeinde eine nächtliche Demonstration, einen demolierenden Exzeß, eine rohe Lynchjustiz an dem deutschen Pfarrhause beschlossen hätten. »Thorö, ich danke Ihnen! Sie sind ein braver Mann. Was wissen Sie von dem tückischen Anschlag?«

»Ich hörte allerlei Andeutungen, nahm mir meinen Knecht Andreas mit Freundlichkeit vor, stellte ihn gegen die Stallwand, da er zu dumm und stumm sich stellte, besah mir den Ochsenziemer und spuckte zufällig in die Hand ... da hat er mir alles gebeichtet. Viel Unsinn ... aber einiges wird leider wahr sein. Es ist zu schändlich, Herr Pastor, ich mag es gar nicht sagen.«

»Nur heraus mit der Sprache! Die kleinen Leute sind ja wie die dummen Schafe, die dem Leithammel folgen ... Hans Peder und Rolf Krake haben die armen, unwissenden Menschen vom Verstand geredet.«

»Ja, die beiden Maulhelden brocken die Suppe ein und machen den Pöbel mit Branntwein und Lügengeschichten betrunken. Alle deutschen Sklaven, Studenten und Freischärler seien bei Bau erschlagen worden und keine Gefahr sei mehr, alle Heimdeutschen in Nordschleswig sollen verjagt und ihre Besitztümer unter die treudänischen Leute verteilt werden ... ja, das Allerverrückteste wird geglaubt ... unser Pastor, unser guter Pastor, sei ein schlechter Kerl, der den Landsturm verlacht habe, sei ein deutscher Spion, der alles auskundschafte und dem schleswig-holsteinischen Pack zutrage ... ich mag es gar nicht sagen, meine liebe, gute Frau Pastorin.« Eskild war ganz rot und räusperte sich. »Hm, heute nacht ...«

»Wollen Sie mir in meinem Hause einen häßlichen Schabernack spielen?«

»Noch ärger ist es, sie wollen alle Fenster einschlagen, ins Haus dringen, den deutschen Pastor abstempeln, d. i. ihm ein rotweißes Kreuz auf den Rücken malen, ein Paar Holzschuhe ihm geben und ihn zwingen, in den Holzschuhen, die er verhöhnt hat, nach Norderhusen zu marschieren und nie wieder in Hyllerup sich blicken zu lassen. Die Pastorin soll ... soll mit Kuhmist eingeschmiert, im Pastorteiche gebadet werden, und dann will man ihr einen Besenstiel geben, darauf sie nach dem Blocksberg reiten soll. Nur Fräulein Hilde sei immer gut gegen kleine Leute gewesen, und darum solle ihr nichts Böses geschehen ... ja, es sollte nur einer sie mit einem Finger berühren ... wehe dem Kerl und seinen Knochen!« Eskild wedelte drohend mit der Faust, fügte aber zur Beruhigung hinzu. »Das ist ja Übertreibung und besoffenes Geschwätz, aber Hyllerup ist wie ein Tollhaus in diesen Tagen ... darum bleibe ich hier in der Stube aufsitzen.«

Die Pastorin war leichenblaß bei dem Gedanken an die Einseifung, die ihr bevorstand. »Warum hassen mich die kleinen Leute? Wieviel Essen und abgelegte Kleider habe ich ihnen geschickt! Die Bagage will mich baden! Sutor, wir müssen Schutz haben, wir müssen den Gendarm, die Polizei aus Norderhusen holen lassen.«

»Zehn Stunden vergehen, ehe ein Amtspolizist hier ist. Wahrscheinlich werden wir alle aufbleiben ... ist Klaus schon da? Klaus!«

Der Sohn kam herunter und hörte mit hilflosen Glotzaugen von dem Pöbelanschlage, ging hin und her, horchte am Fenster und fragte Eskild: »Was ... was will man mir tun?«

»Mein Andreas sagte, der Pastorsohn sei ein Knechteschinder, der nie genug Arbeit für wenig Geld kriegen könne ... dem wolle man das Sitzleder versohlen, bis die echte, rotweiße Kulör zu sehen sei.«

Klaus rang nach Atem, wechselte seinen Platz und schrak bei jedem Geräusch zusammen.

Der alte Pastor war sehr gefaßt, strammte den Körper und kommandierte: »Die Fensterläden vor! Die Türen verschlossen! Wir sind drei Männer und nehmen den Stock in die Hand ... wo ist Per? Der muß Ersatzreserve sein. Klaus! Hole für den Notfall drei, vier Forken aus dem Stall!«

Per hatte sich auf dem Heuboden verkrochen.

»Wir müssen polizeilichen Schutz holen,« stammelte der Sohn.

»Ja, der Onkel Hardesvogt muß benachrichtigt werden,« rief die Mutter.

»Ich reite sofort in Karriere nach der Stadt, die Landpolizei zu holen,« sagte Klaus hastig.

»Du würdest mit der Hülfe nicht vor morgen früh hier sein, wenn der nächtliche Exzeß zu Ende ist,« bemerkte der Vater.

»Ich tue es um Mutters willen.« Der eifrige Klaus sattelte das beste Pferd und galoppierte querfeldein.

Der Pastor sah ihm mit einem Kopfschütteln nach, hatte jugendlich blitzende Augen und den Mut seiner frohen Burschenzeit, nahm einen Stock und machte einige pfeifende Paraden. »Keiner kommt mir über die Schwelle ... wir verteidigen das Haus gegen jeden Eindringling.«

Eskild stellte die Forken in einen Winkel. Eine Stunde verrann in friedlicher Stille. Pastor Fangel mußte trotz der Gefahr über das kuriose Waffenarsenal und das befestigte Pastorat lächeln und im stillen sich fragen, ob das sonst so gutmütige Volk wirklich vom Teufel besessen sei, oder ob man vielleicht dem guten Thorö einen Riesenbären aufgebunden habe. Er stellte den Stock beiseite und steckte die Pfeife an. Hilde prickelte mit ziemlicher Gemütsruhe an einer peniblen Handarbeit. Das erregte den Verdruß der Mutter, die ein Zittern in allen Gliedern spürte und ängstlich nach draußen horchte. »Du scheinst dir keine Sorgen zu machen, du bist ja sehr populär bei dem Dänenpöbel, dich werden sie auf den Händen tragen, während deine alte Mutter mit Kuhdung eingeseift wird.«

»Still da! Was ist das?« Etwas schlich draußen am Fenster entlang, ein unterdrücktes Lachen kicherte. Plötzlich ein Krachen und Klirren, daß alle im Zimmer aufsprangen. Ueberall brachen zerschlagene Scheiben, die Holzläden krachten, durch ein ungedecktes Flurfenster flog ein kindskopfgroßer Stein an dem Kopf der schreienden Magd vorbei.

Die Bande hatte heimtückisch das Pastorat umstellt und machte wie auf Kommando einen infernalischen Spektakel, ein wildes Lärmen, Johlen und Brüllen. Man hörte den Ruf: »Das deutsche Pastorenpack aus Hyllerup heraus!« Eine Wagenrunge diente als Rammbock und donnerte gegen die Fensterläden der erhellten Stube. Der Pastor und Thorö ergriffen ihren Stock und gingen nach dem Hausflur, händeringend stand die Pfarrfrau zwischen Tür und Angel und weinte. Mit einer Deichsel rannten die Belagerer, die den »Tappre Landsoldat« krächzten, gegen die Haustür und stießen eine Füllung ein. Fangel wollte das Fenster aufreißen. »Ich will die betrunkene Bande auf die Folgen des Hausfriedensbruches aufmerksam machen.«

»Nein, nein, dich schlagen sie tot,« wimmerte Frau Gertrud und hielt ihren Gatten von hinten am Rockschoße fest.

Eskild öffnete das kleine Fenster und schrie mit Löwenstimme den Pöbelhaufen an. »Sieh da, Andresen und Töge und Christian Hansen und Mikael und Peder Flint! Wir kennen euch trotz der Dunkelheit und werden morgen sehen, wie der Hardesvogt und die Polizei euch abholt ... das bringt euch ins Zuchthaus, denn wir haben noch Gesetz und Obrigkeit ... geht sofort nach Hause und schlaft den Schnaps aus!«

Eine Stimme von draußen antwortete: »Was geht dich die deutsche Pastorenbagage an! Geh du nur ruhig nach Hause, Eskild, du bist ja von südjütischem Kaliber und von unserer Kulör, Eskild, dir tun wir nichts.«

»Nein, aber ich werde euch was tun, wenn ihr euch nicht fortpackt. Das ist eine dumme, dune Sache, die euch ins Gefängnis bringt, marsch vom Pastorhofe herunter!«

Von hinten, wo die Anstifter standen, erhob sich ein Geheul. Hier und da brüllten einige: »Der deutsche Pastur soll heute noch auf Holzschuhen aus Hyllerup herausspazieren ... Hurra, der Pastur heraus!« Ein anderer schrie: »Die Ollsche soll geseift und gebadet und von der deutschen Krätze kuriert werden. Heraus mit der Hexe!«

Frau Fangel brach zusammen, von ihrer Tochter umfangen, und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

Eskild erhob seine gewaltige Stimme. »Du ungewaschenes Lügenmaul! Wir haben einen sehr ehrenwerten Pastor und eine sehr gute Pastorin. Wenn ihr nicht sofort den Pastorhof verläßt, werde ich ein bißchen böse und den hier gebrauchen.« Er zeigte den Stock.

Ein Johlen und Schimpfen gab Antwort. »Aeh – äh, du spielst wohl jetzt die deutsche Geige?« – »Thorö ist ein deutscher Ueberläufer geworden.« – »Eskild will ja der Schwiegersohn des deutschen Pastors werden und ist darum blau-weiß-rot geworden.« – »Du Insurgentenschwanz und Schubjack, komm heraus!«

Vier Knechte rannten mit der Deichsel gegen die Haustür, daß es krachte, und stießen die zweite Füllung ein. Der Sturm auf das Pfarrhaus sollte beginnen.

Eskild war bei dem Hohnwort vom Eidam des Pastors blutrot geworden, wechselte die Farbe und wurde kreideweiß. Aber äußerlich ganz ruhig, stellte sich der Brave für die gefährdete Pastorfamilie in den Riß. Er schloß und warf die Tür auf, hielt den Knotenstock hoch und faßte scheinbar ohne Grimm: »Jetzt werde ich böse! Andreas, denke an deine sechs Kinder! Jens, bring dich nicht ins Zuchthaus! Und du, Flint, kannst kaum noch stehen. Weg vom Hofe, sage ich, und noch einmal und zum letzten: Weg da!«

Nur Andreas wich zurück; die anderen ballten die Fäuste und brüllten: »Komm heraus, du deutscher Aff und Laff!«

»Ich komme schon ... da und da! Zurück!« Ohne den Stock zu gebrauchen, schlug er mit der Riesenpranke drei, vier Krakehler nieder. Weiter fuhr seine furchtbare Faust, daß sie wie alle Neune über- und durcheinander purzelten und laut heulend die blutige Nase sich hielten.

Auf der Haustürschwelle stand der Pastor, steil und stolz, den Stock unter dem Arm, um im Notfalle Eskild beizustehen. In der Notwehr, wenn es sein mußte, stand der alte Herr noch seinen Mann. Da flog ein faustgroßer Stein an dem greisen Haupte des Geistlichen vorbei, er duckte sich geschwind, blieb aber auf dem gefährlichen Fleck stehen, und seine Augen blitzten die Pöbelkerle an.

Hei, der Riese von Hyllerup, der jetzt ein bißchen böse geworden, war ein Berserker und warf nach links und rechts mit schallenden, knallenden Ohrfeigen die Schreier nieder. Stets ist der Pöbel feige, wenn er kraftvollem Widerstand begegnet und kein stößiger Bock den Hammeln vorangeht. Die tolle, trunkene Bande wälzte sich mit Gepolter der Straße zu und wäre vor dem einem Goliath retiriert, wenn nicht die Hintersten, die noch keine Hiebe geschmeckt, Wagenrungen, Knüppel, Steine ergriffen und mit Geheul einen Angriff auf den einen gemacht hätten. Der Bock in diesem Falle, Rolf Krake, stand hinter der Hecke, höhnte und hetzte: »Ihr seid mir Kerle! Dreißig laufen vor dem langen Eskild ... kis, kis! Haut ihn, haut den langen Lukas!«

Die Knechte schwangen dicke Holzstangen, stürmten mit Vorsicht und wollten dem Recken in den Rücken fallen.

»So wollt ihr Schufte es haben ... jetzt werde ich sehr böse,« brüllte der Brave, der jetzt den Stock und beide Pranken gebrauchte. Es klang wie die Keulenschläge auf den Heckenpfahl. Mehrere purzelten und wimmerten: »Au, au ... lieber, guter Eskild, laß mich laufen!«

Der Goliath schlug und schleuderte und schnaufte laut. Aber der Hydra des Pöbelaufruhrs wuchsen neue Mäuler und Fäuste. Zu viele Kerle und Knüppel waren hinterrücks und hinter Eskild, zu viele Hunde sind des Bären Tod.

Pastor Fangel sah mit Schrecken, daß Eskild der rohen, rasenden Masse erliegen müsse, und sagte sich: Ich muß dem Wackeren beistehen, denn jetzt ist Not am Mann. Der alte Herr trat rasch in den Hof und auf die Walstatt, parierte korrekt und kommentmäßig zwei Hiebe, die Eskilds Schädel treffen sollten, und donnerte: »Halt! Ihr Ruchlosen! Wollt ihr als Mörder in der Rendsburger Sklaverei enden?«

Da geschah etwas sehr Unerwartetes und Wunderbares. Ein hohes, helles, aber scharfes Halt ertönte. Eine unbegreifliche, nach dem gräßlichen Tumult fast unheimliche Stille trat ein. Alle Stöcke, Knüppel, Heckenpfähle und Fäuste senkten sich, als wenn sie salutieren wollten.

Ein Friedensengel, kein weißer zwar, sondern ein schwarz gekleideter Engel stand mitten im wildesten Aufruhr, mitten in der betrunkenen, brüllenden Rotte. Und der sagte mit vornehm zorniger Frauenstimme: »Halt! Pfui, pfui über euch! Jeder gute Däne wird euer schändliches Gebühren verdammen. Unsere Sache ist gut und wird siegen, aber eine gute Sache darf nicht durch solche Schändlichkeiten beschmutzt und verrufen werden. Der Pastor mag ein Deutscher sein, ist aber ein hochachtbarer Mann ...«

Ein Raunen, ein Zischen wurde gehört.

»Still da! Der Pastor ist ein Ehrenmann! Geht ruhig nach Hause! Die wahren Dänen verdammen allen Aufruhr ... auch eure Zusammenrottung, euren Landfriedensbruch, eure schändliche Ausschreitung. Wenn ihr wahre Dänen seid, geht ihr still und beschämt nach Hause!«

Der dänisch gesinnte, schwarzgekleidete Engel war Bodil Hansen. Begleitet von vier alten, treuen Tagelöhnern von Hylleruphof, war sie herbeigeeilt, sehr kouragiert trat sie mitten unter die besessene Horde. Klug hatte sie die Hylleruper an ihrem dänischen Patriotismus gefaßt und doch den Fanatismus als schimpflich und frevelhaft hingestellt. Zu tief saß in allen kleinen Leuten der Respekt vor Bodil Hansen und vor dem Reichtum ihres Vaters.

Kleinlaut verließen die Kätner zuerst den Kampfplatz, die Knechte klapperten auf ihren Holzschuhen von dannen und warfen die Waffen in die Knicks. Der Hof des Pastorats war in zehn Minuten menschenleer geworden.

Dieser Pöbelsturm auf das Pfarrhaus und die ruchlose, aber rechtzeitig verhinderte Lynchjustiz an dem deutschen Pastor ist keine Fabel und Erfindung, sondern ein bekannter, berüchtigter Vorgang, von Augenzeugen gesehen und geschildert. Das war die von Natur gutartige, aber künstlich fanatisierte, in ihren Ausschreitungen unglaublich rohe Bauernbevölkerung von Nordschleswig, die jetzt von manchen Deutschen, die kaum ihre Nase ins Grenzland steckten, als der harmlos brave, vom Alldeutschtum hartbedrückte Dulder beklagt und gehätschelt wird. Diese Deutschen sollten nur die deutschen Annalen Nordschleswigs von 1848 bis 1864 gründlich lesen! Der dänische Fanatismus der Führer hetzt noch ebenso, nur feinheimlich und listig, und führt durch seine Trau-schau-wem-Treuherzigkeit gewisse gutgläubige Germanen hinter das Licht. –

Bodil reichte Eskild Thorö die Hand, dankte ihm warm und ging Hand in Hand mit dem Wackeren ins Pastorat hinein. Hilde Faugel sah diese Intimität mit einem unfreundlichen Blick und hatte ein unangenehmes Gefühl, das sie energisch niederkämpfte.

Jep Hansens Tochter schlug den Pastorleuten vor, die Nacht auf Hylleruphof zu verbringen. Doch Frau Gertrud, der noch die grause Angst in allen Gliedern bebte, stöhnte: »Nein, ich gehe nicht in die Dunkelheit hinaus ... sie könnten mich packen und mit ... mit Kuhdung ... einseifen.«

»So wollen wir hier bleiben, Eskild, nicht zum Schutze, sondern zur Beruhigung. Unsere vier Tagelöhner sollen im Hofe und Garten patroullieren. Liebe Frau Pastor, nun können Sie und nun sollen Sie ruhig schlafen.«

Bodil brachte die Pastorin zu Bett. Hilde nämlich bemerkte, daß auf Schädel und Stirn des tapferen Schirmherrn ihres Hauses dicke Beulen sich gebildet hatten, lief nach Wasser und Linnen und kühlte die unblutigen Blessuren. »Das sind Ihre Orden und Ehrenzeichen,« sagte sie mit ihrem süßen Lächeln. »Sie werden noch anderswo am Körper Wunden haben?«

»Nein, ich fühle mich so wohl und so glücklich.« Ja, Eskild war stillselig, und sein Herz wurde unter den kühlenden Händen der Samariterin immer heißer.

Zu Vieren blieben sie aufsitzen, bis die jetzt so ruhige Nacht zum Morgen wurde. –

Am nächsten Vormittage, als die Frühlingslerchen unter dem Himmel jubilierten, der Säemann gravitätisch über die Aecker schritt und die Knechte auf der Egge ihr Frühstücksbrot verzehrten, kehrte Klaus zurück, und auf dem Gaule hinter ihm saß eine lange, dürre, uniformierte Gestalt. Das war die Polizeigewalt, die er gleich mitgebracht hatte. Der Landpolizist stieg herunter, streckte sich und stolzierte mit dem Säbel an der Linken auf und ab durch die Dorfgassen, um die Ruhe, die schon da war, wiederherzustellen. Alles ging im alten Geleise. Die Bauern schämten sich der skandalösen Vorgänge, die Kätner hatten nur davon gehört, und keiner wollte dabei gewesen sein. Einige, die alle Tage den Krug besuchten und den Wirt bereicherten, luden den Polizisten zu einer Tasse ein und bewiesen ihm, das seien gar nicht die Hylleruper, sondern die Radau- und Saufbrüder aus Faustrup gewesen. Wie zwischen der Schlange und dem Weibessamen eine unversöhnliche Abneigung ist, so bestand von Olims Zeiten her eine Erz- und Erbfeindschaft zwischen den Nachbardörfern; die Faustruper schoben den Hyllerupern alle Schuld in die Schuhe, und die Hylleruper behaupteten, daß jede Schlechtigkeit, jeder Unfug und Diebstahl in Faustrup heimatberechtigt sei. Im Wirtshause bewies man dem Hüter des Gesetzes mit vielen Kaffepünschen, wie gastfrei und brav und unschuldig an dem schändlichen Ueberfall auf das Pastorat die richtigen Hylleruper seien.

Das Dorf blieb ganz ruhig. Alle machten ein harmloses oder dummes Gesicht, und die meisten grüßten wieder ihren Pastor, als wenn gar nichts geschehen wäre. Das hatte auch andere Gründe. Die neueste Nachricht nämlich, daß zwei deutsche Armeekorps in Holstein eingerückt seien, flößte eine heilsame Furcht ein und lähmte alle Lust zu Ausschreitungen gegen deutsche Mitbürger.


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