Johannes Dose
Im Kampf um die Nordmark
Johannes Dose

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Zweiter Abschnitt.

Wie der arme Ziegelstreicher ein reicher Gutsbesitzer wurde.

Ein alter Kanzelkapuziner des nordalbingischen Landes hat mehr drastisch-plattdeutsch als hochpoetisch sein Schleswig-Holstein mit einem Pfannkuchen verglichen, dessen dicke und deftige Mitte etwas mehlig im Munde sich ballt und am wenigsten begehrt wird, während die knusprig zarten Ränder unbestritten und überall die liebsten und leckersten Stücke sind. Auch mein geliebtes Nordschleswig ist einem nordschleswigschen Dorfpfannkuchen sehr ähnlich geworden, sintemal seine allzuweite und breite Mitte recht trocken-mehlig-sandig geraten ist, aber – alle Achtung vor dem Reste – seine Ränder hüben und drüben an Ost- und Westsee sind ein tadelloser, ganz vortrefflicher und gierig begehrter Länderbissen, den die germanischen Stiefbrüder auf beiden Seiten verschlucken wollten, und man begreift es, daß sie sich so heftig um den fetten Schmarren gerissen haben. Insonderheit das östliche Küstenland glänzt von Fett und Fruchtbarkeit, wie das gepriesene Land Gosen, grünt und blüht mit seinen Rosen-, Flieder-, Jelängerjelieber-Hecken und dem schmetternden Singvögelheer wie ein wahrer, wonniger Garten, und fremde Augen, die an einem Mittsommertage an den Föhrden von Alsen, Apenrade und Hadersleben vorüberfuhren, haben voll Erstaunen und Entzücken dieses Land einen einzigen, endlosen Park, ja ein kleines Paradies genannt.

Saubere, schmucke Dörfer, die voll Wohlhabenheit und Wohlbehagen sich sonnen, reiche Dörfer mit der massiven, weiß getünchten Kirche im Lindenhaine, mit den strohgedeckten, aber stattlichen Bauerngehöften und dem alten, idyllischen Pastorat lugen traulich hinter den hohen Knicks der goldenen Weizenfelder, der roten Kleekoppeln hervor. Ueberall wird die anmutige Landschaft belebt von dem rotbraunen oder rotweißen Vieh, das in langer Reihe am Tüder bis zu den Knien im Grase steht und eifrig rauft, von einer braunen Stute, die nach ihrem naseweisen, neugierig am Hecktor spähenden Füllen wiehert.

Ein solches rechtes, reiches nordschleswigsches Kirchdorf war vor sechzig Jahren und ist noch heute das Dorf Hyllerup, das den allerbesten Boden, mehrere große Bauernhöfe, eine geräumige Kirche mit Turm, ein altmodisches, unendlich gemütliches Pfarrhaus und eine sehr einträgliche Pfarrstelle hat. Man kennt Hyllerup von weither an der landbekannten Kuriosität seiner Kirche, die auf ihrer höchsten Spitze nicht einen Turmhahn, sondern eine Turmhenne trägt. Die stillstrebsamen Hylleruper hatten schon vor zwei Jahrhunderten ihren eigenen Kopf und ihre eigene Klugheit und darum nicht den unnützen Kräher, sondern die fleißige Eierlegerin als Sinnbild gewählt und auf den Turm gesetzt.

Ein Sprichwort dazulande sagt: »Du stehst mitten im Wege, wie die Hylleruper Kirche.« Ja, das Gotteshaus mit seinem Friedhofgarten liegt mitten im Dorf und mitten im Wege, denn alle Wege führen um den Kirchhof herum, und von dem Rondel laufen vier Straßen in die vier Himmelsrichtungen. An dem südlichen Wege nach Faustrup stehen Bauernhöfe von verschiedener Größe, aber der ganz gleichen Bauart; jedes Gehöft bildet mit seinen drei Scheunen und dem Wohnhaus als hinterste Seite ein längliches Viereck, eine geschlossene Bauernburg, die nach der Straße zu eine Toreinfahrt hat. Im Hofe dampft der duftende Dunghaufen, auf dem die Hühner scharren und ihr halbes Futter finden.

Viel Dung viel Korn, viel Korn viel Geld, viel Geld viel Ehr', pflegt Jep Hansen, der größte, reichste und angesehenste Bauer, zu sagen. Sein Gehöft erregt sofort durch seine imposante Größe die Aufmerksamkeit. Das Wohnhaus zwar ist alt und einstöckig, ein langes, niedriges Fachwerkgebäude, die Ställe und Scheunen jedoch haben eine solche Ausdehnung und Größe, daß der Bauernhof anderswo und ohne Scheu ein Rittergut sich nennen könnte. Wer durch die langen Ställe schreitet, muß unwillkürlich und erstaunt die gehörnten Häupter und die schweren Gäule zählen. In zwei Reihen stehen 118 Stück Vieh, und 17 Pferde rupfen das duftende Kleeheu aus den Raufen. Dieser Landbesitz, der Hylleruphof genannt wird, hat den Viehbestand und die Landfläche eines Rittergutes, aber der Besitzer, der 800 Morgen der besten Aecker und Weiden sein eigen nennt, will nur ein Bauer sein und mit Stolz ein Bauer heißen. Bauernhöfe von gleicher Größe und Güte sind in Nordschleswig keine Rarität.

Der kurze Wintertag – es ist der drittletzte Tag des Jahres 1846 – ist gar nicht recht hell geworden und geht schon in Zwielicht der langen Nacht entgegen. Aus dem Stalle, wo eine wertvolle Kuh soeben mit viel Not und Nachhilfe ihr Kälbchen zur Welt gebracht hat, stapft in plumpen Holzschuhen ein knochiger, mehr von der vielen Arbeit als vom Alter vornüber gebeugter Mann, der Wohl seine 60 Jahre trägt und manchen Sack Korn auf dem runden Rücken geschleppt hat. Seinem Aeußeren und allem Anscheine nach ein alter, treuer Hofknecht, der das Vertrauensamt des ersten Kuhfütterers versieht. Er schiebt die Mütze aus dem verrunzelten, wettergegerbten, von einem grauen Bartkranze umrahmten und seit dem Weihnachtsabend unrasierten Gesicht und kraut das dünne, über die Ohren gekämmte Haar. Die Kalbkuh, die nach der Geburt zu fiebern scheint, ist seine Sorge. Er kneift das eine Auge halb zu und blinzelt mit dem anderen, was seinem Gesichte einen verschmitzten Ausdruck gibt, denn er rechnet und redet mit sich selber. Hum, hum, der Tierarzt läßt sich jeden Gang mit einem Taler und sechs geschriebene Worte mit drei Kurantmark bezahlen, das ist ärgerliches und oft weggeworfenes Geld, und das Tierdoktorbuch, darin Bodil nachlesen kann, was gegen Milchfieber der Kühe zu machen ist, ist der billigste Tierarzt.

Der Alte, der einen Rock von selbstgewebtem Want und eine wildlederne Hose trägt, streift auf dem Hausflure die mit einem Strohwisch ausgepolsterten Holzschuhe von den Füßen und geht nach Domestikenart auf bloßen Strümpfen in das Wohnzimmer mit der blendend weißgescheuerten Diele, wo ein junges, hoch und kräftig gebautes Mädchen, das wohl durch sein frisches Gesicht, aber nicht durch seine unbäuerisch feinen Züge in die Umgebung hineinpaßt und durch seine prächtige, wahrhaft junonische Figur auf Schönheit Anspruch erheben könnte, ihn mit den energischen Worten empfängt: »Vater! Du mußt dich schnell anziehen, es ist höchste Zeit ... und dich rasieren!« Sie streicht mit der Hand über die Bartstoppeln hin, und das Streichen wird zum Streicheln und Schmeicheln.

Der alte Kuhfütterer in Holzschuhen, den man für einen Knecht hielt, ist der Herr von Hylleruphof, der mit manchem Rittergut nicht tauschen würde!

Jep Hansen, ein Mann von kerniger, zuweilen knorriger und kurioser Eigenart, war eins von den Originalen, die Anno 46 schon selten, aber noch nicht ausgestorben waren. Obwohl er eine mehr als dürftige Schulbildung besaß, nur mit Mühe seinen Namen malen konnte und beim Lesen alle langen Worte halblaut buchstabierte, war er, soweit sein geistiger Horizont reichte, ein weltkundiger und kluger Bauer, der durch angeborenen Mutterwitz, offne Augen, gesundes Urteil die fehlende Schul- und Buchweisheit ersetzte und alle Bauern in Hyllerup überragte. Sogar die beiden, die von einigen und zumeist von sich selbst für die Intelligenzen des Dorfes gehalten wurden, den Danebrogsmand Hans Peder Sjöberg und den Bauernsohn Rolf Krake Hansen, der auf Seeland ein halbes Jahr Verwalter gewesen war und seitdem nur hochdänisch sprach, hat Jep häufig durch dummlistige »schweinspolitsche« Fragen aufs Glatteis oder ad absurdum geführt. Der Pastor Fangel in Hyllerup hatte seine Freude an dem Alten und pflegte zu sagen, Jep Hansen sei der einzige Bauer, der eine wirkliche Unterhaltung zu führen verstände.

Der Großbauer, der sein einziges Kind, die stattliche und städtisch gekleidete Bodil, halb liebevoll, halb listig anblinzelt, holt sein Rasierzeug aus dem Wandschranke, der zwischen den zwei Alkovenbetten in die Wand gebaut ist und die allerverschiedensten Dinge – Tabak, Pfeifen, Karten, Almanach, Gesang- und Tierdoktorbuch, einen Briefsteller, die Bibel, das sechste Buch Mosis und andere Raritäten – birgt, strammt mit der einen Hand die Lederhose und streicht das Messer ab. Nachdem er die Waschseife – von einer anderen und neumodischen Rasierseife will sein sparsamer und konservativer Sinn nichts wissen – endlich zum Schäumen gebracht und sein Gesicht eingeseift hat, stellt er sich in den Fensterwinkel, wo keiner ihn anstoßen oder stören kann, und ohne einen Spiegel zu benutzen, nur auf sein Tastgefühl sich verlassend, kratzt und schabt er die Stoppeln am Kinn und an den Ohren fort, je und dann mit einer schmerzhaften Grimasse, aber mit großem Stoizismus die Marter ertragend. Der Alte tupft mit dem Finger und schmunzelt befriedigt – so weit ist die Sache wohl geraten, ohne Blessur und Blutverlust. Jedoch die eingefallenen, von Runzeln durchfurchten Backen kann seine Hand nicht mehr allein ohne Hilfsmittel und Handreichung bewältigen. Er winkt der Tochter und reicht ihr den bereit liegenden Löffel, den sie ihm flink in den Mund steckt und unter die Wange schiebt. Jep barbiert sich selber über den Löffel, den Bodil hält, und bald sind die aufgeblähten Wangen glatt und sauber.

Die Tochter schaut erwartungsvoll aus dem Fenster und ungeduldig den Vater an. »Es dunkelt schon .... Pastors wollten in der Dämmerung kommen und werden pünktlich sein. Um des Himmels willen, zieh' den Sonntagsrock an und die scheußlichen Hosen aus!«

»Was hast du an meinen Lederhosen auszusetzen? Wer trägt so durable und teure Beinkleider in ganz Hyllerup? Acht Speziestaler haben sie mir gekostet, aber die Unverwüstlichen halten bei meinen Lebzeiten und noch länger vor.« Er klatscht mit der Hand auf die wildlederne Hose, die er nach seiner Idee hat anfertigen lassen, und daran er mit ganzem Herzen hängt.

Die Tochter freilich hegt entgegengesetzte Gefühle und hat beinahe einen Haß auf die Unaussprechlichen geworfen und sagt mit Nachdruck: »Die alten, fettig glänzenden, schmierigen Hosen ziehst du mir aus! Mach schnell, Vater!«

Jep brummt vor sich hin: »Ich hatte es besser, als deine selige Mutter noch lebte ... da war ich Herr auf Hylleruphof, und alles gehorchte mir ... jetzt muß ich auf meine alten Tage das Gehorchen lernen und Order parieren.«

Die Tochter, die den Alten, der sich gern und gar zu arg in seinem Aeußeren gehen läßt, abzuschleifen und aufzuputzen bemüht ist, streichelt sein dünnes Haar, doch die Liebkosung ist gleichzeitig ein Zurechtlegen und Glätten des unordentlichen Scheitels. »Ich habe nichts zu befehlen, ich bitte nur, lieber Vater ... ziehe dich proper an, wie es sich schickt, wenn man Gäste geladen hat!«

Jep schlendert auf Strümpfen ins Schlafzimmer – auch die schönen Alkoven hat Bodil als ungesund außer Gebrauch gesetzt –, redet halblaut und rächt sich für seinen Gehorsam durch eine kleine Bosheit: »Hier ist ja eine Aufregung, als wenn Seine Majestät Christian VIII. nach Hyllerup käme. Ja ja, weil der Student Fangel, der jetzt zum Kandidaten avanziert ist, unser Haus beehrt, mußt du dich selbst und deinen alten Vater zum Affen aufputzen.«

»Wa-a-s sa-agst du?«

»Ich spreche mit mir selber und sage nichts.«

Bodil ist allein in der Stube und bleibt, erst feuerrot, dann blaß und die Lippen verbissen, auf derselben Stelle unbeweglich stehen. Sie steht da, wie geblendet von einem plötzlichen Lichtblitz. Die maliziöse Bemerkung des Vaters war der Blitz, der das dämmrig Unbewußte ihrer Seele grell belichtet und erhellt hat. Fühlt sie darum eine vibrierende Unruhe in ihrem ganzen Wesen, weil der Kandidat heute mit seinen Eltern kommt? Wie gleichmütig blieb sie sonst, wenn Pastors einen Abendbesuch machten!

Die jähe Selbsterkenntnis ist zuerst ein Scheuen und Bangen – zuletzt aber hat das junge Mädchen ein unsagbares Glücksgefühl, als wenn es laut singen müsse.

Jep Hansens Tochter ist nicht sentimental und singt nie in Gegenwart des Gesindes, das sie noch besser als der Vater in Respekt zu halten weiß. Die Leute nennen sie stolz, rühmen aber ihre Gerechtigkeit in allen und ihre freundliche Fürsorge in Krankheitsfällen, loben auch mit einem Munde die vortreffliche Kost auf Hylleruphof. Faule und unzuverlässige Domestiken verschwinden bald wieder vom Hofe, still und unauffällig, ohne Gezank und Geschelte. Noch nie hat eine Magd gewagt, der Jungfer eine freche Antwort zu geben. Viele Dienstboten aber sind auf Hylleruphof alt und grau geworden, die Köchin hat Klein-Bodil in der Wiege geschaukelt, der Stallknecht, der Kuhfütterer und vier Tagelöhner dienen seit mehr als zwanzig Jahren demselben Herrn.

Die junge Hausherrin schaut in der Küche nach dem Wildbret und Geflügel, das auf dem offenen, riesigen Herde auf Holzscheiten brät. Eine Magd nimmt den Ginsterbesen, um den erhaltenen Befehl auszuführen, und kehrt den Neuschnee von dem Fußsteige, der von der Haustür bis zur Dorfstraße geschaufelt ist. –

Als das Jahr 1846, das nur noch drei Tage bis zu seinem letzten Sylvesterstündlein hatte, zur Rüste ging, war viel Schnee, der zwischen den Knicks oft in haushohen Wehen, ja Wällen lag, gefallen. Das lehmgraue, tauschmutzige Land hatte noch eben rechtzeitig zum Feste sein schönes, weißes Winterkleid angezogen, um das liebste und schönste Fest des Jahres zu feiern.

In Nordschleswig nämlich wurde das Weihnachtsfest gar ausgiebig und gründlich, nicht nur an zwei Festtagen, sondern zwölf, ja vierzehn Tage lang nachtaus nachtein gefeiert. Rührte die Sitte, die oft zur Unsitte wurde, noch von den heidnischen Urvätern, von jenen nordischen Recken und Roßfleischessern her, die den Juleber schlachteten und die heiligen Zwölfnächte zu Odins und Asathors Ehre in endlosen und wilden Metgelagen durchtobten? In Hyllerup war Anno 1846 kein Hof und kaum eine Hütte, die nicht ihren Juleber, d. i. ihr Weihnachtsschwein, geschlachtet hatte. Und am heiligen Christabend hub ein schier unglaubliches und dauerhaftes Schmausen an. Die ganze Zeit vom Heiligabend bis zu den heiligen drei Königen war eine ununterbrochene Fest-, Eß- und Trinkzeit, wo nur die notwendigste Arbeit, um das liebe Vieh zu besorgen, verrichtet wurde, wo nicht nur der Bauer, sondern auch das Gesinde bis zum letzten Hofjungen herunter tagaus tagein in Weißbrot, Jul- und Apfelkuchen, in Reisgrütze, Rippespeer und Schweinebraten schwelgte.

Die Bauern machten in dieser Zeit die sogenannten Julbesuche, so daß die Gasterei gewissenhaft im ganzen Dorfe die Runde machte und jeder Hof eine gewaltige Esserei gab, wenn die Reihe an ihn kam. Abend für Abend, sobald es dunkelte, leerten sich die Häuser, und alle Bauern versammelten sich mit Weib und Kind bei dem Hofbesitzer oder Hufner, der heute Julbesuch hatte, ganz Hyllerup lebte herrlich und in Freuden zwei Wochen lang, bis der letzte seinen Schmaus gegeben hatte.

Allerdings blieben die Kastenunterschiede streng gewahrt, die großen und die kleinen Hofbesitzer, die Kätner und die landlosen Leute ohne Kuh waren die vier Kasten, die bei den Julbesuchen strikt und peinlich ihre eigenen Kreise bildeten. Leider artete die allzulange Feier oft aus, und einige Pastoren Nordschleswigs hatten kräftig-heftige Moralpredigten gegen die Kartenspielerei und Kaffepünscherei der heidnischen Julfeier und Julbesuche, aber mit wenig Erfolg, gehalten.

Pastor Fangel, der seit mehr als zwanzig Jahren in Hyllerup amtierte, war kein Gesetzeseiferer und Kanzeldonnerer, noch weniger aber ein sogenannter volkstümlicher, witzboldiger Pastor, der mit dem eisernen Bestande seiner Anekdoten die Gemeinde zum Lachen bringt, bis er selbst verlacht wird, sondern ein maßvoller und geachteter Mann. Er machte keine Julbesuche, wurde aber von den zwei oder drei größten Hofbesitzern zu einem sogenannten Bratenbesuch eingeladen und hatte heute Jep Hansens Invitation angenommen.

Die Gäste schritten auf dem schmalen Steige paarweise über den Hof. Pastor Fangel, ein gemessener, aufrechter Sechziger im Biberpelz – noch ein Erbstück vom Vater, dem Senator, her – führte seine Gattin, eine rechte, behäbige, gutherzige, gemütvolle, eine äußerst propre und etwas redselige Pfarrfrau, die stets von allen kleinen und kleinsten Dorfereignissen unterrichtet war, ohne je in Klatscherei zu verfallen; denn sie sagte nicht alles, was sie wußte, weiter, wußte aber schlechthin alles, was in Hyllerup geschah.

Klaus, der ältere, und Heimreich, der jüngere Sohn, unterhielten sich eifrig; der mit dem sanften, anheimelnden Namen war ein forscher, fast burschikoser Herr mit einem kecken Schnurr- und Spitzbart und lebhaften, braunen Augen. Er redete von dem, was des ganzen Landes Gespräch und Sorge seit Monaten war, und gestikulierte heftig. »Warum hat denn der Offene Brief vom 8. Juli dieses Jahres einen solchen Gemütsaufruhr in ganz Schleswig-Holstein hervorgerufen? Warum ist in Volksversammlungen und Adressen an den König-Herzog einmütiger, eindrucksmächtiger Widerspruch erhoben worden? Warum haben die schleswigschen und die holsteinischen Stände sofort mannhaften Protest gegen diese königliche Kundgebung und sogar beim Deutschen Bunde Beschwerde erhoben? Weshalb haben die Glücksburger und der Statthalter, der Schwager des Königs, der Prinz von Noer, auf der Stelle ihre Aemter niedergelegt? Weshalb schreit das ganze Land entrüstet auf: Nicht wahr, Herr König-Herzog! Nein und tausendmal nein! Die dänische Sukzession gilt nicht in Schleswig, geschweige denn in Teilen Holsteins! Die Herzogtümer haben die männliche Erbfolge, und der Herzog von Augustenburg ist der Erbe ihrer Herzogskrone, sobald der letzte Oldenburger ...«

»Ja, das wissen wir lang auswendig, das hören und lesen wir hundertmal in der Woche, daß es zum Halse heraushängt und zum Ueberdruß wird,« unterbrach der ältere Bruder mit einem trockenen, irritierenden Lächeln.

»O das muß noch viel lauter und ungestümer gesagt, geschrieben, geschrien, gedonnert und gewettert werden: Das alte, gute, klare Recht soll gelten und nicht der neue Machtspruch des Königs. Den bestehenden Rechtsboden, wonach Schleswig und Holstein die männliche Sukzession haben, hat der listige Christian skrupellos verlassen, um durch den Gewaltakt des Offenen Briefes omni et urbi scheinheilig zu erklären, er habe es für seine landesväterliche Pflicht gehalten, durch eine Kommission alle die Erbverhältnisse betreffenden Dokumente zu prüfen, und durch diese Untersuchung die Ueberzeugung gewonnen, daß in Schleswig die Erbfolge des dänischen Königsgesetzes gesetzmäßig sei, während solches mit Rücksicht auf einige Teile Holsteins nicht bestimmt behauptet werden könne, doch werde sein Bestreben sein, den Gesamtstaat in seiner Integrität zu erhalten. O, der Offene Brief ist ein perfider Angriff auf unseres Volkes Freiheit und eine Revolution, ein Umsturz des bestehenden Rechts von oben, vom Throne her, aber der Offene ist freilich auch eine Offenherzigkeit des Königs, der seine geheimen Absichten und Ränke offenbart. Christian möchte seiner Schwester, der intriganten Landgräfin, und ihrem höchst unbeliebten Sohne Friedrich die Thronfolge hüben und drüben zuschanzen ...«

»Hat der König dir dies anvertraut?«

»Der König hat den Stein unabsehbaren Unglücks ins Rollen gebracht! Recht und Gerechtigkeit gehen dem Schleswig-Holsteiner über alles, wehe dem, der sein Rechtsbewußtsein verletzt! Das ist die Stelle, wo er sterblich und sehr empfindlich ist. Kennt der schlaue Christian die Cimbern nicht? Wir Holsten sind harte Köpfe und gewohnt, unser Recht mit dem Schwerte zu »verbidden«, d. i. zu verbeißen und zu verteidigen.«

Während Heimreich sich erregte, blieb sein Bruder sehr ruhig und stellte mit einem Anflug von Spott die beinahe beleidigende Frage: »Hast du den Offenen Brief gelesen?«

Jedes Kind, jeder Bauernknecht und Ignorant in den Herzogtümern kannte die Kundgebung, die wie eine Bombe einschlug, wie ein Brandalarm die Menschen aufregte. Kein Wunder, daß der Kandidat große und böse Augen machte. »Ich meine, ob du ihn richtig gelesen und richtig verstanden ... der König spricht in dem Briefe nur seine Ansicht und Ueberzeugung aus. Darf der Mann nicht eine Meinung und Ueberzeugung haben und äußern, so gut wie die lauten Schreier in Dänemark und Schleswig? Ansichten sind überall zollfrei. Von einem Gewaltakt, einer gewaltsamen Oktroyierung der dänischen Thronfolge kann absolut keine Rede sein, wenn der König seine Meinung ausspricht, auch nicht, wenn er den Wunsch hegt, alle seine Untertanen von der Richtigkeit seiner Ansicht zu überzeugen. Was dir recht ist, ist doch wohl dem König billig.«

Der Kieler Student, der nach kürzlich bestandenem Tentamen Kandidat sich nennen durfte, stutzte einen Augenblick, um heftig loszuschlagen.

»Christian VIII. hat bei seinem verschlagenen und vorsichtigen Charakter diesen Fuchsweg gewählt, um für alle Eventualitäten sich eine Hintertür, einen Rückzug offen zu halten und schlimmstenfalls sagen zu können, er habe ja nur seine Meinung gesagt. Wie feinfalsch ausgeklügelt! Als unser Entrüstungssturm losbrach, hat er in der Tat ihn mit nichtigen Beschwichtigungen zu dämpfen versucht, aber kein Tüttelchen zurückgenommen. Und in der Ansicht eines Königs und Landesherrn liegt auch die Absicht, in der harmlos tuenden Ansicht liegt die versteckte, böse Absicht, unsere Rechte mit einem Federstrich zu annullieren, unsere staatliche Selbständigkeit zu rauben, und als letzte Absicht, die deutschen Herzogtümer zu einer dänischen Provinz zu machen. Dagegen kämpfen wir mit Wort und Feder, und wenn es sein muß, mit Flinte und Schwert.«

»Um Gotteswillen! Spiele nicht mit dem greulichen, gotteslästerlichen Gedanken eines Bruderkrieges!« rief Klaus, aus seiner phlegmatischen Ruhe gerissen, »ich betrachte die Sache mit der sogenannten Objektivität .... allzu viel Geschrei, Unsinn und Unrecht und gräßlich viel Uebertreibung ist auf beiden Seiten. Himmel! Solange der König und der Kronprinz am Leben sind, also voraussichtlich in den nächsten vierzig Jahren kommt die Erbfolge gar nicht in Frage. Ein Zank um des Kaisers Bart! Die Leute nach vierzig Jahren werden so aufgeklärt und praktisch sein, daß sie sich den Teufel um kognatische und agnatische Erbfolge quälen, sondern den König wählen, der die wenigsten Kosten macht und die wenigsten Steuern fordert. Das ist mein Standpunkt: Ich halte mich neutral! Und mein Wahlspruch: Nimm es mit Ruhe, Pedersen!«

Der jüngere Bruder erwiderte sehr scharf: »Nein, für oder wider, warm oder kalt, fix oder nichts! Nur die Schwächlinge unter den Nationen und Menschen bleiben neutral! Wo es des Vaterlandes Wohl und Wehe gilt, wird nur ein Schläfriger ruhig und ein Klägling parteilos bleiben.«

»Wa-as sagst du? Heimreich ... vergiß dich nicht!« sprach Klaus nachsichtig, »ein anderer wäre, und das mit Recht, böse geworden ... aber ich vergesse mich nicht, ich Charakterschwächling kann, Gott sei Dank, mich selbst und meinen Mund beherrschen.«

Pastor Fangel kehrte sich um. »Warum zanken sich meine Söhne auf dem Wege, wie Josephs Brüder? Solche Diskussionen hören hier an der Schwelle auf, und alle politischen Fragen müssen heute abend unerörtert bleiben.«

»Gewiß, gewiß, ja unbedingt,« antwortete Klaus, trat seitwärts in den Schnee und öffnete höflich den Eltern die Tür.

Dieser Sohn hatte eine mittelgroße, kräftige Figur, ein angenehmes, etwas alltägliches Gesicht mit der gesunden Agrarierfarbe, hatte einen ganz kleinen Stich ins Bäurische und eine starke Aehnlichkeit mit einem barschbiederen, befehlsgewohnten Gutsinspektor. Er war in der Tat gelernter Landmann, verleugnete seinen unstudierten Stand nicht, sondern nannte sich mit einer gewissen Ostentation, besonders in Gegenwart des Bruders, einen Bauer oder gar einen dummen Bauer.

Klaus hatte nämlich auf der alten Gelehrtenschule in Hadersleben einige Jahre verstudiert und es trotz seines enormen Fleißes nicht weit gebracht war dann zu seinem Aerger von der Schule fortgenommen und auf dem Gute des Herrn von Qualen als Landwirt ausgebildet und angelernt worden. Vor Jahresfrist hatte er durch genaue Rentabilitätsberechnung den Vater dazu bewogen, die bedeutenden Pfarrländereien – 360 Morgen – nicht wieder zu verpachten, sondern in Selbstbewirtschaftung zu nehmen. Klaus war nicht Pächter, sondern selbständiger Verwalter des Pfarrhofes, so daß drei Fünftel des die bisherige Pachtsumme übersteigenden Reinertrages als Tantieme in seine Tasche flossen und der Pastor die Anschaffungskosten des Inventars und jedes Risiko übernahm. Er hatte mit dem Gelde des Vaters 7 Pferde und 32 Kühe gekauft, erzielte gute Erträge, war von der Morgenfrühe an auf dem Posten und wollte allen zeigen, wozu ein ungelehrter und entgleister Pastorsohn zu gebrauchen sei. Nebenher wollte er – vielleicht war das die Hauptabsicht – still-beharrlich und sparsam das Geld für ein eigenes Gütlein sammeln, denn er machte die Wahrscheinlichkeitsberechnung, daß sein lieber Vater noch 10 bis 15 Jahre leben könne. Im Rechnen war Klaus nie schwach gewesen. Die trotz seines Ehrgeizes erfolglose Gymnasialzeit saß noch immer wie ein kleiner Stachel in seiner tiefuntersten Seele, die dazumal nicht frei von Neid gewesen war, als sein jüngerer Bruder ihn auf der Schule ein-, ja überholte. Heimreich war einer von den Starkbegabten, hatte alle Klassen rite und rechtzeitig erledigt, hatte den oft und laut geäußerten Wunsch der Mutter, die lang und still gehegte Hoffnung des Vaters erfüllt, die Theologie als Studium gewählt, das sogenannte Tentamen bestanden und das Recht, Kandidat sich zu nennen, rechtmäßig und recht leicht sich erworben. Den pastoralen Kandidaten-Menschen hatte er allerdings noch nicht angezogen, denn in seinem Aeußern – dem braunen, modischen Rock, der bunten Kravatte, dem kecken Schnurr- und Spitzbart, dem hochfrisierten Haar – ähnelte er weit mehr einem vornehmen Studio, als einem wohlehrwürdigen Kandidaten im schwarzen, schlecht sitzenden Tuchrock.

So eindringlich und weithin hörbar die Brüder miteinander gesprochen, so gedämpft und leise, ja fast diskret hatte das Gespräch des letzten Paares geklungen. Die einzige Schwester, Hilde Fangel, die keine Schönheit war und noch weniger sein wollte, aber durch ihr herzgewinnendes Wesen, ihr sonnig-sanftes, unendlich sympathisches Lächeln sehr oft schön wurde, sprach freilich fast nur mit den blauen, seelenvollen Augen, bald mit einem fragenden, erstaunten, ungläubigen, bald mit einem scheuen, erschreckten, abweisenden und dann zuletzt doch mit einem ängstlich großen, glücklichen Blick. Worte, wie sie heute neben ihr geraunt wurden, hatte ihr unerfahrenes Ohr noch nie zuvor vernommen.

Kunz Reuter, der ein lustig leichtherziger Student war, aber auf seinen Karten stolz Kandidat der Medizin sich titulierte, den Heimreich für einen seiner besten Freunde hielt und in den Weihnachtsferien mit nach Hyllerup genommen hatte, redete im leidenschaftlichen, aber vorsichtigen Flüsterton, so daß die Voranschreitenden nichts verstehen konnten, auf das junge, beklommene Mädchen ein.

»Ich kenne meine Bibel wie ein Theologe! Sonne, steh' still zu Gideon und Mond im Tale Ajalon! So möchte ich mit dem guten Josua den Gestirnen und der Zeit kommandieren. Diesen herrlichen Weihnachtsferien, die von dannen fliegen, werde ich ein »Stillgestanden« zurufen.«

»Warum denn?« fragte die Kleine einfältig-listig. »Wenn ich was zu sagen hätte, so würde ich dem dunklen Mittwinter befehlen: Mache dich flink und flugs von dannen, du trister Gesell, damit der prächtige Lenz und der schöne Sommer mit den langen Tagen und den hellen Nächten einstellen kann!«

»O, ich hab' bisher noch nie ein Weihnachtsfest gefeiert...«

»Was? Ich hab' Ihr Alter auf mindestens 23 Winter und Weihnachtsfeste geschätzt,« rief Hilde mit possierlichem Ernst und Erschrecken.

Reuters Emphase nahm schnell noch ein paar Stufen. »Ich hab' mein erstes, wahres Weihnachtsfest hier bei Ihnen gefeiert.«

»Bei uns? Ach, was haben wir auf dem Dorfe dem Stadtherrn zu bieten?«

»Bei Ihnen – Ihnen groß geschrieben! Hier ist die tiefe, stille Freude, der wahre Friede, das höchste Gut, das ich aus Büchern und Scharteken scharren wollte, in der faden Wissenschaft, im öden Weltvergnügen, in tausend törichten Träumen vergebens suchte, hier ist das Glück, das Glück zu Hause.«

Ihr Blick erschrak.

Kunz stampfte den Schnee, den weißen, schuldlosen. »Ach, bald muß ich nach Kiel zurück. Stillgestanden, du fröhliche, selige, himmlische Zeit, stillgestanden! sage und schreie, befehle und bete ich armer Josua. Wenn ich mit der leidig langweiligen Post nach Flensburg fahre, werde ich in regulären Trübsinn – mania melancholica – verfallen...«

»Dann ist zum Glücke Schleswig mit seiner Irrenanstalt nicht fern.« Heimreich war der böse Horcher und Hörer.

»Du willst aus dem Erhabenen ins Lächerliche mich stürzen.« Kunz blieb unverfroren, besonders als die Pastortochter mit einem langen, lieben Blick ihn tröstete.

»Ist die Heimfahrt so trist? Nehmen Sie keine angenehmen Erinnerungen mit?«

Hilde wurde feuerrot, denn sie hatte etwas gesagt, was sie gar nicht sagen wollte oder sagen durfte.

»Ich nehme Sie mit!« Kunz, der Kühne, sprach das lapidarische Wort und schwieg, um es voll und ganz wirken zu lassen.

Sie duckte sich und guckte scheu nach oben, wie eine Taube, die in der Höhe einen großen, herrlichen, aber habichtähnlichen Vogel erblickt.

Der Schwerenöter wußte genau, daß er ein schmucker, fideler Bursch und ein flotter Kerl sei, er wußte seit heute oder gestern ebenso gewiß, daß er sich verliebt habe und ohne die kleine Pastortochter mit dem engelhaften Lächeln nicht leben und nicht sterben könne.

Die Gäste wurden im backsteingepflasterten Flur von Bodil Hansen empfangen, aus den Hüllen herausgeschält und in den Pesel – das vierfenstrige, saalartige und darum noch niedriger scheinende Zimmer des Hauses – geführt. Sehr dörflich, ja dürftig war das Mobiliar. Um einen ungestrichenen, weiß gescheuerten, linnenweiß gedeckten Eichentisch standen Holzstühle mit strohgeflochtenem Sitz – derbe, dauerhafte Heimarbeit –; ein hölzernes Kanapee – auf deutsch eine Langbank mit steifer Lehne –, dessen Härte durch Kissen gemildert war, bildete den Ehrensitz, der dem Pastor und seiner Frau zugewiesen wurde. Eine umfangreiche, plumpe Schatulle, ein paar Truhen zwischen den Fenstern, ein einziges und einsames Bild des hochseligen Königs im roten Rock, Friedrichs VI., das an der ungeheuren, getünchten Wandfläche zu hängen schien, um die Aermlichkeit der Einrichtung zur Geltung zu bringen! Jep Hansen, mehr ein Kauz als ein Geizkragen, duldete nicht, daß neumodische Sachen angeschafft würden, und Bodils Bitten und Beschwerden hatten in dem Punkte nicht vermocht, seinen konservativen und schrullenhaften Eigensinn zu besiegen. Der alte Bauer wollte mit einer gewissen Ostentation die große Einfachheit und Armut der alten Zeit fest, hoch und in Ehren halten, vielleicht sollte auch die auffallende Dürftigkeit der Wohnung seinem allbekannten Reichtum ein wenig als Kontrast und Folie dienen. Jep freilich protzte nie mit seinem Gelde, sondern vielmehr mit seiner Scheinarmut und haßte neumodischen Prunk und Luxus. Nur im Essen war er der Altvätersitte untreu geworden, sofern er nicht an Speck und Grütze Genüge, sondern an den neuen, leckeren Gerichten der Tochter Wohlgeschmack und Wohlgefallen fand.

Der Hausherr kam aus dem Schlafgemach, streifte seine Tochter mit einem verschmitzten, still triumphierenden Blick und begrüßte die Gäste. O du meine Güte! Er hatte den guten Tuchrock angezogen, aber die Wildledernen anbehalten! Oben der festlich schwarze Rock und unten die grauen, gräßlichen, fettglänzenden Hosen! Das gab dem Alten eine gewisse Aehnlichkeit mit einem komisch ausstaffierten Zirkusklown. Bodil ärgerte sich schwer, schwieg aber wohlweislich, damit die Unaussprechlichen möglichst wenig beachtet würden. Aber der Vater! Der schlug sich laut auf den Schenkel, um es recht auffallend und die Leute aufmerksam zu machen.

»Es wird Sie nicht genieren, Frau Pastorin, daß ich meine Lederbüxen anbehalte? Die sind nämlich mein Stolz, kein zweiter im ganzen Amte Norderhusen hat so schöne, so unzerschleißbare, ewige Hosen ... die überdauern mich!« – Noch ein Klatschen auf den Schenkel und ein Knalleffekt! – »Die Büxen wird mein Enkel erben und noch zwanzig Jahre lang auftragen.«

Die Tochter wurde ganz rot und flau, besonders als Reuter sofort die Anspielung aufgriff. »Der Enkel setzt einen Schwiegersohn voraus ... wer ist der – Kandidat für den Eidam-Posten auf Hylleruphof?« Er blickte die beiden jungen Fangels frech an. Weil er draußen auf dem Flure einen festen, den Schnee abstampfenden Tritt hörte, fing er zu trällern an: »Der Eidam kommt, der Eidam kommt, der Eidam ist schon da.« Just in dem Augenblick trat noch ein Gast, der Bauernsohn Eskild Thorö, über die Schwelle und wurde infolge des Geträllers mit einem schallenden Gelächter empfangen.

Eskild, ein vierschrötiger, robuster, reckenhafter Mann mit einem gutmütigen Gesicht, war ein kreuzbraver, etwas eckiger und schüchterner, aber durchaus nicht einfältiger, sondern aufgeweckter Mensch. Natürlich wurde er höchst verlegen, weil er glauben mußte, daß man über ihn oder irgend etwas an seiner Person so unbändig lache. Der bis zu den Ohren feuerrote Riese stutzte, blieb an der Tür stehen, betrachtete unsicher die Gesellschaft und eingehend seine Person und seinen Anzug. Als er nichts finden konnte, stürzte er mit einer mutigen Verzweiflung vorwärts, stürzte er sich auf die Anwesenden, um allen der Reihe nach die große Hand zu reichen. Als er Hildes Händchen umschloß, zitterte seine Tatze ein klein wenig, und aus seinen hellblauen Augen irrte ein gleichwie bittender Blick – lache du mich nicht aus – über ihr freundlich lächelndes Gesicht. Schnell sagte sie: »Wir lachen nicht über Sie, sondern über einen dummen Witz dieses gescheiten Herrn.«

Da Eskild jetzt an Reuter herantrat, zögerte er eine halbe Sekunde, wie im Zweifel, ob er diesem Herrn die Hand drücken wolle oder solle. War das jener unergründliche Instinkt, der auf den ersten Blick Sympathie oder Antipathie erzeugt? Flüchtig umfaßten seine harten Finger die feine Hand des fremden Studenten, der in jeder Beziehung sein Gegenstück war.

Auf dem Tische brannten zwei blitzblank strahlende, jedoch ein recht trübes Licht spendende Rüböllampen. Doch sechs dicke Kerzenlichter wurden verteilt, und Jep bemerkte: »Das sind die neuen, die man nicht zu schneuzen braucht ... mehr Licht, schreit alles! Aber das viele Licht blendet und macht die Leute blind und dummkollerig ... bei der alten Tranfunsel blieben die Augen gesund ... und bei den neuen Nichtschneuzern fallen die Ösel herunter und brennen Löcher ins Tischtuch. Meine Tochter hat sie eingeführt.«

Die Pastorin bemühte sich umsonst, an der ungeschickten Lehne des Ehrensitzes einen Rückhalt zu finden, bis Bodil herbeieilte und den hohlen Raum zwischen Kanapee und Rücken mit Kissen ausstopfte.

Neben dem Pastor saß der Hausherr in seinem tief eingedrückten Strohstuhl, der sich seinem Sitzfleische sichtbar angepaßt hatte und sein ausschließliches Eigentum war, so daß er in keinem andern Stuhle bequem sitzen zu können behauptete und glaubte. An dem Tischende, wo sie der Küchentür am nächsten war und die aufwartenden Mägde durch Winke leiten konnte, hatte Bodil ihren Platz und forderte die Gebrüder Fangel mit einer Handbewegung auf, sich rechts und links niederzulassen nach eigner Wahl und ohne Rangstreit. Heimreich sprach brüderlich: »Willst du zur Rechten, so will ich zur Linken.« Der ältere Bruder setzte sich links und sagte bescheiden: »Ich bin ja nur ein Bauer und du ein gelehrter Kandidat. Ehre, dem Ehre gebührt!« Er lachte zwar herzlich, betonte aber sein Bauerntum zu oft.

Hilde Fangel hatte auch zwei Tischherren, von denen der eine, Kunz Reuter, aus dem hundertsten ins tausendste schwatzte, während Eskild kaum zehn Worte sprach. Fade Redensarten, Phrasen und Komplimente fehlten ihm, aber was er sagte, hatte Sinn und Kern, und seine trocknen Bemerkungen trafen oft den Nagel auf den Kopf.

Obgleich das Tischgerät sehr einfach war und die Servietten – zum Schmerz der Tochter – fehlten, gab es ein vortreffliches, herrschaftliches Essen, Rehrücken mit Rahmtunke und zartes Entengeflügel, auch eine Überfülle von eingemachten, köstlichen Früchten. Kam der Pastor einmal zu einem Bratenbesuch, so tischten die Bauern auf, und Jep Hansen wollte wissen und zeigen, daß er der größte Bauer in Hyllerup sei.

Vor dem Gedeck des Pastors stand sogar eine Flasche Rotwein. Jep schenkte den älteren Gästen und sich selbst ein Glas ein, benahm sich nicht bäurisch und unterhielt sich in launiger Weise, wobei seine »schweinspolitschen« Augen vergnüglich blinzelten. Freilich das Entenbein, an dem noch viel schönes Fleisch saß, packte er zuguterletzt mit drei Fingern und zehn kerngesunden Zähnen energisch an; aber er entschuldigte sich höflich: »Gestatten Sie, Herr Pastor, daß ich meine Naturgabel gebrauche! Bodil bedroht mich allerdings mit bösen Augen, aber Bauer bleibt Bauer und ein alter Köter lernt keine Kunststücke.«

Die Tochter hatte die Brauen hochgezogen und durch Blicke und Blinken den Vorgang nicht verhindert. Als der Vater jetzt seine Finger an den Lederhosen abwischte, seufzte sie leise und schaute sich schnell um, ob es bemerkt werde.

Kunz grinste und tickte seine Nachbarin mit dem Fuß an, um sie aufmerksam zu machen. Mehrfach während des Mahles versuchte er diese Unter-Tisch-Unterhaltung, jedoch nur mit dem Erfolge, daß Hilde beide Füßchen tief unter ihrem Stuhl versteckte und stark die Stirn runzelte. Eskild merkte instinktiv eine Ungehörigkeit und richtete die ehrlichen, eindringlichen Augen so eigentümlich auf den lustigen Mediziner, daß dieser die Lippen schloß und die Lider senkte.

Der Hausherr fragte: »Sie halten ja den »Altonaer Merkur«, Herr Pastor, was bringen die Zeitungen Neues zum neuen Jahr?«

Fangel aß bedächtig den Rest der kandierten Birne, ehe er antwortete: »Immer der alte Streit, der seit dem unglücklichen »Offenen Briefe« die Parteien in Atem und Aufregung hält ...«

»Warum unglücklich?« rief eine recht scharfe Frauenstimme über den Tisch; und die Jungfer Hansen fügte mit Nachdruck hinzu: »Die klare Kundgebung des Königs ist von der dänisch redenden, d. i. von der weit überwiegenden Mehrheit der Monarchie dankbar begrüßt worden.«

Schnell sagte der Pastor: »Wir wollen das garstige Lied der Politik nicht weiter singen.«

»Nein, denn jeder singt es nach seiner eignen Melodie, und das gibt Dissonanzen, wie meine Tochter sagt, das gibt eine greuliche Katzenmusik als Tafelmusik, wie ich mich ausdrücke. Nach meiner Ansicht soll alles beim Alten, der König in Kopenhagen unser Herzog und jeder bei seinem Leisten bleiben, nur die Steuern müssen ermäßigt werden. Was sind das jetzt für andre Zeiten als vor dreißig Jahren! Weizen und Roggen haben einen netten Preis, die fetten Ochsen gelten fünfzig Speziestaler in Hamburg, wir müssen zufrieden sein und Gott danken, dem König die Abgaben und dem Pastor das Festopfer zahlen.« Das war Jep Hansens Politik.

»Mögen wir unsren König-Herzog Christian VIII. noch viele Jahre behalten!« sagte der Pfarrer aus ehrlichem Herzen, setzte aber ebenso aufrichtig hinzu: »Mir bangt vor dem Tage, wo er die Augen schließt, und vor dem Regiment seines Nachfolgers, des letzten Oldenburgers, der kein Vertrauen einflößt und nach seiner bisherigen Lebensführung seinem edlen Geschlecht und seinem hohen Stande wenig Ehre macht.«

»Ja, das weiß Gott!« rief der Bauer unverblümt, »wenn der Kronprinz nicht mit einer Krone auf dem Kopfe, sondern als Bauernsohn geboren, jedenfalls wenn er mein Sohn wäre, hätte ich ihn längst als Taugenichts nach Amerika geschickt. Sein Vater hat es in jungen Jahren an der Rute und der rechten Zucht fehlen lassen, der Prinz Friedrich erregte schon mit achtzehn Jahren durch seine lüderlichen Streiche Ärgernis. Die Seitensprünge seiner Jugend könnte man verzeihen, denn vor einem Prinzen kriechen alle Schubjacks, aber wenn ein Mann mit vierzig Jahren noch nicht seinen Verstand hat, sondern zweimal von einer armen Frau, von zwei verprügelten Prinzessinnen, geschieden wird, so gebe ich keinen Pfefferling und keine Pfeife Tobak für ...«

Die Tochter unterbrach ihn: »Vater, rede nicht so unvorsichtig! Übrigens ... der lustige Prinz Heinz von England wurde als König mit einem Schlage ein andrer und ganzer Mann und einer der größten Regenten. Auch unser Friedrich wird sich plötzlich wandeln, wenn er erst die Krone trägt.«

»Ich wünsche es, aber ich glaube es nicht,« nickte der Pastor ernst. Und Heimreich sagte ironisch: »Er wird am Ende noch der dänische Friedrich der Große werden.«

Bodil war beharrlich. »Wer weiß! Vielleicht wird Dänemarks Geschichte diesen Friedrich und seine Zeit hoch preisen und groß nennen.«

»Wenn ich auch etwas wünschen darf,« sagte der Hausherr, »so will ich nur bitten und hoffen, daß wir unsern König Christian lange behalten und möglichst lange vor Friedrich VII. verschont bleiben. Christian ist ein stattlicher König ... sein Vorgänger, Friedrich VI., war ja ein volkstümlicher Herr, aber mit seiner hohen Schulter, dem hageren Körper und dem langen Alltagsgesicht alles andre als ein König ... er hat mir sogar die Hand gedrückt, als er in Hyllerup war und wir ihn zu Pferde einholten. Er schob sich in seinem roten Rock durch die Menge, blieb hier und da stehen und fragte neugierig die Leute aus, wobei er die Schulter hoch- und die Dorschlippe vorschob. In alle Kleinigkeiten steckte er die Nase, das Armenhaus, die Schule, sogar die Aborte revidierte S. Majestät und kostete mit einem Holzlöffel die Grütze der Alumnen. Ja, die war an dem Tage gut ... vier Pfund Butter hatte der Ökonom in den Kessel getan! Nun wollte der König unsre Spritze – die Spritzen waren sein Steckenpferd – in Funktion sehen; er kommandierte: »Das Pastorat brennt, die Feuerwehr heraus!« Wir spannten uns vor, zogen die Spritze in den Pfarrhof, legten den Schlauch bis an den Brandteich, legten, um unsren Untertanen-Eifer zu zeigen, mit aller Gewalt an der Pumpe los, so daß ein allzu starker Druck entstand. Der Spritzenmeister zielte nach dem Pfarrhaus und der dicken Mamsell im Fenster. Der König schnoberte mit der Nase am Schlauche herum, der nicht ganz dicht hielt. Los! Ach, vorne aus der Spritze kamen nur ein paar Tropfen. Aus Leibeskräften pumpten wir für König und Vaterland. Da – aus den Löchern und Ritzen des Schlauchs brach das Wasser in drei, vier hohen Fontänen, und mitten drin in den Springbrunnen der König, der gehörig begossen, gebadet und gelöscht wurde, den Kopf zwischen die Schultern nahm und lange Beine machte. Ich sehe ihn noch, wie er sich schüttelte, das Wasser aus dem Dreispitz schlenkerte und mit einem langen Fluch die Feuerwehr verfluchte. Das war die berühmte Spritzenprobe in Hyllerup.«

»Jetzt zünden wir die Pfeifen an!« Der Hausherr, der sich bisher hartnäckig geweigert hatte, Zigarren anzuschaffen und anzubieten, holte den Knaster und die Kreidepfeifen aus dem Wandschranke, während die Mägde den Tisch abräumten. Er brachte die langen, achtzölligen Phosphorstreichhölzer, die er lachend an den Lederhosen rieb und jedem reichte. »Siehst du, Bodil, meine Büxen sind zu allem gut.«

Mit Vergnügen strich er über seine Aversseite hin, um die Meerschaumpfeife, die der Pastor stets mitbrachte, in Brand zu setzen. Reuter zeigte eine seiner vielen Fertigkeiten und blies die regulärsten Rauchringe in die Luft; sein Freund wollte es nachmachen, hielt den Rauch im Munde und verschluckte ihn. Die Kunst endete mit einem Hustenkrampf des einen und einem Gelächter der andern. Bodil betrachtete fest den wohlehrwürdigen Kandidaten, der auf der Stelle das Ringeblasen unterließ.

Eskild Thorö, der nicht rauchte, schaute aus dem Fenster in die Winternacht hinaus, in Gedanken vertieft, hörte unter den vielen stets nur eine Stimme und ein Lachen heraus und kehrte sich schwerfällig, denn es war nicht leicht, sein Anliegen anzubringen und einzufädeln.

»Jungfer Fangel, es fällt viel Schnee.«

»Ja.« Ein freundliches Ja, obgleich es ihr eine sehr bekannte Tatsache war.

»Das ist gut für den Weizen, der unter der warmen Decke gegen den Frost sich schützt.«

»Ja.« Ein lebhaftes Ja, obgleich es ihr, der Dorfbewohnerin, nicht neu war.

Nun kam das fein Eingefädelte. »Der Schnee ist auch gut für die Schlittenbahn ... wir haben einen neuen Schlitten, den ich am Sonntag einweihe ... die vierjährigen Braunen spanne ich vor, und dann fliegen wir noch flinker als die neue Dampfbahn zwischen Hamburg und Kiel über den Schnee. Was meinen Sie dazu?«

»Das wird wohl schön sein ...«

»Ja, wenn ich Sie zu einer Rundfahrt über Terp und Faustrup abholen darf.«

Die Pastortochter erstaunte ob seiner Kühnheit. »Mich?«

»Ja, Sie und auch Ihren Bruder.«

»Mit großem Vergnügen ... jedoch unsren Gast, Herrn Reuter, müßten Sie auch mitnehmen.«

Der Bauernsohn blickte eigentümlich in die Luft und sagte stockend: »Für drei, hm ... wird nicht ... wird zur Not Platz im Schlitten sein ... wenn ich als Kutscher hinten stehe.«

»Abgemacht und schönen Dank!« Sie nickte und huschte zurück an Reuters Seite.

Eskild schaute wieder in die Nacht hinaus und hörte von allen nur eine Stimme und ein Lachen.

Die Punschterrine dampfte auf dem Tische, und das Gebäck der heißen, gefüllten »Pförtchen« duftete. Frau Fangel nannte das Getränk einen vortrefflichen »Bischof«, ließ sich die Ingredienzen der Mischung aufschreiben, um ihr Wissen zu bereichern, und die junge Gastgeberin fühlte sich sehr geehrt.

Jep schlürfte allzu hörbar aus seinem Glase und kniff das eine Auge zu. »Bloß keine Politik! Wer hier an diesem Tische politisiert, muß zwei Mark brüchen in meine Tasche! Jeder Schusterjunge und Kuhknecht, jede Köchin und Waschfrau, jeder Hans und Peter, jede Stine und Trine schwatzt heutzutage von Königsgesetz und Erbfolge, von Agnaten und Kognaten und versteht nicht mehr davon, als mein bester Ochse. Vor dreißig, vierzig Jahren war das anders, ... die Bauern bis Flensburg herunter sprachen ihr Kartoffeldänisch, das war unsre Muttersprache, die Beamten, die Pastoren, Richter, Ärzte jedoch redeten in ihrem Hause und unter sich deutsch, aber mit uns plattdänisch. Wenn mal ein waschechter Kopenhagener hier Anstellung fand, hörte das »Hvad behager?« – Was beliebt? – nicht auf, denn wir verstanden nicht sein Kopenhagener- und er noch weniger unser Kartoffeldänisch. Damals schrie kein Mensch hierzulande: Wir sind Deutsche! Und noch weniger: Wir sind Südjüten! Gott bewahre! Wir wollten Schleswiger, aber beileibe keine Jüten sein. Eine Landesgrenze, von den »Sackguckern« bewacht, war bei Kolding und Ripen. Die Jütländer kamen in großer Menge herüber und dienten als Knechte und Mägde hier, waren gutmütig und langsam, dickköpfig und dumm, aber fleißig und brav, wofern sie dreimal täglich ihre Schüssel Grütze bekamen. Kein Mensch wollte damals ein Jüte sei« ...«

»Es hat blitzwenig zu bedeuten, was ein einzelner sein mag oder nicht mag,« sagte Jeps Tochter sehr spitz. »Fest steht, daß die ganze Landbevölkerung und die größere Hälfte der Stadtbewohner dieses Landes seit Jahrhunderten die südjütische, dänische Mundart gesprochen hat und heute spricht ... zu welcher Gattung ein Volk gehört, bestimmt ausschließlich seine Sprache ... wenn, dieweil und sintemal wir südjütisch sprechen, sind wir Südjüten ... wer französisch spricht, ist ohne Zweifel Franzose ...«

»... Oder Schweizer!«

»... Wer englisch redet, ist Engländer ...«

»Oder Amerikaner, und das sind zwei sehr verschiedene Nationen! Liebes Fräulein Bodil, hier hat Ihre eigne Deduktion ein böses Loch.« Der Kandidat fiel ihr in die Rede, und die andern lachten.

Ein doppeltes Ärgernis bereitete es ihr, daß er, ausgerechnet er, der junge Fangel, die beißende Widerlegung bei der Hand hatte und den Tort ihr antat.

Ihre Stimme hatte einen schneidenden, ja schreienden Ton; was sie nicht beweisen konnte, behauptete und beteuerte sie nach Frauenart mit apodiktischer Energie: »Wir sprechen südjütisch, und wir sind Südjüten!«

Jep schlug sich auf die Lederhose. »Nee, ich für meine Person will kein Jütepott sein, ich bin und bleibe Nordschleswiger. Aber, meine liebe Bodil, wie ist es mit dir? Du sprichst ja hochdänisch und bemühst dich alle Tage, mein Dänisch ins Hohe und Feine zu verbessern ... danach wärest du ja Hochdänin und nicht Südjütin, denn was einer spricht, das ist er ja nach deiner Religion.« Er konnte sich die kleine Bosheit nicht verkneifen, plierte aber recht ängstlich nach seiner Tochter hin.

Bodil, von dem lieben Kandidaten widerlegt, von dem eignen Vater lächerlich gemacht, kochte innerlich, schwieg jedoch mit vornehmer Miene und mit großen, gekränkten Augen.

Heimreich schaute mit dem bittenden Blick »Sei mir nicht böse« in die gekränkten Augen hinein. »Bravo, Jep Hansen!« sagte der Pastor, »aus Ihnen redet der gesunde, nordschleswigsche Menschenverstand.«

Der Bauer nickte. »Wir haben genug Unvernünftige ... alle hadern und liegen sich in den Haaren. Vor dreißig, vierzig Jahren redete hier kein Mensch von der Politik, man hatte andre Sorgen ... es war in vieler Beziehung eine schwere Zeit.«

»Ich habe es mit durchgemacht, mein Lieber, die unselige Zeit des Papiergeldes, der Bankhaft und des Staatsbankerotts ... von den Schrecknissen haben die Jungen keine Vorstellung.« Der Pastor stopfte sich eine frische Pfeife und erzählte aus alten Tagen. »Mein Vater wäre ein sehr reicher Mann und Erbe von drei, vier Tonnen Goldes, wie man dazumal sagte, gewesen, wenn mein Großvater nicht durch das Unglück, richtiger durch die tollen Regierungsmaßregeln mit einem Schlage ein großes Vermögen, das er sich durch seine Schnupftabaksfabrik, durch ein Fabrikationsgeheimnis und eine viel gekaufte Marke, den Van-Holland-Snustobak, erworben hatte, verloren hätte. Die Staatsschulden waren infolge des langen Krieges und der wahnsinnigen dänischen Staatspolitik im Anfang des Jahrhunderts ungeheuer angewachsen. Um die Riesenausgaben zu bestreiten, verfallen die erfinderischen Ministerköpfe auf den genial einfachen Gedanken, Geld, Papiergeld zu machen. Frischweg und ohne Furcht vor dem Ende werden Berge von Banknoten fabriziert und in Zahlung gegeben. Friedrich VI. bleibt dem Bonaparte treu, führt Krieg mit Schweden und verliert dadurch Norwegen, ja das kleine Dänemark erklärt drei Tage nach der Völkerschlacht, aller Vernunft bar, aber sehr treu und sehr mutig, den Großmächten Preußen und Rußland den Krieg! Ist das nicht ein Stück aus dem Tollhause?«

»Sie wußten noch nichts von der Leipziger Niederlage,« entschuldigte Bodil.

»Dann kommt natürlich der Krach, daß unser armes Land in allen Grundfesten wankt. Die närrische Alchymie, die Geldmacherei und Notenfabrikation, nimmt ein Ende mit Schrecken. Eine entsetzliche Papiergeldentwertung bricht herein, die Zettel fallen von Tag zu Tag im Kurse; wer einen Tausendtalerschein besitzt und Bargeld haben will, erhält keine hundert, dann keine zehn, zuletzt keine fünf Taler in gutem Silber für sein Papier. Alles wankt, die Panik ergreift alle Gemüter, wer Silber besitzt, verbirgt und vergräbt es; Reiche verarmen in einer Woche, die Besten werden Bankerotteure, jeder Kredit hört auf ... o, wer die Zeit erlebt hat!«

Jep milderte die Tragik durch eine komische Erinnerung. »Mein Oheim hatte für eine verkaufte Kuh dreitausend Taler in Scheinen bekommen, legte einen Tausender zum andern, hielt sich für sehr schlau, glaubte voll und fest, daß die Noten noch einmal ihren vollen Wert bekämen, und starb als Millionär in der Einbildung. Bodil hat als Kind mit der Million, die ich erbte, gespielt und die Noten zerrissen.«

Der Pastor hatte ein paar Züge aus der Pfeife genommen. »Treu und Glauben hörten auf, furchtbare Tragödien passierten alle Tage, jeder, leider auch die Regierung, verlor den Kopf, ja den Verstand. Sie erließ die berüchtigte Verordnung der sogenannten Bankhaft, die den 16. Teil des ganzen Grundbesitzes mit einem Federstrich für Staatszwecke konfiszierte. Ja, sie vermehrte noch das allgemeine Entsetzen, den Umsturz alles Bestehenden durch die tyrannische, ungeheuerliche Bestimmung, daß der Staat seine Schulden, seine Beamten mit dem völlig entwerteten Gelde bezahlen könne, und daß jeder Schuldner berechtigt sei, seinem Gläubiger, der vor Ablauf von vier Jahren Bezahlung verlange, Papier- statt Silbergeld zu geben. Damit war dem gemeinsten Betruge Tür und Tor geöffnet, die Gaunerei war sanktioniert und gesetzlich geschützt. Die dänische Regierung muß wohl, wie viele der plötzlich Verarmten, den Verstand verloren haben, sonst ist das verbrecherische Gesetz nicht zu verzeihen. Mein Großvater, ein schwerreicher Mann, hatte seine Kapitalien, Hunderttausende, auf Hypotheken gegeben. Im Anfang der Geldkrisis mußte er viel kündigen, um sein Geschäft über Wasser zu halten und seine Vorräte zu bezahlen. Fast alle seine Schuldner benutzten die betrügerische Bestimmung und bezahlten ihre Schuld in Papier, für eine bar hingegebene Hypothek von fünftausend Kuranttalern erhielt er fünf lumpige Tausendnoten, die fünfundzwanzig Silbertaler galten. Schlechte Subjekte kamen sogar mit hämischer Schadenfreude ins Haus, zählten höhnisch die Schundscheine hin und verlangten Quittung für richtige, ehrliche Zahlung. Mein Großvater verlor durch die staatliche Gaunerei vier Fünftel seines Vermögens und ging mit Gram und Verbitterung in die Grube. Nur zwei von vierundsechzig Schuldnern, zwei kleine Kätner, waren ehrliche Leute und zahlten ihre Schuld in Silber zurück. Der Greis sagte in seinem letzten Lebensjahre oft zu mir: »Von vierundsechzig Menschen sind also die zweiundsechzig Lumpen und Schufte! Ich habe meinen Glauben an die Menschenkanaille und noch mehr an die Staatskanaille, aber nicht meinen Glauben an eine höhere Gerechtigkeit eingebüßt. Dänemark hat unser Land in sein Unglück, seinen Betrug und Bankerott hineingerissen, darum soll unser Land von der elenden Geldwirtschaft und Gaunerei Dänemarks los werden, und ich sehe den Tag, wo Schleswig-Holstein frei und ledig geworden ist.« – Ob mein seliger Großvater auf dem Sterbebette das zweite Gesicht gehabt und prophezeit hat? Gott weiß es und wird alles gut enden.«

»Ja, Herr Pastor, Gott wird unsren König und die Gesamtmonarchie erhalten,« rief Bodil kampflustig über den Tisch; denn die erlittene Niederlage wurmte noch in ihr.

»Wir haben hierzulande keinen König, sondern einen Herzog, der zufällig auch dänischer König ist,« sagte der Pastor im ruhigsten, gar nicht reizenden Ton.

Dennoch klang ihre Erwiderung gereizt. »Ja, wenn es nach dem Willen der Kieler Schreihälse ginge, würden wir schon heute den Augustenburger zum Herzog machen, ohne erst den Tod der beiden letzten Oldenburger abzuwarten ... aber Gott wird die von ihm eingesetzte Obrigkeit zu erhalten wissen, nicht wahr, Herr Pastor?«

Um das Gespräch aus dem peinlichen und wieder in das gemütliche Geleis zu bringen, nahm Jep das Wort und seiner schlagfertigen Tochter vom Munde weg.

»Ich wollte nun etwas aus meinen Erlebnissen zum besten geben. Meine Geschichte dauert nicht lang und lautet: Wie Jep Ziegelstreicher Bauer auf Hylleruphof wurde.«

Da war die ganze Gesellschaft Auge und Ohr, und das Interesse bei allen hoch gespannt.

»Mit neunzehn Jahren wanderte ich nach Ekensund, wo die großen Ziegeleien sind, und bat um Arbeit. Der Herr beäugte mich von oben bis unten und sagte kurz seine Meinung: »Du hast keine Knochen, keine Brust und keine Schultern, mein Sohn, das Streichen ist harte Knochenarbeit, die du keine acht Tage aushältst ... ich will dich aber als Pferdetreiber mieten, mit 16 Talern Lohn.« – Ich drehte die Mütze in den Händen und sagte höflich: Versuchen Sie es einige Tage mit mir! Wenn ich meine Anzahl Steine nicht schaffe, sollen Sie mir keinen Schilling zahlen. – Der dicke Herr fluchte und lachte: »Du krächzst ja gut, weil du ein Dummer bist und die Dreck- und Mordsarbeit nicht kennst ... paß auf, nach drei Tagen sind dir die Knochen so steif und der Rücken so krumm, daß du ohne Hilfe nicht aus dem Bett herauskriechen kannst und wir den Gravensteiner Doktor holen müssen, natürlich auf deine Kosten.« – Abgemacht, ich fange also morgen früh um sechs Uhr an, sagte ich keck. – Und der Fettwanst prustete vor Lachen: »Ja Prosit, um fünf fangen wir an, und bis Sonnenuntergang geht es im Galopp weiter, wir haben ja Akkordarbeit, so wollen es die andern, die alten, ausgepichten Detmolder, die Hände von Horn und Knochen von Eisen haben.« – Da wurde mir etwas schwül, doch ich fing morgens bei Sonnenaufgang das Ziegelstreichen an. Es war noch ärger, als ich geglaubt, eine Akkordschufterei und Menschenschinderei, die man, wenn sie einem Pferde zugemutet würde, als Tierquälerei bestraft hätte. Ich formte die schauerlich schwere Lehmmasse, so daß ich keinen trocknen Fetzen am Leibe hatte und mir in der Mittagshitze oft zum Umfallen wurde. Morgens kroch ich auf allen Vieren aus dem Bette, und krumm wie ein Krüppel fing ich die Mordsarbeit an ... aber ich biß die Zähne zusammen und hielt die Strapazen aus. So hatte ich die ersten acht schlimmen Tage ohne Schlag und Sonnenstich überstanden. Mancher Neuling bricht nämlich zusammen und behält einen Knacks, eine Bruchstelle. Als ich an dem ersten Samstag meine sechs Kuranttaler Akkordlohn nachzählte, war ich sehr froh und Gott so dankbar, daß ich sofort die drei Taler in den Leinenbeutel auf dem Boden meiner Truhe legte und mir gelobte, bei jeder Lohnzahlung ebenso zu verfahren.«

Die Zuhörer lächelten über Jep Hansens Gelübde.

»Ich habe nicht, wie meine Kameraden, einen großen Krug Branntwein gekauft und mich den langen, lieben Sonntag betrunken, sondern mich geruht und den billigsten Kanaster geraucht. Der Dicke hatte bei der Lohnzahlung mich gefragt: »Willst wohl aufhören und als Pferdeknecht eintreten?« Nein, wenn Sie mich als Streicher behalten wollen, möchte ich mich auf zwanzig Jahre verdingen, antwortete ich ihm. In der dritten Woche wurde die Schinderei erträglicher und schließlich zur Gewohnheit, denn der Mensch ist ein Arbeits- und Gewohnheitstier und noch viel weniger als ein Gaul und Lastesel umzubringen. Ich strich an sechs Wochentagen meine Anzahl von Ziegelsteinen, das Essen war einförmig, Erbsen und Speck, höchstens eine Kuhfleisch-Suppe, aber meine Knochen wurden hart wie Eisen, meine Muskeln wie Stahl. Alle Samstagabend legte ich meine drei Kuranttaler in den Beutel, und mein Sonntagsvergnügen war es, die großen Silbertaler zu zählen und an der Lederhose blank zu putzen. So gingen die Jahre dahin ... Millionen von Steinen hatte ich geformt und geschleppt ... die Taler im Beutel mehrten sich, so daß der Linnensack mir barst und ich von einem Roßkamm seine gebrauchte Geldkatze für zwei Mark kaufte, um meinen Schatz zu verwahren. Mein Körper war etwas ausgedörrt und gekrümmt von der Knochenarbeit, meine Haut wie Horn, mein Haar lichtete sich, aber meine Geldkatze wurde praller, straffer, voller von Jahr zu Jahr.«

Alle Anwesenden betrachteten den originellen Alten mit unverhohlenem Erstaunen, aber auch mit stiller Hochachtung. Diese Ausdauer eines Arbeitssklaven, der jahraus jahrein in der Tretmühle der Ziegelbrennerei knetete und keuchte, war eine ungeheure Willensenergie, eine stoische Standhaftigkeit im Kleinen, ein wahrer Heroismus der härtesten und häßlichsten Handarbeit. Das dunkle Gerücht, das im Dorfe ging – der reiche Besitzer von Hylleruphof sei in jungen Jahren ein gewöhnlicher Ziegelstreicher gewesen – hatte also nicht gefabelt. Jep war in seiner Art ein zäher Held gewesen, wenn auch nur gemeine Sparfreude und Geldgier seine Triebkräfte und Ideale waren.

Der Bauer bemerkte mit einem Schmunzeln, daß seine Worte Eindruck machten, und erzählte noch lebhafter. »Je schwerer die Arbeit, desto weniger kommt man zum Nachdenken ... meine besten Jahre liefen mir davon, ohne daß ich es gewahr wurde. Wenn ich einmal auf dem Herbstmarkt in Broacker zwölf Schillinge verzehrte, machte ich mir am Montag schwere Vorwürfe wegen solcher Vergeudung. Ich war ein Geizkragen geworden und hatte längst die Not der Reichen kennen gelernt ... die Sorge, daß meine Ersparnisse gestohlen werden könnten, quälte mich oft ... eines Sonntags grübelte ich, ob ich nicht am besten meinen Schatz vergrübe ... da fiel mein Auge auf die Jahreszahl, die auf meiner Kleiderkiste stand und mein Geburtsjahr war ... ich nahm die Kreide und fing auf der Innenseite des Deckels zu rechnen an. War das möglich? Ich addierte noch einmal ... Himmel! Ich war neununddreißig Jahre alt geworden, ohne es zu merken, ohne meine Geburtstage zu beachten. Noch einmal nahm ich die Kreide und rechnete. Hm, zwanzig Jahre hatte ich in Ekensund Ziegel gestrichen! 1040 Wochen hatte ich die Akkordschufterei vollbracht und 1040mal am Samstag meinen Lohn erhalten und meine drei Taler in die Katze gelegt. Also mußten 3120 Kuranttaler dort unten liegen. Ich wußte aber seit der letzten Sonntagszählung und Talerrevue, daß einige mehr im Beutel und dreitausendvierhundert Taler mein Eigentum seien. Sehr zufrieden mit den Rechenresultaten klopfte ich mir den Schenkel, denn ich stellte fest, daß die zwanzig Jahre, die ich mich dem Dicken im Scherz verdungen hatte, verstrichen waren. Nun war es genug der Schinderei. Sofort meldete ich mich aus dem Dienste, und auf des Herrn verdrießliche Frage, ob ich jetzt faulenzen und Fliegen fangen wolle, antwortete ich vergnügt: Nein, nun will ich versuchen, den Herrn zu spielen, dick und fett zu werden und andre für mich schuften zu lassen. Nachdem ich mir die schwere Katze – ach, auch der Reichtum kann drücken – umgebunden, wanderte ich fürbaß.«

Kunz Reuter fiel ihm in die Rede: »Wir wollen Ihnen gern einen Teil der drückenden Last abnehmen ... ist es nicht kurios, daß keiner, keiner von der Bürde befreit sein will?«

Jep kniff das eine Auge zu. »Ich muß mein Kreuz bis zum Tode tragen, dann kann Bodil es weiter schleppen und mit den Leuten sich abquälen. Dazumal, als ich durchs Sundewitt wanderte, war böse Zeit und nichts als Bankerott im Lande. Viele Bauern, die noch vor zwei Jahren als wohlhabend galten, mußten mit einem Haselstocke von Haus und Hof und, wenn sie alt waren, ins Armenhaus gehen. Überall hörte man nur von Konkursen, von Elend und Not. Große Höfe konnten die ungeheuren Steuern und die verhaßte Bankhaft nicht aufbringen und wurden gerichtlich versteigert. Ich marschierte über Apenrade nach Norderhusen zu und hörte in den Wirtshäusern, wie schandbillig, oft für die rückständigen Abgaben, die Höfe unter dem Hammer verschleudert würden, weil niemand Bargeld habe und der Staat, der große Papiergeldfabrikant, jetzt natürlich nicht sein eignes Papier, sondern nur gemünztes Silber in Zahlung nehme. Da horchte und kalkulierte ich: Das wäre dein Fall, denn du hast blankes Silber in der Katze, des einen Tod ist des andern Brot und das allgemeine Unglück vielleicht dein Glück. Man konnte in Nordschleswig meilenweit gehen, ehe man einen Mann, wie mich, fand ... der Ziegelstreicher hatte 3400 Taler in der Tasche, in jenen schrecklichen Tagen ein Vermögen ...«

Reuter wollte seine Weisheit leuchten lassen. »Wenn Sie Ihr Geld, statt es in der Kiste liegen zu lassen, auf Zins und Zinseszins gegeben hätten, so würden Sie sechs- bis siebentausend Taler besessen haben.«

»Nein, mein guter und gescheiter Herr, hätte ich meine Ersparnisse in die Bank getan, so hätte ich wohl eine Zeit lang Zinsen, aber zuletzt kein Kapital, sondern Papierfetzen bekommen und keine hundert Taler im Beutel gehabt. Der dumme Geiz, der die blanken Taler putzen wollte, war mein Glück!«

Heimreich neckte den Freund. »O si tacuisses, philosophus mansisses! Hast doch eben vernommen, wie die dänische Regierung den Betrug beschirmte und die Bezahlung der Schulden in wertlosen Zetteln gestattete.«

Bodil erhob ihre Stimme als Anwalt der dänischen Staatsgewalt. »In der besten Absicht, um in den vier kritischen Jahren die verhängnisvolle Kündigung der Kapitalien zu verhindern, wurde die verkehrte Bestimmung getroffen.«

»Na, die Gaunerei der Regierung war dein und mein Glück, mein Kind ... ich hörte in Norderhusen im Kruge, wie die Bauern aufgeregt davon sprachen, daß jetzt auch der große, schöne Hylleruphof Mathäi am letzten sei und am Dienstag zur Zwangsversteigerung käme. Ich schnallte meine Katze um und ging zum Termin ins Gericht, wo verlesen wurde, daß außer den Gerichtskosten und ein paar kleinen Hypotheken die Zinsen der Bankhaft und die Steuern für zwei Jahre zum Betrage von 1180 Speziestalern vom Ersteher zu entrichten seien. Der Besitzer des Hofes, der jetzt seine 60 000 Taler wert ist ...«

»Seine 100 000 gut und gern!« rief Klaus Fangel.

»... Konnte nicht zwölfhundert Spezies borgen oder beschaffen und mußte Bankerott machen.«

»Schrecklich!« seufzte Bodil.

»Aber gut für uns, mein Kind! Er tat mir ja leid, aber innerlich mußte ich doch über den Priesterhandel und das unverschämt dumme Gesicht des Richters lachen, der mich streng aufforderte, das hohe Gericht nicht zum Narren zu haben und die nötige Sicherheit sofort zu deponieren. Ich stellte ruhig die Geldkatze auf den Tisch, der Richter machte ein paar Glotzaugen, wie ein ins Bierfaß gefallener Laubfrosch. Gelassen bot ich bis dreizehnhundert Spezies und sah mich um, doch keiner tat den Mund auf, auch der Richter schwieg und machte eine Pause, um ein Nachgebot abzuwarten. Der Hammer fiel zum letzten und ziemlich leise auf den Tisch, der arme Ziegelstreicher mit der Geldkatze war den hohen Herren ein Ärgernis und eine Umkehrung der Weltordnung. Da war ich einen ganzen Tag sehr glücklich als Herr und Hofbesitzer. Am nächsten Tage kamen schon die bangen Bedenken, ob ich es durchhalten könne. Auf einem Gute, wo der Exekutor täglich Gast gewesen, fehlt sehr viel, die Gäule waren Kracken, die Kühe – 34 fand ich vor – alt und ausgemolken, die Geschirre verlottert. Ja, ich habe härter als in der Ziegelei, tags für zwei Knechte gearbeitet und nachts gerechnet, um die Bilanz zu halten. Das waren elende Zeiten, davon die Bauern von heute, mein lieber Eskild, keine blasse Ahnung haben. Viele Pflüge, daran kein Stück Eisen, waren von Holz, in Feuer gehärtet, und kratzten, wie die Hühner, in der Erde. Einen Federwagen besaß ich in den ersten fünf Jahren meiner Hofherrlichkeit nicht. Um die teuren Taue zu sparen, drehten wir uns Pferdeleinen aus Stroh, diese Strohzügel rissen leicht, obgleich der Hafer nicht die Mähren stach. Ehe wir den großen Berg bei Norderhusen herunterfuhren, stiegen wir ab, um die Pferde am Maule zu halten. Wenn es hoch kam, luden wir zwölf Sack Weizen, jetzt zwanzig bis vierundzwanzig per Fuder.«

Klaus Fangel hatte mit Ohren, Augen und allen Sinnen zugehört; der erstaunliche Hofkauf des Ziegelstreichers erregte sein agrarisches Gemüt. Es war sein heimlicher und höchster Herzenswunsch, einmal einen Hof zu besitzen. Wenngleich sein phlegmatischer Optimismus gern an Träumereien sich erquickte, wußte doch sein praktischer Sinn, daß solche Träume recht windige Luftschlösser seien. »Was Sie für ein Glückspilz sind! Mir wird schwindlig! Ach, ein junger Landwirt ohne großes Kapital muß sein Leben lang »verwaltern« oder »inspektern« ... es müßte schon ein Krach, ein Krieg oder ein Massenkonkurs kommen ...«

»Wünschen Sie um Gotteswillen nicht die Zeiten zurück! Wir Bauern waren keine Glückspilze, sondern arme Teufel.«

»Na, die Not wird mich verschonen, denn ich werde nie einen Hof kaufen oder erben.«

»Tertium datur! Erheiraten Sie einen Hof, das ist der billigste Gutskauf,« bemerkte Reuter allzu absichtlich.

Der junge Landmann zupfte am Tischtuch, über sein gesundes Gesicht ging ein Glühen, dann aber verfinsterte es sich.

Bodil nämlich hatte eine scharfe und eine weiche Stimme und sprach mit der scharfen: »Zu einem Kauf gehören zwei.« Ihr Blick flog Heimreich entgegen, scheute dann und entfloh nach der andern Seite, wo Eskild saß.

Den redete sie an. Alle Bauernsöhne und -Töchter dutzten sich. Rolf Krake Hansen, der ein halbes Jahr in Kopenhagen gewesen war, um eine dänische Halb- oder Viertelbildung und Schliff sich anzueignen, der jetzt städtische Kleidung und steife Vatermörder trug, auch nur hochdänisch, freilich mit manchem Rückfall ins Kartoffeldänisch, lispelte, galt den meisten als ein eitler Fax, weil er seine einfachen Altersgenossen siezte.

»Eskild, kommst du morgen Abend zur Versammlung im Dorfkruge?« fragte Bodil freundlich. »Der bekannte Laurids Skow wird reden über: Die uralte Eidergrenze.«

»Ich wollte eigentlich zu Hause bleiben. Die Versammlungen bringen viel Aufregung und Unfriede ins Dorf. Hans Peder Sjöberg läßt seine alte Donnerrede, die ich auswendig kann, von dem Walle Thyras, den wir wehren, von der Muttersprache Dans, die wir ehren sollen, vom Stapel. Dann springt Rolf Krake hinauf, rückt an den Vatermördern, rollt die Augen und brüllt los. Er zieht gegen die Beamten, Pastoren und Lehrer, die deutsch sprechen und uns verdeutschen wollen, vom Leder, schwatzt baren Unsinn und ist nicht nach meinem Geschmack. Nach dem Reden werden Kaffepünsche rundenweise getrunken, und das ist mir ganz zuwider. Rolf Krake, der seinem Vater, dem alten Kaffepunsch-Hansen, gut nacheifert, ist ein ganzer Kerl ... ich hörte ihn schreien: Die deutschen Pastoren müßten alle abgesetzt und verjagt werden. Pfui, das sind gemeine Reden ... wir haben gute Pastoren.«

»Du kannst ja fortgehen, wenn Laurids Skow gesprochen hat ... der hat Rednergabe und ist gemäßigt ... den mußt du hören.«

Eskild nickte, aber so daß es weder ja noch nein war.

Der Kandidat rückte während dieses Gespräches hin und her, fand aber nicht die rechten Worte und schwieg gedrückt.

Der Pastor nahm in seiner würdevollen und stillen Weise das Wort. »Kaffepunsch-Hansen, wie alle ihn nennen, ist ein armer Alkoholiker und harmloser Mensch, klagte mir seine liebe Not, sein feiner Sohn vertue heidenmäßig viel Geld und wolle auf dem kleinen Hofe nur den Herrn spielen. Der Mosjö hetzt die brave Bevölkerung auf gegen ihre Beamten und hat auf die Pastoren einen Haß. Wir sollen nach seinen Worten aus dem Lande gepeitscht werden. Wir, die Landeskinder, sollen den Fremdlingen Platz machen! Nach unsren verbrieften Privilegien sollen nur Söhne des Landes Amt und Anstellung in den Herzogtümern haben ... aber immer mehr Kandidaten und Stellenjäger kommen über die Grenze. Die Zahlen zeugen von Recht und Unrecht. Kaum der dritte Pastor in Nordschleswig ist in Schleswig-Holstein geboren und in Kiel ausgebildet, die zwei von dreien drangen von Dänemark herein und verdrängten unsre Kandidaten. Wir, die wir hier unsre Heimat, unsre Wiege, unsre Eltern, unser Herz haben, wir müssen das Land verlassen.«

Er wurde warm, denn das traf ihn, der einen Sohn hatte, persönlich und war pro domo gesprochen.

Bodil blieb stumm, da sie einerseits wider den von ihr hochgeachteten Pastor nichts sagen wollte, andererseits seine Statistik nicht widerlegen konnte.


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