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Fünfzehnter Abschnitt.

Der Telegraph tickte und meldete in Deutschland: »Sieg am Waterberg, Tausende von Rindern erbeutet.« Ja, Tausende brüllten im Busch, es waren aber leider morsche, zurückgelassene, verhungernde, sterbende Tiere, die bald krepierten und die ganze Gegend verpesteten.

General Trotha verfolgte das Hererovolk, das schon in voller Auflösung war und auf seinem Wege Tote, Ochsenkadaver und andere Trümmer liegen ließ. Der Widerstand des halsstarrigen Stammes war gebrochen, sein Kampf war fortan ein Verstecken in der Sandwüste, ein gehetztes Entrinnen von Wasserpfütze zu Wasserpfütze, ein erbarmenswerter und oft heroischer Untergang in Durst- und Hungerqual. Der Fluchtweg war zunächst nicht zu verfehlen. Ihre Schwerverwundeten ließen sie einfach liegen und verrecken. Ekelhafte Fliegenschwärme, vollgesogen von Leichengift, zeigten, wo eine verwesende Leiche lag. Tierkadaver, von Verwesungsgasen aufgetrieben, Kalebassen, Hausgerät und allerlei Armseligkeiten waren die Wegweiser der Flucht. Es war für die Deutschen schauerlich, alle Tage in dem Gestank und den Greueln zu marschieren. Kamen sie verschmachtet an eine Wasserstelle, so lagen zehn, zwölf krepierte Kühe in der tiefen Pütz und vergifteten das Wasser, das sie trinken wollten und bisweilen voll Gier tranken.

Einige arme Kerle waren von dem Giftwasser kaum fernzuhalten. Daher wurde der Befehl, nur gekochtes Wasser zu genießen, streng eingeschärft, und der wohlmeinende Hauptmann setzte hinzu: »Bei Todesstrafe! Das Wasser nämlich bringt den Typhus und den Tod. Habt ihr nicht die Typhuskranken der Abteilung von der Heyde gesehen, die lebenden Leichen, die man in ihre Woilachs gewickelt und zum Schutz gegen Wind und Kälte in Sandlöcher gelegt hatte, weil es an Zelten fehlte? Uh, uh, da lagen die Lebenden wie im Grabe.« Diese Abschreckung half, bis der Durst allzu gräßlich wurde. Dann hat mancher Soldat sich den Tod getrunken.

Die Hereros wurden auch durch Zwietracht versprengt. Jeder gab dem andren die Schuld und wollte für sich und sein Vieh das nötige Wasser haben. Die Aufrührer verstreuten, versteckten sich in der Omaheke, der ungeheuren, unheimlichen Sandwüste, wo überall der Tod und nirgends Wasser sein sollte. Jobst hingegen lächelte: »Ich weiß mehr als zwanzig Wasserstellen in der Wüste, die ich zehnmal durchtrieben habe, und die Hereros kennen noch mehr.«

Täglich wurden Gefangene eingebracht, meist Frauen und Kinder, die Haut und Knochen waren. Mancher Soldat fütterte mitleidig so einen nackten, schmutzigen, drollig gefräßigen Hererobalg; ein Dreijahrskind aß für zwei starke Männer und füllte seinen Pans bis zum Platzen.

Eines Vormittags meldete die Seitenpatrouille: »Hier links im Busch ist eine ausgetrocknete Pütz, und neben ihr liegt ein altes, schwaches, merkwürdiges Weib mit einem langen, mageren Hereromädchen ... und was das Kurioseste ist, die Alte kann etwas deutsch sprechen.«

»Wird eine Hottentottin sein, die mal bei einem Missionar gedient hat, wir wollen mal nachsehen,« sagte der Pfadfinder.

Erb folgte seinem Oheim, der bald neben der Pütz hielt und sich im Sattel herunterbeugte. Das Mädchen, dem die spitzen Knochen aus der Haut standen, war mit Lumpen bekleidet und kaute an trocknen Grashalmen. Die Frau hatte ein gelbliches, verrunzeltes Mumiengesicht, aber die Gesichtsform der weißen Rasse und mußte ein Bastardweib sein. Sie streckte die Hände empor: »Gut deutser Mann... bissen Tee ... Essen, Essen ... Ohm, help mi, Ohm!« Ihr Deutsch war sehr verständlich, wenn sie auch zuletzt in das ihr geläufige Burenholländisch hineingeriet. Der junge Afrikaner war ganz erstaunt. Aber in den Mienen des alten stand beim Klang der Stimme Entsetzen, Freude, Angst und Unglaube. Mit einem Satz war er unten, betrachtete das unglückliche Weib, Zug um Zug, und schrie gellend auf holländisch. Erb verstand die Worte »Antje, Antje«, sprang aus dem Sattel und hielt mit richtiger Überlegung seine Feldflasche an die Lippen der verschmachteten Frau, die gierig schlürfte und tief aufatmete.

Jobst schaute ganz wirr und irr um sich, als wenn der Wahnsinn sein Haupt umkreise. »Allmächtiger! Ist es menschenmöglich? Können Tote auferstehen?« O, in ihm war ein Grausen, gleich als wenn ein Mensch mit eignen Augen sieht, daß ein Scheintoter den Sargdeckel hebt, und doch ein Gottesahnen, ein heiliger Schauer. »Es ist ein Ton von ihrer Stimme ... meine Antje sprach Afrikanertal und ein wenig Deutsch.« Jobst horchte auf den Atem und Herzstoß und rief: »Antje, bist du es?«

Die Frau schlug die Augen auf und schloß sie wieder. »Erb, träume oder wache ich? Sehe ich Visionen, oder bin ich verrückt? Drei Zeugen sagten und schworen mir, daß Antje tot im Dornbusch gelegen habe.«

»Mein Vater, es waren Hereros, und alle Hereros lügen und schwören zum Scherz Meineide.« Erb nahm die Feldflasche, tränkte und fütterte das Mädchen. »Frage doch diese aus, die noch reden kann!«

Jobst fing auf Herero freundlich an. Wie ihr Vater heiße? Ohamajami! »Was? Ohamajami? Das war einer der besten Hereros, die ich kannte ... der gehörte zu den Leuten des Kapitäns Kambasembi zu meiner Zeit.«

»Ja, wir sind Diener Salatiels, des Sohnes des Kambasembi.«

»Und diese Frau?«

»Ist meine Mutter.«

Der Pfadfinder fuhr sich enttäuscht durchs Haar. »Das stimmt nicht ... ich habe Gespenster gesehen. Deine Mutter ist eine Hottentottin ...?«

»Nein, aus Rehoboth ...«

»Himmlischer Vater! Eine Rehobotherin!« schrie Jobst, hob den Kopf der Hingesunkenen, faßte sanft ihr Kinn, bohrte sein Auge in ihr Antlitz und bat: »Antje, bist du es?«

Sie öffnete die Lippen und sagte leise, leise: »Jo–obst.« Sie kannte ihn, sie war's.

Der alte Pfadfinder, dem die ersten Tränen seit dreißig Jahren aus den Augen kullerten und in der tiefen Narbe stehen blieben, nahm sein unglückliches, totgeglaubtes, halbtotes Weib in die Arme und trug es die ganze Strecke bis zur Troßkarre, wo er die Kranke bequem bettete. Er stöberte in dem Blechkasten des Kochs, und das Beste war gerade gut genug, so daß der Unteroffizier brummte: »Dunnerkiel! Was für Umstände werden mit der ollen Distel gemacht ... ist wohl eine schwarze Prinzessin?«

»Das nicht, aber meine Frau, mein lieber Freund.«

Der Unteroffizier guckte ganz irrsinnig.

Jobst erquickte die Kranke mit Trank und Speise, so viel sie annahm, und das war ein Fehler. Anfangs fühlte sie sich gekräftigt, so daß sie auf alle seine bangen Fragen Antwort gab; dann fiel sie in einen ohnmachtähnlichen Schlummer.

Der Oheim wandte kein Auge von der leise atmenden Gestalt und erzählte im Flüsterton, was er von ihr erfahren hatte. »Antje war damals von dem Mordbuben nicht getötet worden, wie Josua glaubte, sondern schwerverletzt und stundenlang betäubt und bewußtlos ... sie schleppte sich von dannen, wurde von barmherzigen Hererofrauen erquickt und im Pontok versteckt. Nach ihrer Genesung ging sie zu Kambasembi, dem alten, braven Kapitän, der sie in seinen Stamm aufnahm.«

»Warum hat sie dich, ihren Gatten, nicht gesucht ... sondern einen Herero ...?«

»Die Frage stellte ich auch ... ach, wie schmerzlich weh blickte sie mich an! Nach ihren Worten – und sie ist wahr und aufrichtig – konnte die Entehrte, Geschändete nach dem Greuel mir nicht unter die Augen treten ... sie, unwert, mein Weib zu sein, war und wollte tot sein, nahm, um vor den Nachstellungen Josuas ganz sicher zu sein, einen andren Namen an ... ich darf ihr keine Vorwürfe machen. Die Zeit lindert jeden Schmerz, und das Vergessen wächst wie Gras über das Gräßlichste im Leben ... auch verkafferte sie wohl ein wenig im Hereropontok ... Ohamajami, der ein guter Kerl war, wurde ihr Mann und Versorger. Der mußte natürlich den Aufruhr mitmachen, sonst hätten die Nigger ihn totgeschlagen, und fiel bei Oviumbo. Unmenschliches hat sie seitdem an Jammer und Not, an Hunger und Durst ertragen ... sechs Unkjis bildeten in den letzten zwölf Tagen ihre Nahrung, die andren Wurzeln gab die treue Mutter ihrem wimmernden Kinde. Ich werde, so Gott will, beide am Leben erhalten.«

Jobst sah nach der Kranken und erschrak, denn ihr war übel geworden – sie konnte die Nahrung nicht bei sich behalten. Ein schlimmes Symptom! Schleunig ordnete er den Transport an, um die nächste kleine Militärstation, wo ein Arzt war, zu erreichen. In zwei Tagen wollte er wieder bei der Kompagnie sein.

Die Truppe ritt weiter, immer weiter in die unheimliche Omaheke hinein. Nur gelber, in der Sonne grell blendender Sand, endlose Sandwellen und Sandhügel, selbst der genügsame Hackidorn hörte hier auf und fand keine Existenzbedingungen mehr; spärlich standen die Büschel eines harten, holzigen Grases, das von den elenden, abgetriebenen Pferden genagt wurde und ihnen die Zunge zerstach.

Die Peitschen klatschten, die Fliegen quälten, die Treckochsen keuchten, die Menschen hoben die Augen kaum, um die schreckliche Ode nicht zu sehen, sondern hingen in den Sätteln und stierten den Grund an in trostloser Melancholie. Die Kompagnie schlich sich wie ein Leichenzug durch die Wüste. Die Stimmen, auch die schneidige des Hauptmanns, hatten einen heiseren, toten Klang. Kein kühles Getränk erquickte den ausgedörrten Körper, die verschrumpfte Kehle. In Säcken, Blechkisten und -koffern wurde das Wasser mitgeführt, laues, fades, fürchterliches Wasser. Die Verfolgung im Sandfeld war das größte Schrecknis dieses an Graus und Greueln überreichen Krieges.

Nach fünfzig Stunden tauchte hinten an der Kimmung ein Reiter auf, was ein Ereignis, vielleicht eine Ordonnanz mit einem neuen Befehl war. Der ganze Zug hielt, lockerte die Sattelgurte und ließ die Rosse Halme suchen, d. i. zwischen Sand und Steinen schnobern. Es war Jobst Renner auf schweißbedecktem Pferd, der sich zur Stelle meldete und stramm den sehnigen Körper reckte. Sein Neffe sah sofort eine große Veränderung, und daß er ein andrer und viel älterer Mann geworden war.

Der Hauptmann lächelte burschikos. »Sind wohl durch die Luft geflogen, mein Lieber? Haben ja mit einer unmöglichen Schnelligkeit den Ritt zur Station und zurück gemacht ... Sie haben in der Zwischenzeit am Ende noch Hochzeit gefeiert ...« Der Scherzende schwieg betroffen, als er das schmerzlich zuckende, von der Narbe gleichsam in zwei Teile zerrissene Antlitz sah.

Das originelle, unschöne Gesicht hatte etwas Eingefallenes, sogar der Körper mit den Stahlmuskeln und der unverwüstlichen Kraft schien müde geworden. Der alte Pfadfinder sprach nur die notwendigsten Worte, nickte seinem Neffen zu und ritt als Führer an der Spitze, wie zuvor.

Die Rehobotherin war in der ersten Morgenfrühe – der Stunde, wo die meisten Menschenleben erlöschen – auf der Pad im Wagen verschieden. Ihre Kraft war durch lange, furchtbare Entbehrungen gebrochen gewesen. Jobst hatte sie im Busch bestattet, das Grab gegen die Schakale, die Leichenschänder, mit Steinen beschwert und durch ein rohes Holzkreuz bezeichnet. Das Mädchen, das Haomi hieß, hatte er mit einem größeren Geldbetrag dem Sergeanten anvertraut, damit es auf der Station bis zu seiner Rückkehr verpflegt werde.

Zwei Tage war der Alte ganz stumm, sein Neffe wagte nicht, ihn anzureden. Er kurierte immer selbst seine Wunden ohne Arzt und andre Hilfe. Jetzt blutete sein Herz, krank von Leid, Fragen und Rätseln. Auch seinen tiefen Seelenschmerz heilte er allein mit sich und seinem Gott.

Am dritten Tage winkte er, und Erb ritt an seine Seite. »Mein Sohn, ich habe mal meine unordentlich geführten Bücher in Ordnung gebracht, das Fazit, die Bilanz gezogen und den Abschluß gemacht... aber noch habe ich ein Lebenswerk, eine alte, böse Abrechnung zu machen, denn meine und ihre Schmach muß gesühnt werden. Ein Bana Bunduki, den das Untier zum Reittier machte, darf nicht vor sich selber erröten. Der Kapitän Josua soll wie ein Hund zu meinen Füßen um Gnade winseln, umsonst. Ich weiß, dann ist mein Werk getan ... schweige ... ich weiß aber auch zu meinem Troste, daß einer mein Werk fortsetzen wird, und das bist du. Lege deine Rechte in meine Rechte und gelobe mir, daß du ein braver Afrikaner und diesem neuen deutschen Afrika treu sein und bleiben wirst! Zum zweiten und letzten versprich mir: Für die arme Haomi, Antjes Tochter, zu sorgen, wenn ich sterbe...«

»Ja, ja, wie meine Tochter will ich sie halten und aufs beste erziehen...«

»Unsinn! Beileibe nicht wie eine Weiße, denn so würde sie unfehlbar verderben, sondern wie ein Bastardmädchen soll sie erzogen und gehalten werden. Genug des sentimentalen Geschwätzes! Antje hat mir in ihren letzten Stunden wertvolle Aufschlüsse gegeben über Josuas Verbleib... da leuchteten ihre erlöschenden Augen noch einmal auf, als sie vernahm, daß ich die Qual ihres Lebens an dem Schandbuben rächen würde. Der Schuft hat von meinem Kolbenhieb doch einen gehörigen Denkzettel bekommen, soll seitdem mitunter an Krämpfen leiden, die er aber auch simulieren mag; denn er ist bei aller Grausamkeit ein abscheulicher Feigling. Am Waterberg hat er sich hinten herumgedrückt, hingegen auf der Flucht soll er der Erste und Eifrigste gewesen sein, auch verhältnismäßig die meisten Rinder gerettet haben. Ich weiß jetzt, wohin er sich gewendet hat. Mitten in dieser schrecklichen Sahara ist ein Paradies mit Wasser und Weide, mit Grün und Gras, Bäumen und Blumen. Davon wissen die Deutschen nichts, auf keiner Karte steht das Kaukauveld. Schon vor dreißig Jahren erzählten die Schwarzen von einer wunderbaren Oase in der Omaheke allerlei Märchenhaftes ... und das ist keine Niggerfabel. Nach dem Beld reiten wir, um die Füchse herauszuräuchern, um uns und unsre Gäule herauszufüttern. Unsre Reiter sehen zu mies und wie die Mumien aus.«

»Ja, wir sind alle Schemen geworden, und – was das Scheußlichste – wir sitzen alle voll von Uribs. In Decke, Hemd, Hose, ja in Halsbinde und Hut kriechen die Uribs, die echten, dicken, fetten Kaffernläuse ... uh–hu, schauerlich.«

»Ja, die Kaffernuribs mit den roten Augen und den scharfen Zähnen und Zangen,« kaute der Alte trocken, »die kleinen Tiere sind eine Kleinigkeit, wenn man die Kaffernkrätze kennt.«

Der propre Herr von Erbenheim fühlte sich wie ein Aussätziger und tiefunglücklich.

Eine gottverfluchte Gegend! Kein Vogel zwitscherte, kein Flügel flatterte, kein Wild floh. Nichts lebte und webte in der Luft und auf der Erde – nur das Ungeziefer wuchs und vermehrte sich, die Uribs gediehen prächtig, die Sandflöhe wimmelten, die Skorpione und Giftschlangen lauerten massenweis. Die Wüste war ein wahres Paradies all der abscheulichen Biester, die der Herrgott im Zorne schuf.

Hohläugig stierten die Reiter den glitzernden Sand an, ihre Zunge quoll wie ein Klumpen im Munde, der Hals war zusammengeschnürt, die Lippen rissig und grau, jeder Ton war erstorben zum toten Schweigen, nur eine Stimme krächzte die unumgänglichsten Kommandos. Die Flanken der Gäule, die Fuß nach Fuß schleppten, waren blutig, selbst die kitzlige Andromeda schlug beim Sporenstich nicht mehr aus. Der furchtbare Durst tötete langsam die Truppe, die Wasserbehälter waren längst leer.

Der Älteste der Kompagnie war der Frischeste von allen, hielt scharf Umschau und bemerkte einige Siedelsperlinge und Korans, die nach einer Talsenkung hinzogen. »Ah, ein Zeichen, daß sie dort Wasser wittern! Die Schlucht wollen wir mal besichtigen.« Der erfahrene Afrikaner richtete sich nach dem Flug der Vögel und besonders nach der Vegetation, nach gewissen Büschen und Pflanzen, die auf Grundwasser schließen lassen. Er sprang vom Pferde und prüfte genau jedes Gewächs und die Formation des Bodens – siebzig verschmachtete Menschen beobachteten angstvoll jede seiner Gebärden, und die gesprungenen Lippen beteten leise in großer Not. »Ah, dieser Bitterbusch und diese Pflanze dort bohrt ihre Wurzeln ellentief ins Erdreich, um die unterirdisch sickernde Flüssigkeit zu saugen!« Er schlug sich auf den Schenkel – höchste Spannung war in allen Herzen –, dann ging er bis dort, wo das Talbett eine Krümmung machte, dort staute sich das unterirdische Wasser. Die Spaten schaufelten – der Sand wurde feucht – Hurra! Die Grabenden gingen zwei Ellen tief – das Wasser sickerte in die Grube, in die neue Pütz. Jobst hatte eine neue Wasserstelle, die nicht einmal den Schwarzen bekannt war, ohne Wünschelrute entdeckt. Freilich langsam, in dünnen Fädchen floß das Wasser zu, das ein klein wenig bitter und trübe, aber ganz gesund war und wie Nektar mundete. In zwei Minuten füllte man allerdings nur zwei Sackeimer. Jeder bekam der Reihe nach seinen Becher. Die armen Pferde, die dreißig Stunden gedurstet hatten und das Wasser rochen, gerieten vor Ungeduld in Aufruhr, schlugen und bissen sich, so daß sie kaum zu bändigen waren.

Die erschöpften Menschen und Tiere rasteten einen Tag, klärten das Wasser mit etwas Alaun, kochten es und zogen mit neuen Vorräten in allen erdenklichen Behältern – sogar im Gerätekasten – über die schrecklichen, endlosen Sandwellen weiter. Nach vier Tagemärschen hielt der totenstille, gespenstische Zug wie auf scharfes Kommando, ohne daß ein Wort gesprochen wäre, sintemal der Hauptmann mit der gellenden Wachtmeisterstimme schon lange keinen artikulierten Ton in der Kehle und wie ein Taubstummer durch müde Gesten regiert hatte. Die stumpfen Augen, die in einer Staubkruste saßen, wurden hell, die grauen Lippen grunzten einen Laut der Überraschung und Freude. Bäume standen am Horizont der schauerlichen Wüste, wahre, wirklich grüne Bäume. Es war ein Wunder, dem der Einjährige nicht traute: »Es ist eine Luftspiegelung, hol's der Teufel.«

»Nein, es ist das Kaukauveld, das sagenhafte Paradies der Omaheke.«

Die klapperdürren Pferde mit den spitzen Hüftknochen setzten sich in einen schwanken Trab, da sie Gras und Wasser ahnten. Die wunderbare Oase, die weite, wasserreiche, die hundert Kilometer lang und fünfzig breit ist und damals völlig unerforscht war, übertraf alle Erwartungen. Eine herrliche Parklandschaft, reich an riesigen Affenbrot- und andren Bäumen, mit vielen Vleys und Kalkpfannen gesegnet, nahm die Staunenden auf. Sogar auf einen herrlichen Palmenwald, ein Mirakel in Südwest, auf Borassuspalmen, Ana-Eichen und hochstämmige Ficusarten stießen sie. Frisches Gras wuchs in Fülle. Die armen Gäule rauften, schnauften, schmausten gierig, und das deutsche Reitergemüt hörte mit Wonne, wie seine Lotte, sein Hans oder Peter sich vollschlang und den leeren Magen füllte, bis unter den spitzen Knochen der Grasbauch wie ein voller Sack hing. Und nun erst das erste wirklich kühle Wasser der tiefen Vley, das man mit Futterleinen hochziehen mußte.

Jobst war schon am dritten Tage ungeduldig. »Ihr Kerle wollt hier wohl bleiben, Heuschrecken braten und ein Buschmannsfräulein heiraten?«

»Jaja, hier bleiben wir bis Weihnachten,« riefen alle, »die Kaffern laufen sich, wie die Aale im Sande, von selbst in der Omaheke zu Tode.«

Die Pfadfinder durchstreiften zu Fuß, um den Pferden Ruhe zu gönnen, das Veld. An einer Vley lag eine ganze Buschmannswerft. Die Buschleute sind ein verkommenes, elendes, auf tiefster Kulturstufe und dem Tiere nahe stehendes Geschlecht, aber sie waren einst die Ureinwohner des Landes, die von den Hottentotten und dem eindringenden Eroberervolk der Hereros wie Wild gehetzt und in die Dünen und Einöden verscheucht wurden. Hier im Veld hatten sie ein gutes Plätzchen und Essen in Fülle – ihr einziges Bedürfnis – gefunden. Sie waren gerade beim Abkochen. Als ersten Buschmannsgang gab es Grassamenbrei. Ihre Frauen, die Familienernährer, suchen die Grassaathäufchen, welche die Ameisen unter der Erde sammeln, die zu finden eine Kunst ist und des Gatten Liebe mehrt und erhält, heben sie aus, schütten sie in Felle, klopfen sie mit Keulen, damit der Sand herausfliegt, und kochen das armselige Futter mit Wasser in einer alten Konservenbüchse. Als Zwischengericht gab es geröstete Heuschrecken, die nach Jobsts Meinung gut und kräftig schmeckten. Als Fleischspeise wurde eine gekochte Schlange gereicht, und die Wilden luden die Weißen freundlich ein, an dem Schlangenfraß teilzunehmen. Zum Dessert wurden saftige Beeren aufgetischt, die der Alte mit vollen Backen schmauste, der Herr von Erbenheim jedoch nach einem Blick auf die Finger, die sie gepflückt hatten, ganz verschmähte. Meistens müssen die Buschleute, die zum Glück keine Kostverächter sind und schlechthin alles essen und auch in ihrem Straußenmagen verdauen, mit der Grassamengrütze und den Unkjis sich sättigen. Zum Dank für die Gastfreiheit reichte man ihnen einige Platten Tabak, die ein gewaltiges Gejauchze bis zu den Kleinsten herunter auslösten. Rauchen ist ihnen das höchste Erdenglück, und Rum ist ihnen die ewige Seligkeit – eine andre Religion haben sie scheinbar nicht, Der Buschvater holte aus einem schmierigen Beutel eine Pfeife hervor, stopfte sie und sog, verzückt die Augen verdrehend, den beißenden Qualm ein. Dann reichte er seiner Gattin den Nasenwärmer, der in der Familie von Mund zu Mund ging. Auch das Dreijahrskind paffte, ja das Nestkücken, das noch die Brust bekam, lutschte mit seligem Lächeln und blies den Rauch durch die kleine Plattnase. Das ist keine Münchhausiade. Jedes Familienmitglied durfte einen Zug tun, der Vater aber zwei, was ein Sittengesetz der Buschleute zu sein schien.

Ein Kerl in einem verschmutzten, zerlumpten Offiziersinterimsrock, im übrigen splitternackt, präsentierte sich plötzlich als Kapitän der Buschleute und streckte bettelnd die Hand aus. Ja, wenn er wahre Auskunft gebe, werde er Tabak bekommen. Das dreckig-drollige Dreijahrskind kroch zu Erbs Füßen herum, mit drei vorsichtigen Fingerspitzen tätschelte er das dichte und dichtbevölkerte Wollhaar. Jobst beschrieb den Kapitän Josua, der durch seine ungeschlachte Gestalt und das mitgeführte Vieh kenntlich sei.

Ja wohl, der habe noch an fünfzig Rinder und sogar ein Pferd gehabt und sich als Herrn des Velds aufgespielt, der sitze noch im Südosten an der letzten Wasserstelle des Velds, um beim Herannahen der Deutschen schleunigst auszurücken. Der Buschmann bleckte entrüstet mit den Zähnen. »Wer ... wer ist Herr des Landes?«

»Der deutsche Kaiser,« sagte Jobst.

»Wer ist das? Den Kapitän kenne ich nicht,« rief der verdutzte Buschmann, der keine blasse Ahnung von seinem Herrn und Kaiser, geschweige denn von der deutschen Schutzherrschaft hatte und wild die Augen rollte. »Ich bin der Kapitän und König des ganzen Landes, ich ganz allein. Der dicke Herero drüben ist ein Räuber, schlagt den Schakal tot, schießt alle seine Leute, Frauen und Kinder tot!«

»Also die Genehmigung und den Segen dieses Kaukaukönigs haben wir. Höre, mein Freund! Hast du nicht ein paar gerissene Leute, die auf der Jagd, natürlich zufällig, von dem Josua aufgegriffen und ausgefragt werden, und die ihm sagen, daß alle Deutschen nach dem Süden geritten sind, so daß er sich ganz sicher fühlt?«

»Ich bin der gerissenste von allen und werde gehen. Aber was gibst du mir?«

»Eine Flasche Rum und sechs Platten.«

»Nein, zwei Rum und ... und zehn Platten.« Weiter, als seine Finger reichten, konnte der Kerl nicht rechnen, sonst hätte er unbedingt vierundzwanzig gesagt.

Als die Weißen die Werft verlassen hatten, betastete Erbenheim seine Rocktasche – die drei Platten Tabak waren fort. Das Dreijahrskind hatte sie offenbar stiebitzt und flinkleise, wie ein gelernter Taschendieb, herauseskamotiert. Die Buschleute sind große, ja geborene Diebe. –

Die Truppe ritt gen Südosten quer durch das Veld. Der Führer Renner trieb unruhig vorwärts und war mit seinem Gehilfen und der Vorhut eine ganze Meile voraus und dem Rande der Oase nicht fern.

Vorne in der Tiefe quirlte Rauch auf – dort war das Lager des lange und grimmig Gesuchten. Jobsts Blut schlug bis in die Schläfen, das ganze grelle Jugendfeuer des plötzlich gealterten Recken blitzte unter den buschig drohenden Brauen, in Kampf- und Sühnegier schrie er: »Wir machen sofort und allein die Attacke, damit sie nicht entwischen. Wir umreiten nach rechts die Werft, fallen über sie her, schneiden sie von der Omaheke ab und jagen sie der Kompagnie in die Flinten.«

Die Reiter huschten hinter Büschen und Bäumen, sahen mit Befriedigung den Schein der Feuer – haha, die Schufte kochen ihre Henkersmahlzeit – und galoppierten mit Hurragebrüll, um eine Panik zu erzeugen, auf die schlecht gebauten Pontoks los. Kein Schuß fiel! Kein Hereroschopf oder Kuhschwanz! Die Werft war leer und, nach dem penetranten Hererogestank zu schließen, eben verlassen, die brennenden Feuer nur die übliche List. Jobst knirschte und war drum und dran, vor Wut zu weinen.

Die Kompagnie traf ein und machte ein langes Gesicht. Der Kapitän der Buschleute krabbelte plötzlich hinter einem Busch hervor und gestikulierte: »Weg, weg! Dort... sieh dort! Du kannst ihn leicht einholen.« Seine Hand deutete auf eine Staubwolke an der Kimmung des Himmels, die hinter der letzten Sandwelle verschwand, Dort entfloh der Kapitän Josua seinem Bluträcher, seinem gefürchteten Todfeind. Jobst packte den kleinen Buschmann, stellte ihn mit einem Griff auf den Kopf – da fielen aus dem Offiziersrock und Beutel zwölf Platten Tabak und viele Patronen heraus – und er verprügelte dem König des Kaukauvelds das unbekleidete Hinterteil. »Du Halunke hast uns verraten und ihn gewarnt, und das ist dein Judaslohn gewesen.«

Die Buschleute verraten jeden und dienen jedem, der sie bezahlt, als Spion. Doch selbst in ihrer Brust hat noch ein schwarzes Stammesgefühl und Standesbewußtsein sich verkrochen, so daß sie lieber die Weißen ihren schwarzen, schmutzigen Vettern verraten, als umgekehrt, am allerliebsten treiben sie ein doppeltes Verräterspiel, um doppelten Lohn zu erlangen. Der Kapitän hatte die maßlose Frechheit, heulend seine zwei Flaschen Rum zu verlangen. »Kis, Oviumbo!« sagte Jobst nur. Der Köter fuhr mit wahrer Wonne dem Buschmann in die dünnen Waden, und der König des Velds floh in komischen Hopsern und Hochsprüngen vor dem Teckelbastard. Man sah ordentlich den Helden- und Hundestolz des braven Oviumbo, der seine große Stunde hatte.

Wieder und weiter in das tote Sandmeer mit seinem Dursttod hinein! Jetzt fing die gräßlichste Mühseligkeit und Menschenqual an. Unsre wackeren Krieger sind im Kampf Helden, aber im höllischen Sandfelde wahre Heroen gewesen. Jobst spornte alle an: »Wir sind den Schuften hart auf den Fersen, der Mist ist frisch und keine vier Stunden alt.« Die Losung der Rinder war der zuverlässige Wegweiser.

Zwei, drei Tage reichten die mitgefühlten Wasservorräte aus, am vierten gab's die letzte Ration, einen halben Kochgeschirrdeckel voll für jeden. Dann war kein Tropfen im Wassersack, kein Tropfen im Sande auf hundert Kilometer. Das Grausig-Gräßlich-Grausame, die unmenschliche Menschenpein und Tiermarter, die der Überlebende nie vergessen, und die noch nach vielen Jahren sein Nachtalb sein und seine Träume ängstigen wird, begann.

Von oben stach die erbarmungslose Sonne. Ein gespenstisch stummer, lebendiger – man merkt's nur am Schlagen der Schweife – Leichenzug schlich durch den glühenden Sand, und hinter ihm ritt der Sensenmann mit der Hippe, jagten die fahlen Engel, die Hunger, Durst, Ruhr und Pest heißen. Das flüchtige Scheusal blieb voraus und behielt immer vier Stunden Vorsprung. Der Kuhmist war ein unbestechlicher Zeitmesser. Hier und da lag ein Ochsenkadaver, in dem die Gase und Würmer wühlten.

Aber o Schreck! – plötzlich hörten die Wegweiser auf, nirgends ein bißchen Losung. Die Verfolger hielten still und starrten stumpf. Jobst raufte seinen Bart: »Allmächtiger, wir haben die Fährte verloren, alles umsonst!« Er ist nicht mehr der Mann mit der ehernen Ausdauer, der durch keine Widerwärtigkeit zu brechenden Energie, er ist gealtert und jetzt verzweifelt.

Doch Kitumbua, der spaßig lange Boy, guckte allerwegen, grub mit den Händen, fing an zu grinsen und die spitz gefeilten Zähne zu zeigen. »Massa, Mister, ich hab's. Die Schlauköpfe haben allen Mist, den die Ochsen fallen ließen – und es wird nicht viel sein, da nichts hineinkommt – aufgelesen und in Säcken mitgeschleppt, um die Spur zu verwischen und uns an der Nase zu führen. Schau her! Hier haben drei Finger den Sand berührt und ein klein bißchen Losung liegen lassen... und dort auch.«

»Mein lieber Eierkuchen, für diese Mistatome schenke ich dir dreißig Rupien und das erste Straußenei, das ich finde, zum Alleinverzehren.«

Der alte Afrikaner sprengte mit frischem Feuer voran. Jeder Galopp der Schindmähren wurde bald zum Schritt, so daß sein Neffe ihn einholte und sagte: »Denke an die Gäule, die seit achtundzwanzig Stunden keinen Tropfen tranken!« Erbs entzündete, blutunterlaufene Augen blickten den Oheim gequält, todtraurig und todmüde an. Der Hunger wird zum grausigen Kannibalen, der sich am Menschenfleische vergreift, aber der Durst wird zum grausamen Vampyr, der des Bruders Blut saugt und schlürft.

Jobst erschrak. »Junge, dein Aussehen gefällt mir nicht, du bist krank.«

»Sind wir's nicht alle? Ein todkrankes, sterbendes Heer! Hätte mich bei Hamakari der Kirri getötet, die verstümmelnde Keule wäre barmherzig gewesen.«

Der alte, rauhbeinige Herr sprach weich und innig. »Bedenke! Das große Glück wartet deiner und kommt sogar nach Afrika dir entgegengeflogen... du solltest hier verschmachten, während der perlende Champagner des Lebens dir aufgetischt wird? Nein, nein, das duldet der Herrgott nicht.«

Jener schnitt die Rede ab. »Was geht mich Ella Ritterhus an!«

»Das Fräulein schert mich noch weniger, aber deiner Mutter bin ich verantwortlich für dein Leben. Bis in die Knochen bist du krank, und dieser Mordmarsch grenzt an Selbstmord ... höre, du gehst mit den Maroden nach dem Veld zurück ... hörst du in drei Monaten nichts von uns, so sendest du einen hübschen Nachruf an die Windhuker Zeitung!«

»Pfui Teufel und Felonie! Ich bin kein Feigling, der sich aus der Feuerlinie schleicht.« Erb spornte sein Lottchen, um zu zeigen, was noch an Kraft in ihm sei.– – –

Sechsunddreißig Stunden ohne Wasser! Die armen Pferde schleppen, ziehen mühsam die Füße aus dem Sande, schlagen nicht mehr nach den Fliegen, und ihr Schnauben, Keuchen klingt wie das stete, stille Seufzen der Kreatur. Die Reiter hocken, hängen im Sattel, verschrumpft die Muskeln, stumpf glotzen die Augen, die mitunter auffahren und in die Ferne stieren, wo die Fata Morgana eines rieselnden, kühlen Baches auftaucht, boshaft neckt und täuscht.

»In der diabolischen Omaheke werden alle unsere Knochen bleichen,« krächzt der Hauptmann, »pfui Satan, warum verdursten wir fürs Vaterland? Zu Hause mokieren sich die Philister über uns, weil wir die Kaffern nicht kuschen können, und das Liebvaterland schimpft auf die südwestafrikanischen Helden, die jeder Berliner Großschnauz für schlappe Kerle hält.«

Jobst faltet die Hände und tut eine fromme Fürbitte: »Ich wollte, daß der ganze Reichstag, statt bei Pschorr und Pilsener, hier in der Omaheke und die Presse, die uns lästert, in der Kalahari säße und vor Durst ihre eigene Tinte söffe!«

»Amen!« sagt der Hauptmann feierlich und aus vollem Herzen. Er und der alte Lederstrumpf sind Freunde geworden.

Totenstill schleicht der Gespensterzug durch das Sandmeer. Die Kehle ist wie mit einem Strick verschnürt, die Glotzaugen quellen aus den Schmutzkrusten hervor, die Lippen sind bläulich, wie bei Sterbenden. Ach, die spukhaften Reiter sterben den langsam schauerlichen Dursttod.

Vierzig volle Stunden sind Menschen und Tiere ohne einen Tropfen Wasser!

Ist das eine Halluzination? Horch, eine Stimme! Der Älteste von allen hat noch am meisten Kraft in Körper und Kehle. Was er krächzt, ist eine Erlösung, ein Freispruch auf dem Schafott. »Dort in der Tiefe muß Wasser sein... die paar Flügel der Wüste fliegen dorthin.«

Es muß in der Vley Wasser sein, es muß einen Gott geben! So denken zweiundsiebzig arme, untergehende Menschen in Durstnot und -tod. Alle stürzen herunter, stieren in das Kalkloch. O, in der Vley ist Wasser gewesen, ist nur Schlamm und Verwesung. Hier liegen krepierte Ochsen; drunten stehen die Fährten von Vögeln und Wild. Eine ungeheuere, laut aufschreiende Verzweiflung packt alle. Wozu weiter laufen? Laßt uns hier den Tod erwarten! Oder noch besser, eine Kugel durch den Kopf schießen!

Der Hauptmann befiehlt hart: Aufsitzen! Jobst untersucht einen Ochsen, bemerkt am Horn Einschnitte, Kerben. Das ist die Marke Josuas, die er kennt. »Wir sind auf der Fährte des Bluthundes ... vor zwei Stunden hat Josua versucht, den Schlamm der Pütz zu saufen. Ihm nach!«

Zwei arme Teufel gehen, wie in eignen Angelegenheiten, abseits und kehren nicht zurück – aber zwei Schüsse knallen. Entsetzlich! Keiner geht ihnen nach.

Vorwärts! Die Sterbenden hetzen die Sterbenden. Dann eine kurze Rast, und keine Handbreit Schatten. Die Sonne röstet die Leichengesichter, die Schläfer röcheln. Der glühende Lauf des Karabiners gleitet über den Schläfer und verbrennt Erbs Brust. Sein Rock riecht sengerig, der Onkel weckt ihn.

»Den Sattelgurt fest anziehen!« Selbst die Andromeda ist lammfromm geworden und legt die Ohren nicht mehr zurück. Die lebenden Leichen schleichen weiter dem Dursttode entgegen. In der Kehle sitzen Dornen, die bei jeder Schluckbewegung reißen.

Achtundvierzig Stunden ohne Wasser! In Sonnenfeuer und Glutsand! Alle haben jetzt das Beten gelernt, ein Seufzen ohne Worte. Erb fleht: »Errette mich, mein Gott, aus dieser grauenhaften Not meines Lebens!«

Dort liegen vier tote Ochsen mit Josuas Marke. Die Hereros haben die Halsader durchschnitten und das Blut getrunken. Jobst fürchtet – wir holen sie nicht ein, denn wir haben kein Blut –, sagt aber nichts davon und scherzt mit Galgenhumor: »Nun fange ich auch an durstig zu werden und würde drei Mark für eine Flasche Bier zahlen.«

Ach, mancher Offizier hätte in der Omaheke tausend Mark für einen Becher trübes Wasser gegeben.

Die Geier rauschen, die Schakale wittern Aas und heulen. Taumelnde Rosse bleiben zitternd stehen und stürzen, Reiter bleiben zurück, werfen sich hin und wollen sterben, nur sterben.

Jobst hält die Spitze – und hebt plötzlich die Büchse. Ist das eine Vision oder ein Wahnwitz der Sinne? Ein Schwarzer steht schlotternd vor dem Flintenlauf und trägt eine Kalebasse voll von blinkendem Wasser. Es ist kein Phantom, sondern Fleisch und Blut, nein Haut und Knochen. Es ist ein Feldherero, der seinen Kindlein die Rettung bringen will. Aber das klare, köstlicher als alle Edelsteine der Erde glitzernde Wasser könnte bei dem tückischen Charakter der Kaffern eine Teufelei und vergiftet sein. »He, trinke mir vor, aber einen tüchtigen Schluck!«

Der arme Neger gehorcht sofort, sein Knochengesicht grinst wie ein Totenschädel.

»Deutscher Baas, Nabembi kann saufen bis morgen früh ... soll ich ... für zwanzig Mark?«

Der Pfadfinder nimmt seinen Becher und labt Erbs Lippen und schaut befriedigt zu, wie der Taumelnde trinkt, zwei ... drei Becher. »Halt, nun ist's genug, mein Sohn!«

Der Hauptmann, die nächsten Reiter schöpfen aus der Kalebasse, die im Nu ausgeleckt ist. Jobst hält sie den anderen hin und ist leer ausgegangen.

Als der Hauptmann seine Selbstlosigkeit bewundert, knurrt er: »Ist pure, preußische Subordination, ich befolge den Armeebefehl, der ungekochtes Wasser zu trinken verbietet.« Der Hauptmann, der anfangs den preußischen Offizier herausbiß, nimmt den Hieb lachend hin und schüttelt die Hand des Alten; sie haben jene Freundschaft, welche die Not schweißt, geschlossen.

Eine gute Wasserstelle ist in der Nähe. Ein paar matte Schüsse fallen. Die Hererokrieger, die noch gehen oder kriechen können, fliehen vor dem Bluträcher, die trotzigen Neger rennen tiefer in die Wildnis hinein und ergeben sich nicht, verkriechen sich in Klüften und Schluchten, bis sie dem Durst erliegen. Das ist ein heroischer Zug in dem sonst so häßlichen Charakter des barbarischen Volkes.

Mehr als hundert Neger, meistens Frauen und Kinder, die nichts zu fürchten haben, liegen an der Wasserstelle herum. Unsagbare Jammergestalten, mumienhafte Weiber, halbtote Kinder wimmern um Reis und haben seit acht Tagen nichts, seit vielen Wochen nur Unkjis gegessen. Ein Säugling liegt lutschend an der eingeschrumpften Brust der Mutter, die keine Flüssigkeit im Körper hat und seit Stunden tot ist. Knaben, denen die schmutzige Haut in Falten hängt, blicken aus hohlen Hungeraugen die Reiter apathisch an. Der furchtbare Anblick zerreißt das menschlich fühlende Herz. Die Deutschen, die selbst wenig genug haben, öffnen ihre Brotbeutel und geben alles hin.

Nur eine Pfeife noch rauchen und dann sterben – denkt eine Hereroin, die sich etwas Sitzfleisch und eine bodenlose Frechheit bewahrt hat, denn sie hat flugs einem Soldaten Tabak gestohlen. Ihr Sitzfleisch muß es sühnen.

Die Reiter trinken und trinken, einige leider trotz der Warnungen so eilig und eimerweise, daß sie sich plötzlich umkehren und alles erbrechen. Der entwöhnte Magen rebelliert. Die kräftigsten Soldaten haben sich gelabt und kehren mit Wasser im Tränkeimer zurück, um die maroden Kameraden, die in Sand und Sonne liegen, herbeizuschaffen. Oviumbo kratzt am Stiefel seines Herrn. »Ach, mein Tierchen, du hast das Verdursten tapfer mit uns ertragen und bist vergessen worden.« Erb füllt ihm ein Gefäß und schlürft selber noch einen Becher, den achten! O weh, er hat trotz des Verbots – jetzt erst fällt es ihm auf die Seele – ungekochtes Wasser getrunken, nur dieses eine, erste- und letztemal. Zu wild schrie der Körper nach schneller Linderung der Pein. Dieses eine Mal nur, das wird mit Gottes Hilfe gut gehen; die Hereros haben eben selbst davon getrunken und die Pütz nicht verpestet. Warum tröstet er sein Gewissen so lange? Weil eine Unruhe, eine Ahnung in ihm ist.

Der Hauptmann, der allerdings reichlich-redlich sein Teil, ohne das Abkochen abzuwarten, getrunken hat, wettert mit der alten, schneidigen Wachtmeisterstimme: »Heiliges Donnerwetter! Die Kerle saufen trotz meines Verbotes das Wasser ... weg mit dem Bazillensuff und die Kaffeekessel aufs Feuer!«

Einem Soldaten schlägt er den Becher aus der Hand, und die Kerle lachen einander an: »Gott sei Dank, nun hat der Olle sich erholt, nun ist er wieder der alte Hauptmann Dunnerwetter!«

Oviumbo säuft und säuft, leckt sich die Schnauze und seinem Herrn die Hand. Bald stolziert er zwischen seinen früheren Landsleuten, den gefangenen Hereros, herum, auf die hochnäsigen Kaffern, die ihn einst wie einen Hereroköter geschlagen haben, blickt er hochmütig herab, und in dem schrägen Blick des Bastards liegt die ganze Verachtung des krummbeinigen Vollblutteckels.

An der Wasserstelle ist ein lebensgefährliches Gedränge. Obgleich die Freßbeutel an den Leinen fortwährend auf- und abgehen und frisch gefüllt werden, sind sie in einer Sekunde geleert. Die Reiter tauchen zehnmal ihre Becher hinein. Die armen Gäule, die warten sollen, beißen sich und geraten außer Rand und Band. Während Erb schlürft und denkt – heilig ist das Wasser der Wüste –, fühlt er etwas fast wie eine Frauenwange Weiches an seiner Backe – es ist Lottchens weiche, verstaubte Schnauze, die leise schnauft, den Odem des heiligen Wassers einatmet und innig bittet: Gib mir ein Tröpfchen! Er reicht ihr zwölf Freßbeutel voll Wasser, aber langsam im Lauf einer Stunde, und Lottchen verschüttet keinen Tropfen, denn selbst die Pferde haben in Afrika mit dem kostbaren Gut sparsam umzugehen gelernt.

Unter den Gefangenen sind nur zehn kranke, greise, morsche Männer. Die andren wählten lieber den schrecklichen Sandtod als das reichliche Futter der schmählichen Knechtschaft. Jobst sieht am Horizont eine dünne Staubwolke und sagt finster: »Kapitän Josua, du bist mir wieder entronnen, aber du wirbelst wenig Staub auf, denn du hast kein Vieh mehr und wenig Leute. Josua, du wirst mir deine Blutschuld bezahlen.«

Er fährt die Weiber barsch an, um die Wahrheit zu erfahren. »Wie viele Orlogsleute und Flinten hat Josua?« Die Frauen schielen einander an und schweigen verstockt. Jedoch das diebische Frauenzimmer, das sein Sitzfleisch schonen muß und aus dem Bauche liegt, lacht widerlich: »Ich will es dir sagen für eine Platte Tabak.«

Er wirft sie dem Scheusal, das eine von Josuas Gemahlinnen ist, hin.

»Der Kapitän liegt dahinten und pfeift auf dem letzten Loch.«

Der Afrikaner prallt zurück, glaubt dann an eine Lüge, um Tabak zu erschwindeln, und schlendert nach dem verkrüppelten Hackidorn hinüber, der einen kümmerlichen, kopfgroßen Schatten spendet. Erb steht schon neben dem Gestrüpp und betrachtet einen riesigen Neger, der das ihm gereichte Wasser erbrochen hat, schwer röchelt und dicht neben der Bley den Dursttod stirbt. Ist diese Knochenmasse, mit schwärzlicher Lederhaut überspannt, noch ein Mensch? Der einstige Wanst hängt in großen Falten. Jobst steht wie versteinert und hat in dem noch atmenden Leichnam seinen Todfeind erkannt.

Erb sagt dumpf und feierlich: »Hier ist der Kapitän Josua! Nimm deine Blutrache und sühne deine Schmach ... wenn du kannst.«

Jobst beugt sich herab, ruft den Röchelnden ins Bewußtsein zurück, ruft hart: »Josua, du hast mich geschändet und mein Weib entehrt, du hast mein Glück, meine Ehre, mein Leben ermordet.«

Die das Weiße verdrehenden Augen des Negers haben den erbarmungslosen Bana Bunduki erkannt und rollen in grausiger Angst vor dem schmetternden Kolben, dem qualvollen Todesstreich.

Der Alte aber wirft die Büchse mit dem erhobenen Kolben hin und kniet neben dem Herero. »Ein andrer hat gerichtet und gerächt ... dieser elende Mann ist nicht mein Feind.« Er nimmt sanft-behutsam den Kopf des Sterbenden in seinen Arm und hält einen Becher mit Wasser an die bläulichen Lippen. Er labt mit einem letzten Trunk seinen Todfeind.

Josua öffnet noch einmal die Augen – keine Angst, nur jähes Erstaunen ist darin, als wenn ihm ein Rätsel, ein Wunder, ein Gott in seinen letzten Zügen begegnet sei. Der Kapitän verscheidet in den Armen des Pfadfinders, der ihm die Augen zudrückt.

Das war Jobst Renners Blutrache.

Die deutschen Krieger, die eine Durststrecke von hundert Kilometern überwanden, haben den schrecklichsten Feind Südwestafrikas besiegt und die größte Heldentat des ganzen Krieges bestanden. Viele einzelne Trupps verfolgten die verschiedenen Horden bis in die letzten Schlupfwinkel, bis Orlogsende an der englischen Grenze.

Haben diese deutschen Helden und Heroen der Omaheke die verdiente Anerkennung gefunden? Nein, nein! Die Verkennung und Verkleinerung seiner besten Söhne war von jeher ein unsympathischer Charakterzug des deutschen Michel.

Nachdem die erschöpfte Kompagnie zwei Tage sich erholt hatte, wurde der Rückmarsch angetreten, mußte dieselbe Durststrecke noch einmal überwunden werden. Doch man hatte, durch die Not gewitzigt, gelernt, in den ersten Tagen besser mit dem Wasser zu geizen.

Und trotzdem haben viele Reiter Okahandja nicht erreicht, hat mehr als ein Drittel der Mannschaft die Heimat nie wiedergesehen. Post equitem atra sedet cura. Hinter dem Reiter ritt der Dursttod. Hinter dem Reiter hockte die Pest. Hatten die Hereros das Land, die Luft vergiftet? Wie eine Lawine schwoll das Verderben, ein Mann, dann drei ... fünf meldeten sich krank, die Lazarettkarre war voll von hohläugigen Fiebergestalten. Wer nicht ganz zusammenbrach, kroch nicht in den stinkenden, erstickenden Brodem hinein. Sieche hielten sich im Sattel fest, von ihren Kameraden hüben und drüben gestützt.

Erb spürte ein schmerzhaftes Brennen und Schneiden im Leibe, entsetzte sich und schwieg, um seinen Onkel nicht zu ängstigen. Um unbemerkt abseits zu treten, brauchte er alle möglichen Kniffe. Am nächsten Tage war es ärger, in allen Eingeweiden bohrten und schnitten die Messer. Als er hinter den Busch tretend sah, daß schieres Blut abging, schrie seine Seele laut auf: »Ich habe in Unvernunft ungekochtes Wasser, ich habe Gift getrunken. Das ist der Typhus, der Tod!« Am dritten Tage war die Pein im Leibe unerträglich und die schwere Erkrankung nicht mehr zu verheimlichen, denn er fiel vom Pferde herunter und in die Arme seines väterlichen Freundes.

Der Hauptmann hatte erst geflucht und fing nun an zu beten. Nicht für sich, sondern für seine Kompagnie! Um seinen eigenen Kadaver, wie er sagte, war der Mann nicht besorgt.

Jobst lugte oft unter das Plandach, zog den wüsten, verwahrlosten Kopf zurück und hatte eine schwere Träne in der Wimper. Der rauhe, harte Afrikaner weinte.

Der Hauptmann nahm unterwegs halb mit Gewalt einer ihm begegnenden Transportkolonne einen Ochsenwagen ab. Der neue Wagen kreischte, holperte, stieß und schleuderte ebenso entsetzlich, acht Stunden am Tage – eine Höllenmarter. Erb starrte mit den fieberheißen Augen das Plandach an. Seine letzten klaren Gedanken waren weit, weit weg und voll Weh. Die Kugeln der Hereros haben mich nicht getroffen, Hunger und Durst und die Wüste verschonten mich, damit die ekle Seuche mich langsam erwürge. So nahe dem Ziel soll ich sterben, noch ehe ich meine Ehrenrettung geschmeckt, ehe Ella, die nach Afrika eilt, mir das dunkle Rätsel gelöst hat. Pfui Teufel, ein tückischer Trunk, ein scheußlicher Zufall ist mein Tod. Nein, nein, Gott ist der Herr und Helfer. Mein Gott, laß mich nicht verrecken in Seuche und Schmutz, laß mein Auge nicht erlöschen beim Aufgang der Sonne ...

Die wilden Fieberphantasien wälzten fortan seinen Körper, zerwühlten seinen Geist. Er wußte nicht mehr, wo er war, auch nicht, als das Schleudern und Schreien plötzlich- endlich aufhörte und er im Lazarett zu Okahandja im weißen, stillen Bette lag. Eine tiefe Bewußtlosigkeit umfing ihn.

Viele, viele brave Reiter und Streiter kamen nicht so weit, sondern wurden im Sande verscharrt. Der Würgengel Typhus und Blutruhr wütete im Heer und hat weit mehr Soldaten getötet als alle Flinten der Hereros und alle Todespfeile der mörderischen Wildnis. Ein roh zusammengeschlagenes Kreuz bezeichnet ihre Ruhestätte. Das ist ihr Ehrenkreuz und Ruhmesorden.

Hunderte von solchen Holzkreuzen stehen im ganzen Damara- und Dornenlande verstreut und zeugen von den deutschen Helden, die uns ein Neudeutschland mit ihrem Blut erworben haben.– – –

Die Menschen und Pferde wurden nach der Durst- und Hungerkur der Omaheke auf der guten Weide Okahandjas voll und rund. Jobst Renner hingegen nahm um kein Lot zu, sein Gang war langsamer und leiser, und die Züge des von der Narbe seltsam entstellten Gesichts waren schlaffer und hagerer geworden. Das war die Sorge um seinen Neffen, der mehr einer blutlosen Leiche als einem Lebenden ähnelte und doch mit einer ungeheuren Lebensenergie gegen das Sterben sich wehrte. Auch die Nachwehen der übermenschlichen Strapazen und die Vorboten der abnehmenden Tage zehrten an dem eisernen Körper des alten Afrikaners. Mehr als einmal glaubte der Stabsarzt, daß Erb den Morgen nicht erleben werde. Nach einer solchen Nacht sah der Alte grau, müde und um ein Jahr älter aus.

Dem Exkannibalen Kitumbua, der hier mit seinen schwarzen Händen nicht pflegen durfte, kullerten die dicken Tränen über die schwarzen Fettbacken – denn er pflegte sich –, aber nach der optimistischen Art des Negersanguinikers tröstete der biedere Eierkuchen sehr bald sich selbst und seinen Herrn also: »Der weiße Bana hatte am großen See das schwarze Wasser, davon alle sterben, und starb doch nicht. Es ist daher Allahs Befehl, daß er leben soll, denn er ist ein sehr guter Mann und Allahs bester Freund.« Jobst schüttelte traurig den Kopf bei dieser gottesfürchtigen Kalkulation. Aber Eierkuchen durfte bald mit Genugtuung feststellen, daß seine Rechnung richtig gewesen und Erbenheim Allahs spezieller Busenfreund sei.

Der Stabsarzt erklärte am Morgen: »Wir werden vielleicht den Patienten durchbringen.« Und einige Tage später: »Hoffentlich, hoffentlich.«

Der Oheim durfte für zehn Minuten den Schwerkranken besuchen; er, der den Teufel nicht fürchtete, erschrak sehr. Herrgott, das waren die Knochenhände eines Toten. Doch die Augen waren klar und die Hände, Gott sei Dank, warm. Gewissenhaft legte er seine Uhr vor sich hin, um die Zeit inne zu halten, erfaßte die Hände und fing mit einem Fluch an. »Pfui Teufel, ich kann das Flennen nicht lassen... ich werde ein Greis, ein altes Weib in meinen alten Tagen.« Eine dicke Träne lief sich in der Narbe fest.

Oviumbo sprang am Bett hoch, heulte vor Freude, leckte die weiße Hand und bekam Nieskrämpfe. Der Hund, der endlich seinen Herrn gefunden, ließ sich nicht mehr, weder mit Güte noch Gewalt, aus dem Zimmer fortbringen. Dem Lazarettgehilfen, der ihn mit dem Besen vertreiben wollte, fuhr er in die Waden, was seine alte, bewährte Strategie und Taktik war und auch Erfolg hatte. Keiner band mit Oviumbo an. Der Hund wurde schließlich durch Zudrücken eines oder beider Augen im Lazarett unamtlich geduldet. Sobald aber die ärztliche Visite sich näherte, verkroch Oviumbo sich mäuschenstill unter dem Bette, um unliebsame Erörterungen oder gar Ausweisungsbefehle zu vermeiden. Wollte er mal austreten, so vermied er den großen Gang, um den Ärzten nicht in die Augen zu fallen, ging durchs offene Fenster und kam auf demselben Wege pünktlich zurück.

Der Kranke, der von dem Weltlauf der letzten Wochen nichts wußte, fragte mit einer ganz leisen, merkwürdig fremdartig und fernher klingenden Stimme, als wenn er weit, weit weg und unterwegs nach einem andren Planeten gewesen wäre. Jobst erzählte und sah nach der Uhr. »Hendrik Witboi, mein alter Freund und Gönner und von all diesen afrikanischen Dreckfürsten noch der anständigste Gauner, hat plötzlich Aufruhr gemacht und gleich mit der Ermordung seines Freundes Burgsdorff angefangen. Dieser Staatspensionär des Reichs, den die Deutschen zu sehr verhätschelt haben, ist ein kleines, gelbes, greulich häßliches Kerlchen, aber ein ganzer Kerl und unter allen Farbigen, die ich gekannt habe, der bedeutendste Geist und stärkste Charakter, ja ein geborener Feldherr, Diplomat und Herrscher, der auf einem Großmachtthrone Europas wahrscheinlich ein zweiter Napoleon geworden wäre; denn auch die korsische Räubernatur des Bonaparte sitzt ihm im Blute. Dieser absolute Autokrat der faulen, widerspenstigen Hottentotten, der ihnen die erbeuteten Rumfässer vor der Nase zerschlug, hat immer nach den klaren Berechnungen seines gescheiten und oft genialen Kopfes gehandelt... nur dieses eine Mal scheinbar nicht. Religiöse Wahnideen eines falschen schwarzen Propheten haben ihm den verschlagenen Kopf verdreht, das schwarze Freiheitsevangelium »Afrika den Afrikanern«, eine Furcht vor dem Untergange und seine Großmannssucht, ein Befreier und Held der Neger zu sein, haben ihn zur blutigen Tat hingerissen. Wäre es eitel Berechnung gewesen, so hätte der alte Fuchs gemeinsam mit den Hereros losgeschlagen, und kein Weißer der Kolonie wäre dem Blutbade entronnen. Auch das Strafgericht an den Hereros hat ihn entsetzt, der ewig Mißtrauische sagt sich: Der Nächste bist du, dem die Deutschen Land und Herrschaft nehmen. Unzeitig-unsinnig hat er den Orlog angefangen... Gott verläßt die Deutschen nicht trotz ihrer vielen Dummheiten. Das im Süden wird aber ein böser Brand werden ... Hendrik ist ein großer Gegner und ein Meister im zermürbenden Guerillakriege.«

Erb wurde unruhig. »Ich muß in zwei... drei Tagen aufstehen...«

»Nein, du mußt noch drei Monate vor Anker liegen ...«

»Ja, ich bin ein Wrack und bleibe ein Invalide...«

»Nee, du wirst frisch kalfatert und aufgetakelt und völlig felddienstfähig werden. Aber ich, ich roste hier, meine Beine werden schlapp und meine Muskeln weich vom ewigen Essen und Schlafen... aber im Orlog bin ich wieder der Alte. Mein Junge... sie rufen mich nach dem Süden, und ich lüge ihnen vor, daß ich noch etwas morsch bin, während ich hier ganz morsch und mies werde ... ich warte ja nur darauf, daß die Arzte mir ein schriftliches Attest, daß du gesund wirst, geben... das wollen sie noch nicht, und das sollen sie mir geben... ehe gehe ich nicht fort, ich würde ja keine Stunde ruhig schlafen, wenn ich das nicht schwarz auf weiß habe.«

Erb bat ihn, dem Ruf der Truppe zu folgen. »Ich gebe dir mein Wort, daß ich gesund werde.«

»Dein Wort ist sehr gut, aber mit Attest und Bürgschaft der Ärzte noch besser ... ich will es schriftlich und weiß wohl, daß die Ärzte – auch das einjährige Doktorembryo – über den Eigensinn des ollen Lederstrumpf lachen ... o weh, ich habe nur noch eine Minute und will mich von den Hautflickern nicht hinausschmeißen lassen ... Hab dir noch etwas zu sagen...«

»Ein Brief?«

»Nee, sie kommt ja nicht brieflich, sondern persönlich und hat ihre Ankunft in Swakopmund gemeldet. Was ich sagen wollte... steht nicht irgendwo: Selig der Mann, der die Anfechtung und Prüfung bestanden hat? Du hast ausgelernt, mein Sohn, und die Prüfung bestanden. Du bist jetzt ein ganzer, echter, wackerer, wahrer, kurz, ein alter Afrikaner, einer von denen, die dieses neudeutsche Land gebraucht. Nun kann ich ruhig abgehen, ich hinterlasse keinen leeren Raum, du wirst meinen Platz ausfüllen... das ist meine Freude und meine Fortsetzung auf Erden. Ich verpflichte dich, für einen Enkel, einen echtdeutschen Afrikaner, Sorge zu tragen; denn auch dir wird Gott einmal den Abschied geben.«

Die Zeit war verstrichen, Jobst preßte die weiße Hand und verschwand.

Erb fühlte sich so hochgeehrt, als wenn er das eiserne Kreuz und einen afrikanischen Adelsbrief bekommen habe. Neue Lebenskraft flutete durch seinen matten Körper.

Der Rekonvaleszent verlangte nach Nahrung und träumte behaglich, und eine ganz feine Röte hauchte über die weißen Wangen. Die Ärzte hatten lachend beschlossen, um den alten, hartnäckigen Kauz und Quälgeist los zu werden, ein Attest auszustellen, ein möglichst witziges, worin dem jungen Afrikaner die leibliche und dem alten die geistige Gesundheit verbrieft und verbürgt wurde.

Infolge eines sehr vorsichtig knisternden Geräusches schlug der Patient die Augen auf, und es gelang ihm, den Kopf zu heben. Der Hund knurrte. Eine fein gekleidete und gut frisierte, schlanke und schmucke Dame, nicht aus afrikanischen Gefilden – denn die Ansiedlerfrauen tragen schlichte, lose, luftige Kleider –, sondern von irgendeinem Planeten hergeweht, stand in der Tür und stockte. Das war eine so ungewöhnliche, unlazarettgemäße, ja ungebührliche Erscheinung, daß Oviumbo kläffend auf sie losfuhr und durch Zähnefletschen ihr den Eintritt verwehrte.

Erbs Augen erweiterten, seine Pupillen vergrößerten sich unheimlich. Das Wunder, obwohl er es in Träumen erwartet, ja erlebt hatte, machte ihn fassungslos. Endlich stammelte er ein Wort, ein recht triviales, denn die Menschen sind in den größten Augenblicken meist nicht groß und geistreich, sondern stumm, stotternd und auf den Mund geschlagen. »El–la, du kommst zu mir? Du kennst mich nicht wieder ...«

O, sie kannte ihn und wollte kommen, konnte es aber nicht des schrecklichen Köters wegen. »Kusch dich, kusch dich!« Oviumbo war aber außer Rand und Band und knurrte bissig, als wenn er instinktiv in der auffallenden, verdächtigen Gestalt einen Feind und Nebenbuhler wittere. Der Herr mußte sehr grob werden, ehe der Hund sich verkroch und unter dem Bett höchst mißtrauisch auf die Unterredung horchte.

O, das war dieselbe sanfte, süße Mädchenerscheinung, mit der er hinter dem Rücken der Antiquitätentante vielsagend-flüchtige Augenzwiesprache gehalten, aber zwischen den Augen und um die Lippen saß ein neuer Zug, ein Mal und Stempel stiller Schmerzen und erstarkter Energie.

»Erb, du bist unschuldig, glänzend gerechtfertigt... das hätte ich als erste dir verkünden wollen, aber der Telegraph war schneller als ich.«

Die ganze, grauenhafte Bitterkeit stieg ihm bis in den Hals hinauf und stürzte als Hohn über die weißen Lippen. »In aller Unschuld wolltest du mir meine Unschuld mitteilen, obwohl du, wie alle andren, an meine Schuld felsenfest geglaubt und mich für einen gemeinen Dieb gehalten hast.«

Ella errötete und erbebte, nur ihr Blick war fest auf ihn gerichtet und ihre Stimme frei und furchtlos. »Ich habe es nicht geglaubt, sondern ich habe vor der Tante, die von dem kriminellen Menschen kein Wort mehr hören wollte, gestanden und gestampft, ja geschrien: Ich will tausend Eide schwören, ich will nicht selig werden, wenn er ein ... ein ... ist. Und ich habe gewartet auf eine Zeile von dir ... wie die gepeinigten Seelen im Fegefeuer auf einen Tropfen Wasser, so habe ich geschrien nach einem Wort von dir, nach dem Wort: Es muß zu meiner Rettung bezeugt werden, daß ich dein Sparkassenbuch bekommen habe! O, dann hätte ich es der Tante und aller Welt ins Gesicht gerufen, in allen Zeitungen hätte ich's geschrieben: Ich habe ihm mein bißchen, meine zwölfhundert Mark zur Verfügung gestellt! O, du schwiegst, schwiegst, schwiegst! Dein grauenhaftes Schweigen ... warum? Aber alle zischelten, alle Zeitungen schrieben: Es ist einwandsfrei bewiesen, daß der Sohn des Landgerichtsrats ein Spieler war und Spielschulden hatte, daß er den Brillantring versetzt hat. Und die Tante heulte mir die Ohren voll: Es ist sonnenklar, daß ich mein altes, hochangesehenes Haus einem Verbrecher öffnete! Da fing ich an zu zweifeln, zu verzweifeln, zu denken: Was sind meine armseligen zwölfhundert Mark, um einen Kavalierwechsel, der sich auf Tausende beläuft, zu decken? O, er schweigt, weil er die wahre Höhe seiner Ehrenschulden mir verheimlicht hat. Meine paar hundert Mark konnten ihn nicht retten, aber ein Ertrinkender greift nach allem ... ach, als ich ihm mein Sparbuch in die Tasche schob, jubelte er nicht wie ein Geretteter, sondern sein Auge blickte voll trostloser Bedrückung und wie das böse Gewissen mich an. Nach dieser Erkenntnis brauste es vor meinen Ohren, ich fiel in eine Ohnmacht und wochenlange, schwere Nervenkrankheit ... der Wahnsinn stürmte wild und wohl um ein Haar über mein Haupt hinweg ... die Ärzte befahlen, daß jede Zeitung vor mir versteckt werde. Nach zehn Wochen erwachte mein Geist ... da war es geschehen, das Todesurteil gefällt ... die Menschen, die so schnell vergessen, sprachen nicht mehr von dem furchtbaren Fall ... ja, die Tante log mir aus sogenannter Liebe vor, du habest alles gestanden! Erb, du bist im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen ... aber ich wurde verurteilt, als ich die Wahrheit erfuhr ... jetzt sollst du mich freisprechen, denn mein Gewissen und Herz verdammen mich.«

Mit Erstaunen und Erschrecken hatte er ihr zugehört, denn sein Rätsel löste, sein Dunkel lichtete sich. »Ella, ich kann dich von deiner sehr kleinen und geringen, mich aber nicht von einer großen Schuld freisprechen. In der Untersuchungshaft wartete und wartete ich mit wahnsinniger Ungeduld, daß du kommen und für mich zeugen und sagen würdest, ich, ich habe ihm das Geld gegeben ... ich harrte und harrte, daß du wenigstens eine Zeile schreiben und mich von meinem Worte, meinem Ehrenworte, von dem Darlehen zu schweigen, dich nicht zu kompromittieren und im Hause der Tante unmöglich zu machen, entbinden würdest ...«

»Mein Gott, mein Gott!« schrie das junge Mädchen fassungslos, »welche verhängnisvolle Verkettung von Irrtümern! Du solltest ja nur diskret sein, ohne Not meinen Namen nicht nennen, so war's nur gemeint ... hier aber war eine ungeheure Not und Zwangslage, hier, wo es eine Menschenexistenz und -ehre galt, solltest du natürlich reden, die volle Wahrheit sagen und auf mich nicht die geringste Rücksicht nehmen. Höchstens hätte die entrüstete Tante mich an die Luft gesetzt, Schlimmeres hätte mir nicht passieren können. O, dein überspannter Ehrbegriff hat dich elend und ehrlos und mich tiefunglücklich gemacht.«

»Wenn du dadurch die Tante, die Erbschaft verloren hättest, das hätte ich nicht verantworten können. Ein Mann hält sein Wort ... sie, so sagte ich, sie allein kann und muß mich davon absolvieren ... ob sie mir den Kopf abschlagen, ich schweige ... sie muß zeugen und meine Unschuld in die Welt schreien ... das redete ich mir in den langen Gefängnisnächten eigensinnig-irrsinnig vor ... mein Ehrgefühl war damals, wo man mir meine Ehre abschneiden wollte, krankhaft gesteigert, unsinnig vergrößert ... verstehst du mich, warum ich trotzig die Lippen schloß und dich als Wahrheitszeugen nicht rief?«

»O Irrtum über Irrtum, o Wahn über Wahn!« wehklagte sie mit zuckenden Lippen, »ich bin mitschuldig an deiner Schande, vergib mir, vergib mir!«

»Ein finstrer, verbissener, ungeheurer Trotz nahm Besitz von mir, ich wollte unschuldig leiden und hassen und fluchen, alles und alle hassen, verfluchen, vernichten. Dieser Starrsinn hat mich selbst verurteilt und vernichtet.« Erb schloß die Lider, um nicht laut zu weinen.

Ellas Augen füllten sich mit Tränen. »Gott ist dir ein harter Herr und Vater gewesen ... du hast schuldlos das Schrecklichste, das ein Mensch erdulden kann, gelitten.«

»Schuldlos nicht,« flüsterte der Kranke, »ich wußte, daß der Wein meine Willenskraft schwächte, und nahm das Glas, ich kannte genau meinen Erzfeind, der mein Fluch geworden, und faßte doch die Karten an. Darum mußte das Schicksal mich so grausam hart anfassen ... ein solcher Krebsschaden muß ausgebrannt und ausgeschnitten werden ... jetzt weiß ich, daß ich von der Spielseuche, die so viel Jugend zugrunde richtet, geheilt bin.«

Sie betrachtete den bleichen Krieger mit einem unendlich zärtlichen Blick – das war derselbe kindlich-keusche, verheißungsvolle Blick, der ihm damals, als er hinter dem Rücken der Tante ihr die erste Rose schenkte, jubelnde Siegesgewißheit gegeben hatte. Plötzlich wurde sie tiefrot und von tödlicher Verlegenheit befallen.

Die junge Dame erhob sich und reichte ihm die Hand zum Abschied. Er hielt die Hand fest und ließ sie nicht wieder fahren, er zog mit einer Kraft,die man dem geschwächten Körper nicht zugetraut hätte, die allerdings wenig widerstrebende Gestalt näher und näher an seine Wange, sein Herz, seine Lippen.

»Erb, du kannst mich wirklich und wieder lieb haben?«

»Ich kann es nicht nur, ich muß es ...«

»Ja, es ist ein Muß, ein übermächtiges ... wie eine Eingebung, wie ein Zwang und Gehorsam kam es plötzlich über mich ... ich mußte, ohne zu beachten, wie die Menschen zu Hause es auslegen und lachen würden, ohne zu fragen, was du denken würdest, ich mußte nach Südwest reisen und mit dir reden.«

Erb umarmte die einstige und einzige Geliebte, und der Offizier a. D. lachte übermütig: »Was ich denke? Hm, ich denke, du sollst nicht umsonst die weite Reise, sondern eine allerdings recht mäßige Partie in Südwest machen.«

Ella Ritterhus konnte auch in dem Schelmentone singen. »Ich bin aus Europa ausgerückt, weil ich eine Heidenangst vor den Freiern hatte, die mein Geld so schrecklich lieb haben ... ich habe klug kalkuliert und berechnet, daß der Mann, der mich liebte, als ich noch ein armes Hascherl war, nicht nur meinen Mammon, sondern auch meine Person heiraten werde und für mich die vernünftigste und beste Partie sei.«

Jobst stand in der Tür, schnitt die grinsende Grimasse und sagte: »Glück auf, Glück auf zur reinen Vernunftehe!« Mit dem großen Auge fixierte er Fräulein Ritterhus von oben bis unten, vom Hut bis zu den Schuhen, und das Resultat seiner Prüfung war: »Ein schmuckes Frauchen und sehr fein aufgetakelt! Daraus mußt du nun selbst eine richtige Afrikanerin machen, die auf der Pad zu trecken, im Sattel zu sitzen und einen Springbock zu schießen versteht.« Nach einer Weile kaute der Alte tiefsinnig und sagte trocken: »Nun willst du also demnächst deinen eigenen Harem gründen, nein, nein, eine christliche Ehe schließen ... hm, du nimmst dir also einen andren Sozius, ich bin überflüssig geworden, du brauchst mich nicht mehr ...« In dem wunderlichen Gesicht saß ein unwirscher Zug. War sogar in diesem selbstlosen Herzen ein kleines Maß von Menschlichkeit, ein Fünkchen Eifersucht, weil er abnehmen und mit dem zweiten Platze in Erbs Herzen sich begnügen mußte?

»Ein Sohn braucht seinen Vater immer, immer ...«

»Vorläufig aber nicht ... ich gehe heute nach dem südlichen Kriegsschauplatze ab ... der Generalstabsmajor läßt mir keine Ruhe, weil ich landeskundig bin ... auch ist es meine Pflicht gegen mein Vaterland, zu gehen, denn Großnamaland ist noch sandiger, wasserloser und schrecklicher als Damaraland und auf weite Strecken eine wahre Namib. Mein Attest, daß du gesund wirst und ich geistig normal bin, habe ich ja in der Tasche. Was wollte ich noch sagen? Ja, hm, meine Bank, die ich auf der Brust trage, will ich lieber in Windhuk deponieren, denn die Hottentotten sind die größten Diebe und Spitzbuben. Du weißt also Bescheid, wenn Monsieur Hein mich findet. Er ist ein harter Gläubiger, der mehr als einmal nach meinen Rockschößen griff, um mich vor Gottes Richterstuhl zu schleppen ... schließlich kriegt er mich doch, kriegt er uns alle ohne Ausnahme beim Schopfe.«

In dem engen Raume eines Krankenzimmers stehen die größten Gegensätze nebeneinander. Hier sitzt das alternde Leben mit seinen Todesahnungen, dort glüht das heißwangige Lebensglück auf der Gipfelhöhe des Lebens, und alle Himmel hängen voll von Geigen, an allen Horizonten gaukeln Träume und Hoffnungen. Jobst fährt vom Stuhle empor und zur Tür mit den Worten: »Ich Esel will nicht wie eine alte Ohreule krächzen.« Er bleibt aber stehen. »Den Hund mußt du mir leihen, so leid es mir tut, der Köter riecht einen Witboi auf hundert Meter.«

Der Kranke nickt und nimmt von dem krummbeinigen Teckelbastard bewegten Abschied. Noch tiefer bewegt, ja erschüttert wird seine Seele, als sein alter Meister, Freund und Vater ernst und feierlich sagt: »Du bist zu meiner Freude ein ganzer, alter, echter Afrikaner geworden, darum gehe ich getrost, auch die unbekannte Pad nach dem unerforschten und unerforschlichen Veld. Du wirst Haus und Heim dir bauen, ein neues, kräftiges Afrikanergeschlecht wird aufwachsen im Lande und es mit seinen Dornen und Dünen, Bergen und Kuppen als Heimat lieben. Nimm mir den Trost und Traum nicht, versprich mir, dieses Land, das wir mit viel Blut erkauft haben, nicht zu verlassen, sondern Südwest, das Aschenbrödel unter unsren Schutzgebieten, zu lieben und diese Kolonie, die Tausenden Brot und Wohlstand geben wird, als alter Afrikaner zu bauen, zu fördern und festzugründen und als dein Vaterland hoch und wert zu halten und gegen jeden Feind zu wehren.«

Erb gelobte es mit einem festen Händedruck. Sein Herz hing an der freien, unendlichen Weite dieses Hochlandes mit seinen Felsbergen und Sanddünen, seinen furchtbaren Wüsten und fruchtbaren Weiden, so daß er dieses wilde Afrika liebte und nicht mehr lassen konnte.

Jobst legte seine Hand auf das volle, seit Wochen unschorene Haar des Neffen. »Dir, mein Sohn, wird es wohl gehen in Südwest, dein Leben wird viel Arbeit und Mühe und einige Enttäuschung, aber auch viel Erfolg und fröhliche Frucht sein. Deine Herden werden sein wie der Sand der Namib, dein Geschlecht wird wachsen und blühen und starke Sprossen treiben. Dein Feld und Haus wird Jahrhunderte stehen und deine Saat dem spätesten Urenkel noch reiche Ernte tragen. Der ewige Gott wird dein Hüter und deines Landes Schutz- und Schirmherr sein.« Der Vatersegen klingt groß und gewaltig, wie eine Weissagung und Verheißung, aber auch wehmutsvoll und ergreifend, wie der Segen eines Scheidenden und Sterbenden.

Jobst nickt noch einmal in der Tür, der Hund Oviumbo zerrt an der Leine, blickt seinen Herrn vorwurfsvoll und verzweifelt an und hebt die Schnauze, um jämmerlich zu heulen. Erb hält sich die Ohren zu, immer ferner klingt des Tieres winselnde Wehklage. – –

In der ersten Morgenfrühe erwacht der Schläfer und reibt sich die Augen – was wurde durchs offne Fenster geworfen und fiel auf den Estrich? Himmel! Der Hund, der auf dem ersten Lagerplatze die Leine zerbiß und ein Stück Lederriemen am Halsbande schleift, ist durchs Fenster gesprungen. Oviumbo leckt die Hand, die ihn streichelt, heult vor Erregung, niest wie verrückt, erstickt beinahe in seinem Freudengeschrei.

Unter dem Bette liegend, knurrt er ganz leise, als seine Rivalin, die ihm unheimliche Europäerin, erscheint. Der kluge Köter hat sich aber bald mit ihr und seinem Schicksal versöhnt. – – –

Hendrik Witboi, der kleine, häßliche Hottentott, war der fähigste Kopf und stärkste Charakter, den die farbige Rasse in unsren Tagen hervorgebracht hat, war zweifellos ein geborner Herrscher, ein großer Feldherr im afrikanischen Orlog und ein sehr gefährlicher Gegner. Mehrere deutsche Abteilungen jagten den listigen Fuchs, der alle Schlupfwinkel des wilden, wasserlosen Namalandes kannte und alle Schliche anwandte. Oberst Deimling marschierte im November hinter den weichenden Witbois her, wie er wähnte. In Wirklichkeit war Hendrik der Schlaue nach dem Gefecht bei Rietmond nicht gen Kalkfontein gezogen, sondern hatte einen Haken geschlagen und durch die Dünen einen für Deutsche unmöglichen Weg nach Groß Nabas gewählt. Hier stieß er auf die unglückliche Abteilung Meister, die ahnungslos dem ganzen Hottentottenheer in die Arme lief und den grausigsten Kampf des ganzen Krieges bestehen mußte und heroisch bestanden hat.

Der landeskundige Führer Renner befand sich bei dieser Abteilung, hielt zu Pferde und meldete dem Kommandierenden: »Ich habe keinen Hottentottenhuf im Sande gefunden, und doch sitzt es in meinen alten Knochen wie Gewitterluft, und mein Instinkt, mein Daimonion sagt mir, daß die gelben Affen in der Nähe sind. Wir müssen mit Vor- und Nachspitze und Seitenpatrouillen aufklären.«

Ein deutscher Offizier gibt nichts auf Aberglauben und Instinkte. Es wurde aber eine Vorhut am Auobflusse vorgeschoben, obgleich Hendrik meilenfern in den Sanddünen sitzen mußte.

O, der Fuchs saß am Auob, an der besten Wasserstelle, mit elfhundert Hinterladern und wartete auf die schwache, nur zweihundert Mann starke Abteilung, die in seine Falle und ihren Untergang laufen sollte. Sie tat, was der Witboi wollte, aber auch, was er nicht gedacht, sie wehrte sich tagelang mit Löwenmut gegen die gelben Wölfe. Hendriks plötzlicher Schachzug gen Norden war ein strategisches Meisterstück, das allein an deutscher Tapferkeit und Ausdauer scheiterte.

Am Neujahrstage gegen Abend sahen die erstaunten Deutschen Reiter mit weißen Hüten, die zu großen Schwärmen und bald mit Unbehagen auf sechshundert Mann geschätzt wurden. Das Feuer begann und blitzte bis in die Dunkelheit hinein. Die Truppe biwakierte in der Schützenlinie neben dem Gewehr die ganze Nacht und lag oft keine zehn Meter von dem hinter Steinen lauernden Feinde. Ein tropisches Gewitter wütete eine Stunde lang, goß seine Wolkenbrüche auf die frierenden Krieger und war doch ein Gottesglück, denn es erquickte mit seinem Wasser Mann und Pferd und gab Kräfte für den grauenhaften Kampf. Um die elenden Wasserlöcher wurden auch hier Blutströme vergossen.

Der 2. Januar war fürchterlich. Hätten die Hottentotten den stürmenden Elan und den todverachtenden Mut besessen, so wäre kein Deutscher am Leben geblieben; aber die gelben Kerle sind vortreffliche Schützen in Hinterhalt und Deckung, aber vorsichtig-feige im Handgemenge.

Die glühende Sonne verbrannte das Gehirn, verdorrte das Blut in den Adern, die blätterlosen Büsche voll Dornen und ohne Schatten, die spitzen Steine so heiß, daß die Hände, die sich stützten, Brandblasen bekamen. Und die Wassersäcke – Gott sei uns gnädig – waren leer. Die schweren Verluste mehrten sich, bei der Artillerie lagen schon vier Offiziere im Sande.

Aber die Krieger schossen, ohne die Lage zu wechseln, Stunde um Stunde, bis die Schreckensbotschaft von Mund zu Mund ging: Munition knapp, Patronen sparen! Sie bissen die Zähne zusammen und schossen nur auf Ziel, wenn ein Wollkopf, eine Affenlarve zollbreit über einen Stein schielte. Horch, was war das? Hinten klang das schnelle Bang-bang der englischen Gewehre, die freundliche Händler den Hottentotten verkauften. »Wir werden im Rücken beschossen und sind umklammert, umzingelt, Herrjesus!« stöhnte ein Fähnrich.

»Was ist da zu herrjesusen!« knurrte Jobst, »wir wollen unser Leben teuer verkaufen.«

Dann kam die zweite entsetzliche Nacht. Einige versuchten, trocknen Biskuit zu kauen, aber im Munde war kein Speichel mehr, der Hals konnte nicht schlucken.

Der 3. Januar bricht an, und kein Wasser! Das Wimmern der Fieberwunden ist herzzerschneidend. In der Mittagsglut kommt der Dursttod. Dennoch halten die Gemarterten und Sterbenden mit der Büchse die ringsum heulenden Wölfe in Schranken. Die grausame Sonne verbrennt das Gehirn. Ein Offizier wird plötzlich tobsüchtig. Arme, verschmachtete Kameraden stoßen ein tierisches Brüllen aus, des Wahnsinns Vorbote. Die Gepeinigten springen auf mit blutunterlaufenen Augen und laufen irrsinnig mitten in die Linie der Witbois hinein, die sie hohnlachend abschlachten.

Schauerlich, schauerlich! Der Kampfplatz ist zur leibhaftigen Hölle geworden. Einige trinken in der Verzweiflung ihren eignen Urin. Menschen werden Tiere. Ein Unglücklicher schlürft die Blutlache seines toten Nebenmannes. Ein tödlich verwundeter Major leidet furchtbar und bietet zehntausend Mark für einen Schluck Wasser. Umsonst! Nicht für alle Schätze der Welt könnte er einen Tropfen kaufen.

Das Schreien der Verwundeten, die vor der Linie liegen oder mitten im Wagenpark verdursten, ist unerträglich. Die siebente Kompagnie hat keine Offiziere mehr, die Hälfte der Leute liegt tot im Sande oder blessiert im Höllenbreughel des Lazaretts. O, diese Soldaten ertragen übermenschliche Leiden mit einem übermenschlichen Heroismus.

Die Batterie hat pro Geschütz nur fünf Granaten und zwei Kartätschen noch und muß zurückgezogen werden. Die Hottentotten mit den schrägen Luchsaugen sehen es sofort, und die Feigen stürmen mit deutschem Hurra, um die großen Rohre zu nehmen. Unteroffizier Köhler zieht ab – von seiner Kartätsche werden vierundzwanzig Schwarze zerrissen. Der Leutnant Semper, schon verwundet, steht ganz allein bei seinem Geschütz und zieht ab. Die Wilden zerstieben wie Hagel, aber der deutsche Held wird in den Oberschenkel geschossen, sein Blut spritzt eine Elle hoch aus der Todeswunde. Und der Sterbende, der einen Kanonier hinter dem Lafettenschwanz erblickt, kommandiert: »Mit Kartätschen geladen! Feuer!« Der Mann aber wagt nicht abzuziehen, weil das Geschütz beim Rücklaufen seinen Leutnant zermalmen muß. Kaltblütig noch im Todeskampfe schreit Semper: »Zum Donnerwetter, ziehen Sie sofort ab! Ich bin doch gleich tot.« Zum Glück springen fünf Mann heran, tragen den sterbenden, schneidigen Helden zurück und greifen in die Räder. Sofort wälzen sich die drei neben dem Geschütz, das nicht zurückgebracht werden kann.

»Wasser, Wasser!« Das erlösende Wort hallt durch die feurige Hölle, pflanzt sich durch die Reihen der heiseren, irrblickenden Reiter. Für viele eine teuflische Fata Morgana! Der Stab hat eine hohe Belohnung ausgesetzt, Neger haben sich durch den Ring der Feinde geschlichen und etwas von dem kostbaren Element herangebracht. Leider so bitterwenig, daß nur die Sterbenden, Verwundeten und dem Wahnsinn Nahen einen halben Becher des schlammigen Zeugs erhalten und die andren leer ausgehen.

Jobst schaut nach dem toten Leutnant Semper hin und sagt: »Neben dem da sind wir alle Stümper.« Er tritt mit raschem Entschluß vor den Major hin. »Geben Sie mir den Wagen mit den besten Ochsen und den Schwarzen, die mit mir gehen, eine hohe Belohnung, so will ich es in Gottes Namen versuchen!«

Ja, heute lernten sie beten, und Hunderte, die seit Jahren Gott nicht kannten, schrien zum Herrn in der heißen Dursthölle von Groß-Nabas.

Der graubärtige Pfadfinder geht aufrecht, ohne Schwanken und Schwäche, sein abgehärteter Körper scheint gegen den Durst gefeit. Es gelingt ihm, mit dem Wagen an den wachsamen Wilden vorbeizuschleichen und Wasser in die Behälter zu füllen. Der Rückweg mit dem schwer beladenen, knarrenden Gefährt ist sehr schwierig. Er späht, horcht, kriecht voraus, die Büchse im Anschlag und brummt leise: »Daß der Racker von Hund mir ausrückte! Der hätte auf hundert Schritt einen Witboi gewittert und mich gewarnt.« Der Pfadfinder hat die Augen des Hähers, aber nicht die Nase des Hundes.

Er atmet auf, sichert und schätzt: Nur noch dreihundert Meter bis zu unsrer Schützenlinie. Sein Kommando flüstert: »Jetzt vorwärts mit allem, was Peitschen, Riemen und Ochsen hergeben!« Die Räder kreischen, die Peitschen klatschen.

Da springen zwei gelbe Affen hoch, ducken sich durch den Busch und heulen in ihren Schnalzlauten. Eine Hottentottenhorde stürmt herbei, um den Wagen zu nehmen.

Der alte Afrikaner schreit seinen letzten Befehl: »Vorwärts! Achtet nicht auf mich!«

Die Treiber tun ihre Pflicht, peitschen die armen Ochsen und bringen den Wagen ins Lager, wo er mit einem ganz schwachen Hurra empfangen wird.

Jobst steht ganz allein gegen zehn, zwanzig, vierzig Wilde, immer mehr wimmeln von allen Seiten herbei. Kein Nerv seines Körpers zittert, obgleich seine Seele sieht und weiß: Das ist mein Tod. Er füllt mit Blitzschnelle die alte, treue Büchse, schießt die Frechsten weg, denn er muß den Wagen decken, die Horde aufhalten. Der alte Held ist wie ein ganzes Heer. Sein Blut fließt hier und dort. Er hört das leise Hurra der erlösten Kameraden und lächelt: Ich hab's erreicht, ertrotzt.

Eine Kugel zerschmettert seinen Arm. Der Recke sinkt mit zehn Wunden zur Erde. Die gelben Bestien zerschmettern mit Kolben und Felssteinen den Körper, das Antlitz.

Ein schrecklicher, nein, ein schöner Tod! Denn er stirbt für die Brüder und gibt sein alterndes Leben hin, um zweihundert junge Kameraden vom Dursttod und Wahnsinn zu erretten.

Die dunkle Nacht ist gekommen. Der achtundvierzigstündige Kampf erstirbt in allgemeiner Erschöpfung. Die deutschen Streiter sind alle nach achtundvierzigstündigem Durst mit einem Trunk Wasser erquickt; die Wunden und Wimmernden, die zwischen Karren und krepierten Ochsen sich verkrochen haben, wurden zuerst und reichlich gelabt.

Die Todmüden wälzen sich in schreckhaften Träumen.

Die Sonne des 4. Januar geht auf. Die Offiziere beraten sich – ein Leutnant muß von Freunden getragen werden – und beschließen das einzig Mögliche, das als Unmöglichkeit erscheint. »Wir müssen die Wasserstelle haben oder langsam sterben; wir müssen stürmen, um rasch zu sterben oder zu siegen.«

Kraft der furchtbaren Alternative und richtigen Heldenlogik erheben sich alle wie ein Mann. Nun gnad uns Gott! Die kraftlosen, halbtoten Krieger stürmen mit Wut den Ring der Hottentotten, die auch am Ende sind, werfen, verfolgen sie und verfeuern ihre letzten Patronen.

Die Sieger von Groß-Nabas fallen am erstürmten Wasser hin und schlürfen – manch einer hat einen halben Tränkeimer geleert.

Nach einem Kampfe und einer Durstqual von vierundfünfzig Stunden wird ein Ruhetag gegeben. Von der kleinen Streitmacht ist jeder dritte Mann tot oder verwundet auf dem Sandfelde geblieben.

Diese Männer sind die größten Helden des ganzen Herero- und Hottentottenkrieges gewesen, aber sie haben wenig Ruhm und ihre Toten nur ein schlichtes Grab gefunden. Doch in der Kolonie wird man in späteren und mehr dankbaren Zeiten von ihren Taten singen und sagen und ihre Gräber zum deutschen Ehrenfriedhof weihen.

Daselbst, bei Gochas, ruht auch Jobst Renner, der unkenntlich und nur durch die Gesichtsnarbe zu identifizieren war.– – –

Längst waren die Ehrensalven über den Heldengräbern verklungen, das Feuer des großen Aufruhrs verglomm und flackerte nur noch hier und da in frechen Räubereien verwegener Bandenführer auf, um in den Wüsten und Klüften der Kalahari zu erlöschen. Der große Schmerz um die Tapferen und Toten vernarbte. Erb von Erbenheim stand mit seiner Gattin voll Wehmut und Dankbarkeit an der Gruft, auf der er einen mächtigen, knorrigen, unbehauenen, nur für die Inschrift geglätteten Findling als Denkmal errichten ließ. Darauf standen nur die Ruhmesworte: Er war ein alter Afrikaner.

Mit jener unauslöschlichen Schrift, die alle Winde und Wetter nicht verwischen, stand das Gedächtnis seines Freundes und Vaters tief und treu in seinem Herzen geschrieben.

Erbenheim hatte eine Hochzeitsreise nach Deutschland gemacht, kehrte aber voll Sehnsucht, ja voll Heimweh nach seinem geliebten Dornenlande, das seine Heimat sein und bleiben soll, zurück. Er kaufte für sein erworbenes und vom Onkel ererbtes Geld vierzigtausend Hektar Land am Swakopfluß, was nach deutschen Begriffen eine immense, nach afrikanischem Maßstab eine ganz nette Handfläche ist, auf der Tausende von Rindern Weide finden. Da kein grüner Rasenteppich den Boden bedeckt, sondern das Gras nur in Büscheln steht und oft zwischen Steinen sich versteckt, muß ein Stück Großvieh in Südwest vier bis zehn Hektar, d. i. eine ganze Kleinbauernwirtschaft, haben, um schlecht und recht sich zu ernähren.

In diesem Kleinfürstentum von Dornen, Anabäumen, Steinen, Grasbüscheln und Futterbüschen hat der Besitzer Ellbogenfreiheit nach allen Seiten, unendlichen Aus- und Weitblick für kommende Zeiten und Geschlechter und ein reiches Arbeitsfeld für alle Kräfte. Staudämme hat er errichtet und nicht nur mit dem Brunnenbohrer, sondern sogar mit der Wünschelrute wacker gearbeitet, um die Schätze des Landes, das Wasser, aus der Tiefe zu heben. Seine Herden wachsen und vermehren sich ständig und werden einst sein, wie der Sand der Namib.

Haomi, Antjes Tochter, ist Magd und Stütze im Hause. Das Mädchen ist recht brauchbar geworden und kann nur das Naschen absolut nicht lassen, obwohl sie fromm geworden ist und alle Sonntage drei Meilen weit läuft, um die Kirche des Missionars zu besuchen, der sie seine beste und bekehrteste Christin nennt. Unter den Schwarzen natürlich! Denn die Weißen sind leider in den Augen des Missionars ziemlich faule Kunden.

Kitumbua, der Exkannibale, ist in Erbs Dienst geblieben und Negeraufseher auf dem Weidegut – um ein Fremdwort und nicht das übliche »Farm« zu gebrauchen –, lebt in glücklicher Ehe und hat drei kleine Bambusen. Da er hoch hinaus wollte, hielt er um ein weißes, etwas kurioses Mädchen in Windhuk an, bekam aber einen Korb und ging nach Rehoboth, wo eine schwarzweiße Dame Herz und Hand dem braven Manne schenkte,

Der Hund Oviumbo fühlte sich viel zu vornehm, um den beschwerlichen Beruf des Hirtenhundes zu ergreifen, und ist Wächter und Hüter des Hauses geworden. Er hat die Tugenden des Gehorsams und der Treue sich bewahrt, aber auch die Natur des Renegatentums zu hoher Blüte entwickelt. Er haßt die Hereros und riecht sie auf hundert Meter. Sein Pläsier und Privatvergnügen ist, die schwarzen Kerle, die zum Hause kommen und erschrocken stehen bleiben, hochnäsig anzuknurren und in gebührenden Respekt zu setzen. Seine Haupttätigkeit aber und zugleich sein Hauptspaß ist, die Neger, die im Garten stiebitzen oder Feldfrüchte stehlen, auf frischer Tat zu ertappen und in die empfindlichen Waden zu beißen.

Als das Diamantenfieber bei Lüderitzbucht ausbrach und bald in der ganzen Kolonie grassierte, wurde Erbenheim auch von der Krankheit angesteckt und zog mit Ochsenwagen, Schürfgerat, Wassersäcken und närrischer Hoffnung in die Namib hinein. Er kehrte aber bald und recht kleinlaut zurück und sagte laut und offen allen, die es hören wollten: »Nicht die Blendsteine im Wüstensande, sondern das blinkende Wasser und die grünende Weide sind Südwestafrikas Reichtum, Schatz und Zukunft.«


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